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Abendmahl und Hochzeit.


Daran schloß Ulfeld rasch drängend sogar einen für Dänemark milden Frieden zu Roskild. Freilich nur alle seine Güter bedung er sich im Friedensinstrumente – dem schönsten Instrumente der Welt, wie er es jetzt nannte – wieder, auch alle seine Titel, besonders aber alle Ehrentitel seiner Frau, und die fortan ungekränkte Freiheit ihrer Mutter, der Frau Christina Munke. Sie starb aber, und ihre getreue Tochter Sophia starb bei ihr und mit ihr an Einem Tage, und Ulfeld ließ beide Todten bei der Begräbnißfeier von dem ganzen Adel und von allen ihren weiß gekleideten Kindern und vielen Enkeln feierlich empfangen und in die St. Kundskirche zu Odensee begraben. Er wollte sich an vielen Feinden rächen; aber er

 

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an, wie ein Bild aus einer unbekannten Welt über ihr oder unter ihr – und es verschwand doch nicht, ja, die Figuren desselben redeten mit ihres Mannes Stimme und mit der Stimme ihres unschuldigen Kindes. Sie empfand eine rührende Schonung gegen ihn; denn durch seinen Betrieb waren Menschen zu Tausenden umgekommen, Tausende waren Wittwen, Tausende Waisen, liebe, kleine Mädchen, liebe, kleine Knaben, wie sie selbst alle Morgen und Mittage um ein kleines Stückchen Brot an ihre Thüre betteln kamen; und ihre Kinder, die noch den Vater hatten, mußten den lieben, herzigen, kleinen Kindern geben! Sie empfand eine heilige Scham für ihn; sie schämte sich, durch ein Wort seiner Seele Scham aufzuregen, und vor einem Erröthen oder Erblassen desselben hätte sie können in Ohnmacht fallen. Vor eigenem Seelenadel fürchtete sie, seine Seele zu kränken, denn sie setzte voraus, wie ein reiner Engel voll alles Himmlischen: er fühle genug und zu viel schon in sich selbst, ganz, wie er sei. Wenn es etwas gibt und geben kann, was über die Liebe ist, so ist es der Seelenadel, oder ist er die vollkommenste Wirkung der Liebe, die reinste Blüthe, die aus allen ihren Kräften zusammengedrängte stille Frucht derselben. Denn ihre Liebe war nun ein Lieben, aus allen schönen Kräften des Weibes zusammengeschmolzen: aus Liebe zu dem Gott, zu der über alles Ahnen großen Welt, zu der schönen Menschheit, zu ihren schönen, theuern Kindern, zu dem Vater im Grabe, zur Mutter im Grabe, ja, aus der bräutlichen, immer jungfräulichen Liebe zu ihrem Mann selbst, süßer, schöner, fester im Herzen, als ein Schmelztiegel voll Diamanten und Gold in zauberischem Fluß über einem unsichtbaren Feuer. Aber das Feuer brannte sie. In ihrer Stille, in ihrem leisen Bewegen, wie um einen schlummernden Kranken, sammelten sich aber alle ihre Gefühle des Rechten und klärten sich desto reiner, ja, sie drohten lebendig zu werden und auszufliegen aus ihrer Brust. Aber sie wollte den Gott für sich sprechen lassen, beredete ihren Mann, ein Mal, nur ein Mal zum Abendmahle zu gehn. – Ja, ja, mein Kind, so oft Du willst; sagte er ihr. Als sie aber am andern Morgen in Feierkleidern bereit standen, zu gehn, und als die Mutter ihrem Mann alles abbat, womit sie ihn jemals beleidigt, und auch ihre Kinder bat, ihr Alles zu verzeihen, Alles, Alles – selbst daß Sie ihre Mutter sei, wie sie ganz heimlich denken mochte – da fiel ihr ihre älteste Tochter Anna Catharina zu Füßen, brach in Thränen aus, war untröstlich, und gestand ihr endlich in abgerissenen Worten nach und nach deutlich zusammensetzbar .... daß Eleonore Großmutter sei ... daß der Vater Großvater sei, oder in Kurzem sein werde, und daß er um Himmelswillen seinen Oberstallmeister Vigil de Cassette in Gnaden zu seinem Schwiegersohne annehmen möge. Dann blieb sie mit dem Gesicht auf der Erde liegen.

Die andern Schwestern zitterten und bebten. Ulfeld setzte der armen Tochter den Fuß, doch leicht, auf den Nacken, sah, wie recht scharf blickend, mit zusammengezogenen Augen kalt in die Wolken verschleierte Sonne, deren Bild sich regte und wie gefangen sich los und frei arbeiten wollte, und sprach, ohne die Tochter anzusehen, mit hohler Stimme zu ihr: Armer Wurm. – Dann murmelte er für sich: Ich bleibe dabei, ein Mensch, der Unrecht begangen hat, Sünde, wie Du es nennest, Du gute Mutter, der soll sich hübsch bescheiden unter die Menschen stellen, nicht mehr in ihrem Kreise mit ihnen leben wollen wie sie, oder gar noch nach menschlichem Glücke streben, weil Alles so da liegt, wie ein offenes Schatzhaus, auch für ihn ... Die Kränkungen sind zu groß! Die Demüthigungen kommen ihm zu oft! – Ich armer Mann! Du armer Wurm aber mit Deinem armen Würmchen, heirathe nicht – habe keinen Mann, habe keinen Vater, als den allgemeinen, der nicht auf der Erde lebt, das ist besser! Aus Frevel kommt kein Glück, aus der Schande wird keine Freude. Lieben Kinder, glaubt mir. Ich habe den ehrlichen Sperling einmal recht reichlich belohnen wollen – den soll mein Kind jetzt erhalten.

Ulfeld! sprach Eleonore, abwehrend und bittend; und sie schämte sich tief, daß ihre Tochter keine Belohnung mehr sein könne, und daß ihr Mann so stolz denke, Sperlingen zum Dank für seines Lebens Opfer mit ihr belohnen zu wollen. Sperling fühlt edel! setzte sie unüberlegt hinzu. Aber Ulfeld wüthete nun, daß sie ihm seine und ihre Schmach vorwerfe, und wußte nicht, was schnell vor Grimm und Rache zu thun.

Da stürzte Cassette herein, ihm zu Füßen. Die Tochter sprang auf, und warf sich zwischen ihn und den Vater, damit er ihn ihr nicht etwa ermorde. Ulfeld aber befahl Eleonoren: Mittags ist Hochzeit! Du kochst eine Wassersuppe mit Brot – zum Schmause. Die Braut trägt ein Brautkleid aus einem Sacke, aus welchem der Kopf heraus steckt mit der goldenen Krone. Packe sie dazu aus! Eleonore! Sie sollte Dein!

So geschah Alles. So saßen Vater und Mutter, Geschwister und Bräutigam und Braut wie Geister still und aßen das wunderliche Mahl mit Thränen. Und so ließ Ulfeld das Gastmahl mit lebensgroßen Portraits dann auch malen; statt daß aber seine Mutter Brigitta Brokkenhuus in ihr Familienbild seines Vaters arme Tochter als Hund hatte malen lassen, saß er im Bilde als Mensch mit einem Wolfskopfe.

Wenn Eleonore, als Weib, bis hieher nur jene wehmüthige Freude am Manne gehabt oder getragen, so hatte sie dabei zumeist nur die Freude aufrecht erhalten und hingehalten, welche sie sich als Mutter von ihren Kindern versprochen. Denn manche Frauen kehren mit ihrer Liebe von den Kindern, die ihnen nicht gefallen können, zu dem Manne zurück; manche von dem Manne sich ab zu den Kindern, und sind mit Einem dieser beiden Augen des Lebens zufrieden; sie sind dann nicht blind, sie sehen die Welt ja noch. Jetzt war dem schon einäugigen Weibe die Mutterfreude denn auch vergällt, wurmstichig, anbrüchig geworden, und gerade durch ihre beste, weichherzigste, ihre liebste Tochter. Was sollte sie von den andern Kindern hoffen? Ihr Mutterglück war gleichsam, wie ein Brot, zur Probe angeschnitten, und es war hohl, mißrathen und schwer. Der, wie ein Matrose (in England), zum Großvater gepreßte Ulfeld hatte beschlossen, das ärgerlichste Kindtaufen auszurichten, die allerbesondersten Dinge zu Pathen zu bitten, wenigstens spanische Reiter, Sättel und Hetzpeitschen mit im Taufzimmer gegenwärtig sein zu lassen. Daher beschloß die zum Verzeihen gewöhnte, noch junge Großmutter Eleonore, zum Schein für die Welt, statt der Tochter, Kindtaufe zu machen, damit es für die arme, gepeinigte, junge Frau für die Welt nicht zu bald nach der Hochzeit erfolge. Aber die Furcht vor dem Vater, die innere Angst, der Wunsch, zu sterben, war aus der Seele der jungen Mutter auf ihr Kind gefallen und das neugeborene Kind war, ohne lebendig zu werden, schon an ihrer Statt und für sie gestorben, war todt, bedurfte keiner Taufe, und brachte seiner Mutter und Großmutter die Ruhe in's Haus, und hatte in seiner kleinen Zelle die Ruhe, die ihm nie gestört worden war. »Es hat sie wohlfeil bezahlt, nur mit dem Leben!« sagte Eleonore zu ihrer verwaiseten Tochter Anna Catharina, als die junge Mutter doch weinte, die von der Natur zur Liebe und Sorge aufgefordert und ausgerüstet worden war, und nun Nichts für ihre Augen, Nichts für ihre Arme hatte – und der Mutter an ihre Brust fiel.



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