Felix Salten
Florian – Das Pferd des Kaisers
Felix Salten

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eines Tages kam Bosco.

Das war ein ganz junger Foxterrier von kaum zwei Monaten. Seine Mutter hieß Maja, wohnte in Lipizza, gehörte dem Stallmeister Voggenberger, hielt sich im Stall bei den Hengsten auf und hatte sich mit ihrem Stallgefährten, dem schmucken Foxterrier Jackie, vermählt. Fünf Junge bildeten den ersten Familiensegen. Voggenberger wollte der Maja nur drei lassen. »Fünf sind zuviel«, sagte er und war gerade im Begriff, zwei Junge zu ertränken, als Anton dazu kam. »Schenken Sie mir das eine«, bat er, »ich möcht' schon lang einen Hund.« Voggenberger gab ihm das winzige, blinde Kügelchen, das die vier Pfoten spreizte und an dem Finger, den Anton ihm ins Mäulchen steckte, inbrünstig, aber vergeblich zu saugen begann. »Wenn er am Leben bleibt, heißt er Bosco«, sagte der Stallmeister. Anton erklärte sich einverstanden: »Gut, Bosco! Ich danke Ihnen vielmals.«

Anton nahm den kleinen Bosco mit in sein Zimmer. Er besorgte für ihn eine Milchflasche, dazu einen Schnuller und ersetzte ihm derart die Mutter. Der winzige Bursche, der sehr rasch wuchs, machte Anton viel Spaß. Er ließ ihn bei Tag wie bei Nacht in seinem Bett schlafen und trug ihn manchmal zwischen Hemd und Rock mit sich herum, weil er gern die dunstige Wärme Boscos spürte, der an Antons Brust geruhsam schlief oder neugierig den klugen Kopf hervorstreckte und alles, was er erreichen konnte, mit seinen nadelspitzen Zähnen benagte.

Nach und nach begann Bosco zu strampeln, wenn er an Antons Brust zwischen Rock und Hemd seinen Platz hatte. Er wurde zur Ruhe verwiesen. Aber als Anton wieder einmal mit Bosco im Rock draußen bei Sibylle und Florian war und das Hündchen aufs neue ungeduldig zu strampeln anfing, löste Anton die untersten zwei Knöpfe. Bosco fiel zur Erde, überkugelte sich und stand endlich ganz erstaunt auf den Beinen, hob langsam, mit steigender Neugier, den Kopf, um sich die Welt zu betrachten. So erschien Bosco unter den Lipizzanern.

Bosco blinzelte, nieste, und in seinem ausdrucksvollen Gesicht war die Überlegung: »Was unternehme ich jetzt?«

Da tat Florian, neben dem der junge Hund plötzlich zur Erde gefallen war, einen Sprung. Florian war durch das unerwartete Erscheinen Boscos erschrocken, denn Hunde hatte er bis jetzt nur von weitem gesehen.

Bosco quittierte das Schauspiel mit einem einzigen hohen Japplaut. Es war gleichsam ein Kindersopran und klang wie ein Jubelruf.

Dann starrten Florian und Bosco einander an.

Da war, vor den Augen Boscos, ein weißes Riesengeschöpf, ein Ungetüm, einfach ein Rätselwesen. Bosco empfand aber keinen Augenblick Angst. Nur Neugier, nichts als Neugier. Vor den Augen Florians dagegen stand ein winzigkleiner Bursche. Weiß, mit zwei schwarzen Flecken an Augen, Stirn und Ohren, die in der Mitte eine weiße dünne Linie vom Scheitel zur rosigen Nase frei ließen.

Bosco brauchte nun nicht mehr zu überlegen, was er unternehmen sollte. Er stürzte sich auf Florian, jaulend, jauchzend, angriffslustig, spielfreudig.

Florian nahm einfach Reißaus.

Bosco jagte hinterdrein, und Anton hatte gut rufen: »Florian! Bosco!« Keiner der beiden achtete darauf.

Die zwei fegten nur so über die Wiese, einer hinter dem andern. Der gute Bosco mit seinem dicken Milchbauch blieb weit zurück. Er war das schnelle Laufen nicht gewöhnt.

Florian aber wurde bald müde. Er gewahrte, daß er seinem Verfolger entschlüpft war, fiel aus dem gestreckten Galopp in Trab, aus dem Trab in Schritt und stand bei Sibylle still. Anton näherte sich gerade, als Bosco atemlos herangejappt kam. Mit der Hartnäckigkeit des Terriers fuhr er Florian an die Hinterbeine und war eben im Begriff, sich ganz harmlos, nur zum Scherz, daran festzubeißen.

Florian aber zeigte keinen Sinn für diesen Scherz. Er feuerte mit beiden Beinen so hoch und so nachdrücklich aus, daß er, von vorn gesehen, mit gesenktem Hals und Haupt den Anschein erweckte, als vollführte er eine regelrechte Verbeugung.

Bosco flog weithin durch die Luft. Kein Hufschlag hatte ihn getroffen, nur die Schnellkraft von Florians Muskeln schleuderte ihn in hohem Bogen fort. Er überschlug sich einige Male während seines blitzartigen Fluges, er rollte, wieder zur Erde gelangt, ein paarmal kopfüber um seine Achse und brach dann, endlich zu Atem gelangt, in klägliches Weinen aus, das von kurzem beleidigten Bellen unterbrochen war. Mit eingezogenem Schweif, den Rücken etwas gekrümmt, stand er da, blieb jedoch in respektvoller Entfernung.

Jetzt machte sich Anton daran, zwischen den beiden Kindern Frieden zu stiften.

Er lockte den verwirrten, hilfsbedürftigen Bosco, der zögernd und scheu herankroch. Anton hob ihn auf und trug ihn zu dem Fohlen.

»Da«, sagte er, während er Bosco vor die Pferdenase hielt, »seid doch gescheit, ihr zwei.«

Doch Florian erkannte den kleinen Verfolger und gab durch die flach zurückliegenden Ohren zu erkennen, daß er immer noch entrüstet war.

Bosco hatte sich in Antons Armen aufgerichtet, schnupperte mit lauten Atemstößen Florians Nase ab und wurde dabei immer vergnügter und zärtlicher.

Florian fühlte sich gekitzelt. Er schnaubte sacht den kleinen Schmeichler an und stellte die Ohren hochgerichtet nach vorn. Die großen Augen blickten fragend, erwartungsvoll.

Da begann Bosco stürmisch Florians Nase mit seiner kleinen Zunge zu waschen. Das geschah wie eine leidenschaftliche Liebeserklärung, wie ein ekstatischer Ausbruch unbegrenzter Freundschaft. Nur Kinder sind fähig, so zu lieben, so unschuldig und begeistert einer plötzlichen Neigung zu folgen.

Florian mußte Gefallen daran finden, denn er senkte das Haupt und ließ Nase, Nasenrücken und Stirn von Boscos Zunge küssen.

Genug, dachte Anton und setzte Bosco zu Boden.

Der Terrier umwedelte Florian, bog vor zärtlicher Begeisterung den Leib zusammen, sah entzückt zu seinem neugewonnenen großen Freunde empor und sang ihm mit den höchsten Tönen winzige Liedchen, die rasch abbrachen, dann wieder anfingen, eilige, unbeholfene Strophen.

Ich muß gehen, meinte Anton zu sich, ich hab' noch Arbeit. »Bosco«, rief er im Fortschlendern, »Bosco!«

Einmal, zweimal rannte ihm Bosco nach, sprang rund um ihn herum und kehrte sogleich wieder zu Florian zurück.

Anton rief noch, pfiff, brüllte und pfiff wieder. Aber Bosco brachte es nicht über sich, sich von Florian zu trennen. Auch Sibylle trottete die paar Schritte herbei und senkte das Haupt. Beide Pferde standen dicht beisammen, beide hielten die Häupter zu dem kleinen Burschen gebeugt, der vor ihnen lag und schweifwedelnd das Gras peitschte.

Bosco schaute ihnen in die großen, dunkelglänzenden, gewölbten Augen. Plötzlich sprang er auf. Er war ausgeruht. Wie wär's? fragte seine Haltung, sein straffes Dastehen, das gezügelte Flinkheit verriet und Frohlaune.

Florian schnellte den Kopf hoch. Seine Ohren bewegten sich rasch, seine geschlossenen Lippen nahmen einen vergnügten, neugierigen Ausdruck an. Sibylle hob ihr Haupt langsam.

Bosco drehte sich wie närrisch um sich selbst. So tanzte er vor den beiden.

Ein Zeichen Florians mußte ihm gesagt haben: Einverstanden! Ein Zeichen von Sibylle: Meinetwegen!

Bosco nahm Atem, Beine, Herz und Hirn zusammen. Er sauste davon wie abgeschossen. Ein weißes, längliches Projektil, das über den grünen Rasen hinpfeilte.

Florian rannte hinter ihm drein, eher nachlässig im Tempo, als wäre es nur eine Kleinigkeit, das Hündchen zu überholen. Sibylle folgte. Sie machte das Ganze lediglich zur Aufsicht mit, hielt knappe Distanz, richtete sich nach Florians Schnelligkeit.

Eine Weile machte es Florian Spaß, den kleinen Bosco vor sich zu haben. Dann erwachte in ihm das Verlangen, den Enteilenden einzuholen. Florian ging zu scharfem Trab über . . . vergeblich, zu immer schärferem Trab . . . umsonst. Er begann zu keuchen.

Sibylle hörte das. Mit raschen Sprüngen war sie an seiner Seite, war ihm voraus. Und warf sich quer in Florians Weg zu Boden. Mit eingestemmten Beinen bremste Florian seinen Lauf, dann schleuderte er sich in die weiße Flanke der Mutter und fing sogleich zu trinken an.

Das war Labsal.

Er hörte, hingeschmiegt an den vertrauten Leib, der ihn nährte, den Pulsschlag der Mutter gegen seine Lippen pochen. Sein eigener heftiger Puls hämmerte ihm durch Gesicht, Hals und Schläfen.

Als der gleichmäßige Doppeltakt der Hufe hinter ihm mit einemmal abbrach, stand Bosco still, schaute umher, zuerst frohlockend, dann erstaunt, weil seine beiden Gefährten verschwunden waren. Er hob schnuppernd die Nase, empfing die Witterung vieler Pferde, erkannte den Geruch Sibylles, den Geruch Florians. Schnurgerade begab er sich im Hundegalopp zu ihnen.

Andächtig betrachtete er die Szene, mit der das Spiel einstweilen geendet hatte. Er hatte kein Erinnern mehr an die eigene Mutter, keines mehr daran, wohlig dazuliegen und von Leib zu Leib genährt zu werden. Das war zu traumhaft entfernt. Aber als Foxterrier, dem von seinen Vorfahren her adliges Blut in den Adern rollte, hatte er feine Instinkte und nobles Begreifen. Manierlich blieb er ein paar Sekunden stehen, dachte keinen Augenblick daran, das Bild, das sich ihm bot, zu stören. Ganz still warf er sich dann ins Gras, den beiden gegenüber, kam jetzt erst darauf, daß er selbst erhitzt war, und ließ die Zunge heraushängen, deren rasches Gelappe verriet, wie rasend Atem und Herz arbeiteten. Dennoch lachte Bosco den beiden zu: War es nicht schön? Seine munteren Foxaugen erklärten sprechend, lebenssprühend: Wie gut, daß ich bei euch bin!

Von den Hengsten herüber drang heller Wieherschrei, laut, inbrünstig, heiß verlangend. Bosco spitzte die Ohren. Diese Welt gefiel ihm.

Sibylle wälzte sich, scheuerte den Rücken im Gras, zeigte die schönen Linien des Bauches und schlug mit allen vier Beinen lässig in die Luft. Behagen war das, Aufforderung für Florian, fröhlich zu sein.

Florian ließ sich nicht bitten. Er vollführte tolle Drehungen am Boden, er zappelte mit den Beinen himmelwärts. Er kugelte zur Seite und trommelte mit den jungen Hufen auf den Widerrist der Mutter, auf ihre Flanken und auf ihre straffe Kruppe.

Bosco verfolgte das Treiben mit gespannter Aufmerksamkeit. Er stand, denn er konnte nicht sitzenbleiben. Er unterhielt sich großartig. Diese beiden Erhabenen, zu denen er beständig emporblicken mußte, deren Antlitz immer hoch über ihm schwebte, sie waren jetzt so nah und niedrig. Er tanzte um Sibylle und Florian herum, er sprang über sie hinweg, und dieses Hinwegspringen über so Gewaltige bereitete ihm unbewußt eine ganz besondere Genugtuung. Manchmal berührten seine Beine Sibylles Hals, manchmal die Schulter Florians. Bosco jauchzte dabei, schrie unaufhörlich; er verursachte ein wahres Gezeter von Ausgelassenheit.

Anton, der nach ein paar Stunden wiederkam, fand das Trio einträchtig hingelagert.

Bosco begrüßte ihn stürmisch, wedelte, drehte sich im Kreis um sich selbst, sprang an Anton empor, wieder und immer wieder.

Sibylle blickte ihn nur an. Mit großen, dunkel leuchtenden Augen.

Und Florian dehnte sich langsam, bog den Hals weit zurück und zeigte so, daß er sich wohl befand.

 

Nach wolkenverhangenen Tagen, nach wilden Stürmen bedeckte eine dünne Schneeschicht die Wiesen von Lipizza. Blauer Himmel weithin und eine Sonne, die ein wenig blasser war als sonst, spendeten Heiterkeit. Glasklar und regungslos stand die Luft.

Alle Pferde bewegten sich im Freien, trabten, galoppierten, trollten über den hier so seltenen Schnee, und die weißen Tiere nahmen sich auf dem weißen Boden aus, als hätte die Natur dem Menschenkarneval zuliebe ein Kostümfest veranstaltet.

Die Pferde zeichneten kreuz und quer die Schrift ihrer Hufe in den Schnee, der zu schmelzen begann. Einige von ihnen schlürften ein bißchen mit zusammengezogenen Lippen das kalte, halbfeste Naß. Dann fuhr ihr Haupt sogleich in die Höhe. Ein plötzlicher, kraftvoller Ruck war das. Sie schnaubten laut, heftig zwei-, dreimal nacheinander und begannen einen kurzen, ziellosen Galopp. Keinem von ihnen kam es in den Sinn, sich hinzuwerfen, sich zu rekeln oder zu wälzen. Dieser weiße Boden hatte etwas Blendendes im Flimmern der Sonne, aber er lud nicht gastlich ein, sich niederzulassen.

Einzig Bosco und drei oder vier andere Terrier wurden rasch mit dem Schnee vertraut, ergötzten sich daran wie Kinder, die aus der Schule kommen und den Schnee als Aufforderung nehmen, Allotria zu treiben.

Bosco tauschte mit seinen Artgenossen kurze Höflichkeiten. In längere Gespräche ließ er sich mit keinem jemals ein. Nur was die einfachen guten Manieren von Foxterrier zu Foxterrier geboten, das befolgte er, entledigte sich dieser Pflicht aufs knappste, um sich ganz und gar Florian zu widmen.

Dieser konnte den kleinen Gefährten anscheinend auch nicht missen. Er stand still und wartete, wenn Bosco sich einmal weiter als sonst entfernte. Dann stand Sibylle gleichfalls und wartete, bis Bosco kam. Schon von weitem rief er ihnen zu: Da bin ich! Da! Er sprang an ihnen empor, immer vorn, immer so, daß sie ihn sehen konnten. Man glaubte, Bosco wollte sie in die Nase beißen. Doch Bosco wollte sie gar nicht beißen. Ihm war der erste Purzelflug, zu dem ihm das Ausfeuern Florians verholfen hatte, eingeprägt geblieben. Er hielt sich vor den großen Freunden, unter ihren Augen; das gewährte ihm Sicherheit und war besser geeignet, sich mit ihnen zu verständigen.

Jetzt umtanzte er Florian, rannte ihm voraus, warf sich in den Schnee, zappelte, scheuerte, die Beine nach oben gekehrt, den Rücken, sprang jählings auf und schüttelte sich so kräftig, daß ein Sprühregen winziger Tropfen nach allen Seiten von ihm wegstob. Dann sauste er wieder davon, und Florian mußte etliche Male mit breitgestemmten Vorderbeinen haltmachen, um nicht auf Bosco zu treten, der wieder rücklings im Schnee strampelte.

Bosco war jetzt fast um die Hälfte größer als bei seinem Erscheinen. Er war reifer, hatte schon bei allen Merkmalen der Jugend die schöne, schlanke Gestalt der Foxterrier, diesen festen, glatten Körperbau, der Munterkeit, Grazie und bedenkenlose, tapfere Entschlossenheit verriet.

Er schlief nun bei Florian und Sibylle in ihrer Box. Das hatten sie gemeinsam durchgesetzt.

Eine kleine Untreue war dazu nötig gewesen, die Bosco an Anton leichten Herzens beging. Er liebte Anton, erkannte in ihm den Herrn, wäre ohne Zögern bereit gewesen, sich für ihn zu opfern. Aber er gehörte doch mehr zu Florian. Diese beiden waren einander viel näher, als Tier und Mensch es jemals sein können.

Das erstemal schlich Bosco davon, als Anton abends mit ihm in der Kantine saß. Anton suchte ihn überall, draußen in den Hürden, beim Stallmeister, bei Kollegen. Er pfiff und schrie, was Bosco freilich hörte, wodurch er sich aber nicht bewogen fühlte, seinen Platz im Stroh bei Florian aufzugeben. Anton war verzweifelt, bis ihm jemand riet, im Stall nachzusehen.

Bosco tat, als läge er in tiefem Schlaf. Anton hob ihn auf und trug ihn behutsam in seine Kammer.

Das zweitemal entwischte Bosco kurz vor dem Schlafengehen aus Antons Bett. Er wurde bemerkt und zurückgeholt, noch ehe er sein Ziel erreicht hatte.

Da nahm Bosco die Gewohnheit an, des Nachts aus dem Bett zu springen. Des Morgens fand Anton ihn auf den Fußboden hingestreckt, glaubte, dem Hund sei es zu heiß gewesen, und fügte sich.

Eines Tages aber fand Anton ihn nicht. Bosco war während der Nacht aus der Kammer geschlichen, zu Florian. Das tat er fortan Nacht für Nacht. Er wartete immer Antons tiefen Schlaf ab. Auf diese Weise glückte ihm das Entschlüpfen regelmäßig aufs beste.

Er stemmte die Pfote gegen die Türe, die unversperrt und meist nur halb eingeschnappt war. Dann öffnete sich ein Spalt, hinlänglich, um den schmalen Körper Boscos durchzulassen. Hielt die Klinke aber einmal fest, so gab Bosco das Spiel darum keineswegs verloren. Er sprang auf den Stuhl, der neben der Türe stand, stieg in die Hinterbeine und drückte die Klinke so lange nieder, bis die Türe aufschnappte. Das gab einen kurzen metallischen Laut. Bosco erschrak jedesmal, blieb eine Weile vorsichtshalber ganz still und lauschte zu Antons Bett hinüber. Wenn sich dort nichts rührte und nur Antons leise schnaubender Atem zu hören war, huschte Bosco hinaus und eilte geradeswegs in den Stall zu Florian. Zwar schlug ihm das Gewissen immer wegen dieses Verrats. Aber der Wunsch, bei Florian zu sein, war stärker.

Dort lag er glückselig, an Florians Rücken geschmiegt, und schlief beruhigt, zufrieden und gut. Oft stützte er, beim Erwachen, sein Kinn auf Florians Hals oder Widerrist.

Wenn Anton des Morgens kam, begrüßte Bosco ihn mit begeistertem Wedeln, entzücktem Augenverdrehen, verkrümmtem Leib und freudigem Aufjauchzen. Das war immer eine große Szene. Bosco benahm sich, als wäre er nicht listig durchgebrannt, sondern felsenfest überzeugt, Anton müßte alles verstehen und billigen.

Anton verstand jedoch nur, daß Bosco ihn heimlich im Stich gelassen hatte. Das Wiedersehen, das Bosco so stürmisch feierte, hielt er für eine Art tätiger Reue, wurde davon immer sofort besänftigt und versuchte nun seinerseits Bosco zu beschwichtigen. »Du Lump«, murmelte er, »du Ausreißer . . . na, na . . . schon gut, schon gut.« Doch Bosco gab nicht nach, bis Anton im Striegeln der Pferde innehielt, sich niederbeugte, Bosco den Kopf tätschelte und dabei sprach: »Brav, brav . . . braver Bosco!« Dann fuhr Bosco noch ein paarmal im ganzen Stall wie rasend umher, als ein tadelloser Fox, dem sein Herr das Bravsein bestätigt hatte. Anton lachte und setzte sein Pflegewerk fort.

Abend für Abend nahm er dennoch Bosco mit in die Kammer, legte ihn zu sich ins Bett, gedachte seinen Willen gegen den Willen des Hundes, gegen dessen vermeintlich unvernünftige Neigung zu behaupten. Er trug ihn auf seinem Arm aus dem Stall, wenn Bosco dem Befehl nicht gehorchte und nicht von selbst mitging.

Einmal aber, als Anton den Foxterrier wieder vom Stroh weggehoben hatte und sich mit ihm entfernte, vernahm er ein leichtes Getrappel hinter sich. Er drehte sich um, und da stand Florian. Mit naivem Gesicht, mit vorgespitzten Ohren, die großen, schönen Augen auf Bosco gerichtet.

Anton begriff nicht recht, was das bedeuten sollte.

Florian kam ganz nah heran, streckte den Hals, und seine Nase berührte die Nase Boscos, der sich an Antons Brust aufgerichtet hatte. Es war, als sagten sich die beiden Mund an Mund gute Nacht. Oder auch, als verlangte Florian von Bosco: Bleib doch da, und Bosco antwortete: Ich kann jetzt nicht, du siehst ja . . .

Anton ließ Bosco los, der zu Boden sprang.

Sogleich machte Florian kehrt und ging in seine Box zurück, aus der schon Sibylles spähendes Haupt sichtbar wurde. Ganz langsam ging Florian, und schweifwedelnd, lautlos spazierte Bosco neben ihm.

Anton schaute den beiden nach, die in der Box verschwanden.

Florian wollte also den Freund bei sich haben. Das begriff Anton nun. Da gab es für ihn kein Widerstreben. Mir kann's recht sein, dachte er und begab sich allein zu Bett.

Florian wuchs langsam wie alle Lipizzaner, die später zur Reife gelangen als andere Pferde. Nach einem Jahr hatte er noch Form und Wesen der Kindlichkeit, indessen Bosco schon als Erwachsener umherlief, übermütig, stolz, gutartig und Florian in unwandelbarer Treue ergeben.

Sie blieben beständig beieinander. Jeder von ihnen wurde unruhig, wenn er den andern nicht sah.

Aber Florian ging noch immer mit der Mutter, obgleich er schon so groß war wie sie. Er zeigte noch nicht die geringste Selbständigkeit. Bosco dagegen hatte Erfahrung, war durchaus selbständig und übertraf Florian erheblich an Verstand. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb bewunderte Bosco Florian, bewunderte Florians Mutter und alle die hohen lichten Geschöpfe, die hier lebten. In Bosco war ein Wissen, daß eine Gemeinschaft zwischen ihm und diesen sanften, schweigsamen Riesen bestand. Sie gehörten alle miteinander jenem mächtigen Wesen, dem Menschen, den Bosco anbetete, wie die Menschen Gott anbeten. Nur hatte Bosco das glücklichere Los. Er konnte seinen Gott mit Augen sehen, mit der Nase riechen, mit den Ohren hören. Er empfing von den Händen seines Gottes Liebkosungen, empfing aus seinem Munde gute Worte; zudem hatte Bosco einen besonders gütigen Gott. Denn niemals gab es Schläge und niemals Schelte. Anton verstand die Tiere zu gut, um an dergleichen Häßlichkeiten zu denken.

Wurde Sibylle hin und wieder angeschirrt, vor einen ganz leichten Wagen gespannt und eine halbe Stunde oder länger im Gebiet von Lipizza herumkutschiert, dann lief Florian nebenher, so dicht bei der Mutter, als wäre er mit einem Seil an sie gebunden. Bosco sprang voraus, drehte sich um sich selbst, ließ zu Anfang ein lustiges Bellen hören, schwieg aber bald, als wünschte er zu beweisen, daß er ebenso stumm sein konnte wie seine großen Freunde. So gern er es manchmal auch wollte, er lief niemals weit voraus. Immer hielt er sich ganz dicht bei Florian, umkreiste höchstens ab und zu den Wagen und schlug nach den tollen Drehungen und dem freudigen Bellen zu Beginn immer seinen richtigen Hundetrab an.

Das Kutschieren besorgten die Stallmeister des Gestüts. Sie hielten zwar eine Peitsche in der Hand, doch keiner vollführte einen wirklich schmerzhaften Hieb. Das gab es nicht in Lipizza. Die Pferde durften nicht geschlagen werden und wurden nicht geschlagen. Das Ergebnis dieser Schonung war so glanzvoll, daß es im Laufe der Jahrhunderte ganz von selbst zum ungeschriebenen, aber streng beobachteten Gesetz wurde, sanft mit den sanften Tieren zu sein. In den Pferden aber wuchs von Generation zu Generation ererbtes Verstehen des menschlichen Willens, atavistische Bereitwilligkeit, diesen Willen zu erraten, sich ihm ohne jeden Widerstand gleich und gern zu fügen. So tanzte die Peitschenschnur bloß ganz leicht und leise auf Kruppe, Kreuz oder Rücken der Pferde, kitzelte sie, selten einmal, hoch oben am Halse, und diese Zeichen genügten vollständig, um das Tempo zu beschleunigen. Ebenso genügte ein kleiner behutsamer Ruck am Zügel, höchstens noch ein bestimmter Laut von den Lippen des Kutschers, und das Pferd stand. Niemals wurde ein Roß im Maul »verrissen«. Sie waren alle weich, empfindlich und zart. Und blieben so. Auch in Wien, im kaiserlichen Marstall.

Anton wußte das. Dennoch stand er immer beinahe erschrocken da, wenn Sibylle im Geschirr, von Florian gefolgt, von Bosco umtanzt, davonsauste. Und war jedesmal erst beruhigt, wenn er Sibylle abhalftern, sie und Florian bürsten und ihnen Decken aufschnallen konnte.

 

Die Zeit wehte vorüber, sachte, gleichmäßig. Florian hatte das dritte Jahr seines Daseins vollendet. Er hatte nun die Gestalt eines Erwachsenen. Und von all den jungen Pferden hier war er das schönste. Keines war wie er, so strahlend weiß. Ohne die leiseste Trübung durch Flecken oder Gewölk glänzte er ganz hell, wie Silber, wie Milch, wie frischgefallener Schnee. Man mochte noch so viele Vergleiche heranholen, es paßte kaum einer. Die Stallmeister erzählten, einer der Vorväter Florians, vor fünf oder acht Dezennien, ein Prachtexemplar von einem Hengst namens Hannibal, sei so tadellos weiß gewesen.

Florians Leib zeigte das gedrungene, in Kraft blühende Ebenmaß der Lipizzaner. Sein Hals hob sich in steiler, königlich stolzer Kurve und trug das feine Haupt, das mit den zierlichen Ohren, den herrlich großen, schwarz leuchtenden, beseelten Augen jeden zum Entzücken hinriß. Um die Nüstern und Lippen spielte ein hauchzartes, wie von Rosafarbe untermaltes Grau, das immer noch etwas Weiß bewahrte. Die Nüstern und die schwellenden Lippen fühlten sich verführerisch, zu Küssen lockend, zu Liebkosungen zwingend an.

Florian schien zu tanzen, wenn er ging, zu schweben, wenn er galoppierte. Er schien aus Kraft, Feuer, Anmut und Sanftheit geformt, aus Temperament und maßvoller Beherrschtheit.

In diesem Sommer kam Rittmeister von Neustift wieder nach Lipizza. Er hatte seine Frau bei sich, Elisabeth, die immer noch mädchenhaft aussah. Sie schritten langsam über die Wiesengründe. Anton lächelte, als er sie erblickte, stand stramm und salutierte.

»Ah, der Pointner . . .« Neustift hielt inne. »Da ist der Florian gewiß nicht weit. Wo steckt er denn?«

»Ich meine gehorsamst«, sagte Anton und salutierte wiederum, »den werden der Herr Rittmeister selbst finden.«

Neustift schaute sich um: »Ich soll ihn finden . . . keine leichte Sache.«

»O doch«, beteuerte Anton, »ganz leicht, Herr Rittmeister.«

»Da!« rief Elisabeth und wies mit ausgestreckter Hand auf einen blanken Schimmelhengst. »Da ist er! Das muß er sein!«

»Die gnädige Frau Gräfin haben recht«, Anton nickte, »das ist er, der Florian.« Er pfiff und rief: »Florian! Bosco! Florian!« Und zu den Gästen gewendet: »Nur einen Augenblick, gleich wird er kommen.«

Sie brauchten nicht lange zu warten. Sie sahen Florian heranschlendern und hatten das Gefühl, als näherte sich ihnen ein Fürst.

Lichtvoll stand Florian vor ihnen, bezaubernd in seiner Schönheit und seinem ruhigen Vertrauen.

Neustift flüsterte: »Hast du Zucker bei dir?«

»Hjah!« Elisabeth fuhr auf, wie aus einem Traume geweckt, und kramte in ihrer Tasche. Dann hielt sie auf der flachen Hand Florian den weißen Würfel hin. Er nahm ihn mit behutsamen Lippen und kam dann einen Schritt näher, um Elisabeths Hände zu suchen. Sein Atem blies leise und warm.

»Er verlangt mehr! Sieh doch, wie er sucht«, rief Elisabeth.

Hastig kramte sie einen zweiten Würfel hervor, und während Florian ihn sanft zu sich nahm, sagte Neustift: »Wie groß er geworden ist!«

»Und wie herrlich«, fügte Elisabeth hinzu.

Florian sah ihr geradeaus ins Gesicht. Erwartungsvoll, bittend. Ein Blick, so sprechend, so tief und rein, daß es undenkbar war, ihm zu widerstehen.

»Der wird, Pointner«, meinte Neustift, »der wird, der Florian . . . ein Schmuck für die Spanische Reitschule!«

Anton stimmte trübselig zu. »Wahr ist's, Herr Rittmeister. Da kann man nix machen. Mir ist heut schon Angst vor dem Tag, an dem Florian nach Wien muß!«

 

Mit vielen andern Dreijährigen stand Florian in der Schmiede. Bosco lag vor ihm am Boden und lappte fiebernd vor Neugier mit der Zunge, sah zu Florian auf, zu Anton, zu allen Pferden und Menschen im Umkreis und zu dem flackernden Schmiedefeuer.

Anton hielt Florian ganz lose an der Mähne. Alle andern Fohlen wurden an Stricken oder Riemen geführt, hatten die Backenstücke angelegt bekommen, daran das Leitseil niederhing. Manche bissen flockenschäumend in die Gebißkette oder den Stangenzaum, den sie vor wenigen Tagen hatten annehmen müssen.

»Natürlich«, sagte einer der Burschen, »natürlich, der Florian geht noch frei, der hat noch nix am Kopf oder im Maul.«

Mürrisch und hochmütig entgegnete Anton: »Der braucht nix.«

Der andere bekräftigte: »Ich sag' ja, er geht noch frei.«

Indessen trat der Schmiedegesell heran: »Na, was ist denn?« fragte er grob. »Wie soll man denn den Gaul da halten?«

»Das ist kein Gaul!« entrüstete sich Anton. »Hab keine Angst, der hält von selbst.«

»Angst?« grollte der Schmied. »Wer hat Angst?«

Anton ergriff ein Bein Florians am Fußgelenk. »Da, schau her«, sagte er großartig. Und Florian ließ das Bein so fromm in Antons Hand wie ein Hündchen, das Pfotegeben gelernt hat. »Probier die Größe«, befahl Anton dem Schmied. »Es werden ohnehin keine großen nötig sein. Ganz leichte, ganz dünne Eisen! Es sind ja die ersten.«

Der Schmied brummte: »Das seh' ich selbst, blöder Kerl.«

Anton entschloß sich das zu überhören. Er wünschte freundliche Beziehungen zu dem Mann, der Florian zum erstenmal die Hufe beschlug. Florian hob willig einen Fuß nach dem andern. Bei jedem Hammerschlag, der auf seinen kleinen, hochgelben Huf niedersauste, richtete er das Haupt höher auf, hielt er den Hals steiler.

»Gleich wird er ausfeuern«, lachte der eine Bursche.

»Und durchbrennen!« schrie ein anderer.

»Schmarrn wird er!« knurrte Anton, ohne Florians Bein loszulassen. »Das ist eine Seele von einem Roß«, flüsterte er dem Schmied ins Ohr, »so was war noch nie da!«

Der Schmied lachte: »Ich kenn' ihn ohnehin.« Und er hämmerte weiter.

Nun war das Werk vollendet. Florian hatte Hufeisen.

»Meiner Seel, er freut sich«, sagte Anton zum Schmied. Der patschte die schneeweiße Kruppe Florians, so daß eine schwarze Fingerspur sichtbar wurde, und meinte: »Er darf sich auch freun.« Aber Anton dachte über den Sinn dieser Worte gar nicht nach.

»Gehn wir«, sagte er zu Florian und schritt voraus. Florian, von Bosco umsprungen, folgte ihm langsam, mitten durch das Rudel der andern Fohlen. Als er an Nausikaa vorbeikam, hob er wieder sein Haupt, und heller, fröhlich-sehnsüchtiger Wieherschrei erklang.

Nausikaa antwortete sogleich. Sie war eine junge Stute, fein gebaut, mit schönem, weißem Kopf und rosa Nüstern. Doch ihr Leib zeigte nur an Hals, Widerrist und einem Teil des Rückens das Weiß des Schimmels. Lenden, Kruppe wurden von einem leichten Grau umwölkt, das sich gegen die Beine zu verdunkelte, als trüge Nausikaa perlgraue Gamaschen.

Mit keinem andern Fohlen war Florian so befreundet wie mit Nausikaa. Nur mit ihr hatte er gespielt, nur mit ihr war er um die Wette gelaufen. Sie verstanden einander vortrefflich, wurden eins dem andern unentbehrlich, und sie waren in aller Unschuld übereingekommen, immer beisammen zu bleiben.

Als Florian vor der Schmiede Nausikaa mit einem Zuruf begrüßte, ahnte er nicht, daß es einen Abschied, daß es eine Trennung galt.

Anton schritt ihm voraus. Bosco war so lustig wie je. Doch jetzt ging es nicht mehr zur Mutter. Florian verließ die Stätte seiner Kindertage, ohne zu wissen, daß er sie verließ. Er kam zu den Junghengsten, abseits von den Müttern, fern von den Stutenfohlen. Er kam in einen neuen Stall, erhielt sein Abteil allein. Nur Bosco blieb bei ihm. Und Anton, der den Auftrag erhalten hatte, Florian weiterhin zu pflegen.

Zunächst war auch die neue Wohnung ein Fest. Die Sehnsucht nach der Mutter empfand Florian nur gelinde. Er sah Sibylle von weitem, wurde von ihr gesehen. Mutter und Sohn verständigten sich durch Zeichen in ihrer Sprache. Die Sehnsucht nach Nausikaa jedoch grub sich tief in Florians Brust. Es genügte nicht, sie zu erblicken, genügte nicht, von ferne mit ihr und ganz flüchtig nur zu sprechen. Florian begehrte mit Nausikaa beisammen zu sein. Er wußte, daß Nausikaa gleichfalls dieses Sehnen hegte. Beide kannten das Ziel ihrer Wünsche freilich nicht. Doch ihre Neigung zueinander war darum nicht weniger heiß.

Aber es blieb nicht viel Zeit, solchen Gefühlen nachzuhängen.

Eines Tages kam der Stallmeister und zwang Florian eine kalte Eisenkette zwischen die Lippen. Anton schnallte die Backenstücke an schmale Riemen, die sich knapp an Florians Wangen schmiegten.

Florian fügte sich. In ihm war ja überhaupt keine Regung des Widerstandes. Von vielen, vielen Vorfahren her trug er die Bereitschaft in seinem Innern, sich dem höheren Willen des Menschen unbedingt zu ergeben. Sein Instinkt begriff, daß jetzt das Dienen für ihn begann. Auch das wurde wiederum ein Fest. Er stand da, scharrte zärtlich den Boden, bewegte das Maul, weil er die Kette, die ihm auf der Zunge lag, noch nicht gewöhnt war. Er schäumte große weiße Flocken, schleuderte sie umher, indem er den Kopf schüttelte.

Anton warf ihm ein leichtes Geschirr über. Gürtelartig umspannte der breite Riemen Florians Brust. Dann wurde er sanft ein paar Schritte rückwärts gedrängt und befand sich zwischen zwei Stangen, in der Gabel eines kleinen Kutschierwagens.

Ungeduldig wartete er. Es dauerte nicht lange, aber jede Sekunde tropfte ihm zögernd, schwerfällig hin. Heftiger scharrte sein Huf den Boden, reichlicher flockte ihm der Schaum von den Lippen, und beständig spielten die Ohren.

Anton klopfte ihm den Hals, redete ihm beruhigend zu. Florian spürte und hörte nichts. Alles an ihm, jeder Nerv, jeder Puls lauerte auf ein Zeichen. Er wurde festgehalten, das spürte er ganz deutlich durch die Kette, die er im Maul hatte, durch die Bande, die ihn von Brust und Flanke her an den Wagen knüpften. Seine ausbrechende Ungeduld ließ ihn einen Schritt versuchen.

»Pst!« klang eine Stimme hinter ihm, und ein kleiner Ruck im Maule wurde fühlbar.

Florian stand wie eine Mauer, so regungslos.

»Kch!« Die Eisenkette lockerte sich.

Augenblicklich stürmte Florian vorwärts. Galopp! Zwei-, dreimal Galopp! Bis er durch den Taumel, der ihn ergriffen hatte, die mahnende Gebieterstimme vernahm: »Hoha . . . na, na!« Bis er den milden Druck der Eisenkette auf der Zunge spürte. Drei, vier Sekunden hatte das gedauert. Er verstand sofort, er unterwarf sich ohne Zögern der Weisung, wechselte die Gangart und schlug einen scharfen Trab an.

Ihm war wohl zumute wie noch nie. Das Gebundensein an Brust und Maul, zugleich dies Davonrennen und Behalten der Fessel, es gab ihm ein Empfinden von geordneter Freiheit, das er nicht enträtselte, das ihn jedoch entflammte. Die Lenkerhand, von der er wußte, das Räderrollen, das er bewirkte, die Last des Wagens, die er spielend überwand, alles begeisterte ihn. Florian genoß seine Jugend, die Kraft seiner Glieder. Laut schnaubend stieß er den Atem aus und streute große, weiße Schaumflocken umher. Die Flanken wurden ihm feucht, die Kruppe, der stolz getragene Hals. Die schönen dunklen Augen lachten manchmal zu Bosco nieder, der vor ihm rannte und offenbar Mühe hatte, das Tempo zu halten.

So feierte Florian seinen Einzug in die Welt, in der Hunderte seiner Voreltern den Menschen wichtigste Diener gewesen waren, treue Helfer in Kampf und Angriff, Retter in Gefahr und Flucht, zuverlässige, unermüdliche Gefährten bei allen Lustbarkeiten, von den Turnieren und Reiherbeizen bis zu Jagdritten und Reisen durch die Lande, Botenträger, als es noch keine Telegraphen gab, und Prunk in allen Festzügen bis zum heutigen Tag.

Florian war glücklich.

Nach kaum einer halben Stunde hielt der Wagen an der Stalltür.

»Der ist ja unerhört, der Florian«, rief der Stallmeister Anton zu, warf die Zügel fort und sprang hinaus. »So etwas hab' ich noch nicht erlebt! Der geht, als wär' er weiß Gott wie lange im Geschirr. Der kann alles von selbst, bei dem genügt der kleinste Wink.«

»Ja, der Florian«, sagte Anton.

»Und keine Spur mehr von Galoppieren . . . dafür der Trab, dieser gleichmäßige Trab . . . Der rollt wie eine Billardkugel . . . na, unerhört!«

Florian, von Anton geführt, trat aus der Gabel. »Ja«, wiederholte Anton, »ja, der Florian.«

Er warf Florian eine Decke über und begann ihn abzuschirren. Als er ihm die Backenstücke und die Kette abnahm, schüttelte Florian wie erlöst das Haupt.

»Den Zaum sollten Sie ihm noch lassen«, riet der Stallmeister, »damit er sich daran gewöhnt.«

Anton wischte mit der bloßen Hand den Schaum von Florians Brust. »O nein«, widersprach er, »der muß an nix gewöhnt werden, der nicht. Der kennt alles schon im voraus.«

Bosco lag ausgepumpt zur Seite gestreckt am Boden. Er spitzte nur die Ohren und paßte auf, was sich begab. Doch er durfte ungestört rasten. Anton hatte Striegel und Bürste bereit, streifte die Decke wieder von Florian und begann seinen Schützling zu pflegen.

 


 << zurück weiter >>