Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Zweiter Band
Eduard Trautner

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Nachwort

Ich bin zu Ende. Ist es nötig, dem Leser erst anzuzeigen, welchen Schluß er zunächst aus diesem Buche zu ziehen habe, welches sich von der Zeit der Überlieferung und der historischen Erinnerungen, bis auf die von mir gesehenen und erzählten Begebenheiten erstreckt?

Welches ist das Ergebnis der Bilanz von hundertundelf Menschenköpfen, die ich auf den Altar der Justiz niedergelegt habe? Das Resultat ist gleich null!

Wo in dieser langen Reihe von Hinrichtungen hat man wirklich gefunden, daß die abscheuliche Strafe, mit welcher die menschlichen Gesetze in die göttliche Macht eingreifen, durch wirkliche praktische Vorteile das ersetze, was theoretisch Scheußliches darin enthalten ist? Wo hat man gesehen, daß dem Verbrechen dadurch vorgebeugt oder auch nur, daß dasselbe durch ein heilsames Beispiel zurückgeschreckt worden wäre?

Etwa unter denjenigen Verurteilten, welche es nicht einmal der Mühe für wert hielten, von der Appellation Gebrauch zu machen?

Etwa unter denjenigen, welche nur zu Zwangsarbeit oder langwieriger Haft verurteilt waren und sich beeilten, ein neues Verbrechen zu begehen, um die Galeeren mit dem Schafott zu vertauschen?

Etwa unter der Menge von Delinquenten, welche fast alle festen Schrittes und ruhigen Blickes zum Tode gehen und sich stellen, als verachteten sie die ihnen auferlegte Strafe?

Benoît allein zittert in diesem fürchterlichen Augenblick und verrät einen tiefen Schrecken; aber Benoît, diese weibische, durch Ausschweifungen entnervte Natur, ist eine ungeheuerliche Ausnahme, und trotzdem ist dieser kaum volljährige Schurke, der den Tod so sehr fürchtete, durch kein Entsetzen zurückgehalten worden; in noch zartem Alter bebte er nicht vor zwei Mordtaten zurück, an die nur zu denken uns vor Abscheu schaudern macht.

Was soll man erst von Chandelet, von Defournel und anderen sagen, welche mit lächelnden Lippen und singendem Munde der ihnen auferlegten Strafe Hohn sprechen?

Was soll man von Lacenaire denken, welcher sich der Strafe so überlegen zeigte, daß man sich aus Achtung vor der Sittlichkeit gezwungen sieht, seinen Ruf zu verleumden und ihn einer Schwäche zu zeihen, die er in der Wirklichkeit nicht fühlte?

Was soll man von Poulmann sagen, dieser personifizierten Roheit und Mordtat, der den Kelch seiner Todesstrafe mit derselben Sorglosigkeit leert, als ob er am Tische eines Weinschänkers ein Glas Wein tränke? Sind das die Menschen, die ihr mit eurem düsteren Schreckbild, worüber die meisten lachen, im Zaume halten wollt? Haben sie nicht der Guillotine, jenem scheußlichen Werkzeuge, das ihr zum Palladium der menschlichen Gesellschaft erheben wolltet, ihren Spottnamen gegeben, nennen sie dieselbe nicht die Witwe, die Abtei von Monte-à-regret?

Es wird mit der Todesstrafe wie mit allen grausamen Strafen gehen, welche nach und nach von unseren richterlichen Einrichtungen verschwunden sind. Wenn das Gesetz auch noch einwilligt, zu töten, so hat es wenigstens auf das Recht verzichtet, seine Opfer leiden zu lassen; dies ist schon ein Fortschritt zur Vernunft und Menschlichkeit. Wenn aber das Gesetz die Guillotine zum Werkzeug der Todesstrafe wählt, ist es auch gewiß, seinen Zweck erreicht zu haben? Ich meinesteils glaube es, obwohl ich zuweilen seltsame Zuckungen auf den Gesichtern der Köpfe sah, welche vor meinen Augen in den verhängnisvollen Korb fielen. Ich wollte darin nur automatische Bewegungen der dem Nervensystem dienstbaren Muskeln erblicken.

Aber nicht jeder ist dieser Ansicht. Gelehrte Physiologen und Männer, welche in die Geheimnisse der Anatomie tief eingedrungen sind, haben bestätigt, daß der Schmerz längere oder kürzere Zeit in dem Gehirn, als dem Mittelpunkte der Empfindung, nachwirke. Wenn dies wirklich der Fall wäre?

Man kann nicht ohne Schaudern daran denken. Unsere vorgebliche Menschlichkeit wäre dann nichts als eine raffinierte Barbarei.

Die Todesstrafe hat ihre Zeit gehabt. Wenn man sie abschafft, wird man zugleich eine Klasse von Beamten von einer höchst peinlichen Pflicht befreien; ich erhebe um so lauter meine Stimme für sie, weil ich nicht mehr zu ihnen gehöre.

Man verhelfe diesen Männern wieder zu der Achtung ihrer Mitbürger, welche sie nur unter der Herrschaft eines vernunftwidrigen Vorurteils verloren haben!

Noch als Greis habe ich über diesen Gegenstand alle Ansichten meiner Jugend und meines reiferen Alters bewahrt. Es ist unvernünftig, dem Scharfrichter allein den ganzen Widerwillen, den die Todesstrafe einflößt, aufzubürden.

Ist dieser Beamte vielleicht schuldiger als der Beamte des Gerichtshofes, dessen Pflicht es war, die Verurteilung herauszufordern und das Gutachten der Geschworenen darauf hinzulenken?

Ist er etwa schuldiger als die Geschworenen, die bei der Wahl zwischen einem Nein, welches das Leben in sich schließt, und einem Ja, welches den Tod fordert, sich für die mörderische Silbe entschieden?

Ist er strafbarer als die Mitglieder des Gerichtshofes, die dem Todesurteile, indem sie es aussprechen, Gesetzeskraft verleihen; oder ist er strafbarer als der Kassationshof, der, indem er die Appellation des Unglücklichen verwirft, dem Verurteilten die einzige und letzte Hoffnung raubt?

Darf ich die Frage wagen, ob er endlich schuldiger sei als der Souverän, welcher, indem er noch das Leben dieses Unglücklichen in einem Tropfen Tinte in der Spitze seiner Feder schwebend hält, sich entscheidet, er dürfe das schönste Vorrecht der Krone nicht ausüben und müsse das Gnadengesuch verwerfen?

Verhüte Gott, daß ich mit diesem Worte einen Tadel sogar gegen jene erhabenen Beschützer der menschlichen Gesellschaft aussprechen wollte, welche ihre ernste Pflicht mit edler Festigkeit und sogar mit Verleugnung ihrer eigenen Gefühle ausüben!

Verhüte Gott, daß ich die Anmaßung hätte, zwischen ihnen und dem demütigen Vollstrecker des Gesetzes einen unehrerbietigen Vergleich anzustellen!

Ich will nur das logische Band andeuten, welches dem letzteren eine so schwere Aufgabe auferlegt und infolgedessen die Vernunftwidrigkeit jenes Vorurteils, welches ihn mit Schimpf beladet, gegen den ihn die menschliche Gesellschaft schon um ihres eigenen Vorteils willen schützen sollte.

Also Achtung vor den Männern, welche, auf den oberen wie auf den unteren Sprossen der menschlichen Gesellschaft stehend, die ihnen auferlegte Pflicht in ehrenhafter Weise erfüllen; aber unerbittlichen Krieg gegen die Einrichtungen, welche, von tatsächlicher Gebrechlichkeit betroffen, sich nur dadurch erhalten, daß sie die öffentliche Meinung verletzen!

Soviel über die Todesstrafe, die verdammt sei, in nächster Zeit aus unseren Gesetzbüchern gänzlich zu verschwinden!

Möge diese heilige Reform mir am Rande meines Grabes leuchten; dann will ich es nicht bedauern, dieses traurige Bekenntnis niedergeschrieben zu haben, in welchem ich mich selber anklagen mußte, mehr als hundert Köpfe gefällt zu haben. Eine andere Absolution verlange und erhoffe ich nicht!


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