Paul Scheerbart
Münchhausen und Clarissa
Paul Scheerbart

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Der Dienstag

Selbstverständlich war der Baron Münchhausen am Dienstag um zwölf Uhr mittags in der Rabensteinschen Villa.

Und der Baron überreichte der Gräfin Clarissa eine Photographie, auf der die Orchidee abgebildet war, die der Baron am vergangenen Abend erhalten hatte.

»Sie ersehen daraus«, sagte er lächelnd, »wie vorzüglich mein Schlittenführer wertvolle Blumen transportieren kann. Die Photographie ist heute vor zwei Stunden hergestellt; die Orchidee ist tadellos erhalten.«

Hiernach sprach man gleich über die durchbrochenen Rankenwände der Rabensteinschen Villa.

Die alte Gräfin Adolfine vom Rabenstein sagte dabei sehr heftig:

»Sie glauben garnicht, Herr Baron, welche Stellung die Berliner Architekten heutzutage innehaben; früher konnte doch der Bauherr noch etwas mitreden – so was aber gibt es heute garnicht mehr. Wir haben nur das Recht und die Pflicht, alles zu bezahlen; der Architekt befiehlt nur – und der Bauherr hat zu gehorchen. Wir haben uns nicht einen einzigen Stuhl ohne Erlaubnis des Architekten anschaffen dürfen. Es fehlt nur noch, daß er uns auch die Kleider kauft. Es ist himmelschreiend.«

»Ja«, versetzte da Münchhausen, »die Gräfin Clarissa erzählte mir von einem Bilde in ihrem Zimmer – auf dem Bilde soll ich auf einer Kugel reitend dargestellt sein – mit Zopf, hohen Stiebeln und Sporen. Hat denn Ihr Architekt erlaubt, das Bild anzubringen?«

»Acht Wochen«, rief da die Clarissa, »habe ich für Ihr Bild, Herr Baron, gekämpft – wie eine Löwin, die ihr Jüngstes verteidigt.«

»Meine Gnädige«, erwiderte der Baron lachend, »wenn ich mich so als Ihr Jüngstes fühle – so geht mir alles im Kreise herum. Aber – der Herr Architekt hat schließlich das Bild eigenhändig eingerahmt, nicht wahr?«

»Allerdings!« sagte die Clarissa, »aber es mußte zusammen mit meinem großen Spiegel in einen Rahmen – über dem Spiegel reiten Sie jetzt.«

Die alte Gräfin aber meinte dazu finster:

»Wir leben in einer Tyrannenepoche – und die Architekten sind heute die größten Tyrannen.«

»Aber Adolfine«, sprach da der Graf langsam, »diese Tyrannen sind nicht die schlimmsten; ich stehe ganz auf Ihrer Seite und lasse mir solche Tyrannei gerne gefallen.«

»Das ist auch noch garnicht so schlimm«, bemerkte dazu der Baron, »Sie sollten nur erst die Architekten in Melbourne kennenlernen; die sind noch viel anspruchsvoller. In Melbourne will der Architekt nicht nur der Gebieter in der Außen- und Innenarchitektur sein; er will auch gleich die ganze Lebensführung der Bauherrschaft beeinflussen; er zwingt den Hausbesitzern gleich besondere künstlerische Stimmungen und besondere künstlerische und auch literarische Beschäftigungen auf. So was sollten Sie nur erst erleben; Sie würden Augen machen. Heute Abend will ich Ihnen Näheres mitteilen.«

Während man noch so sprach, sah sich der Baron plötzlich seinen Stuhl, auf dem er saß, näher an – und sprang dann auf.

»Was tut Ihnen mein Stuhl?« fragte der alte Graf teilnehmend.

Münchhausen drehte den Stuhl nach allen Seiten und besah ihn ganz genau, lief dann zu den Wänden und besah sie auch ganz genau, steckte sich eine Cigarre an, paffte wie ein alter Eskimo und redete dann also:

»Man sollte es doch nicht glauben, was man alles hier im alten Europa entdecken kann. Jedenfalls ist das, was ich jetzt sehe, eine Geschichte, die mir imponiert. Ihr Rankenwerk, Herr Graf, besteht ja nicht nur aus phantastischen Schlinggewächsen; da sind ja auch Köpfe dazwischen. Und es sind da auch Menschenköpfe – nicht nur Tierköpfe. Schlangenartige Leiber mit krebsscherenartigen Gliedmaßen! Ist dieses durchbrochene Rankenwerk von Ihrem Architekten gezeichnet?«

Der Graf bejahte dies.

Und der Baron fuhr zu fragen fort:

»Ist dieser Bildhauer und Architekt in Deutschland geboren worden?«

Der Graf bejahte das ebenfalls, und da sagte der alte Baron:

»Es besteht ein inniger Zusammenhang zwischen diesen Arbeiten und den besten Arbeiten, die ich in der Weltausstellung zu Melbourne gesehen habe. Sowohl hier wie dort geht man von den auf der Erdrinde bekannten Organformen ab und sucht durch Weiterbildung und Umformung der bekannten tierischen und menschlichen Gliedmaßen neue Wesen zu erzeugen, die in willkürlicher – scheinbar willkürlicher – Art alle möglichen Formengebilde vereinigen. Diese freien Tier- und Schlangengestalten passen sich natürlich allen kunstgewerblichen und architektonischen Gegenständen ganz bequem und einfach an, da man ja jedes Glied so ausrenken kann, wie mans grade haben möchte. So nur ist es möglich gewesen, die Plastik organisch mit der Architektur zu verschmelzen. Und eine derartige Verschmelzung fand ich auch in Melbourne. Und daß ich dieselbe Verschmelzung auch hier vorfinde, zeigt mir, daß Ihr Architekt in einem innerlichen Zusammenhange mit den Architekten Melbournes stehen muß. Da müssen gegenseitige telepathische Beeinflussungen stattgefunden haben. Und man erkennt daraus wieder, daß dieselben oder die ähnlichen Gedanken an verschiedenen Punkten der Erdrinde zu gleicher Zeit auftreten können, ohne daß eine direkte Beeinflussung stattfindet. Das ist wieder ein Zeichen dafür, daß die Menschheit zusammen eigentlich einen großen einheitlichen Organismus darstellt, dessen Studium den Gelehrten unsrer Zeit nicht angelegentlich genug empfohlen werden kann. Das ist sehr interessant, Herr Graf, daß Sie eine so köstlich innen und außen von plastischem Rankenwerk überzogene Villa besitzen – und daß ich grade zuerst zu Ihnen kommen mußte.«

»Wie kommt es nur«, fragte da die Clarissa, »daß Sie grade zu uns zuerst kamen?«

»Oh«, erwiderte der Baron, »ich weiß ganz genau, daß meine Verwandten in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts vielfach mit den Rabensteins verkehrten und auch mit ihnen verschwägert waren.«

»Dieses«, bemerkte hierzu die alte Gräfin Adolfine, »kann ich Ihnen sogar aus einer alten Familienchronik und aus verschiedenen Briefen des achtzehnten Jahrhunderts, die noch in meinem Besitz sind, ganz leicht beweisen.«

»Sehr interessant!« rief Münchhausen.

Und danach studierte man die alte Chronik und die alten Briefe, und beim Diner sprach man nur von diesen Dingen, was die Clarissa etwas langweilig fand.

Als aber nach fünf Uhr die ersten Gäste anlangten, ließ man die Familiengeschichten fallen.

Und nach sieben Uhr, als die Gesellschaft wieder wie am Tage vorher versammelt war, erzählte der Baron das Weitere von Melbourne.

»Es wurde mir gestern«, sagte er, »schließlich etwas sauer, so ausschließlich vom Äußeren der Ausstellung zu erzählen. Heute will ich besonders von der Innenarchitektur berichten. Obgleich man nicht mit Unrecht auch die Innenarchitektur zuweilen nur als etwas Äußerliches hinnimmt, so muß ich doch bitten, nicht ungeduldig zu werden. Ich werde mir Mühe geben, Sie immer weiter ins Innere des Inneren zu führen. Aber das geht nur allmählich. Ich habe zunächst ein paar Worte über die Stellung, die die Technik der Kunst gegenüber einnimmt, voranzuschicken. Hier in Europa empfand man die Technik am Ende des neunzehnten und am Anfange des zwanzigsten Jahrhunderts, wie ich gehört habe, als kunst feindlich; in Europa hat man, wie ich hörte, seit den Jahren 1895-1905 einen fatalen Niedergang in der Kunst verspürt – und diesen vornehmlich durch den gleichzeitigen Aufschwung der sogenannten ›Technik‹ motivieren wollen. Eine derartige Schädigung der Kunst von Seiten der Technik ist natürlich nur als ein vorübergehendes Phänomen aufzufassen; es wäre ganz unnatürlich, wenn so was dauerhaft würde. Sobald die nützlichen Erfindungen sich ein wenig abgenutzt haben, muß der Erfinder naturgemäß daran denken, seine Erfindungen dem künstlerischen Geschmacke seiner Zeit anzupassen – und sobald er anfängt, daran zu denken, wird alles, was er tut, selbstverständlich kunst freundlich werden, und alles Kunstfeindliche wird im Hintergrund verschwinden wie eine Nebelwolke. In Australien ist man schon ein beträchtliches Stück weiter als in Europa, und somit ist auch dort der Techniker bereits im Dienste der Kunst tätig und durchaus kunstfreundlich. Daß man in Australien bereits ein gutes Stück weiter in der Kultur ist – das ist ja sehr erklärlich, da man dort nicht genötigt ist, einen allzu kostspieligen Militarismus zu überwinden wie in Europa. Sie werden sich daher, meine Damen und Herren, nicht sehr wundern, wenn ich Ihnen erzähle, daß auf der australischen Weltausstellung mehrfach das Motto zu lesen ist: ›Kunst und Kultur sei Eines nur‹. Ja, ja! So ändern sich die Zeiten – und so ändern sich die Erdteile. Es ist noch nicht lange her, da glaubte man in Europa, daß das liebe Europa immer an der Spitze der Kultur marschieren würde. Aber da kam der alte Bonaparte mit seinem Militarismus, und die kulturelle Bedeutung Europas fing an zu schmelzen – Amerika wurde währenddem immer größer, Ostasien auch – und ganz im Geheimen auch Australien.«

»Wie ist es nur möglich, Herr Baron«, rief da die Gräfin Clarissa, »daß man in Europa bis heute kein Sterbenswörtchen von der enormen Geisteskultur der Australier erfahren hat?«

»Aber, meine Gnädige«, versetzte der Baron, »es ist sehr weit von hier bis Melbourne! Und dann – die Rivalität! In Europa hat man eben Furcht vor der australischen Konkurrenz. Die Zeitungen dürfen von Australien nicht sprechen – man befürchtet eben Revolutionen. Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie man in manchen europäischen Gesellschaftskreisen vor der nächsten Zukunft sich fürchtet! Und – mit Recht! Erfährt man hier erst Näheres über Australien, so will man auch australische Zustände haben.«

»Ah«, rief da hellachend die Clarissa, »und Sie, Herr Baron, empfinden es als Ihre Mission, Europa über Australien aufzuklären? Wie ich mich darüber freue! Ich könnte mich totlachen vor Vergnügen. Europa wird umgekrempelt vom alten Münchhausen.«

Die ganze Abendgesellschaft lachte jetzt, und die Diener reichten während des Gelächters Kaviar mit warmem Rostbrot und Pilsener Bier herum; man saß an kleinen, nicht gedeckten Tischen.

Und wenn der Baron nicht grade sprach, so sprachen die Andern, sodaß sich das, was der Baron im Folgenden sagte, nicht mehr wie ein Vortrag ausnahm; alles wurde durch lebhaftes Fragen und Antworten zum bewegten Dialog.

Verschiedene Damen wollten nun zunächst Näheres über die australischen Erfindungen hören.

»Wie wird«, fragte die eine Dame, »in Australien die Reinigung der Zimmer arrangiert?«

»Natürlich nicht durch Dienstboten«, versetzte der Baron, »die Möbel werden mechanisch hochgehoben und ebenso der stoffliche Fußbelag, wenn einer da ist. Dieser Fußbelag wird durch mechanisch tätige Saugschläuche von unten aus vom Staube befreit – und danach wird der Fußboden durch mechanisch tätige Schrubber gereinigt. Danach sinkt der Fußbelag wieder auf den Fußboden, wird durch mechanisch tätige nasse Bürsten abgerieben, und die Möbel sinken auch wieder auf den Fußboden; die Möbel können natürlich auch vorher durch mechanisch tätige Bürsten und Staubwedel vom Staube gereinigt werden. Derartige Bürstenmaschinerien sind natürlich in jeder einfachen Arbeiterwohnung zu finden. Ohne Bürsteinrichtung mietet in Australien kein Mensch eine Wohnung. Und die Maschinen, die in der Küche verlangt werden, sind auch recht zahlreich: da verlangt jede Hausfrau eine Kartoffelschälmaschine, eine Pilz- und Gemüsereinigungsmaschine, mechanische tätige Koch- und Bratapparate, Spülapparate – ich glaube sogar mechanisch tätige Salzstreubüchsen gibt es da auch. Kurzum: die Köchin ist in Australien eigentlich eine überwundene Sache. Und die Diener sind beinahe auch überflüssig, denn durch kleine Fahrstühle werden die Speisen aus der Küche ins Speisezimmer hinübergeführt. Der Techniker hat eben in Australien für alle Bequemlichkeitseinrichtungen bereits derartig gesorgt, daß er sich jetzt nur noch mit der künstlerischen Ausgestaltung dieser Bequemlichkeitseinrichtungen befassen kann.«

Der Baron wurde danach von den Damen nach allen möglichen technischen Kleinigkeiten gefragt und gab auf alles in geduldiger Artigkeit seine Antworten, schließlich aber sagte er laut:

»Wir können uns aber nicht so lange mit dem Vorwort aufhalten; ich wollte heute von der Innenarchitektur oder der sogenannten Innendekoration sprechen – und damit illustrieren, wie lebhaft sich der Techniker in Australien mit allen künstlerischen Dingen beschäftigt. Wir fuhren damals am Dienstag in wundervollen Häusern umher, deren Innendekoration zum Teil dem, was wir hier in der Rabensteinschen Villa sehen, nicht ganz unähnlich war. Das Durchbrochene – das, was uns immer wieder an die feinsten indischen Elfenbeinarbeiten erinnert – bildete auch in Melbourne ein Hauptelement. Auch dort lehnt man die usuelle gegenständliche Malerei als Zimmerschmuck einfach ab. Aber noch feiner als das Rankenwerk, das wir hier in den Wänden und Decken der Zimmer sehen, wirkte ein kristallinisches Rankenwerk, in dem die variablen Beleuchtungseffekte sehr starke Momente erzeugten. Die Techniker haben sich natürlich mit den Wänden sehr eingehend beschäftigt und uns ganz neuartige Tapetenspäße geliefert – allerdings nicht auf Papier, da man das Papier in Melbourne nicht so schätzt wie in Japan und Europa. Die neuen Tapeten befinden sich auf Metallwänden – und die Muster sind auch immerzu variabel, verändern sich unaufhörlich – durch Säuren und Dämpfe, die vom Innern der Wände aus auf die Metallplatten wirken. Da entstehen ganz fabelhafte Formen- und Farbenmuster, die zuweilen durch darübergehende Glasranken mit Geißlerschen Röhren – gehoben werden. Auch Wände, die wie eine Handharmonika vertieft und zusammengezogen werden können, habe ich gesehen. Und – was man aus weichen Stoffen, die wie Sammet und Seide wirken, machen kann, das haben die australischen Techniker, während sie mit den Architekten zusammenwirkten, wohl gemacht. Ich sagte heute Vormittag schon, daß die australischen Architekten nicht nur die gesamte Innendekoration bestimmen – sie bestimmen auch das ganze Leben der Hausbewohner, die durch die Beweglichkeit der Architektur immerfort neue Aussichten bekommen und durch die Beweglichkeit der Wände immerfort neue Eindrücke empfangen, die zweifellos auch aus ganz stupiden Leuten schließlich bewegliche sensible Künstlernaturen machen. So wird die scheinbar nur äußerliche Baukunst und das für noch äußerlicher verschrieene Kunstgewerbe allmählich zu einem künstlerischen Erziehungsmittel, das auch die feinsten, intimsten und innerlichsten Empfindungssphären heraufbeschwört.«

Die Clarissa schenkte dem Baron einen Cognac ein, und als er trank, sprachen plötzlich alle Anwesenden so lebhaft durcheinander, daß der Baron in der nächsten Viertelstunde nicht mehr zu hören war.

Wenn der Baron aber im Reden war, so hielt es schwer, seinen Redefluß aufzuhalten, und so sprach er denn zu Fräulein Clarissa allein.

»Meine Gnädigste«, sagte er lachend, »können Sie sich eine australische Küche vorstellen? Die sieht aus wie ein kleiner Maschinensaal. Und – können Sie sich die feinen Dachkonstruktionen der australischen Baumeister vorstellen? Die sind viel profilreicher als alle menschlichen Gesichter zusammen. Sehen Sie, die Menschen haben immer nur zwei Profile im Gesicht – eine Dachkonstruktion hat aber unzählige Profile – weil ja eben eine Dachkonstruktion der Kopf eines Bauwerkes ist – während der menschliche Schädel doch nur die Dachkonstruktion eines einfachen Lebenwesens darstellt.«

»Aber, Herr Baron«, sagte da die Clarissa, »unterschätzen Sie nicht das Lebewesen, das wir ›Mensch‹ zu nennen belieben? In dem ist doch so viel Innerliches, während das Bauwerk doch nicht so beweglich ist.«

»Oho!« rief da der Baron und wurde ganz dunkelrot, »Sie vergessen, daß sich das Bauwerk der Australier in ständiger Bewegung befindet. Und – der Witz der Techniker tut immer mehr, um das Innere lebendiger zu gestalten: der Techniker bemühte sich hauptsächlich auch, leicht zu bearbeitende Kunstmaterialien für die Plastik zu schaffen. Und durch diese Plastik, die im Innern der Häuser alle denkbaren Materialien einfach und verschmolzen verwendet, wird das Hausinnere viel interessanter als das Menscheninnere.«

»Auch interessanter«, fragte die Clarissa, »als das menschliche Gehirn – kann das australische Haus auch selber neue Gedanken erzeugen?«

»Jawohl«, sagte der Baron, »in Ihrem Kopfe und in meinem Kopfe und in den Köpfen derer, die in den australischen Häusern wohnen.«

»Wenn«, sagte da die Clarissa leise, »es mir gestattet ist, das, was Sie soeben sagten, für einen feinen lustigen Scherz zu halten, so muß ich sagen, daß ich solche Scherze jeden Tag von Ihnen hören möchte – ja, daß mir ein Leben, in dem ich nicht immerzu solche Scherze von Ihnen hören könnte, sehr langweilig, fast unerträglich vorkommen wird. Ich weiß das ganz genau, bestreiten Sie das nicht! Ich kann selber nicht solche Scherze erfinden – wenigstens heute noch nicht. Nur ein Scherz fällt mir ein: wenn sich die australische Innenarchitektur bemüht, immer innerlicher zu werden – und in ihrem Innern wie in ihrem Äußern fabelhafte Schlangen-, Fisch- und Mastodonwesen mit Krebs-, Spinnen- und Tintenfischbeinen aufleben läßt – so müßten ihre großen Architekten doch auch darauf verfallen, das Innere dieser Fabelwesen hinzustellen – ich meine: die Architekten müßten auch aus fabelhaften Knochen und Gräten Häuser zusammenbauen.«

»Sie meinen«, sagte der Baron, »eine Skelettarchitektur! Die hab ich aber in Melbourne auf der Weltausstellung noch nicht entdeckt. Ihr Einfall ist famos. Und ich möchte nach diesem Scherze fast behaupten, daß Sie meine Scherze garnicht so nötig haben, wie Sie denken. Vielleicht könnte mir mal so sein, als müßte ich täglich Ihre Scherze hören, meine Gnädigste.«

Da lachte die Gräfin Clarissa und bestellte Champagner – und dann tranken die beiden Champagner und rauchten kleine, sehr starke Cigarren aus Melbourne dazu.

Und es war schon nach elf Uhr, als dem Baron plötzlich einfiel, daß er ja die Hauptsache noch garnicht erzählt hatte.

»Meine Damen und Herren!« rief er daher plötzlich, und es wurde gleich ganz still, »fast hätte ich vergessen, Ihnen von den australischen Schwarzkünstlern zu erzählen. Das sollte ja die Hauptsache am heutigen Abend sein. Es ist nur leider immer wieder nötig, soviel Nebensächliches zu erzählen, da Ihnen der höhere Kulturzustand Australiens nicht geläufig ist. So muß ich Ihnen zunächst etwas über den sehr einfachen Palast der Schwarzkünstler mitteilen – in diesem Palaste sind die Fenster und Türen anders verteilt als in andern Häusern. Selbstverständlich sind in keinem einzigen Hause Australiens heutzutage die Fenster so verteilt wie in Berliner Stadthäusern – man stellt eben nicht mehr die Fenster wie gleichgekleidete Soldaten nebeneinander; – in dem Palaste der Schwarzkünstler gibt es hauptsächlich bauchig vortretende Fenster, und die lassen das Licht in ganz andrer Weise ins Haus. Geöffnet werden diese Fenster sehr selten, die Luftzufuhr findet auf andern Wegen statt. Und das Arrangement der Fenster im Schwarzkünstlerpalast ist so, daß das ganze Haus so aussieht, als wärs mit unglaublichen glotzenden Augen besät. Und wissen Sie, was die Schwarzkünstler in ihrem Palaste vorführen? Ja – die wollen durch ganz besondre Gerüche und Luftkompositionen die Stimmung des Menschen so beeinflussen, daß ihm ganz neue Empfindungssphären eröffnet werden. Einzelne dieser Schwarzkünstler experimentieren in einer ganz tollen Art: sie wollen ganz stupiden Leuten plötzlich eine weltgestaltende Phantasiekraft einimpfen – durch chemische Parfüms. Sie würden staunen über die Resultate, die diese Herren bereits erzielt haben; ich selber ließ mich als Versuchskaninchen gebrauchen und gestehe Ihnen, daß ich für ein paar Minuten in einer Geistesverfasssung war, die mir selber ganz unbegreiflich erschien; ich sah plötzlich unirdische Wesen in einer Säulenlandschaft mit langgestreckten Kometen – und sah die ganze mir unbekannte Gegend bald im tollsten Aufruhr, bemerkte, wie aus den Säulen froschähnliche Geister herausquollen und mit den Kometen zu schäkern anfingen. Nun – kurz und gut: es war ja vielleicht sehr tolles Zeug, was ich da plötzlich vor mir sah. Aber ich kann mir doch nicht verhehlen, daß die chemischen Parfüms auf besser begabte Leute ohne Weiteres eine Gestalten bildende Kraft übertragen dürften. Verwechseln Sie die Geschichte nicht mit Opium und Haschisch. Ich habe die neue Empfindungssphäre nur für ein paar Minuten genossen. Es handelt sich aber bei diesen Experimenten um eine Steigerung der geistigen Kräfte des Menschen – und diese Steigerung kann natürlich nur Hand in Hand mit einer sehr komplizierten Diät gehen. Und die Geschichte verlangt eine längere Zeit. Sie sehen aber ohne Weiteres, wohin die Techniker und Chemiker in Australien gelangt sind: sie wollen einfach im schaffenden Künstler durch äußere Einwirkungen ganz neue Kräfte entwickeln. Sie wissen ja, daß man im Orient vor zweitausend Jahren die Wohlgerüche in Tempeln zur Erzeugung religiöser Stimmungen verwandte – nun will man die Geruchsgeschichten zur Erzeugung künstlerischer Stimmungen verwenden. Das Verfahren ist ganz konsequent – und da den Schwarzkünstlern viele Ärzte zur Seite stehen, so ist ein größeres Resultat zweifellos in Bälde zu erwarten. Ich konnte die Geschichte natürlich nicht abwarten, da ich ja nach Europa wollte. Sie sehen, wie Ärzte, Naturwissenschaftler und Techniker da unten an der Erdrinde zusammenwirken – nur um die Großartigkeit des künstlerischen Lebens noch großartiger zu machen.«

Da klatschten plötzlich alle Zuhörer und Zuhörerinnen mit den Händen zusammen und ein donnerndes ›Bravo‹ schallte durch die künstlich durchbrochenen Räume der Rabensteinschen Villa. Und die Diener rannten alle erschrocken herbei und wunderten sich sehr.

Der Baron aber fuhr fort:

»Auch ein kleines Wundertheater haben sich die Herren Schwarzkünstler erbaut. Das sollten Sie sehen. Da werden andre Stücke aufgeführt als in Europa. Da können Sie die abenteuerlichsten Gestalten mitten in imposanten Weltallswolken erblicken, und Sie können da beobachten, wie sich diese abenteuerlichsten Gestalten jenseits von Luft und Äther in anderen Weltregionen mit anderen Dingen unterhalten. So ohne Weiteres werden Sie den Vorgängen auf der kosmischen Schwarzkünstlerbühne nicht zu folgen vermögen, aber Sie werden durch die Direktoren ein bißchen informiert und lernen was vom Jenseits kennen – und diese Kenntnis tut gemeinhin sehr wohl, da sie uns mindestens die irdische Quarksphäre in einem anderen Lichte erscheinen läßt – in einem besseren. Denken Sie über diese meine Worte zu Hause mehr nach. Ich will nur noch erzählen, daß mir die Schwarzkünstler auch einen Einblick in das Innere eines Wassersterns gestatteten – und da sah ich so viele neue Tiere und Lebewesen – Quallenartiges und Korallenartiges, daß ich schließlich nicht mehr wußte, ob ich in Melbourne oder hinterm Sirius war. Vortrefflich brachten die Schwarzkünstler das Innere von Nebelflecken zur Vorstellung und auch die rotierenden Kugelsterne, die unsre Sonne umkreisen, kamen mir so klar zum Bewußtsein, daß ichs nie vergessen werde. Man denkt ja manchmal, man könnte sich ganz leicht vorstellen, wie die Erde mit dem Monde zusammen im Weltall herumkreist. Aber sieht man die Geschichte erst mal in großen kosmischen Dimensionen vor sich – so wie sie ein tausend Meilen langer Riese sehen würde – so merkt man erst, auf welchem seltsamen Sterne man sein sogenanntes Leben lebt. Und hat man sich allmählich an die großen Kugelsterne gewöhnt, so führen die Schwarzkünstler anders geformte Sterne vor – und schließlich ganz große Milchstraßensysteme. Nur ein derartiges Anschauungsmaterial kann wirklich kosmische Empfindungen in uns auslösen und uns dem großen mächtigen Weltleben näherbringen; die sogenannten Worte und einfachen Zeichnungen und stilliegende Malereien vermögen das nicht.«

Der Baron bat danach Fräulein Clarissa um einen Cognac, bekam ihn, trank ihn auf das Wohl der Familien Rabenstein und wollte sich eiligst wieder entfernen.

Da fragte aber die alte Gräfin Adolfine:

»Herr Baron, müssen Sie wirklich wieder nach Potsdam? Was machen Sie denn da?«

Da antwortete der Baron:

»Ja, ich muß heute noch einmal nach Potsdam; ich will da mit einigen Herren die soziale Frage lösen.«

Alles lachte.

Aber der Baron sagte bedächtig:

»Lachen Sie nicht so heftig; Sie wissen ja garnicht, wie großartig die australischen Schwarzkünstler sind. Sehen Sie: die Herren bringen sogar veritable Geister zur Erscheinung – jenseitige Lebewesen, die durcheinander durchgehen wie Kometenschweife durch Planeten. Glauben Sie, daß diese Herren Schwarzkünstler nicht einmal die soziale Frage lösen könnten? Wissen Sie denn, was ich von den Herren in Melbourne gelernt habe? Können Sie sich denn nicht vorstellen, daß ich in Potsdam ganz besondre Pläne einzelnen Herren unterbreiten könnte – Pläne, die uns einer glänzenden Lösung der sozialen Frage sehr nahe bringen? Allerdings habe ich bisher nur einen Witz gemacht: ich habe vorgeschlagen, kolossale Preisausschreiben für Künstler, Dichter und Gelehrte zu arrangieren – mit vielen und großen Preisen. Wenn ich das durchgesetzt habe, sind wir der Lösung aller sozialen Fragen sehr viel näher gekommen.«

Alles lachte.

Münchhausen empfahl sich.

Und zwei Minuten später fuhr sein Automobilschlitten eilig durch die Schneelandschaft nach Potsdam.


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