Felix Salten
Florian – Das Pferd des Kaisers
Felix Salten

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Florian, Capitano und einen ganzen Troß anderer Pferde, braune Kladruber, ungarische Jucker, Ponies und Haflinger, die als Saumtiere und Bergsteiger dienten, lud man in Ischl am frühen Morgen aus den Eisenbahnwagen.

Viel Zeit blieb nicht zur Erholung.

Anton sah nur mit flüchtigen Blicken, in welch liebliche Landschaft er geraten war. Florian und Capitano mußten gefüttert, getränkt, mußten mit Striegel, Kamm und Bürste bearbeitet werden.

Burggendarmen mit ihrem roßschweifumwallten Helm bezogen die Posten im Park und an den Toren der Kaiservilla. Die Kabinettskanzlei, die Adjutantur installierten sich, Post, Telephon und Telegraph wurden gehörig instruiert.

Nachmittags kam der Kaiser.

Auf dem Perron hatten sich der Statthalter, der Bezirkshauptmann, der Bürgermeister eingefunden. Vor dem Bahnhof harrte eine große Menge. Als der Zug in die Station glitt, stand Konrad Gruber mit dem Wagen am Ausgang.

Wenige Minuten später saß Franz Joseph im Wagen, der Generaladjutant zu seiner Linken, der Leibjäger auf dem Bock. Nun ging es augenblicklich vorwärts.

Gruber wußte, welches Tempo jetzt geboten war.

Ganz langsam, schwebend und tanzend in Andeutungen des Spanischen Schritts nahmen die beiden Schimmel den weißen Kalkboden unter die Füße. Das Hochrufen, das Schreien der Menge, das Gefuchtel der mit erhobenen Armen geschwenkten Hüte und Tücher verwirrte weder Florian noch Capitano. Ihr feierlicher Gang, das strahlende, goldgeschirrte Weiß ihrer anmutigen Leiber, der hochsitzende Kutscher, der flatternde weiße Federbusch des Leibjägers, das dichte bewegliche Gedränge, das den Wagen begleitete und ihn den Blicken verbarg, das ergab eine ganz besondere, eine echt österreichische Wirkung.

Die Luft der Ischler Berge erfrischte Florian. Wie ein Mann, der Champagner getrunken hat und davon zu leichterem Daseinsempfinden gehoben wird, lebte Florian, vom Duft der Tannen, vom würzigen Atem der Erde, vom Schneehauch der Berge angeweht, in einem gelinden Rausch.

Noch nie war er durch Wälder gerannt, noch nie am Ufer eines Baches entlang getrabt.

Jetzt gab es Fahrten über die wundervolle Ebenseerstraße, in den Weißenbacher Wald, sooft Franz Joseph sich dorthin zur Jagd begab. Und zur Seite in mäßiger Tiefe plätscherte, sprang, murmelte die Traun.

Florian atmete in tiefen Zügen die dufterfüllte Waldluft. Die Wiese vor dem Försterhaus, von hohen alten Tannen umschlossen, liebte er vom ersten Tag an. Auf dieser grünen Breite lag immer allerlei fremdartige Witterung, die Florian angenehm erregte und seine Neugier reizte. Florian wußte nicht, daß der Wald Hirsche barg, Rehe, Füchse, Hasen, Marder, Iltisse und Wiesel. Den Tieren der Freiheit wie der Freiheit selbst war er fremd geblieben. Hier fand er zum erstenmal ihre Spuren, ohne sie enträtseln zu können.

Stob er beflügelt neben Capitano auf der Ebenseerstraße dahin, und mußten sie in Mitter-Weißenbach nach links einbiegen, die steile Windung des Weges bergaufwärts, dann war ihm das immer der Gang zur Wiese am Försterhaus, und jedesmal glaubte er, das wäre eine Veranstaltung zu seiner Lust. Er nahm die Steigung der Straße, das lange, streckenweise schroffe Aufwärts zum Kapellenberg mit einer unglaublichen Bravour, riß Capitano mit sich in einem frisch lebendigen Tempo, als ginge es auf ebener Bahn dahin.

Einmal, als sie von der Abendpirsch zurück nach Ischl trabten, stand im tiefen Dämmer des Weißenbacher Waldes mitten auf dem Weg quer vor ihnen ein Hirsch. Das Licht der Wagenlaternen flackerte mit verschwindendem Schimmer auf seinen roten Leib, seiner Mähne und seinem gekrönten Haupt. Sie kamen näher. Der Hirsch sprang ins Dickicht und verschwand.

Mit lebhaft spielenden Ohren und großen erstaunten Augen hatten die beiden Pferde die schattenhafte Erscheinung betrachtet.

Florian wollte Capitano fragen: Weißt du, wer das ist? Doch Capitano richtete dieselbe Frage an Florian. So gab es keine Antwort, und die Sache war vorbei.

Im Stall suchte Florian jedesmal nach Bosco. Beide hatten sich geeinigt, daß dieser Stall hier der beste, der wohnlichste wäre, den sie kannten.

Anton war glücklich, denn die Landschaft erinnerte ihn an die steirische Heimat. Hohe, dichtbewaldete Berge, von andern Bergen überragt, die der Schnee noch hie und da mit weißen Zungen beleckte. In der Ferne wurde der Gletscher des Dachsteins sichtbar. Wanderte Anton auf der Salzburgerstraße hinaus, so lagen in dem welligen, breiten Talgelände überall Bauernhöfe. Er hatte lange Jahre keine Bauernwirtschaft gesehen, und seit er auf das kurze Geheiß Grubers seinen ersten Spaziergang unternommen und einen Bauernhof angetroffen hatte, ging er jetzt öfters diesen Weg gegen Pfandl zu, auch darüber hinaus, wenn der Kaiser zur Jagd fuhr. Jedesmal bat er vorher Gruber um Erlaubnis. Immer nahm er Bosco mit, und der Hund genoß das große weite Laufen, die zahllosen Untersuchungen, die er mit aller Gründlichkeit vornehmen durfte, die vielen unterhaltsamen oder kritischen Abenteuer.

Für Bosco gab es mancherlei galante Episoden. Für Anton jedoch war mit einemmal Kati vorhanden.

Sie hieß Kati Eichelberger, war eine Häuslerstochter, schon an die Dreißig. Witwe. Ein knochiges Frauenzimmer mit breiten Hüften, vollem Busen, dünnen Haaren und vielen Sommersprossen im derben, gesunden Antlitz. Anton erzählte ihr von seiner Herkunft. Warum er nicht daheim auf dem Bauernhof geblieben sei, wollte sie wissen. Da erzählte er ihr von der Militärdienstzeit, von Lipizza, von Siebele, von Florian und von des Kaisers Stallungen.

»Na, dann bist d' ja in einer sicheren Anstellung«, meinte die Kati.

An die Sicherheit seiner Anstellung hatte er noch nie gedacht. Davon verstand er nichts. Er sprach immer wieder vom Florian, und weil er endlich einmal sein Herz ausschütten durfte, weil Kati ihm zuhörte, mochte er sie gut leiden. Er hatte nie das Bedürfnis gefühlt, sich mitzuteilen oder irgendeinem Menschen sein Herz auszuschütten. Nun, da es von selbst geschehen war, spürte er, daß es ihm wohl tat.

Er faßte ungeheuren Mut, als er Kati einlud, in den Stall zu kommen, um den Florian zu sehen.

Sie erwiderte gleichmütig, dazu sei sie wohl nur am Sonntag imstande. Und sie kam denn auch am Sonntag nach der Messe.

Anton war ganz entzückt; denn Kati erschien im Feiertagskostüm der Ischler Bäuerin und sah nach Antons Begriffen überwältigend aus.

Beide saßen im Stall nebeneinander und betrachteten Florian.

»So ein Roß taugt zu keiner Feldarbeit«, urteilte Kati.

»Dazu gehört der Florian auch gar nicht«, erwiderte Anton, »aber schön ist er, der Florian.«

Kati konnte das nicht leugnen. »Jawohl, schön ist er schon.«

»Und so gut«, fügte Anton hinzu.

Auch darin stimmte Kati mit Anton überein. »Wohl, wohl«, sagte sie, »warum soll er denn nicht gut sein? Wo er's doch selbst so gut hat.« Und nach einem längeren Schweigen stellte sie fest: »So ein Pferd kann halt nur der Kaiser haben.« Dann fragte sie: »Red't der Kaiser oft mit dir?«

Anton erschrak und gab die Auskunft, der Kaiser habe noch nie mit ihm gesprochen.

Wie er so neben Kati saß, fiel ihm ein, es wäre vielleicht ganz angenehm, wenn sie seine Frau werden wollte. Er druckste an diesem Wunsch lange herum, ohne daß er ihn aussprechen konnte.

Da leistete Kati Hilfe, denn sie machte keine Umstände: »Zwei Leut' wie wir passen eigentlich z'samm.«

»Vielleicht«, murmelte er und erbleichte.

»So bleib' ich halt heute nacht bei dir«, eröffnete ihm Kati.

Und er sagte schüchtern: »Wie du glaubst.«

Den andern Morgen aber, als Kati heimgegangen war, fiel Anton ins Grübeln. Seine Gewohnheit, bei Florian zu sein, sich um nichts in der Welt zu scheren als um Florian und Bosco, nein, diese Gewohnheit konnte er nicht lassen. Ob eine Frau das dulden würde, ob Kati, die sich so entschieden, so eigenwillig benommen hatte, ihn bei Florian lassen wollte? Er wußte darüber nicht Bescheid und wurde von einer dumpfen Angst beschlichen. Fürs Leben gern hätte er Grubers Rat gehört. Gruber galt ihm als der Gipfel der Weisheit, als der Quell aller Erfahrungen. Doch Anton wagte es nicht, ihn anzureden oder ihn gar zu befragen. Denn Anton hielt seine eigenen Angelegenheiten wie seine Person keiner Erwähnung wert.

Als er Kati wiedertraf, wurde der Heiratsplan nicht berührt. Schließlich mußte er fort von Ischl und hatte nicht einmal Gelegenheit, Abschied zu nehmen.

Franz Joseph reiste zu den Kaisermanövern nach Mähren. Wenige Tage vorher wurden Florian und Capitano dorthin befördert.

In einem uralten Schloß, das einer romantischen Ritterburg glich, war das kaiserliche Hauptquartier. Alles schien dort seltsam und wunderlich schön. Der tiefe Wassergraben, der das Schloß umgab, die meterdicken Steinmauern, die Zugbrücke, der hundertjährige Efeu, der die Fassade mit einem dichten grünen Kleid überzogen hatte, die inneren Höfe, die Ställe, die tiefen Höhlen glichen, die aber Krippen aus rotem Marmor hatten, es mutete wunderbar und unheimlich zugleich an. Es roch hier nach Mäusen und Ratten, was Bosco in fieberhafte Erregung versetzte.

Anton verstand von Manövern knapp so viel, wie ein schlichter Soldat davon verstehen konnte, nämlich gar nichts. Aber die Regimenter erkannte er an der Farbe ihrer Kragenaufschläge. Und an dem militärischen Treiben, an dem er ja nicht beteiligt war, fand er seinen Spaß, wenn er im Schloßhof vor der Stalltür saß.

Jenseits der Zugbrücke hatte der Feudalherr, dessen Gast Franz Joseph hier war, einen langgestreckten, niedrigen Riegelbau errichten lassen. Für die Hauptwache, die am Morgen des Tages kam, an dem der Kaiser eintreffen sollte.

Gruber holte ihn mit Florian und Capitano von der entlegenen Bahnstation.

Eine Stunde vorher rollte das Auto des Thronfolgers in den Schloßhof.

Der Kaiser kam, die Hauptwache rief ins Gewehr. Und nun gab es für Florian und Capitano kaum mehr etwas zu tun.

Denn der neue Generalstabschef, Conrad von Hötzendorf, ein Günstling Franz Ferdinands, gestaltete die Manöver keineswegs mehr zum Theater für den Monarchen. Ganz kriegsmäßig, mit stündlich wechselnden Überraschungen, dehnten sich die Operationen der Truppen über weites Gelände. Wollte der Kaiser etwas sehen, wollte er bei entscheidenden Momenten zugegen sein, so war er gezwungen, sich des Autos zu bedienen, das er eigentlich haßte. Ein prachtvolles Auto erwartete Franz Joseph im Schloß. Er hatte, solange er es auch schon besaß, nie Gebrauch davon gemacht. Zwei Chauffeure standen bereit. Konrad Gruber mied jeden Umgang mit ihnen. Hier traf Hochmut auf Hochmut, begegnete die Abneigung der alten Zeit dem Widerwillen der neuen Epoche. Gruber verachtete die Maschinenfahrer, und diese blickten sehr von oben herab auf den Kutscher.

Drei Tage saß Franz Joseph im Automobil. Franz Ferdinand schlug ihm vor, im Auto nach Wien zu reisen. Der Kaiser gab nicht einmal Antwort und wandte sich achselzuckend ab.

Zu seinem Generaladjutanten sagte er: »Was der Franz für Einfälle hat . . . unglaublich!«

Der Thronfolger aber lachte: »Mit der Eisenbahn hat der Kaiser Ferdinand nicht fahren wollen, und unser jetziger kann sich an das Auto nicht gewöhnen. Na, bis ich Kaiser bin, werden alle Leut' Auto fahren – oder fliegen!« Graf Bertingen war nicht mehr Oberststallmeister. Er hatte den Abschied genommen, weil er müde und kränklich geworden war. Seine letzte Lebenszeit wollte er auf seinem Schloß in den kroatischen Eichenwäldern verbringen. Es dauerte noch knappe anderthalb Jahre, dann löschte er aus wie eine zu Ende gebrannte Kerze.

Der neue Oberststallmeister trat sein Amt an, Fürst Buchowsky, ein jüngerer Mann, etwas über Vierzig und bildschön. Das elfenbeinfarbene Antlitz zierte ein dichter pechschwarzer Schnurrbart. Sanfte, schwarze Augen schimmerten aus dem Schleier langer schwarzer Wimpern. Er galt für den brillantesten Reiter der Armee, verstand sich trotz dem abgefeimtesten Roßkamm auf Pferde, hatte ein lebhaftes, frohes Temperament und viel Initiative.

Konrad Gruber kannte den Fürsten seit Jahren und kam ihm mit gemessener Devotion, aber betont selbständig entgegen.

Der Fürst behandelte Gruber humoristisch.

»Na, lieber Gruber«, sagte er zu ihm beim erstenmal, »ich glaube, wir zwei werden uns vertragen.«

Gruber schwieg wie gewöhnlich.

»Haben Sie keine Angst«, fuhr der Fürst fort und lächelte, »ich werde Ihnen nichts dreinreden. Sie drehen Ihr Werkel ja schon eine ganze Weile. Zur Zufriedenheit Seiner Majestät.«

Um Grubers Lippen zuckte der schwache Schein eines Lächelns.

»Aber«, der Fürst wurde sehr ernst, »ich lasse mir von Ihnen auch nichts gefallen. Merken Sie sich das. – Jetzt zeigen Sie mir die Pferde, die Ihrer Obhut anvertraut sind.«

»Im Stall oder . . .« murmelte Gruber.

»Hier draußen natürlich, eins nach dem andern. Und den Florian zuerst!«

Gruber verschwand. Gleich darauf schoß Bosco aus der Stalltüre, sprang den Fürsten von ungefähr an, der diesen Gruß mit einem lauten Hallo quittierte.

Unmittelbar nachher erschien Florian. Er war allein, ohne Führer und ganz nackt. Anton hatte ihm auf Grubers Geheiß rasch die Backenstücke abgenommen. Schneeweiß trat er heraus in die Sonne. Gruber und Anton kamen hinterdrein.

»Florian!« rief Buchowsky. »Florian! Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen. Komm zu mir her, komm!«

Florian warf den Kopf hoch, schnaubte munter und sah den Fürsten mit deutlicher Neugier an. Buchowsky stand etwa fünf, sechs Schritte entfernt, und die goldenen Tressen blitzten auf seiner Uniform. Es war der helle Waffenrock der Arcierenleibgarde. Nur wenige gab es, die ihn trugen.

»Komm nur«, lockte Buchowsky, »einmal ohne Zucker. Einfach aus Höflichkeit.«

Als hätte Florian die Worte verstanden, näherte er sich gemessen liebenswürdig und berührte mit dem Maule zart die Brust des Fürsten.

»So ist's recht«, lachte Buchowsky, »wir sind also gute Freunde. Ich bin sehr froh. Das ist mir wirklich eine Ehre. Natürlich kenne ich dich schon lange. Wie man eben Berühmtheiten kennt. Schön von dir, daß du so leutselig bist.«

Anton grinste still vor sich hin. Grubers Miene blieb undurchdringlich.

Der Fürst streichelte Florian, fuhr ihm den Rücken entlang über Kreuz und Kruppe. Er ging um Florian herum, klopfte ihm die prallen Schenkel, kitzelte seine Weichen, daß ein Zucken über das lichte Fell vibrierte, klatschte ihm die Brust und hielt zuletzt Florians Haupt zwischen den Händen.

Ein kleiner Kutschierwagen fuhr herein, den Elisabeth von Neustift lenkte. Neben ihr saß der Major und zwischen ihnen ihr Bübchen Leopold.

Buchowsky wandte sich zu ihnen. »Antrittsvisite«, rief er ihnen zu.

»Abschiedsvisite«, antwortete Elisabeth.

Sie stiegen aus.

Anton sprang dienstfertig herbei.

»Ja, halte den Caesar«, sagte Neustift zu ihm. »Wie geht's dir immer?«

»Danke gehorsamst, Herr Major«, gab Anton Bescheid.

Elisabeth trat zum Fürsten: »Wir wollen dem Florian unseren Abschiedsbesuch machen; eine nette alte Erinnerung verbindet uns mit ihm.«

»Und ich hab' mich ihm gerade vorgestellt«, scherzte Buchowsky, »pflichtgemäß.«

»Du weißt ja«, mengte sich Neustift ins Gespräch, »meine Adjutantenzeit ist zu Ende.«

»Richtig«, der Fürst ließ Florian nicht los, »und meine Amtszeit beginnt. So ist es. Der eine kommt, der andere geht. Bleibt ihr in Wien?«

»Du hörst doch, daß wir Abschied nehmen wollen«, erklärte Elisabeth. »Mein Mann hat vier Wochen Urlaub. Die verbringen wir zu Hause auf dem Lande.«

»Dann wollen wir Abschied und Begrüßung vereinigen«, erwiderte der Fürst.

Elisabeth blickte ihn an, wie er unternehmend und voll kühner Kraft vor ihr stand. »Da bin ich neugierig, wie du das anfängst.«

»Gruber!« rief Buchowsky. »Satteln!«

»Verzeihen, Durchlaucht«, weigerte sich Gruber »es ist allerhöchster Befehl . . .«

»Halt deinen Mund«, unterbrach der Fürst ihn ganz ruhig. »Du redest, wenn ich dich frage, verstanden? In fünf Minuten bringst du den Florian in die Reitbahn! Wir werden ihn drinnen erwarten.«

Sie überquerten den Hof und betraten die gedeckte Reitbahn, die zum Marstall gehörte.

Konrad Gruber aber blieb erstarrt zurück. Der neue Oberststallmeister hatte ihn angeherrscht wie den letzten Reitknecht, hatte ihn geduzt und aus augenblicklicher Laune über Florian verfügt. Das war ungeheuerlich. Er sah Antons verlegene Ratlosigkeit und besann sich: »Satteln!« befahl er.

Gruber war zu der Ansicht gelangt, daß er auf jeden Widerstand verzichten müßte. Das gab sonst einen viel zu ungleichen Kampf. Er war der Schwächere, trotz allem, und er würde schweigend gehorchen.

Florian kam, von Gruber geführt, in die Reitbahn. Buchowsky prüfte Bauchgurt, Bügel und Zügel. Dann, mit einem leichten Schwung saß er auf Florians Rücken. Und nun begann der Fürst Hohe Schule zu reiten. Florian fühlte den Meister und war sogleich willig. Jeden Schritt hatte sein Gedächtnis bewahrt. Wieder einmal die alten kunstreichen Gänge vollführen zu dürfen, wurde für Florian zur Wonne.

Wie einst erriet er an den leisesten Zeichen den Wunsch des Reiters. Wie einst setzte er einen Fuß knapp vor den andern, wiegte sich und federte anmutig in den Gelenken. Wie einst blieb er bei der Kreisschwenkung mit der inwendigen Hinterhand fast genau an derselben Stelle. Ihm war es eine Lust, als er sich bäumen durfte, hochaufgerichtet, die Vorderbeine eingeknickt.

Elisabeth und Neustift standen in Bewunderung versunken. Der kleine Leopold rief entzückt: »Ah!«

Als Florian beim Wechsel der Figuren, während der Ruhepausen, die der Fürst ihm gönnte, wie einst im feierlich synkopierten Schritt blieb, lachte Buchowsky im Vorüberreiten den Freunden zu: »Phantastisch! Meiner Seel!«

Es war ein Abschied; denn es war das letztemal, daß Florian die Hohe Schule zeigen durfte.

 

Wieder begann nach langer Winterszeit Frühlingssonne zu leuchten. Florian befand sich in herrlicher Form. Gruber behandelte ihn zart; Franz Joseph, der seine Pferde bei schlechtem Wetter niemals warten ließ, schonte Florian und Capitano. Die Pflege, die Anton dem Hengst zu erweisen gewohnt war, hatte das ihre vollbracht.

Bosco gehörte nun wieder zu den ruhig Glücklichen. Die Jahre hatten ihm nur wenig von seinem lebhaften Temperament genommen. Aber die Galanterie hatte er so ziemlich abgestreift. Anton erging es ähnlich. Er dachte längst nicht mehr an Ischl und die Kati. Sie hatte ihm kurze Wonnen geschenkt und beklemmende Angst eingeflößt. Das war nun überwunden.

Eines Tages wurde Anton von Gruber in die Livreekammer beschieden. Anton erschrak immer, wenn ein Auftrag außerhalb des regelmäßigen Dienstes, außerhalb des Stalles erfolgte. Wie immer verbarg er sein Erschrecken und schien noch teilnahmsloser gegen alles als sonst. Er blinzelte nur unaufhörlich.

Aber es geschah nichts Schlimmes.

Man probierte ihm eine weiße Flachsperücke auf, die an den Schläfen in zwei Locken gedreht war und in einem von schwarzen Seidenbändchen umwickelten kurzen Zopf endete. Dann mußte er die große habsburgische Livree anlegen. Zuerst kamen die weißen Strümpfe dran, dann die leichten Lackhalbschuhe. Nun zeigte man ihm, wie er die kurzen schwarzen Atlashosen am Knie schnallen mußte.

Man lehrte ihn ferner die weiße Jabotwolke um den Hals befestigen. Ihre duftigen, krausen, halbgesteiften Kaskaden fielen auf seine Brust hinunter.

Zuerst kam ein langschössiger Rock, der aus breiten schwarzen und goldenen Borten zu bestehen schien, die von oben nach unten, dem Körperwuchs gemäß liefen. Das Schwarz des kostbaren Brokatstoffs schimmerte so dunkel wie sommerlicher Nachthimmel. Das Gold der andern Borten wies das reich bestickte Bild des Doppeladlers auf, das, immer wiederholt, funkelte gleich der Sonne.

Von der linken Schulter hing eine gelbe Schleife nieder, die nicht flattern konnte, so schwer golden war sie durchwirkt.

Der Schneider bemühte sich um Anton und wählte die passenden Stücke aus, verbesserte mit Nadel und Faden kleine Mängel und schüttelte schließlich einen Packen weißer Zwirnhandschuhe hin, damit Anton die für ihn geeigneten hervorsuchte.

Endlich war man fertig und Anton ganz verwandelt. Mit der weißen Perücke bot er einen feierlich-prunkhaften Anblick.

Während des Umkleidens hatte er sich beruhigt, weil keine Gefahr zu drohen schien. Nun grübelte er darüber nach, zu welchem Zweck er die neue Livree anziehen mußte.

Konrad Gruber saß dabei, verfolgte alles aufmerksam, betrachtete den schwarzgelb Gekleideten mit prüfenden Blicken und sagte schließlich: »Gut.«

Anton sah ihn aufstehen und hinausgehen, wagte aber nicht, eine Frage an ihn zu richten. Auch den Schneider und seinen Gehilfen fragte er nicht.

Nachmittags kam der Oberststallmeister. Aus einer der Hallen wurde ein großer Wagen geschoben und sorgfältig untersucht. Anton sah das nur von ferne, begriff nur halbwegs, daß dieses ungetüme Bauwerk auf hohen Rädern so etwas wie ein Wagen sein müßte.

Erst als man die sechs Schimmel zusammenstellte und noch zwei Schimmel dazu erkor, kam Anton zu der Ansicht, dieses merkwürdige Gebilde könnte wirklich ein Wagen sein.

Anton war kein Meister im Kombinieren, war auch ganz unbeholfen, die einfachsten Zusammenhänge zu erraten. Beständig mit Florian und Bosco beisammen, schweigsam und bei aller Gemütlichkeit ganz ungesellig, hörte er auch nur mit halbem Ohr, meist aber gar nicht, was rings um ihn geschwatzt wurde. Er hätte längst wissen können, daß der Fronleichnamstag bevorstand, daß er mit allem Pomp gefeiert wurde. Wintersüber war wiederholt davon die Rede gewesen; aber Anton hatte es kaum beachtet und inzwischen vergessen.

 

Der Fronleichnamstag war angebrochen. Ein traumhaft sonnenheller Junimorgen. Blauer Himmel ohne eine einzige Wolke.

Um sechs Uhr früh stand Anton mit den andern in der schwarzgelben Livree bereit, die weiße Perücke auf dem Kopf, die Hände in weißen Handschuhen. Die sieben andern rauchten Zigaretten und traten sie eilig aus, als Gruber kam.

Er musterte sie alle und sagte zu Anton: »Du führst den Florian!«

Die übrigen waren teils Kutscher, teils Stallknechte.

Anton wußte nicht, daß es eine Auszeichnung bedeutete, eins der Wagenpferde führen zu dürfen, und nun gar eins der beiden ersten. Er blieb stumm und ließ Gruber vorübergehen. Daß er den Florian führen werde, war für ihn selbstverständlich.

In einer langen Kolonne ging es hinüber zur Hofburg. Der äußere Burgplatz war menschenleer, breitete sich riesenhaft vor ihnen aus. Vom Volksgarten wehte Blumenduft herüber.

Im Burghof, rings um die Statue des Kaisers Franz, wartete eine buntfarbige Reiterschar. Viele waren abgesessen und standen plaudernd beieinander.

Als punkt sieben die Glocken von allen Kirchen zu läuten begannen, sprangen die Reiter in den Sattel.

Der Kaiser, dem die Erzherzoge folgten und die Würdenträger voranschritten, kam heraus und stieg in den Prunkwagen.

Vorn an der Spitze des Zuges, der sich nun formierte, bliesen zwei berittene Reichsherolde den Generalmarsch. Sie bliesen auf langen Silbertrompeten, von denen das schwarzgold gestickte Habsburgerpanier niederhing, und es war ein heller, silberner Klang, der vom Kuppelgewölbe des Michaelertores widerhallte.

Eine Schwadron der Arcierenleibgarde ritt hinter den Trompetern.

Dann kam, die Hellebarden im Arm, in Scharlachröcken, die Trabantenleibgarde zu Fuß.

In einer altmodischen Kutsche, die mit vier Braunen bespannt war, saß der Obersthofmeister allein.

Endlich kam der Wagen des Kaisers. Und von da ab begleiteten Burggendarmen den Zug.

Der Kaiser, mit dem Thronfolger zur Linken, saß in der Prachtkarosse, die Karl VI. hatte bauen lassen.

An mehr als handbreiten Riemen hing der wundervolle Kasten dieser Staatskutsche in den Federn und schaukelte leise. Das Holz des Wagenschlags, den Meister des Barocks bemalt hatten, reichte nur bis zum weißen Atlas der Sitze. Große Kristallscheiben blitzten zu beiden Seiten, und ihre Rahmen trugen das reichverzierte Dach. Schweigend saßen Kaiser und Thronfolger nebeneinander. Beide mochten der fernen Zeit denken, als Franz Joseph in dieser Karosse mit dem Kronprinzen Rudolf zur Stephanskirche gefahren war.

Hinten auf dem Gestell der Karosse, zwischen den vergoldeten Holzfedern, deren Schwung übers Dach emporschwebte, zwischen den hohen, rot lackierten Rädern, standen dicht aneinander gedrängt drei Leiblakeien in Galalivree mit dreispitzigem Hut auf der weißen Perücke. Sie hielten sich an befransten Gurten.

Den reich drapierten Kutschbock hatte Konrad Gruber inne, der gleichfalls die Galalivree, die weiße Perücke und den Dreispitz trug. Er hielt an den Zügeln acht Hengste in seinen Händen.

Diese acht Lipizzaner Schimmel waren reich in Gold und Purpur geschirrt, hatten Sträuße von wallenden, weißen Straußenfedern zwischen den Ohren, auf dem Scheitel. Und jeder wurde von einem Stallknecht an breitem, goldenen Band geführt.

Ganz vorn schritt Florian neben Capitano.

Für Florian war es wiederum ein Fest, das schönste, das feierlichste, das er je erlebt hatte.

Das Glockengeläute brauste mächtig hoch oben in der Luft. Hochrufe erklangen, wo Florian erschien, schlugen über ihm gleich warmen, unsichtbaren Wellen ineinander. Florian schaute begeistert umher. Er ging mit gebändigtem Feuer, mit mühsam gezügeltem Temperament den kadenzierten Schritt der Spanischen Schule. Am liebsten wäre er in die Hinterhand gestiegen, hätte sich hoch gebäumt und gezeigt, was für Künste er beherrschte. Aber da war der Zügel, dem unbedingt zu gehorchen sein Blut befahl. Da war Anton, der die Lust, von der Florian getrieben wurde, an jedem Beben der Muskeln, an jedem leisen Schnauben der Nüstern, am beständigen Spielen der zierlichen Ohren und am Zittern und Rucken des Bandes erkannte, der mit Sanftheit Florian von allen leidenschaftlichen Regungen weg zur Besonnenheit brachte, der ihn mit schonender, zärtlicher Hand niederhielt.

Hinter der Staatskarosse ritt der Oberststallmeister, ritten die Adjutanten Franz Josephs.

In einer Reihe anderer Karossen, die mit sechs Pferden bespannt waren, kamen die Erzherzoge.

Ihnen folgten ein Schwarm von Pagen in hellen Kostümen und die ungarische Garde. Den blanken Krummsäbel im Arm, Rock und enganliegende Hosen goldverschnürt, Saffianstiefel, juwelengeschmücktes Wehrgehänge. Das Pantherfell um die Schulter, an der Brust mit edelsteinblitzender Schnalle befestigt. Braune Bärenmützen, auf denen der weiße Reiherbusch aus kostbar funkelnden Aigretten in die Luft stach.

Zuletzt kam eine Schwadron Dragoner, die den hochgeschwungenen Paradehelm trug.

Vor dem Stephansdom gab es ein langes Ausruhen.

Indessen vollendete die Prozession, die einen weiten Weg und viele Altarstationen zu bewältigen hatte, ihren Umgang.

Die Staatskarosse hielt abseits der Kirche, und Gruber blieb die ganze Zeit in würdevoller Haltung auf seinem Sitz. Anton vertrieb sich die Stunden, indem er leise mit Florian redete und den Erregten beschwichtigte, was ihm wie stets gelang.

Als sie nach der Rückfahrt die Hofburg verließen und am Denkmal der Maria Theresia vorbei zum Marstall heimkehrten, schmetterte in ihrem Rücken fröhliche Militärmusik. Taktiert vom unaufhörlichen Donnerschlag der großen Trommel, drang das metallisch breite Zischen der Tschinellen aufreizend und antreibend durch den Melodienschwung des Radetzkymarsches herüber. Das waren die Truppen, die das Spalier gebildet hatten, und die nun an Franz Joseph vorbei über den inneren Burghof defilierten.

Da begann Florian zu tanzen.

 


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