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Das Begräbniß der Geliebten.


Ulfeld's Herz, für diesen Donnerschlag in den Kasten, darin er schon seine Krone bewahrte, und für diesen Schimpf nun Rache kochend gegen den König und die Welt, sollte auch gegen den Himmel trotzen, oder von beiden sich zermalmt fühlen. Schon begann der Vorfrühling. Das Eis im Meere ward mürb und schmolz an den Rändern der sonnigen Buchten. Erst von Tostrup, dann selbst von Kiöge aus, ritt Ulfeld mit seiner Eleonore fast alle Abend in der Dämmerung nach dem nahen Copenhagen zu, um ihre Mädchen aus der Stadt zu retten, wenn es doch noch beschossen und lange belagert werde. Treue Leute sollten ihr die Kinder heimlich bringen. Niemand durfte hinein, aber Jeder heraus, und Arme und Reiche entflohen froh der gefahrbedrohten Stadt. Da saß Ulfeld eines Abends mit Eleonoren im Zwielicht in seinem engen Zimmer eines Hauses, nicht fern von der Stadt. Da tritt Jolessa zu ihm still und bescheiden ein. Jolessa hatte ihren geliebten, alten Vater Günther kostbar begraben lassen; und Begräbnisse erschöpften damals oft das Vermögen einer wohlhabenden Familie. Denn aus der Fabelzeit her hielten die Dänen, aus unablegbarer Gesinnung, so viel auf Bestattung der Todten, denen sonst alles Liebe und Theure mitgegeben ward. Jolessa hatte besonders ihren entehrten Vater ehren wollen. Ihm zu Liebe hatte sie seinen Verwandten sorglos gegeben, was und wie viel sie von ihr in ihrem Schmerze begehrt, wie weise Doctoren zur Schmerzenzeit begehren und erhalten. Viele Schuldner hatten ihr die Schuld geläugnet, und sie hatte nicht geklagt, um ja keinen unehrlichen Schein auf ihren Vater zu werfen. Ihr Haus war jetzt niedergebrannt. Angst hatte sie gefaßt, sie hatte die Stadt verlassen mit der besten Habe; rohe Soldaten hatten ihr Alles abgenommen, selbst die Oberkleider. Sperling hatte sie zum Glück gesehen, und wie Ulfeld ihn zu Gyldenlöwe geführt, und vielleicht darum, so führte er jetzt das bange Mädchen zu Ulfeld – und ging sogleich wieder weg.

Wer bist Du, mein Kind? frug Ulfeld, sitzen bleibend, die Unerkannte.

»Jolessa«; so hörte er kaum, und frug, überrascht, noch ein Mal: Wer?

Jolessa Ulvilda Günther; antwortete sie noch weicher.

Günther! wiederholte er, auch Ulvilda? und war fast erschrocken vor diesem Namen Ulvilda, der, wie Eva aus Adams Ribbe, aus seinem Namen gemacht war, und zu ihm gehörte. Er hob einen Fuß auf, faßte das Knie mit der linken Hand, setzte den Fuß damit nieder, und seine Lippen brauseten gleichsam seinen innersten Unwillen in einem sonderbar schwirrenden Brrr hinweg. Er stöhnte. Er konnte sich nicht gebieten.

Da lispelte das edle Kind, daß sie ihn durchaus nicht an seine Schuld erinnern wolle, denn die Verschreibung sei mit verbrannt. Sie seufzete tief und wünschte zuletzt nur von Eleonoren ....

Was denn? frug diese.

Aber das verschämte Mädchen vermochte nicht über die Lippen zu bringen: Schutz gegen die rohen Soldaten .... ein Nachtlager ... oder sicheres Geleit zu einem Freunde oder einer Freundin. Das Alles verschwieg sie also, so unaussprechlich nöthig sie es auch bedurfte. So stand sie schweigend und erröthet. Aber Eleonore hörte nur, daß sie fror und zu zittern schien. Und Ulfeld, nach dem Uebermuth der höchsten Wehmuth begierig, dachte und meinte nur, daß sie, als Bettlerin, eine Krone von Silber bedürfe – und sie war wirklich die allerverschämteste Bettlerin, die um Schutz aller himmlischen Güter bettelte. Doch Eleonore schenkte ihr den Mantel und das Tuch vom Leibe. Und Ulfeld schenkte ihr – mehr und weniger konnte er vor Raserei nicht – er schenkte ihr Einen Rosenoble, den ihr Eleonore bei einem Handdruck im Händchen ließ, das ihn kaum fühlte, weil es ihn nicht vermuthete, ob sie ihn gleich bedurfte. Und Jolessa sagte leise: Gute Nacht! Dann ging sie leise. Und mit einem Tone, der Ulfeld's Seele nicht verrathen sollte und in welchem doch seine ganze Seele liegen sollte, sprach er nur: Gute Nacht, Ulvilda! – Gute Nacht! sprach Eleonore.

Ulfeld setzte nun wieder seinen Fuß, den er mit der Hand noch am Knie gefaßt hielt, dumpf auf die Erde. Eleonore schwieg. Es kam Licht ins Zimmer – und die Scene war dadurch verwandelt und begraben, wie die Nacht durch die Morgenröthe. Jetzt kam Sperling herein, sah sich verwundert um und erschrak, daß Niemand da war. Der König begehrt nach Dir, sagte ihm Ulfeld; und so begruben irdische Worte auch die Gefühle, die Gedanken sogar.

Nach zwei für Jolessa schrecklichen Nächten und Tagen ritt Ulfeld mit Eleonoren wieder am Meeresstrande dahin. Die Sonne ging unter. Das ferne Meer kräuselte sich schon wieder im Schimmer der Abendröthe, als wäre es kochender Purpur; am Ufer brach sich schon wieder eine schmale Brandung unter den los schwimmenden, großen Eisschollen an manchen Orten hervor. Der Vollmond kam gegenüber wie ein goldnes, blitzendes Schild eines alten Gottes empor, darauf unverstandene Wappenschilder von mattem Silber und schattenähnlichem, bläulichem Stahl zart eingelegt waren, wie auf den Schwingen der Sommervögel deutlich Buchstaben, aber aus dem ABC-Buch himmlischer Kinder gemalt stehen – da scheute sich Ulfeld's Pferd. Er sah nach dem Ort, den das Pferd scheute, daran nicht vorüber wollte und brauste und mit dem Vorderfuß scharrte, als wolle es ein Grab hier scharren in die harte Erde. Ulfeld sah ... in dem schmalen Streifen aufgethauter See zwischen Eis und Strand lag Jolessa todt, ja ärger für sie und für ihn als todt – halbnackend. Sein Geist blitzte auf und er sah recht, was geschehen war mit ihr in der für ihn so verschwiegenen, ruhig verlaufenen Zwischenzeit. Wer ist so schön wie sie – dachte er gleichsam mit Feuer in Feuer – wer ist so roh wie ein trunkner Soldat, der das Leben nimmt und die Lust vom Altare der Gottheit, die Schaubrote des verliebten Königs David, als ihn hungerte! Vor Gewalt, vor Scham, vor Schande vor Gott und Menschen – denn Gott, Teufel und Mensch zusammen ist erst der Mensch ... so ist sie gestorben – oder in Ohnmacht, halbtodt, hieher geworfen – – – aber heilig, noch heilig in das heilige Element.

 

Da sieh einmal, mein Kind! sprach er zu Eleonoren. Sie sah hin. Sie sah, sie wußte, sie dachte sich Alles. Indeß war er weiter geritten; die Kinder kamen heimlich und hastig alle der Mutter aus der Stadt. Die Mutter vergaß sich in der Kinderfreude, und dann erst in der Mutterfreude. Corfitz that indeß eine schauerlich grausende That – er ritt indessen auf dem morschen Eise des thauenden Meeres langsam weiter, als habe er sich in dem Dämmer verirrt. Sie schrie; die Kinder schrieen; Sperling schrie. Und er kam still wieder – ohne Entschuldigung, und freute sich still der Kinder und sie zogen zusammen in ihre kleine Wohnung an den warmen Heerd und das knisternde Feuer.

In der Nacht darauf war Corfitz heimlich ausgegangen mit Sperling und seinem treuen Diener Elsasser, um die todte Jolessa zu begraben. Sie nahten sich leise mit Radehauen und Schaufeln. Da hörten sie schon hacken. Sie schleichen näher, sie schleichen hinter großen, wilden Steinen und blätterlosem Gestrüppe nahe ... da läßt Eleonore die still Bewunderte schon begraben von fremden Männern. Sie sitzt und weint. Ulfeld und Sperling winken sich, sie schleichen zurück und Ulfeld macht von fern mit der Hand drei große, langsame Kreuze über das offene Grab mit Jolessa, drei Kreuze über den alten, hereinstarrenden Mond und den ganzen, dämmernden Himmel, und drei kleine Kreuze über seine Brust, behält die flache Hand auf dem Herzen und flüstert zu Sperling: Sperling, Sperling! dann seufzt er und fährt fort: Ein liebendes Weib ist zum Teufelholen gut! Jetzt begräbt sie sogar – wie es den Narren da, und dem Monde, dem Narren dort scheint – und liebt doch nur, wie ich weiß und der Himmel weiß, und wie sie gewiß gewiß sich fühlt. So ist durch Liebe denn Alles gut in der Welt. Ich auch. Sprich: Ja!

Und Ja, sprach Sperling.

Aber im Gehen erzählte er, gleichsam noch gerührt von der edlen, heimlichen Todtengräberin Eleonore: Die Königin Bothildis schmückte die Kammerjungfern mit eigener Hand so schön als möglich, welche ihrem Gemahl Erich Ejegod, ihrem Abgott, zugeführt werden sollten. Ich erkläre, als Arzt, das so: Bothildis ist wahrscheinlich etwas stark gewesen; eine starke Frau ist gut, denn jede Zelle am ganzen Leibe ist satt und zufrieden. Ist aber einmal eine dicke Frau böse, dann ist sie auch der leibhafte Satan. Ich habe noch kaum einen dicken Mann gesehen, der im Ernst unzufrieden gewesen; aber eine magere Frau ist, wie eine Pflanze, über die ganze Haut immer hungrig und unzufrieden mit allen Organen des Leibes und also natürlich auch so in der Seele, und ihr mürrisches, hungriges Wesen frißt den Mann auf. Das wohlgeborne Fräulein Eleonore belieben nun gnädigst auch anzusetzen am ganzen Leibe, und sind darum in ihrer Seele mit Allem, auch besonders mit Excellenz ganz zufrieden. Das ist Ihr Glück und ihres. Auch neigen starke Personen eher zum Weinen, wie gute Betrunkene. – Das habe ich Eleonoren abgerathen, Weinen und Wein! .. Nur durch vielen ungewässerten Wein wird die Sorge verdünnt, also müssen sie Frauen schon schicklicher Weise behalten, meint Horaz, und hab' ich ihr auch gesagt. Wein ist keine Vernunft! Die Vernunft macht durch Nüchternheit glücklich oder doch ruhig. Excellenz sind nicht zu wohlbeleibt – mager wollte Sperling nicht sagen – darum sind Excellenz der Nominativus in Dero Ehe. Quälgeist verschwieg er gleichfalls.

Ulfeld aber hörte kaum ein Wort, denn er fühlte sich nun überschwenglich glücklich – von allem Schönen und Wünschenswerthen, was auf ihm gelastet, wie ein großer Stein, wie die himmlische, marmorne Venus von Medizis, ja von aller Welt quitt, frei, ledig und los. So schlichen sie heim und legten sich nieder, ohne daß Jemand gemerkt, daß sie weg gewesen und wieder gekommen.



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