Felix Salten
Florian – Das Pferd des Kaisers
Felix Salten

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Einige Tage später kam Franz Ferdinand mit seiner Gattin in die Reitschule.

Graf Bertingen, von dem Besuch verständigt, war zugegen.

Ennsbauer führte Florian vor.

Franz Ferdinand war heute, da er nicht von der Nähe Franz Josephs sich beengt, nicht durch den bloßen Anblick des Kaisers wie immer sich gereizt fühlte, ganz verändert. Frei, heiter, witzig und zum Bejahen aufgelegt.

»Na, Sie Reitersmann«, redete er Ennsbauer an, »zeigen Sie der Frau Herzogin einmal die Künste Ihres Wundergauls!«

Ennsbauer verzog keine Miene, verbeugte sich und wollte gehen.

»Halt«, rief Franz Ferdinand, »ich muß Sie doch erst Ihrer Hoheit präsentieren.« Er wandte sich an seine Frau: »Erlaube, Sopherl, daß ich dir die Koryphäe der Spanischen Reitschule vorstelle.«

Er nannte Ennsbauers Namen nicht. Er wollte ihn merken lassen, daß er ihn nicht mochte. Ennsbauer behielt sein undurchdringliches Gesicht und verbeugte sich leicht vor der Herzogin, die mit einem leisen Lächeln nickte.

»Den Kerl kann ich nicht leiden«, sagte Franz Ferdinand zum Oberststallmeister, während Ennsbauer wegging, der es noch hören konnte.

»Ein hervorragend tüchtiger Mensch«, erwiderte Graf Bertingen.

Dafür erntete er einen jener Blicke tiefsten Zornes, in denen die Augen des Erzherzogs beinahe bis zur Schwärze sich verdunkelten. Und gleich brach Franz Ferdinand los: »Sie reden Unsinn, Bertingen! Weil der Kerl ein bisserl was von Pferden versteht, machen S' gleich so ein Wesen aus ihm. Unsinn!«

Die Herzogin lächelte Bertingen an, mit jenem Lächeln, mit dem sie so oft die Rauheit ihres Mannes abzuschwächen versuchte.

Aber Graf Bertingen entgegnete kühl: »Leistungen wie die von Ennsbauer sind selten.«

»Meinetwegen«, kam es noch lauter zurück. »Was heißt das schon bei einem Stallknecht!«

Eiskalt sprach Bertingen: »Verzeihung, kaiserliche Hoheit, Ennsbauer war nie Stallknecht. Er ist der erste kaiserliche Oberbereiter!«

»So?« schnaubte der Thronfolger. »So? Kein Stallknecht? Derartige Unterschiede mach' ich nicht. Vor mir ist jeder, der mit Rössern zu tun hat, ein Stallknecht. Ohne Ausnahme! Verstehen Sie?«

Bertingen zuckte die Schultern. »Ich verstehe«, sagte er ironisch.

Drohend redete der Erzherzog weiter: »Der wird einer der ersten sein, die hinausfliegen, wenn ich einmal . . .«

»Oh«, Graf Bertingen schlug einen harmlos scherzenden Ton an, »oh, kaiserliche Hoheit, bis dahin . . .« Er dehnte die Worte: »Bis dahin ist der Ennsbauer sicher schon pensioniert.« Und weil ihm nun der Thronfolger ein wutentflammtes Antlitz zukehrte, fügte er ganz unschuldig hinzu: »Geruhen kaiserliche Hoheit zu bedenken, Seine Majestät sind ja erst siebenundsechzig Jahre alt.«

»Ah, wie schön!« rief in diesem Augenblick die Herzogin. »Wirklich wunderschön!«

Florian, von Ennsbauer geritten, war in der Bahn erschienen. Dadurch wurde die peinliche Szene beendet.

»Nein, wirklich, Franzi«, bemühte sich die Herzogin, »du hast nicht übertrieben. Ein Prachttier!«

Franz Ferdinand verwandelte sich vollständig. »Gefällt es dir, Sopherl?« fragte er zärtlich. »Das hab' ich gewußt.«

Ohne Musik wirkte Florian ganz durch sich selbst. Er hatte Musikalität genug; denn sein Körper lebte völlig im Rhythmischen.

Er stieg in die Levade und hob sich bei tief geknickten Hinterbeinen ganz leicht mit den Vorderbeinen; er vollführte die Capriole, diesen Sprung vom Stand in die Luft, so einfach, als wäre das eine mühelose Kleinigkeit; er strich dabei so elegant mit den Hufen rückwärts, während die Vorderbeine sich waagrecht streckten, daß es für eine Sekunde schien, der massive Pferdeleib hätte überhaupt kein Gewicht.

Beim gestreckten spanischen Trab hatte man dann den Eindruck, daß der Hengst den Boden nur zum Scherz berührte. Er schwebte. Er tanzte wie ein Götterpferd, das im nächsten Moment zum Olymp emporfliegen wird. Er setzte später, im kadenzierten Gang, ein Bein übers Kreuz vor das andere, gleichsam zierlich die Wonne des Schreitens mit Betonung auskostend, und vollzog den Schrittwechsel wie ein Spiel des Übermuts.

Der Erzherzog und seine Frau betraten die Reitbahn. Graf Bertingen folgte den beiden.

»Kommen S' her!« befahl Franz Ferdinand.

Ennsbauer stieg aus dem Sattel und ließ das Pferd frei.

Florian näherte sich der Gruppe, langsam, zögernd, mit der Freundlichkeit seiner Art, die Freundlichkeit erwartet.

»Warum ist der Esel nicht oben geblieben?« herrschte Franz Ferdinand den Grafen Bertingen an. »Er hat doch gehört, daß ich ihn zu mir rufe!«

Ennsbauer stand auf dem Fleck, wo er abgesessen war, hatte den Zweispitz in der Hand und schwieg.

Als Bertingen mit einem fragenden Blick sich zu ihm wendete, sagte er ruhig: »Ich hab' geglaubt, es wird die kaiserlichen Hoheiten freuen, wenn der Florian allein kommt.«

Der Thronfolger würdigte Ennsbauer keines Wortes. Zum Oberststallmeister murrte er: »Die Leute haben nichts zu glauben und nichts zu denken. Einfach gehorchen sollen sie. Das ist alles, was ich von ihnen verlange.«

Die Herzogin hatte unterdessen Florian am Zügel ergriffen, weil dieser bei den lauten Worten des Erzherzogs den Kopf zurückgeworfen und Miene gemacht hatte, wegzulaufen. Jetzt hielt sie Florian an den Nüstern, streichelte ihn und raunte ihm beschwichtigende Zärtlichkeiten zu. Florian rührte horchend die kleinen Ohren; seine schönen, beseelten Augen leuchteten der Frau forschend ins Gesicht. Er blies den Atem in leisen Stößen aus und schnupperte am Kleid der Herzogin.

»Ach, schade«, sagte Sophie, »ich hab' keinen Zucker.«

»Zucker!« rief Bertingen. Und Ennsbauer reichte schnell ein paar Würfel hin.

Franz Ferdinand stand nun ganz nah bei ihr, klopfte Florian, der sich aufmerksam dem Genuß der Näscherei widmete, den Hals und sprach wie von einer Sache, die abgemacht ist: »Was hab' ich dir gesagt, Sopherl? Ein Pferd für mich. Unbedingt für mich! Ist's nicht wahr?«

»Sicherlich, Franzi, es ist wie für dich geschaffen.«

Der Oberststallmeister schwieg.

»Na, Bertingen«, forderte der Erzherzog, »reden Sie ein Wort.«

Bertingen zuckte die Schultern: »Ich habe nur zu gehorchen, kaiserliche Hoheit.«

»Sehr richtig«, lachte der Erzherzog; »aber ich will wissen, was Sie davon denken.«

Bertingen sträubte sich: »Kaiserliche Hoheit sind der einzige Erzherzog, der auf allerhöchsten Befehl das Recht hat, seine Reitpferde aus dem Marstall . . .«

»Erzählen Sie mir keine Geschichten, die ich längst kenne. Ich frage, ob Sie nicht auch finden, daß dieses Pferd für mich paßt.«

»Vorausgesetzt«, Bertingen machte ein unschuldiges Gesicht, »vorausgesetzt, daß kaiserliche Hoheit nicht zu schwer für den Florian sind.«

Der Erzherzog lachte noch lauter: »Unsinn! Zu schwer für so einen Mordskerl!«

Bertingen wandte ein: »Kaiserliche Hoheit haben bis jetzt Irländer geritten.«

Franz Ferdinand wechselte den Ton: »Na, schön! Vorausgesetzt, wie Sie sagen, Bertingen, ich wäre also zu schwer. Gut!« Er sprach nun zu seiner Frau: »Aber du, Sopherl, du wirst großartige Figur auf dem Schimmel machen.«

»Oh, ich?« Die Herzogin gab lebhaftes Erstaunen kund. »Ich?« Dann, mit einem resignierten Neigen des Hauptes: »Mir, Franzi, mir werden sie das Pferd niemals geben. Du weißt doch. Mir nie!«

»Das wollen wir sehen«, sagte Franz Ferdinand, und sein Trotz begann wieder zu erwachen.

Kurz und kalt nahm er Abschied. Bertingen hörte noch, wie er im Weggehen zu seiner Frau sagte: »Das setz' ich durch! Das will ich. Du auf dem weißen Zelter. Wie im Märchen.«

Der Besuch des Thronfolgers und seiner Gattin wurde im Stall von den Reitknechten lebhaft erörtert. Anton hatte hinter der Tür zur Reitbahn gelauscht, war vom Ausspruch Franz Ferdinands entsetzt und wagte es, Ennsbauer danach zu fragen. »Was wird dann mit Bosco und mir geschehen?« wollte er wissen.

Ennsbauer fand sich zur Auskunft bereit. Es tat ihm wohl, vom Thronfolger, der ihn so schlecht behandelt hatte, abfällig zu sprechen. »Nichts wird geschehen«, sagte er höhnisch, »weder mit dir noch mit dem Hund.« Er neigte sich und streichelte den darüber verwunderten Foxterrier zum erstenmal. »Denn Florian bleibt, wo er ist«, fuhr er fort.

Als er Antons Verblüfftheit wahrnahm, erging er sich in einer schadenfrohen Schilderung der Ungnade, gegen die Franz Ferdinand vergeblich kämpfte: »Den? Den kann der Kaiser schon gar nicht leiden! Den schon gar nicht! Der kann vielleicht in der Armee manches erreichen. Aber da herinnen, in der Burg? Nicht so viel!« Er schnippte. »Nur verlangen braucht er etwas, nur bitten um etwas, und allen großen Herren ist es ein reines Vergnügen, nein zu sagen.«

Ennsbauer behielt auch diesmal recht.

Der Oberststallmeister machte dem Ersten Obersthofmeister von Franz Ferdinands Besuch und von seinem Wunsch Meldung.

Der Erste Obersthofmeister lachte laut auf: »Für so naiv hätt' ich den guten Franz nicht gehalten! Aber er hat wohl nur Spaß gemacht.«

Franz Ferdinand war jedoch nicht der Mann, mit den Hofwürdenträgern des Kaisers Franz Joseph zu spaßen. Er hatte sich in Florian verliebt und sich in den Gedanken verbohrt, das Pferd für seine Frau zu erobern. Er leistete auf seine Wünsche niemals leicht Verzicht, und er gab auch jetzt nicht ohne weiteres nach. Der Erste Obersthofmeister wurde zum Thronfolger ins Belvedereschloß beschieden.

»Schauen S', lieber Fürst«, redete ihm Franz Ferdinand gemütlich zu, »den kleinen Gefallen können S' mir wirklich erweisen . . . es wär' ohnehin der erste! Und es wär' eine Freundlichkeit, durch die Sie meine Frau verbinden würden.«

Der Fürst blieb unbewegt. Er wies darauf hin, daß es nicht seine Sache wäre, Gefälligkeiten zu erweisen, besonders nicht Gefälligkeiten, die mit seiner Pflicht in Widerspruch stünden.

»Aber ich bitt' Sie«, rief der Erzherzog, den die Geduld rasch wie immer verließ. »Ein Pferd, das ich haben will, an dem mein Herz hängt, ein Pferd hergeben . . . ist das so etwas Großes?«

Der Fürst erwähnte, Florian sei von Seiner Majestät bestimmt worden, vor dem König Eduard . . .

»Aber dann«, unterbrach ihn Franz Ferdinand, »wenn das vorbei ist?«

»Ich werde die allerhöchste Entscheidung einholen«, erklärte der Fürst.

»Nein!« rief der andere in aufsteigendem Unwillen. »Nein, das wünsche ich zu vermeiden!« Und von seinem Temperament übermannt, brach er los: »Denken Sie sich halt, ich wäre schon Kaiser. Das kann jeden Tag geschehen, und dann ist mein Befehl . . .«

Eiskalt entgegnete der Fürst: »Dann wird ein anderer als ich diese Befehle empfangen.«

Er wurde ungnädig verabschiedet.

Franz Ferdinand aber ging zum Kaiser, um Florian für sich zu erbitten. So viel lag ihm daran, nicht bloß das Pferd zu bekommen, sondern einmal, nur ein einziges Mal, seinen Willen durchzusetzen. Er hatte seinerzeit, als er die Gräfin Chotek zu heiraten beschloß, den Kaiser und den ganzen Hof überrannt. Seither jedoch bekam er bitterste Gegnerschaft zu spüren. Die Abneigung des Kaisers begriff er allerdings. Er verstand den Vater, der den einzigen Sohn, den Monarchen, der den Thronerben ins Grab sinken gesehen. Die Regierung Franz Josephs betrachtete er mit kritischen Blicken. Sein kritisch durchdringender Verstand mißbilligte auf das schärfste die immer wieder geübte Nachgiebigkeit des Monarchen. Man sagte, die Ehe mit der tschechischen Gräfin Chotek habe Franz Ferdinand zum Ungarnhasser und zum Anhänger des Slawentums gewandelt. Allein sein weiter politischer Blick erkannte ganz von selbst, daß der dualistische Bau des Reiches, die ausschließliche Zweieinigkeit Österreich-Ungarn jede andere Möglichkeit verhinderte und schwere Gefahren für das Bestehen der Monarchie zeitigte. Franz Joseph lebte ihm viel zu lange. Das sprach er zu Hause, zu Hofleuten, zu Politikern, mit denen er sich unterhielt, ganz offen aus. Natürlich kamen solche Bemerkungen dem Kaiser zu Ohren. Wahre und erdichtete Äußerungen des Thronfolgers wurden dem Kaiser hinterbracht.

Je mehr aber Franz Ferdinand merken ließ, mit welcher Begierde er den Tag herbeisehnte, das »alte Gerumpel« einer »verfehlten« Herrschaft wegzuräumen, desto mehr wuchs der Groll, den Franz Joseph gegen den Erben seiner Kronen hegte. Zuneigung hatte er für die Kinder seines Bruders ohnehin nie gefühlt, hatte von ihnen immer als von der »Carl-Ludwig-Brut« gesprochen. Er wußte natürlich, wie ohnmächtig er der Zukunft, die nach seinem Tode erst anfing, gegenüberstand. Doch bei Lebzeiten tat er alles, was das Dasein Franz Ferdinands verbittern konnte. Tat es mit Raffinement und mit genießerischer Freude. Die Herzogin von Hohenburg mußte bei Hoffesten erscheinen und hinter der jüngsten Erzherzogin einhergehen. Die Folge davon war, daß Franz Ferdinand, der den ersten Platz nach dem Kaiser hatte, sich demonstrativ zu seiner Frau gesellte. Der Kaiser kümmerte sich nicht darum. Jede noch so winzige Winzigkeit benützte der Erste Oberhofmeister, um dem Erzherzog seine völlige Einflußlosigkeit vor Augen zu führen, und er war dabei immer der allerhöchsten Zustimmung gewiß. Deshalb kam es oft genug zu heftigen Auftritten zwischen Franz Joseph und dem Erzherzog-Thronfolger. Eine zornig gereizte Spannung war das alltägliche.

Heute jedoch erschien Franz Ferdinand als der sanfte, liebenswürdige, treugehorsame Diener des Kaisers. Er wollte nichts ertrotzen. Nur bitten und durch unbedingte Ergebenheit den Kaiser gnädig stimmen, das wollte er. Franz Joseph merkte die Absicht, die gar zu deutlich aufgetragen schien, und wurde um so frostiger. Der Thronfolger flehte, er bettelte geradezu um den Florian. Lieber Himmel, ein Pferd, ein einziges Pferd, was konnte dem Monarchen daran liegen. Er dagegen, der Erzherzog, hätte unendliche Freude daran, und er würde ewig dankbar sein.

»Wenn es möglich ist, gern.« Franz Joseph sagte das mit einer Freundlichkeit, die eine unendliche Entfernung zwischen ihn und den Thronfolger legte. »Ich werde mit dem Fürsten über die Sache sprechen.«

Die Audienz war zu Ende. Daran ließ sich nichts ändern.

Franz Ferdinand ging und würgte an seiner Wut. Er wußte, daß Florian für ihn verloren war.

 

König Eduard kam nach Wien.

Major von Neustift befand sich im Gefolge des Kaisers, als dieser den König von England auf dem Bahnhof empfing. Am nächsten Vormittag erschien der König in der Hofloge der Spanischen Reitschule. Er nahm zwischen Franz Joseph und dem Thronfolger Platz, die beide österreichische Generalsuniform trugen. Eduard war in Zivil erschienen und sah vorbildlich elegant, sah, wie es der großen Eleganz immer gelingt, vorbildlich einfach aus. Franz Joseph wirkte, wie jedesmal, durch den abendlichen Glanz von Schönheit, der sein Haupt, seine hohe, schmale Gestalt umschimmerte. Eduards behaglich füllige Figur, sein großes und kluges Gesicht, der dunkle Vollbart, den weiße Haarbüschel durchblitzten, bildeten dazu einen starken Gegensatz. Aber der Eindruck, den die beiden Monarchen ausübten, war gleichmäßig intensiv.

In dieser Gesellschaft hatte Franz Ferdinand es nicht leicht. Seine breite, etwas fette Figur verriet große Kräfte, entbehrte jedoch der Vornehmheit. Sein Gesicht mit der niedrigen Stirn, den steil aufgekämmten Haaren, dem dicken, dunkelbraunen Unteroffiziers-Schnurrbart zeigte keine Spur von Geist, es verriet einzig gewalttätige Energie sowie unbeugsamen Eigensinn. Nur die elfenbeinblasse Gesichtshaut und der feste harte Blick der nachtdunklen Augen ließen die starke Persönlichkeit des Prinzen ahnen. Er war in der Hofloge neben den beiden Monarchen sicherlich der machtloseste Mensch und dennoch derjenige, der durch seine bloße Gegenwart Angst und Sorge verbreitete.

Stehend hatte die versammelte Gesellschaft das Eintreten der beiden Monarchen begrüßt, die vom Thronfolger empfangen wurden, indessen hoch oben das hinter dem Stuckwappen versteckte Orchester »God save the King« spielte.

Eduard betrachtete den Raum eine Weile, ehe er sich setzte. »Herrlich«, sagte er zum Kaiser und wies mit der Hand hinaus, »diese Maße, dieser schlichte und doch großartige Schmuck, wirklich wunderbar!«

Franz Joseph lächelte.

»Fischer von Erlach, nicht wahr?« erkundigte sich Eduard, und Franz Joseph nickte.

»Ich kenne die Reitschule schon«, wandte sich Eduard an Franz Ferdinand.

Der staunte: »So? Wann waren Majestät hier?«

Eduard lächelte: »Als Wartender!« Er neigte sich zu dem Erzherzog: »Ich bin, wie du weißt, sehr lange Prinz von Wales gewesen. Sehr lange. Tröste dich, mein Lieber.«

Franz Ferdinand flüsterte: »Jawohl, Majestät, alles hat einmal ein Ende. Man muß es nur erleben!«

Fanfaren. Die Pferde erschienen, die Reiter leisteten den alten Gruß, und das Spiel begann. Der König war begeistert und geizte nicht mit seinem Beifall. »Das ist magnifik!« rief er ein ums andere Mal. »Fabelhaft!«

Als Florian an die Reihe kam, rückte sich Eduard zurecht. »Ein Prachtexemplar! Und dieses Können! Dieses mühelose, meisterhafte Können!« Er schwieg keine Sekunde. »So etwas Anmutiges von einer Courbette! Entzückend! Der Hengst ist ein Genie!«

Franz Joseph sagte: »Den wollte ich dir zeigen! Zweihundert Jahre Zucht und Schulung!«

»Ja«, begeisterte sich Eduard, »anders ist so etwas auch nicht erreichbar!«

Franz Ferdinand lachte; seine gute Laune stieg. Die Zukunft gehörte ihm. Sie lag nahe, dicht vor seinen Augen, wie diese Arena hier. So weit war sie, so leer, so zu allem bereit, seine Zukunft. Und gleich der Zuschauermenge hier auf Balkon und Galerie harrte die Menschheit gespannt, in Furcht und Hoffnung der Taten, die er vollbringen würde, er, Kaiser Franz II. von Österreich! Er lachte.

Da wurde Florian von Ennsbauer am losen Zügel hereingeführt. Der Schimmel in seinem blendenden Weiß war fast nackt. Nur die Backenstücke an seinem Haupt schienen massiver als sonst. Und der purpurfarbene Zügel lag gleich einem Blutstreifen auf dem schneeigen Rücken.

Zuerst zeigte Florian zwischen den Pilaren am Ort den spanischen Schritt. Dann tanzte er schwebend in allen Gangarten durch den Raum, erhob sich einmal sogar zur Courbette, ein heroischer Moment.

Das Wort »heroisch« gebrauchte auch Eduard. Er war vor lauter Begeisterung erregt.

»Findest du nicht«, fragte er den Kaiser, »daß das erotisch und heroisch zugleich wirkt?«

Franz Joseph lächelte ein wenig: »Heroisch gebe ich zu!«

»Nein«, rief der König, »dieses nackte Pferd und der Mann dabei, dieser edle Leib, der von Kraft, von Leidenschaft, von Hingabe bebt und von Zurückhaltung, das ist . . .« Er brach ab und applaudierte.

Franz Ferdinand atmete schwer. Die Worte des Königs hatten in ihm eine entschwundene Erinnerung geweckt. Bezaubert sah er hinunter auf Florian. Aber er brachte es nicht über sich, dem Pferd und dem Mann dort unten Beifall zu spenden.

 

Vom Oberststallmeisteramt langte ein schriftlicher Befehl ein, und der Oberbereiter Ennsbauer musterte die Pferde.

»Der da«, entschied er, indem er vor Florian haltmachte, »der ist natürlich am wichtigsten. Eigentlich würde er ja diesmal allein genügen.«

Mißtrauisch horchte Anton auf. Was stand dem Florian da wieder bevor?

»Drei Jahre hat er jetzt gearbeitet«, sprach Ennsbauer, indessen er Florians Stirne streichelte. »Im Grunde wenig. Aber bei dem bedeutet das mehr, als wenn andere fünf Jahre geritten werden. Es ist Zeit für ihn.«

Anton verzagte schon.

Als er aber hörte, Florian solle nach Lipizza und sich dort vermählen, damit ihm Nachkommen heranwüchsen, atmete er befreit auf. Dann brach ein Freudentaumel in ihm aus; denn Ennsbauer hatte Antons schüchterne Frage rauh beantwortet: »Natürlich, du Esel, natürlich mußt du mit! Du und diese Bestie von einem Hund! Ihr drei seid ja unzertrennlich!«

Die Tage bis zur Abreise vergingen wie im Fluge. Alles war in Anton wieder aufgewacht. Kindheit und Jugend Florians und Boscos, das herrliche Dahinleben in Lipizza, die weiten Wiesengründe, die wundervolle Luft, die vom Meere heraufwehte. In Antons dumpfem Hirn rumorten diese Erinnerungen heftig durcheinander. Jetzt wieder dorthin, das war Heimkehr. Das war sogar Triumph, denn Florian kam ruhmgekrönt zurück. Antons Träume von damals hatten sich alle erfüllt.

Stundenlang hielt er das Haupt Florians in seinen Armen, hielt seinen Mund an Florians beweglich spielendes Ohr und flüsterte: »Lipizza! Weißt du noch! Lipizza! Ein herziger, hilfloser kleiner Kerl warst du! Kaum bist du auf der Welt gewesen, hat man die Volkshymne gespielt! Erinnerst du dich? Und heute kennen dich Kaiser und Könige! Jetzt geht's wieder nach Lipizza! Verstehst du? Lipizza!«

Florian hörte geduldig das Gemurmel an, bewegte die zierlichen Ohren und blickte mit sanftem Ausdruck über Antons Schultern hinweg in das Dämmern des Stalles.

Anton hob Bosco auf, drückte ihn sacht an die Brust und flüsterte ihm zu: »Nach Lipizza fahren wir, Bosco. In Lipizza werden wir beisammen sein wie früher. Du wirst die Wiesen erkennen und die Bäume, und wirst dich freuen. Gelt, Bosco, mein Hund, mein lieber?«

Bosco wedelte so stürmisch, daß sein Schweif laut Antons Hüften klopfte. Er wusch mit seiner Zunge Antons glattes Gesicht. Dann gähnte er vor befangener Feierlichkeit, und wenn Anton den Frageton anschlug, den Bosco an der Sprachmelodie erkannte und begriff, stimmte er ein froh klagendes, langgezogenes Jaulen an, das wie Weinen und zugleich wie Jauchzen klang.

 

Auf dem Rasen von Lipizza stand Florian zuerst als Betäubter. Jahre waren vergangen, und er hatte nichts anderes gekannt als den kurzen Weg vom Stall zur Reitschule, hatte nie frischere Luft geatmet als in jenem alten Hof, wo er während des Sommers zwischen ein paar alten Bäumen des Morgens bewegt wurde.

Jetzt stand er auf Wiesengrund, atmete den Meerwind, den Duft der Bäume. Bosco umsprang ihn wie einst, wenn Florian nun über die Flur von Lipizza galoppierte. Ohne Trense, ohne Banden, nackt und ledig. Aber Bosco kam rasch ins Keuchen, denn er war in Wien bedauerlich fett geworden. Er hatte ja nie Gelegenheit, so zu rennen, wie ein Terrier rennen muß, um seine Form zu bewahren. Im Stall lungerte er meist faul herum. Zur Reitschule hinüber durfte er nicht. Hinaus in die Straßen zu laufen, trug er kein Verlangen. Seit er das erstemal unter dem Schwibbogen beinahe überfahren worden wäre, behielt er vor diesen schrecklichen Wiener Straßen eine ängstliche Scheu. Anton ging niemals spazieren, nahm also auch den Hund nie mit, gab ihm nie die Möglichkeit, vernünftig zu leben. So setzte Bosco Fett an wie ein alter Lakai und hatte kein anderes Terrain als den grauen alten Hof vor dem Stall.

Aber in Lipizza streifte Bosco die erzwungene Faulheit rasch ab. Der weite Wiesengrund, Florian, der immer ungestümer sich gebärdete, Boscos eigene Erinnerungen, die schnell wiederkehrten, trugen dazu bei, daß er wieder ferm wurde. Je mehr Feist von ihm wich, je schlanker er aussah, desto mehr Atem bekam er und desto größeren Schwung.

Florians Wiedersehen mit Nausikaa, der Gefährtin seiner Jugend, das elementare Hervorbrechen seiner Liebe zu ihr, das war so großartig wie ein Gewitter, so überwältigend wie eine breit und hoch emporlodernde Flamme. Florian zitterte am ganzen Leib, seine Adern schwollen an und zeichneten straffe bläuliche Linien ins schneeweiße Fell. Schaum flockte von seinen Lippen, die Nüstern spannten sich, die Augen, blutig unterlaufen, funkelten in einem wilden Glanz. Er schnaubte unablässig, schlug und scharrte und stampfte den Boden, daß die Erdschollen weit umherflogen. Sein Wieherschrei klang so gebieterisch über Lipizza hin, daß alle Rosse stillstanden. Die Hengste und die Stuten lauschten dieser herrlichen, dieser verlangenden Stimme und wurden von ihr in einen Taumel des Begehrens oder in ohnmächtig rasende Eifersucht gestürzt.

Florian war der unumschränkte Herr von Lipizza. Er war gehorsam treulos und tyrannisch unersättlich.

Nicht Nausikaa mehr, noch irgendeine andere besaß seine Liebe. Er gab sich jeder, die man ihm zuführte. Er genoß das Weibstum überhaupt, das andere Geschlecht als anderes Geschlecht. Und er genoß seine eigene Männlichkeit, er vertobte die herrlich angesammelte Kraft seiner Lenden und wurde dessen nicht müde.

Dann sprengte er in wunderbar schwebendem Galopp über die grünen Wiesenteppiche. Als wollte er Bosco hetzen, stachelte er den Hund zu einem Wettlauf an.

Plötzlich warf er sich zur Erde, begann ein lustig behagliches Wälzen, ein Strampeln mit allen vier himmelwärts gerichteten Beinen und schien Freude daran zu haben, wenn Bosco neben ihm wie närrisch herumkugelte oder dieses Schlaraffenlagern wütend verbellte.

Doch die Zeit verstrich, und Florian mußte nach Wien zurück.

Aber das war nun anders als damals, wo Florian zum erstenmal die Spanische Reitschule betrat.

Anton gewöhnte sich gleich wieder an die Regelmäßigkeit des Dienstes. Er war ein Mensch, begriff Zweck und Ziel der Ferien, Zweck und Ziel der fortgesetzten Arbeit. Bosco fand sich rasch im verengten Schauplatz seines Daseins zurecht. Er war ein Hund, deshalb bereit, alles, was die angebeteten Herren seines Schicksals verfügten, willig zu ertragen.

Nur Florian, jetzt männlich geworden, noch stolzer, noch gesünder, noch mehr als je getrieben, seine Kräfte spürbar zu gebrauchen, fühlte sich unbehaglich. Er hatte den besten Willen, er fühlte wie eh und je die innere Widerstandslosigkeit unter dem Reiter, der ihm auf dem Rücken saß, aber ihm fehlten die Lust und die schöne Freudigkeit zur Hingabe. Mit klaren Gedanken vermochte er diesen Zustand freilich nicht zu erkennen. Den Aufenthalt im Freien, die Wonne des Hinstürmens unter Bäumen, unter offenem Himmelszelt hatte er nicht vergessen. Das saß ihm in den Sinnen und machte ihm das Hinduseln im dämmerigen Stall zuwider. Es wurde ihm verhaßt, immer nur die Reitbahn zu sehen, immer nur dieses langgestreckte Rechteck zu durchmessen, nirgend anderswohin zu kommen als vom Stall über den Hof durch Schwibbogen und über den Hof in den Stall zurück. Florian war verdrossen.

Nach einigen Proben, die ergebnislos blieben, meldete Ennsbauer dem Oberststallmeister: »Der Florian ist fertig!«

Graf Bertingen wollte Näheres wissen. Wieso? Krank? Überhaupt fertig? Nur mit der Hohen Schule? Woran war das erkennbar?

»Das merkt man doch«, sagte Ennsbauer, »das Pferd war früher ganz anders, hat alles erraten, hat alles sofort gekonnt. Jetzt zögert es. Florian begreift plötzlich schwer oder will nicht begreifen. Ich muß ihm die Hilfen so gründlich geben wie einem Anfänger. Er hat keine Freude mehr an der Sache. Und mir ist's kein Vergnügen mehr, ihn zu reiten.«

»Seit wann ist das so?«

»Seit er von Lipizza wieder da ist.«

»Eine Pause eintreten lassen«, meinte Graf Bertingen, »dem Hengst Erholung gönnen.«

Ennsbauer zog die Stirne in Falten: »Ich kenn' doch die gewöhnlichen Pausen, hab' dem Florian eine längere gegönnt, obwohl er gar keine nötig hatte. Er braucht eine andere Lebensweise.«

»Also einspannen! Hinüber mit ihm zu den Wagenpferden«, entschied Graf Bertingen.

Ennsbauer nickte nur.

Graf Bertingen hatte eine Spur von Lächeln auf den Lippen: »So behalten wir beide recht. Erst Sie, dann ich. Florian hat hier am Ende genug geleistet. Jetzt soll er vor den Wagen Seiner Majestät.«

 


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