Paul Scheerbart
Münchhausen und Clarissa
Paul Scheerbart

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Der Donnerstag

Am Donnerstag saß die Gräfin Clarissa vom Rabenstein vormittags um elf Uhr bei Josty und aß Nußtorte mit Schlagsahne; dabei sah die Gräfin unverwandt auf den bewegten Potsdamer Platz und dachte an ihren Baron.

Und fünf Minuten nach elf Uhr fuhr Münchhausens Automobil vor.

»Entschuldigen Sie gütigst«, sagte gleich darauf der alte Herr, »daß ich fünf Minuten später gekommen bin. Ich war im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, und leider läßt sich in meinem Alter alles nicht mehr so schnell abwickeln wie einst in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, als man noch Haarbeutel trug und weißseidene Strümpfe.«

»Herr Baron«, erwiderte die Gräfin, »wir wollen aber nicht über Haarbeutel und Strümpfe sprechen. Wir leben heute in einer ganz und gar toten Zeit, die wir lebendig machen müssen. Und wollen wir sie lebendig machen, so müssen wir Alles umkrempeln. Und nur Sie allein, Herr Baron, können zur Umkrempelung aller Dinge etwas Wesentliches beitragen.«

»Wollen Sie«, fragte der alte Herr, »nicht auch dazu beitragen? Ich allein werds nicht können – was Wesentliches zu tun; Sie müssen nämlich wissen, daß man sich in Berlin nicht im mindesten wundert, daß ich hundertundachtzig Jahre alt bin. Die Zeit im Jahre eintausendneunhundertundfünf ist tatsächlich ganz tot – mausetot. Und dabei haben wir im Osten die furchtbarsten Kriege und Revolutionen. Aber das hilft alles nichts; die Zeit ist tot und bleibt tot – trotz alledem.«

»Wir müssen«, gab da die Gräfin leise zurück, »uns in ganz besondrer Art in Scene setzen. Ich habe eine Idee, Herr Baron. Aber – darf ich ganz offen sprechen?«

»Selbstverständlich, meine Gnädigste«, erwiderte der alte Herr lebhaft, »vor mir brauchen Sie doch keine Furcht zu haben – ich bin doch alt genug.«

»In einer Zeit«, fuhr nun leise die Gräfin fort, »in der Alles tot ist, pflegen schließlich die Frauen am leichtesten Leben in die Bude zu bringen. Daher gibts heute so viele Frauen, die auch eine rein geistige Bedeutung haben möchten. Natürlich ist die nicht von heute bis morgen zu erringen. Die Frauen müssen dabei zunächst immer wieder sagen: Mamaspielen oder Nichtmamaspielen – das ist jetzt die Frage. Die kindliche Meinung, daß das Mamaspielen eine Naturnotwendigkeit für die Frau sei, muß doch beseitigt werden. So viel dumme Frauen, daß das Menschengeschlecht nicht ausstirbt, wirds natürlich immer noch geben. Für die intelligenten Menschen darf das irdische Sexualleben nach meiner Meinung nur symbolischen Wert haben – es soll uns immer wieder nur zu der Erkenntnis zwingen, daß unser Leben im Zusammenhange mit dem Leben größerer Welten bleiben muß – daß unser Leben ganz herausgehoben aus einem größeren Weltenleben keinen tieferen Sinn hat. Andrerseits darf das intelligente Lebewesen – also auch die intelligente Menschenfrau – nicht die Meinung in sich aufkommen lassen, daß das ewige Nochmalmachen der Lebewesen auch die Aufgabe der Intelligenten sei. Das wäre doch zu dumm für die Klugen. Das ewige Nochmalmachen ist doch auch nur ein etwas umständlicher Ironiespaß der Erdrinde. Der muß als solcher erkannt werden. Und daher lehne ich das Mamaspielen einfach ab. Und aus diesem Grunde möchte ich mit Ihnen, Herr Baron, sehr gerne nächsten Montag – wie man so sagt – durchgehen. Das gibt einen brillanten Skandal, und dieser Skandal kann vortrefflich im Interesse der Umkrempelung aller Dinge verwertet werden.«

Die Gräfin bestellte Cognac.

Und der Baron sagte, nachdem sie beide getrunken hatten:

»Hiernach sage ich nicht: Durchgehen oder Nichtdurchgehen – das ist hier die Frage. Ich sage ganz einfach: völlig einverstanden – wir gehen nächsten Montag ganz einfach durch. Was aber wird Mama und Papa sagen?«

»Der Papa«, erwiderte die Clarissa, »freut sich, wenn ich mich mal ein bißchen lebendig zeige. Und er fürchtet nicht, daß ich jemals zu den minderwertigen Elementen gerechnet werden könnte. Und die Mama wird stets den Ansichten meines lieben Papas zustimmen. Mit meiner Abneigung gegen das Mamaspielen sind meine Eltern durchaus einverstanden.«

»Nun wird man«, sagte der Baron, »uns ganz bestimmt für ein Liebespaar halten.«

»Und darüber«, versetzte die Clarissa, »werden wir uns immer wieder lustig machen. Und dabei werden wir den Leuten den Kopf ganz gehörig verdrehen – das ganze Eheleben muß gründlich gelockert und reformiert werden. Natürlich – das gute Volk wird auch fürderhin den banalen Weg der sogenannten Natur gehen – aber man soll uns nicht noch mal sagen, daß das sogenannte Naturleben auch für die Höherstehenden maßgebend ist; die ganze Fortpflanzungsgeschichte ist auf der Erdrinde nur dazu da, daß einzelne schöpferische Menschen die Geschichte überwinden lernen – und bei diesem Überwinden das Schaffen lernen.«

»Gnädigste Clarissa«, sagte da der Baron mit einer kleinen Träne im rechten Auge, »immer befand ich mich in meinem langen Leben auf der Jagd nach dem Unglaublichen. Und für das Unglaublichste hielt ich immer eine Frau, die im puren Geistigen ganz und gar aufgeht und nichts Andres mehr haben will. Und das Unglaublichste fand ich –«

»Halten wir uns nicht mit Schmeicheleien auf«, erwiderte hastig und errötend die Gräfin Clarissa, »dasselbe könnte ich ihnen ja in ähnlicher Fassung sagen. Wir wollen aber immer sachlicher und immer weniger persönlich werden. Darum möchte ich Ihnen gleich sagen, was mir das Wichtigste im Gedankenleben meines Daseins erscheint: ich wollte die Notwendigkeit des Unzulänglichen im menschlichen Leben mit vernünftigen Gründen festlegen. Und da wurde mir sehr bald klar, daß auf der Erdrinde vor allem Andern selbständig schöpferische Lebewesen entstehen sollten – und daß schließlich Alles zunächst nur um dieser willen da ist. Betrachten wir das Erdenleben von diesem Gesichtspunkte aus, so haben selbstverständlich die Komplikationen der Sexualität und der Erwerbsverhältnisse für die Schaffenden einerseits nur Stachelwert, andrerseits nur symbolischen Wert. Auch das große fortwährende Sterben in der Natur der Erdrinde soll den Schaffenden nur klar machen, welchen kolossalen Wert für das Weltleben die Schaffenden haben – diejenigen, die genauso wie die Götter aus vorhandenen Faktoren neue Welt-, Kunst- und Lebenskompositionen erzeugen. Und daß diese Schaffenden danach natürlich nicht im Sexual- und Nahrungs- und Genußquark aufgehen dürfen – das ergibt sich ja ohne Weiteres von selbst. Auch die menschlichen Macht- und Potentatengeschichten sollen für die Schaffenden nur symbolisch auf die Wichtigkeit der schaffend führenden Geister hinweisen. Wie grandios ist es in der Erdrindennatur ausgesprochen, daß viele Billionen ›Kreaturen‹ ruhig qualvoll zugrunde gehen können, wenn nur ein einziger Neuschaffender entsteht. Wie deutlich wird uns in der menschlichen Geschichte immer wieder vorgeführt, daß die großen Menschenmassen immer wieder nur um des großen Einzelnen willen tätig sein müssen.«

»Sehr fein!« bemerkte der Baron bedächtig, »nur wollen wir uns nicht gänzlich in dieser Anschauungsart verlieren; wir müssen auch einsehen, daß alle Kreaturen zusammen ganz prächtig höhere Ideen zum Ausdrucke bringen – nämlich so, daß auch alle dummen Gegenbemerkungen zu diesen höheren Ideen durch die dummen und weniger umfassend denkenden Kreaturen zur ausdrücklichen Erscheinung gelangen. Wir dürfen dabei auch nie vergessen, daß die besten, schöpferisch lebenden und denkenden Menschen schließlich auch noch immer Kreaturen den größeren Geistern gegenüber bleiben – und daß die ständige Weiterentwicklung der schöpferisch tätigen Menschen höher gestellt wird als ihre Vollendung, die ja einen Abschluß und ein Ende bedeutet, das nirgendwo in unsrer unendlichen Raumsphäre wünschenswert erscheint. Auf das Wohl der symbolischen Geheimsprache der großen Erdrindennatur müssen wir jetzt eine Grätzer trinken, meine Gnädigste.«

Und sie tranken das Grätzer Bier mit andächtigen Gefühlen, und die Gräfin Clarissa fuhr also fort:

»Das Sexuale hat für die Schaffenden nach meiner Meinung hauptsächlich die Absicht, den Schaffenden immer wieder vor Augen zu führen, daß sie eine Teilerscheinung einer viel größeren geistigen Welterscheinung bedeuten; der Schaffende wird durch das Sexuale immer wieder verhindert, sich am Ziel als große Gottheit zu sehen; der Schaffende soll sich immer weiter entwickeln und nicht zu früh auf seinen Lorbeeren ausruhen wollen – überhaupt nicht ausruhen wollen.«

Da lachte der Baron und sagte:

»Darüber werden sich die Künstler nicht freuen, daß sie sich garnicht ausruhen sollen. Aber was Sie sagten, gilt auch nur für diejenigen, die im höchsten Sinne Schaffende sind. Die Kleinen können schon mal ausruhen, damit sie den Großen nicht stören.«

Dazu sagte die Gräfin:

» Den Großen möchte ich nicht – die Großen wären mir lieber. Außerdem möchte ich jetzt so fix wie möglich aus unsern köstlichen Höhen wieder heruntersteigen und das Bemerkte für die Frauen, die zu den Schaffenden emporsteigen wollen, fruchtbar machen. Diese Frauen werden mit dem Madonnenkultus schnell aufräumen müssen; sie werden nicht mehr in der sogenannten Mutter eine ehrwürdige Erscheinung erblicken – sie werden den ganzen Familienkult den Masseninstinkten überlassen – und sich für berechtigt halten, sich über Liebe, Ehe und kleines Kind lustig zu machen. Die scheinbar ehrwürdigen Institutionen unsrer Entstehungs- und Existenzkomödie werden von der Frau, die ich meine, nur für saftige Späße jenes hohen Geistes, der über uns ist, angesehen werden. Und nun kommts: wollen wir in diesem Sinne umkrempelnd wirken, so müssen wir durch unsre freie Vereinigung, Herr Baron, Propaganda für unsre Anschauungen machen.«

Der Baron erwiderte:

»Vergessen wir aber nicht, daß das Umkrempeln aller Dinge eigentlich die Aufgabe derer ist, die Schaffende im höchsten Sinne sein wollen.«

»Nein, nein«, rief da die Gräfin, »diese Schaffenden müssen unterstützt werden in ihrem Schaffen, dürfen aber nicht zum Umkrempeln aller Dinge mißbraucht werden. Dieses Umkrempeln können auch weniger weit entwickelte Lebewesen veranstalten.«

Der Baron küßte jetzt der Gräfin die Hand und sagte feierlich:

»Sie haben ja wieder mal Recht: wir haben eigentlich nur die Aufgabe, den Schaffenden die Wege zu ebnen. Und daher müssen wir zunächst das Eheleben durch ein gutes Beispiel reformieren. Wir müssen alles Madonnenhafte verächtlich machen – die heiligsten Gefühle brutal verletzen. Wenn uns das gelingt, werden wir ja eine schöne Gesellschaftsrevolution erzeugen. Ich fürchte nur, daß uns verschiedene Damen sehr mißverstehen werden; man wird an die Damen, die auch nicht Ehefrau und nicht Mutter werden wollen und nur an der Abwechslung Geschmack finden, auch sehr heftig bei unsrer Ehereform denken – und uns mit diesen Damen in einen Topf werfen wollen.«

»Haben Sie«, sagte da die Clarissa, »vielleicht Angst? Ich nicht. Wenn der Sache auch ein kleiner cynischer Beigeschmack gegeben wird – das schadet doch nichts; wir wissen doch viel zu genau, daß wir uns auf dem richtigen Wege befinden und daß wir doch nur Kind und Ehe forthaben wollen – ganz gleich wie. Der keusche Cynismus könnte so leicht modern werden. Machen wir doch Propaganda für diesen keuschen Cynismus; die vereidigten Väter und Mütter werden sich schon gehörig aufblähen.«

»Clarissa, Sie sind mutig!« rief da der Baron.

Aber die Clarissa sagte lachend:

»Sie haben mich zum ersten Mal mit meinem Vornamen genannt, jetzt müssen Sie mich auch duzen. Darf ichs auch?«

»Ja«, sagte schmunzelnd der alte Münchhausen. »Aber ich habe ja keinen Vornamen.«

»So nenne ich Dich Münch!« rief die Clarissa.

Danach tranken die Beiden noch eine Grätzer, und die Clarissa sagte dabei:

»Weißt Du Münch, was mir am meisten Spaß machen würde bei dieser Geschichte?«

»Nein«, sagte der Münch.

Und da sagte die Clarissa:

»Wenns auch in der Geburts- und Geldaristokratie modern wird, keine Kinder mehr zu bekommen, so werden sich ja diese Herrschaften ohne Weiteres bereit finden lassen, eine Erbschaftssteuer von 90% anzunehmen. Das gibt ja eine ganz famose soziale Revolution! Außerdem würden ja die Herrscherfamilien, wenn das Familienleben unmodern wird, sehr schnell aussterben! Und dieses Aussterben wird natürlich auch das Umkrempeln aller Zustände lebhaft befördern.«

Da lachten alle Beide, daß sich die Kellner ganz verwundert umschauten.

Da zahlte denn der Baron und fuhr dann gleich mit der Clarissa zum Wannsee hinaus. –

In der Rabensteinschen Villa kamen die geladenen Gäste am Donnerstag schon um fünf Uhr an, da sie sämtlich zu einem großen Diner geladen waren.

Der alte Münchhausen kam mit der Clarissa erst fünf Minuten vor fünf Uhr an.

Und der alte Graf Adolf vom Rabenstein kam den beiden lachend entgegen und meinte gutmütig:

»Ganz seltsam, Herr Baron, daß Sie heute meine Tochter in der Stadt getroffen haben. Ich freue mich nur, daß Sie rechtzeitig zum Essen gekommen sind. Es ist ein sehr gutes Zeichen, daß Sie bei allen geistigen Genüssen und Perspektiven auch die irdischen Bedürfnisse nicht gänzlich aus dem Auge verlieren. Man verliert ja nicht so viel dabei, aber meine Frau sagt immer: praktisch sein – kann niemals schaden.«

Als es nun offenbar wurde, daß sich die Gräfin Clarissa mit dem alten Münchhausen duzte, da trank der alte Graf Adolf vom Rabenstein auch gleich Brüderschaft mit dem Baron. Und die Gräfin Adolfine tat dasselbe. Die Berliner Berühmtheiten staunten sehr und dachten, jetzt würde gleich eine Verlobungsanzeige kommen; aber die kam nicht.

Der Baron Münchhausen saß zwischen dem Grafen Adolf und der Gräfin Adolfine und hielt den Mund nicht einen Augenblick still.

»Nein«, rief er bei der sechsten Auster, während die Versammelten sämtlich aufhorchten, »der erste Donnerstag in der Melbourne-Ausstellung war famos; das können Sie mir glauben. Als ich in meinem Hotelzimmer frühstückte, sah ich auf den See hinaus und bemerkte da im Morgensonnenglanz unzählige dicke bunte Kugeln, die auf dem See herumschwammen. Ich rief den Kellner und fragte, wozu die Kugeln gut seien. ›Das sind Kunstblumenfrüchte‹, bekam ich zur Antwort. Und bald sah ich auch, daß das stimmte. Eine Kugel nach der andern brach auf und ließ große Blattgewächse aus ihrem Innern herauswachsen. Bald war der ganze See voll künstlicher Blumen, die immerzu zusehends wuchsen. Es ist ein Kunststück, so was Wachsendes zu beschreiben. Das läßt sich garnicht beschreiben. Und ich kann Ihnen nur so viel davon erzählen, daß Sie eine ungefähre Vorstellung bekommen. Die Blätter, die da entstanden, waren natürlich gar keine Blätter in unserm Sinne. Manche hatten etwas Eisblumenartiges und waren vielfach durchbrochen, andre hatten seltsame knorrige Äste, auf denen sich große Fächergewächse entwickelten – in Wandschirmgröße. Natürlich fuhren alle Ausstellungsbesucher in ihrem Hotelzimmer auf den Drahtseilbahnen über dem See herum, sodaß man das Wachstum dieser Kunstblüten mit Bequemlichkeit verfolgen konnte. Die Maschinerieen in den Fruchtkugeln wurden aber nicht gezeigt, obschon viele Besucher sich grade für die technische Seite dieses Ausstellungswunders interessierten. Natürlich wurde sehr viel Draht und sehr viel Papier bei diesen Kunstblumen verwandt – aber auch viele andere Materialien ließen sich feststellen. Große Bewunderung erregten riesige Blumen, die wie bunte Spinngewebekompositionen aussahen und aus lauter Fäden und Netzen bestanden. Dann gab es große wehende Schleierblumen mit Kelchen, die aus dünnsten Tuchstoffen bestanden und im Winde anmutig hin und her baumelten.«

Hiernach aß der Baron erst wieder ein paar Austern und sprach dabei leise mit der Gräfin Adolfine.

Und erst nach einer Stunde bei den Lachsforellen fuhr der Baron in seinem Thema fort:

»Sämtliche Stoffe, die wir auf der Erde kennen«, sagte er, »wurden von den australischen Künstlern für ihre Kunstblumen verwertet. Selbstverständlich nahm man die Edelmetalle nur in dünnster Fassung als Belag. Wir fuhren in unsern Hotelzimmern oft durch große Urwaldgegenden, in denen ein Blütenreichtum herrschte! Glasblumen, Porzellanblumen, Aluminiumblumen, Emailblumen, Federkompositionen und durchsichtige Papierblüten – das gabs alles in diesen künstlichen Urwäldern massenhaft. Und dazu müssen Sie sich die abenteuerlichsten Schachtelhalmkompositionen denken – und Baumriesen, die mit köstlichen Säulenkapitells geschmückt waren, aus denen schattenspendende Dachblätter herauswuchsen. Und dann denken Sie sich all diese Blumen- und Baumgeschichten mit üppigsten Schlinggewächsen überwuchert! Hochinteressant waren besonders die feinen Glasblumen. Aber von diesen Glasblumen, die eigentlich den Gipfel der Melbourne-Botanik bildeten, erzähle ich Ihnen vielleicht später etwas Längeres. Heute fühle ich mich doch zu angegriffen. Vergessen Sie nicht, daß der australische Künstler sich natürlich überall bei seinen botanischen Kompositionen die größte Mühe gab, von allen irdischen Formen Abweichendes zu bieten. Es wäre also verfehlt, von Orchideen zu reden; man suchte eben die Orchideen zu übertrumpfen. Man leitete auch Wassermassen in die Gipfel der Bäume hinauf und brachte durch Tropfen und Sprühregen die künstlichen Blumen, die die Feuchtigkeit vertragen konnten, zum Glänzen und Funkeln.«

Darauf sagte die Gräfin Clarissa:

»Jetzt bin ich aber neugierig, was aus dieser Phantasieblumenwelt des Abends bei der großen Beleuchtung wurde.«

»Du willst damit, liebe Clarissa«, erwiderte der Baron, »sagen, daß Dir meine Erzählung heute nicht so recht interessant vorkommt. Daran aber hast Du Schuld, denn Du hast mich heute Vormittag im Café Josty dermaßen angestrengt, daß es mir schwer fällt, heute beim Thema zu bleiben.«

»Das tut mir schrecklich leid«, sagte die Gräfin, »dann mußt Du Dich aber schonen und ganz kurz sein. Erzähle doch nur mit ein paar Worten, wie es des Abends war. Du brauchst doch nicht täglich – stundenlange Vorträge zu halten.«

»Das ist ja viel zu anstrengend für den alten Herrn Baron!« sagten nun verschiedene Damen und Herren.

Münchhausen aber fuhr fort:

»Selbstverständlich war die Geschichte des Abends bei all den kolossalen Beleuchtungseffekten fast überirdisch. Die Beleuchtung kam zunächst aus den Seeblumen selber heraus. Und wie das bei den vielen Glasblumen wirkte – das können Sie sich natürlich leicht ausmalen. Natürlich wurden auch wieder die achtzehn großen Fesselballons oben in Lichtkunstblumen verwandelt. Und aus den Drähten oben wurden unzählige Lichtschlinggewächse. Und dann gabs auf dem See, der die obere Geschichte an einzelnen Stellen prachtvoll spiegelte, eine kolossale Fontänenkomposition, die schließlich so aussah, daß man alle diese sprühenden bunten Wasser für Blumen halten konnte. Und dazu gabs oben unter den Ballons eine großartige Ballonmusik. Sämtliche Musiker saßen oben in den Gondeln unter den Luftballons. Und in der Mitte sah man den Taktstock des Kapellmeisters als ein großes Lichtdiamantenscepter auf- und absteigen. Und dabei zerfiel die Blumenwelt auf dem See allmählich, sodaß schließlich auf dem See nur die gigantischen Ballonblumen gespiegelt wurden. Und dann ward es oben plötzlich ganz dunkel. Und danach entstand unter der Seeoberfläche ein Funkenblumenspiel von entzückender Beweglichkeit. Na – darüber kann man ja Jahre reden. Eigentlich sollte man so was garnicht mit Worten zu schildern versuchen; man sollte die Geschichte lieber malen. Photographieen wurden ja in Melbourne massenhaft hergestellt. Jedes Blumenfest – und jeden Donnerstag gabs eins – war nämlich ganz anders wie das vorige, da man ja auf dem See die Fruchtkugeln immer anders verteilen konnte. Des Abends fuhr man natürlich in Motorbooten auf dem See herum. Und einzelne dieser Motorboote wurden dabei zu großen Metallblumen. Ich muß nur immer wieder lebhaft bedauern, daß ich die sämtlichen Photographieen, die ich in Melbourne kaufte, auf der Herreise verloren habe.«

»Münch«, rief da die Gräfin Clarissa, »nun laß mal die große Melbourne-Ausstellung ruhen und erzähle uns lieber, was Du heute Vormittag im Ministerium der öffentlichen Arbeiten gemacht hast.«

»Sehr einfach ist das zu erzählen«, versetzte der Baron, während er sich ein paar große Stücke von einem kalten Gänsebraten auf seinen Teller legte, »ich habe im Ministerium der öffentlichen Arbeiten durchgesetzt, daß Berlin eine neue Dacharchitektur erhält. Ich setzte den Herren auseinander, daß doch ein künstlerisch gebildeter Mensch unten in den Straßen nicht mit künstlerischem Vergnügen herumlaufen könnte. Und deswegen müßte eben auf den Dächern Berlins ein neues Berlin angelegt werden. Und ich empfahl bei der Ausstattung der Dachplätze die künstlichen Metallblumen. Und die Herren vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten waren ohne Weiteres einverstanden. Man wird auf den Dächern Berlins nicht nur Plätze anlegen – man wird auch Fahrstraßen, Fußgängerwege und Schienenwege anlegen. Das Ganze wird ein sogenanntes Über-Berlin. Trinken wir alle auf das Wohl dieser köstlichen Über-Stadt.«

Alle tranken und waren ganz ernst.

Als aber der Baron lächelte, lächelten auch die Gäste des Grafen vom Rabenstein.

Und als der Baron lachte, da lachten Alle.

Und es wurde an diesem Donnerstag sehr spät, und als der Baron endlich sagte:

»Jetzt muß ich aber nach Berlin fahren« ––– da wars drei Uhr morgens.


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