Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Zweiter Band
Eduard Trautner

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Gegen die Gemäßigten

Die Girondisten

Brissot, Gensonne, Ducos, Boyer-Fonfrêde, Vergniaud usw.; Chabot, Hébert, Fabre d'Eglantine, Chaumette, Herman, Amar.

Auf den Prozeß der Königin folgte der der Einwohner von Armentières, welche angeklagt waren, Einverständnis mit dem Feinde unterhalten und namentlich ein Komplott zu dem Zwecke, dem Feinde die Tore der Stadt zu öffnen, gebildet zu haben. Sechs der Angeklagten wurden freigesprochen, die übrigen aber zum Tode verurteilt und am 27. Vendemiaire hingerichtet.

Schon hatte aber die erste Abteilung des Tribunals einen viel wichtigeren Prozeß in Angriff genommen: den der Girondisten.

Dieser Prozeß wurde von den Klubs und der Gemeinde mit gleichem Ungestüm gefordert, wie früher der der Königin; die Anklageakte der am 31. Mai verhafteten Deputierten war aber schwierig zu formulieren. Diejenigen der Girondisten, welche sich nicht durch die Flucht dem Dekret des Konvents entzogen, hatten keine Handlung begangen, worauf sich eine Schuld gründen ließ; man mußte also ihrer Meinung den Prozeß machen und das Verbrechen in den föderalistischen Absichten, die man bei ihnen voraussetzte, suchen. Amar verfaßte im Namen des Sicherheitskomitees die Anklageschrift.

Am 12. Vendemiaire teilte er dieselbe Fouquier-Tinville mit und dieser ließ am 13. die Angeklagten aus dem Gefängnis der Karmeliter, worin sie sich befanden, nach der Conciergerie, der letzten Station zur Guillotine, bringen.

Die Flucht von Barbaroux, Pétion, Guadet und einigen anderen hatte die Reihen der Zweiundzwanzig gelichtet; um diese Zahl, welche durch den Aufstand vom 2. Juli geheiligt war, zu vervollständigen, nahm man einige von den anderen zuletzt verhafteten Deputierten hinzu und gelangte dahin, einundzwanzig Angeklagte zusammenzubringen, welche mit dem vor einigen Tagen guillotinierten Gorsas dem Volke die vollständige Zahl der Köpfe, welche dasselbe beanspruchte, liefern sollten.

Am 3. Brumaire erschienen sie vor dem Gerichtshof. Der Gerichtsschreiber Fabricius verlas das Meisterwerk von Amar, einen wortreichen Tatbericht, der sich zur Aufgabe gestellt hatte, zu beweisen, daß die Angeklagten gegen die Einheit und Unteilbarkeit der Republik und gegen die Freiheit und Sicherheit des französischen Volkes konspiriert hätten. Dieser Bericht erreichte aber seinen Zweck keineswegs, obgleich er sich angelegen sein ließ, die patriotische Gesinnung der Angeklagten zu verdächtigen, und, um belastende Tatsachen aufzufinden, sogar die widersprechendsten Aussagen nicht scheute. Die Ereignisse jener schmachvollen Tage, des 31. Mai und des 2. Juni, sollten, von Amars Feder dargestellt, das Ansehen erhalten, als ob das Recht und die Tugend über den Aufstand gesiegt hätten.

Ein wenig weiter wird Brissot, und zwar im Namen der Freiheit, vorgeworfen, daß er an dem Dekret der Befreiung der Farbigen teilgenommen habe!

Die Mehrzahl der vernommenen Zeugen bestand gerade aus denjenigen, welche die Bewegung vom 31. Mai geleitet und deren Feindschaft gegen die Männer, zu deren Verhaftung sie selber beigetragen hatten, zu jeder anderen Zeit ihr Zeugnis ungültig gemacht hätte.

Hébert erzählte mit Nachdruck, wie er auf Befehl des Zwölferkomitees verhaftet worden; er behauptete, Roland hätte alles aufgeboten, um ihn zu bestechen; er sprach von den Schritten, welche Gonchon im Namen der Madame Roland versucht, um sein Blatt zu kaufen. Bei der Darstellung der Ereignisse vom 31. Mai ging er noch weiter, als seine Vorredner, indem er behauptete, daß es die Angeklagten selbst wären, welche die Verbrecher besoldet hatten, um von der Kommune die Köpfe der Verschworenen zu verlangen.

Nach Héberts Aussage ergriff Bergniaud das Wort; bis dahin hatte sich seine Verteidigung auf Rechtfertigungen beschränkt, deren einige seines edlen Charakters und seines großen Rufes nicht würdig waren; dem Elenden aber gegenüber, der ihn als Gründer und Retter der Republik angriff, fand er die Beredsamkeit seiner glorreichsten Tage wieder.

»Die erste Tatsache, welche der Zeuge mir zur Last legt,« rief er, »ist, ich hätte in der gesetzgebenden Versammlung eine Partei zur Unterdrückung der Freiheit gebildet. Heißt es eine Partei zur Unterdrückung der Freiheit bilden, wenn man die konstitutionelle Garde des Königs einen Eid schwören und sie nachher als konterrevolutionär aufheben läßt? Dann habe ich es getan. Heißt es eine Fraktion zur Unterdrückung der Freiheit bilden, wenn man die Treulosigkeit des Ministeriums und namentlich die Delessarts enthüllt? Das habe ich getan. Heißt es eine Partei zur Unterdrückung der Freiheit bilden, wenn man, als der König sich der Gerichte zur Bestrafung der Patrioten bediente, den ersten dieser pflichtvergessenen Richter anzeigt? Ich habe es getan. Heißt es eine Partei zur Unterdrückung der Freiheit bilden, wenn man bei dem ersten Schlage der Sturmglocke in der Nacht vom 9. zum 10. August sich einfindet, um der gesetzgebenden Versammlung vorzusitzen? Dann habe ich es getan. Heißt es eine Partei zur Unterdrückung der Freiheit bilden, wenn man Lafayette anklagt? Ich habe es getan. Heißt es eine Partei zur Unterdrückung der Freiheit bilden, wenn man Narbonne angreift, wie ich Lafayette angegriffen hatte? Das tat ich. Heißt es eine Partei zur Unterdrückung der Freiheit bilden, wenn ich mich gegen die sogenannten Petitionäre der Acht- und der Zwanzigtausend erhob und Einspruch dagegen machte, daß man ihnen die Ehre einer Sitzung bewilligte? Dann habe ich es getan.«

Unglücklicherweise haben die Tagesblätter den Schluß von Bergniauds Rede, welche einen großen Eindruck auf die Zuhörerschaft hervorbrachte, verstümmelt.

Die gehässigsten Aussagen waren die des Exkapuziners Chabot. Durch seine Verbindungen mit den Geldmännern in Verlegenheit geraten und stark des Wuchers verdächtig, fühlte Chabot den Boden unter den Füßen weichen. Bei der Verhandlung über die Verfassung hatte er außerdem Widerspruch gegen Robespierre erhoben und so hatte er zu gleicher Zeit viele Fehler und ein Verbrechen wieder gutzumachen; er glaubte zum Ziele zu kommen, wenn er die Schwierigkeiten der Anklage mindern half. Er hatte Falsches, Unwahrscheinliches und Unsinniges in einem Pack Akten zusammengestellt, welches er, ohne sich an die gesetzlichen Vorschriften zu kehren, dem Gerichtshofe zu lesen gab. Diese Durchlesung dauerte nicht weniger als dritthalb Stunden. Indem der Exkapuziner seine eigene Verzeihung nachsuchte, schonte er die Girondisten nicht; er nahm keinen Anstand, sie für die Metzeleien vom 2. September verantwortlich zu machen; »sie hätten, sagte er, dieselben angeregt, um die Departements in Schrecken zu setzen und sie über die Lage der Hauptstadt zu täuschen, damit, wie Pétion es wünschte, die Deputierten verhindert würden, nach Paris zu kommen und der Sitz der Regierung anderswohin verlegt würde.«

Indem dieser elende Chabot seine eigene Verteidigungsrede hielt, indem er erzählte, wie er vier Millionen zurückgewiesen, welche ihm der Graf Ocarides, der spanische Gesandte, zur Rettung des Königs angeboten habe, wagte er es, ohne eine besondere Tatsache vorzubringen, die Rechtschaffenheit dieser großherzigen Männer anzutasten, die ihre Gesinnung, ihr Vermögen dem Vaterlande geopfert hatten und nun das Opfer mit ihrem Leben besiegeln sollten.

Fabre d'Eglantine, der ebenso kompromittiert wie Chabot, aber doch besser als der ehemalige Mönch war, ging noch weiter als dieser: er behauptete, Roland und seine Freunde hätten im Einverständnisse mit denjenigen gestanden, welche das Garde-Meuble bestohlen hätten! Er erhielt von Vergniaud die stolze Antwort:

»Ich glaube nicht verbunden zu sein, mich gegen die Mitschuld mit Dieben und Mördern zu verwahren!«

Die gerichtliche Verhandlung bot ein Bild unglaublicher Unordnung. Die Zeugen, blutgierig wie eine Koppel Jagdhunde, mißachteten alle schützenden, herkömmlichen Formen der Justiz; sie richteten direkte Fragen an die Angeklagten, bestritten die Aussagen derselben und sagten den Geschworenen ihre Meinung. Nicht Herman leitete die Verhandlungen, sondern Chaumette, Hébert und Chabot, und dennoch dauerte, trotz dieser Verachtung aller Formen und Bürgschaften, der Prozeß schon sechs Tage, ohne vom Fleck zu kommen. Zwei der Angeklagten, Boiteau und Gardien, hatten der Furcht nachgegeben und die Schwachheit gehabt, die vorgebliche Verschwörung wirklich einzuräumen; aber der Ruhm der Gironde, ihre durch Brissot, Gensonné, Ducos, Boyer-Fonfrêde und Vergniaud vertretene Beredsamkeit widersprach noch immer mit gleichem Nachdruck, mit gleichem Stolz des besiegten Patriotismus, und es ließ sich vermuten, daß der große Redner der Rechten seine ganze Kraft für den letzten Augenblick aufgespart habe; es ließ sich befürchten, daß die Zuhörer durch die Gewalt seiner Worte hingerissen würden und eine Verurteilung unmöglich werden könnte.

In der Sitzung vom 7. Brumaire beklagten sich die Jakobiner über das langsame Verfahren des Gerichtshofes und beschlossen, eine Deputation an den Konvent abzuordnen und ihn um eine beschleunigte Bestrafung der Verbrecher zu bitten.

Zu gleicher Zeit teilte Fouquier seine Besorgnisse Robespierre mit und richtete auf Anstiften des letzteren einen Brief an den Konvent, worin er gestand, daß er und Herman unfähig seien, die Debatten zu leiten; er schloß mit der Bemerkung, es wäre nötig, das Tribunal von den gesetzlichen Formen zu befreien.

Endlich, um acht Uhr abends, kam das Dekret des Konvents an und wurde den Angeklagten bekannt. Mit einem Rest von Schamgefühl nahmen jedoch die Geschworenen Anstand, dasselbe sogleich zur Anwendung zu bringen und erklärten: sie wären nicht hinreichend instruiert. Die Sitzung wurde also auf den folgenden Tag vertagt.

Die Abstimmung des vergangenen Abends und der Inhalt der Dekrete zeigten den Girondisten, daß ihre ehemaligen Kollegen ihren Tod als eine politische Notwendigkeit ansähen; sie hatten sich gegen Fouquier und seinen kläglichen Gerichtshof verteidigt; nachdem sie aber vom Konvent verlassen waren, verzichteten sie darauf um ihr Leben zu streiten, und die erste Sitzung am Montag dem 9. Brumaire verlief unter nichtssagenden Erörterungen.

In der Abendsitzung gegen neun Uhr erklärte der Oberste der Jury, daß die Geschworenen hinreichend instruiert wären. Herman sprach den Schluß der Debatte aus und ließ die Angeklagten abtreten. Die Geschworenen gingen in das Ratszimmer und kehrten um dreiviertel auf zwölf Uhr mit einem Verdikt zurück, welches alle Anklagepunkte bejahte.

Die Angeklagten wurden darauf in das Verhörzimmer zurückgeführt, der Vorsitzende teilte ihnen den Ausspruch der Jury mit und der Ankläger trug auf Todesstrafe an.

In diesem Augenblick entsteht eine große Bewegung unter den Girondisten. Brissot läßt sein Haupt auf die Brust sinken; Gensonné verlangt das Wort, um über die Anwendung des Gesetzes zu sprechen; Boileau wirft seinen Hut in die Höhe und ruft: »Ich sterbe unschuldig!« Sillery wirft seine Krücke weg mit den Worten: »Dieser Tag ist der schönste meines Lebens!« Boyer-Fonfrêde umarmt Ducos, seinen Jugendfreund und Schwager, indem er spricht: »Mein Freund, ich habe dich getötet!« Faucher und Duprat sind niedergeschlagen, aber Carra behält seine erhabene Miene; Lassource richtet einige Worte an die Geschworenen, welche in dem Tumult verhallen; Vergniaud bewahrt die bewundernswerte Heiterkeit, die er während der Verhandlungen gezeigt hat; dann erheben sich alle in einem gleichzeitigen Antriebe und rufen: »Wir sind unschuldig! Es lebe die Republik!« In diesem Augenblicke übertönt ein Todesschrei alle anderen Rufe, man hört eine Stimme: »Ich sterbe!« Der Vorsitzende befiehlt den bestürzten, starr dastehenden Gendarmen, die Angeklagten abzuführen. Diese stimmen die Marseiller Hymne an; während sie sich entfernen, ertönt noch lange unter dem Gewölbe des Gerichtssaales der Refrain ihres Gesanges.

Ein einziger war ihnen nicht gefolgt und blieb unbeweglich auf seinem erhöhten Platze ausgestreckt; es war derjenige, der gerufen hatte: »Ich sterbe!« Es war Dufriche-Valazé, der sich einen Dolch in die Brust gestoßen hatte.

Dieser unbeschreibliche Auftritt hatte alle erschüttert. Camille Desmoulins, welcher der Sitzung beiwohnte, verhüllte sein Gesicht mit den Händen und entfloh, ausrufend: »Die Unglücklichen! Ich, mein entschleierter Brissot, ich habe sie getötet!« Der Oberste der Geschworenen, Antonnelle, war bleich wie ein Gespenst; Fouquier allein blieb unerschütterlich; mit fast sicherer Stimme stellte er den Antrag, daß der Leichnam Valazés, dessen Tod die Gerichtsärzte festgestellt hatten, in den Karren gelegt werden sollte, der seine Mitschuldigen zur Richtstätte führen würde, damit er nach ihrer Hinrichtung in demselben Grabe bestattet werde, wie seine verurteilten Genossen.

Die näheren Umstände des Prozesses waren notwendig zur klaren Darstellung meiner Erzählung, aber jetzt will ich mich darauf beschränken, die letzten Augenblicke dieser Opfer, berühmt unter den berühmtesten, in ihren kleinsten Einzelheiten mitzuteilen. Um eine Vorstellung von der letzten Unterhaltung dieser Männer zu geben, welche Frankreich niemals genug bedauern kann, werde ich einige Seiten aus den Memoiren von Riouffe, der sich mit ihnen in der Conciergerie befand, entlehnen; die Hauptzüge ihrer Physiognomie sind darin mit Meisterhand gezeichnet.

»Bei diesen berühmten Namen wird die Neugierde rege, ich besitze aber geringe Mittel, um dieselbe zu befriedigen; ich kam erst zwei Tage vor ihrer Verurteilung an, gleichsam, um ihrem Tode beizuwohnen ... Sie waren alle ruhig, ohne Prahlerei, obgleich keiner sich durch die Hoffnung mehr täuschen ließ. Ihre Seelen befanden sich in einer so erhabenen Stimmung, daß es unmöglich war, sie mit den Gemeinplätzen gewöhnlicher Tröstungen anzureden. Brissot, ernst und nachdenklich, hatte die Haltung eines Weisen, der gegen das Unglück kämpft, und wenn sich Unruhe in seiner Miene zeigte, so sah man wohl, daß dieselbe allein dem Vaterlande galt. Gensonné, in sich selbst zurückgezogen, schien zu fürchten, daß er seinen Mund besudle, wenn er die Namen seiner Mörder ausspräche. Er äußerte kein Wort über seine Lage, aber allgemeine Betrachtungen über das Glück des Volkes, für das er die herzlichsten Wünsche aussprach. Vergniaud, bald mehr, bald weniger ernst, sagte eine Menge scherzhafte Verse aus dem Gedächtnis her und entzückte uns zuweilen durch einzelne Wendungen jener erhabenen Beredsamkeit, welche bereits für die Welt verloren war. Was Valazé betrifft, so hatten seine Augen etwas unbeschreiblich Göttliches im Ausdruck. Ein sanftes und heiteres Lächeln wich nicht von seinen Lippen, er genoß schon im voraus seinen ruhmwürdigen Tod. Man sah ihm an, daß er frei war und in einem großen Entschluß die Bürgschaft für seine Freiheit gefunden hatte. Ich sagte einige Male zu ihm: »Valazé, Ihr spitzt Euch auf einen schönen Tod, aber man wird Euch bestrafen, indem man Euch freispricht!« Am letzten Tage, ehe er nach dem Gerichtshof ging, kehrte er wieder um und reichte mir eine Schere, die er bei sich trug, mit den Worten: »Das ist eine gefährliche Waffe; man fürchtet, daß wir Hand an uns selber legen.« Die Ironie, eines Sokrates würdig, mit welcher er diese Worte aussprach, machte einen Eindruck auf mich, den ich mir damals nicht erklären konnte; als ich aber hörte, daß dieser moderne Cato sich mit einem unter seinem Mantel verborgenen Dolche getroffen habe, erstaunte ich nicht mehr und glaubte ihn erraten zu haben: er hatte diesen Dolch den Nachsuchungen entzogen, denn man durchsuchte sie wie gemeine Verbrecher, ehe sie hineingingen. Vergniaud warf das Gift, welches er aufbewahrt hatte, weg, und zog es vor, mit seinen Amtsbrüdern zu sterben.

Die beiden Brüder Fonfrêde und Ducos sonderten sich von diesem ernsten Gemälde, indem sie ein noch zarteres und lebhafteres Interesse einflößten. Ihre Jugend, ihre Freundschaft, die Heiterkeit Ducos', welche bis zum letzten Augenblick unerschüttert blieb, die Anmut seines Geistes und seines Gesichts: dies alles machte den Ingrimm ihrer Feinde noch gehässiger. Ducos hatte sich für seinen Bruder geopfert und sich in das Gefängnis begeben, um sein Los zu teilen. Oft umarmten sie sich und schöpften in dieser Umarmung neue Kraft. Sie verließen alles, was das Leben teuer machen kann: ein ungeheures Vermögen und geliebte Gattinnen, und dennoch warfen sie keinen Blick rückwärts, sondern hielten ihr Auge fest auf das Vaterland und die Freiheit gerichtet.

Nur ein einziges Mal nahm mich Fonfrêde, ungesehen von seinem Bruder, beiseite und ließ einen Strom von Tränen fließen, indem er Namen nannte, bei welchen die festesten Herzen brechen: die Namen seiner Frau und seiner Kinder. Sein Bruder bemerkt es und fragt ihn: »Was fehlt dir denn?« Fonfrêde schämt sich seiner Tränen und hält sie zurück, indem er antwortet: »Es ist nichts; Riouffe wollte nur mit mir sprechen.« So warf er das, was er für eine Schwäche hielt, auf mich zurück. Sie umarmten sich und fanden ihre Kraft wieder. Fonfrêde trocknete seine Tränen; sein Bruder hielt die seinigen zurück und beide wurden wieder wahrhafte Römer.

Sie wurden in der Nacht des 30. September zum Tode verurteilt. Das Signal, welches sie uns versprochen hatten, kam uns zu. Es waren patriotische Gesänge, welche einstimmig erschollen, und aller Stimmen mischten sich zu den letzten Hymnen an die Freiheit. Sie parodierten den Gesang der Marseillaise auf folgende Weise:

Plutôt la mort que l'esclave!
C'est la dévise des Français.

(Den Tod der Knechtschaft vorzuziehn,
Sind Frankreichs Söhne stets bereit.)

Diese ganze schreckliche Nacht erschollen ihre Gesänge, und wenn sie pausierten, so geschah es nur, um sich über das Vaterland zu unterhalten, zuweilen auch, um einen witzigen Einfall von Ducos zu hören. Es war das erstemal, daß man so viele außerordentliche Männer niedermetzelte. Jugend, Schönheit, Tugenden, Talente, Geist, alles, was es Anziehendes unter Menschen gibt, wurde von einem einzigen Streiche gefällt.«

Seit dem 8. Brumaire hatte Fouquier den Scharfrichter amtlich benachrichtigt, daß er sich mit Ersatzgehilfen zu versehen habe.

An dem folgenden Tage, dem 10. Brumaire nahm mein Großvater am frühen Morgen sein Personal in Augenschein. Es sollte für diesen Tag aus zehn Gehilfen und fünf Kärrnern mit fünf Fuhrwerken bestehen. Der neuangekommene André Dutruy war anwesend; Charles Henri Sanson glaubte zu bemerken, daß er unter seiner Carmagnole eine Art roter Weste trug, achtete aber nicht weiter darauf. Um acht Uhr ging er mit meinem Großvater und sechs Gehilfen nach der Conciergerie, zwei andere sollten auf dem Revolutionsplatze warten, zwei blieben zurück, um die Gefährte zu leiten. André Dutruy, Héberts Schützling, gehörte zu den letzteren. Die Conciergerie war bereits von einer großen Zahl Truppen umgeben. Zwei Gerichtsdiener des Tribunals, die Bürger Nappier und Monet, waren dem Scharfrichter vorausgegangen und erwarteten ihn im Zimmer des Schließers. Sie gingen zusammen nach dem Palais hinauf, wo sie die letzten Befehle empfingen. Um halb zehn Uhr kamen sie wieder herunter.

Es war bestimmt, daß die Vorbereitungen zur Hinrichtung in dem Vorzimmer der Kanzlei oder dem freien Sprechzimmer stattfinden sollten, einem großen schwarzen und räucherigen Zimmer, welches man bereits anfing, das Totenzimmer zu nennen, seitdem es zum Vorzimmer des Schafotts diente.

Als mein Großvater mit seinen Leuten und den Gendarmen dort eintrat, waren die Verurteilten schon versammelt. Sie bildeten verschiedene Gruppen; einige gingen auf und nieder, andere standen in einem Kreise; alle unterhielten sich sehr lebhaft und wie Freunde, welche eine lange Reise trennen soll. Brulard-Sillery und der Bischof Fauchet plauderten in einer Ecke des Gemaches mit leiser Stimme; Mainvielle schrieb auf seinen Knien.

Auf drei Sessel vor dem Fenster hatte man den Leichnam Valazés gelegt, dessen steife Glieder sich unter der blutigen Decke erkennen ließen.

Als sie das schreckliche Geleit erblickten, stießen sie einen undeutlichen Ausruf aus und mehrere von ihnen umarmten sich.

Der Bürger Nappier rief die Namen auf; jeder der Verurteilten antwortete: »Hier!« Mehrere fügten noch scherzhafte Worte hinzu.

»Anwesend!« sagte Vergniaud, »und wenn Ihr mir versichert, daß unser Blut ausreichen wird, die Freiheit zu befestigen, so seid gegrüßt!«

»Ich liebe keine langen Reden und verstehe es nicht, das Recht und die Gerechtigkeit zu beschimpfen«, rief Ducos, indem er einen Ausspruch Robespierres parodierte.

Als der Bürger Nappier ihn mit groben Worten unterbrach, entgegnete er mit lautem Lachen:

»Nun gut! anwesend! sans phrases

Anstatt der Antwort ereiferte sich Duperret gegen die Stadt Paris, von welcher er sagte, sie erwürge die besten Patrioten. Man mußte ihm Stillschweigen gebieten.

Brissot war düster. Vergniaud sprach einige Augenblicke nachdrücklich mit ihm. Der Lärm verhinderte zu verstehen, was er sagte, aber man hörte mehrmals die Worte Republik und Freiheit.

Als der namentliche Aufruf beendigt war, riefen alle mit gleicher Begeisterung:

»Es lebe die Republik!«

Der Anblick dieser Männer, deren letzter Ruf die Republik verherrlichte, in deren Namen man sie zum Tode schickte, wird ewig unvergeßlich bleiben. Mein Vater wiederholte mir oft, indem er mir diese Einzelheiten erzählte, daß keine Hinrichtung ihn so tief gerührt habe.

Der Anzug begann; während dieser verhängnisvollen Zurichtung behielten die Girondisten fast alle die Ruhe und Heiterkeit ihrer Fassung. Mein Großvater und mein Vater machten ihnen das Haar zurecht, die Gehilfen banden ihnen die Hände. Sie nahmen ihren Platz ohne erkünstelten Mut, ohne Prahlerei ein und setzten ihre Unterhaltung fort, als ob diese Vorbereitungen nicht zum Tode führen sollten.

Fauchet und Sillery waren nach dem Aufrufe in ihre Ecke zurückgekehrt; sie schienen in ihre Unterhaltung so vertieft, daß man sie zweimal rufen mußte. Fauchet war sehr niedergeschlagen, Sillery im Gegenteil fast heiter in seiner Ruhe. In dem Augenblick, als Duprat den Platz auf dem Sessel einnehmen sollte, näherte sich Mainvielle, der in der Hand noch den eben geschriebenen Brief und die Feder hielt; er stellte beides seinem Gefährten zu, indem er zu meinem Großvater sagte:

»Du wirst wohl erlauben, daß wir einige Augenblicke unseren Familienangelegenheiten widmen; übrigens kannst du mir an seiner Stelle das Haar zurecht machen.«

Darauf fügte Duprat einige Worte jenem Briefe hinzu, der für eine Frau bestimmt war, die beide geliebt hatten.

Ducos kam zuletzt an die Reihe und mein Vater schnitt ihm das Haar ab, während Fonfrêde vor ihm stand.

Bei dieser Operation blieben einige Haare zwischen der Schere sitzen und wurden ausgerissen; Ducos konnte ein Zeichen des Schmerzes nicht zurückhalten und sagte nachher, während die Gehilfen ihn banden, zu meinem Vater:

»Es ist zu hoffen, daß deine Guillotine besser schneidet als deine Schere!«

Als alle fertig waren, gab mein Großvater das Zeichen zum Aufbruch; ein Teil der Gendarmen war schon die Stufen zum Torweg hinuntergeschritten; die Verurteilten drängten sich um Vergniaud und schienen ihm die Ehre des Zugführers zu gönnen; dieser aber wendete sich um und deutete auf den Leichnam Valazés, den zwei Gehilfen auf eine Bahre legten.

»Dies ist unser Ältester im Tode,« sagte er in ernstem Tone, »er soll uns den Weg zeigen.«

Auf seine Worte machten alle Platz und der Leichnam wurde durch ihre Reihen getragen.

Die fünf Karren warteten.

Man hatte noch nicht hundert Schritte auf dem Kai zurückgelegt, als mein Großvater sah, daß sein neuer Gehilfe André Dutruy oder vielmehr Jacot seine neue Carmagnole, worunter er ein Seiltänzerkostüm trug, ablegte, sich rittlings auf das Pferd setzte und equilibristische Kunststücke machte, während er von Zeit zu Zeit elende Spottreden über die Verurteilten hören ließ. Charles Henri war darüber empört und stieg von dem Wagen, um Dutruy wegzujagen; dieser verweigerte aber den Gehorsam; die Wütenden, welche neben dem Wagen herliefen, sogar die Gendarmen nahmen Partei für den Seiltänzer, und mein Großvater mußte unter lautem Spottgeschrei wieder auf seinen Posten zurückkehren.

Der Ruf: »Es lebe die Republik!« ließ sich allein auf dem Wege hören und verbreitete sich unter den dichten Massen, durch welche der Zug sich bewegte. Mainvielle und Duprat wiederholten mit der Menge: »Es lebe die Republik!« Nur auf zwei oder drei Punkten mischte sich mit diesem Rufe der: »Tod den Verrätern!« Die Girondisten hörten ihn ohne Zorn; einmal antwortete eine Stentorstimme vom vierten Wagen herab: »Die Republik werdet ihr nicht bekommen!« Vergniaud, hinter welchem mein Vater stand, hörte diesen Ruf und sprach:

»Ja, sie werden sie erhalten; sie kommt uns teuer genug zu stehen, daß wir wenigstens noch die Hoffnung, sie ihnen zu hinterlassen, mit in das Grab nehmen können!«

Ihre Fassung verlor sich nicht einen Augenblick. Vergniaud, der ernst und gesammelt erschien, suchte die düsteren Ahnungen Brissots zu verscheuchen, der ebenfalls zu glauben schien, daß die Freiheit sie nicht überleben werde. Ducos und Boyer-Fonfrêde unterhielten sich halblaut; über die Wangen des letzteren sah mein Vater Tränen herabrollen. Die Fassung der Verurteilten auf den übrigen Karren war nicht weniger würdig und mutig. Zweimal stimmten sie die Marseillaise an: als sie die Conciergerie verließen und in der Straße Saint-Honoré, auf der Höhe der Tuilerien. Der Bischof Fauchet allein schien niedergeschlagen: er betete mit großer Inbrunst; als Christ sah er in der Stunde, die ihm schlagen sollte, nicht allein den Tod, sondern auch den Richter. Ducos' lustige Einfälle schienen im Gegenteil desto lebhafter zu werden, je mehr sich der verhängnisvolle Zeitpunkt näherte. In dem Augenblick, als die Wagen auf dem Revolutionsplatze anhielten, rief Vigée beim Anblick der Guillotine:

»Dies ist wahrlich die Erbin des letzten Ludwig!«

»Nicht doch,« entgegnete Ducos achselzuckend, »wie ist es mit dem salischen Gesetz?«

Als sie alle vor dem Schafott versammelt waren, sagte Ducos wieder:

»Wie schade ist es, daß der Konvent nicht die Einheit und Unteilbarkeit unserer Personen dekretiert hat!«

Als man sie vor der Treppe der Guillotine zwischen eine doppelte Reihe von Gendarmen einpferchte, sagten sie sich mit Umarmungen Lebewohl und man hörte, wie sie sich untereinander ermutigten, ohne Furcht und Tadel zu sterben, wie sie gelebt hatten; dann stimmten sie im Chor den Refrain der freien Männer an und das Opfern begann.

Sillery erschien zuerst auf der Plattform; er ging im Kreise herum und grüßte die Menge viermal, auf jeder Seite des Schafotts. Er litt an den Folgen einer Lähmung und ging mit einiger Schwierigkeit. Als einer der Gehilfen ihm sagte, er möchte sich beeilen, antwortete er:

»Kannst du nicht warten? Warte ich doch und habe es noch eiliger als du!«

In dem Augenblick, als das Messer fiel, ertönte der Gesang der Verurteilten mit doppelter Stärke, als hofften sie von der Seele, die eben ihren Aufschwung nahm, noch gehört zu werden. Nach Sillery kam der Bischof Fauchet, den zwei Gehilfen beim Hinaufsteigen der sehr steilen Stufen unterstützen mußten; dann Carra, Lesterpt-Beauvais, Duperret und Lacase.

Charles Henri Sanson leitete die Hinrichtung. Der erste Gehilfe Fermin stand am Rammblock; mein Vater überwachte die Wegführung der Leichname, welche man zu Zweien in die hinter der Guillotine bereitstehenden Körbe warf. Nachdem aber sechs Köpfe gefallen, waren die Körbe und das Fallbrett so mit Blut überschwemmt, daß die Berührung dieses Blutes für die folgenden viel schrecklicher sein mußte, als der Tod selber. Charles Henri Sanson befahl zweien Gehilfen, mehrere Eimer Wasser auszugießen und die Stücke nach jeder Hinrichtung mit einem Schwamme abzuwaschen.

Die Reihen der Verurteilten begannen sich zu lichten. Ihr Gesang verlor an Nachdruck, ohne an Kraft zu verlieren; unter allen diesen männlichen und festen Stimmen unterschied man deutlich die Lehardys, welche alle anderen übertönte.

Boileau, Antiboul, Gardien, Lasource und Brissot stiegen der Reihe nach auf das Schafott; Lehardy rief, als man ihn auf das Fallbrett band, dreimal: »Es lebe die Republik!« Nach ihm wurde Duprat hingerichtet. Ducos umarmte, ehe er seine Freunde verließ, noch einmal Fonfrêde; als er die Treppe hinaufstieg, sagte er zu meinem Vater, der sich herunterbückte, um ihn zu stützen:

»Ach, wenn doch deine Guillotine uns hätte mitsammen töten können, meinen Bruder und mich!«

Er sprach noch in dem Augenblick, als das Messer fiel. Es waren nur noch sechs auf dem Platze, aber ihr Gesang erscholl noch immer. Gensonné, Mainvielle, Boyer-Fonfrêde und Duchatel kamen an die Reihe; die Zahl der Lebenden war auf zwei zusammengeschrumpft: Vergniaud und Vigée.

Einige Geschichtschreiber berichten, daß Vergniaud zuletzt gestorben sei, dies ist ein Irrtum. Nach dem Vorfalle während der Verhandlung hatte man gehofft, daß einige der Girondisten in der letzten Stunde den kraftvollen Mut, der ihren Ruf erhöhte, verleugnen würden. Es wird auch versichert, daß aus dieser Zeit das Verbot herrühre, den Verurteilten eine Herzstärkung mitzugeben. Man hat gesehen, wie die heldenmütige Phalanx aus der Gemeinsamkeit ihrer Empfindungen den gemeinsamen Mut schöpfte. Die Stärksten wie die Furchtsamsten zeigten sich gleich stark in der Todesbegeisterung. Der Gerichtsdiener Nappier, welcher hier das schreckliche Amt des Ordners versah, zeigte eine Bestürzung, die an Entsetzen grenzte. Als Vergniaud und Vigée allein übrig waren, wurde die Stimme des letzteren, der seinen Aufruf erwartete, schwächer; Vergniaud blickte ihn an und sogleich begann er mit neuer Kraft:

» Plutôt la mort que l'esclavage

Nappier rief Vergniaud auf. Er glaubte ohne Zweifel, daß Vigée, wenn man ihn des stützenden Freundes, des Vorbildes jener erhabenen Ergebung, welche der Mann von Genie vor dem Tode bekundet, beraubte, seine Festigkeit verlieren und die schreckliche Hekatombe mit einer Ohnmacht endigen würde. Dem war nicht so. Als Vergniauds Leichnam zu denen seiner Freunde gelegt war, zeigte sich Vigée den Scharfrichtern mit dem Stolz eines Siegers. Auf das Brett gebunden, den Kopf mit dem Halsbande befestigt, sang er noch immer; als der Gesang aufhörte, war der letzte der Zwanzig tot.

Dreiundvierzig Minuten hatten hingereicht, um die Republik ihrer Gründer zu berauben und Frankreich in Trauer über die edelsten seiner Kinder zu versetzen.

Am Abend beklagte sich Charles Henri Sanson bei Fouquier über die unschickliche Aufführung von Huberts Schützling; in der Hoffnung, sich dieses Elenden entledigen zu dürfen, suchte er darzulegen, daß, wenn einer der Scharfrichter die Verurteilten beleidigte, dadurch das Volk für die letzteren Partei ergreifen könnte. Fouquier nahm die Klage meines Großvaters als geringfügig auf und warf ihm zornig vor, daß er in den Rücksichten, die er gegen einzelne Verurteilte gezeigt, Mangel an Bürgersinn bekunde.

Die Folge dieser Unterredung war, daß André Dutruy bei dem Personal des Schafotts verblieb; die Grimassen des erbärmlichen Jacot wirkten fortan bei allen wichtigen Hinrichtungen mit, und zwar zum großen Ergötzen des Pöbels.

Der Herzog von Orleans

Ebene und Berg.

Seit dem Tode der Girondisten beschleunigen und vermehren sich die Hinrichtungen; der wahrhafte Schrecken hat seinen Anfang genommen; bis dahin bestand er nur in der fanatischen Begeisterung einiger Rasender, jetzt wird er das Haupttriebwerk der Regierungsmaschine.

Der 16. Brumaire sah den Tod des berühmtesten Urhebers der Revolution, Louis Philippe Josephs von Orléans. Vergebens hatte er seinen Titel mit dem bezeichnenden Namen Egalité vertauscht, vergebens der Revolution ein anderes schreckliches Pfand bewilligt, indem er für den Tod seines Königs und Verwandten stimmte; es war ihm nicht gelungen, das Unrecht seiner hohen Geburt und seiner unschätzbaren Reichtümer vergessen zu machen. Den Royalisten mit Recht gehässig, konnte es nicht fehlen, daß er für die Republikaner ein Gegenstand der Furcht und Verlegenheit wurde. Die Girondisten wollten nicht glauben, der Patriotismus sei der einzige Beweggrund, daß sich ein Prinz von Geblüt, obgleich er zum Hofe gehörte, zu der Opposition schlug; sie gaben das Bündnis einer kundbaren Unsittlichkeit mit der reinsten Bürgertugend, der Uneigennützigkeit, nicht zu. Seit der Wiedervereinigung des Konvents hatten sie niemals aufgehört, ihn als Prätendenten zu behandeln. Die Bergpartei ihrerseits merkte, daß die Anwesenheit eines Bourbon in ihren Reihen ihren Feinden stets Veranlassung zum Argwohn und zu Beschuldigungen geben würde; sie zögerte daher nicht, ihn bei der ersten Gelegenheit zu opfern. Diese Gelegenheit lieferte Dumouriers Abfall. Am 7. April wurde Egalité verhaftet und am 12. nach Marseille gebracht, wo er seine beiden Söhne wiedersah, die Herzöge von Montpensier und von Beaujolais, welche beide aufgehoben worden waren, und zwar der erstere in der italienischen Armee, wo er unter Biron diente. Nach sechsmonatlicher Haft im Fort St.-Jean brachte man ihn am 2. Brumaire nach Paris zurück und sperrte ihn in die Conciergerie.

Der Tod dieses wichtigen Mitschuldigen war so fest im voraus beschlossen, daß Fouquier ihm nicht einmal die Ehre einer Anklageakte erzeigte. Mit Beiseitesetzung des Rechtsgrundsatzes non bis in idem bediente er sich derselben Anklage, welche Amar gegen die Girondisten, die unversöhnlichen Feinde Egalités, verfaßt hatte. Als man Egalité vorwarf, was man in gleicher Weise Carra vorgeworfen, er hätte den Herzog von York auf den Thron Frankreichs setzen wollen, unterbrach er den Vorleser, indem er ausrief: »Aber das hört sich wie ein Scherz an!« Als der Vorsitzende ihn fragte, was er zu antworten habe, sagte er in kaltem Tone: »Diese Anklagen widerlegen sich durch sich selber und sind auf mich nicht anwendbar, weil es feststeht, daß ich dem System und den Maßregeln der Partei, deren Begünstigung man mich anklagt, stets entgegen gewesen bin.«

Charles Voidel verteidigte ihn mit großem Nachdruck; aber wie schon erwähnt, sein Tod wurde für notwendig erachtet und der Herzog von Orleans flößte zu wenig Teilnahme ein, als daß die Richter vor einer Maßregel, die sie für das öffentliche Wohl ersprießlich hielten, zurückgebebt hatten. Er hörte seine Verurteilung mit großer Kaltblütigkeit an und wendete sich an Antonelle, den Vorsitzenden der Geschworenen, der einer seiner Vertrauten gewesen war, mit den Worten: »Da ihr entschieden wart, mich zu verderben, so hättet ihr wenigstens wahrscheinlichere Vorwände für euren Zweck suchen sollen; denn ihr werdet nimmermehr jemand einreden wollen, daß ihr mich aller Verbrechen schuldig glaubt, deren ihr mich für überwiesen erklärt, und Sie am wenigsten, Antonelle, der Sie mich so gut kennen. Da übrigens mein Schicksal entschieden ist, so bitte ich Sie, mich hier nicht bis morgen schmachten zu lassen, sondern zu befehlen, daß ich auf der Stelle zum Tode geführt werde.«

Der General Coustard, sein Adjutant und Konventsdeputierter, wurde mit ihm gleichzeitig verurteilt.

Die Sitzung hatte am Morgen begonnen; als der Herzog von Orleans nach der Conciergene zurückgekehrt, beklagte er sich über Hunger; man trug ihm Austern und ein Huhn auf; Coustard lud er vergebens zur Teilnahme an seinem Mahle ein.

Da das Tribunal dem traurigen Bittgesuch, welches an dasselbe gerichtet war, zu willfahren beschlossen hatte, so ließ Fouquier Charles Henri Sanson holen und Monet stellte ihm den Befehl zur unmittelbaren Hinrichtung zu, welche an noch zwei anderen Personen, die am Abend vorher verurteilt worden, vollstreckt werden sollte; außer an jenen beiden Verurteilten nämlich noch an Jacques-Nicolas de Laroque, ehemaligem Unterabgeordneten von Mortagne, und dem Wechselagenten Pierre Gondier. Pierre Gondier war beschuldigt, eine Quantität Brot aufgekauft zu haben, welche die Verteidigung auf einige vertrocknete Krusten zurückführte, die der Unglückliche aufgehoben hatte, um die Hühner einer Nachbarin zu füttern.

Es war halb vier Uhr, als mein Großvater den Befehl erhielt; in dem Augenblick jedoch, als er fortgehen wollte, gebot man ihm zu warten, und einige Augenblicke später fand eine fünfte Verurteilung statt, die des Antoine Brousse, eines Schlossergesellen; ohne Zweifel, um den Grundsätzen der Gleichheit zu huldigen, war befohlen, daß derselbe gleichzeitig mit dem Prinzen das Schafott besteigen sollte.

Der Herzog von Orléans ging mit dem General Coustard auf und nieder, als der Scharfrichter sich in dem Vorzimmer der Kanzlei zeigte. Er war ein wenig bleich, zeigte aber sonst nicht die geringste Bewegung. Mein Großvater entblößte wie gewöhnlich sein Haupt; an der Begleitung der Gendarmen, der Kleidung der Gehilfen, den Seilen und der Schere, welche sie trugen, mußte der Prinz erraten, wer der Grüßende war; er sah ihn starr an, unterbrach aber weder seine Unterhaltung, noch seinen Spaziergang. Als Charles Henri Sanson ihn fragte, ob er erlauben wollte, daß man ihm das Haar abschnitte, setzte er sich, ohne weitere Bemerkungen zu machen, auf einen Stuhl.

In diesem Augenblick brachte man die drei anderen Verurteilten geführt. Herr von Laroque trat zuerst ein; er war ein Greis von siebzig Jahren, dessen Miene den Ausdruck des Adels trug. Als ihm einer der Gehilfen das Haar abschneiden wollte, nahm er die Perücke ab, die sein kahles Haupt bedeckte, und antwortete: »Diese erspart mir jene wesentliche Förmlichkeit.« Als der Herzog von Orleans, der ihm bis dahin den Rücken zugekehrt hatte, aufstand, erkannte ihn Herr von Laroque; ein lebhafter Unwille zeigt sich auf dem Antlitz des alten Edelmannes und er sprach mit lauter Stimme zum Prinzen:

»Mein Leben tut mir nicht leid, da der Verderber meines Vaterlandes die Strafe für seine Verbrechen erhält; aber ich muß Ihnen gestehen, gnädiger Herr, daß es mich demütigt, mit Ihnen auf einem und demselben Schafott sterben zu müssen.«

Der Herzog von Orléans wendete den Kopf weg, ohne zu antworten.

Es war vier Uhr nachmittags, als der Zug aus der Conciergerie kam. Den Prinzen verließ seine Kaltblütigkeit nicht, aber sein Mut hatte durchaus keine Ähnlichkeit mit dem der Girondisten und vieler anderer Opfer; seine Züge zeigten Gleichgültigkeit und eher Ekel, als männliche Entschlossenheit. Diese Unerschütterlichkeit eines entnervten Geistes, eines übersättigten Herzens blieb weit zurück hinter der heldenmütigen Festigkeit eines Mannes, der von einer politischen Meinung, welcher Art sie auch sei, wirklich überzeugt war; der unberühmte Edelmann, der ihn im Saale der Toten mit so harten Worten angeredet und jetzt an seiner Seite ohne Verstellung, aber auch ohne Schwäche betete, stellte viel besser die wahre Größe der menschlichen Seele dar.

Der Führer des Zuges ließ die Karren vor dem Palais Egalité halten, auf dessen Vorderseite man die mit großen Buchstaben geschriebenen Worte »Nationaleigentum« las. Der Prinz verstand wohl, aus welcher Absicht man hier Halt machte. Der Herzog von Orleans schaute einen Augenblick auf die Wohnung seiner Väter, ohne daß man die Gefühle seines Innern ergründen konnte; dann wendete er die Augen verächtlich weg.

Herr von Laroque wurde zuerst hingerichtet; er zeigte eine gewisse Absichtlichkeit, als er seinen Gefährten und selbst dem armen Handwerker Lebewohl sagte, aber kein Wort an den Herzog von Orleans richtete. Gondier war der zweite Hingerichtete, dann folgte der General Coustard und endlich der unglückliche Brousse. Der Prinz sah diese vier Köpfe, ohne Rührung fallen; dann stieg er auf das Schafott und blickte mit stolzer und hochmütiger Miene und mit Achselzucken auf die Menge, die ihn mit spöttischem Geschrei verfolgte; vielleicht erinnerte er sich, daß dies dieselben Pariser waren, welche im Jahre 1789 seine lorbeergekrönte Büste im Triumphe umhergetragen hatten. Nachdem die Gehilfen ihm den Frack ausgezogen hatten, wollten sie ihm auch die Stiefel ausziehen; er machte sich aber aus ihren Händen los und ging allein nach dem verhängnisvollen Brett, indem er die Worte sprach: »Das ist nur Zeitverlust, ihr könnt mir die Stiefel viel leichter ausziehen, wenn ich tot bin; beeilen wir uns!«

Einen Augenblick später fiel das Haupt dieses unglücklichen Prinzen unter dem wilden Beifallsjauchzen einer blödsichtigen Menge, welche die Sühne in gleicher Weise begrüßte, wie sie das Verbrechen gegrüßt hatte.

Ebene und Berg

Madame Roland

Am 17. Brumaire fanden sechs Hinrichtungen statt; die Hingerichteten waren alle Munizipalbeamte aus dem Flecken Pont de Cé und des Einverständnisses mit dem Rebellen der Vendée überwiesen.

Diesen Unglücklichen folgte aber sehr bald ein berühmteres Opfer. Am 31. Mai verhaftet, hatte Madame Roland am 11. Brumaire ihr erstes Verhör bestanden und erschien am 18. vor dem Revolutionstribunal.

Madame Roland war die Seele der Gironde gewesen; ihr großer Charakter, die Grazie ihres Geistes und ihre erhabenen Ansichten hatten ihr einen bedeutenden Einfluß nicht allein auf ihren Gemahl, sondern auch auf die bedeutenden Männer, die sich in ihren Salons versammelten, gesichert. Diese Einmischung einer Frau in die Politik hatte sowohl in der Presse, wie im Schoße des Konvents heftigen Zorn erregt. Der satirische Geist der Madame Roland und ihre wohlbegründete Verachtung der ehrgeizigen Mittelmäßigkeiten trugen dazu bei, die Zahl ihrer Feinde zu vermehren und den Haß derselben zu steigern. Diese Feinde wurden vollends unerbittlich, als sie sahen, daß eine Frau, die sich durch ihre Überlegenheit gehässig machte und zu gleicher Zeit die letzte und rührendste Persönlichkeit von der gemäßigten Partei war, mit einem Streiche gefällt werden konnte. Die Anklageakte war fast ausschließlich auf ihre Verbindung mit den Girondisten begründet. Madame Roland war in ihr Schicksal ergeben, konnte aber nicht ohne zu schaudern die Namen ihrer Freunde beschimpfen hören und versuchte dieselben zu verteidigen.

»In welcher Zeit und unter welchem Volke leben wir,« rief sie, »wenn die Gefühle der Achtung und der Treue, welche Freunde gegenseitig empfinden, ihnen als Verbrechen angerechnet werden? Es steht mir nicht zu, über die Männer, die ihr geächtet habt, zu urteilen; aber ich habe niemals geglaubt, daß jene, welche ihrem Vaterlands so viele Proben von Patriotismus, Lauterkeit und großmütiger Aufopferung gaben, schlechte Absichten hegen konnten. Wenn sie in Irrtum verfielen, so war dieser Irrtum tugendhaft; sie haben sich getäuscht, ohne entehrt zu sein; in meinen Augen sind sie unglücklich, aber nicht schuldig! Wenn es ein Verbrechen ist, Wünsche für ihre Erhaltung gehegt zu haben, so erkläre ich mich der Welt gegenüber für schuldig, und mit Vergnügen nehme ich an der Ehre Anteil, von ihren Feinden verfolgt zu werden. Ich habe diese Männer, diese großmütigen Männer gekannt, die man der Verschwörung gegen ihr Vaterland anklagt: sie waren entschiedene, aber menschlich gesinnte Republikaner; sie glaubten, diejenigen, welche kein Vertrauen zu der Republik hätten, könnten allein durch gute Gesetze dahin gebracht werden, sie zu lieben; dies war eine schwerere Aufgabe, als sie niederzumetzeln!«

Dumas, der Vorsitzende, ließ sie nicht weitersprechen, indem er sie mit einer Erklärung unterbrach, er könne unmöglich dulden, daß sie den Verrätern, welche das Gesetz mit Recht getroffen, eine Lobrede halte.

Madame Roland wendete sich darauf an das Publikum, welches den Saal füllte, und rief dasselbe zum Zeugen auf, daß man ihr Gewalt antue. Diese heftige Appellation wurde jedoch nur mit beleidigenden Ausrufungen beantwortet und von diesem Augenblicke an bewahrte sie ein verachtendes Stillschweigen.

Als sie zum Tode verurteilt wurde, hörte sie das Urteil mit bewundernswerter Heiterkeit an und wendete sich dann an das Tribunal mit einer sanften und klangvollen Stimme, welche Riouffe mit dem Klange eines musikalischen Instrumentes verglich:

»Ihr haltet mich für würdig, das Los der großen Männer zu teilen, die ihr ermordet habt; ich werde danach streben, mit demselben Mute, den sie gezeigt haben, auf dem Schafott zu erscheinen.«

Nach ihrer Verurteilung – so erzählen die Memoiren eines Verhafteten – kehrte sie mit einer Schnelligkeit, welche fast an Freude grenzte, in den Kerker zurück und meldete uns durch eine Gebärde, daß man sie zum Tode verurteilt habe.

Wie der Herzog von Orléans wurde Madame Roland noch an demselben Tage hingerichtet; an demselben Tage wurde auch Simon François Lamarche, früherer Direktor der Assignatenfabrikation, hingerichtet, der nach ihr vor dem Revolutionstribunal erschienen war.

Madame Roland hatte schönes schwarzes Haar und es schien sie zu betrüben, daß sie einen Teil davon abschneiden lassen sollte, denn sie bat inständigst, es behalten zu dürfen. Mein Großvater schwankte und versuchte ihr mit allen möglichen Umschreibungen verständlich zu machen, wie er sie den schrecklichsten Qualen aussetzen würde, sobald er ihrem Wunsche nachkäme; sie schien gerührt von seiner Fürsorge, sie nicht durch eine genaue Schilderung der Hinrichtung zu erschrecken, und sprach lächelnd, einen berühmten Ausspruch Molières parodierend: »Wohin hat Menschlichkeit sich denn geflüchtet?«

Ein wenig später, als die Schere in ihr dichtes Haar einschnitt, griff sie mit den Händen schnell nach dem Kopfe und rief:

»Laßt mir wenigstens soviel, daß ich meinen Kopf dem Volke zeigen kann, wenn es denselben sehen will!«

Nachdem sie gefesselt war, hatte sie einige Minuten der Niedergeschlagenheit oder vielmehr der Sammlung; ihr Haupt war auf die Brust geneigt und ihre Augen feucht. Ohne Zweifel dachte sie an ihre Tochter und an Roland, von dem sie wußte, daß er entschlossen sei, sie nicht zu überleben; vielleicht aber erinnerte sie sich der Worte, die sie in ihrer Verteidigung geschrieben hatte:

»Wenn die Unschuld zum Tode geht, zu dem der Irrtum und die Niederträchtigkeit sie verurteilen, so gelangt sie zum Triumphe!«

Sie erhob das Haupt wieder und von diesem Augenblicke an verleugnete sich ihre Stärke nicht mehr.

Der, welcher gleichzeitig mit ihr sterben sollte, hatte bei weitem nicht diesen Mut. Das letzte Werk der Madame Roland war ein Werk der Selbstverleugnung und christlichen Liebe. Sie weihte die Stunde, die ihr zum Leben übrig blieb, dem Unbekannten, den sie an ihrer Seite niedergebeugt sah; sie vergaß sich selber so weit, daß sie nur daran dachte, ihm die schreckliche Prüfung, der sie selber unterworfen war, zu erleichtern. Auf dem ganzen Wege hörte sie nicht auf, ihn zu trösten und zu stärken. Sie stellte eine Heiterkeit zur Schau, welche eine Mutter und Gattin unmöglich im Herzen empfinden konnte und die nur den Zweck hatte, Lamarche von seiner Todesfurcht zu befreien. Weder die Königin, noch Charlotte Corday, noch die Girondisten waren in gleichem Maße wie Madame Roland der Gegenstand der Wut des sogenannten Volkes gewesen. Sie hörte diese Schmähungen mit verächtlichem Lächeln; zuweilen antwortete sie mit Scherzen, welche den Schrecken und die Furcht ihres Gefährten auf einige Augenblicke verscheuchten.

Auf dem Revolutionsplatze, als Lamarche den Fuß zur Erde setzte, konnte er die düstere Ergebung, in welche ihn Madame Rolands Trost versetzt hatte, doch nicht bewahren; sein Gesicht war fahl geworden, alle seine Glieder zitterten in krampfhaftem Schauer; ein Scharfrichtergehilfe mußte ihn unterstützen. Madame Roland betrachtete ihn mit dem Ausdruck tiefen und aufrichtigen Mitleidens und sprach:

»Ich will Ihnen den Schmerz ersparen, mein Blut fließen zu sehen, gehen Sie zuerst, mein armer Herr!«

Seit dem Tode der Girondisten bestimmte der öffentliche Ankläger, in welcher Ordnung die Verurteilten hingerichtet werden sollten. Madame Roland hatte kraft ihres Geschlechts das Vorrecht erlangt, zuerst an die Reihe zu kommen, um nicht der Hinrichtung ihres Gefährten zuzusehen und den dumpfen Fall des Messers zu hören. Als sie meinem Großvater meldete, daß sie Lamarche die klägliche Gunst, zuerst hingerichtet zu werden, abtrete, antwortete er ihr, es wäre dies unmöglich, da er entgegenstehende Befehle habe.

»Nein, nein,« erwiderte Madame Roland, immer lächelnd »ich bin überzeugt, man hat Euch nicht befohlen, einer Frau die letzte Bitte abzuschlagen.«

In der Tat hatte Charles Henri nicht den Mut, sich dem Antriebe dieser edlen Seele zu widersetzen. Man trug Lamarche schon halbtot auf das Schafott; Madame Roland sah seinen Kopf fallen, ohne zu schaudern, und ging dann selber auf die Plattform. Bei Gelegenheit des Festes vom 10. August hatte man im Mittelpunkte des Revolutionsplatzes eine kolossale Statue der Freiheit errichtet, die nach der Zeremonie nicht wieder fortgenommen worden war und sich dem Schafott gegenüber befand. Madame Roland richtete das Auge auf diese Statue; man sah ein bitteres Lächeln ihre Lippen umschweben und sie sagte mit lauter und fester Stimme:

»O Freiheit, wie hat man dir mitgespielt!«

Die Scharfrichtergehilfen stießen sie unter das schreckliche Fallbeil; sie leistete ihnen Widerstand, um sich zuvor vor dem Sinnbilde, welches ihr Abgott gewesen war, zu verneigen. Eine Minute später hatte sie aufgehört zu leben.

Bailly

Die berühmten Opfer folgten ohne Aufhören nach einander; der 21. Brumaire kennzeichnete sich noch durch den Tod eines der Gründer der Freiheit, Bailly.

Die Hinrichtung des letzteren ist mit so gehässigen Umständen verbunden, daß die meisten Geschichtschreiber der Revolution sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, diejenige Partei zu beschimpfen, welche solche Verletzungen des menschlichen Gefühls anbefahl oder duldete; sie haben Baillys Tod in allen Einzelheiten erzählt; notwendigerweise ließen sie sich aber von der Lebhaftigkeit ihrer Eindrücke bewegen, ein schon schreckliches Gemälde noch zu überladen. Anderseits haben die demokratischen Schriftsteller sich nicht mit einer genauen Darstellung der Tatsachen begnügt; ohne zu entschuldigen, was sich nicht entschuldigen läßt, versuchten sie doch, die Kommune, welche man stark im Verdacht hatte, zu solchen Akten wilder Grausamkeit ermutigt zu haben, die man sogar vollständig überwiesen hat, daß sie dieselben mit barbarischer Gleichgültigkeit gestattete, von der Verantwortlichkeit freizusprechen. Daraus ergibt sich, daß jene, dem Andenken der Jakobiner treu ergeben, sich nicht weniger parteiisch zeigten, als es ihre Gegner in ihrem Hasse waren, und daß die wahrhafte Erzählung von der Hinrichtung Baillys noch übrigbleibt. Dies will ich unternehmen mit Hilfe der ziemlich umständlichen Notizen, welche mein Großvater hinterließ, und der Mitteilungen, die ich meinem Vater verdanke, welcher der Hinrichtung des ehemaligen Maires von Paris ebenfalls beiwohnte.

Jean Sylvain Bailly wurde am 15. September 1736 zu Paris geboren. Er war der Sohn des Jacques Bailly, des Aufsehers der königlichen Gemäldegalerie, und hatte ausgezeichnete Maler zu Ahnen. Aus jugendlicher Neigung hatte er sich mit der Literatur beschäftigt. Sein erstes Werk war eine Tragödie, betitelt Clotar, deren Hauptepisode, einem sonderbaren Zufall nach, den Tod eines Palastaufsehers behandelt, der von dem Volke massakriert wird. Darauf hatte er wissenschaftliche Briefe verfaßt und die Denkschrift über das Licht der Trabanten, welche er im Jahre 1771 veröffentlichte, wies ihm einen Rang unter den ausgezeichnetsten Astronomen an. Im Jahre 1775 erschien der erste Band seiner Geschichte der alten und neueren Astronomie und 1787 die drei Bände seiner Geschichte der indischen und orientalischen Astronomie. Als Mitglied der drei französischen Akademien und Verfasser zahlreicher philantropischer Denkschriften war Bailly der Wahl seiner Mitbürger ebensowohl durch seinen wissenschaftlichen Ruf wie durch seine Freisinnigkeit empfohlen. Als Deputierter von Paris in der Nationalversammlung, die ihn zum Präsidenten wählte, führte er den Vorsitz bei der berühmten Sitzung im Ballhause. Am 16. Juli 1789 zum Maire von Paris ernannt, nahm er diese gefahrvolle Ehrenstelle mehr aus Patriotismus als aus Klugheit an; seine Volksbeliebtheit verblendete ihn; er glaubte, dieselbe sei so fest, daß ihm seine neue Amtstätigkeit dadurch erleichtert würde, erkannte aber sehr bald, daß diese Popularität ihm nicht mehr folgte, als er die Rolle eines Führers zu spielen begann. Als aufrichtiger Konstitutioneller nahm er die Verantwortlichkeit für das blutige Einschreiten auf dem Bundesfelde auf sich. Die beiden am Morgen begangenen Mordtaten, der Schuß, der auf den Adjutanten Lafayettes gerichtet wurde, die Befehle der Nationalversammlung, die sich in bezug auf die vorläufige Absetzung des Königs für unumschränkt erklärte, rechtfertigten die Verkündigung des Kriegsgesetzes; außerdem schien es erwiesen, daß die Füsillade, welche so bejammernswerte Erfolge hatte, zu jenen Ereignissen gehörte, welche die Parteien zu ihrem Vorteil ausbeuten, ohne jemals einzugestehen, daß sie dieselben verschuldeten, und daß der Befehl, auf die Menge, welche die Stufen des Altars des Vaterlandes besetzt hielt, zu schießen, Bailly nicht zugeschrieben werden kann. Wie es auch um seine Unschuld stehen mochte, so gaben doch am folgenden Tage tausend Stimmen in der Presse und die Stimmen, welche von den Tribünen der Jakobiner erschollen, den armen Gelehrten dem Hasse und der Verachtung des Volkes preis. Einer der Gemäßigtsten schrieb, indem er sich an dem Maire von Paris wendete:

»Dieser Tag wird dir bis zum letzten Tage deines Lebens Gift bereiten!«

Bailly bot seine Entlassung an, welche aber abgewiesen wurde; erst in den ersten Tagen des November gelang es ihm, sich seines Amtes zu entledigen. In dem Prozeß der Königin trat er als Zeuge auf und Hermans Sprache und Haltung ließen ihm keinen Zweifel über sein nahes Geschick.

In der Tat erschien er am 19. Brumaire seinerseits vor dem Tribunal. Das Gemetzel auf dem Marsfelde war nicht der einzige Beschwerdepunkt, welchen die Anklage gegen Bailly hervorhob; sie warf ihm noch vor, die Sieger der Bastille untereinander aufgereizt zu haben, indem er die französische Garde vermocht habe, die Dekoration, womit das Dekret vom 19. Juni 1790 sie beehrte, abzulegen; sie beschuldigte ihn endlich, im Einverständnis mit Lafayette die Flucht des Königs nach Varennes begünstigt zu haben. Die Abgeschmacktheit dieser Erdichtungen, welche sich bereits in den Verhandlungen bei dem Prozeß der Marie-Antoinette offenbarte, braucht hier nicht weiter bewiesen zu werden. Eine große Anzahl Zeugen wurden gehört; alle belasteten den Angeklagten, doch ließ sich nicht verkennen, daß die Mehrzahl von ihnen zu gleicher Zeit ein Zeugnis ihres eigenen Hasses gegen denselben ablegten.

Das Verhör währte bis zum späten Abende und wurde am nächsten Tage wieder aufgenommen. Als Bailly mit Einstimmigkeit zum Tode verurteilt wurde, hörte er den Urteilsspruch mit der Festigkeit eines Weisen.

F. Arago erzählt in seiner Lebensbeschreibung Baillys, derselbe habe, als man ihn in sein Gefängnis zurückgeführt, seinen Neffen zu einer Partie Pikett aufgefordert und in der Mitte des Spiels lächelnd die Worte gesprochen:

»Wir wollen einen Augenblick anhalten, mein Freund, und eine Prise Tabak nehmen; morgen werde ich dieses Vergnügens beraubt sein, da man mir die Hände auf den Rücken gebunden haben wird.«

Das Urteil enthielt die Bestimmung, daß Bailly auf dem Schauplatze des Verbrechens, welches seine Verurteilung begründete, hingerichtet werden sollte.

Ich habe bereits gesagt, daß der Scharfrichter sich jeden Tag nach der Kanzlei oder zum öffentlichen Ankläger begab, um Befehle zu empfangen; dorthin ging er am 20. Brumaire, als er dem Gerichtsdiener auf einem der Flure begegnete, der mit einem Geschworenen namens Chrétien plauderte. Dieser rief ihm zu: »Es gibt heute nichts zu tun!« und schickte ihn zurück, ohne ihn mit Vorkehrungen für den folgenden Tag zu beauftragen. Erst am 21. um neun Uhr morgens erhielt Charles Henri den Befehl, die Guillotine abbrechen und nach dem Bundesfelde bringen zu lassen.

Er bedurfte einiger Zeit, um seine Leute zu sammeln, so daß es schon zehn Uhr vorüber war, als jene nach dem Revolutionsplatze aufbrachen.

Fouquier-Tinville hatte zur Aufstellung des Schafotts den Raum zwischen dem Altar des Vaterlandes und dem Gros-Caillou bezeichnet, das heißt denselben Platz, welchen die Truppen, die auf das Volk geschossen hatten, besetzten. Mein Vater übernahm es, das Todesgerät wegbringen und wieder aufstellen zu lassen; mein Großvater teilte ihm die Instruktionen mit und begab sich in die Conciergerie, wo er gegen halb zwölf Uhr anlangte. In dem Augenblick, als er eintrat, begegnete er Hébert, welcher herauskam und ihn grüßte. Bailly wurde bald darauf in das Vorzimmer der Kanzlei geführt. Es ist sehr wahr, was Franz Arago berichtet, daß nämlich die Volksmenge nicht mit den Mißhandlungen begann, welche dem unglücklichen Gelehrten einen so bitteren Todeskampf verursachten. Die Kerkermeister der Conciergerie, die sich gewöhnlich grob und zuweilen sogar viehisch gegen die Gefangenen benahmen, behandelten Bailly mit einer Roheit, die sich nur aus den ihnen erteilten Befehlen erklären läßt. Einer von ihnen nahm den Ton eines anmeldenden Bedienten an und rief in dem Augenblick, als er in das Kanzleizimmer trat:

»Herr Bailly, ehemaliger Schlächter des ehemaligen Tyrannen!«

Ein anderer stieß ihn, als er sich niederbückte, um seine Strumpfbänder festzubinden, so heftig, daß er beinahe auf den Rücken gefallen wäre, und rief einem dritten seiner Kameraden zu:

»Da, nimm du den Bailly!«

Dieser stieß ihn wieder dem ersteren zu und in dieser Weise warfen sie ihn eine Zeitlang unter den unanständigsten Späßen hin und her.

Bault und der Gerichtsschreiber Nappier wohnten diesem grausamen Auftritte bei. Charles Henri fragte Bault, wie er ein solches Betragen seiner Untergebenen dulden könne, worauf Bault die Achseln zuckte und antwortete:

»Was soll ich dabei tun!«

Der Gerichtsschreiber lachte zustimmend.

Jetzt fiel meinem Großvater ein, daß ihm wenige Augenblicke vorher Hébert begegnet war und daß dieser wahrscheinlich von dem Vorgefallenen Kenntnis habe. Er täuschte sich nicht, denn Bault gestand ihm späterhin, daß der Gemeindesubstitut diese Männer gegen Bailly aufgehetzt habe.

Als Charles Henri sah, daß der Unglückliche auf dieser Welt keine andere Hilfe zu erwarten habe als den Tod, trieb er seine Gehilfen an, sich des Verurteilten zu bemächtigen und ihm die Hände zu binden.

Die Grausamkeit seiner Kerkermeister hatte den Mut des berühmten Gelehrten nicht erschüttert; mit seiner festen Ruhe vereinte sich noch eine besondere Gutmütigkeit. Den unwürdigen Späßen seiner Kerkermeister hatte er eine unerschütterliche Sanftmut entgegengesetzt und sich damit begnügt, mehrere Male mit leiser Stimme zu sagen:

»Ihr tut mir wehe!«

Als die Gehilfen ihn seinen Verfolgern entrissen, ordnete er sein Hemd, indem er, lächelnd sagte:

»Ich bin ein wenig zu alt für solche Spiele.« Als das Ankleiden beendet war, und mein Großvater ihn ersuchte, seinen Rock anzuziehen, weil der Morgen kalt sei, antwortete er:

»Fürchtet ihr denn, daß ich den Schnupfen bekommen könnte?«

Thiers erzählt in seiner Geschichte der Revolution, Bailly sei zu Fuß zum Tode geführt worden; dies ist nicht richtig. Der ehemalige Maire von Paris teilte das Vorrecht aller Verurteilten; er wurde, wie sie auf einem Karren zum Schafott befördert.

Hinten an diesen Karren hatte man eine rote Fahne befestigt, die laut dem Urteilsspruch vor dem Verurteilten durch die Hand des Henkers verbrannt werden sollte.

Man verließ die Conciergerie um Dreiviertel auf zwölf Uhr. Als der Karren auf den Kai hinauskam, wurde er mit betäubendem Geschrei begrüßt und von einer Volksmenge umringt, in welcher mein Großvater den Heerbann und das Aufgebot der gewöhnlichen Besucher des Revolutionsplatzes erkannte. Die Kriegsschar der Kannibalen war durchaus vollständig; jener Auswurf des weiblichen Geschlechts, den man mit dem Namen »Guillotineablecker« gebrandmarkt hatte, machte sich durch seine Kühnheit und durch seinen übertriebenen Haß bemerkbar.

Bis zum Revolutionsplatze jedoch bekundete sich die Wut des Volkes nur durch Beleidigungen und Drohungen; man warf nicht gegen den Karren.

Bailly saß und unterhielt sich mit meinem Großvater mit unglaublicher Ruhe und Freiheit des Geistes. Er sprach von allem, nur nicht von sich. Er befragte Charles Henri über die letzten Augenblicke der früher Hingerichteten, Custines, der Charlotte Corday und der Königin; bald darauf fragte er ihn über die Einkünfte seines Amtes, und zwar mit solcher Ruhe, als ob er in seinem Kabinett im Stadthause säße und als Magistratsbeamter einen seiner Untergebenen zu vernehmen hätte.

Als der Wagen die Höhe der elyseischen Felder erreicht hatte, kam ein Gehilfe nachgelaufen. Die Zimmerleute hatten in der Eile einige Bohlen vergessen, welche zum Fußboden des Schafotts verwendet werden sollten. Man mußte wieder umlenken und diese auf den Karren laden, auf welchem sich der Verurteilte befand.

Dieser Halt war nicht ohne Gefahr. Bailly war abgestiegen. Zweimal machte die Menge den Versuch, sich auf ihn zu stürzen, aber die Gendarmen benahmen sich mutig und gefaßt und es gelang ihnen, die Anstürmenden zurückzutreiben.

Der Zug setzte sich endlich wieder in Bewegung, aber die Stücke Holz, welche sich auf dem Wagen befanden und von den Stößen erschüttert wurden, waren dem armen Bailly durchaus hinderlich. Mein Großvater schlug ihm vor, zu Fuß zu gehen und er nahm es an. Man stieg ab. Der Weg war so schlecht, daß die Männer der Geleitschaft sich weiter voneinander trennten. Die Menge, welche nicht den gleichen Widerwillen gegen den Schmutz hatte, benutzte dies, um sich dem Delinquenten zu nähern; durch diese fast unmittelbare Berührung steigerte sich ihre Wut zur Raserei und das Geschrei nahm eine doppelte Kraft an.

Man hatte noch nicht zweihundert Schritte zurückgelegt, als ein Taugenichts von etwa fünfzehn Jahren den Rock, welchen Bailly über seine Schultern geworfen hatte, herabriß; durch den heftigen Ruck fiel der Unglückliche rückwärts. In einem Augenblick war der Rock in tausend Fetzen zerrissen und die, Wütenden machten nochmals den Versuch, sich des Verurteilten zu bemächtigen, der nur von dem Scharfrichter und seinem Gehilfen umgeben war. Noch einmal wurde er durch das Einschreiten der Gendarmen gerettet.

Mein Großvater ließ ihn eilig wieder auf den Karren steigen, aber der Antrieb war einmal gegeben; die Elenden, welche sie umgaben, waren entweder des Geheuls müde oder fühlten den Durst nach einer befriedigenderen Rache: sie begannen einen Hagel von Wurfgeschossen aller Art auf den Delinquenten regnen zu lassen. Mein Großvater gab Bailly den Rat, sich auf die Bohlen zu setzen; kaum aber bemerkte die Menge ihr Schlachtopfer nicht mehr, als sie ihr Geschrei verdoppelte und abermals mit Steinen warf.

Bailly stand auf und sagte zum Scharfrichter:

»Euer Rat ist entschieden schlecht, man muß immer dem Sturm die Spitze bieten.«

Als Charles Henri sich beklagte und gegen die Menge eiferte, fügte er hinzu:

»Es wäre verdrießlich, wenn man gelernt hätte, siebenundfünfzig Jahre mit Ehren zu leben und nicht verstände, eine Viertelstunde lang mutig zu sterben.«

Der Weg wurde ziemlich schnell zurückgelegt; es war halb zwei Uhr, als man auf dem Bundesfelde ankam. Das Schafott war errichtet und von drei- bis viertausend Menschen umringt. Es waren meistens Bewohner von Gros-Caillou und von Grenelle; darunter befanden sich aber in erster Reihe einige jener kräftigen Gestalten, die man bei allen Volksbewegungen findet; diese Individuen warteten wahrscheinlich auf den Zug, denn sie halfen den Ankommenden die Neugierigen zurücktreiben um sich um die Guillotine zu stellen.

Die Befürchtung Charles Henris vergrößerte sich mehr und mehr. Als er sah, wie sich diese Menge hinter dem schwachen Geleit schloß, begriff er, daß der Delinquent allen jenen Männern preisgegeben sei und daß es die Menschlichkeit geböte, ein schnelles Ende mit ihm zu machen, um ihm schreckliche Qualen zu ersparen. Er drängte seine Arbeiter, so schnell wie möglich die Bohlen des Fußbodens zusammenzulegen; inzwischen aber wurden die Schimpfreden und abgeschmackten Witze in Rufe verwandelt, die sich nicht mehr gegen Bailly, sondern gegen den Scharfrichter richteten; letzterer wurde zu gleicher Zeit von etwa zwanzig der erwähnten Rädelsführer umringt und sie erklärten ihm, der Boden, der das Blut der Märtyrer getrunken hätte, dürfe nicht von dem Blute eines Verbrechers besudelt und Bailly nicht auf dem Bundesfelde hingerichtet werden. Mein Großvater stellte ihnen die Befehle, die er erhalten, entgegen.

»Was für Befehle?« fragte einer jener Männer, »das souveräne Volk, dein Herr, hat allein das Recht, dir Befehle zu erteilen; gehorche!«

Als Charles Henri einen Offizier der Gendarmen herbeirief, um sich mit ihm zu beraten, rief ein anderer:

»Du kannst das Kriegsgesetz verkünden, denn du hast die rote Fahne und Bailly unter der Hand; was uns betrifft, so werden wir die Guillotine an den wahren Ort bringen; wir nehmen das Geschäft auf uns, Tagedieb!«

Man hörte ein lärmendes Beifallsgeschrei und es folgte ein Auftritt unbeschreiblicher Verwirrung.

Die Gendarmen hatten sich zerstreut; Leute aus dem Volke gaben ihnen zu trinken, unter dem Vorwande, sich mit ihnen zu verbrüdern; andere halfen den Zimmerleuten die Guillotine abbrechen. Mein Großvater war von dem unglücklichen Bailly getrennt worden, den eine Flut des bewegten Meeres fortgerissen hatte, und nur mit großer Mühe konnte er wieder zu ihm gelangen. Von diesem Augenblick an begann erst die traurige Todesqual des ehrwürdigen Gelehrten.

An dem Schmutz, der sein Hemd und sein Gesicht besudelte, und aus einer Wunde auf seiner Stirn, aus welcher einige Tropfen Blut rieselten, konnte man deutlich sehen, daß die Wut jener Wilden sich soweit vergessen hatte, ihn zu schlagen. Alles, was der Wahnsinn der Wut an Verwünschungen erfinden kann, hatten ihm die von Galle berauschten Megären in das Antlitz gegeifert; die Männer waren nicht weniger erbittert; einige erhoben die Faust gegen den Unglücklichen, dessen Hände gebunden waren; andere langten mit einem Stock über die Köpfe ihrer Nachbarn, um ihn zu treffen.

Bailly hatte seine gleichmäßige Ruhe bewahrt, aber sein Antlitz war sehr bleich. Sobald er Charles Henri erkannte, rief er ihn mit seinen Blicken; der arme Bailly sah keinen anderen Freund, als seinen Henker. In dem Augenblick, als dieser zu ihm trat, sagte er:

»Ach, ich hoffte früher zu Ende zu kommen!«

Einer der Gehilfen war bei dem Verurteilten geblieben, der andere verschwunden. Zwei edelmütige Bürger, ein Regimentsquartiermeister namens Beaulieu und ein Gendarm namens Lebidois, schlossen sich dem Gerichtsgefolge an; mit ihrer Hilfe gelang es wenigstens, die ferneren Mißhandlungen zu verhindern. Beaulieu redete die Menge an; er schmeichelte geschickt ihrem Rachedurst, stellte aber zu gleicher Zeit vor, daß die Nation den Verurteilten ihren Beamten anvertraut habe und daß nur ein schlechter Bürger einen anderen Bürger an der gerechten und gesetzmäßigen Ausübung seines Amtes hindere. Einige der Wütenden versuchten Beaulieu zu unterbrechen und ihm mit spöttischem Gelächter zu antworten; seine starke und tönende Stimme war aber in den ferneren Reihen gehört worden, und fand einen Widerhall in rechtschaffenen Herzen; man rief ihm Beifall zu und die Elenden schwiegen auf einige Augenblicke.

Beaulieu sah ein, daß es gefährlich sei, auf dem Platze zu bleiben; in der Hoffnung, sich von den unheilverkündenden Gestalten, welche ihn umgaben, freizumachen, namentlich die Menge abzulenken, schlug er vor, Bailly selber den Ort des Schafotts wählen zu lassen. Diesem Gedanken pflichtete man mit Begeisterung bei und begab sich sogleich auf den Weg. Beaulieu hielt einen Arm des Verurteilten, Charles Henri den anderen; der Gendarm und der Gehilfe gingen unmittelbar hinter ihm.

Dieser Zug hat zu der Fabel Veranlassung gegeben, daß das Schlachtopfer zu einem Spaziergange um das Bundesfeld gezwungen worden sei. Es ist falsch, daß man Bailly genötigt habe, die Bretter der Guillotine auf seinem Rücken zu tragen. Wie schon gesagt, wurde die Maschine von den Arbeitsleuten meines Vaters und unter Hilfe von Leuten aus dem Volke abgebrochen. Es ist wahr, daß einige Männer, und namentlich junge Leute, eine halb wilde und halb kindische Prahlerei darein setzten, sich mit den auffallendsten Stücken des Schafotts zu beladen und die Menge mit dieser entsetzlichen Last zu durchschreiten; das ganze Zimmergerüst wurde jedoch auf zwei auf dem Platze befindlichen Karren fortgeschafft.

Herr von Lamartine folgte mehr seinem poetischen Antriebe als der weisen Mäßigung des Geschichtschreibers, wenn er erzählt, man hätte Bailly gezwungen, die Erde zu belecken, wo das Blut des Volles geflossen sei.

Wählend der drei Viertelstunden, welche zwischen der Ankunft auf dem Bundesfelde und der Hinrichtung verliefen, hatte der arme Märtyrer freilich grausamen Schimpf zu erleiden; das Einschreiten derjenigen, welche die Pflicht hatten, ihn zu schützen, war allerdings nicht immer wirksam; aber der einmal begonnene brutale Angriff erneuerte sich nicht mehr; neben jenen Individuen, welche den Auftrag zu haben schienen, die scheußlichen Triebe des Pöbels anzureizen, befanden sich mitten unter dieser Menge auch Männer von Herz, welche jenen Greueln nachdrücklich entgegentraten.

Warum soll man die Wahrheit noch übertreiben, wenn sie schon betrübend genug ist? Das Leben eines tugendhaften Mannes, welches zum Spielzeug und zum Gelächter einiger Wahnsinnigen geworden ist, der Anblick dieses großen Bürgers, dessen Vorsitz an einem berühmten Tage ihn der Achtung ganzer Generationen empfahl, ohne Verteidigung den wilden Leidenschaften des niedrigsten Pöbels der Welt anheimgegeben; ein Unglücklicher, der da Hingetrieben wird, das Schafott als die wohltätigste Einrichtung menschlicher Satzungen anzusehen, ist dies nicht genügend, um eine Einbildungskraft, welche das Schrecklichste sucht, zu befriedigen?

Bailly war an das äußerste linke Ende des Bundesfeldes nach der Flußseite hin geführt worden; dort wurde nach langem Hin- und Herreden zwischen den Rädelsführers das Schafott in dem Graben, welcher die Einschließung umgab, aufgerichtet.

Es fiel ein feiner und eisiger Herbstregen. Bailly hatte nichts mehr auf dem Leibe als sein zerfetztes Hemd, welches stellenweise sein verwundetes Fleisch sehen ließ. Er schauderte und klapperte mit den Zähnen. In diesem Augenblick sagte einer der Männer, die sich um ihn drängten:

»Du zitterst, Bailly?«

Darauf gab er die berühmte Antwort:

»Mein Freund, ich zittere nur, weil mich friert.«

Die Einfachheit und Sanftmut, mit der er diese Worte sprach, war noch erhabener als die Antwort selber. So viele Angriffe und Qualen hatten seinen Mut noch nicht erschüttert; aber seine Kräfte fingen an, ihn zu verlassen, er wurde sichtlich schwach. Erlag denn also diese starke Seele im Kampfe? War es der schwache, erschöpfte, von der Kälte gelähmte Körper, der ihrem Willen Widerstand leistete? Bailly lehnte den Kopf zurück, schloß die Augen und glitt wie ohnmächtig in die Arme des Gendarmen und Scharfrichters, indem er wiederholt die Worte murmelte:

»Gebt mir zu trinken, zu trinken!«

Irgend jemand, ich nehme Anstand, ein solches Ungeheuer näher zu bezeichnen, warf ihm in diesem Augenblick flüssigen Kot in das Gesicht. Diese Handlung empörte selbst die Herzen, die sich bis dahin steinern gezeigt hatten: sie wurde mit einem allgemeinen Schrei des Unwillens aufgenommen. Einer der Zuschauer lief nach dem Schafott und brachte eine Flasche, in welcher sich ein wenig Wein befand. Diesen flößte er in Baillys halbgeöffnete Lippen; er kam wieder zu sich und sprach: »Ich danke« mit seinem bewundernswerten Lächeln, dem Lächeln des wahrhaften Menschenfreundes, sagte mein Vater, mit einem Lächeln, das man niemals wieder vergißt, wenn man es einmal gesehen hat.

Während Baillys Ohnmacht hatte sich die Volkswut gelegt; nur noch einmal zeigte sie sich in dem Augenblick, als man ihn in den Graben zur Guillotine hinabsteigen ließ, aber mit geringer Heftigkeit.

Das Volk wurde bereits eines schönen Todes müde. Vielleicht schien ihm die Sündhaftigkeit der Opfer die höchste Verachtung gegen die Macht, worauf es sich soviel einbildete, auszudrücken. Vielleicht hatte jene unerschütterliche Gleichgültigkeit gegen den von allen Menschen gefürchteten Augenblick etwas übermenschliches, das seine Einbildungskraft nicht enträtseln konnte? Der gewöhnliche Tod, wobei der Delinquent sich, sei es aus Schwäche, sei es aus Furcht, dem gemeinsten seiner Mitmenschen nähert, fand viel leichter als jener den Weg zum Mitleid der Menge. Sie war ohne Mitgefühl gegen Bailly, der ihren Beleidigungen, Drohungen und brutalen Mißhandlungen eine ruhige und heitere Stirn bot; sie wurde schüchterner in der Kundgebung ihrer Wut, als sie bemerkte, daß das Opfer schwankte und der Gebrechlichkeit unseres elenden Körpers unterlag.

Man mußte Bailly unterstützen, als er die Stufen zum Schafott hinabstieg; als er unten war, lächelte er, als ob sein Herz sich erleichtert fühlte und sagte zu Charles Henri:

»Schnell, mein Herr, sputen Sie sich, ich bitte darum!«

Ach, dieser letzte Wunsch sollte noch nicht erfüllt werden! Das Urteil bestimmte, daß die rote Fahne vor dem ehemaligen Maire von Paris durch Henkershand verbrannt werden sollte. Dieser Formalität mußte genügt werden; aber das herbeigebrachte Feuerbecken war sehr schlecht in Glut gesetzt, und die Flamme versengte nur den durchnäßten Stoff, der wegen seiner wolligen Bestandteile überhaupt nicht leicht Feuer faßte. Man brach eine Planke vom Schafott ab, spaltete diese in dünne Stücke und zündete eine Lohe an, welche die Fahne schnell verzehrte.

Die Fabel, wonach der Scharfrichter dem Delinquenten die brennende Fahne unter die Nase gehalten und die Flamme die Kleidungsstücke Vaillys ergriffen haben soll, verdient keinen Glauben.

Diese Vorbereitungen hatten indes Zeit geraubt und der Leidende wurde immer schwächer; er war nahe daran, zum zweiten Male in Ohnmacht zu fallen. Als alle Bestimmungen des Urteilsspruches erfüllt waren, näherte sich mein Großvater dem Verurteilten; dieser merkte, daß er sich dem Ende seiner Leiden nähere und schien sich wieder zu erholen. Charles Henri führte ihn zum Fallbrett und half ihn dort befestigen; während er ihn festschnallte, sagte er zu ihm:

»Mut, Mut, Herr Bailly!«

Der erhabene Märtyrer wendete den Kopf nach rechts und antwortete mit vollkommen deutlicher Stimme:

»Ha, jetzt bin ich dem Hafen nahe und...«

Der Fall des Beils, welches ein Gehilfe niederließ, gestattete ihm nicht, seine Rede zu vollenden.

Tagebuch des Charles Henri Sanson

Madame Dubarry, Biron, die Cordeliers.

28. Brumaire. Heute morgen waren wir in der Conciergere; als ich mich in dem Vorzimmer der Kanzlei befand, kamen zwei Bürger vorbei, die man zum Verhör führte; einer derselben, der ein Militär namens Boisguyon sein soll, näherte sich mir und sagte mit ganz auffallender Höflichkeit:

»Habe ich die Ehre, mit dem Bürger Scharfrichter zu sprechen? Nicht wahr, Bürger, es ist bei Ihnen wie beim Tanze: sobald man sich gestellt hat, fangen die Geigen, das heißt hier das Fallbrett, an aufzuspielen, so daß einem nicht mehr die Zeit bleibt, auch nur zwei Worte zu sprechen?«

Ich antwortete zustimmend.

Darauf wendete er sich an seinen Gefährten und sprach:

»Sie sehen, Dupré, daß ich recht habe und daß Sie Ihre Rolle sehr schlecht gespielt haben. Wir hätten Fouquier bitten sollen, daß er dem Bürger erlaubte, unsere Probe zu leiten!«

Die Gendarmen führten sie ab, aber man hörte sie noch im Fortgehen lachen. Er spielte bereits auf eine Parodie der Hinrichtung an, welche seitdem den Gefangenen zu großer Zerstreuung gereichte. Die Heiterkeit jener Leute flößte mir Entsetzen ein.

Heute, am 30. Brumaire, hat die Sektion der Unité den Nachlaß des Aberglaubens aus der ehemaligen Abtei von Saint-Germain-des-Prés dem Konvente überbracht. Ich sah den Zug vorbeikommen. An der Spitze marschierte eine Rotte der bewaffneten Macht; dann folgten Männer, welche die priesterlichen Kostüme über ihre Kleider gezogen hatten und in zwei Reihen gingen. In der Mitte Frauen und weißgekleidete Mädchen mit dreifarbigen Schärpen, endlich auf Tragbahren Kelche, Ziborien, Monstranzen, Kandelaber, goldene und silberne Schüsseln und der ganz mit Edelsteinen bedeckte Reliquienkasten. Dann folgte zuletzt ein mit schwarzem Tuch bedeckter Katafalk und ein Musikkorps, welches das Marlboroughlied spielte. Diese Beute soll mehr als eine Million wert sein; war es aber nicht besser, sie in dem Kasten zu lassen, als sie offen über den Straßenkot zu tragen? Das Tribunal hat uns Ferien gegeben; solche Tage fangen bereits an selten zu werden.

1. Frimaire. Wir haben den armen Bürger Boisguyon abgeholt, der sich so über die Guillotine gefreut hatte. Als man ihn abführte, sagte er:

»Heute gibt es etwas Gutes, Ihr werdet Euch wundern, wie ich meine Rolle zu spielen verstehe.«

Mit ihm war Girey-Dupré, mit Brissot an der Redaktion des »Französischen Patrioten« beteiligt. Letzterer hatte sich vor dem Verhör von dem Friseur des Gefängnisses das Haar zurechtmachen lassen; er erschien im Schafottkostüm in dem Verhör und sprach', indem er sich vor mir hin- und herdrehte:

»Hoffentlich fehlt nichts als die Schnüre, für die Ihr allein einzustehen habt.«

Dabei hielt er mir die Hände hin, daß man sie binde. Er schien sehr aufgeregt. Ein vom Kriminalgericht verurteilter Landmann, Colombier, ein Verfertiger falscher Assignaten, sollte mit ihnen sterben. Sie bestiegen alle drei einen Karren. Der Bauer war sehr bestürzt und suchte dem Bürger Boisguyon zu beweisen, daß er unschuldig sei. Dieser versuchte ihn mit den Worten zu trösten:

»Wenn ein zweimaliger Tod dich retten könnte, würde ich es auf mich nehmen, denn jetzt, da ich dabei bin, scheint es mir nur eine leichte Sache; da dies aber unmöglich ist, so spare deine Gründe für den lieben Gott auf, vor dem wir stehen werden, ehe zwei Stunden vergangen sind.«

Als wir durch die Straße Honoré kamen, zeigten sich zwei Frauen an einem Fenster von Duplays Hause, welches der Bürger Robespierre bewohnt. Kaum hatte Girey-Dupré, der dieses Haus Boisguyon zeigte, sie bemerkt, als er aus Leibeskräften rief:

»Nieder mit dem Cromwell! Nieder mit dem Diktator, dem Tyrannen!«

Juglet, der Gendarmenoffizier, versuchte vergeblich, ihn zum Schweigen zu bringen.

7. Frimaire. Das Brot ist selten in der Stadt. Um welches zu erhalten, muß man sich an der Tür des Bäckers aufstellen. Die Frauen nehmen dort schon am Abend ihren Platz und zuweilen die Nacht durch; doch löst man sich ab. Es müßte eigentlich ein kläglicher Auftritt sein, so viele Menschen in Ungewißheit über den folgenden Tag ihrer Familien zu sehen; aber unsere Mitbürger wissen sich über alles und überall zu belustigen. Heute Nacht standen mehr als fünfhundert Personen vor der Tür des Bäckers, der in unserer Straße wohnt; obgleich es kalt war, sangen sie; man hörte lautes Gelächter und mehrere Stimmen riefen, wie vor einem Schauspiel: »Platz zum Verkaufen!« Unglücklicherweise verläuft solche Heiterkeit nicht ohne Unordnung und mancher Ehemann beklagt sich darüber.

9. Frimaire. Heute fielen fünf Köpfe, zwei von berühmten Männern: von Barnave, dem Exdeputierten, den ich am Tage der Rückkehr des Königs in der königlichen Kutsche an Marie-Antoinettes Seite gesehen hatte, und von Duport du Tertre, der Justizminister gewesen war. Man sagt, der Bürger Danton hätte Barnave zu retten versucht; nach dem bestehenden Gesetze aber genügt die Anzeige eines Kindes, um einen Mann unter das Messer zu bringen, und dem Willen des Ersten der Republik würde es nicht gelingen, ihn davon zu retten. Die Hinrichtung sollte im Laufe des Tages stattfinden; aber die Verurteilten verdankten dem Glatteise, einen Tag länger leben zu können. Um elf Uhr brachte man zum Anzuge herbei: Barnave, Duport, den Bürger Benolt Grandel, der verurteilt war, weil er auf ein Assignat geschrieben hatte: »Es lebe der König!«; den Bürger Vervitch und die Bürgerin Vervitch, die Schwester des letzteren, der Verschwörung schuldig. Barnave und du Tertre waren sehr mutig und ruhig. Der erste schritt hastig auf mich zu und zeigte mir seine Hände mit den Worten:

»Binde diese Hände, welche die erste Erklärung der Rechte niedergeschrieben haben!«

Als er fertig war und während man sich mit der wehklagenden Bürgerin Vervitch beschäftigte, sprach er mit dem Bürger Duport und schien sich sehr zu ereifern.

Es waren zwei Karren vorhanden; die Bürger-Exdeputierten stiegen mit mir in den ersten, die anderen mit Henri in den zweiten. Während des Zuges setzten die beiden Verurteilten ihre Unterhaltung fort; sie sprachen über die Republik und behaupteten, daß ihr naher Untergang auch den der Freiheit mit sich führen würde. Das Geschrei in der Umgebung der Karren nahm kein Ende; mehrmals hörte man in diesem Lärm das Wort »Varennes« rufen. Eine Stimme rief spöttisch:

»So jung, so beredt, so mutig, es ist wirklich schade!«

Und Barnave antwortete stolz:

»Du hast recht.«

Die Bürgerin Vervitch wurde zuerst hingerichtet; man trug sie halbtot auf das Schafott; nach ihr guillotinierte man ihren Bruder, den Pfarrer, darauf den weinenden Benoît Grandel, dann Duport du Tertre und zuletzt Barnave. Dieser betrachtete die Guillotine sehr aufmerksam und sagte:

»Damit wird man also die Dienste belohnen, die ich der Freiheit geleistet habe.«

11. Frimaire. Die schönsten Frauen von Paris erbieten sich, unsere neue Göttin, die Vernunft, darzustellen; man wird nur durch die Wahl in Verlegenheit gesetzt. Ein Blatt sagte gestern, in gegenwärtiger Zeit käme jene Göttin in keine schlimmere Verlegenheit, als ein General, dem die Soldaten fehlen.

12. Frimaire. Heute Morgen wurden zwei Schuhmacher, Barthélemy Soudre und Guillaume Jean Flamant, verurteilt, beide wegen Veruntreuung der Lieferungen. Gestern nannte Vouland, ein Mitglied des Konvents und der Komitees, in der Trinkstube des Gerichtshofes die Hinrichtung durch die Guillotine die rote Messe. Ich erfuhr es von dem Geschworenen Prieur, aber heute ist es schon öffentlich und alle Welt wiederholt diesen Ausspruch. Der neue liebe Gott hat schon seinen Pilatus, der niemand anders ist als der Bürger Robespierre; er hat in der Versammlung gegen die Erfindung von Cloots und Chaumette gesprochen und seine Reden wurden vom Publikum mit größerem Beifall als die der Deputierten aufgenommen. Die Frauen, welche die Göttin nicht zu sehr lieben, benutzen dies, um ihr Gehässigkeiten nachzusagen; über die sogenannte Scheinheiligkeit des Bürgers Robespierre macht man allerlei Wortspiele, dennoch aber bleibt er sehr populär.

13. Frimaire. Heute wurde ein Beschluß der Gemeinde veröffentlicht, der bestimmt, was jemand getan und nicht getan haben muß, um einen Bürgerbrief zu erhalten; dies ist wirklich schwerer, als in das ehemalige Paradies zu kommen und der heilige Petrus macht geringere Ansprüche als der Bürger Chaumette.


1. Diejenigen, welche im Jahre 1790 aktive Bürger waren, müssen eine Bescheinigung beibringen, daß sie seit jener Zeit in die Nationalgarde eingetragen worden sind;

2. muß man Quittung über die patriotischen Beiträge und Steuern von den Jahren 1791 und 1792 vorlegen;

3. darf man seit dem 10. August nicht mehr als eine Stelle bekleidet;

4. nichts gegen die Freiheit geschrieben;

5. keinem Klub angehört haben, der in der öffentlichen Meinung geächtet ist, wie in Paris die Klubs Monarchien, Feuillant, Samte Chapelle, Massiau und Montaigu;

6. darf man aus keiner Volksgesellschaft ausgeschlossen worden sein, wie in Paris aus der der Jakobiner und der Cordeliers seit ihrer Vereinigung;

7. darf man keine der geächteten Bittschriften unterzeichnet haben, wie in Paris die der Achttausend und der Zwanzigtausend, gegen die Versetzung der Asche Voltaires und gegen die Priesterheirat; selbst nicht, wenn man auf der Stelle widerrufen hat.

Wenn dieses Dekret in Ausführung gelangen sollte, so wären drei Viertel der Pariser Bürger verdächtig.

17. Frimaire. Madame Dubarry wurde gestern abend verurteilt und heute morgen hingerichtet. Wir waren, dem Befehl gemäß, um neun Uhr im Gerichtsgebäude; es waren jedoch Enthüllungen zu erwarten, weil die Verurteilte sich mit dem Richter Denizot und dem Vertreter des Anklägers, Royer, eingeschlossen hatte. Um zehn Uhr brachte man die drei Bürger Vandenyver, den Vater und zwei Söhne, alle Mitschuldige der Madame Dubarry, und die Bürger Bonnardot und Joseph Bruniot, Verfertiger falscher Assignaten, welche vom Kriminalgericht verurteilt waren. Während die Genannten ihre Vorkehrungen trafen, erschien Madame Dubarry in dem Vorzimmer der Kanzlei. Sie stützte sich beim Gehen gegen die Wand, denn ihre Knie wankten. Ich hatte sie seit zwanzig Jahren nicht wiedergesehen und konnte sie kaum erkennen; sie war ebensowohl durch ihre zu große Beleibtheit wie durch Angst und Kummer entstellt. Als sie mich hinter den schon gefesselten Verurteilten stehen sah, stieß sie einen Schrei aus, verbarg ihre Augen hinter ihrem Taschentuche und warf sich auf die Knie, indem sie schrie:

»Ich will nicht, ich will nicht!«

Sogleich erhob sie sich wieder und fragte:

»Wo find die Richter? Ich habe noch nicht alles erklärt, nicht alles gestanden.«

Die Bürger Denizot und Royer befanden sich bei Richard mit einigen Deputierten, welche sich aus Neugierde eingefunden hatten, um die arme Frau vorbeigehen zu sehen; sie kamen sogleich herbei, weigerten sich aber, nach der Kanzlei zurückzukehren und forderten sie auf, auf der Stelle zu sprechen. Sie gab sodann einige kostbare Gegenstände an, welche in dem Hause von Lucienne verborgen oder verschiedenen Privatpersonen anvertraut waren; jeden Augenblick aber unterbrach sie sich mit Wehklagen und verwirrte sich zu wiederholten Malen, als ob ihr Hirn vom Fieber befallen wäre. Der Bürger Royer, welcher ihre Aussage niederschrieb, fragte darauf: »Ist dies alles?« und wollte sie das Protokoll unterschreiben lassen; sie stieß jedoch das Papier zurück und versicherte, sie hätte noch verschiedenes hinzuzufügen; man sah ihr an, daß sie in ihrem Gedächtnis nachsuchte. Vielleicht vermutete sie, man würde sie begnadigen, wenn sie ungeheure Summen der Konfiskation anheimstellte, und niemals in ihrer glücklichen Zeit mag sie so begierig nach den Reichtümern gewesen sein, die sie jetzt bereitwillig opferte, um dem Tode noch einige Minuten abzugewinnen. Endlich standen die Bürger Denizot und Royer auf und erklärten ihr in rauhem Tone, daß sie sich den Verfügungen der Justiz unterwerfen und die Schmach ihres vergangenen Lebens durch einen mutigen Tod austilgen möchte. Sie blieb wie vernichtet auf ihrem Stuhl sitzen. Ein Gehilfe trat zu ihr und hielt den Augenblick für günstig, ihr das Haar abzuschneiden. Beim ersten Schnitt mit der Schere sprang sie aber auf und stieß ihn zurück; zwei andere Gehilfen mußten sie binden helfen. Nun ließ sie alles mit sich geschehen, weinte aber, wie ich niemals weinen sah. Auf dem Kai befanden sich ebensoviele Menschen, wie bei der Hinrichtung der Königin und der Girondisten. Man schrie laut, aber das Geschrei des Opfers übertönte fortwährend das des Volkes. Wir konnten nicht hundert Schritte zurücklegen, ohne ihre Stimme zu vernehmen. Sie rief:

»Gute Bürger, befreiet mich, ich bin unschuldig! Ich gehöre dem Volke an, wie ihr, gute Bürger; lasset mich nicht sterben!«

Man rührte sich nicht, aber alle senkten den Kopf und schmähten sie nicht ferner. Niemals habe ich das Volk so sanftmütig gesehen. Jacot verschwendete seine Grimassen vergeblich. Ich erkannte die Leute von der Guillotine nicht wieder, und doch waren es dieselben, die sich bei dem Tode des Bürgers Bailly so hartherzig zeigten. Auf einige Augenblicke hielt die Verurteilte zu schreien inne; ihr Gesicht, das bisher dunkelrot gewesen, wurde bleich. Sie fiel wie tot gegen die Wagenleiter und wurde von einer Seite zur anderen geschüttelt; zehnmal wäre sie umgefallen, wenn mein Sohn sie nicht unterstützt hätte. Von Zeit zu Zeit sagte sie zu mir:

»Nein, nicht wahr, Ihr werdet mich nicht töten?«

Ihre Zähne klapperten und ihre Stimme war rauh und heiser. Ich fühlte mich so gerührt, daß ich, wie die anderen, weinen konnte, und noch bitterer weinen, als irgendein anderer, denn der Anblick dieser unglücklichen Frau erinnerte mich an unsere Jugend, die uns ein solches Schicksal nicht vermuten ließ, und an ihren würdigen Vater, dessen Sorge sie weder vor ihrer kläglichen Größe, noch vor ihrem schrecklichen Sturze hatte bewahren können. Ungeachtet aller meiner Bemühung, meine Rührung zu bekämpfen, hat mir niemals ein Zug so lange gewährt. Einmal riet ich ihr zu beten, indem ich meinte, dies würde ihr gewiß zum Troste gereichen. Es war ihr aber kein Gebet mehr erinnerlich und sie sagte nur: »Mein Gott, mein Gott, mein Gott«, ohne ein anderes Wort zu finden.

Dann fuhr sie fort, die Bürger anzuflehen. Es war der Befehl erlassen, sie zuletzt hinzurichten, als ich aber abstieg, sagte mir der Bürger Gerichtsdiener, ich könnte es nach meinem Belieben einrichten. Da sie beim Anblick der Guillotine in Ohnmacht fiel, ließ ich sie sogleich hinaufbringen; kaum fühlte sie aber, daß man Hand an sie legte, als sie wieder zu sich kam und, obgleich gefesselt, die Gehilfen zurückstieß.

»Nicht gleich!« rief sie; »noch einen Augenblick, meine Herren Scharfrichter, einen Augenblick, ich bitte Sie!«

Man schleppte sie weg, aber sie wehrte sich und versuchte zu beißen. Sie war stark und kräftig, denn obgleich es ihrer vier waren, brauchten sie mehr als drei Minuten, um sie hinaufzubringen. Die Männer waren bestürzt, und wenn sie nicht durch ihre Stöße in Zorn geraten wären, würden sie vielleicht gar nicht zum Zweck gekommen sein. Auch das Volk geriet in Bestürzung; niemand sprach ein Wort und viele entliefen nach allen Seiten, wie auf einer Flucht. Oben ging es von neuem an; man konnte sie jenseits des Flusses hören; sie war schrecklich anzusehen; endlich gelang es, sie festzuschnallen, und damit war es geschehen.

10. Nivôse. Im vergangenen Monat wurde ich auf Ansuchen des Bürger Gemeindeprokurators beordert, das Blut fortzuschaffen, welches zwischen die Bohlen der Guillotine floß und von den Hunden bei offenem Tage abgeleckt wurde. Man legte eine Grube an und bedeckte, dieselbe mit einem eisernen Gitter, welches jeden Tag sorgfältig abgewaschen wurde. Das Blut gerann jedoch zu schnell, als daß es von der Erde aufgesogen werden konnte; in Fäulnis übergehend verbreitete es einen pestartigen Geruch, den man an dem entferntesten Ende des Platzes wahrnehmen konnte.

In der verflossenen Nacht habe ich mit sechs Erdarbeitern die Brunnenstube vertiefen und fünf kleine Senkgruben anlegen lassen, welche in ebensoviele Gossen auslaufen.

11. Nivôse. Wieder ein General unserer Armee auf der Guillotine gestorben. Biron wurde gestern verurteilt und heute morgen habe ich ihn von der Conciergerie abgeholt. Er befand sich in Richards Zimmer und verzehrte mit gutem Appetit Austern; als er mich sah, rief er: Aha! und sagte dann zu mir:

»Du erlaubst mir wohl, daß ich erst mein letztes Dutzend Austern verzehre?«

Ich antwortete ihm, ich stände zu seinem Befehl, worauf er lachte und erwiderte:

»Nein, Donnerwetter! unglücklicherweise muß ich zu deinem Befehle stehen.«

Er beschloß sein Mahl mit bewundernswerter Ruhe, indem er mit uns darüber scherzte, daß, da der 11. Nivôse nach dem alten Kalender der letzte Tag im Jahr sei, er nun bald in die andere Welt kommen und seinen Bekannten zu Neujahr gratulieren könnte. Diese Kaltblütigkeit bewahrte er bis zu Ende. Unterwegs rief ihm ein Soldat zu:

»Adieu, mein General!«

Biron antwortete:

»Adieu, Kamerad!«

Man hat den Soldaten weder geschlagen noch beschimpft.

Seit dem Tode der Frau Dubarry sind die Bürger weniger erbittert gegen die Verurteilten. Wenn alle so schrien und sich wehrten, wie sie es getan hat, würde die Guillotine nicht mehr lange stehen.

15. Nivôse. Ich habe für 30 Sols eine Nummer vom Vieux Cordelier des Bürgers Desmoulins gekauft. Es ist die fünfte. Die Gehilfen des Bürgers Desenne reichen nicht mehr zum Vertriebe aus. Der Eisenfresser Hébert hat seinen Meister gefunden, jeder will seinen Teil an der Genugtuung haben und lacht über die Geißelhiebe, die er von Camille empfängt. Seitdem ein unnahbarer Patriot wie jener es gewagt hat, von Barmherzigkeit zu sprechen, scheint es, alle Gesichter sähen weniger lang und düster aus. Man ist überzeugt, daß Danton, Camilles Freund, dahinter steckt und daß beide den Sieg über diejenigen davontragen werden, welche verlangen, die Republik solle jeden Morgen unter der Guillotine getauft werden. Es steht jedoch dahin, ob Robespierre ihnen den Vorzug einer so großen Volksbeliebtheit lassen werde. Unterdessen nehmen die Hinrichtungen ihren Fortgang.

16. Pluviôse. Die Bürger-Geschworenen feilschen nicht um die, welche sie verurteilen, und diese ihrerseits geben ihr Leben billig. Niemals hat man das Leben so gering geschätzt. Früher, wenn ich mich im Gefängnis zeigte, flößte ich selbst dem Kühnsten Schrecken ein; wenn ich heute auf dem Flur oder in der Kanzlei der Conciergerie Gefangenen begegne, so scheint kein einziger daran zu denken, daß ich morgen vielleicht seinetwegen kommen könne; er lächelt mir zu, und dieses Lächeln macht einen seltsamen Eindruck auf mich. Ich habe mich mit dem Schrecken, den wir einflößten, vertraut machen können, aber viel schwerer ist es, sich daran zu gewöhnen, Leute zur Guillotine zu führen, die sich dafür bedanken. Wenn meine Hand noch etwas mit der unmittelbaren Vollstreckung der Todesstrafe zu tun hätte, so würde sie schon seit langer Zeit nicht gezittert haben. In der Tat, wenn man sie alle, die Richter wie die Gerichteten und die Angeklagten, sieht, so glaubt man sie von einer Krankheit befallen, die man den Todeswahnsinn nennen könnte. Wo und wann wird das enden? – Ein Gefangener fragte neulich Toustin: »Was soll ich tun, um gleich morgen guillotiniert zu werden?« Diese Ungeduldigen sind vielleicht nicht die Mutigsten; es gibt noch andere, welche so ruhig und kaltblütig bleiben, als ob zwischen heute und morgen noch hundert Jahre verliefen; dies sind die Tapfersten. Ein solcher war Montjourdain, Kommandant des Bataillons Saint-Lazare, als Mitschuldiger vom 10. August verurteilt. Während der sechs Wochen, die er in der Conciergerie zubrachte, hat man niemals an ihm das geringste Zeichen von Angst oder auch nur von Betrübnis gemerkt. Als man ihn benachrichtigte, daß er vor den Gerichtshof gebracht werden sollte, fing er ein Lied zu dichten an; er machte fünf Verse sogleich und vier andere nach seiner Verurteilung. Richard hat mich eine Abschrift davon nehmen lassen, die ich als ein seltsames Schriftstück aufbewahre. Er ging mit Courtonnet zum Tode und unterwegs hörten sie nicht auf zu lachen und zu scherzen.

17. Pluviôse. Heut haben wir ehemalige vornehme Damen hingerichtet, die sich fast nicht weniger ruhig zeigten, als der Bürger Montjourdain. Die Bürgerin Marboeuf, welche mit Lebensmitteln Wucher getrieben haben sollte, ermahnte unterwegs ihren Mitschuldigen, den Pächter Payen, mutig zu sterben.

»Im ganzen, mein armer Freund,« sagte sie zu ihm, »ist es ganz gleich, ob man heute oder nach zwanzig Jahren stirbt.«

Dieser, bei weitem nicht so entschlossen wie sie, antwortete:

»Wenn es ganz gleich ist, Madame, so würde es mir doch nach zwanzig Jahren lieber sein.«

22. Pluviôse. Couthon hatte in Lyon mehr Lärm gemacht als Taten verübt; er drohte, aber seine Drohungen brachten keinen um das Leben, stießen kaum einige Häuser in den Grund. Die Sache änderte sich indessen, als er durch die Bürger Collot und Fouché abgelöst wurde; die Zeitungen waren voll Namen solcher, welche in der befreiten Stadt verurteilt worden waren.

Collot hatte die Guillotine beseitigt, weil sie ihm nach seiner Meinung nicht eilig genug war; er ließ durch die Kanonen hinrichten und weihte auf diese Weise täglich mehr als zweihundert Menschen dem Tode. Man erzählt sogar, er habe gesagt: »Das macht mehr Lärm als eure Ohrfeigen.«

1. Ventôse. Heute wurden hingerichtet: Francois Girbaut, ein Kaufmann, der als Fälscher von Assignaten vom Tribunal verurteilt wurde, und ein desertierter Husar, namens Gossenet, der auf die Guillotine schritt, wie andere zur Hochzeit gehen.

Riouffe führt über Gossenet seltsame Tatsachen an, welche beweisen, wie gleichgültig sich manche Menschen gegen die Schreckensherrschaft zeigen.

»Als man ihm – sagt er – seine Anklage brachte, nahm er diese kaltblütig in Empfang, rollte sie zusammen, hielt sie an ein Licht und zündete sich eine Pfeife damit an. Einige seiner Gefährten bemerkten ihm jedoch, es sei eine Torheit, in seinem Alter in den Tod zu gehen, wenn man noch so schlagende Beweise für seine Unschuld habe wie er. Gossenet schien sich ihren Vorstellungen zu fügen, aber im Herzen war er zum Sterben bereit.

Ehe er vor den Gerichtshof ging, aß er Austern, trank weißen Wein und rauchte ruhig, indem er sich mit seinen Gefährten über den Untergang unseres Daseins unterhielt.

»Das ist noch nicht alles,« sprach er zu ihnen; »jetzt, da wir gut gefrühstückt haben, handelt es sich um das Abendessen und ihr werdet mir die Adresse eines Restaurateurs in der jenseitigen Welt geben, damit ich euch eine gute Mahlzeit zurechtmachen lasse.«

Als man ihm vor Gericht seine Anklageakte vorlas, sagte er, alle angeführten Tatsachen seien vollkommen wahr, und als ihm sein Verteidiger bemerkbar machte, er sei nicht völlig bei Verstande, antwortete er:

»Verteidiger von Amts wegen, ich verbiete dir, mich zu verteidigen; man führe mich zur Guillotine!«

10. Ventôse. Robespierre und Couthon sind krank und die Cordeliers tanzen auf den Tischen; gestern erklärten sie, daß die Bürger Camille, Fabre und andere vom Berge gestürzt werden sollten.

Seitdem die Guillotine an der Tagesordnung ist, zerbrechen sich die Erfinden den Kopf, sie zu verbessern. Mehr als zwanzig Vorschläge sind dem Komitee unterbreitet; sie waren aber so unsinnig, daß sich von zwanzig derselben nur einer ausführen ließ. Nach dem letzteren sollte sich eine Klappe auf der linken Seite des Fallbeils öffnen und der Körper des Hingerichteten in einen unter der Guillotine stehenden Korb gleiten, so daß die Anhäufung auf der Plattform vermieden wird. Der Bürgerrepräsentant Vouland und zwei Beamte des Komitees wollten dem Versuche beiwohnen. Die Federn waren schlecht imstande und die Sandsäcke, die man auf das Fallbrett gelegt hatte, blieben zweimal zwischen der Klappe stecken. Der Bürger Vouland fragte mich nach meiner Meinung. Ich bemerkte ihm, daß diese Verbesserung große Gefahr mit sich führe, indem, wenn die Klappe sich nicht schneller schlösse, als sie sich öffnete, die Scharfrichter zu gleicher Zeit mit dem Leichname hinunterfallen könnten und dies ein trauriges Schauspiel abgeben würde. Er sagte darauf zu mir:

»Du hast recht; übrigens würde jetzt dadurch nicht ein Kopf gewonnen werden; man muß ein Mittel suchen, um schneller verfahren zu können.«

Ich wußte ihm nichts zu antworten und er ging seiner Wege. Wir richteten heute fünf Verurteilte hin.

18. Ventôse. Heute erschien ein Privatmann, den man an seiner Aussprache für einen Engländer erkannte, in meiner Wohnung und bot mir ohne weitere Einleitung zehn Pfund Sterling, wenn ich ihn auf einen Tag unter die Zahl meiner Gehilfen aufnehmen wolle. Ich hatte alle Ursache, über solchen Vorschlag erstaunt zu sein; ich fragte ihn, ob sein Nationalhaß gegen die Franzosen ihn zu einem so seltsamen Wunsche vermocht habe. Er antwortete mir, er liebe weder Frankreich noch die Franzosen, aber seine Abneigung habe mit seiner Absicht nichts gemein; die Neugierde allein habe ihn nach Paris geführt; er wolle eine Revolution, mit der sich die ganze Welt beschäftige, in der Nähe sehen; damit aber sein Zweck vollständig erreicht werde, wäre es nötig, daß er wenigstens einer Hinrichtung in der Nähe beiwohne. Ich machte ihm bemerklich, daß seine Neugierde ihm teuer zu stehen kommen könne, daß wir mit seinem Vaterlands im Kriege ständen, und wenn er erkannt würde, was in Betracht seiner unvollkommenen Verkleidung mir sehr wahrscheinlich schiene, er jedenfalls als Spion angesehen und als solcher behandelt werden würde; endlich schlug ich ihm seine Bitte rund ab. Er hörte mir mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit zu; als ich zu Ende war, erklärte er, er wäre entschieden und würde trotz meiner Weigerung auf das Schafott kommen.

Ich konnte nicht umhin, ihm nachzurufen:

»Nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht wider Ihren eigenen Willen hinaufkommen!«


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