Felix Salten
Florian – Das Pferd des Kaisers
Felix Salten

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Ein paar Herren vom Wiener Hof trafen in Lipizza ein. Sie fragten sogleich nach Florian.

Er wurde besichtigt und im Geschirr erprobt.

Einer der Herren las aus dem Stammbaum vor: »Neapolitano, Sohn des Berengar und der Sibylle.«

Ein anderer Herr, der in Betrachtung Florians versunken schien, offenbar der Vornehmste der kleinen Kommission, fragte: »Vier Jahre alt, nicht wahr?«

»Gewiß, Exzellenz«, antwortete derjenige, der die Akten in Händen hatte, »geboren am vierten Mai 1901, gerade vier Jahre und einen Monat alt.«

Anton stand mit wehmütiger Miene dabei. Niemand kümmerte sich um den Stallknecht. Wozu auch? Der hatte nicht die geringste Bedeutung.

Bosco lief mißtrauisch in der Gruppe umher, als ahnte er etwas Schlimmes.

»Er geht wirklich ausgezeichnet«, sagte die schlanke, grauhaarige Exzellenz. »Es wird keine lange Nachhilfe brauchen, dann kann er für den Wagen Seiner Majestät verwendet werden.«

»Verzeihung, Exzellenz«, sagte einer seiner Begleiter. Er war kleiner als die schlanke Exzellenz, fast dürr zu nennen, hatte ein glattes, dunkelbraun getöntes Gesicht. »Verzeihung, Exzellenz, dafür ist der Gaul doch zu schade.«

»So! So!« meinte der Kavalier nicht ohne Ironie. »Für den allerhöchsten Dienst zu schade? Interessant, sehr interessant.«

Das braune Gesicht wurde noch dunkler. »Im allerhöchsten Dienst stehen wir alle, Exzellenz, Menschen und Pferde . . .«

Der lange Herr kniff die Augen zusammen, strich den kurzen grauen Schnurrbart und murmelte: »Vielen Dank für die Belehrung. Es gibt Unterschiede, glaube ich.«

»Eben deshalb!« Das dunkelbraune Gesicht zeigte angespannte Beherrschung; doch man merkte trotzdem, daß es ein Ausbruch war, als der Mann »Eben deshalb!« rief. »Herrgott!« fuhr er fort, »selbstverständlich hab' ich nur ans Wagenfahren gedacht, Exzellenz, nur daran! Und Wagen bleibt Wagen!«

Die Exzellenz richtete sich auf: »Der Wagen, in dem Seine Majestät der Kaiser . . .«

»Wer im Wagen sitzt, das ist für die Pferde gleichgültig«, unterbrach der andere. »Ich beschwöre Sie, Exzellenz, der Hengst da . . . so ein Exemplar haben wir seit Jahrzehnten nicht in der Reitschule gehabt. Nein, Exzellenz, wenn Sie mir jetzt auch böse sind . . . ich muß das sagen, es ist meine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Ich beschwöre Sie, Exzellenz, entziehen Sie dieses prachtvolle Tier nicht seiner naturgewollten Bestimmung. Wir werden eine große Freude erleben!« Und als die Exzellenz antworten wollte, schloß der andere mit Zuversicht: »Sie werden mir noch dafür danken, daß ich jetzt so frei war . . .«

Mit hocherhobenem Haupt stand Florian da. Er war abgeschirrt und nackt. Er schien zu keinem andern Zweck auf der Welt zu sein, als durch seinen Anblick Entzücken zu erregen. Alle Umstehenden fühlten sich gehoben und erfrischt, während sie Florian betrachteten.

Florian ahnte nicht, daß diese Szene den Abschied von seiner Geburtsstätte und der Kindheit bedeutete. Vor ihm saß Bosco in den Hinterkeulen und schaute, die Schnauze schräg haltend, die Ohren regungslos gespitzt, aufmerksam zum geliebten Freund empor. Bosco hatte Nervosität im Herzen, ihm schwante undeutlich irgendeine Veränderung.

Doch Anton wußte, was bevorstand. Er hielt sich stumm wenige Schritte abseits, lauschte auf jedes Wort, das gesprochen wurde, und jedes Wort drang ihm wie ein Nadelstich in die Brust, schmeichelte zugleich wie eine holde Melodie seinem Ohr. Verliebt schaute er zu Florian hinüber. Ja, er wurde gelobt und gepriesen, wie er's verdiente. Das war herrlich anzuhören, und es war gleichzeitig auch schlimm; denn Anton mußte seinen Florian verlieren, und er konnte sich noch gar nicht vorstellen, wie das Leben ohne Florian werden sollte.

Ohne Florian!

Florian scharrte mit dem Huf. Anmutig hob er das schlanke, wohlgeformte Bein, hielt es feierlich und zögernd in der Luft, schlug dann den Huf mit wuchtiger Energie zu Boden und scharrte. Der steilgebogene Hals, das Haupt mit niedergedrücktem Kinn boten jenen unvergeßlichen Ausdruck, in dem sich Stolz, Kühnheit und Sanftmut mengten. Florian schnaubte laut.

Der Kavalier, der auf den Erguß des Braungesichtigen nicht geantwortet hatte, unterbrach nun die Pause. »Meiner Seel«, sagte er, »er ist so schön wie das Roß des Colleone!«

»Ja«, stimmte der andere zu. »Das war auch ein Lipizzaner!«

»Na, na«, wehrte der Kavalier ab, »wenngleich kein Lipizzaner, so doch aus der Familie, die dann nach Lipizza gekommen ist.«

»Ist ja gleich!« Das braune Gesicht strahlte. »Jedenfalls war das Roß des Colleone ein Reitpferd. Ein Pferd, das geritten wird und keinen Wagen zieht! Das entscheidet!«

Statt einer Erwiderung trat der Kavalier ganz nahe zu Florian, griff ihm ans Nasenbein und zog das Haupt zu sich. Florian schaute ihm mit seinen großen, dunklen Augen ins Gesicht. Eine beredte Frage war das, der nur die Worte fehlten. Auch der Kavalier sprach kein Wort. Er ordnete Florians Haar, das zwischen den Ohren in die Stirne fiel, ordnete es so genau, als wäre das notwendige Verrichtung. Dann ordnete er die üppig weiße Mähne, die dem geschwungenen Hals ein kühnes, wildes Aussehen verlieh. Die kundige Hand fuhr über den hohen Widerrist, klopfte die seidigwarme Schulter, endlich die breite Brust des Hengstes.

»Es ist gut, Ennsbauer«, sagte die Exzellenz schließlich und ließ Florian stehen. »Ich will nicht mit Ihnen streiten, wenn Sie überzeugt sind, daß der Florian zu Ihnen gehört.«

»So wahr es einen Gott gibt, Exzellenz«, beteuerte Ennsbauer, »zur Hohen Schule gehört er.«

»Ich wiederhole, ich will nicht mit Ihnen streiten. Über die hervorragenden Qualitäten dieses Gauls sind wir beide einig. Da gibt es ja keine Meinungsverschiedenheiten. In Wien reden wir weiter darüber.«

 

Zusammen mit vier andern Hengsten und vier Stuten brachte man Florian zur Bahnstation. Ein Sonderzug stand dort bereit, der den weiten Weg nach Wien über Nacht zurücklegen konnte. Zwei, höchstens drei Tiere kamen in einen Wagen. Florian blieb mit einem andern Hengst allein.

Von Wien war ein kleiner Trupp Stallburschen gekommen, um die Pferde auf dieser Fahrt zu begleiten.

Als Anton, Florian und Bosco vom Gestüt weggingen, im Schwarm mit den andern, begann für Anton das Elend. Der Junghengst und der Foxterrier wußten einstweilen noch nicht, was geschehen werde. Bosco hatte sich, nachdem die Wiener Herren verschwunden waren, wieder beruhigt. Die Wiener Reitknechte, die von Lipizza aus zur Bahn mitgingen, regten ihn nicht sonderlich auf. Er hatte sie alle schnuppernd genau untersucht und festgestellt, daß sie zu Stall, Pferden und Hunden gehörten. So nahm er den gemeinsamen Auszug als ein neuartiges, interessantes Unternehmen hin, sprang bald lustig bellend um die ganze wandernde Schar herum, lief bald brav zwischen Anton und Florian.

Florian trug die Backenstücke, die in Augenhöhe mit kleinen Lorbeerzweigen geziert waren wie bei den andern Pferden. Nur das Gebiß wurde ihm nicht ins Maul gelegt. Zwar hatte das der Wiener Bursche gefordert, doch Anton hatte kurz entgegnet: »Hat keinen Zweck!« Der Wiener Bursche, der Wessely hieß, wollte den Zügelriemen ergreifen und Florian führen. Anton kam ihm zuvor, hielt den Zügel lose in der Hand und brachte die knappen Worte: »Laß mich!« hervor. Dann schluckte er und schwieg.

Unterwegs fing Wessely ein Gespräch an, das gleich ins Stocken geriet; denn Anton ließ ihn ohne Antwort.

Einmal aber begann Anton: »Du . . .«, zögerte und fügte dann hinzu: »Sag, wie ist's denn in Wien?« Doch die Schilderung des kaiserlichen Marstalls, die Wessely gab, vernahm Anton nicht. Seine Gedanken, sein Fühlen kreisten immer nur um das eine: Jetzt führe ich ihn noch, den Florian, und morgen ist er nicht mehr da und übermorgen nicht und nie mehr! Dieses »nie mehr« konnte Anton um so weniger fassen, als Florian stolz neben ihm einherschritt und manchmal hell wieherte.

Den Wagen untersuchte Anton so peinlich wie ein Vater etwa die Schlafstube seines Sohnes in einem fremden Erziehungsheim.

Wessely lachte: »Das ist alles so rein wie bei uns in Wien!«

Er bekam keine Antwort. Zu traurig war Anton gestimmt, zu niedergeschlagen, um der Sauberkeit des Wagens, dem reichlichen frischen Stroh, dem Vorhandensein von Wasser und Hafer ein Wort der Anerkennung zu schenken.

Er trat in die Türe, rief leise: »Komm!« Und Florian kam zum Erstaunen Wesselys das schräge Laufbrett herauf. Bosco sprang neben ihm her und bettete sich im Stroh.

»Was willst du noch da?« fragte Wessely.

Anton beachtete diese Mahnung nicht. Er hielt Florian dicht unterm Kinn umarmt. Er streichelte die Ohren, die Stirn, die Wangen des Pferdes, küßte die zarte Oberlippe, die ihm entgegenatmete, die Nüstern, die sich öffneten und schlossen und gezügelte Erregung kündeten. »Florian«, flüsterte der Bursche, »mein Florian, leb wohl, laß dir's gut gehn.« Und immer wieder dasselbe: »Leb wohl, mein Florian, laß dir's gut gehn.«

»Mach, daß du hinauskommst«, drängte Wessely, »wir fahren gleich!«

Das gab Anton einen Stich. Von Florian weggewiesen werden – Härteres ließ sich kaum denken. Er kümmerte sich nicht um Wessely, betrachtete noch einmal das schöne sanfte Geschöpf, dessen leuchtendweißer Leib den Wagen mit Licht erfüllte. »Florian«, flüsterte er, ohne den Hengst zu berühren, »vergiß mich nicht! Hörst du?«

Das Laufbrett wurde weggezogen. Der Wagen tat mit lautem, metallischem Klirren der Kupplung einen heftigen Ruck.

Anton sprang hinaus.

»Da, dein Hund!« schrie Wessely, hob Bosco hoch und schleuderte ihn Anton zu, der den entsetzt aufheulenden Fox gerade noch fangen konnte. Dann rollte der Zug schnell und schneller durch die dämmernde Abendlandschaft davon.

Bosco winselte verzweifelt, laut aufjammernd, leise vor sich hin weinend. Er war nicht zu beschwichtigen, wollte nicht von der Stelle und mußte getragen werden.

»Sei still«, redete Anton ihm unterwegs zu, »es hilft nix!« Er preßte den Hund an sich, duldete, daß er ihm bittend, flehend das Gesicht leckte, und hätte am liebsten selbst geheult. »Sei gescheit, Bosco, es ist umsonst. Hin ist hin.«

 

In aller Frühe traf der Sonderzug auf dem Wiener Südbahnhof ein. Die neun Pferde wurden ausgeladen. Von guten warmen Flanelldecken umschnallt, standen sie da. Die Nachtreise hatte sie durchgerüttelt; die neue Welt, die sie erblickten, verwirrte sie. Doch alle blieben sanft und geduldig; denn Sanftheit und unerschütterliche Geduld gehörten zu ihren Tugenden.

Nur Florian zeigte sich erregt, stampfte, peitschte mit dem schönen, dichten Schweif die Flanken, trug das Haupt höher als die andern und wieherte ein übers andere Mal.

Er suchte Anton, blickte nach Bosco umher. Vergebens. Florian fügte sich, wie seinesgleichen es gewohnt war, sich immer und unter allen Umständen zu fügen. Sein Herz war bei Anton, empfand sehnsüchtiges Verlangen nach Boscos Munterkeit. Doch er duldete, daß Wessely ihn knapp am Zügel führte, duldete das kühle, stählerne Gebiß zwischen den Zähnen.

Die Straßen waren noch wenig belebt. Gepflasterte Straßen zwischen steinernen Häuserfronten hatte Florian noch nie gesehen. Aufmerksam schaute er um sich, empfing verdutzt vielfache Pferdewitterung, gemengt mit zahllosen andern Gerüchen, die er nicht kannte.

Ein Milchwagen kam rasselnd entgegen. Zwei magere Braune trabten ungleichmäßig im Geschirr. Verwandte! Florian wollte sie mit hellem Wiehergeschrei begrüßen. Doch sie sahen gar zu armselig aus. Ihre Augen waren hinter schwarzen Deckeln verborgen. Sie schienen abgestumpft und in ihrer Arbeit dem Trupp adliger Artgenossen beinahe feindlich gesinnt.

Florian schnaubte nur und begann zu tänzeln.

Langsam, keuchend zogen zwei mächtige Pinzgauer eine schwere Ziegellast vorüber. Ein Schritt mit treuem Bedacht so hart vor den andern gesetzt, daß vom Granit Funken aufspritzten.

In leichtem, glattem Trab, schnell, anmutig liefen Zweigespanne vorbei. Es war angenehm, zu hören, wie der taktmäßige Gleichklang des Hufschlags sich näherte, wie er vorüberdröhnte, wie er dann in der Ferne versickerte. Fiaker!

Bäume und Buschwerk rauschten ziemlich nahe, wurden sichtbar, winkten, Rasenplätze öffneten sich. Aber man beachtete sie weder, noch suchte man sie auf. Florian war verwundert und ein wenig enttäuscht.

Als sie die Ringstraße überquerten, staunte Florian, weil sie vor langen roten Wagen haltmachen mußten. Wagen, zu zweien und dreien aneinandergebunden, die ohne Pferde, ganz von selbst, dahinrollten.

Sie kamen durch eine enge Straße, die sich später an den Rand eines großen Platzes schmiegte, kamen in den Schatten eines Schwibbogens, unter dem sich ein Tor in den mäßigen Raum eines Hofes öffnete. Pferdewitterung, ganz rein und kräftig, Geruch von Stroh, Heu und Hafer wehten ihnen entgegen. Sie waren am Ziel.

Florian erwartete, jetzt endlich Anton zu finden, erwartete, daß Bosco ihm entgegenspringen und die Freudengesänge des Wiedersehens anstimmen würde. Doch weder Anton noch Bosco war da.

In sein Abteil geschoben, von Wessely gestriegelt und frottiert, nahm Florian kaum einen Mundvoll Hafer, trank hastig aus der roten Marmorschale einen Schluck Wasser, kehrte sich von der Krippe fort, stand, den Kopf an das Gitter gepreßt, das ihn gefangen hielt, spähte, lauschte nach rechts, nach links, bewegte die Ohren bei jedem Schritt, der sich nahen wollte. Anton . . . Bosco . . . wo seid ihr?

Über Nacht verschwunden!

In der Spanischen Reitschule wurden die jungen Hengste longiert.

Der Oberststallmeister des Kaisers, jene Exzellenz, die nach Lipizza gekommen war, die Auswahl zu treffen, beobachtete den Vorgang.

Rittmeister von Neustift hatte ihn mit Elisabeth begleitet.

Der Oberbereiter Ennsbauer longierte.

Aber Florian war nicht in der Reitschule.

»Was sagen Sie zu Florian, Exzellenz?« fragte Elisabeth. Der Oberststallmeister fuhr sich mit der Hand über den kurzen grauen Schnurrbart: »Wollen sehen, vielleicht wird er noch.«

»Vielleicht!« rief Elisabeth fast beleidigt.

»Jawohl, vielleicht«, wiederholte die Exzellenz.

Elisabeth ereiferte sich: »Dann muß doch mit dem Florian etwas geschehen sein, das begreif ich nicht!«

»Auch mir ist die Sache unbegreiflich«, antwortete der Oberststallmeister. »Schon möglich, daß mit dem Gaul etwas geschehen ist. Aber was?« Er zuckte die Schultern. »Kein Mensch weiß, was ihm eigentlich fehlt.«

Neustift mischte sich ins Gespräch: »Der Florian war das allerschönste Füllen in Lipizza! Das allerschönste! Und fabelhaft in Form! Ich hätte ihn gern für meine Frau gekauft.«

»Er verliert seine Schönheit«, erklärte der Oberststallmeister, »und er ist von Tag zu Tag weniger in Form. Ich fürchte, der berühmte Florian wird eine sehr bittere Enttäuschung. Nicht wahr, Ennsbauer?«

Ennsbauer nickte und rief zurück: »Eine kolossale Enttäuschung!«

»Dürfen wir ihn sehen?« fragte Neustift.

»Aber gewiß!«

Zu dritt gingen sie in den Stall hinüber.

Florian stand traurig in seinem Abteil.

»Er ist abgemagert!« rief Neustift ganz erschrocken.

»Natürlich«, sagte der Stallknecht verdrossen, »er frißt ja gar nicht.«

»Ist er krank?« fragte Elisabeth ängstlich.

»Aber nein!« Wessely wurde noch mürrischer. »Kerngesund, sagt der Arzt, kerngesund!«

Elisabeth öffnete die Türe des Abteils. »Florian«, lockte sie, »Florian!«

Der Schimmel, der mit gesenktem Kopf in der Ecke stand, kehrte sich langsam um.

»Komm her zu mir, komm«, lockte Elisabeth.

Florian ging ihr ein paar Schritte entgegen. Seine großen dunklen Augen hatten einen wehmütigen, matten Ausdruck. Er schnupperte an Elisabeth, schnupperte an Neustift und ließ ein lautes Schnauben vernehmen.

»Nein, wirklich«, sagte Neustift, »er erkennt uns!«

Von Elisabeths flacher Hand küßte Florian den dargereichten Zucker weg. Elisabeth streichelte seine Nase und Oberlippe. »Armer Florian«, flüsterte sie, »bei uns hättest du es besser getroffen, wenn ich dich bekommen hätte. Wir hätten den Anton und den Bosco zu uns genommen.«

Florians Ohren zuckten nach vorne.

»Den Anton«, wiederholte der Rittmeister, »den Anton und den Bosco!«

Florian warf das Haupt empor, die Ohren spielten, die dunkeltiefen Augen funkelten.

»Anton und Bosco . . . Anton und Bosco . . . Anton und Bosco!«

Neustift und Elisabeth sprachen das leise wie im Chor, und Florian wurde immer lebhafter.

Frohlockend wandte sich Elisabeth an den Oberststallmeister: »Das ist es! Das! Sehnsucht hat der Florian!« Und der Oberststallmeister antwortete lächelnd: »Wenn's nur das ist – da kann geholfen werden!«

Als sie den Stall verließen, wollte Florian ihnen nach. Wessely mußte ihn zurückdrängen.

»Rührend«, philosophierte Neustift, »daß so ein Tier nicht sprechen kann.«

»Er hat gesprochen, der Florian«, entschied Elisabeth, »ganz deutlich hat er gesprochen!«

 

Nur einige Tage verstrichen, bis Anton kam.

Als Anton den Befehl erhielt, sich sofort nach Wien zu begeben und in die Spanische Reitschule einzutreten, war er gar nicht sehr erstaunt. Ihm schien es selbstverständlich, daß Florian ihn zu sich rief. Nichts in der Welt konnte einfacher sein.

Anton hatte ruhig seine Siebensachen gepackt, hatte Bosco verständigt, daß sie nun beide gemeinsam zu Florian reisen würden. Er war ganz überzeugt, von Bosco verstanden worden zu sein.

Während der Fahrt saß er aufgereckt da und schloß die ganze Nacht kein Auge. Der Hund saß stundenlang aufrecht neben ihm, streckte sich dann aber behaglich aus, um bis zum Morgen zu schlafen. Anton kraulte ihm leise das Fell und ließ zuletzt die Hand auf der Flanke des Schlafenden liegen.

In Wien marschierte Anton, den Hund neben sich, das Bündel über der Schulter, vom Bahnhof zur Spanischen Hofreitschule. Zum erstenmal befand er sich in der großen, reichen, schönen Stadt; aber er schenkte ihr keine Beachtung. Den Weg erfragte er von einigen Leuten. Doch in Wirklichkeit erriet er beinahe, wohin er sich wenden mußte.

Bosco war ungeheuer erregt und geriet von Minute zu Minute mehr in Aufruhr. Die Zunge schlappte ihm lang aus dem offenen Maul, der Atem keuchte; er zog die Leine straff, an die Anton ihn hatte knüpfen müssen. Niemand hätte sagen können, ob die Stadt mit ihrem ungewohnten Straßendonner den Hund in solchen Fieberzustand brachte, oder ob Bosco genau wußte, was für ein Wiedersehen ihm bevorstand.

Nach dem engen Hals der Augustinerstraße öffnete sich der Josefsplatz in feierlich monumentalem Viereck. Anton hatte keinen Blick dafür. Er wußte nur: Das ist die Hofburg, die Wohnung des Kaisers.

Was Anton dann bewog, die kleine Türe im großen Tor rechts unter dem Schwibbogen zu öffnen, läßt sich nicht sagen. Vielleicht hatte Bosco die Witterung empfangen, daß er gegen diese Pforte sprang, vielleicht hatte auch Anton etwas von dieser Witterung verspürt. Genug, der Portier wies Anton auf dessen Frage nach dem Stall, und Anton murmelte vor sich hin: »Na, endlich!«

Dann ging er über den Hof, ohne seine Schritte zu beschleunigen. Nur die Leine nahm er kürzer. Bosco sollte nicht um eine Sekunde früher bei Florian ankommen. Am Eingang zum Stall stand Wessely in einer Gruppe von andern Burschen. Er grüßte freundlich und begann sogleich: »Jetzt werden wir ja sehen, ob's mit dem Florian besser wird!«

»Steht es denn schlecht mit ihm?« erkundigte sich Anton ernst.

»Miserabel!« erwiderte Wessely. »Er will nicht fressen und nicht arbeiten. Ist's nicht wahr?« rief er die andern zu Zeugen auf.

Ennsbauer, der Oberbereiter, trat aus dem Stall. Anton nahm stramme Haltung an und meldete seinen Namen und seine dienstliche Bestimmung.

»Gut, daß Sie da sind, Pointner«, sagte Ennsbauer, »das ist die letzte Probe, die wir mit dem Gaul anstellen. Wenn die auch fehlschlägt . . .« er zuckte die Schulter, »mit dem Pferd ist ja nichts anzufangen.«

Wortlos ging Anton an Ennsbauer vorüber, langsam betrat er den dämmernden Stall und beachtete es nicht, daß alle ihm folgten. Bald kam er zu der Kreuzung, von der aus sich nach beiden Seiten die Pferdestände dehnten.

»Rechts«, sagte jemand hinter ihm.

Aber Anton blieb stehen.

»Florian!« rief er, »Florian!«

Bei diesem Ruf stimmte Bosco ein lautes Freudengeheul an.

Gleichzeitig donnerten Hufschläge gegen eine Holzwand.

Anton rührte sich nicht vom Fleck. Nur den Hund ließ er von der Leine los.

Wessely stürmte eilig in den Gang und öffnete die Türe, an der das Poltern erklang. Und wurde beinahe überrannt.

Florian brach hervor.

Bosco, der jauchzend an ihm hochsprang und immer wieder hochsprang, als wäre er ein Gummiball, erkannte ihn sofort.

Da stand der schneeweiße Hengst, glich sich selbst, wie er noch als Fohlen dazustehen pflegte, mit leichtgespreizten Vorderbeinen. Sein prachtvoller Schweif peitschte erregt die Luft, sein Hals bog sich nieder, sein Haupt streckte sich tief zu dem Hund hinab. Bosco tanzte und winselte kläglich, als sagte er: So lange waren wir getrennt. Dann jauchzte er dazwischen gellend, und das hieß: Endlich bin ich wieder bei dir!

Florian schnupperte und schnaubte, und in kurzen, raschen Bewegungen schienen seine Lippen die Nase, den Kopf, den Rücken des rastlos tobenden Fox sanft zu berühren.

Anton, immer noch auf seinem Platz, sagte still: »Und ich, Florian?«

Von dieser Stimme getroffen, warf Florian das Haupt empor. Behutsam kam er heran, Schritt für Schritt, die zierlichen Ohren gespitzt. Die dunklen Augen leuchteten im Glanz des Erkennens. Ganz dicht trat er zu Anton, stieß ihn leicht mit der Nase an die Brust, an die Hüfte, ins Gesicht, drängte ihn gegen die Wand und ließ mit seinen stummen Liebkosungen nicht ab, bis Anton, der sich alles beglückt hatte gefallen lassen, die Hand hob, Florian bei den Nüstern packte und ihm zuflüsterte: »Genug!«

 

Von Stund an war Florian verändert, war wieder, was er früher gewesen, der stolze, sanfte, bereitwillige Lipizzaner. Er begann zu essen, mit Heißhunger, er wurde wieder rund von Leib, hatte wieder das glatte, seidig schimmernde Fell.

Ennsbauer staunte nur so, als er Florian longierte: »Der ist wunderbar!«

»Gräfin«, äußerte er sich zu Elisabeth, die nach ihrem angeborenen Rang tituliert wurde, »ein besseres Pferd als den Florian haben wir in der Hofreitschule noch nicht gehabt, seit ich hier bin.«

Elisabeth kam mit ihrem Mann jetzt oft, kam oft auch allein oder mit ihrem kleinen Sohn. Neustift war Major geworden und Flügeladjutant des Kaisers. Sie schauten beide zu, wie Florian longiert wurde; sie standen bei Ennsbauer und sahen, wie Florian den leisesten, kaum angedeuteten Befehl erriet, wie er die Gangarten augenblicklich wechselte, aus dem Schritt in Trab, aus dem Trab in Galopp fiel, je nach Wunsch in kurzen oder gestreckten Galopp, und wie er auf die Sekunde gleich einer Mauer stillstand.

Kopfschüttelnd bemerkte Ennsbauer: »Niemals ist eine Korrektur notwendig! Der kann alles ganz von selbst!«

Elisabeth lächelte: »Und zu Anfang war's anders?«

»Herrgott!« Ennsbauer seufzte belustigt. »Zuerst war es einfach zum Verzagen! Er wollte nicht! Nichts wollte er!«

 


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