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Der büßende Doctor.


Doctor Sperling hatte im Dina-Prozeß auch einen schweren Stand gehabt, da selber Eleonore eine Erklärung an Eidesstatt abgeben müssen. Die Anweisung zum Gebrauche des Giftes für den König sollte von Sperling's Hand gewesen sein. Ulfeld's Beichtvater, Magister Simon Hennig, Compastor an der deutschen St. Peterskirche, der, von Dina oft besucht, mit seiner Frau Margreth verdächtig geworden, mußte aus dem Reiche. Holger Wind, der Eleonorens Schwester, Sophia, die Wittwe vom Grafen Christian Penz, dem Statthalter in Holstein, geheirathet, war zu des Königs Partei übergetreten und hatte Sophia, als ein Munkekind, verlassen, worüber sie so erbittert war, daß sie ihm sein Bildniß mit ausgestochenen Augen nachsandte. Ebbe Ulfeld war nach Schweden gegangen, und dort Generallieutenant geworden. Hannibal Sehested, gleichfalls Gemahl eines Munkekindes – die jetzt ausgerottet werden sollten – war in Untersuchung, die er schwer überstehen konnte, da er in offener Freundschaft mit Corfitz Ulfeld gelebt.

Nach Ulfeld's Entweichung mußte die Hofpartei noch mächtiger werden, noch offener wüthen und neue Ränke schmieden, wie Ulfeld der Meinung war. Und so hatte Sperling nach seinem kleinen »Sperlunkus« gegriffen, seine mit der Frau erheiratheten beiden Häuser und beiden Rittergüter zu Wechseln gemacht, hatte selbst Empfehlungsbriefe vom Könige in seiner Frau Strickbeutel, wollte nur nach Hamburg schiffen, aber fuhr dem kranken Ulfeld und der stillen Eleonore zu Liebe, nach Holland mit. Eleonore fand ihn, mit ihren Knaben jetzt aus dem Schiffsraum herauf steigend, auf dem Verdeck und kannte ihn nicht. Denn hier auf der offenbaren See, fern vom Weltgetümmel und fern von städtischem Anstand, und von höfischer Nachrede frei, saß er in den Kleidern seiner Frau, die er schon zu Sicherung seiner Flucht angelegt, jetzt gern hier als Mutter seines lieben, nun schon flüggen, kleinen Sperlunkus da, und ließ Eleonoren wohl eine Viertelstunde lang mit stillem Lächeln, in seine große Haube verborgen, und seiner Frau großen Sonnefächer gegen die Sonne haltend, vorüber gehn. Endlich erkannte sie den kleinen Otto Sperling, der mit ihren Knaben spielte, und nun kannte sie auch die sonderbare Dame, mußte lachen, setzte sich zu ihr, und frug nach ihrem Befinden und ihren Schicksalen.

Sie sehen, schöne Reisende, sprach Sperling, eine unglückliche »Glückliche«! Wenn ich Ihnen nur könnte so recht deutlich machen, daß man erst so recht glücklich wird, wenn es Einem in der Welt so recht unglücklich gegangen, so daß man bei einigem Frauenverstande – der bekanntlich sehr groß ist – gewiß ist, man habe in der Welt nichts mehr zu suchen, nicht ein mal mehr das kleine, enge, erbärmliche Leben, worein man sich gebannt glaubte, das man ret-

 

Seite 4 im Scan des Originals fehlt. https://archive.org/details/dergrfinulfeldo00schegoog

 

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und einer Mutter, wie mir, nur einen kleinen Sperling zum Großfüttern auf den Rücken zu binden. Sehn Sie, hier sitz' ich, betrübte Mutter, wie ein Truthahn, dem der Phasanenwärter das Sitze- und Brütefleisch tüchtig mit darauf gestrichenen Nesseln erwärmt, den guten Vater mit Branntwein besäuft, ihn auf die Bruteier, auf das Nest fest bindet – und der gute Vater Truthahn glaubt dann steif und fest: er sei die gute Mutter Truthenne! So glaub' ich, so thu' ich, so sitz' ich! So fahren wir Beide, Eleonore, hier in dem schwimmenden Neste! – Hätte ich meine Frau – welchen fröhlichern Sperling gäb' es dann in aller Welts Schoten und Gerste! Du, Eleonore, hast Deinen Mann! Du bist glücklich! Du bist unglücklich, – Du bist also doppelt glücklich. Seeluft ist Verstandesluft, Freiheitsluft! Weßwegen sind die Fische so frei? Weil das Meer keine Grenzen und Schlagbäume hat! Und jeder Wallfisch bedankte sich seines Lebens, wenn er gefahren käme, und ein Zollbedienter früge ihn barsch: »Herr, wie viel führen sie Thran? – Sind denn die Fischer nicht viel besser, als die Fische? Und kauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? Aber bloß damals: anno 30 oder 37 post christum natum – und Christus ist laut gewisser Rechnung 4 Jahr vor Christi Geburt geboren – und damals war ich und mein kleiner Sperling noch nicht! Ich verkaufe mich nicht, und zuletzt erst an Kaiser und König.

Eleonore verstand Sperling's fast diplomatisch erwogene Rede sehr wohl in allen ihren Bezügen, und war, als Weib, davon am meisten betroffen, daß Sperling mit Recht ihr Unglück zu meist auf ein aus Menschen und Menschenelend zusammengesetztes, abscheuliches Ungeheuer schob, das am Sunde saß, den Zoll! Und sie bewunderte die dummgeduldige Welt. Denn ohne den Haß, den die Verhandlung wegen desselben ihrem Ulfeld zugezogen, war er wohl König. Und ohne ihren Mann war sie, ihre Mutter und ihre Geschwister schon längst »unter die Hefe des Volkes gerührt«, wie er einmal gesagt.

Die Kinder wurden seekrank. Aber Corfitz, der auf der See fast immer den Geist aufgab, ließ selbst seinen Kindern kaum eine Citrone zukommen, und Eleonore mußte sie stehlen. Zuletzt zählte er sie und nahm sie in Verwahrung. Also hatte er nur, wo Ueberfluß war, davon Etwas gegeben. Wo ihm nun fehlen sollte, da mußten selber die Kinder darben. So sehr betrachtete er sie als sein Eigenthum und sich als ihren Herrn.

Seine schönen, vollen, schwarzen Haare waren dünn, und die dünnen grau geworden, so hatte ihn die Rachsucht innerlich entflammt und verzehrt. Indessen besserte er sich auf dem offenen Meere, und er spielte den Herrn, wie Cäsar unter den Räubern. Sein Hochmuth ward zu Selbstgefühl, ja er war zu Zeiten schon fähig: stolz zu scheinen – aus Ueberhebung, – und auf seinem blassen Gesicht lag Würde und Hoheit. An Entsagung war bei ihm kein Gedanke, und die Furcht, die er seiner Frau in's Herz gesät, überwuchs es jetzt und drückte es oft bis zum Stillstehen in ihr zusammen. Da sie aber ihren Vater geliebt hatte, und ihr Vater ein schöner Mann gewesen war, so konnte sie, wie die Perser, den Glauben nicht los werden, daß ein König der schönste oder doch ein schöner Mann sein müsse! Von allen oft ganz gemein aussehenden Prinzen aber war keiner von fern nur so schön – und von Nahem gar nicht, – und so voll Anstand, wie ihr Corfitz, und sie seufzte, wenn sie ihn ansah, und streichelte ihm die Haare.

Corfitz aber berechnete jetzt mit Sperling, wie bei einem Schachspiel, 3 bis 4 Züge und Gegenzüge mit Sicherheit voraus. Und später traf Alles so ein und geschah so.

Ulfeld's Entweichung – erster Zug der Weißen – hatte eine häßliche Gestalt von dem König rings um in's Land geworfen, und es wie mit seinem schwarzen Schatten bedeckt. Der Adel war empört über den Versuch, alle seine Mächtigen so zu stürzen. Schon sein Vater hatte ein Mal die Acten untersuchen wollen, worauf sich des Adels Gewalt denn wohl gründe; jetzt stand das von seinem Sohn Friedrich mit Ernst zu erwarten. Deßwegen hatten die Adlichen ihn schon von der Thronfolge ausschließen wollen, und Ulfeld gewann, als Verfolgter, ein anderes Ansehn.

Darauf – Gegenzug der Schwarzen – ließ der König den Dinaprozeß drucken und vertheilen, worin denn freilich Eleonore mit dem Gesicht und der reglosen Gestalt einer Bildsäule heimlich las: daß Dina nicht nur zuerst, sondern nach überstandner vielartiger Tortur auch zuletzt ausgesagt, daß der Vater zu ihrem Kinde nicht Walther, nicht der Pastor Povel von Lavind, sondern .... – Sie war, so oft sie das dachte, allemal einige Augenblicke geistig todt, und hörte doch zugleich in diesem Zustande das leise Klopfen von Ulfeld's Schwester Anna an ihre Thür zum Zeichen ... und hörte wieder ihren Ulfeld mit herzzerschneidender Stimme von Dina vor Gottes strenges Gericht laden.

Auf die leere Stelle des Reichshofmeisters war der Ausländer Joachim Gersdorf gesetzt. Eleonorens und ihrer Kinder Güter und Lehne waren eingezogen, an ihre Feinde Rammel und Thomesen Sehested gegeben. Ihr Mann war vor den Herrentag geladen und sollte Rechnung legen, da der König seines Vaters Freibrief an Corfitz schon verworfen. Er sollte sagen: warum er den König nicht zu seinem sterbenden Vater gelassen, als drei Tage nach dessen Tode? Warum er die Gemächer desselben des Nachts mit dem Hauptschlüssel geöffnet und allein durchsucht? Warum er den König des Nachts begraben lassen? Warum Wibecke's Leiche schindermäßig? Warum er die Ehrenpforte vor der Nase der Königin wegreißen lassen? Wozu Corfitz sagte: Triumphbogen für Einen sind zugleich Sklavenjoche für Tausende; Ehrenpforten für Einen, Schandenpforten für alle Andern, die auch Ehre im Leibe haben. Hätte sie doch mögen durch den Reifen springen! Mein Gott, womit man doch die Leute in der Welt ärgern kann! Sollte man's thun? Und ist man nicht alberner und ärger?

In dem Schachspiel Ulfeld's kam jetzt der Zug: »Die nothgedrungene Ehrenrettung« daran, an welcher Sperling redlich half; und im Style nahmen sie des Königs Christian IV. Brief an König Carl IX. von Schweden zum Muster, als Antwort auf dessen Ausforderung zu einem Zweikampf der Könige, die sich nicht leiden können, statt ihre Völker dafür zur Schlachtbank zu führen. Und so fiel, wie jede Nachahmung übertreibt, die Ehrenrettung noch gröber aus als der Brief: »Wir Christian IV., König zu Dänemark und Norwegen u. s. w. lassen Dich, Carl IX., wissen, daß Uns Dein grober und unhöflicher Brief durch einen Trompeter überliefert worden. Wir hatten uns keines solchen Briefes von Dir versehen, aber Wir merken, daß die Hundstage noch nicht vorbei sein, und daß sie annoch mit aller Macht in Deinem Gehirn wirken – – – Was den Zweikampf anlangt, welchen Du Uns anbeutst: so kömmt Uns solches sehr lächerlich vor; weil Wir wissen, daß Du schwächlich bist, und daß es Dir dienlicher sei, hinter einem warmen Ofen zu bleiben, als mit uns zu fechten, und daß Du vielmehr einen guten Arzt nöthig habest, der Dein Gehirn zurecht bringen kann, als Uns in einem Zweikampfe zu begegnen. Du solltest Dich schämen, Du alter Narr, einen ehrliebenden Herrn anzugreifen. Du hast solches vielleicht von alten Weibern gelernt, welche gewohnt sind, den Mund zu gebrauchen.« – Noch ärger und anspielungsreicher war »die Ehrenrettung«, welche nach Greifswalde zum Druck in verschiedenen Sprachen abgesendet ward, worin besonders die Hauptstelle: »daß, wenn Ulfeld König wäre, er gewiß bessere Gesetze geben, und eines Jeden Rechte gewiß besser schützen wolle und werde –« nicht gestrichen ward, obgleich Eleonore vor Sperling aus Angst einen Fußfall gethan, ihren Mann davon abzubringen, der ihr alles Einreden in diese Sache mit einem freundlichen Worte verboten.

So wuchs ihre Angst und mit Recht; denn heimliche, ja offene Verfolgung war als Gegenzug auf diesen Zug abzusehn. Denn schon wurden alle Güter Ulfeld's administrirt; aus allen seinen vorigen, vielen Gläubigern hatte er sich Schuldner gemacht, und diesen war verboten, einen Blaffert an Ulfeld zu zahlen. Eleonorens Bruder, Waldemar, war, gleichfalls vertrieben, nach Böhmen gegangen, da ihm Corfitz durch den Minister Ronsillot eine lothringische Prinzessin nicht hatte zur entschädigenden Gemahlin verschaffen können. Ulfeld hatte dem König nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß er seine Capitulation verletzt, ja gebrochen, und es bewiesen; der Eindruck von diesem laut ausgesprochenen Worte war im Volke so übel, daß der König, es zu beruhigen, eine Prophezeihung von der Vertreibung der Wölfe – der Ulfelde – die Dänemark verwüstet, angeblich aus einem alten Mönchsbuch im Kloster Esserom, hervorsuchen mußte. Schon während des Dinaprozesses hatte ihm die Königin von Schweden, Christina, eine Zuflucht antragen lassen; denn Schweden hatte eine ungeheure Verrätherei Christian's IV. zu rächen, welche nur der schnelle und schnell verhallte Sieg des holländischen Admirals Tromp über die spanische Flotte in den Dünen, zu Schanden gemacht. Und der im Vaterlande beinahe albernste und unbrauchbarste Minister wird ein Licht der Welt, ein Schatz und ein Wunder für einen Nachbarstaat, der einen andern bekriegen und demüthigen will; geschweige denn ein solcher rache- und ränkevoller Präsidialminister, wie Ulfeld, für Schweden. Mit schwedischen Rachegeistern konnte er den Bruder seiner Frau quälen, ganz oder halb zerreißen, Friede schließen, alle seine Feinde zertreten und ausrotten und alles erwerben, was Alle verloren, oder doch seine Seele erquicken, sein Herz laben. Dina's Schlag in sein Gesicht hatte ihn gleichsam aus der Erde gewurzelt und hoch über alle Welt hinauf geprellt. Da droben schwebte er, und mochte kaum mehr hernieder auf feste Füße, so gefiel ihm das Schweben in Flammen und Feuer und rollenden Wolken.

»So lange der Mensch noch strebt und Glückliches hofft, so lange haben ihm Menschen und Menschliches Werth, sonst strebten sie nicht. Der Unglückliche, Mißrathene wird eine Art Unmensch. Der Bessere stellt sich unter die Menschheit, bewahrt noch die Ehrfurcht vor ihr und ihrem so schönen Glück, und bleibt so noch auf der Kehrseite glücklich, wie eine Goldmünze auf der Kehrseite noch golden ist, nur ohne das Bildniß und die Ueberschrift. Der Schlimme stellt sich über die Menschheit, als wenn im Leeren die Rettung wäre, und ist schon nicht einmal unglücklich. Der Schlimmste aber wird zum Dämon; Alles und Alle unter ihm sind Staub; und sein Groll und sein Haß macht sie zu Gift, Dolchen und Schwertern in seinem Geisterspiel;« sagte Sperling zu Eleonoren. Eleonore führte ihren Ulfeld, um ihn zu beruhigen, auf den Kirchhof des Orts, wo sie in Holland wohnten, aber die tiefsinnige, schöne Ueberschrift an dem Thore desselben:

» CRAS. ITERABIMUS. INGENS. AEQUOR. «

(Morgen besteuern wir – Todten – wieder das ungeheure Weltmeer). – Diese gerade trieb ihn am andern Morgen schon fort nach Hamburg, wo Hannibal Sehested lauerte, und wo Sperling blieb, nach Lübeck, nach Schweden, auf welcher Reise Corfitz in Travemünde bei'm ersten Ausgang aus dem Gasthaus am Hafen auf Walthern stieß. Sie starrten sich an. Sie waren Beide zu überrascht, um vor Wuth zu wissen, was zuerst zu thun. Und Corfitz setzte sich gleich in ein Boot und fuhr – aus Furcht vor erfüllter, großer Rache, durch einen einzelnen, elenden Feind umzukommen – in sein Schiff. Walther stürmte hinauf, um an Eleonoren Rache zu nehmen, die seine liebe, schöne Dina aus weiblichem Hasse zumeist in die Erde getreten. Aber Eleonore ging unerkannt, mit einer Pistole in der Hand und die andere unter dem Arm, an ihm vorüber und hinab in's Schiff. Denn sie trug Mannskleider auf ihrer Reise – »damit Du, als so schönes Weib, keiner Beleidigung ausgesetzt bist, welche ich, als Dein Mann, nicht rächen kann, da ich mich nicht entdecken, nicht einmal meinen Namen nennen darf«, wie ihr Ulfeld gesagt, das heißt, befohlen. Denn er bat nur, wie es schien. Aber, aus seinen heißen, großen Gedanken erwachend, war er oft gegen Andre sehr grob, und sein Weib nahm sich die Worte oft an und Wehmuth bewegte ihre Züge, aber sie weinte nicht. »Du mußt doch erfahren, wie es ist, wenn eine Königstochter einen unglücklichen Landstreicher hat – »vor der Hand«; sonst erführe es ja keine; Und Alles müssen Alle in der Welt erfahren; deßwegen ist sie und sind wir; mein schöner, junger Herr« – sagte er ihr dann, und drückte ihre Hand an seine Lippen.

Sie aber war jetzt auch ohne den Trost der in Holland verlassenen Söhne und voll banger, baldiger Hoffnung auf einen kleinen, neuen Corfitz; er sah sie, lächelnd über ihren weiten Mannsoberrock, an, scherzte und nannte sie seinen lieben, jungen, wunderbaren Bürgermeister; und wie er zufrieden schien, war sie zufrieden. Wie sie in Stockholm ankamen, ward gleich ein Courier nach der Königin geschickt, und Christina sprach dann mit Eleonoren – die als Mann gekleidet blieb – schon deßwegen höchst gnädig und vertraut, und ward noch mehr durch sie für Ulfeld gewonnen, ob sie gleich schon des Königs Friedrich III. innerlich bitterste Feindin war, und zwar aus einem Grunde, aus welchem fast alle andern Frauenzimmer einen Mann zeitlebens fast innerlich dankbar bleiben, nämlich dem, daß Friedrich ihr das Schreckliche zugemuthet: »ihn zu heirathen, und, als Weib, eines Mannes Tag und Nacht und Wochen und Jahre stets unterthänige, erbärmliche Sklavin zu werden.« Ihrer hohen, reinen, stolzen Frauennatur nach, die zum Glück wenige Weiber begreifen, und welche die Männer stutzen macht, hätte Christina, wie sie sagte, vielleicht sich entschlossen, des göttlichen Achilleus Verlobte zu werden; oder auch höchstens noch neben ihm in ihrem eigenen Zelte zu wohnen, und ihm, doch höchst selten, zu erlauben: an ihren Knieen vor ihr zu knieen ... und mit seinen Götteraugen menschlich zu ihr zu flehen!

Corfitz ließ das gut sein; obgleich der Eindruck, welchen diese wunderbare Amazone, als Königin von Männern, auf seine Eleonore machte, ihm gar nicht gefiel, weil er seines Weibes innere, hohe Weiblichkeit überhaupt anregte, so daß sie einige Zeit ganz still und sonderbar gegen ihn blieb. Die Königin wies ihr aber mit einem unbeschreiblichen, ironischen Lächeln die schönsten Zimmer im Schlosse zu ihren Wochenzimmern an, und versprach ihr, Pathe zu stehen. Das war die äußerste Gunst von ihr; denn es war die größte Selbstüberwindung, sah Corfitz. Er durchschaute sie ganz; denn er kannte das Weib der Natur, und die Natur des Weibes. Christina war, ihren hohen Begriffen von Schönheit zu Folge, sich selbst nicht schön genug und konnte es kaum jemand Anderem sein, wie er sah; darum hatte sie sich seit früher Mädchenzeit über alles männliche Wesen erhoben, aus reinstem, weiblichem Stolz; oder ihr Stolz war die höchste weibliche Würde, und ihr schönes, schweres Entsagen die göttlichste Anerkennung der tiefen Verehrung der Natur in schöner, kraftvoller Mannsgestalt. Ja, sie sah zuweilen einmal den männlich schönen Corfitz an, sah dann wohl auf die Erde, war dann lange still, und machte ihr berühmtes, bittres Gesicht. Dazu lachte Corfitz innerlich, wie Jemand im Traume, helle-laut, ohne daß es zu hören war. Im Besitz des Schlüssels zu ihrem Charakter – wozu noch die Trunkenheit des Ruhmes, die Wuth, gleich berühmt zu sein, wie ihr Vater kam – setzte er sich bei ihr sogar in die äußerste Gunst der Frauen, wenn sie eine Frau, und keine Jungfrau gewesen. Er war als Mann vielmehr dasselbe, was sie als Weib war. Er achtete kein Weib. Er hatte nur Eines kennen gelernt. Wie er als Kind alle Blumen gegessen, ja, kleine Puppen in den Mund gesteckt, so war er erwachsen geblieben, denn seine Sinnlichkeit hielt jeden Anstoß zu dem Gedanken, daß Etwas ... also auch das Etwas: ein Weib ... hoch und geistig sei, in ihm nieder. Die Königin Christina hatte nun ihren erlittenen Schimpf zu rächen; Er den seinen. Und so entfaltete Ulfeld, als Geheimer Rath, mit ihren Mitteln und Verbindungen, also mit den unermeßlichen Kräften eines ganzen und ruhmberauschten Königreiches, eine Thätigkeit, von solcher Schlauheit, List, Erfahrung, Welt-, Menschen- und Staatsklugheit unterstützt, daß er vor Freuden über das wohlgerathende, schön ausfallende Gewebe seines Gespinnstes und seiner Kunst nach und nach wieder jung, roth und zuletzt auch dick ward, so daß er kaum mehr zu kennen war. Um sie desto schneller zur Entsagung des Thrones zu treiben, hatte er ihr vorgestellt – aus seiner Erfahrung, – daß es ihr zeitlebens gereuen würde, und schon drei Tage nach der That, wenn sie sich der gewohnten Thätigkeit, des Wandelns auf Menschenköpfen und Thorenrücken beraube; denn er habe einen Kutscher gehabt und verabschiedet, der darauf alle Morgen vor der Sonne auf einem gemietheten, mit Bändern geputzten Pferde vor seinem alten Stall geritten sei, seine vorigen Pferde gesegnet und den neuen Kutscher verwünscht habe, bis Er selbst ihm das verwirrte Spiel gelegt, aber jetzt sich und allen Machtbegabten in ihrem Kreise den Kutscher zum ewigen Muster vorstellen wolle. Christina aber, die immer außerordentlich sein und handeln und fühlen wollte, dankte ab, ging fort; Carl Gustav war König, Corfitz hatte nun einen General, und ging mit seiner Eleonore als Vedette nach Pommern auf seine, für dargeliehenes Geld ihm verpfändete Herrschaft Barth. Eleonorens Mutter, Frau Christina Munke, war wiederum eingesperrt, das war Grund für die liebende Tochter genug, den Spuren der schrecklichsten Schritte ihres unversöhnlichen Gemahles zu folgen, und zwar in Mannskleidern. Ihr Schiff ward vom Sturm nach Danzig verschlagen, das Dänemark freundlich, ihnen also feindlich gesinnt war. Sie wohnten vierzehn Wochen im Gasthause, denn zwei abgesandte Dänen lauerten ihnen auf. Zum Unglück für Eleonoren erblickte sie da – als äußerst schönen, nur ihr zu reizend verschämten, jungen Mann – eine junge Russin, Madame Unverdorben, die Wittwe eines deutschen Kaufmannes, verliebte sich in Eleonoren und mit einem unverstandenen Zutrauen zu ihr, quälte sie die gepeinigte Frau, sie zu heirathen, verfolgte sie seltsam auf Tritten und Schritten, und Ulfeld, der sich für Eleonorens Bruder ausgegeben, unterstützte Madame Unverdorben in ihrer Bewerbung um seine Frau, und brachte sie – um geheim zu bleiben – in die unglaublichsten Verlegenheiten, die sich nur legten, als Eleonore der Madame Unverdorben versprach, mit ihr zu fliehen. So konnte Eleonore selbst nun ihre Abreise bemänteln, während sie, um sich und ihren Mann nicht zu verrathen, die ganze Zeit, heimlich sogar, selber ihre Wäsche wusch und in lächerlicher Todesangst lebte. Dann floh Madame Unverdorben eine Nacht mit Eleonoren auf das Schiff indem sie alle ihr Hab' und Gut, Juwelen und Gold zu sich genommen, und legte sich fröhlich schlafen, aber erst, als das Schiff längst in hoher See war. Am Morgen aber fand Madame Unverdorben zwar, doch schon mit Schrecken, Herrn Corfitz – ihres Bräutigams älteren Bruder – aber neben ihm ein mitsegelndes Frauenzimmer, Eleonoren, die sie nicht erkannte vor Schmerz und Thränen, da ihr Corfitz auch mit Thränen erzählte, ihr Bruder sei des Nachts in's Meer gefallen und ohne Rettung in der Finsterniß ertrunken. Das Leid der jungen Madame Unverdorben belustigte Corfitz, aber Eleonore überzeugte sie aus sonderbarem, weiblichem Mitleid schon am folgenden Morgen, wo sie wieder die männlichen Kleider anlegte, dadurch und durch wiedererzählte, im Brautstand geführte Gespräche, sie sei der Bräutigam und Corfitz Gemahlin. Die gute, junge Wittwe war aber so an Eleonoren gebunden, daß sie nach den zum zweiten Mal überstandenen Thränen, erst über des Bräutigams Tod, dann über Eleonorens Leben, nach ihrer Landung auch bei ihr blieb, was Corfitz duldete, ja, gern sah', denn Madame Unverdorben war schön und schien nicht immer ihrem Namen Ehre machen zu wollen. Beide Freundinnen reiseten darauf, verkleidet, von Barth nach Jütland, um Eleonorens Mutter zu befreien, ihre Freunde in Copenhagen munter zu machen und ihre Töchter zu entführen. Die gute Tochter hatte aber nur die Gnüge, ihre Mutter, Christina Munke, drei Tage lang zu sehen; denn sie ward an ihren Feind Ulrich Friedrich Gyldenlöwe verrathen, der sie festnehmen wollte, weil sie den Adel in Jütland aufgewiegelt. Aber ihre Freundin Unverdorben ließ sich für sie ergreifen – und ward der Entflohenen nach, aus dem Lande verwiesen.

Nachdem Carl Gustav von Schweden in Polen wunderschnell gesiegt, den König Johann Kasimir verjagt, und den Kurfürsten von Brandenburg gezwungen hatte: Preußen von ihm zu Lehen zu nehmen, wofür Ulfeld später büßte, erklärte König Friedrich von Dänemark ihm den Krieg, und Carl Gustav kam wie eine Wetterwolke über Dänemark gebrauset. Ulfeld war sein leiblicher und geistiger Wegweiser, den er um alles Wie und Wo frug, aber alles Was that er selbst, wie Jupiter und Blitz, zugleich. Er war gleichsam der gekrönte Kopf einer großen, fürchterlichen Landschlange, des Heeres, die sich hinter ihm drein wälzte; aber ihr langer Leib war nicht Schlangenfleisch, sondern wüthendes Menschenfleisch und nach Menschenfleische begierig. Das Haupt ruhte in Ottensee bei Altona, und die Schlange zog sich ihm nach und ringelte sich um dasselbe zusammen, zum Sprunge bereit, und des Königs und Ulfeld's Augen waren die Schlangenaugen und stierten bezaubernd ihre Beute an.

Ulfeld ließ seinen Freund Sperling aus Hamburg holen. In prachtvoller schwedischer Generalsuniform, aber einen Mantel über, erwartete er ihn auf dem schönen Kirchhofe von Ottensee im klarsten Mondschein. Sperling ward durch den Schwarm der Schweden im Dorfe zu ihm geführt. Hier bin ich! rief er ihm entgegen. Doctor Sperling stand vor ihm mit entblößtem Haupte und sein Haar war grau geworden. Nur her, Du weißer Sperling, den man so selten sieht, sprach Corfitz, und reichte ihm die Hand. Ulfeld hieß ihn, wie sonst schon immer: Du; aber Sperling sprach auch jetzt, wie sonst, nur: Excellenz! – haben befohlen! Denn er kannte seine schwache, ja, wunde Seite und berührte sie nie mit der Sonde, aus Freundschaft für den Mann, nicht den Menschen, besonders nicht für den adlichen Menschen, was ihm ein Widerspruch war, denn er hatte manchen vom Adel secirt und einige Bauer, und Bauer leben gesehn, und Adliche, und den

 

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Alles, Würden und Güter, wieder erhalten. So stehn wir nicht mehr! Ich war davon freigesprochen, daß ich den König vergiften wollen – denn – sieh, was dahinter steckte – er hatte die Unsicherheit seines Lebens benutzt, sein Söhnchen zu seinem Thronfolgerchen zu machen. Schande mußte er haben! Sein Resident Juel trug seine größte Anklage geheim in der Brieftasche, daß ich dem König von England Gelder nicht ausgezahlt. Christina versprach ihm mit Trug, mich öffentlich zu demüthigen – da kam er in die glänzende Versammlung, und ich legte ihm Montrose's Quittung vor, und vor Wuth rannte mein Juel fort, den ich nur Du, Juel, oder höchstens Juel auf Hundsbeck hieß. Der König Friedrich ist nun noch mein Schuldner in aller Art. Statt Beistand zum Kriege zu versprechen, forderte der Adel von Friedrich nur noch mehr adliche Freiheiten. So ist's recht. Denn dafür hat er ihnen Aufseher zu allen Schmäusen verordnet – sogenannte Maulwächter – damit sie nichts mehr und nichts Besseres essen und trinken, als der Landgeldbeutel und der Adelsgeldbeutel verträgt ... den Magen unbetrachtet. Eine schöne Stelle, am Tische zusehen essen, die Bissen und Gläser zählen. Sperling, nun kannst Du die Wuth denken. Der Adel steuert Nichts. Die Bürger und Bauern haben Nichts. Alle weigern sich, neue Steuern zu bezahlen. Die Schulden sind erdrückend und der Geldmangel ist so groß, daß fast alle Staatsdiener schon Jahre lang keinen Blaffert Besoldung erhalten. Festungen und Soldaten hat kein Däne geduldet, damit der König nicht selbstständig werde, und namentlich Friedrich sich nicht von der ihm vor der Hand von mir auferlegten strengen Capitulation mit Gewalt los machen möchte. Geschickte Feldherrn haben sie keinen. Denn, Sperling, allen Respekt vor Deinem Sohne von der kleinen, verdächtigen Hofdame, vor Deinem von Dir verachteten Sohne Ulrich Christian Gyldenlöwe, den der König Friedrich für seinen Sohn hält, weil wir ihn, zum Vortheil des schlauen Hofdämchens, in lustiger Zeit dem Könige aufgebürdet haben, der ihn liebt, wie ein Affe und eine Aeffin zugleich, und ihm sogar, als Feldherrn des Reiches, seine und seiner Frau Königin Rettung jetzt anvertraut – allen Respekt vor diesem Deinem lieben Sohne – aber er ist der Erste, der davon fliegen wird! Denn die Sperlinge haben Flügel, und ich kenne einen gar lieben Sperling, der sich vor dem Tode fürchtet, wie ein Doctor! Dabei drückte er ihm lachend die Hand.

O, still' doch! bat Sperling. Still' von alten Sünden aus der Zeit, da ich erst anfing, zu prakticiren und sündhafter Weise wünschte, wenn nur diese oder jene schöne Frau krank umfiele, mich rufen ließe und anschmachtete! Meine Frau, die edle Seele, hat mich curirt, als pendant oder pendante zu allen ehrliebenden Weibern. Die Amputation des bloß dünnen, seidenen, aber eisendrathsteifen Strickes will ich keinem verliebten Doctor mehr gönnen. Mir zittert im Geiste noch Hand und Messer! Ich muß an den Strick fühlen, womit sich meine gute Frau gehangen und den ich immerfort – wie ein Adlicher oder eine adliche Giftmischerin oder sonstige Mörderin, statt und als Strafe für den plötzlichen Tod durch den Scharfrichter – um den Hals trage, zum Zeichen, daß Ich eigentlich diesen lieben Strick verdient und mich hängen sollen! Jetzt wird er mir ordentlich um die Kehle zu eng, und brennt mich, und ich habe keine Luft!

Schon gut, schon gut; sprach Ulfeld. Du hast Dich gemausert, und keine alte Feder mehr an Dir. Aber ich muß mich an Deinem Sohne rächen – er muß seinen Vater sehn und kennen; denn der junge Herr ist, aus gewiß nicht angeborenem Adels- oder Königsstolz – wie wir Zwei wissen – so übermüthig, daß er meine Frau angehalten und aus dem Reiche weisen lassen – weil er ihre Freundin Unverdorben statt ihrer ergriffen. Sie selbst hätte er mit zu ihrer Mutter eingekerkert. Auch der König, der Adler, soll vor einem Sperling Respekt bekommen, so großen – wie vor einem Kukuk – vor Dir!

Excellenz sind launig, sprach Sperling verlegen.

Also zu etwas Ernstem! fuhr Corfitz fort; wenn großer, vermögender Menschen Narrheit, ja Raserei auch zu dem Ernsthaften gerechnet werden kann ... s'intende von Uns! Denn Tausende, ja ganze Völker leiden tausend Uebel und den Tod deßwegen, und was den Großen ein Spaß ist, das ist den Kleinen also ganz bitterer Ernst, wie einem Courier, den ich dem Thronfolger Christian's V. zu Liebe oder zu Leide bis nach Straßburg nach einer warmen Gänseleberpastete gesandt habe, und der manchmal drei Pferde darüber todt geritten und sich zu Schanden. Also solchen Ernst der Welt vernimm, mein Sperling! Bei meiner Verhandlung mit Cromwell, um Dänemark gänzlich vernichten zu dürfen, wollte ich heraus haben und habe heraus – höre und erstaune – daß ich selber der allervortrefflichste Mann bin, oder, richtiger gesagt, die allernatürlichste Mutter; denn ich will Dänemark ganz, wie die wahre Mutter des lebendigen Kindes bei dem König Salomo! Jene hohen Adlichen Von – der Herr von England und der Herr von Frankreich aber wollen – wie jene unnatürliche, habsüchtige Rabenmutter – das Kind, Dänemark mit dem Schwerte theilen. Aber zuerst es erobern. Wir aber erobern es diesem Protector und Prosector billig weg! Holland hat dem König Friedrich nur Hülfe versprochen, um ihm zur Kriegserklärung Muth zu machen. Denn, weißt Du, Conrad von Beuningen ist mein Freund, und der Vergleich mit ihnen ist zu Elbing schon geschlossen. Nun könntest Du denken, ich fürchte den König! Bah, Carl Gustav! Er wird nicht lange leben. Glaube das. Denn welchen vortrefflichen Vorsatz hat er eigentlich? – Rom zu erobern und zu zerstören, so daß kein Maulwurf mehr da hecken kann, geschweige ein Papst, Cardinäle und Pfaffen. Nur als die nächste Fußtapfe dahin, will er Dänemark. Nach Polen führte ihn die Wuth, Krieg zu führen, nicht, sondern Ruhm zu erwerben, nur von ungefähr. Aber ich wollte ihn nur in die Waffen! Den Polen und Polen schadet Niemand, wie Niemand Gottes Erde verwüstet. Wie sie immer wieder Gras trägt, so oft sie auch zertreten wird, so trägt Polen immer wieder Männer und Frauen bis an der Welt Ende; und wenn St. Peter aus der Himmelsburg einst Commission erhält, Polen zu richten, so muß er vor dem jüngsten Tage noch Polnisch lernen. Was aber geschehen wird, möchtest Du wissen? Sperling, komm' mit!

Sperling wand höflichst die Hände.

Du fürchtest die eisernen Pillen? Leonore selber kommt mit, in allerliebsten Husarenkleidern. Ich will Dich bei der schwersten Artillerie der Welt, bei dem größten, furchtbarsten Mörser anstellen – beim Dintefaß! Du sollst des Königs Geheimschreiber sein. Er kennt Dich schon durch mich. Du aber den König nicht, meinst Du! Ach, Gott! daß ich auch ein Mal seufze! Siehe die Lanzen alle, die da im Mondschein blinken, die Pferde, die dort wiehern, die Kanonen, die Du hinschüttern hörst – Alles ist mein Geld! Die Hamburger Ochsen und Schweine und Schinken und Brote und Röcke und Hosen und alles, was sie besorgen – Alles ist mein Geld! Die Menschen, die Tausende, sind für die Paar Bissen Essen des Tages, Tag und Nacht im Leben und im Tode – mein! Ich begreife die Raserei nicht! Die unbeschreibliche Armuth der Menschen oder ihren unschätzbaren Reichthum, ihren Leichtsinn, ihre doch erbärmliche und doch auch götterhafte Größe – ich begreife sie nicht. Aber wie in einem Schachspiele, das Ich spiele – ist auch der König mein. Carl Gustav ist mein König. Ich ziehe! Ich sinne! Ich spiele! Ich gewinne! – Spiele mit, Sperling! als Gevatter mit Rath! Aus einem Laufer, Springer oder Flieger will ich Dich auf dem Felde des Thurmes zu meinem Elephanten machen – den Du an der Kette um den Hals trägst, Sperling! Ich habe nichts mit, als jenen Beutel mit einem Loche – ein unersättliches Herz! einen eisernen Willen. Ich will! Und ich weiß, was ich will.

Doctor Sperling zog mit. Ulfeld's Kenntniß und Gebrauch aller Häfen und Städte, Thore und Thüren, Vesten und Schanzen, Menschen und Männer im Lande trug Taschen-

 

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gefehlt, die nicht kam; jetzt fehlte eine Flotte, die nicht mehr kommen konnte, weil sie, geschlagen, sich zerstreut und verkrochen hatte, wie Meerspinnen. Die größte Flotte war aber jetzt von keinem Nutzen mehr, denn grimmige Kälte fiel ein, und die See, die beiden Belte froren zu. Dänemark mußte erobert sein, ehe ein Helfer es ahnen und glauben konnte. Und jetzt war alle Aussicht dazu gefroren. Das ist grade recht, dachte Corfitz. Der König starrte ingrimmig auf das spiegelblanke Eis, sah Falster, sah Langeland, Laaland, Alles, wie in einen Spiegel gezaubert und verborgen, geborgen und doch so reizend sichtbar! Corfitz hielt neben ihm zu Pferde am Ufer, das ihm kein Ufer mehr war, wie er sah, und sprach, wie ganz bescheiden und verlegen: Ew. Majestät werden nicht thun, was noch kein Feldherr gethan...

Was? frug der König.

Es ist auch gewagt, ja zu viel Gefahr! sprach Ulfeld weiter, ihn reizend.

Was kann das sein? frug der König, fast zornig.

Ew. Majestät gehen zuerst in der Welt mit einer Armee und Kanonen und Pferden denn über das Eis.

Der König wollte schon davon sprengen und Marsch kommandiren, da setzte Ulfeld noch hinzu: der Oberlandmesser Dahlberg mißt auch ein Mal Eis, Stricke und Dicke! Herr von Arensdorf streut mit 50 Reitern Stroh und läßt Wasser gießen ....

Der König war fort. Und in kurzer Zeit landete das Heer, meist Reiter, beim Tybringer und Fönsöer Walde – und Sperling sprach: Da die schweren Kanonen so furchtlos hinüber fahren, versuch' ich es auch zuletzt, und verspreche, da nicht hin zu gehen, wo etwa ein Paar Compagnieen durchbrechen in's Bodenlose, wie große Trepane in einen ungeheuern, wassersüchtigen Riesenbauch. Vorsichtig also fuhr er hinten auf der Kutsche des Königs, und als sie mit 500 Menschen mit und wie auf einem großen Stück Spiegel oder wie auf einem inselgroßen Krabben allmälig hinunter sank in die aufquellende Meerfluth, rettete ihn Ulfeld glücklich an den grauen Haaren, ja, als die ausrissen, an seines Weibes Schnur am Halse; worüber Sperling vor Rührung und Dankbarkeit gegen die todte, noch gute Seele recht bitterlich weinte. Vier Regimenter Dänen kamen ihnen auf das Schlachtfeld von Eis entgegen, und Jeder ertrank frisch und gesund, wenn die Kanonenkugeln auch nur neben ihm durchschlugen. Der König siegte durch Wrangel, stand mitten unter den Feinden allein und fern, und kein Däne unterstand sich, ihn anzutasten. Alles entfloh von Fühnen. Ulfeld nahm den blutjungen Anführer des dänischen Heeres, den Generallieutenant Ulrich Christian Gyldenlöwe, gefangen, um ihn dem Doctor Sperling, als seinem wahren Vater, vorzustellen; sonst, meinte Ulfeld, kann Niemand was Besseres thun, als seinem Feinde einen schlechten Feldherrn lassen und loben und preisen. Den andern fünf Reichsräthen, auch dem berühmten Schreiber mit Gift und Galle, dem Gunde Rosenkranz, erbat er vom König die Freiheit. Gyldenlöwe war aber neben dem Feldmarschall Albrecht von Eberstein, dem Obristen Adolph Fuchs und dem Generalmajor Hans von Schack das vierte Rad, oder das fünfte am dänischen Kriegsrath, welchen König Friedrich aus Ulfeld's ärgsten Feinden eingesetzt; denn selber die Königin merkte, daß sie zumeist nur mit Ulfeld Krieg führten. Gyldenlöwe war schon lange krank, kein dänischer Arzt mehr da, und so führte Ulfeld unter dem Schein der Menschlichkeit seinen Doctor bei dem kranken Sohne ein, und aus diesem Grunde entschloß sich der Vater Sperling, mit schweren Seufzern zu ihm zu gehen. Als er mit Ulfeld spät am dunkeln Abend in die Bauerhütte getreten, worin sein von ihm verachteter, aber von dem höchsten Unwissenden hochgeehrter, sein bereueter, im Herzen begrabener, aber jetzt wie auferstandener Sohn lag, stellte er sich gerührt und bescheiden an sein schlechtes Lager, hörte den Kranken erst eine lange Zeit wimmern, und frug ihn dann vor überwallendem Mitleid und vor Liebe, die ihm wie Moses Quell aus dem bisherigen Felsen seiner verschlossenen Vaterbrust frisch und plötzlich hervor sprang und ihm in die wenigen Worte gefror: Was machst Du denn .....?

Ulrich hatte ihm die Hand gereicht; jetzt schleuderte er sie hinweg, fuhr empor und frug: Welcher Lump nennt mich Du? Weißt Du, wer ich bin –

... Mein Sohn! fuhr Sperling jetzt erst fort in seiner Frage: Was machst denn Du, mein Sohn. – Jetzt aber veränderte er sie und sprach: Was thust denn Du, mein Sohn?

Ulrich riß den Degen aus der Scheide von der Wand neben ihm. – Wen haben Sie mir gebracht, Ulfeld? frug er mit Vorwurf. Phantasir' ich, oder der? Ist das der Doctor?

Doctor Sperling! sagte Corfitz. Sonst ein Liebling der Damen, und was nicht immer zugleich nöthig ist, auch ein Liebhaber derselben ...

Derselben! rief Sperling, außer sich, als wenn ich – – wenn ich – als wenn ich mehr Schnuren verdient hätte, als die Eine, welche ich hier zum Jammer trage!

Also nicht derselben! Nicht Aller, noch Vieler, nicht einmal Weniger Damen Liebhaber ist unser Doctor und Freund und Vater und Bruder, mit einem Wort, Doctor Sperling gewesen – sondern nur der ganz geheime Liebhaber ihrer Frau Mutter – liebster, bester Gyldenlöwe, dem ich und Er doch zu diesem Namen geholfen – Sie sollten uns danken, aber freilich, Sie wußten das nicht! Und ich habe Ihnen also Nichts zu verzeihen, der Doctor Nichts, und Sie Nichts – Sie Nichts, betonte er wie Ein Wort und wiederholte es, da Ulrich, als ein Sperlingskind, nicht einmal von Adel war – Sie Nichts, dem Doctor, nur zu danken! Sie sind überrascht? Er mag wieder kommen. Die Freude wird gesund machen, schnell.

Auf diese Worte von Ulfeld forderte der arme, junge Mann zuerst mit Wuth nur Beweise; dann verlangte er mit Zorn Aufschluß; darauf wünschte er mit Verlegenheit Verzeihung, und zuletzt bat er mit Thränen um Schweigen.

 

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Nein! so spaßhaft sind wir nicht. Ja, ich halte den Menschen für einen Engel, das Leben für heilig. Eben deßwegen veracht' ich nun meines und Deines, Lenorens und fast aller Menschen Leben, die ich gekannt habe – denn ein Haar besser, zwei Haare oder einen Kopf voll, und doch unrein, Sperling, das ist gleich! Jetzt sind nur noch Kinder Menschen – dann gibt es mir keine mehr. Denkt aber Gott erbarmenswürdiger und erbarmender – das kann er thun. Ich kann es mit nichten! ... Das war heut' mein erstes und letztes wahres Wort, was ich auf Erden gesprochen, Sperling! Merke es wenigstens Dir.

Jetzt ging Sperling versöhnt, ja um ein ganz besonderes Glück reicher, wieder mit ihm. Manchmal schien es ihm in der Brust ein Klumpen Gold, jetzt ein Klumpen Gift – aber immer schwer, und es half ihm heut' nicht, die Hand an der Schnur zu halten. Und wenn ich sie zuzöge und stürbe, es hülfe heut' nichts; vielleicht Morgen! sprach Sperling für sich, und hoffte von der Zeit, da doch der spätere, größte Verstand selbst nicht mehr gut machen kann, was das schnellste, unrechte Gefühl versehen.

Das Eis fing an, zu schmelzen und der König wollte Schiffe zum Uebergange nach Seeland erwarten. Aber Ulfeld bewog ihn wieder, aus brennender, immer genährter Rache, zum Zug auf dem Eise nach Seeland; und durch die stillen Manöver von Ulfeld's und Sperling's dankbarer Feder gewann er dem König die feste Stadt Nakskov und den zu spät gekommenen Entsatz dazu, und versicherte ihm, daß der Adel die Thore von Copenhagen öffnen und den König Friedrich ausliefern würde. Ulfeld erwartete, daß Carl Gustav ihn zum Statthalter von Dänemark ernenne, wenn er es mit Norwegen erobert, dann spielte er sein Spiel für sich zu Ende. Aber Carl Gustav meinte, wenn ein König von Schweden Dänemark habe, dann werde er in diesen schönen Inseln bleiben und schwedischer Name und Ruhm sei dann hin – und mochte die Stadt Copenhagen nicht. Ja, er ernannte Ulfeld zum Friedensbevollmächtigten.



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