Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Zweiter Band
Eduard Trautner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Danton und seine Freunde

Die Verhaftung

Danton und Robespierre, Desmoulins, Lacroir, Philippeaur; Eulogius Schneider.

5. Germinal. Gestern sahen alle Gesichter festlich aus; heute dagegen sehr lang. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, die Bürger Robespierre und Danton hätten Frieden geschlossen und einer hätte den Tod Héberts und seiner Anhänger als Pfand dieser Versöhnung, der andere dagegen die Köpfe der großen royalistischen Verschwörer, der wegen Unterschiede angeklagten Deputierten und der am 28. Ventôse verhafteten Chaumette und Simon gefordert; nach diesen Hinrichtungen würde der Gerichtshof endlich Befehl erhalten, gerecht zu verfahren. Dies war einer der Gründe, weshalb eine so außerordentliche Menge gestern nach dem Richtplatze hinströmte. Heute morgen geriet man ebenso leicht wieder in Besorgnis, wie man sich am vorigen Abend in Sicherheit hatte wiegen lassen, und es liefen düstere Gerüchte um. Man sagte, Robespierre, weit entfernt, an eine Verständigung mit Danton zu denken, habe die Feinde des letzteren nur getroffen, um ihn selber desto sicherer zu erreichen und eine Art von Unparteilichkeit für seine noch beabsichtigten Streiche zu bewahren. Tatsache ist es, daß unsere Demokratie zu sehr einem Despotismus gleicht, als daß diejenigen, welche die Macht ausüben, sich dazu verstehen sollten, dieselbe untereinander zu teilen. Einer der Geschworenen, Raudin, sagte laut zu Sellier: »Um hinter Robespierre zu gehen, hat Danton einen Kopf zuviel, den muß man abschneiden.« Man erzählt auch, Danton sei gewarnt, daß er sich in Gefahr befinde. Er hat geantwortet: »Sie werden es nicht wagen, ich bin die heilige Arche; und wenn ich voraussetzen müßte, daß Robespierre diesen Gedanken hegt, so würde ich ihm die Eingeweide ausreißen.« Ich glaube, daß er sich täuscht. Es gibt gegenwärtig nur eine heilige Arche: die Guillotine.

Gewiß ist es für einen Tribunen ebenso schwierig wie für einen König, die wahre Stimmung des Volkes zu kennen. Das Volk bewundert die großen Zerstörer, aber seine Bewunderung gleicht dem Entsetzen; die es liebt, sind diejenigen, welche entweder für seine Augen oder für sein Herz aufbauen, und diesen gibt es sich hin. Danton spricht und handelt wie ein Mensch, Robespierre wie ein Prophet: das Reich wird immer den Propheten gehören. Es war notwendig, daß ein Dolch in das Herz Marats drang, damit man dieses Stück Verwesung anbetete; der Mann mit dem blauen Rock ist noch am Leben, und schon hat er seine andächtigen Verehrer und Verehrerinnen. Die Frau Desmorets, meines ersten Gehilfen, spricht morgens und abends ihre Gebete vor einem Bildnis Robespierres, welches sie an Stelle des Heilandes an das Kopfende ihres Bettes gestellt hat; viele machen es wie sie.

7. Germinal. Man sagt allgemein, daß in den Komitees über Dantons Verhaftung verhandelt werde. Nach meinem geringen Urteil halte ich es für wahrscheinlich, daß die großen Hunde sich zu beißen anschicken, da die kleinen Spitze zu arg kläffen. Der freche Vilate sagte ganz offen in der Schenkstube: »Ehe acht Tage vergehen, werden wir Danton, Camille und Philippeaux haben.« Wenn sie sich fangen lassen, so ist es ihr eigener Fehler, denn das Gerücht geht ganz öffentlich.

9. Germinal. Die Hébertisten wurden durch einen gewissen Laboureau, der 45 Jahre alt ist, sich aber noch Student der Medizin nennt, verkauft und überliefert. Er machte Anzeige von ihrer Verschwörung und behandelte seine ehemaligen Freunde als Schurken. Natürlich hat ihn der Gerichtshof freigesprochen. Vorgestern ließ dieser Laboureau sich bei den Jakobinern huldigen. Legendre, der den Vorsitz führte, umarmte ihn und nahm die Gelegenheit wahr, den Gerichtshof wegen seiner Gerechtigkeit zu beloben. Armer Bürger Legendre, vielleicht bist du nahe daran, diese Gerechtigkeit an dir selber zu erfahren.

11. Germinal. Heute wurden die Bürger Danton, Camille Desmoulins, Lacroir und Philippeaur in ihren Wohnungen verhaftet und nach dem Luxembourg geführt. Gestern und heute wurden sieben Verurteilte hingerichtet, darunter Louis François Delavergne Champlaurier, ehemaliger Kommandant von Longwy, überführt, mit dem Feinde im Einvernehmen gestanden und die Invasion durch Überlieferung des ihm anvertrauten Platzes begünstigt zu haben. Der Prozeß des Delavergne Champlaurier bildet eine der schmerzlichsten Episoden in dieser kläglichen Parodie der Justiz. Der unglückliche Platzkommandant war krank, fast sterbend; man trug ihn auf einer Matratze in das Audienzzimmer. Er hatte eine Art von Verhör zu bestehen; vom Fieber verzehrt, von Schmerzen aufgerieben, antwortete er auf Hermans Fragen nur mit Seufzern. Aber die unerbittlichen Richter waren nicht die geeigneten Leute, um ihm die Wohltat des natürlichen Todes zu lassen, den ihm seine Leiden für die nächste Zeit versprachen; sie verurteilten ihn. In dem Augenblicke, als der Vorsitzende das Urteil aussprach, erscholl in dem Saale der Ruf: »Es lebe der König!« Diese Worte rief die junge Frau des Sterbenden aus. Verhaftet, wurde sie noch in derselben Sitzung verurteilt und erhielt die einzige Gunst, die sie wünschte, bewilligt, nämlich die, den Greis, dem sie ihr Leben gewidmet hatte, zum Schafott begleiten und mit ihm sterben zu dürfen.

12. Germinal. Der Bürger Legendre, Mitglied des Konvents und gegenwärtiger Vorsitzender der Jakobiner, ist nicht mit Danton verhaftet worden, wie das Gerücht gestern verlautete. Richard hat Befehle erhalten. Er hat Beysser, welcher das von Hébert verlassene Zimmer Nr. 4 innehatte, in eine andere Nummer gebracht; außerdem hält er sieben andere Zellen in Bereitschaft. Diese Vorkehrungen zeigen, daß Danton und seine Freunde heute abend, spätestens morgen, dorthin geführt und der Prozeß unmittelbar seinen Anfang nehmen wird. Solche Gefangenen sind nicht bequem zu verwahren.

Heute guillotinierten wir Eulogius Schneider, einen ehemaligen Priester, der das Revolutionsgericht von Straßburg, wo er öffentlicher Ankläger war, zu einer wahren Räuberhöhle gemacht hatte. Er beutete die Schreckensherrschaft zu seinem Nutzen, das heißt zugunsten seiner Laster aus. Er führte in dem ehemaligen Elsaß seinen Gerichtshof, die Guillotine und meinen Kollegen von Straßburg umher, begleitet von einer Truppe Husaren, auf deren Säbeltaschen Totenköpfe gemalt waren; beim Einzug dieser Truppe wurde die Stadt gezwungen, die Häuser zu erleuchten; er erhob Kontributionen wie ein General der Armee, fällte Todesurteile, die man sich nicht die Mühe gab einzuzeichnen, und machte überall, wo er sich aufhielt, Völlerei, Plünderung und Schändung zur Tagesordnung. Eine hübsche Tochter haben, war ein Verbrechen, das die Eltern nur abbüßen konnten, wenn sie ihr Kind dieser wilden Bestie überlieferten. Als einer seiner Freunde, namens Tunck, sich verheiraten wollte, ließ er alle jungen Mädchen von Barr in Beschlag nehmen und ihm zur Wahl stellen. Um dieses gute Werk noch zu vervollständigen, befahl er dem Scharfrichter, in der Umgebung der Guillotine eine Kollekte zugunsten des jungen Ehepaares zu veranstalten. Bald darauf fühlte er selber Lust, sich einen Hausstand zu gründen, und schickte eines Morgens in der Frühe einem Bürger derselben Stadt Barr den bündigen Befehl, ihm seine Tochter, die für jung und schön galt, zuzuführen. Der Schrecken war so groß, daß dieser Unglückliche sich nicht zu weigern wagte. Am nächsten Tage kehrte er nach Straßburg zurück und zog mit dem armen Kinde im Triumphe wie ein König in einer mit sechs Pferden bespannten Kutsche ein. Aber während seiner Abwesenheit war der Repräsentant Saint Just angekommen, und der Schnapphahn aus dem Elsaß war nicht der Mann, jenen in Schrecken zu setzen. Eulogius Schneider wurde an demselben Tage verhaftet, drei Stunden auf seiner eigenen Guillotine ausgestellt und am nächsten Tage nach Paris geschickt, wo das Revolutionstribunal diesmal volles Recht übte.

Dieser so schreckliche Schneider war sehr klein- und demütig in seinen letzten Stunden; doch sah er stark und untersetzt wie ein Stier aus, nicht durch die Höhe seiner Gestalt, sondern durch seine Schulterbreite; sein Gesicht war von Pockennarben entstellt, seine Augen grau und scheu, wenn man ihn ansah; er hatte rotes Haar, im ganzen ein gemeines und abstoßendes Gesicht. Als er in das Vorzimmer der Kanzlei trat, versuchte er zu scherzen und begann einen schlechten Witz über seinen dicken Hals, konnte ihn aber nicht vollenden, denn die Tränen traten ihm in die Augen, und der Spaß erstickte vor Furcht in seiner Kehle. Er erholte sich nicht wieder.

Auf dem Richtplatze rief er mich: »Mein Herr, mein Herr, mein Herr!« ohne zu wissen, was er sprach; die Augen waren ihm schon verschleiert. 13. Germinal. Die Bürger Danton und seine Mitschuldigen sind in der Nacht hinübergeführt worden; ihr Prozeß wird heute vor der Sektion im Saale der Freiheit anfangen. Man hat die der Unterschleife angeklagten Deputierten in dieselbe Anklageakte einbegriffen. Es werden fünfzehn vor dem Tribunal erscheinen.

Der Prozeß

Legendre, Robespierre, St. Just, Chabot, Delaunay, Vazire, Fabre d'Eglantine, Herault de Séchelles, Westermann; »Die Verschwörung der Fremden«; Unruhen in den Gefängnissen; Luzile Desmoulins.

Wie streng man auch das politische Betragen Dantons verurteile, wie wenig Teilnahme man auch dem berühmten Tribunen zolle, so wird man doch anerkennen müssen, daß sein Prozeß der größte Prozeß der Revolutionsperiode ist. Bis jetzt hatte die Revolution nur diejenigen getroffen, die ihr das Recht gegeben hatten, sie als Feinde zu behandeln; jetzt fängt sie an, sich gegen ihre eigenen Eingeweide zu wenden, um sie zu zerreißen. Der mächtige Bund von Willenskraft, Talenten und Genie, welcher sich zum Schlagen gebildet hatte, verfiel nach dem Siege selber in Auflösung; die festesten Säulen des Gebäudes, das die Neuerer auf den Trümmern der alten Gesellschaft aufgerichtet zu haben glaubten, fallen selber zu Boden; dieses Gebäude schwankt künftighin auf seinen Grundfesten; der Tag ist nicht fern, wo ein Hauch eines Barère oder eines Tallien hinreichen wird, es zu Boden zu stürzen. Als ein Werk der Republikaner ist der Tod Dantons nichtsdestoweniger das erste Merkmal der Reaktion, welche die Republik so schnell wegraffen sollte. Ich werde also die Hauptumstände jener Erörterungen erzählen und dann Charles Henri Sanson das Wort lassen, der uns die letzten Augenblicke dieser berühmten Konventsmitglieder schildern wird.

Wie schon oben erwähnt, wurden Danton, Camille Desmoulins, Philippeaux und Lacroix in der Nacht vom 10. zum 11. Germinal in ihren Wohnungen verhaftet. Diese Maßregel bildete den Gegenstand sehr lebhafter Debatten im Schoße der Komitees. Einige Geschichtschreiber behaupten, daß Robespierre, weit entfernt, die Ächtung seiner alten Freunde hervorgerufen zu haben, sich nur nach heftigem Kampfe mit seinen Amtsgenossen und mit sich selber und nachdem man ihm bewiesen, daß ihr Dasein die Republik in Gefahr setze, dazu entschlossen hätte.

Ist dies wahr, so war es von Robespierre nur ein geschickter Streich mehr. Daß Amar, Voulland, Vadier, Billaud, die echten Terroristen, welche alle Stimmen in den Komitees hatten, die Verhaftung Dantons zuerst in Angriff genommen, ist wahrscheinlich; aber, sei es, daß Robespierre von seinem persönlichen Ehrgeiz geleitet worden oder daß er der uneigennützige Apostel eines politischen Systems gewesen sei, so stand der Haß der Feinde Dantons doch zu sehr im Einklang mit den Erfordernissen seiner persönlichen Stellung, als daß man annehmen dürfte, sein Schwanken sei aufrichtig gemeint gewesen. Er nimmt es übrigens selbst auf sich, seine Gefühle für die Angeschuldigten in helleres Licht zu setzen. In der Sitzung des 11., als Legendre im Namen der Gerechtigkeit und des Rechts für seine Freunde die Gunst in Anspruch nimmt, daß sie durch ihre Amtsgenossen verhört würden – wer widersetzt sich da? Robespierre; und seine Rede, welche ich später im Auszug geben werde, dient als Einleitung zu dem furchtbaren Antrag Saint Justs.

Danton – und dies ist sein Ruhm, dies wird vielleicht in der Zukunft den blutigen Flecken auslöschen, den die Septembermetzeleien auf seinem Andenken gelassen haben –, Danton stellte in diesem Augenblicke den Begriff der Großmut und Milde dar. Wenn es in seiner mächtigen Organisation Laster gab, so hatte er auch gute Eigenschaften; wenn er das Blut, welches in der Hitze des Kampfes floß, mit gleichgültigen Augen betrachten konnte, so flößten ihm doch die gerichtlichen Metzeleien einen Widerwillen ein, der an Ekel grenzte; übrigens war er zu gleichgültig, um auch nur seine Feinde zu hassen; die öffentliche Meinung brachte ihn auch in Zusammenhang mit den erhabenen Blättern, auf welchen Camille Desmoulins seinen patriotischen Unwillen ergoß. Diese beiden Männer töten, welche beschlossen hatten, dem blutigen Regiment, das die Fanatiker des Schreckenssystems für den Normalzustand Frankreichs nötig hielten, ein Ziel zu setzen – dies war der Gedanke der Komitees. Die Absicht Robespierres war, wie mir scheint, tiefer gehend. Grausamkeit lag nicht in seinem natürlichen Triebe; sie war vielmehr ein Bedürfnis seiner Politik; er war zu scharfsinnig, um nicht einzusehen, daß demjenigen die wahre Popularität zufiele, der das Land von dem schrecklichen Alp befreien würde, welcher auf dem Schlummer der Unschuldigen wie der Schuldigen lastete; diese Rolle hatte er sich vorbehalten und erwartete die geeignete Stunde. Danton wollte vor Robespierre der Befreier sein – dies war sein Verbrechen.

Der letztere folgte ohne Widerstand den Agenten Herons, welche ihn verhafteten und nach dem Luxembourg führten. Camille Desmoulins hatte im Gegenteil sein Fenster geöffnet und um Hilfe gegen die Tyrannei gerufen. Als er sah, daß sich niemand zu seiner Verteidigung stellte, bat er um die Erlaubnis, einige Bücher mit sich zu nehmen, wählte aus seiner Bibliothek »Youngs Nachtgedanken« und »Herveys Betrachtungen«, umarmte seine Frau und seinen in der Wiege schlafenden Sohn und ließ sich fortführen. Die Verhaftung Philippeaux' und Lacroix' verursachte nicht größere Schwierigkeiten. Am Tage fanden die gebräuchlichen Formalitäten statt, und man erlaubte ihnen, in den Hof hinabzugehen.

Die vier Geächteten zeigten eine verschiedene Haltung: Camille war düster, traurig, niedergeschlagen; Lacroix teilte seine Entmutigung; Philippeaux zeigte sich ruhig und gefaßt; Danton kehrte, vielleicht um den Mut seiner Freunde aufzurichten, eine stoische Heiterkeit heraus. Die Nachricht von der Anwesenheit dieser einst so mächtigen Männer hatte sich im Gefängnisse verbreitet; alles lief herbei, um sie zu sehen. Hérault de Séchelles, welcher beim Spiel war, als sie in den Hof traten, erkannte Danton, verließ seine Partie und warf sich in seine Arme. Einige Gefangene, die vergaßen, daß diese Männer da waren, weil sie die Sache der Besiegten im Namen der Menschlichkeit verteidigt hatten, nahmen keinen Anstand, über ihr Unglück zu spotten. Einer von ihnen sagte, indem er auf Lacroix zeigte, der groß und breit in den Schultern war:

»Aus dem da kann man einen guten Kutscher schneiden.«

Danton nahm diese Spottrede mit verächtlichem Lächeln auf, wendete sich an die Gruppe und antwortete:

»Wenn man eine Dummheit begangen hat, so muß man sich darüber zu trösten wissen, und am besten ist es, wenn man darüber lacht; ich beklage euch alle, wenn die Vernunft nicht zurückkehrt; bis jetzt seid ihr noch auf Rosen gewandelt.«

Als jemand ihn fragte, wie er – Danton – sich von Robespierre habe anführen lassen können, antwortete er wieder:

»Ich konnte nicht glauben, daß dieser Schelm mich so leicht wegstibitzen würde; aber im ganzen ist es mir lieber, guillotiniert zu werden, als guillotinieren zu lassen.«

Der Amerikaner Thomas Payne war im Luxembourg verhaftet; als Danton ihn erkannte, drückte er ihm die Hand und sprach:

» Good day! Was du für das Glück und die Freiheit deines Vaterlandes tatest, habe ich vergeblich für das meinige versucht. Ich war weniger glücklich, aber nicht strafbarer. Man schickt mich auf das Schafott; nun wohl, meine Freunde, ich werde fröhlich dorthin gehen.«

Im Konvent wagte jedoch ein Freund Dantons, Legendre, sich für die Sache der Geächteten zu verwenden. Er besteigt die Tribüne und spricht mit einer Stimme, deren Rührung er nicht verbergen kann:

»Bürger! Vier Mitglieder dieser Versammlung sind heute nacht verhaftet worden. Ich weiß, daß Danton darunter ist, die Namen der übrigen kenne ich nicht. Was kümmern uns die Namen, wenn sie schuldig sind? Aber, Bürger, ich verlange, daß die verhafteten Mitglieder vor die Schranken geführt werden, wo ihr sie hören, wo ihr sie verurteilen oder freisprechen könnt. Ich gestehe, daß ich Danton nicht für schuldig halten kann; ich wiederhole, daß er ebenso rein ist wie ich. Er ist seit dieser Nacht in Banden; ohne Zweifel hat man gefürchtet, seine Antworten könnten die Beschuldigungen, die man gegen ihn richtet, vernichten.«

Ein Repräsentant von der Bergpartei, Fayau, antwortete Legendre und widersetzte sich dem Antrage; aber die Versammlung war aufgeregt, und es bedurfte eines mächtigeren Wortes, um eine Erregung zu bewältigen, welche den Angeklagten günstig werden konnte. Robespierre besteigt die Tribüne. Er beginnt damit, daß er über die Verwirrung, die sich im Konvent bemerken lasse, erstaunt; er fragt, ob er den Schluß daraus ziehen solle, daß einige Männer, die er für Ränkeschmiede halte, den Sieg über das Vaterland davontragen sollen; endlich wendet er sich mit den Worten an Legendre:

»Legendre scheint die Namen der Verhafteten nicht zu kennen; aber der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix gehört zu dieser Zahl. Warum stellt er sich, als ob er es nicht wisse? Weil er weiß, daß man nicht ohne Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er hat von Danton gesprochen. Vermutlich, weil er glaubt, mit diesem Namen verbände sich ein Vorrecht; nein, wir wollen kein Vorrecht, wir wollen keine Götzenbilder! Wir werden am heutigen Tage sehen, ob der Konvent ein schon seit langer Zeit verfaultes Götzenbild zu zerbrechen versteht, oder ob dasselbe in seinem Falle den Konvent und das französische Volk zerschmettern wird. Welches Vorrecht hätte er denn? Worin ist ein Danton seinen Amtsgenossen überlegen? Etwa darin, daß einige Personen, die er getäuscht, und andere, die er nicht getäuscht hat, sich um ihn scharten, um in seinem Gefolge Glück und Macht zu erjagen?«

Ein wenig nachher erklärte er, er habe nicht gezaudert, Danton zu opfern.

»Man hat an mich geschrieben; Dantons Freunde haben mir Briefe zugestellt und mich mit ihren Reden belästigt. Sie glaubten, die Erinnerung an ein altes Bündnis, ein alter Glaube an falsche Tugenden würde mich bestimmen, meinen Eifer und meine leidenschaftliche Liebe für die Freiheit zu unterdrücken. Nun wohl – ich erkläre, daß keiner jener Beweggründe auch nur den mindesten Eindruck auf meine Seele ausgeübt hat.«

Er schließt damit, daß er verlangt, man solle über Legendres Antrag zur vorhergängigen Frage übergehen.

Die Wirkung dieser machiavellistischen Rede war bedeutend. Robespierre hatte in sehr geschickter Weise den Konvent mit dem Beschlusse der Komitees in Verbindung gebracht; er hatte die Eifrigen angeregt, die Schüchternen sicher gemacht, indem er ihnen erklärte, die Zahl der Schuldigen sei nur unbedeutend, wobei er sie aber vermuten ließ, daß der Minotaurus nachher noch andere Köpfe verlangen könnte. Saint Just vollendete das Werk, welches Robespierre begonnen hatte.

Zwischen Robespierres Rede und Saint Justs Bericht liegt die ganze Kluft, welche den kalten und berechnenden Ehrgeiz vom Fanatismus trennt. Der strenge Mann vom Konvent, der gesagt hatte: »Die Republik ist kein Senat, sondern eine Tugend«, meinte es aufrichtig mit seinem Haß gegen Danton, der sich nicht die Mühe gab, seine Laster zu verschleiern und seine Schwächen zu verhüllen. Mit einer Art wilder Trunkenheit hatte er sich auf die Beute, die man ihm preisgab, geworfen; diese Trunkenheit zeigt sich in jeder Zeile dieser Arbeit, wo das Wahre mit dem Falschen, das Sinnlose mit dem Wahrscheinlichen sich kreuzt und mischt: in dieser ungeheuerlichen Mischung von wilder Überzeugung, wütender Unduldsamkeit, niedriger Schmeichelei und unsinnigen Anklagen, in welche er, damit niemand das Opfer aufzuheben versuche, noch Kot ausgoß, indem er das Wort aussprach, das alle Teilnahme zurückwies: den Diebstahl. – Diesen Bericht las Saint Just mit jener Beredsamkeit, welche, einem Schriftsteller zufolge, kalt wie Stahl und schneidend wie ein Schwert war. Die Volksvertreter lauschten mit gesenktem Haupte, wie die Schüler unter der Rute des Schulmeisters. Die Bestürzung war allgemein. Dieses neue Eindringen des Schreckens in den Konvent machte selbst die Mutigsten erstarren; keine Stimme erhob sich zur Verteidigung der Geächteten; Legendre verleugnete öfter als dreimal denjenigen, dessen Schüler er war, und man stimmte mit der Begeisterung des Entsetzens für das Dekret.

Am folgenden Tage, am 12. Germinal, wurde Fouquier-Tinvilles Anklageakte, eine wortreiche Nachahmung des niederschmetternden Antrages von Saint Just, den Angeklagten zugestellt. Der zweite Teil der Memoiren über die Gefängnisse schildert folgendermaßen den Eindruck, den dieses Schriftstück hervorbrachte:

Als die Verhafteten ihre Anklageakte empfingen, sprang Camille, vor Wut schäumend, auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder; Philippeaux faltete gerührt die Hände und blickte zum Himmel empor; Danton lachte und scherzte über Camille Desmoulins; dann ging er wieder in das Zimmer, welches er mit Lacroix innehatte:

»Nun, Lacroix, was sagst du dazu? – Ich will mir das Haar abschneiden, damit Sanson es nicht berührt. – Es wird noch ganz anders sein, wenn uns Sanson die Halswirbel ausrenkt. – Ich denke, wir dürfen nur in Gegenwart der Komitees antworten. – Du hast recht; man muß danach trachten, das Volk aufzuregen.«

Die Aufregung, auf welche Danton rechnete, war schon vorhanden. Das Gerücht über seine Verhaftung und die Gefangennehmung Camilles, welchen die letzten Nummern des »Vieux Cordelier« populärer als jemals gemacht hatten, brachte die höchste Aufregung hervor. Während des 11. und 12. gingen viele Personen in dem Garten des Luxembourg spazieren, und mein Vater erzählte mir, daß man Leute unbeweglich vor jenen Granitmauern stehen und sie betrachten sah, als erwarteten sie, daß die Mauern dieses neuen Jericho bei Dantons Stimme erbeben und in Schutt zerfallen würden.

Camille, eine zartere Seele, weilte allein bei denen, die er zurückgelassen hatte; bei seiner angebeteten Lucile, bei seinem kleinen Horaz, dessen Andenken ihm das Herz brach. Seine verzweifelte Gattin irrte in den Alleen des Luxembourggartens umher, indem sie ihr Kind auf dem Arm hielt; er, das Gesicht an die Eisenstäbe seines Fensters gelehnt, verbrachte seine Tage damit, sie unter der Menge aufzusuchen. Auf einen Augenblick fand er seine beredte Begeisterung wieder; in der Nacht vom 11. zum 12. begann er in seiner Nummer des »Vieux Cordelier« den letzten Schrei des Patriotismus und Unwillens, den er gegen die Tyrannei richtete. Er unterbrach sich bald, um zu schlafen. Beim Erwachen nahm er seine Arbeit nicht wieder auf. Er schrieb an seine Frau. Die Geschichte hat diesen Brief aufbewahrt.

»Niemals« – sagt Louis Blanc – »ist ein herzzerreißenderer Schrei aus der Tiefe einer Seele gedrungen, welche der Tod der Liebe streitig machte.«

»Décadi, 12. Germinal, 5 Uhr morgens. Der wohltuende Schlummer hat mich auf kurze Zeit von meinen Leiden befreit; man ist frei, wenn man schläft; man hat nicht das Gefühl der Gefangenschaft; der Himmel ist barmherzig gegen mich gewesen. Nur einen Augenblick sah ich Dich im Traum; ich umarmte Euch nach der Reihe, Dich, Horaz und Daronne, die zu Hause war; mein armer Kleiner hatte infolge eines zurückgetretenen Übels ein Auge verloren, und der Schmerz darüber brachte mich zum Erwachen. Ich fand mich in meinem Kerker wieder; es tagte ein wenig; als ich Dich nicht sah und Deine Antwort hören konnte – denn Du und Deine Mutter Ihr spracht mit mir –, so stand ich auf, mit Dir zu reden und Dir zu schreiben. Als ich aber mein Fenster öffnete, wurde die ganze Festigkeit meiner Seele erschüttert durch den Gedanken an meine Verlassenheit, durch den Anblick der schrecklichen Eisenstäbe und der Riegel, die mich von Dir trennen. Ich zerfloß in Tränen, ich schluchzte und rief in meinem Gram: »Lucile! Lucile! o meine teure Lucile, wo bist Du?« (Hier sieht man die Spur einer Träne.) Gestern abend hatte ich einen ähnlichen Augenblick, und mein Herz fühlte sich in gleicher Weise gebrochen, als ich Deine Mutter in dem Garten bemerkte; unwillkürlich fiel ich hinter den eisernen Schranken auf die Knie; ich faltete meine Hände und flehte um ihr Mitleid. Sie hat, dessen bin ich gewiß, nicht geringeren Schmerz gefühlt als wir. Gestern sah ich ihren Schmerz (wieder die Spur einer Träne); denn sie hatte den Schleier herabgelassen, weil sie den trübseligen Anblick meines Gefängnisses nicht ertragen konnte. Wenn Ihr wiederkommt, so setze Dich mit ihr ein wenig näher, damit ich Euch besser sehen kann. Wie mir scheint, ist damit keine Gefahr verbunden. Meine geliebte Lucile, so bin ich also zu der Zeit unserer ersten Liebe zurückgekehrt, wo jedermann mir schon dadurch Teilnahme einflößte, wenn er von Dir kam. Gestern, als der Bürger zurückkehrte, der Dir meinen Brief überbracht hat, befragte ich ihn, wie ich früher den Abbé von Longville fragte, und ich sah ihn an, als ob auf seinen Kleidern, an seiner Person etwas von Deiner Gegenwart, von Dir selber haften geblieben wäre. Ich entdeckte eine Spalte in meinem Zimmer, legte mein Ohr daran und hörte seufzen; ich wagte einige Worte und vernahm die Stimme eines Leidenden. Er fragte mich nach meinem Namen, und ich nannte ihm denselben.

›O mein Gott!‹ rief er bei diesem Namen, indem er auf sein Bett zurücksank.

Und ich erkannte deutlich die Stimme von Fabre d'Eglantine. ›Ja, ich bin Fabre,‹ sagte er zu mir, ›aber wie kommst Du hierher? So hat also die Reaktion gesiegt?‹

Wir wagten jedoch nicht, miteinander zu sprechen, aus Furcht, der Haß möchte uns diesen schwachen Trost beneiden, und man könnte uns, wenn man uns hörte, trennen und in engeren Verwahrsam bringen. Wenn es noch Pitt oder Cobourg wären, die mich so hart behandeln, aber meine Kollegen, aber Robespierre, der den Befehl meiner Verhaftung unterzeichnete; aber die Republik, für die ich so viel getan habe! Ich sehe, welches Schicksal mich erwartet. Lebe wohl, meine Lucile, meine teure Lolotte, sage meinem Vater Lebewohl! Du siehst an mir ein Beispiel der Barbarei und der Undankbarkeit der Menschen; meine letzten Augenblicke werden Dir keine Schande machen. Du siehst, daß meine Furcht begründet, daß meine Ahnung immer wahr war.

O meine geliebte Lucile, ich war geboren, um Verse zu machen, um die Unglücklichen zu verteidigen, um Dich zu beglücken, um mit Deiner Mutter und meinem Vater und einigen Personen nach der Wahl unseres Herzens ein glückliches Otahiti zu bilden! Ich hatte eine Republik geträumt, die alle Welt angebetet hätte! Ich konnte nicht glauben, daß die Menschen so wild und ungerecht seien! Wie konnte ich denken, daß einige Scherzreden in meinen Erzählungen gegen Amtsgenossen, die mich gereizt hatten, das Andenken an meine Dienste auslöschen könnten! Ich verberge mir nicht, daß ich als Opfer dieser Späße und meiner Freundschaft für Danton sterbe. Ich danke meinen Mördern, daß sie mich mit ihm und Philippeaux sterben lassen; und da unsere Kollegen feige genug sind, uns zu verlassen, so leuchtet mir ein, daß wir als Opfer unseres Mutes, als Ankläger der Verräter und als Verehrer der Wahrheit sterben müssen. Verzeihe, geliebte Freundin, seit dem Augenblick, wo man uns trennte, habe ich mein wirkliches Leben verloren und beschäftige mich mit meiner Erinnerung; freilich, ich sollte es mir lieber angelegen sein lassen, Dich die Vergangenheit vergessen zu machen. Meine Lucile, ich beschwöre Dich, rufe mich nicht mit Deinem Wehklagen, es würde mir das Herz noch im Grabe zerreißen! Lebe für Deinen Kleinen, für Horaz, sprich ihm von mir! Du kannst ihm sagen, was er nicht mehr hören kann: daß ich ihn sehr geliebt habe! Ungeachtet meiner Qualen glaube ich, daß es einen Gott gibt! Mein Blut wird meine Fehler, die Schwachheit des Menschen auslöschen; und was Gutes an mir ist: meine Tugenden, meine Liebe für die Menschheit wird Gott belohnen! Ich werde Dich einst wiedersehen, o Lucile! o Annette! Ist der Tod, der mich vom Anblick so vieler Verbrechen befreit, ein so großes Unglück für mich, der ich so gefühlvoll bin? Lebe wohl, meine Lucile, meine geliebte Lucile! Lebe wohl, Horaz, Annette! Lebe wohl, mein Vater! Ich sehe das Gestade des Lebens von mir fliehen! Ich sehe noch Lucile! ich sehe sie! meine verschränkten Arme umfassen Dich, meine gebundenen Hände umarmen Dich! und mein abgetrennter Kopf ruht auf Dir. Ich werde sterben!«

In der Nacht vom 12. zum 13. wurden die Angeklagten aus dem Luxembourg nach der Conciergerie gebracht. Als Danton unter die Wölbung gelangte, die er nur noch durchschreiten sollte, um zum Tode geführt zu werden, sagte er zu seiner Umgebung:

»Zu einer solchen Zeit habe ich das Revolutionstribunal eingesetzt, ich bitte Gott und die Menschen dafür um Verzeihung. Ich gehe zum Schafott, weil ich einige Tränen über das Schicksal der Unglücklichen vergossen habe. Meine einzige Reue im Tode wird sein, daß ich ihnen nicht dienen konnte.«

Am 13. Germinal erschienen sie vor dem Gerichtshofe. Die Komitees hatten alle Sorgfalt auf die Zusammensetzung dieses Tribunals verwendet. Zu Geschworenen hatte man diejenigen gewählt, die sich selber die Soliden nannten; diejenigen, welche sich eifrig genug gezeigt hatten, ein Rottenfeuer auf die Unglücklichen, die man ihnen vorführte, zu eröffnen. Es waren Trinchard, Renaudin, der Lautenmacher, die rechte Hand Robespierres bei diesem Todesgerichtshofe, Vilate, Lumière, Desboisseaux, Souberbielle, Ganney, welcher letztere – wie Michelet sagt – blödsinnig war, Fragen ebensowenig wie Antworten verstand und meistens schwieg, und der Solideste der Soliden, der ehemalige Marquis de Montflabert, der Bürger Dix-Août. Herman führte den Vorsitz, an seiner Seite saßen Masson Denisot, Foucault und Bravet.

Um Saint Justs Anklage zu rechtfertigen, hatte man in Dantons Prozeß die wegen Unterschleife angeklagten Repräsentanten hineingezogen: Chabot, Delaunay, Bazire, welche beinahe überwiesen waren, ihren Einfluß, die beiden ersten aus Habsucht, der dritte aus Schwäche, bei den Angelegenheiten der Indischen Compagnie verkauft zu haben; Fabre d'Eglantine, dessen Mitschuld bei der Fälschung, welche diese Angelegenheit zur Folge hatte, niemals erwiesen wurde, dessen Feder aber von Robespierre ebenso wie die Desmoulins' gefürchtet war. Indem man sich auf die Verbrechen stützte, welche Lacroix und Danton während ihrer Mission in Belgien begangen haben sollten, konnte man einen scheinbaren Zusammenhang zwischen ihnen und den vorgeblichen oder wirklichen Fälschern feststellen; Hérault de Séchelles war verhaftet, weil er einem Geächteten Obdach gegeben hatte und wegen unbestimmter Beschuldigungen seitens des öffentlichen Sicherheitskomitees; Philippeaux war dessen schuldig, was Robespierre »Philippotiken« nannte, nämlich aufregender Schriften, worin er die Aufführung der Agenten der Republik in der Vendée kennzeichnete; die Sache war schwieriger, aber man entschied sich, mit der Wahrscheinlichkeit zufriedengestellt zu sein, und fügte dem Schub einen Dänen, einen Spanier und zwei Deutsche hinzu, so daß ein Ganzes entstand, welches den wohlklingenden Titel, den man ihm gab: »die Verschwörung der Fremden«, rechtfertigte.

Es waren dreizehn auf den Bänken.

George Jacques Danton, 34 Jahre alt; Camille Desmoulins, 33 Jahre alt, Advokat und Schriftsteller; Pierre Philippeaux, 35 Jahre alt; Philippe François Nazaire Fabre d'Eglantine, 39 Jahre alt; Claude Bazire, 29 Jahre alt; François Chabot, 33 Jahre alt, ehemaliger Kapuziner; Marie Jean Hérault de Séchelles, 34 Jahre alt, ehemaliger Generaladvokat beim damaligen Pariser Parlament und Mitglied des Kassationshofes; Jacques Delaunay, ehemaliger Gerichtsbeamter, alle Deputierte beim Nationalkonvent; Jean Diedericksen, 41 Jahre alt, ehemaliger Pächter; René Sahuguet d'Espagnac, ehemaliger Armeelieferant; Sigismond Junius Frey, 36 Jahre alt, Armeelieferant; Emanuel Frey, 34 Jahre alt, von seinen Einkünften lebend; André Marie Gusman, 41 Jahre alt, naturalisierter Spanier, ehemaliger Offizier, von seinen Einkünften lebend.

Nach dem Verhör bemerkte Fouquier, daß zwei der Angeklagten vergessen waren: Jacques Luillier, Generalstaatsanwalt im Departement von Paris, und François Joseph Westermann, 40 Jahre alt, Brigadegeneral. Man ließ sie aus der Conciergerie holen, und die Zahl der Angeklagten belief sich auf fünfzehn. Camille hatte bei den Jakobinern einen Streit mit Renaudin, der einen Kampf zur Folge gehabt hatte; als er ihn auf der Bank der Geschworenen erblickte, erklärte er, daß er ihn ablehne; aber Renaudin war seinen Kollegen notwendig, und ungeachtet der Billigkeit dieses Einspruches entschied das Tribunal, daß derselbe zurückgewiesen und zu den Debatten geschritten werden sollte.

Auf die gebräuchlichen Fragen nach Namen und Wohnung antwortete Danton:

»Ich bin Danton, bekannt genug in der Revolution; meine Wohnung wird bald das Nichts sein, mein Name wird im Pantheon der Geschichte fortleben.«

Camille sagte seinerseits:

»Ich bin 33 Jahre alt; ein bedenkliches Alter für die Revolutionäre, das Alter des Sansculotten Jesus, als er starb.« Und Hérault de Séchelles:

»Ich heiße Jean Marie, ein wenig berühmter Name unter den Heiligen. Ich hatte einst meinen Sitz in diesem Saale, wo mich die Parlamentäre verabscheuten.«

Fouquier-Tinville begann seine Ergänzungen zu dem Berichte Saint Justs vorzulesen. Die Angeklagten verlangten, daß ihnen der Bericht selber mitgeteilt würde, und dieser Antrag wurde ihnen genehmigt.

Einige Stellen, die wir hier anführen wollen, werden eine Vorstellung von der Gesamtheit dieses seltsamen Schriftstückes geben:

»Danton, du erklärtest dich für gemäßigte Grundsätze, und deine starken Körperformen schienen die Schwachheit deiner Ratschläge zu verdecken. Du sagtest: Strenge Grundsätze könnten der Republik zu viele Feinde zuziehen. Alltäglicher Vermittler, alle deine Redeeingänge auf der Tribüne begannen wie der Donner und endigten mit einem Vertrage zwischen der Wahrheit und der Lüge; du fügtest dich in alles; Brissot und seine Mitschuldigen gingen immer, zufrieden mit dir, fort. Auf der Tribüne gabst du ihnen heilsame Ratschläge, wie sie noch mehr betrügen könnten. Du drohtest ihnen ohne Unwillen, aber mit väterlicher Güte, und du erteiltest ihnen eher den Rat, die Freiheit zu verderben, sich zu retten, um uns besser zu betrügen, als daß du der republikanischen Partei rietest, sie zugrunde zu richten. ›Der Haß‹, sagtest du, ›ist meinem Herzen unerträglich!‹ Und du sagtest uns: ›Ich liebe Marat nicht.‹ Aber bist du nicht strafwürdig, daß du die Feinde des Vaterlandes nicht haßtest? Gibt ein öffentlicher Beamter seine Gleichgültigkeit oder seinen Haß durch seine persönliche Neigung zu erkennen oder durch die Liebe zum Vaterlande, die dein Herz niemals fühlte? Du spieltest den Vermittler, wie Sixtus V. den Einfaltspinsel spielte, um seine Zwecke zu erreichen. Sprich dich jetzt vor der Justiz des Volkes aus, du, der du dich niemals vor den Feinden des Vaterlandes aussprachest!

Du sahst mit Schrecken die Revolution vom 31. Mai. Hérault, Lacroix und du verlangten Henriots Kopf, welcher der Freiheit Dienste geleistet hatte, und ihr rechnetet es ihm zum Verbrechen an, daß er sich der Unterdrückung eurer Partei zu entziehen versuchte. Hast du nicht seitdem einen Gesandten an Péthion, an Wimpffen nach Calvados geschickt? Hast du dich nicht der Bestrafung der Deputierten von der Gironde widersetzt? Verteidigtest du nicht Steingel, der die Deputierten bei den Vorposten des Heeres in Aachen erwürgen ließ? Alle Verbrecher verteidigend, hast du niemals dasselbe für einen Patrioten getan. Du klagtest Roland an, aber mehr als einen Dummkopf von beißender Schärfe, denn als einen Verbrecher. In seiner Frau sahst du nur die Anmaßung, ein schöner Geist zu sein. Du warfst deinen Mantel auf alle Schandtaten, um sie besser zu verhüllen!

Schlechter Bürger, du hast konspiriert; falscher Freund, du sagtest noch vor zwei Tagen Böses von Desmoulins, dem Werkzeuge, das du zugrunde richtetest; schlechter Mensch, du hast die öffentliche Meinung mit einer Metze verglichen; du erklärtest, die Ehre sei lächerlich und das Urteil der Nachwelt und der Ruhm seien Dummheiten!«

Und weiter, sich an Camille und an Fabre wendend:

»Camille Desmoulins, der anfänglich genarrt und später mitschuldig wurde, war wie Philippeaux ein Werkzeug Fabres und Dantons. Dieser erzählt als eine Probe von Fabres guter Gesinnung, daß derselbe in Tränen ausgebrochen sei, als Desmoulins ein Schriftstück vorgelesen, in welchem er ein Gnadenkomitee für die Aristokratie forderte und den Konvent den Hof des Tiberius nannte. Das Krokodil weint auch. Da Camille schwach von Charakter war, so benutzte man seinen Stolz. In allen seinen Reden griff er in rhetorischer Weise die revolutionäre Regierung an. Er sprach frech zugunsten der Feinde der Revolution, schlug für sie ein Komitee der Barmherzigkeit vor und zeigte sich sehr unbarmherzig gegen die Volkspartei.

Die Tage des Verbrechens sind vorüber; wehe dem, der die Verteidigung desselben übernähme! Seine Politik ist entlarvt. Alles, was verbrecherisch war, möge zugrunde gehen! Man macht keine Republik mit Mäßigung, sondern mit eiserner Strenge, mit unbeugsamer Strenge gegen alle Verräter. Man kann solchen Menschen, welche, wie wir, alles für die Wahrheit gewagt haben, das Leben entreißen, aber man kann ihnen nicht die Herzen, nicht das gastliche Grab rauben, unter welches sie sich vor der Sklaverei und vor dem schmachvollen Triumphe der Bösen retten.«

Wie schon oben erwähnt, befolgte Fouquier, indem er drei Kategorien von Angeklagten, deren vorgebliche Verbrechen verschieden waren, zu einer einzigen Sache vereinigte, eine Taktik, welche beim Revolutionstribunal herkömmlich war und darin bestand, beim Publikum jedes Mitgefühl zu ersticken, indem man solche Angeklagte, deren Volksbeliebtheit man fürchtete, mit Leuten zusammenbrachte, bei welchen jedes Mitleid durchaus unmöglich war. Als sie sich mit Schelmen zusammengeworfen sahen, hatten Camille, Philippeaux und Lacroix nachdrücklich Protest eingelegt; Danton schwieg, ein Lächeln der Verachtung umschwebte seine dicken Lippen. Als Camille auf seinem Proteste bestehen wollte, bat er ihn, sich wieder zu setzen.

»Laß sie ihr Handwerk treiben,« sprach er; »sie vermögen nichts weiter, als uns zu töten; wenn sie uns entehren wollen, so biete ich ihnen Trotz.«

Die Verhöre nahmen ihren Anfang.

Fabre d'Eglantine erklärte die Fälschung des Dekrets, die man ihm vorwarf. Er sagte, das Schriftstück, wovon man spräche – denn man legte es nicht vor – sei nur ein Aufsatz, den man infolge der Erörterungen im Komitee entworfen und welcher alle Varianten, die sich infolge jener Erörterungen ergeben, an sich trüge. Chabot behauptete, er habe sich mit dieser Angelegenheit nur befaßt, um die Fäden in die Hand zu bekommen und sie zur Anzeige zu bringen; Delaunay und Bazire leugneten, Kenntnis davon gehabt zu haben.

Der Prozeß war, was Lacroix, Philippeaux und Hérault de Séchelles anbetraf, ein echter Tendenzprozeß. Man stempelte nicht nur ihre Meinungen, sondern sogar ihre Stimmen als Volksvertreter zu Verbrechen. Sie waren nicht nur die treuesten, sondern auch die hervorragendsten Freunde Dantons; sie vermochten ihn nicht zu ersetzen, konnten aber die Häupter jener Fraktion des Konvents werden, welche einen Widerwillen gegen das Mißtrauen, die rohen Formen und strengen Sitten der Anhänger Robespierres und gegen die blutdürstige Politik der Schreckensherrschaft hegte; welche der Meinung war, daß, wenn Frankreich Republik sein sollte, diese Republik eher Athen als Sparta zum Muster nehmen müßte. Wie alle Männer zweiten Ranges waren sie die heftigsten beim Angriffe gewesen; Philippeaux hatte in seinen Schriften und in den im Konvent und bei den Jakobinern gehaltenen Reden das Benehmen der im Auftrage abgesandten Volksvertreter angegriffen; er war einer der ersten gewesen, welcher sie mit dem Titel Prokonsuln gebrandmarkt hatte; Fouquier warf es ihm vor.

»Wenn es ein Verbrechen ist,« antwortete Philippeaux, »der Regierung die Schandtaten anzuzeigen, welche in ihrem Namen vollzogen werden, so bin ich in der Tat schuldig. Ist denn aber die Sittlichkeit in dem Grade verkehrt, daß man tugendhafte Handlungen zu Verbrechen stempelt? Ich gab der Regierung heilsame Ratschläge in betreff der empörenden Ausschweifungen, welche in der Vendée begangen wurden, und ich zolle mir Beifall dafür. Als meine Schritte beim Komitee vergeblich waren, ich aber dennoch mein Mandat erfüllen wollte, schrieb ich dem Konvent die Wahrheit. Ich denunzierte das Komitee der öffentlichen Sicherheit; ich enthüllte die Schliche der Ränkeschmiede. Das Komitee ist nur ein Bevollmächtigter des Konvents; ich habe meine Schuldigkeit getan. Ich würdigte die Volksvertretung nicht herab und rechne mir meine Schriften zur Ehre an.«

Man mußte nun auch zu Danton kommen.

Herman fürchtete mit Recht den Augenblick, wo er sprechen würde, und in der Tat hatte der Titan der Revolution nicht sobald den Mund geöffnet, als der Saal der Freiheit sich verwandelte, als beim Ausbruch dieser furchtbaren Stimme die Richter zu Angeklagten und der Angeklagte zum Richter wurde; als Hermans Geschworene die Häupter beugten vor dem Löwenhaupte, dem sie nicht ins Antlitz zu schauen wagten.

»Meine Stimme, die ich so oft für des Volkes Sache erhoben habe, wird die Verleumdung ohne Mühe zurückschleudern. Werden die Feigen, die mich verleumden« – rief Danton – »mich im Angesicht anzugreifen wagen? Sie mögen sich zeigen, und ich werde sie bald mit der Schmach und Schande bedeckt haben, die ihnen gebührt. Hier ist mein Kopf, der für alles einsteht; mein Leben ist mir zur Last, und mich verlangt, davon befreit zu werden.«

Voller Schrecken beeilt sich Herman, ihn zu unterbrechen, indem er ihm bemerkt: »Die Keckheit sei dem Verbrechen, aber die Ruhe sei der Unschuld eigen.«

»Ohne Zweifel,« entgegnete Danton auf die salbungsreiche Einrede des Präsidenten, »ohne Zweifel ist die persönliche Kühnheit verwerflich, und sie kann mir nimmer zum Vorwurf gemacht werden; aber die nationale Kühnheit, von der ich so oft ein Beispiel gegeben, mit der ich so oft der öffentlichen Angelegenheit gedient habe, diese Kühnheit ist erlaubt. Sie ist notwendig, und ich mache mir eine Ehre daraus! Bin ich Herr über die Entrüstung, die sich in meinem Innern erhebt, wenn ich mich so gröblich und ungerecht beschuldigt sehe? Kann man von einem Revolutionär wie ich eine kalte Verteidigung erwarten? In einer Revolution sind die Männer meines Schlages unschätzbar; auf ihrer Stirn ist mit unauslöschlichen Schriftzügen das republikanische Genie, der Stempel der Freiheit ausgeprägt. Und du, Saint Just, du wirst der Nachwelt Rechenschaft ablegen über die Verleumdung, die man gegen den besten Freund des Volkes geschleudert hat. Wenn ich diese Liste des Schreckens durchlaufe, so erbebt mein ganzes innerstes Wesen!«

Herman unterbrach ihn zum zweiten Male; er fürchtete vielleicht, daß, nachdem er sich gegen Saint Just gewendet, er sich auch gegen Robespierre wenden und das Parteihaupt erdrücken könnte. Er ersuchte den Angeklagten, sich zu seinem eigenen Vorteil zu mäßigen, indem er ihm Marats Benehmen bei ähnlicher Gelegenheit zum Muster vorhielt; ohne Zweifel wollte er damit andeuten, daß auch er gleich Marat freigesprochen werden und siegreich aus der Prüfung hervorgehen könnte.

Man kann vermuten, daß Danton sich einen Augenblick in der Schlinge fangen ließ, denn er begann nach der Reihe die belastenden Punkte zu besprechen, welche Saint Just in seinem Bericht gegen sein Benehmen vorgebracht hatte; aber bald gewann wieder der Ungestüm seiner Natur die Oberhand.

»Wenn ich meine Kläger herausfordere,« rief er zum zweiten Male, »so bin ich bei vollem Verstande. Man führe sie mir vor, damit ich sie in das Nichts tauche, aus dem sie niemals hätten hervorkommen sollen. Gemeine Betrüger, erscheinet, und ich werde euch die Maske abreißen, die euch vor der öffentlichen Verfolgung verbirgt!«

Lacroix hatte Danton empfohlen, das Volk aufzuregen; das Volk war mehr als aufgeregt: es schauderte. Aller Herzen schlugen höher, sowohl im Saale wie außerhalb, denn das Gebrüll des Tribunen drang durch die geöffneten Fenster und fand seinen Widerhall jenseits der Seine. Die Richter waren niedergeschmettert. Vergebens bewegte Herman die Glocke.

»Hörst du mich nicht?« fragte er Danton.

»Die Stimme eines Mannes, der seine Ehre und sein Leben verteidigt, muß das Geräusch deiner Klingel überschallen.«

Man entzog ihm das Wort unter dem Vorwande, daß er ermüdet sein müsse. Herman verhörte Hérault de Séchelles über seinen Briefwechsel mit Dumouriez und über den Anteil, welchen er an dem Rückzuge der Preußen gehabt habe. Er nahm die alte Geschichte von dem Diebstahl im Garde-meuble wieder auf, eine Waffe, welche durch die Verachtung der Girondisten, gegen die man sie bereits angewendet hatte, sehr abgestumpft war.

Indem er dann auf Desmoulins überging, klagte er ihn an, er habe versucht, die Volksvertretung durch seine Schriften herabzuwürdigen. »Ich werde«, sagte er, »ein Muster von dem grausamen Hohn geben, womit du die heilsamsten Dekrete angreifst.« Und er begann das beredte Pamphlet vorzulesen, welches das Gesetz über die Verdächtigen dem Unwillen Camilles diktiert hatte.

»Bald war es ein Verbrechen der Majestätsbeleidigung oder der Konterrevolution in der Stadt Nursia, den bei der Belagerung von Modena gefallenen Bewohnern, die unter Augustus selber gekämpft hatten, ein Denkmal errichtet zu haben, und zwar weil Augustus damals mit Brutus kämpfte und Nursia das Schicksal von Perugia hatte.

Libonius Drusus ist der Konterrevolution beschuldigt, weil er die Wahrsager befragt, ob er nicht eines Tages Reichtümer besitzen würde. Der Journalist Cremutius Cordus der Konterrevolution beschuldigt, weil er Brutus und Cassius die letzten Römer genannt. Ein Nachkomme des Cassius der Konterrevolution beschuldigt, weil er ein Bildnis seines Urgroßvaters bei sich getragen. Mamercus Scaurus der Konterrevolution beschuldigt, weil er ein Trauerspiel gedichtet, in welchem zweideutige Strophen enthalten. Torquatus Silanus der Konterrevolution beschuldigt, weil er Aufwand gemacht. Perreius der Konterrevolution beschuldigt, weil er von Claudius geträumt. Appius Silanus der Konterrevolution beschuldigt, weil die Flau des Claudius von ihm geträumt. Pomponius der Konterrevolution beschuldigt, weil ein Freund des Sejanus in einem seiner Landhäuser ein Asyl gesucht. Es war ein Verbrechen der Konterrevolution, wenn man auf den Nachtstuhl ging, ohne seine Taschen geleert zu haben und in seiner Weste eine Spielmarke mit dem Bildnis des Königs behielt; denn dies verriet einen Mangel an Ehrfurcht gegen das geheiligte Antlitz des Tyrannen. Es war ein Verbrechen der Konterrevolution, wenn man sich über das Unglück der Zeit beklagte, denn damit erhob man eine Anklage gegen die Regierung. Es war das Verbrechen der Konterrevolution, wenn man nicht den göttlichen Geist des Caligula anrief. Es war das Verbrechen der Konterrevolution seitens der Mutter des Konsuls Fusius Germinus, daß sie den kläglichen Tod ihres Sohnes beweint hatte.

Man mußte Freude bezeigen über den Tod seines Freundes, seines Verwandten, wenn man sich nicht dem eigenen Verderben aussetzen wollte. Unter Nero dankten mehrere, denen er die nächsten Verwandten getötet hatte, den Göttern dafür und erleuchteten ihre Häuser. Wenigstens mußte man eine offene und ruhige Miene haben; man fürchtete, daß die Furcht selber schuldig mache.

Alles erregte Verdacht bei dem Tyrannen. Hatte ein Bürger sich der Popularität zu erfreuen, so war er ein Nebenbuhler des Fürsten, der einen Bürgerkrieg erregen könnte. Studia civium in se vesteret et si multi idem audeant bellum esse. Verdächtig.

Floh man im Gegenteil dieser Volksbeliebtheit, indem man sich in der Ecke seines Herdes hielt, so hatte man sich durch dieses zurückgezogene Leben bemerkbar und auffallend gemacht. Quanto metu occultior tanto plus famae adeptus. Verdächtig.

Warst du reich, so war eine ungeheure Gefahr vorhanden, daß das Volk durch deine Freigebigkeit bestochen würde. Auri vim atque opes Plauti principi infensas. Verdächtig.

Warst du arm? Wie? Unbesieglicher Imperator, man muß diesen Mann um so mehr überwachen. Niemand ist unternehmender als der, welcher nichts besitzt. Syllam inopem, unde praecipuam audanciam. Verdächtig.

Warst du düsteren und melancholischen Gemüts, so betrübte es dich nur, daß die öffentlichen Angelegenheiten so gut gingen. Hominem honis publicis maestum. Verdächtig.

Wenn im Gegenteil ein Bürger es sich gut sein ließ und schwelgte, so freute er sich darüber, daß der Imperator einen Anfall von Gicht hatte; man mußte ihn fühlen lassen, daß Seine Majestät noch in der Fülle der Kraft sei. Reddendam pro intempestiva licentia maestam et funebrem noctem qua sentiat vivere Vitellium et imperare. Verdächtig.

Der eine wurde getroffen wegen seines Namens oder wegen seiner Vorfahren; ein anderer wegen seines schönen Hauses zu Alba; Valerius Asiaticus, weil seine Gärten der Kaiserin gefallen hatten; Statitius, weil sein Gesicht ihr mißfallen hatte, und eine Menge anderer, bei denen man die Ursachen nicht erraten konnte.

Wie die Ankläger so die Richter. Die Gerichtshöfe, welche Leben und Eigentum schützen sollten, waren Schlachthöfe geworden, wo alles, was Strafe und Konfiskation geheißen hatte, in Diebstahl und Mord verkehrt wurde.«

Derjenige, der diese mutige Sprache geführt hatte, besaß weder die Kühnheit Dantons noch die Festigkeit Philippeaux' und Lacroix'; er leugnete diese unsterblichen Zeilen nicht ab, aber er nahm nicht mehr das großmütige Gefühl, welches sie ihm eingegeben hatte, als seinen schönsten Ruhm in Anspruch.

Herman warf Lacroix ebenso wie Hérault de Séchelles seine Verbindung mit Dumouriez vor; er hielt ihm die Geständnisse vor, welche sich Miaczinski in der Hoffnung, sein Leben um einige Tage zu verlängern, hatte entreißen lassen.

Lacroix forderte ihn auf, die Zeugen auftreten zu lassen, indem er erklärte, daß diejenigen, auf die er sich berufen wolle, nicht verdächtig sein könnten, weil er sie aus dem Schoße des Konvents selber nehmen würde.

Fouquier gab ihm eine Antwort, die wegen des darin enthaltenen unverschämten Sophismus merkwürdig ist.

»Weil du«, sagte er, »von mir eine förmliche Erklärung verlangst, so erkläre ich, erlauben zu wollen, daß deine Entlastungszeugen vorgeladen werden, jedoch andere, als du in dem Konvent bezeichnet; und bei dieser Gelegenheit bemerke ich, daß, da die Beschuldigung gegen dich von dem gesamten Konvent ausgeht, keines seiner Mitglieder dir als Entlastungszeuge dienen kann, denn nichts wäre lächerlicher, als zu verlangen, man sollte deine eigenen Ankläger zu deiner Rechtfertigung aufrufen lassen, und am wenigsten konstituierte Körperschaften, Verwahrer der höchsten Gewalt, welche zum Wohl des Volkes berufen und nur ihm Rechenschaft schuldig sind.«

Fouquier versprach jedoch, dem Konvent Bericht darüber zu erstatten, und das Verhör nahm seinen Fortgang. Westermann, ebenso wie Lacroix infolge der Aussage von Miaczinski beschuldigt, antwortete sehr richtig, man hätte ihn seinem Ankläger bei Lebzeiten des letzteren gegenüberstellen müssen.

Der Prozeß nahm für diejenigen, welche den Auftrag angenommen hatten, Danton und seine Freunde zu töten, eine beunruhigende Wendung. In der Sitzung vom 14. gerieten sie vollends in Bestürzung. Danton hatte wieder das Wort mit einem Nachdruck ergriffen, der sich in dem Maße, wie die Debatten sich verlängerten, steigerte; sein Ruhm, der seltsame Umstand, daß ein Angeklagter vor Gericht stand, der die Welt zittern machte, hatten eine ungeheure Menge herbeigezogen, und bei jedem Ausbruch dieser mächtigen Stimme hörte man, wie beim Sturmeswehen, jenes Erschauern unter den gedrängten Massen, jenes sichere Anzeichen der Rührung in der Volksmenge, jene Vorläufer des donnernden Beifalls, der jeden Augenblick den Prozeß ersticken und die Verurteilung unmöglich machen konnte. Die Geschworenen, selbst die soliden, waren erschüttert; Naudin, einer derselben, sagte:

»Es ist indes unmöglich, ihnen die Zeugen zu verweigern.«

Die Sitzung wurde in aller Eile aufgehoben.

Fouquier lief in die Komitees, Herman begab sich zu Robespierre; dieser aber, klug wie immer, hatte seine Tür geschlossen; die Heftigen, welche allein in den Tuilerien waren, bedrohten Fouquier, der vorzuschlagen wagte, er wolle auf die Berufung der Angeklagten eingehen.

Um einen Ausweg zu finden, verfaßten Herman und Fouquier einen Brief, worin beim geringsten Murren Dantons oder seiner Anhänger die Einmischung des Konvents erbeten wurde. Während dieser Nacht faßte man den Plan, die dumpfe Aufregung, welche sich aus der Stadt bis in die Gefängnisse verbreitet hatte, in eine Verschwörung umzuwandeln.

Ihrerseits sahen die Angeklagten deutlich, daß ihnen die öffentliche Stimmung günstig sei, und ihre Füße gewannen wieder festeren Boden; der Mut kehrte auch den Schwächeren zurück, die Kühnheit der Ungestümen steigerte sich bei der Aussicht auf einen Sieg. Beim Beginn der Sitzung vom 15. wurde ihre Forderung, die Zeugen vor Gericht zu berufen, gebietend, fast heftig.

Dieses Geschrei, diese Verwünschungen und den daraus folgenden Lärm erwartete gerade Fouquier-Tinville. Er zog den vorbereiteten Brief aus seinen Akten, las ihn mit lauter Stimme und fertigte ihn auf der Stelle den Komitees zu. Derselbe lautete wie folgt:

»Ein schreckliches Gewitter grollt, seitdem die Sitzung eröffnet ist. Die Angeklagten, die sich wie Wahnsinnige gebärden, verlangen die Vernehmung der Entlastungszeugen, der Bürger-Abgeordneten: Simon, Courtois Laignelot, Panis, Fréron, Lindet, Calon, Merlin (von Douai), Gossuin, Legendre, Robin, Goupilleau von Montaigu, Robert Lindet, Lecointre (von Versailles), Brival und Merlin (von Thionville); sie berufen sich auf das Volk, wegen der, wie sie behaupten, ungerechten Verweigerung. Ungeachtet der Festigkeit des Vorsitzenden und des ganzen Gerichtshofes wird dennoch die Sitzung durch ihre wiederholten Anträge gestört, und sie verkünden laut, daß sie nicht schweigen würden und daß ihre Zeugen auch ohne Dekret vernommen werden sollten. Wir ersuchen euch, uns genau vorzuschreiben,wie wir uns auf diese Reklamation zu verhalten haben, da die Gerichtsordnung uns kein Mittel vorschreibt, einen abschlägigen Bescheid zu begründen.«

Gleichzeitig mit diesem Briefe erhielt das Komitee Nachrichten aus den Gefängnissen.

Es gibt darüber zwei verschiedene Berichte: Die einen behaupten, die Verschwörung im Luxembourg sei allein das Werk der Aufwiegler gewesen, welche die Polizei in den Gefängnissen unterhielt. Andere behaupten, der Plan zu einer Erhebung sei wirklich vorhanden und die edelmütige Lucile sei die Anstifterin gewesen. Die arme Frau, von Robespierre zurückgewiesen, hatte im Wahnsinn des Schmerzes den Plan gefaßt, sich mitten unter das Volk zu werfen und von ihm die Rettung der ersten Apostel der Freiheit zu fordern. In ihrer Angst, in dem Eifer, Verteidiger für ihren Camille zu finden, teilte sie ihren Plan Dillon, einem im Luxembourg verhafteten Freunde ihres Gemahls mit; sie beschwor ihn, ihr zu helfen, sie erfüllte ihn mit der Besorgnis eines neuen September; sie stachelte seinen Mut an, indem sie ihn fragte, ob er weniger Kraft besäße als ein Weib. Dillon soll einen Elenden, namens Laflotte, in sein Vertrauen gezogen und dieser ihn am folgenden Tage angezeigt haben.

Die Anzeige, welche von dem Portier des Luxembourg der Polizeiverwaltung überbracht wurde, gelangte durch Withcherich in die Hände des Sicherheitskomitees.

Mit diesen beiden Schriftstücken in der Hand bestieg Saint Just die Tribüne; und um die Köpfe, die er fallen sehen wollte, sicherer zu erlangen, überbot er Fouquiers Brief noch durch eine gehässige Lüge, indem er folgendermaßen begann:

»Der öffentliche Ankläger des Revolutionsgerichts hat die Meldung gemacht, daß durch die Empörung der Verurteilten die gerichtlichen Verhandlungen so lange aufgehoben seien, bis der Konvent seine Maßregeln ergriffen habe.«

Indem er dem unumschränkten Urteilsspruch der Jury vorgreift, fährt er fort: »Welcher Unschuldige hat sich jemals gegen das Gesetz empört? Es bedarf keiner anderen Beweise ihrer Verbrechen als ihre Kühnheit. Die Unglücklichen bekennen ihre Verbrechen, indem sie dem Gesetz Widerstand leisten.«

Dann entwirft er ein phantastisches Gemälde von den Gefahren des Vaterlandes; er ruft den willfährigen Schatten Catilinas auf, er bezeichnet die Angeklagten als die Anstifter der Verschwörung in den Gefängnissen; Withcherichs Brief wird von einem der Schreiber vorgelesen, und der Konvent stimmt für das folgende Dekret:

»Nachdem der Nationalkonvent den Bericht seiner Komitees der öffentlichen Wohlfahrt und der öffentlichen Sicherheit vernommen, verfügt er, daß das Revolutionstribunal die Verhandlung, welche sich auf die Verschwörung von Lacroix, Danton, Chabot und anderen bezieht, fortsetze; daß der Präsident alle Mittel in Anwendung bringe, welche ihm das Gesetz gewährt, um sein Ansehen und das des Revolutionstribunals aufrechtzuerhalten, und jeden Versuch seitens der Angeklagten, die öffentliche Ruhe zu stören und den Gang der Gerechtigkeit zu hemmen, zu unterdrücken;

beschließt ferner, daß jeder der Verschwörung Überwiesene, welcher der Nationaljustiz Widerstand leistet oder sie beleidigt, auf der Stelle von den Verhandlungen ausgeschlossen werden soll.«

Drei Komiteemitglieder, Amar, Bouland und David, von fieberhaftem Haß gegen Danton erfüllt, erklärten sich bereit, das mörderische Dekret sogleich dem Tribunal zu überbringen. Louis Blanc erzählt, Bouland hätte, indem er Fouquier-Tinville das Papier übergab, gerufen: »Jetzt haben wir die Verräter in unseren Händen; dies hier wird es dir bequem machen!« Und dieser, ein Verwandter des Camille Desmoulins, den er vor das Revolutionstribunal gebracht hatte, habe mit lächelndem Munde geantwortet: »Das tut uns, meiner Treu', auch not.«

Michelet bestätigt, daß die drei Konventsmitglieder der Versuchung, sich an der Verzweiflung ihrer Feinde zu werden, nicht widerstehen konnten; während Fouquier das Dekret las, zeigten sich ihre Gesichter an der Luke des Druckers Nicolas, dessen Kabinett sich hinter den Bänken der Geschworenen befand. Danton erkannte sie und zeigte sie Desmoulins mit dem Rufe:

»Sieh nur diese feigen Mörder, sie verfolgen uns bis in den Tod!«

Die Vorlesung von Laflottes Denunzierung, welche dem Dekret beigefügt war, hatte die Verzweiflung des unglücklichen Camille noch auf die höchste Stufe getrieben. Der Verräter erklärte, die Frau des Desmoulins hätte Dillon tausend Taler geboten, um das Publikum im Revolutionstribunal zu gewinnen. Der Unglückliche begriff, daß dies das Todesurteil seiner Lucile sei, und rief bei dem Gedanken, sie mit sich in das Grab zu ziehen, händeringend aus:

»Die Ungeheuer! Nicht zufrieden, mich zu ermorden, wollen sie auch noch mein Weib ermorden!«

Danton sprang auf eine Bank; mit den heftigen, kurz ausgestoßenen Sätzen, welche seine Beredsamkeit ausmachten, wendet er sich bald an das Gewissen der Richter und der Geschworenen, bald läßt er seinem Unwillen freien Zügel; er verflucht die Tyrannen und ruft, indem er den Schleier der Zukunft zerreißt:

»Schändlicher Robespierre, das Schafott verlangt nach dir! Du wirst nicht ungestraft ausgehen, sondern mir folgen.«

Endlich wendet er sich an das Volk und fragt es, ob es die Ungerechtigkeit gestatten wolle; er beschwört es, zu erklären, ob er etwas anderes verlangt habe, als das dem Verklagten zustehende Recht, die Zeugen zu verlangen, welche seine Unschuld kundtun können.

Lacroix sagt: »Man führe uns zum Schafott; wir haben genug gelebt, um ruhmvoll zu schlafen.«

Das Volk erbebt und murrt. Herman droht, Camille richtet heftige Beleidigungen gegen ihn, zerreißt das Papier, worauf er seine Verteidigung vorbereitet hatte, und wirft die Stücke vor das Tribunal.

Nun erhebt sich Fouquier-Tinville und fordert, daß das Dekret des Konvents in Vollzug komme; die Richter entscheiden, daß die Angeklagten von den Verhandlungen ausgeschlossen seien, und auf Hermans Befehl erscheinen Gendarmen, um sie nach der Conciergerie abzuführen.

Dies geschah nicht ohne Mühe.

Danton, auf seiner Bank stehend, mit purpurrotem Gesicht, brüllte die heftigsten und beleidigendsten Reden; Lacroix häufte seine Spottreden auf Fouquier, Westermann erschöpfte sich in Verwünschungen; Desmoulins klammerte sich an die Lehne der Bank der Angeklagten und verteidigte sich gegen die, welche ihn fortzuschleppen versuchten; drei Gendarmen hatten Mühe, ihn zu überwältigen. Fabre d'Eglantine, der seit Eröffnung des Prozesses krank war, erhob sich von seinem Stuhl und rief:

»Tod den Tyrannen!«

Endlich gelang es, sie fortzubringen, und sie verloren sich auf den dunklen Flurgängen. Die Aufregung war so groß, daß, nachdem sie abgeführt, ein düsteres Schweigen in dem Saale der Freiheit herrschte, welches niemand zuerst zu unterbrechen wagte. Richter, Vorsitzender und Geschworene sahen sich bestürzt und bleich wie die Gespenster an.

Endlich erklärten die Geschworenen auf Fouquiers Aufforderung, daß sie genügend unterrichtet seien. Herman gab einen umfassenden Bericht über die Verhandlung, und die Jury ging in ihr Beratungszimmer. Sie kehrte um drei Uhr morgens zurück und gab ein Verdikt ab, welches alle Angeklagten mit Ausnahme von Luillier für schuldig erklärte; der Gerichtshof verurteilte sie zum Tode.

Fouquier-Tinville stellte das Ansuchen, daß in Anbetracht des heftigen Benehmens, dessen sich die Angeklagten schuldig gemacht, das Urteil ihnen im Gefängnisse verkündigt werden solle.

Der Gerichtshof trat diesem Antrage bei.

Die Hinrichtung

Die Luxembourg-Verschwörung; Chaumette, Gobel.

16. Germinal. Dem Befehl des Bürgers Fouquier zufolge blieb ich gestern bis am Abend im Gerichtshause. Da ich ebenso wie die vorhergehenden Tage nicht in den Saal der Freiheit, wo der Prozeß der Bürger-Deputierten verhandelt wurde, eintreten konnte, wo der Zudrang noch bedeutender als vorher war, so kehrte ich gegen neun Uhr nach Hause zurück. Heute morgen ging ich wieder beizeiten nach der Conciergerie. Als ich eintrat, klopfte mir ein Gendarm auf die Schulter und sagte:

»Heute hast du Hochwild.« Rivière setzte hinzu: »Sie sind alle verurteilt.«

Er täuschte sich, denn der Bürger Luillier war freigesprochen worden. Dieser ist aber so unbedeutend, daß es wohl verzeihlich ist, ihn zu vergessen! Es befanden sich schon Leute bei Richard, wahrscheinlich, um die Verurteilten herauskommen zu sehen; letztere mußten wichtige Personen sein, denn die Tür des Gefängnisses war noch nicht geöffnet, und jene Menschen hatten wahrscheinlich schon die Nacht dort zugebracht.

Als ich in den Hof trat, um mich nach dem Gerichtshofe zu verfügen, begegnete mir der Aktuargehilfe Robert Wolf und forderte mich auf, mit ihm hinaufzugehen. In dem Zimmer des Kanzlisten war der Bürger Ducray, der zweite Amtsschreiber, noch mit einem anderen Gehilfen beschäftigt. Fabricius Paris ging mit langen Schritten auf und nieder. Letzterer hatte gerötete Augen, war niedergeschlagen und bleich, und seine Lippen bebten, als ob er vom Fieber befallen sei. Als er mich eintreten sah, nahm er seinen Hut und sprach:

»Ich gehe.«

Ducray wendete sich nach ihm um und fragte;

»Wirst du unterzeichnen?«

»Nein, nein, noch einmal nein,« antwortete der Bürger Fabricius; »lieber will ich mir die Hand abschneiden.«

Als er hinausging, sah ich, daß seine Augen mit Tränen gefüllt waren. Dies setzte mich nicht in Erstaunen, denn er war ein vertrauter Freund des Bürgers Danton, und sein Mut verursachte mir innerliche Freude. Fouquier, der Vetter Desmoulins', der ihn früher eifrig beschützte, hat solche Gewissensbisse nicht gefühlt.

Bald darauf kamen die Bürger Lescot-Fleuriot, der Vertreter des Anklägers, und zwei Departementsverwalter. Lescot fragte mich, ob meine Karren bereit wären; ich antwortete, daß sie kämen. Danach befahl er mir, hinabzugehen und zu warten, was ich auch tat.

Ich hatte eine gute Stunde hoffend gewartet, als ein Gendarm kam und mich im Namen des Anklägers abrief. In seinem Kabinett fand ich eine Menge Bürger, unter welchen ich den alten Vadier, den Repräsentanten, und seinen Kollegen Amar erkannte; seiner sah ich Coffinhal, Arthur, Herman und andere, deren Namen mir unbekannt waren. Sobald Fouquier anwesend war, erteilte mir Lescot-Fleuriot den Befehl. Er sagte mir, die Verurteilten hätten sich gegen den Gerichtshof empört, und man müsse vermuten, daß sie sich der Vollstreckung des Urteils widersetzen würden; ich sollte nicht vergessen, daß die Gewalt der Gerechtigkeit des Volkes verbleiben müßte; um einen Kampf mit der ganzen Truppe dieser Besessenen zu verhüten, würde man sie mir einzeln überliefern; bei ihrem Austritt aus dem Kanzleizimmer sollte ich sie ergreifen und unverzüglich im Guten oder Bösen knebeln; eine Rotte entschlossener Gendarmen würde da sein und mir nötigenfalls Hilfe leisten. Als der Bürger Amar fragte, ob die Pferde tüchtig seien, bejahte dies der andere Vertreter Liendon, und Lescot-Fleuriot fügte hinzu, daß, im Fall die Rebellen einen Volksaufstand bewirkten, mein Wagen mit der Begleitschaft im Trabe oder im Galopp davonfahren sollte; nötigenfalls würden die Gendarmen unsere Deichselpferde mit der Degenspitze anstacheln. Er sagte ferner, auf dem Platze solle alles pünktlich vollzogen werden; die Republik könnte nur gerettet werden, wenn die Köpfe dieser Verräter unter dem rächenden Eisen fielen. Es fand noch eine Erörterung über die Zahl der zu verwendenden Wagen statt. Ich hatte drei bestellt. Lescot erklärte mir, zwei würden ausreichen. Coffinhal behauptete, man brauche nur einen zu nehmen; in dem Falle, daß sich Verräter fänden, um die Verurteilten zu entführen, würde die Begleitung viel leichter einen Karren als mehrere in Schutz nehmen können. Es war nicht der geeignete Augenblick, um bemerkbar zu machen, daß die Verurteilten, wenn sie in einem einzigen Wagen zusammengedrängt wären, große Qualen erleiden müßten; ich warf jedoch ein, daß wenn die Befürchtungen des Bürgers Lescot-Fleuriot in Erfüllung gingen und man gezwungen wäre, die Pferde anzutreiben, so könnten die zu Fuß gehenden Gehilfen sich nicht zur rechten Zeit auf ihrem Posten auf der Guillotine einfinden; es blieb also ausgemacht, daß ich zwei Karren nehmen sollte, und man verabschiedete mich, nachdem mir Liendon die Verhaltungsbefehle seines Amtsgenossen aufs neue eingeschärft hatte. Ich fand das Vorzimmer der Kanzlei voller Gendarmen, und unter ihnen auch einige Kanoniere von dem Revolutionsheere; sie bildeten längs des Gitters, welches das Vorzimmer von der Kanzlei trennt, eine dichte Schranke. Nach einer halben Stunde durchschritt ein Mann ihre Reihen; es war der Bürger Chabot; er war sehr niedergeschlagen und konnte kaum gehen; dies rührte ohne Zweifel ebensowohl von dem Schreck als von seinen Leiden her, denn er hatte sich im Luxembourg vergiftet. Er schien überrascht und unruhig, sich allein unter uns zu sehen, und murmelte zu wiederholten Malen:

»Wo sind denn die anderen?«

Man fesselte ihn und schnitt ihm das Haar ab.

Ehe man damit fertig war, trat Bazire aus der Kanzlei. Chabot stand auf, lief ihm entgegen und hielt ihm sein Gesicht zum Kusse hin. Er weinte und sagte mit einer Stimme, die noch tränenreicher als seine Augen war:

»Mein armer Bazire, meinethalben mußt du den Tod erleiden.«

Der Bürger Bazire drückte ihn an sein Herz, ohne ein Wort des Vorwurfs auszusprechen.

Die beiden Volksrepräsentanten Frey und Delaunays, der ehemalige Abbé d'Espagnac und Diedericksen wurden darauf herbeigeführt. Man rief sie in die Kanzlei, ohne ihnen zu sagen, um was es sich handle; man las ihnen ihr Urteil vor und ließ sie dann in den Saal treten, wo wir sie erwarteten; jene obengenannten fünf Verurteilten traten zu gleicher Zeit ein. Darauf kamen nach der Reihe Philippeaux, Lacroix, Westermann und Fabre d'Eglantine; der letztere, welcher krank schien, wurde von zwei Gefängniswärtern unterstützt. Während seines Anzuges erklärte er, er habe entweder dem Bürger Fouquier oder einem anderen Stellvertreter eine notwendige Mitteilung zu machen; einer der Gehilfen meldete dies dem Gerichtsschreiber, der aber abschlägigen Bescheid gab. Der Bürger Fabre stampfte zornig mit dem Fuße und rief:

»Es ist also nicht genug, mich zu morden, man muß auch das Schlachtopfer noch berauben.«

Dann erhob er seine Stimme und fügte hinzu:

»Ich protestiere hiermit öffentlich gegen die Schändlichkeit der Verräter vom Komitee, die mir eine Komödie gestohlen haben, die nichts mit meinem Prozeß zu schaffen hat und die sie mir vorenthalten.«

Lacroix sah die Leute mit trüben Augen an. Philippeaux war sehr ruhig.

Noch sprach Fabre, als wir einen großen Lärm in der Kanzlei vernahmen. Man erkannte die Stimme des Bürgers Danton, und alle schwiegen, um ihn besser hören zu können. Wegen der Lebhaftigkeit, womit er sich ausdrückte, konnte man nicht jedes Wort verstehen; oft hörte sich seine Rede wie ein Gebrüll an. Einen Augenblick sagte er deutlich:

»An deinem Urteil ist nichts gelegen; ich will es nicht hören; uns Revolutionäre richtet die Nachwelt, sie wird meinen Namen ins Pantheon und die eurigen auf das Hochgericht setzen.«

Als Ducray wieder mit dem Lesen fortfuhr, unterbrach er ihn abermals, immer schrecklicher, und erging sich in Schmähungen gegen die Tyrannei, gegen das Tribunal, welches er einen Ort der Entehrung nannte, und gegen das Volk, das er der Dummheit beschuldigte. Man konnte ihn nicht zum Schweigen bringen, und Ducray mußte zu Ende lesen, ohne daß er ihn anhörte; endlich gelangte er, von den Schließern gestoßen und von den Gendarmen fortgezerrt, in das Vorzimmer. Sobald er die schon gefesselten Verurteilten und uns erblickte, nahm sein Gesicht so plötzlich einen ganz anderen Ausdruck an, daß man ihn nicht für denselben Mann hätte halten können, wenn er nicht von der vorhergegangenen Aufregung noch atemlos gewesen wäre. Er nahm eine gleichgültige, fast kalte Miene an; entschlossenen Schrittes ging er auf mich zu, fiel auf einen Stuhl, riß den Kragen von seinem Hemd und sagte zu mir:

»Verrichte dein Geschäft, Bürger Sanson!«

Ich vollzog es selber. Er hatte ungewöhnlich hartes Haar, wie Pferdehaar. Während dieser Zeit sprach er ununterbrochen und wendete sich an seine Freunde mit den Worten:

»Das ist der Anfang vom Ende; jetzt wollen sie die Volksvertreter schubweise guillotinieren, aber Vereinzelung ist nicht Stärke. Komitees, die von Robespierre und dem lahmen Couthon geleitet werden ... wenn ich ihnen noch meine Beine hinterlassen könnte, so möchte es noch einige Zeit aushalten ... aber nein ... und Frankreich wird in einer Pfütze von Blut und Kot erwachen.«

Ein wenig später rief er noch:

»Wir haben unsere Aufgabe vollendet, nun wollen wir schlafen gehen.«

Die Bürger Hérault de Séchelles und Camille Desmoulins wurden zusammen herbeigeführt. Der erste schien gleichgültig; der zweite weinte und sprach in herzzerreißenden Worten von seiner Frau und seinem Kinde; sobald er uns aber sah, fand eine ebenso unmittelbare, aber ganz verschiedene Veränderung statt, wie bei Danton; er warf sich auf die Gehilfen, als ob diese die Verurteilten und er der Scharfrichter wäre – er stieß und schlug sie; seine Kleider wurden zerrissen in dem Kampfe, der erst ein Ende erreichte, als die Gendarmen sich einmischten. Er war nicht groß und ein wenig fett, dennoch leistete er ebenso lange Widerstand, als ob er ein sehr starker Mann gewesen wäre. Freilich befand er sich in einem Zustande, wo die Seele in die Muskeln übertritt. In einem Augenblicke waren seine Kleider zerfetzt. Als ihm das Haar abgeschnitten werden sollte, mußten vier Personen ihn auf dem Stuhle festhalten; bald warf er sich vor-, bald rückwärts, und schlug zwei von denen, welche ihn hielten, zu Boden. Bei diesem Kampfe schmähte er uns; seine Freunde versuchten, ihn zu beruhigen, Fabre mit sehr sanften Worten, Danton mit dem Nachdruck der Autorität. Letzterer sagte zu ihm:

»Lasse doch diese Männer! Weswegen willst du dich an diesen Knechten der Guillotine vergreifen, sie verrichten ihr Handwerk, tue du deine Schuldigkeit!«

Nun stürzten die Tränen stromweise aus Desmoulins' Augen, und er rief:

»Lucile, komm zu mir, Lucile!« als ob die arme Frau ihn hätte hören können.

Als er sie nicht kommen sah, wollte er wahrscheinlich zu ihr eilen und versuchte abermals, zu entkommen.

Endlich waren wir mit allen fertig. Ducray, der dageblieben war, gab das Zeichen zum Fortgehen. Man stellte je einen Verurteilten zwischen zwei Gendarmen, und die übrigen Gendarmen bildeten eine zweite Schutzwehr um sie. So gingen wir fort.

Die Repräsentanten und Westermann stiegen in den ersten Wagen. Ich stellte mich vornhin; Henri und ein Gehilfe hinten; in dem zweiten Wagen befanden sich vier Gehilfen mit den übrigen Verurteilten. Die Bedeckung war ebenso stark wie bei der Königin und den Bürgern von der Gironde.

Danton stand hinter mir in der ersten Reihe aufrecht; neben ihm Hérault de Séchelles; dann kamen Fabre, Camille und Philippeaux; Chabot war der einzige, der saß; er schien stark zu leiden und erbrach sich unterwegs. Bazire kniete neben ihm, und war Henri soviel wie möglich behilflich, ihn zu unterstützen und zu ermutigen.

In dem Augenblicke, als der Kärrner sein Pferd antrieb, rief Danton:

»Die verdammten Schafsköpfe werden rufen, wenn sie uns vorbeikommen sehen: Es lebe die Republik! – Binnen zwei Stunden wird die Republik ohne Kopf sein.«

Fabre klagte noch immer über den Verlust seiner Komödie; als Danton dies hörte, sagte er ihm lachend, indem er ein Wortspiel machte (vers – Verse und Würmer):

»Du klagst über deine Verse, ehe acht Tage vergehen, wirst du mehr Würmer bilden, als dir lieb ist, und mir auch.«

Als wir auf den Kai hinausbogen, überließ sich Camille Desmoulins abermals seiner Aufregung.

»Kennt ihr mich nicht mehr?« rief er, indem er sich zum Karren hinauslegte, »auf meine Stimme ist die Bastille gefallen! Kennt ihr mich nicht? Ich bin der erste Apostel der Freiheit! Ihre Bildsäule wird von dem Blute eines ihrer Kinder benetzt werden. Mir zu Hilfe, Volk des 14. Juli, laß mich nicht ermorden!«

Man antwortete ihm mit höhnischem Gelächter. Seine Wut verdoppelte sich; ich fürchtete, er möchte sich unter die Räder des Wagens stürzen; der Gehilfe mußte hin, ihn zurückzuhalten; man drohte ihm, aber vergebens, ihn an die Wagenleitern zu knebeln. Danton, der deutlich sah, daß das Volk, welches sie umgab, sich nicht regen würde, bog sich über Philippeaux fort und sagte mit starker Stimme zu ihm:

»Schweig doch, schweig, hoffst du etwa, diese gemeine Kanaille zu rühren?«

Und Lacroix sagte:

»Beruhige dich, sei eher darauf bedacht, ihnen Achtung einzuflößen, als ihr Mitleid zu erregen!« Danton hatte recht. Er hätte eher Steine erweichen können. Als wir aus der Conciergerie herauskamen, wurde die Bedeckung von einer Menge Männer und Frauen der Guillotine, die uns erwarteten, umringt; diese Menge hielt sich gedrängt, blieb an unserer Seite und stieß ein so lautes Geschrei aus, daß die Bürger, welche an den Fenstern oder längs der Häuser standen, unmöglich die Worte der Verurteilten verstehen konnten.

Als wir an einem Kaffeehause vorüberkamen, sahen wir einen Bürger auf dem Fensterbrett sitzen und die Verurteilten abzeichnen. Diese erhoben das Haupt und murmelten:

»David, David!«

Ich erkannte ihn wirklich an seinem schiefen Munde. Danton erhob die Stimme und rief ihm zu:

»Du da, Knecht, sage deinem Herrn, wie die Soldaten der Freiheit sterben!«

Lacroix rief ihn seinerseits an und schalt ihn einen Verräter; David fuhr fort zu zeichnen.

Türen, Fenster und Fensterläden, alles war in Duplays Hause geschlossen. Die Verurteilten suchten es schon vorher mit den Blicken. Als sie vor demselben waren, riefen sie diesen stummen und düsteren Mauern tausend Spottreden zu.

»Elender Scheinheiliger,« sagte Fabre.

Lacroix rief:

»Der Feige, er verbirgt sich, wie er sich am 10. August verbarg!«

Camille:

»Ungeheuer, wirst du nicht von meinem Mut gesättigt sein? Weshalb lechzest du noch nach dem Blute meiner Frau?«

Dantons Stimme beherrschte alle übrigen; sein Gesicht, das schon immer rot war, wurde bläulich, sein Mund schäumte und seine Augen funkelten wie glühende Kohlen.

»Robespierre!« rief er aus, »es ist vergebens, daß du dich verbirgst; auch du wirst an die Reihe kommen, und der Schatten Dantons wird in seinem Grabe vor Freuden beben, wenn du an diesem Platze stehst.«

Er fügte noch grobe Beleidigungen hinzu.

Bis vor die Guillotine blieb sich Danton gleich, indem er ohne Übergangsstufen von der heftigsten Aufregung zur ruhigsten Heiterkeit überging, bald brutal, bald niedrig scherzend, aber immer so standhaft, daß, wer ihn allein gesehen, das traurige Gefährt, in welchem ich ihn führte, für den Wagen eines Triumphators hätte halten können. In dem Augenblicke, als wir auf den Platz einbogen, bemerkte er das Schafott; sein Gesicht entfärbte sich, und ich sah sein Auge feucht werden. Die Aufmerksamkeit, womit ich ihn betrachtete, mochte ihm mißfallen; er stieß mich hastig mit seinem Ellbogen und fragte mich wütend:

»Hast du nicht ein Weibchen und Kinder?«

Ich antwortete bejahend; darauf fuhr er in demselben Tone fort:

»Ich auch. Nun, als ich an sie dachte, wurde ich wieder Mensch.«

Er senkte das Haupt, und wir hörten ihn murmeln:

»Mein geliebtes Weib, ich werde dich nicht wiedersehen; mein Kind, ich werde dich nicht sehen.«

Als der Karren anhielt, faßte er sich wieder, schüttelte krampfhaft das Haupt, als wollte er sich von einem lästigen Gedanken befreien, und stieg mit den Worten ab:

»Keine Schwachheit, Danton.«

Delaunay, Chabot, Bazire, die beiden Frey, Gusman, Diedericksen, d'Espagnac starben zuerst.

Als Camille auf die Plattform stieg, blieb er einen Augenblick vor mir stehen und fragte mich, ob ich ihm noch einen letzten Dienst erweisen wollte; ich hatte nicht die Zeit, ihm zu antworten, aber er mochte mir am Gesicht ansehen, daß er auf mich rechnen konnte; er ersuchte mich, ihm eine Haarlocke aus seiner Hand zu nehmen und sie der Mutter seiner Frau, Madame Duplessis, zu überbringen. Bei dem letzten Worte weinte er, und ich war nahe daran, ein gleiches zu tun. In diesem Augenblick zog man das Messer, welches Chabot enthauptet hatte, in die Höhe; er sah das Eisen mit Blut befleckt und sagte halblaut:

»Das ist meine Belohnung, meine Belohnung.«

Dann blickte er zum Himmel empor und ließ sich nach dem Fallbrett führen, während er zu wiederholten Malen den Namen Lucile nannte. Ich gab das Zeichen, und das Messer fiel.

Fabre, Lacroir, Westermann und Philippeaur wurden nach Camille hingerichtet. Westermann rief mehrere Male:

»Es lebe die Republik!«

Fabre sagte zu sich selbst:

»Wir werden zu sterben wissen!«

Aber seine Aufregung war groß, und er hatte Mühe, sie zu bezähmen. Lacroix wollte zum Volke reden; wir hatten aber Befehl, uns dem zu widersetzen, und die Gehilfen schleppten ihn fort.

Dann kam Hérault de Séchelles herauf und Danton mit ihm, ohne den Aufruf abzuwarten und ohne daß ihn jemand hinderte. Die Gehilfen hatten Hérault schon ergriffen, als er hinzutrat, ihn zu umarmen. Hérault, der nach dem Fallbrett gestoßen wurde, konnte ihm das letzte Lebewohl nicht sagen, und Danton rief:

»Ihr Dummköpfe! wollt ihr verhindern, daß unsere Köpfe sich im Korbe küssen?«

Er sah seinen Freund mit einer Kaltblütigkeit sterben, die dem menschlichen Geschlecht nicht eigen ist, nicht eine Muskel seines Gesichts verzog sich. Es schien nicht nur der Todesfurcht, sondern dem Tode selber Trotz zu bieten. Der Korb war noch nicht ausgeräumt und das Halsstück noch nicht gereinigt, als er vorschritt; ich hielt ihn zurück und nötigte ihn, umzukehren, bis man den Leichnam fortgebracht hätte; er aber zuckte verächtlich die Achseln:

»Was tut es, ob ein wenig mehr oder weniger Blut an deiner Maschine klebt,« sprach er, »vergiß nur nicht, meinen Kopf dem Volke zu zeigen, solche Köpfe bekommt es nicht alle Tage zu sehen!«

Als man, seinem letzten Wunsche gemäß, den Kopf Dantons um das Schafott herumzeigte, wurde gerufen:

»Es lebe die Republik!«

Aber dieser Ruf blieb auf die nächste Umgebung der Guillotine beschränkt. –

Da der Magdalenenkirchhof, worauf der König, die Königin und die Girondisten liegen, durch Departementsentscheid geschlossen war, so wurden die fünfzehn Leichname der Dantonisten heute nacht nach dem kleinen Kirchhofe gebracht, den man neben der Barriere von Monyeaux in dem alten Garten für die Hingerichteten angelegt hat.

Ich kehrte um sechs Uhr nach dem Gerichtshause zurück, um mir Befehle zu morgen einzuholen. Riviére machte ich Mitteilung über das Geschehene. Als ich über die Brücke nach Hause ging, begegneten mir die Geschworenen Desboisseaux und Vilate in Begleitung der Gemeindemitglieder Vaucannu und Langlois. Sie wollten von mir hören, wie Danton gestorben wäre. Ich erzählte, was ich gesehen hatte. Langlois unterbrach mit den Worten:

»Das glaube ich wohl, er war besoffen wie ein Preuße.« Ich versicherte, er sei ebensowenig betrunken gewesen wie ich selber. Darauf nannten sie mich einen Verräter und riefen mir noch andere Beleidigungen nach.

Lucile Desmoulins

17. Germinal. Ich erfüllte den Auftrag, den mir der arme Bürger Desmoulins erteilt hatte. In seiner Wohnung, Straße des französischen Theaters, gab mir der Türsteher die Adresse des Bürgers Duplessis in der Rue des Arcs. Ich hütete mich, hinaufzugehen, sondern ließ die Magd holen, ohne zu sagen, wer ich sei; ich teilte ihr mit, ich hätte dem Tode Desmoulins beigewohnt und wäre von ihm ersucht worden, dieses Medaillon seiner Schwiegermutter zu übergeben. Ich legte es in ihre Hände und ging fort. Noch hatte ich nicht hundert Schritte zurückgelegt, als ich mich rufen hörte; die Magd kam hinter mir hergelaufen und bat mich, zurückzukehren, der Bürger Duplessis wolle mich sehen; ich entgegnete, ich hätte es eilig und würde ein anderes Mal wiederkommen; in diesem Augenblicke aber kam der Bürger Duplessis selber; es war ein bejahrter, ehrwürdig aussehender Mann. Ich wiederholte, was ich der Magd erzählt hatte; er antwortete mir, ich müßte ihm noch mehr erzählen, wofür er mir dankbar sein würde. Ich sträubte mich noch immer, indem ich meine Geschäfte vorschützte; aber er bestand dringend auf seinem Verlangen, so daß die Vorübergehenden stehenblieben und lauschten. Sie konnten mich kennen; ich hielt es daher für das beste, ihm zu folgen. Er wollte meinen Arm nehmen, ich zog ihn aber zurück, und als wir in der engen Straße nicht nebeneinander gehen konnten, hielt ich mich hinter ihm. Er wohnte im zweiten Stockwerk; er ließ mich in ein großes, reich möbliertes Zimmer treten, wies mir einen Stuhl an, setzte sich selber vor einem mit Papieren bedeckten Tische in einen Lehnstuhl und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Ich hörte den Schrei eines Kindes und bemerkte in der Vertiefung eines Bibliothekzimmers eine Wiege mit herabgelassenen Vorhängen. Der Bürger Duplessis lief nach der Wiege hin und nahm einen kleinen Knaben heraus, der krank zu sein schien und fortwährend ächzte. Er zeigte ihn mir mit den Worten:

»Das ist ihr Sohn.«

Seine Stimme verriet Tränen, aber seine geröteten Augen blieben trocken.

»Dies ist ihr Kind«, wiederholte er.

Dann umarmte er es mit einer krampfhaften Hast, legte es wieder in sein Bett und fragte mit einiger Anstrengung.'

»Ihr waret zugegen, Ihr habt ihn gesehen?«

Ich machte eine bejahende Gebärde.

»Als ein mutiger Mann, als ein Republikaner, nicht wahr?« fügte er hinzu, ohne das Wort sterben auszusprechen.

Ich antwortete, seine letzten Worte hätten seinen Geliebten gegolten. Nach ziemlich langer Pause rang er plötzlich seine Hände, erbleichte und rief:

»Und sie? o meine Tochter? meine arme Lucile? Werden sie ebenso unbarmherzig gegen sie sein wie gegen ihn? Ist es nicht zu viel für einen elenden Greis, zwei Kinder beweinen zu müssen? Man hält sich für einen Philosophen, mein Herr, man glaubt sich durch die Vernunft gegen den Gedanken an die Zerstörung gestählt ... Gibt es denn aber eine Philosophie, gibt es eine Vernunft, wenn man unser Kind bedroht? wenn wir uns ohnmächtig fühlen, es zu verteidigen, für dasselbe zu kämpfen, unser Blut zu seiner Rettung zu vergießen? Mein Gott, wenn ich denke, daß es uns nicht erlaubt sein soll, ihren letzten Athem zu empfangen, daß sie sich abquälen, daß sie zwei Stunden Todesqual leiden soll, während wir uns hier in Sicherheit befinden, in diesem Hause, wo sie geboren wurde, in diesem Zimmer, wo sie spielte, vor diesem Herde, der sie erwärmte. Wenn wir uns sagen, daß sie vielleicht, noch unglücklicher als Camille, niemand anders haben wird, uns ihr letztes Lebewohl zu übersenden, als den elenden Henker, der sie tötet!«

Ich fühlte, wie mich ein Schauer durchrieselte und mein Haar sich sträubte. Er ging im Zimmer auf und ab, indem er seine weißen, verworrenen Haare schüttelte und mit stierem Blick und wilder Miene die Fäuste ballte. Als er vor einer Büste der Freiheit, die auf dem Kaminsims stand, vorüberkam, warf er sie wütend herunter und zertrat die Trümmer vollends mit dem Fuße. Ich war zu gleicher Zeit entsetzt und bestürzt und fand kein Wort des Trostes, kein Wort der Hoffnung für ihn. Ich bedauerte bitter, den Bitten des armen Mannes nachgegeben zu haben. In diesem Augenblicke klingelte man; eine Bürgerin, etwa fünfzig Jahre alt, aber noch schön, obgleich das Gesicht von Verzweiflung entstellt war, trat ein und sank dem Bürger Duplessis in die Arme, mit den Worten:

»Verloren! sie ist verloren! binnen drei Tagen wird sie vor das Tribunal geführt.«

Sie war die Mutter von Desmoulins' Gattin. Ich entsetzte mich bei dem Gedanken, von dieser Frau erkannt zu werden, der ich das Glück ihrer Tochter geraubt und wahrscheinlich ihre eigene Tochter nehmen mußte; ich entfloh, als hätte ich ein Verbrechen begangen. Niemals habe ich so schmerzlich gelitten wie in Gegenwart dieser Unglücklichen.

18. Germinal. Gestern erschien ein großmütiger Bürger vor der Schranke des Nationalkonvents und erbot sich, auf seine Kosten die Guillotine zu unterhalten.

20. Germinal. Die Frau von Desmoulins befindet sich mit ihren Mitschuldigen bei der sogenannten Luxembourg-Verschwörung in der Conciergerie; morgen werden sie mit dem Bürger Anaxagoras Chaumette, Gobel, ehemaligem Bischof, dem Repräsentanten Simon und vielen anderen vor dem Tribunal erscheinen.

24. Germinal. Der Prozeß der Frau des Bürgers Desmoulins wurde heute um zehn Uhr morgens geschlossen; um fünf Uhr abends war auch ihr Leben und ihr Schmerz beendigt. Als sie nach der Conciergerie kam, rührte sie alle Leute durch den Ausdruck ihrer Verzweiflung. Einen Augenblick hielt man sie für verrückt und hoffte, obgleich dies eine kühne Hoffnung war, ihre Verstandsverwirrung könnte sie vom Schafott retten; aber der Gedanke, ihren Camille wiederzusehen, herrschte in diesem gestörten Hirne vor, und dieser Gedanke war so mächtig, daß sie in der Gerichtssitzung die ganze Klarheit ihres Geistes wieder erhielt; sie antwortete dem Vorsitzenden Dumas mit großem Nachdruck und mit Lebhaftigkeit. Sie wäre schneller abgefertigt worden, denn die Angelegenheit hat nicht weniger als drei Sitzungen in Anspruch genommen, aber man hielt es für schicklich, die Angeklagten der vorgeblichen Luxembourg-Verschwörung mit den Mitschuldigen Héberts, Vincents und Ronsins zu vereinigen, d. h. mit Leuten, die sich gegenseitig verabscheuten; es saßen fünfundzwanzig auf den Bänken, von denen neunzehn verurteilt und hingerichtet wurden. Der Bürger Chaumette, Schriftsteller und Agent der Pariser Kommune, verleugnete seinen Ruf als Philosoph nicht; er ertrug sein trauriges Schicksal mit großer Festigkeit und unerschütterlicher Heiterkeit des Gesichts; von Zeit zu Zeit wendete er sich an das Publikum mit seiner gewöhnlichen Beredsamkeit. Aber dieses Volk ist unter der Republik ebenso wandelbar und vergeßlich, wie es unter dem alten Regime gewesen ist. Vor vier oder fünf Monaten galt der Bürger Chaumette bei den Parisern noch für eine große Berühmtheit; es war die erste Sorge des Fremden, seine Reden zu hören; man drängte sich an die Türen des Gemeindehauses; heute antworteten viele dieser damals Begeisterten auf seine ergreifenden Worte nur mit Spottgeschrei.

In seiner Verteidigung entwarf Chaumette in kurzem seine Lebensbeschreibung.

»Ich habe erklärt,« sprach er, »daß ich der Sohn eines ehrlichen Handwerkers bin; dreizehn Jahre alt, ging ich zur See; ich begann als Schiffsjunge und wurde Steuermann; nach dem beendigten amerikanischen Kriege hoffte ich, die Freiheit in meinem Vaterlande hergestellt zu sehen. Vom Adel und den Priestern, namentlich von den Bischöfen verfolgt, warf ich mich in die Schriftsteller-Laufbahn; ich übersiedelte nach Avignon, wo ich das Tageblatt dieser Stadt schrieb. Dann eilte ich bald nach Brest, bald nach Calais, bald nach Marseille; überall lieferte ich Artikel von philosophischem Wert.

In mein Departement zur Zeit der Revolution zurückgekehrt, ergriff ich die Partei der Sansculotten. Ich erklärte den Generälen der Nationalgarde, welche zuletzt auswanderten, den Krieg. Meine Mitbürger forderten mich auf, den zu Nancy verstorbenen Patrioten die Leichenrede zu halten; darauf schilderte und entlarvte ich Bouillé; ich wagte es, Schmähschriften gegen Lafayette zu schleudern. Ich kam nach Paris, Loustalot lebte noch, Prudhomme nahm mich auf, und ich arbeitete bis zum 19. August an den ›Révolutions de Paris‹. Mein Benehmen während dieser denkwürdigen Zeit ist bekannt. Seitdem wurde ich vom Volk zu einem Gemeindeamte berufen, und man weiß, wie ich seine Rechte wahrgenommen habe. Jetzt soll der Gerichtshof mein Todesurteil sprechen. Ich bin ruhig über mein zukünftiges Geschick!«

Ganz anders war Gobels Haltung; mit dem Unglück war ihm das Gewissen erwacht; er hörte nicht auf, den Gott, den er geleugnet hatte, anzurufen. Er beichtete seinem ehemaligen Vikar, dem Bürger Lothringer, der sich entschieden geweigert hatte, seinen Glauben abzuschwören. In dem Vorzimmer der Kanzlei kniete der ehemalige Bischof nieder und bat mit lauter Stimme um Verzeihung für den Skandal, den er verursacht hatte; er wollte Chaumette vorpredigen, aber dieser fiel ihm gleich in die Rede und sagte ihm mit Entrüstung:

»Stirb du in deinem Glauben, ich werde in dem meinigen sterben; wenn es einen Gott gibt, so mag er mir die Fehler, die ich in guter Meinung beging, verzeihen, aber er würde mir nicht eine Lüge, die mir die Furcht eingeflößt, vergeben.«

Beysser zeigte bis zum letzten Augenblicke völlige Sorglosigkeit. Die Bürgerin Desmoulins benutzte die wenigen Augenblicke, die ihr nach dem Urteilsspruch blieben, sich zu schmücken, als ob dieser Tag ihr zweiter Hochzeitstag wäre. Sie war ebenso wie die Witwe Heberts in das Zimmer der Gefängnisschließer gebracht worden und sollte dort bis zum Abgange bleiben; dort haben wir sie zur Hinrichtung vorbereitet. Die Witwe Hébert weinte sehr; die Bürgerin Desmoulins lächelte im Gegenteil; mehrmals umarmte sie die Frau des erbittertsten Feindes ihres Gatten und wandte alles zu ihrem Troste auf. Als sie auf den Karren steigen sollte, näherte sich ihr Dillon. Sie drückte ihr herzliches Bedauern aus, seinen Tod veranlaßt zu haben; Dillon antwortete, dies sei nichts als ein Vorwand; und zeigte sich über das Schicksal eines so jungen und reizenden Geschöpfes gerührt. Die Bürgerin Desmoulins unterbrach ihn:

»Betrachtet doch einmal mein Angesicht,« rief sie, »ob es das einer Frau ist, die des Trostes bedarf? Seit acht Tagen hege ich nur den einen Wunsch, Camille wiederzusehen; dieser Wunsch wird erfüllt werden. Wenn ich nicht diejenigen haßte, die mich verurteilt haben, weil sie den edelsten und besten der Männer mordeten, so würde ich sie für den Dienst, den sie mir heute erweisen, segnen.«

Darauf sagte sie Dillon Lebewohl, ohne Rührung und mit der Heiterkeit einer Frau, die sich von einem Freunde trennt, den sie bald wiederzusehen hofft. Dillon saß im ersten Karren, im zweiten die Bürgerin Desmoulins mit Grammont-Nourry, Lacroir, Lapalu, Lassalle und der Witwe Hébert. Während der Fahrt plauderte sie mit diesen beiden Bürgern, die sehr jung waren: Lapalu war sechsundzwanzig und Lassalle vierundzwanzig Jahre alt. Sie scherzte mit solcher Heiterkeit, daß sie jene mehrmals zum Lächeln zwang. Ihre Unterhaltung wurde durch die Tränen der Witwe Hébert und durch die beiden Grammont gestört, die sich in einen elenden Streit verwickelten: der Sohn warf dem Vater vor, er habe durch seine Ratschläge und durch sein Beispiel seinen Tod verschuldet. In seiner Angst ließ sich der junge Mann dazu verleiten, seinen Vater wie einen Schurken zu behandeln.

»Mein Herr,« sagte die Bürgerin Desmoulins zu ihm, »man behauptet, Sie hätten Antoinette, als sie zum Schafott geführt wurde, beleidigt; darüber bin ich nicht erstaunt; Sie hätten sich aber ein wenig Kühnheit aufsparen sollen, um einer anderen Majestät Trotz zu bieten: der Majestät des Todes dem Sie entgegengehen.«

Grammont, der Sohn, antwortete mit einer Beleidigung, und sie wendete sich mit Widerwillen ab. Sie stieg mutig hinauf und sah kaum bleich aus. Wie Adam Lux ging sie mit der Überzeugung dahin, daß die Seele des Geliebten sie jenseits erwarte. Dillon rief:

»Es lebe der König!«

Im Augenblick des Sterbens wollte Grammont, der Vater, seinen Sohn gerührt umarmen, aber dieser stieß ihn zurück.

25. Germinal. Heute morgen habe ich das Haar der Bürgerin Desmoulins ihren Eltern geschickt. Ich übergab das Paket einem Savoyarden, den ich von der Barrière Saint Jacques geholt hatte; ich sprach lange mit ihm, um mich zu überzeugen, daß er mich nicht kenne und ihnen den Namen dessen, der ihnen diese Reliquien überschickte, nicht nennen werde. Der Gedanke, mir Dank zu schulden, würde ihnen wahrscheinlich schrecklich gewesen sein. Übrigens mußten sie bereits einen Teil des Haupthaares ihrer Tochter besitzen, denn ich bemerkte, daß sie dasselbe schon vorn und an den Seiten verschnitten hatte.

Tagebuch

Die Parlamentsrichter und Beamten; Malesherbes, d'Espremenil; die Generalpächter; Lavoisier.

30. Germinal. Seit Dumas dem Herman im Vorsitz des Gerichtshofes gefolgt ist, werden die Urteilssprüche noch beschleunigt, was jeder bisher für unmöglich hielt. Gestern wurden siebzehn verurteilt und heute morgen nach dem Revolutionsplatze geführt. Die Haltung von zwei Dienstboten war erhaben an Selbstverleugnung und Treue, sie schienen stolz und geehrt, mit ihrer Herrschaft zu sterben, und wollten nicht darauf hören, als jene sich entschuldigten, ihren Tod verursacht zu haben.

1. Floreal. Der Gerichtshof hat diejenigen, welche im Namen der Gerechtigkeit richteten, im Namen der Revolution gerichtet, und ich führte heute dieselben Magistratspersonen, deren Urteilssprüche ich solange vollzog, zum Schafott. Ich fühlte mich tief gerührt, als ich sie, fünfundzwanzig an der Zahl, teils vom Parlament von Paris, teils von Provinzialparlamenten, vorüberkommen sah; sie gingen in einer Reihe, die Präsidenten an der Spitze, ernst und gesammelt, als wenn sie zu einer Amtstätigkeit schritten. Als sie in den Saal der Toten geführt wurden, blieb ich bestürzt vor dem Präsidenten Bochart de Sarron stehen, der mir seine Hände zum Binden hinhielt; als er meine Bestürzung sah, sprach er:

»Tue, was dir das Gesetz befiehlt! selbst das ungerechte Gesetz bleibt noch immer das Gesetz.«

2. Floreal. Die Jakobiner beschäftigten sich mit einer wichtigen Angelegenheit. Der Steuereinnehmer von ihrer Abteilung, ein ängstlicher und schwieriger Beamter, ist auf den Einfall geraten, daß der Patriotismus sich nicht von der Steuerzahlung ausschließen dürfe, besonders wenn diese Steuern in die Staatskasse fallen; infolgedessen hatte er an die Gesellschaft geschrieben und mehrere Quartalbeträge fälligen Mietzinses gefordert, welche sie der Nation als Eigentümerin des Lokals der Jakobiner schulde. Die Entrüstung war groß und verlor an ihrer Heftigkeit nichts, als Collot d'Herbois, nachdem er die Gesinnung der Versammlung geprüft, rund heraus verlangte, der Schuldige solle vor das Revolutionstribunal gestellt werden, damit dieses seine Rechnungen ins reine bringe. So sind wir also zu jener Zeit zurückgekehrt, wo die großen Herren ihre Gläubiger zum Fenster hinauswarfen, mit dem Unterschiede nur, daß dieses Fenster heute nur eine Dachluke ist und die Guillotine heißt. Heute wurden sechs Verurteilte hingerichtet.

3. Floreal. Die angesehenen Bürger, die Männer von Besitz folgen sich ohne Unterbrechung auf der Guillotine. Wie viele wird man noch verschlingen? Die, welche uns regieren, sollten jedoch bedenken, daß diese täglichen Schlächtereien sehr gehässig geworden sind. Selbst die Troßbuben der Guillotine haben von ihrer Hitze und Wut verloren, und was die wirklichen Bürger anbelangt, so sind diese jetzt ganz anders gesonnen als im Pluviose. Wenn die Karren ankommen, so ist es, als ob die Pest vorbeizöge: Türen, Fenster, Läden werden geschlossen, die Straße bleibt öde. Heute fuhren wir den Bürger Lamoignon de Malesherbes, der bei Gelegenheit des Prozesses gegen den König in so mutiger Weise an den Konvent schrieb:

»Ich bin zweimal von demjenigen, den ihr richten wollt, zu Rate gezogen worden, zu einer Zeit, wo dieses Amt von aller Welt begehrt wurde; ich bin ihm denselben Dienst jetzt schuldig, wo viele Leute dieses Amt gefährlich finden.«

Er ist auf seinem Landgute Malesherbes mit seiner ganzen Familie verhaftet worden; der vorgestern hingerichtete Präsident von Rosambo war sein Schwiegersohn; heute wurde seine Tochter und Enkelin mit ihm guillotiniert. Nach seiner Verhaftung hatte man ihn in das Haus von Port-Libre gebracht; dort begegnete er einem ehemaligen Hilfsarbeiter von seinem Ministerium, der ganz erstaunt ausrief: »Sie sind hier, mein Herr?«

Er antwortete lächelnd: »Ja, mein Freund, in meinen alten Tagen bin ich ein schlechter Mensch geworden und lasse mich ins Gefängnis setzen.«

d'Espremenil, der in dem alten Parlament so viel Aufsehen machte, gehört auch zu den Verurteilten; er zählt zu denen, welche zuerst von ihrer Begeisterung für die Republik zurückkamen, und hatte in der gesetzgebenden Versammlung das Königtum ebenso warm verteidigt, wie er es ehemals angriff. Am 10. August wurde er auf der Terrasse der Feuillants von den Wütenden, die ihn erkannten, mit Schlägen, Säbelhieben und Pikenstichen verwundet. Als Péthion ihm zur Hilfe kam, zeigte ihm d'Espremenil seine Wunden mit den Worten:

»Und auch ich war der Abgott des Volkes wie Sie.«

An diese Worte hat sich der arme Péthion wahrscheinlich erinnert, als er auf den Getreidefeldern von Saint Emilion mit Hunden gehetzt wurde. Die Parlamentsbeamten erinnerten mich an die alten Römer. Lamoignon Malesherbes ließ mich an Sokrates und Cato denken; er starb mit der lächelnden Standhaftigkeit eines Weisen und mit der Ruhe, die ein gutes Gewissen verleiht. Als ich mich ihm näherte und ihn zum Sitzen aufforderte, zog er gerade seine Uhr auf und sprach:

»Ich stehe dir gleich zu Diensten, mein Freund!«

Darauf steckte er die Uhr in die Tasche und folgte mir. Als sein Haar abgeschnitten und seine Hände gebunden waren, bat er mich, ihm die Perücke wieder aufzusetzen. Nicht etwa deswegen, meinte er, weil ein Schnupfen viel für ihn zu bedeuten hätte, sondern weil ihm die Kälte unangenehm sei, denn er sähe wohl ein, daß er bis zu seinem Tode ein weichlicher Mensch bleiben würde. Dann ging er zu Châteaubriand, dem Gemahl seiner Enkelin; dieser sowie seine Frau und die Witwe Rosambo, Malesherbes' Tochter, knieten nieder, und der Greis segnete sie alle drei. Von allen, welche diesem Auftritt beiwohnten, war er am wenigsten gerührt. Als er die Stufen herabstieg, um die Conciergerie zu verlassen,strauchelte er und wäre gefallen, wenn wir ihn nicht gehalten hätten; sich an seine Kinder wendend, sprach er:

»Das nennt man eine böse Vorbedeutung! Ein Römer an meiner Stelle wäre wieder umgekehrt.«

Seine Töchter setzten sich in dem Karren um ihn herum; ihre Unterhaltung war sehr rührend: sie versicherten ihm, daß sie sich glücklich fühlten, mit ihm zu sterben; Malesherbes sprach mit einer Ruhe, die sich keinen Augenblick verleugnete. d'Espremenil befand sich an der Seite von le Chappelier, der gleichfalls verurteilt und im Verfassungsrate sein erbittertster Gegner gewesen war. Als wir aufbrachen,sagte Malesherbes zu jenem:

»Mein Herr, wir werden sogleich ein schwieriges Rätsel zu lösen bekommen.«

»Welches Rätsel denn, mein Herr?«

»Zu erfahren, an welchen von uns beiden das Spottgeschrei des Volkes gerichtet ist.«

»An uns beide,« antwortete d'Espremenil.

5. Floreal. Als der König von Preußen im vergangenen Jahre in Verdun einzog, boten ihm die Einwohner die Schlüssel der Stadt dar, und Bürgerfrauen und Mädchen überreichten ihm Blumenkörbe. Die letzteren wohnten auch einem Balle bei, welchen der royalistische Magistrat dem Feinde veranstaltete, und tanzten mit den Offizieren. Wegen dieser Handlung wurden vierunddreißig Bürger und Bürgerinnen von Verdun vor das Revolutionstribunal gestellt und zum Tode verurteilt. Die beiden Schwestern Henry und die Geschwister Vatrin, welche, alle vier in Weiß gekleidet, vorn auf dem ersten Karren saßen, sangen unterwegs geistliche Lieder. Unsere Begleiter fanden keinen sonderlichen Geschmack an diesem Schauspiel; die wütenden Weiber schrien allerdings, denn je jünger die verurteilten Frauenzimmer waren, desto mehr ereiferten sie sich gegen sie, aber die Männer schienen nicht ihrer Ansicht, und ihre Galgengesichter sahen sorgenvoll aus. In solchen Fällen macht mein Schurke von Seiltänzer seine besten Affenstreiche, um den Todesgang zu erheitern; sei es nun, daß er fremde Befehle bekommen oder es aus eigenem Eifer tut. Heute erntete er jedoch keinen sonderlichen Beifall bei der Menge; dagegen lachte Helene Vatrin über jeden seiner Purzelbäume und stieß ihre Schwester Henriette mit den Worten an:

»Sieh doch nur, Schwester, wie komisch er ist.«

Ich glaube, wenn sie die Hände frei gehabt hätte, würde sie dem Pickelhering Beifall geklatscht haben.

6. Floreal. Heute morgen um sieben Uhr wurden Clara Tabouillot und Barba Henry auf derselben Guillotine ausgestellt, wo gestern ihre Mutter und ihre Geschwister den Tod erlitten. Sie sollten sechs Stunden aushalten; aber nach einer Stunde wurde Barba Henry ohnmächtig, und man mußte sie losbinden, damit sie zur Besinnung käme. Clara Tabouillot sah so bleich aus, daß jeder merkte, auch sie würde in Ohnmacht fallen. Man hörte in der Menge den leisen Ruf:

»Genug!«

In Betracht der Umstände ist dieser Ruf ein Merkzeichen, welches das Herz eines redlichen Mannes erfreuen muß. Henri ging nach dem Gerichtshause, um Fouquier-Tinville das Vorgefallene zu berichten. Der Stellvertreter Naudin gab ihm Befehl, die jungen Mädchen loszubinden und durch die Gendarmen wieder nach dem Gefängnis bringen zu lassen. Dies geschah um halb ein Uhr.

9. Floreal. Heute hat sich der Bürger Fouquier als Mann gezeigt; diese Tatsache ist so selten, daß ich sie in meinen Notizen vermerke. Als er durch sein unordentliches Leben gezwungen war, sein Amt als Staatsanwalt beim Châtelet-Gerichtshofe zu verkaufen, erzeigte ihm der Zivilleutnant Angrand d'Alleray einige Dienste; deren erinnerte sich Fouquier. Angrand d'Alleray war in Port-Libre verhaftet; er war ein harmloser und allgemein geehrter Greis, und man konnte vermuten, daß er übergangen werden würde. Unglücklicherweise braucht man nicht einmal einen Feind unter den Beamten des Sicherheitskomitees zu haben, sondern es ist nur nötig, daß der Name des Gefangenen einem jener Bürger mißfalle, um ihn sogleich nach der Conciergerie, das heißt nach dem Schafott, zu schicken. In diesem Falle legt der Beamte das Aktenstück so, daß es in die Augen fällt, und wenn dieses Papier drei- oder viermal den Blick der Herren Beamten belästigt hat, übergeben sie es dem öffentlichen Ankläger. Auf diese Weise war unser ehrwürdiger Zivilleutnant wahrscheinlich vor Gericht gekommen; Fouqmer zeigte aber, daß er seinen Tod nicht wollte, indem er es wagte, ihn Sellier, einem der gemäßigten Richter, zu empfehlen. Als Dumas den Angeklagten verhörte, der beschuldigt war, seine ausgewanderten Söhne unterstützt zu haben, ergriff Sellier das Wort und bemerkte, der gute Mann sei vielleicht nicht mit dem Gesetz bekannt, das jede Gemeinschaft mit allen, welche die Waffen gegen das Vaterland ergriffen, untersage. Angrand jedoch stieß die zu seiner Rettung dargebotene Hand zurück und antwortete mit großer Festigkeit: Was ihm noch vom Leben bleibe, verlohne sich nicht der Mühe, durch eine Lüge erkauft zu werden; er kenne wohl das Gesetz, aber die Gesetze der Natur hätten den Vorrang vor denen der Republik. Mit ihm wurden hingerichtet: Aymond Charles Franyois de Nicolai, ehemaliger erster Vorsitzender im großen Rate. Rivière erzählte mir, daß dieser, als er nach der Conciergerie gebracht wurde, an einem Rheumatismus in der Schulter litt. Als Vayard, der Gesundheitsbeamte in der Conciergerie, ihn ersuchte, sich zu schonen, antwortete er ihm:

»Das lohnt sich nicht der Mühe, das Übel ist nahe beim Kopfe und wird mit diesem schwinden.«

Mit Angrand und Nicolai wurden dreiunddreißig Verurteilte, fast alle Magistratsbeamte oder ehemalige vornehme Herren, hingerichtet. Alle waren der Verschwörung gegen die Sicherheit und Souveränität des Volkes schuldig erklärt. Sie starben mutig; der Sorgloseste war aber dieses Mal der Jüngste, Joseph Chopin, ein Husar, erst dreiundzwanzig Jahre alt. Er rauchte unterwegs seine Pfeife und bat einen Gehilfen, sie ihm jedesmal, wenn sie ausgeraucht war, wieder zu stopfen. Beim Aussteigen sagte er zu mir:

»Bürger, ich wünsche dir Glück, denn, wie es heißt, gehören dir die nachgelassenen Effekten derjenigen, die du in die andere Welt beförderst; da mußt du schon eine ganz hübsche Garderobe haben.«

Ich hatte nicht Zeit, ihm seinen Irrtum zu nehmen, und antwortete nichts. Die Kleider und die Wäsche der Verurteilten werden in die Hospitäler, die Kleinodien in den Staatsschatz geschickt. Dieser Joseph Chopin war der zweite unter den Hingerichteten; er rauchte noch auf dem Brette, und Kopf und Pfeife fielen zusammen in den Korb.

10. Floreal. Gamain, der den vorigen König im Schlosserhandwerk unterrichtete und nachher den eisernen Schrank und die darin enthaltenen wertvollen Papiere zur Anzeige brachte, hat noch keinen Lohn für seinen Verrat empfangen; und dies ist ganz recht. Er hat nun eine Bittschrift an den Konvent gerichtet, und um seine Ansprüche höher zu stellen, fügte er noch die Verleumdung hinzu, Ludwig XVI. hätte ihn vergiften wollen. Nachdem Musset Bericht erstattet, wurde Gamains Bittschrift von der Versammlung angenommen; er wird einige hundert Livres erhalten nebst der Ehre, durch ein Dekret zum Judas erklärt zu sein.

11. Floreal. Heute wurde Stanislas de Langanerie hingerichtet, ehemaliger Ludwigsritter, überführt, zu den Dolchrittern gehört zu haben. Es ist seit langer Zeit nicht vorgekommen, daß wir nur einen Verurteilten hatten; die, welche uns gewöhnlich folgen, verließen uns auch unterwegs, als verlohnte es sich wegen einer solchen Kleinigkeit nicht der Mühe. Wir hörten sie untereinander sagen:

»Heute wird nur der kleine Korb gebraucht; wir wollen nicht hingehen.«

Der Gerichtshof hat fünfzehn Personen freigesprochen, was ebenso selten vorkommt. Mehrere dieser Personen, Patrioten aus der Stadt Mans, haben, wie es in jener Provinz Gebrauch ist, ihren Namen mit dem Marats in Verbindung gebracht. Ehe der Vorsitzende Dumas sie entließ, hielt er ihnen eine kleine Rede über die Pflichten, welche sich für sie daran knüpften, daß dieser große Bürger ihr Pate sei.

19. Floreal. Diesen Morgen wurde das Urteil über die Generalpächter gefällt. Vier wurden freigesprochen: Sanlot, Delaage, der Sohn, Bellefait und Delahante; alle anderen, achtundzwanzig an der Zahl, wurden zum Tode verurteilt und um zwei Uhr nachmittags hingerichtet; es bleiben noch sechs zu richten. Einer von ihnen, Lavoisier, ist ein gelehrter Chemiker; er ersuchte den Vorsitzenden Coffinhal um einen Aufschub von vierzehn Tagen, um eine Entdeckung, welche der Nation von Nutzen wäre, zu beendigen; der Auvergnat antwortete ihm:

»Das Volk braucht keine Chemie und bekümmert sich nicht um deine Entdeckungen.«

Die Motive des Urteils beschuldigen sie, den Tabak durch verschlechternde Zusätze verfälscht zu haben, und dies bewog die Zuhörer zu abgeschmackten Witzen, die ich nicht anführen will. Die Mehrzahl von ihnen schien ohne Reue zu sterben; einige waren trostlos: man ist nicht ungestraft reich. Papillon d'Hauteroche sagte, mit einem Blick auf die Menge: »Was mich am meisten ärgert, ist nur, daß ich so unangenehme Erben habe.«

Madame Elisabeth

20. Floreal. Heute haben wir Madame Elisabeth nach der Conciergerie gebracht. Während man eine Zelle in der Frauenabteilung für sie zurechtmachte, führte man sie in die Kanzlei, wo mein Sohn sie erblickte; sie war sehr mager und bleich; sie saß und las in einem Gebetbuch, ohne die Unruhe um sie her zu bemerken. Heute nacht wird sie durch Fouquier-Tinville verhört. Morgen wird der Prozeß seinen Anfang nehmen.

21. Floreal. Ich wohnte einem Teil der Sitzung bei, in welcher die Schwester des verstorbenen Königs verurteilt wurde. Dumas führte den Vorsitz; es saßen fünfzehn Geschworene auf den Bänken; Liendon erhob die Anklage. Man hatte der ehemaligen Prinzessin einen Lehnstuhl bewilligt, was mich von Dumas wunderte, über diesen Prozeß laufen tausend verschiedene Gerüchte um. Einige behaupten, Robespierre hätte Madame Elisabeth im Temple besucht und ihr zu verstehen gegeben, es käme nur auf sie an, den Thron ihrer Ahnen zu besteigen, wenn sie seine Hand annähme; sie habe dieselbe ausgeschlagen und sich durch ihren legitimen Unwillen den Tod zugezogen.

Man muß sehr dumm sein, zu glauben, daß ein Mann, dem niemand die Verstandesschärfe abspricht, einen solchen Schritt getan habe. Andere im Gegenteil versichern, er habe sich in den Comitees diesem Prozeß, der mindestens ohne Nutzen sei, entgegengesetzt. Dieser Meinung möchte ich eher zustimmen, wenn ich die Rücksichten sehe, welche Dumas gegen die arme Frau nimmt. Die Haltung der Prinzessin vor dem Gerichtshof glich nicht dem Benehmen der Marie Antoinette. Jene mit ihrem starren und stolzen Auge und der hochmütig aufgeworfenen Lippe hatte niemals besser eine Königin vorgestellt; die ehemalige Prinzessin mit ihrem verschleierten Blick, der den Himmel zu suchen schien, mit ihrem Lächeln, das sogar sanft blieb, als Fouquier sie in den beleidigendsten Ausdrücken anklagte, mit allen Verschwörungen ihrer Familie in Verbindung gestanden zu haben, glich einer vom Paradiese herabgestiegenen Heiligen. Sie antwortete mit großer Ruhe und Geistesgegenwart auf alle Fragen. Als man sie fragte, weshalb sie Ludwig auf seiner Flucht nach Varennes begleitet habe, sagte sie:

»Alles gebot mir, meinem Bruder zu folgen; ich machte mir bei dieser Gelegenheit wie bei jeder anderen eine Pflicht daraus, ihn nicht zu verlassen.«

Als Dumas ihr bemerkte, sie hätte bei der Orgie des Garde du Corps und des Regiments von Flandern eine Rolle gespielt, antwortete sie:

»Ich weiß durchaus nicht, ob die Orgie, um die es sich handelt, überhaupt stattgefunden hat; ich erkläre aber, nichts davon gewußt und keinen Anteil daran genommen zu haben.«

Dumas behauptete, die Antworten, welche Marie Antoinette in ihrem Prozeß gegeben, hätten die Schuld der Elisabeth vollkommen nachgewiesen.

»Ihr könnt nicht leugnen,« fügte er hinzu, »daß Ihr in Eurem Eifer, den Feinden des Volkes zu dienen, die für die Patrioten bestimmten Patronen machen halfet, damit sie desto sicherer töten sollten.«

Auch durch diese abgeschmackte Beschuldigung kam die Angeklagte nicht aus ihrer Ruhe; sie antwortete ohne Zorn und Ungeduld:

»Alle die Tatsachen, welche mir zur Last gelegt werden, sind so unwürdig, daß ich mich nicht damit besudeln mag.«

Als man sie in dem letzten Anklagepunkte beschuldigte, die Wunden der Nationalgarden verbunden zu haben, welche vor dem 10. August die Marseiller in den Elysäischen Feldern angegriffen, sagte sie:

»Ich habe nicht gewußt, daß mein Bruder befohlen, irgend jemand zu ermorden; wenn ich zufällig einigen Verwundeten Hilfe geleistet habe, so bewog mich die Menschlichkeit allein, ihre Wunden zu verbinden. Ich habe mich nicht nach der Ursache ihrer Leiden erkundigt, ehe ich ihnen Pflege gewährte. Ich rechne mir dies nicht zum Verdienst an, aber ich kann mir auch nicht denken, daß man es mir zum Verbrechen auslegen werde.«

Da eine Verschwörung niemals ohne Mitschuldige stattfinden kann, so wurden dreiundzwanzig Angeklagte mit dem Prozeß der Prinzessin vereinigt. Ich verließ das Verhörzimmer, als man zur Vernehmung der übrigen schritt; es war ein Uhr nachmittags. Um drei Uhr kam Desmorets, der oben geblieben war, und erzählte mir, alle wären nach einer Beratung von fünfundzwanzig Minuten zum Tode verurteilt. Er überbrachte mir den Befehl, unverzüglich die Hinrichtung vorzubereiten. Als ich in Richards Zimmer trat, sah ich eine Frau dort sitzen, die ein Taschentuch vor ihr Gesicht hielt; an ihrem schwarzen Kleide erkannte ich sie als die ehemalige Prinzessin und zog mich zurück, denn ich fürchtete, es könnte mich jemand bei Namen rufen, und sie möchte, wenn sie mich vor der Zeit sähe, in Angst geraten. Richard erzählte mir, sie habe am Morgen des Verhörs, als sie von dem Gerichtshofe heruntergekommen sei, lange mit seiner Frau gesprochen; sie befragte die Richard über das Leben der Königin während ihrer Gefangenschaft in der Conciergerie und wollte alle einzelnen Umstände ihres Todes hören. Die Richard erzählte, durch diese Mitteilung sei die Prinzessin aufs heftigste gerührt worden, sie habe sich vollständig selber vergessen und gar nicht daran gedacht, daß ein gleiches Schicksal sie erwarte. Während Henri und die Gehilfen die Verurteilte in dem Vorzimmer der Kanzlei zurüsteten, zeigte ihr Richard an, daß die Stunde gekommen sei; sie sagte in gütigem Tone Richards Frau Lebewohl, aber sie folgte nicht jenem edlen Antrieb, welcher die anscheinend viel stolzere Marie Antoinette in dem letzten Augenblicke bewog, die Tochter Baults, welche sie gepflegt hatte, zu umarmen. Richard führte Madame Elisabeth in das Frauengemach. Ich kam ein wenig später. Sie saß schon auf dem Stuhl, das gelöste Haar über dem Rücken herabhängend; sie hatte ihr Buch wiedergenommen, betete und schlug sich die Brust; nach einem so heiligen Lebenswandel und im Angesicht eines so unverschuldeten Todes braucht sie wohl nicht an der Barmherzigkeit Gottes zu zweifeln. Ihr Haar war kastanienbraun, sehr lang und üppig. In dem Augenblicke, als ich ihre Hände binden wollte, machte sie das Zeichen eines Kreuzes; ich fand sie nicht so mager, wie Henri sie mir geschildert hatte und wie sie mir selber beim Verhör vorgekommen war. Ihr Wuchs war ein wenig derb, wie der des Königs, ihres Bruders; ihr Gesicht sehr voll. Die einzige sichtbare Spur der Gefangenschaft war die außerordentlich bleiche Farbe ihres Gesichts. Da ihre Wangen alle Röte verloren und eine matte Blässe angenommen hatten, erschienen ihre blauen Augen um so klarer. Alle Verurteilten verneigten sich vor ihr. Die weinenden Frauen schwiegen; sie erwiderte ihren Gruß, rief einen der Gebrüder Loménie zu sich und sprach mit ihm. Wir konnten aber nicht verstehen, was sie zu ihm sagte. Nach einer Unterhaltung von wenigen Minuten senkte sie das Haupt, und wir sahen an Loménies Lippen, daß er ein Gebet murmelte, ohne Zweifel eine Absolution, denn er ist Bischof; dies wird ein großer Trost für die arme Frau gewesen sein. Die Verurteilten verließen die Conciergerie um vier Uhr; in dem ersten Karren saß Madame Elisabeth mit den beiden Loménie, dem Bischof und dem ehemaligen Pfarrer, der Witwe Senozan, Montmorin dem Sohn, Sourdeval und Gressy de Chamillon. – Alle standen, sie allein saß; in der Mitte der Straße du Coq mußten wir die Pferde antreiben, da die Zeit drängte; jetzt stand sie auf, ohne Zweifel, weil die Stöße des Wagens ihr Beschwerden verursachten.

Als der Bischof Loménie zu ihr sagte, Gott würde ihr Märtyrertum belohnen, antwortete sie lächelnd:

»Ihr habt Euch genug mit meinem Heile beschäftigt; die mildtätige Liebe darf Euch nicht verhindern, an das Heil Eurer eigenen Seele zu denken.«

Als das Haupt der Verschwörung – denn die Geschworenen hatten eine Verschwörung anerkannt – mußte sie zuletzt hingerichtet werden; in dieser Beziehung hatte mir Ducray strengen Befehl erteilt. Sie blieb unter den Gendarmen auf dem Platze stehen, während ihre Gefährten den Tod erlitten. Ich sah sie mehrere Male an und immer betete sie, das Gesicht nach dem Schafott gewandt, ohne auch nur bei irgendeinem Geräusch die Augen aufzuschlagen. Der junge Montmorin und der Bediente Lhote riefen:

»Es lebe der König!« Dies setzte das Publikum in große Wut. Jedesmal, wenn das Messer fiel, klatschte es Beifall und rief:

»Es lebe die Nation!«

Die Prinzessin, mit erhabenen Dingen beschäftigt, hörte diese Rufe und Beifallszeichen mit Gleichgültigkeit an; sie blieb unbeweglich, wie jene Statuen des Glaubens, die man früher unter den Hallen der Kirchen sah und deren steinernes Gesicht keinen anderen Ausdruck zu haben schien als den der Liebe zu Gott. Als ihre Zeit gekommen war, stieg sie langsamen Schrittes die Stufen hinauf; sie bebte ein wenig, ihr Haupt war auf die Brust geneigt. In dem Augenblick, als sie sich dem Fallbrett näherte, riß ihr einer der Gehilfen das Halstuch von den Schultern. Da rief sie in edler Schamhaftigkeit:

»O mein Herr, haben Sie Mitleid!«

Fast in demselben Augenblicke wurde sie auf das Brett geschnallt, und ihr Kopf fiel. Um elf Uhr abends wurde sie mit den übrigen Verurteilten zu Mousseaux beerdigt; man warf viel Kalk auf ihren Körper, ebenso wie auf den des Königs und der Königin. Wie vorsichtig man auch die Leichname nach dem neu angelegten Kirchhofe befördert, so hat das Publikum doch entdeckt, daß man sie nicht, wie ausgesprengt worden war, auf dem Kirchhofe Saint Roche beerdige; und die Bewohner des Dorfes Batignolles beklagen sich jetzt ebenso über diese Nachbarschaft, wie sich früher die von Madeleine beschwerten.


 << zurück weiter >>