Saadi
Aus Saadi's Diwan
Saadi

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Aus dem Buche der Ghaselenbruchstücke

Ein Bruchstück ist ein Ghasel, in dem der erste Vers, in dem sonst die beiden Halbverse reimen müssen, aus zwei nicht reimenden Halbversen besteht. Das Ghasel ist vor allem ein Liebesgedicht, das Ghaselenbruchstück dagegen wird für erzählende oder belehrende Zwecke verwendet.

I.

        1   Man fragt: was läßt du ungenlitzt, o Saadi, deine Gaben?
Ertrage nicht die Not! du kannst wohl dein Auskommen haben.
2   Da du die Hand der Herrschaft hast in des Gedichtes Raum,
Was stockt dir der Rückhaltung Fuß in des Gewandes Saum?
3   Wenn ein'ges Lob du dichtetest, leicht fändst du dein Genügen.
Ein Mann von Geist, der arm bleibt, ließ im Handel sich betrügen.
4   Wenn du kein Geld hast, kannst du nicht gefällig Freunden sein.
Wer seine Freunde nicht erfreut, freut seinen Feind allein. –
5   Ja, ja, der Geier, der vom Aas sich nährt, wird aufgestellt
Zum Muster dem Simurg von KaafAnka, auch Simung, der fabelhafte Vogelkönig und weise Ratgeber König Salomo's, lebte abgeschieden auf dem Weltberg Kaaf. Symbol des Göttlichen., der froh entsagt der Welt.
6   Ei daß bei Gutsbesitzern und Landwirten erst ich lernte
Vorbringen mein Anliegen, gleich wie Bettler bei der Ernte!
7   Auch nur um eine Nadel einen Kargen anzugehn,
Die Schmach macht Igelnadeln gleich das Haar am Leib mir stehn.
8   Einhandeln hundert Kaiserschätz' um einen Gran von Ehr,
Wer das mag, dem bekomm' es wohl, es ist nicht mein Begehr.

II.

        1   Schilt den Mann nicht, der vor Fürsten nieder
Krümmt den Rücken und aufgerichtet wieder!
2   Wo du dich zu Tische setzen gehest,
Fordert man auch, daß zu Dienst du stehest.
3   Da du nicht bezahlen kannst die Huld,
Bleibst du untertänig in der Schuld.

III.

        1   Wenn in der ganzen Stadt es nur gäb' eine Klette,
Sie würde fallen auf des ärmsten Bettlers Bette.
2   Wie auch in Gradheit mag der Waage Balken prahlen,
Er neigt sich dahin, wo am meisten in den Schalen.

IV.
Der ungelöhnte Soldat (an den Fürsten) .

        1   Sie sagen mir: bind mit den Feinden an,
Wenn du ein KämpeKämpe: Kämpfer, Held sein willst und ein Mann. –
2   Wer aber mag sein Blut umsonst vergießen?
Welch trunkner toller wird sich des entschließen?
3   Du traust dir ja dein Gold nicht auszugeben,
Wie sollt' ausgeben der Soldat sein Leben? 175

IV. a
(Aus dem Sahibbuche.)

        1   Viel Jahre mußt du eines Mannes pflegen,
Wenn eines Tags er sich für dich soll regen.
2   Wie soll im Schlachtgetümmel mannhaft stehen
Wen du mit leeren Händen ließest gehen?

V.

        1   Einem Wicht den Weg zum Guten weisen
Ist die Fackel vor dem Blinden zünden.
2   Schlechten ungeschliffnen Güt' erzeigen
Ist Getreid' sä'n auf morastgen Grunden.

VI.

        1   Einen siehst du, dem nach Wunsch es glückt,
Einen, den Anstrengung niederdrückt.
2   Dieser fiel von selbst nicht in die Grub',
Jener nicht von selbst zum Thron sich hub.
3   Herrschaftskrone schenket Gott allein
Jedem, der solch einen Rang nimmt ein.
4   Darum trage stets ihm dienstbereit
Sein Geschöpf den Gurt der Dienstbarkeit.

VII.

        1   Wenn man ohne dich ins Paradies mich bringt,
Meinen Blick werd' ich von dir nicht trennen,
2   Denn nicht dies ja ist es was mir Gott verhieß,
Daß im Paradies ich sollte – brennenbrennen: wie in der Hölle
    Ein Paradies ohne den Geliebten ist für den Liebenden wie die Hölle.
.

VIII.

        1   Einer sprach: Die Ehr' auf Reichtum ist gestellt,
Weltlich Reich und geistlich's unterstützt das Geld.
2   Welche Tat tut Heldenmuts und Adels Speer?
Wer kein Geld hat, ist ein Heerfürst ohne Heer.
3   Namen Ruhms Gepräng und eine leere Hand
Ist um garstiges Gesicht ein schön Gewand
4   Wie ein Vogel, rings an welchem mächtig ist
Das Gefieder, doch der Körper schmächtig ist.
5   Was darauf ihm sagt' ein andrer, höre nur:
Jeder Vorzug hat ein Mensch durch Ehre nur.
6   Schmach ist eines Mannes Last, der namenlos,
Hohes Gut ist hoher guter Name bloß.
7   Willst du recht es wissen? Saadi gibt Bescheid:
Besser als allbeides, ist Bescheidenheit. 176

IX.

        1   Wenn du sagst: von deiner Liebe sprich!
So weit füget meine Zunge sich.
2   Aber willst du meine Tränen hemmen,
Tigris, wenn er schwillt, ist nicht zu stemmen.

X.

        1   Dein trunknes Auge zürnt und Schmerz
Bewältigt das verliebte Herz.
2   O Wunder, deines Auges Glut
Entlockt dem meinen blut'ge Flut!
3   Zwei Grauen, die die Hand sich reichen,
Das ist des jüngsten Tages Zeichen.

XI.

        1   Begnüge dich die Früchte zu betrachten
Du dessen Hand erreichet nicht den Ast.
2   Auch ich, wenn mir die Kräfte reichten, hätte
Mir eingerichtet SoffasSoffa: aus dem arabischen »suffa« wurde »Sofa«, Polstersitz und Palast.
3   Ein Menschenkind kann seine Schritte weiter
Nicht machen, als es seinem Wuchse paßt.

XII.

        1   Weißt du was in SalomonisSalomonis: Salomo, der große König, Sohn Davids (1035–975 v. Chr.). Seine Weisheit und seine Tugenden werden in persischen Mythen, in Tausendundeine Nacht und in den europäischen Zauberromanen gerühmt. Siegel stand?
Trau' der Welt nicht, die nicht hält, was sie verhieß!
2   Glücklich ist wer den Ertrag des Lebens
Freunden froh verzehrt' und nicht dem Feinde ließ.

XIII,

        1   Wenn einem Gottesknecht das Glück erscheinet,
Dann wird jedweder Fremde sein Gesippe;
2   Wenn sich von ihm der Tag des Glückes wendet,
Dann wird im Haus und Hof ein Dorngestrippe.

XIV.

        1   Einen Mühlstein von zehntausend Pfunden
Wälzt ein Männerpaar den Abhang nieder;
2   Aber in die Höh' hinauf von unten
Bringen ihn nicht tausend Männer wieder. 177

XV.
Auf einen beim Wasserschöpfen verunglückten Knaben.

        1   Ein Knabe Wasser holen ging, es kamen
Die Wasser und den Knaben nahmen mit.
2   Der HamenHamen: eine Art Angelhaken hat so oft den Fisch gezogen,
Nun ging der Fisch und nahm den Hamen mit.

XVI.

        1   Unreif' Gelüste, Zins mir zu gewinnen
Ließ Zins und Kapital mit eins zerrinnen.
2   Der Esel bat die Last ihm zu erleichtern,
Der Strom nahm Last und Esel mit von hinnen.

XVII.

        1   Sei, o Mensch, gefällig und gesellig,
Daß vorm Tiere dir ein Vorzug bleibe:
2   An Verstand bist du ihm überordnet,
überlegen ist es dir am Leibe.

XVIII.

        1   Ja, Waisenpfleger, wie du einer,
Schandfreigeborner, sind die rechten,
2   Nie zeugen Heidenschafts und Islams
Geschlechter einen also schlechten,
3   Daß deiner Kinder Vater sterbe,
Daß sie auch Leiden lernen möchten!

XIX.

        1   Die Spürkraft des Nichtswürdigen ist groß,
Wiewohl er dumpf von Sinn, von Geiste schwach.
2   Wo zwei nur mit einander reden, denkt
Er gleich: die sagen mir nichts Gutes nach.

XX.

Si fractur illabatur orbis,
Impavidum ferient ruinae.

        1   Wenn rechts und links bricht Unheil in die Welt
Und vorn und hinten Feuer vom Himmel fällt,
2   Nimm dir nur Gradheit vor und sei getrost,
Denn viele sind zu deinem Schutz bestellt. 178
3   Weil keinem du das Herz gekränket hast,
Bleibt ungekränkt dein Herz von aller Welt.
4   Nur hinter Dieben sind die Wächter her,
Nur gegen Mörder zieht der Vogt ins Feld.

XXI.

        1   Die grüne Saat hat Aussicht auf der Erde,
Daß ihre Kindheit größer wachsen werde.
2   Wenn bleiche Halme zeigt der Ernte Bühne,
Erwarte nicht, daß sie von neuem grüne.
3   Verlange nicht, daß, einen Fuß im Grabe,
Der Greis noch werd ein sechzehnjährger Knabe.

XXII.

        1   Plötzlich in der Wohnung schallt ein Schrei,
Daß es nun mit einem ist vorbei,
2   Und die Freunde kommen an das Grab
Ein Paar Schritt und wenden dann sich ab.
3   Wer dein liebster Freund war, deinen Hort,
Gelder, Pfandbrief, Schlüssel trägt er fort.
4   Was beständig nun bei dir wird sein,
Ist dein eignes Tun, rein und unrein.
5   Schicke dich, tu' Gutes, Böses laß,
Denn du findest wieder dies und das.

XXIII.

        1   Noch keinem blieb die Welt treu, seit sie rollte,
Daß sie zuletzt nun treu uns bleiben sollte!
2   Du weißt, du mußt des Daseins Fluren lassen,
Willst du auf ihnen böse Spuren lassen?

XXIV.

        1   Ist es einem Menschen besser schon geglückt,
Als wenn einer seines Feindes Tod erblickt?
2   Scheint es doch, daß stets mit Unlust einer muß
Sterben, daß ein andrer bleibe lusterquickt.
3   Halte du dich auch nicht sicher, traue nicht;
Keinem ist des Himmels Freibrief zugeschickt.
4   Freue dich nicht, daß der Feind gestorben ist,
Weil der Vogel ein Korn um das andre pickt.

XXV.

        1   Der ist kein Mensch, der vom Vergnügen der Lust erwarmt
Der unvergnügten schmerzgebrochnen sich nicht erbarmt.
2   Sein schmutzig Hemd zieht aus dem Wasser der schmutzge Knecht
Wenn des Kamraden seins das Wasser fortführt, ists recht. 179

XXVI.

        1   Leerer Hand entspringt nichts Großes,
Wie das Herz mag Großmut hauchen.
2   Was vermäg der kühne Reiter,
Wenn das Pferd nicht ist zu brauchen?

XXVII.

        1   Der Bildner, Kunsthandwerk bildend, ohne gleichen
Von dem ein jedes Kunstwerk ist vollkommen,
2   Des Vogels Nahrung setzt er auf die Flügel,
So wird zu seinem Futter der wohl kommen.
3   Der arme Spinne täglich's Brot versieht er
Mit Flügelein, daß es zu ihr soll kommen.

XXVIII.
Der Greis an den bemitleidenden Jüngling.

        1   Weißt du, warum des Greises ZährenZähren: Tränen
In jungen Augen sich wiedergebären?
2   Der Schnee von meinen gealterten Zinnen
Läßt in dein Haus Tauwasser rinnen.

XXIX.

        1   Die Vollkommnen sind im schlechten Kleide
Wie die Perl im Muschelschrein.
2   Der du Lebenswasser hast zu schöpfen,
Laß den Krug nur tönern sein!

XXX.

        1   Einen Esel macht kein Fleiß zum Menschen,
Mag man ihn auch auf die Kanzel treiben,
2   Und ein Mensch, den man nicht hat erzogen,
Wird ein hundertjährger Esel bleiben.

XXXI.

        1   O der du baust auf Gottes Segen,
Laß nur den Segen seinen Lauf gehn.
2   Wie furchtbar immer sei der Regen,
Wo du nichts säest wird nichts aufgehn. 180

XXXII.

        1   Wo ein Sehnsuchtvoller lustberauscht
Auf der Turteltaube Magen lauscht,
2   Blökt ein Vieh darein aus voller Brust
Und verkümmert jenen seine Lust.
3   Schade für der Nachtigall Getön,
Daß es stört ein Esel mit Gedröhn.
4   Warum sie nicht lieber stille schweigt,
Bis der Esel seine Kunst gezeigt?

XXXIII.

        1   Wem einen Arm zum Schutze du vorhältst,
Das Schwert gezückt darf ihn nicht spalten;
2   Mir, den unschuldig du getötet,
Wird niemand einen Arm vorhalten.

XXXIV.

        1   Wenn an der Tür aufwarten du willst, irgendwem,
Mußt du der Schwelle gleich Fußtritt' ertragen.
2   Um irdschen Gutes willen (daß es sei verdammt!)
Mußt du noch tragen mehr als ich kann sagen.
3   Leb in Behagen tausend Jahr, es kommt nicht gleich
Der Stunde, die du wem lebst zu Behagen.

XXXV

        1   Weil die schwache Spinne nicht im Stand' ist
Wie ein Jagdtier auszugehn auf Hetze,
2   Gab er ihrer Nahrung Schwing' und Flügel
Daß sie fallen müß' in ihre Netze.

XXXVI.

        1   O Mörser, sprach ich, weshalb ist dein Winseln,
Weshalb ist dein beständiges Geheule?
2   Sei still, sprach er, was soll ich tun, o Saadi?
Sieh, so mißhandelt mich mein Freund, die Keule.

XXXII.

        1   Ging einer einmal in der Narrheit unter,
Käm' er heraus je wieder, wärs ein Wunder.
2   Wem übern Kopf die Flut erst ging, ists gleichviel,
Ob hand- oder lanzenhoch, ein oder hundert. 181

XXXVIII.

        1   Wenn erst der DerwischDerwisch: ein nach Gottes Gnade strebender, weltentsagender Frommer wird an einen Torring rühren,
Sorg weiter nicht für ihn, denn es gibt viele Türen.
2   Glaub doch nicht, daß er dir Geheimes vorgetragen;
Was er in ein Ohr sagt, wird er in tausend sagen.

XXXIX.

        1   Die Frommen und Propheten litten
Stets von der Ungeschliffnen Sitten.
2   Betrüb dich nicht! von schmutzgen Händen
Läßt Gold und Silber sich umwenden.
3   Sie werden nichts an Wert verlieren,
Und nie erreicht das Kupfer ihren.

XL.

        1   Dir sagt wohl eine ungehirnte und unverständge Rotte:
Hau' gleich den Kopf dem Spötter ab, daß er nicht wieder spotte!
2   Ich weiß das nicht, doch scheint es mir, daß besser sei zu warten;
Es ist kein Lauch, der wieder wächst, wann man ihn schnitt im Garten.

XLI.

        1   Du stelle Gott anheim den Lohn
der Guten und der Bösen;
2   Der Arm des Frevlers bleibt nicht lang
so lang als er gewesen.
3   Sei redlich und wiss' in den Lauf
der Zeiten dich zu fügen,
4   Du siehst, daß der Betrüger sich
am Ende wird betrügen.

XLII.

        1   Schnell zu Ende geht das Reich des Herrschers
Dem ein Rat nicht beisteht weisheitreich.
2   Doch der Weise, wenn ihm fehlt die Herrschaft,
Ist ein Herrscher selbst in seinem Reich.

XLIII.

        5   Wen du siehst sich gut betragen,
Von dem sollst du nicht Schlimmes sagen.
6   Ein schöner Titel, wie du weißt,
Verspricht ein gutes Buch zumeist. 182
7   Doch dessen Außenseit' unrein,
Noch schlechter wird dessen Kehrseite sein.
 
*   *   *
 
9   Weil die Dattel ist süß dem Gaum,
Wirft man mit Steinen nach ihrem Baum.
10   Nach dem MoklbaumMoklbaum: ein Dornenbaum, der auf der Pilgerstraße von Damaskus nach Mekka wächst in der Wüsten
Läßt kein Schädiger sich gelüsten.
11   Die Nachtigall bleibt in des Käfigs Haft
Nur wegen der edlen Eigenschaft.
12   Der Rab' ist desto minder wert,
Weil niemand ihn zu halten begehrt.
13   Doch wegen des Pfauen Farbenstreif
Raufen die Kinder ihm Schwing und Schweif.
 
*   *   *
 
14   Hast du nicht gehört, daß den Mann,
Den Gott liebt, kein Unfall treffen kann?
 
*   *   *
 
15   Wo ein Paradies ist auf Gottes Welt,
Hat man eine Höll ihm beigestellt.

XLIV.

        1   O der du Weisheit lehrst vor allen Leuten,
Lern was du ausbeutst selber auszubeuten!
2   Da es sich mit dir selbst nicht bessern will,
So schweig einmal von Andern Fehlern still!
3   Der Vogt am Markt mit nacktem Hintern spricht
Zur MetzeMetze: Konkubine, Hure, die er schlägt: verhülle dein Gesicht!

XLV.

        1   Vor dem Netz der Spinne sprach die Fliege:
Welche jämmerlichen Hirngespinster!
2   Warte, sprach die Spinne leise, fall mir
Erst ins Netz, so wird die Welt dir finster.

XLVI.

        1   Eines Greisen Wort aufmerksam höre du,
Und den Sinn der Welt verstehest du im Nu.
2   Daß kein Tadel gegen dich komm einem zu,
Sieh du selbst zu, und nichts tadelnswertes tu! 183

XLVII.

        1   Mein Bruder, das was zu empfangen Lust du
Nicht hast, dasselb' auch keinem bieten mußt du.
2   Liegt etwas dir an deiner Mutter GlimpfeGlimpfe: Ehre,
So nenne meine Mutter nicht mit Schimpfe.

XLVIII.

        1   Ehr will ich nach Gottes Ratschluß sterben als
Anflehn Hände, die von Geize stinken,
2   Ehr auf heißem Sand vor Durst verderben, als
Schmutzgen Wasserträgers Wasser trinken.

XLIX.

        1   Zwei Drittel seines Glaubens seien hin,
Das wird nicht sehr verstören seinen Sinn.
2   Die Seele wird ihm fahren aus dem Schlund,
Fehlt seiner Ration von Brot ein Pfund.

L.

        1   Ei wie oft wirst du mir sagen: tu
Dich der Lieb' ab, und du kommst zu Ruh!?
2   Was kann tun ein armer Strohhalm? sträub' er
Immer sich, ihn zieht der Halmenräuber.

LI.

        1   Auflauern will ich Ihm am Weg, sprach ich, beim Saum ihn fassen
O du, vor dessen Schönheit muß die Sonn' aus Neid erblassen,
2   Du hast gesetzt durch Sprödigkeit die ganze Stadt in Feuer,
Und aufgegangen ist zuerst in Flammen meine Scheuer.
3   O wend' ein Seitenblickchen mir des Auges zu mit Neigung
Und du verbindest deinen Knecht zu ew'ger Dankbezeigung!
4   Ein weiser Freund erinnerte mich mit Gebühr: sei leise,
Mach keinen Lärm, er liebt von dir nicht die Trompeterweise
5   Dein Holder ist ein PhysionomPhysionom: Lehrender der Naturgesetze brauchst ihm nichts zu nennen,
Blick ihn nur an, und dein Gemüt wird er im Blick erkennen.

LII.

        1   Verlier die Zeit nicht, Äußres zu studieren
Als nur soweit dichs mag zu Innerm führen.
2   Wirf weg das Äußr' und sei des Innern froh,
Denn dies ist Korn und jenes lauter Stroh.
3   Mag Hippokrat die Weberei nicht kennen,
Man wird ihn eben keinen Weber nennen. 184

LIII.

        1   Der Unselgen Herzenswunsch und Freud' ist,
Wenn ein Edler Gut und Rang verlor.
2   Wenn am Tag nicht sieht ein Fledermausaug'
Kann das Sonnenauge was davor.
3   Willst du's wissen? tausend solcher Augen
Blind sind besser als die Sonn' im Flor.

LIV.

        1   Verkaufe lieber deines Vaters Garten,
Als daß ein Freundesherz bekümmert klopfe.
2   Den Hausrat laß verbrennen ehr als Feurung
Dem guten Nachbar fehlen bei dem Topfe.
3   Tu Guts auch Übelwollern; es ist besser
Daß man des Hundes Mund mit Brocken stopfe.
4   Doch Gottes Feinden wird von Todeslanzen
Am besten ausgebohrt das Aug im Kopfe.

LV.

        1   Willst du nicht von Großen Unrecht leiden,
Magst du schonen, lieber Freund, die Kleinen.
2   Tut dir weh der Tritt des Elefanten,
Ei so setz nicht auf Ameisen deinen.

LVI.

        1   O der du, wenn an jedem Haar du hättest eine Zunge,
Auch nicht für eine könntst genug von Gottes Hulden danken,
2   Dir ziemt es wohl die Schuldigkeit für soviel Güt' Erbarmung
Und Gnade zu entrichten und an Undank nicht zu kranken.
3   Nur dann ob Volkes Häupten kommt dir zu die Fürstenstellung
Wenn du bei Nacht in Bettlerstand trittst vor des Höchsten Schranken.

LVII.

      1   Tu im Amte nichts daß du verachtet
Im Privatstand und getadelt seiest,
2   Sei jedem Stande menschenfreundlich
Daß du jederzeit geadelt seiest!

LVIII.

        1   Gestern war ich froh im frohem Kreise,
Schön der Schenk' und süß des Sängers Weise.
2   Heuchelei und heilige Verstellung
Trat ich untern Fuß der Lustgesellung, 185
3   Sprach: o Herz, nun habe Ruh einmal,
Denn dies war der Gipfel deiner Wahl.
4   Nun am Morgen seh' ich, voll Begehr
Daß die Seele jetzt noch wie vorher.

LIX.

        1   Umblickt' ich mit dem Auge der Betrachtung
Und fand nicht besseren Betrieb als Schweigen.
2   Ich sage nicht, daß stumm du sollst und blind sein,
Doch gib nun jeder Stelle was ihr eigen.
3   Schriftforschung bald und Wissenschaftserweitrung . . .
Wodurch der Menschen Geister aufwärts steigen,
4   Dann Dichten, Schachspiel, des Gesprächs Erheitrung,
Daß vom Gemüte muß die Schwermut weichen.
5   Nur Gott geht nie von einem Zustand über
Zu einem andern: er ist ohne gleichen.

LX.

        1   Ob du von Tugenden ein Schacht seist und ein Meer,
Wenn du nicht Menschenlieb' erwirbst, so bist du leer.
2   Wenn mann bei jedem Fehl nur sieht der Güt' Ausdruck,
So wird dein Fehl ein Lob, was dich entstellt ein Schmuck.

LXI.

        1   Wie lang mit Macht und Pracht und Welt dich brüsten?
Zeit ist zur Abfahrt das Gerät zu rüsten.
2   O Langgesessner, Zeit ist's, ohne Säumen
Neu aufgestandnen deinen Platz zu räumen.

LXII.
An einen gestürzten Mächtigen

        1   Viel Hände rangen im Gebet
Bis froh die Welt ward deines Falls.
2   O Wolf, sagt' ich dirs nicht, es kommt
Ein Tiger einst dir übern Hals?

LXIII.

        1   Beglückt, von wem des Guten Spuren
Nachbleiben auf des Daseins Fluren.
2   Das ist des guten Wandels Lohn;
Wer übel fährt, der merkt es schon. 186

LXIV.

        1   Wenn ein Tugendloser sieht den Tugendsohn,
Das ist ihm ins Herz ein Stich vom Skorpion.
2   Wer kein Mann ist, billig mag man ihm verzeihn,
Wenn ihm Mannheit nicht will in die Augen ein.
3   Fragst du den Geschmack des Igels, vorzuziehn
Sagt er sei ein Igel einem Hermelin.

LXV.

        1   Von eines Kindes Stirne kann man lesen
Ob's wachsen wird zum Guten oder Bösen.
2   Anlage bleibt verborgen nicht: ein Klettchen
Erkennt man schon sobald es hat zwei Blättchen.

LXVI.

        1   Nicht bleiben wird das Reich in gleicher Lage,
Denn jede Nacht wird wechselweis zum Tage.
2   Hast du das Spiel in Händen, sei behende
Daß dein das Spiel sei, eh die Hand sich wende.

LXVII.
An einen Gefall'nen.

        1   Da du wußtest daß du fallen mußtest,
Durftest du so frech dich setzen nicht.
2   Besser daß man geht auf seinen Füßen
Als vom Pferd stürzt und den Nacken bricht,

LXVIII.
Der Anrüchige.

        1   Ob man Unrat oder Duft tut an des Köters Hemde;
Daß der Hund nicht rein zu waschen ist, kann jeder wissen.
2   Wenn der Wolf auch in der Tat unschuldig ist, er muß sich
Immer sagen lassen: den Jussuf hast du zerrissen.

LXIX.

        1   Wegen eines Talers wünscht' er Heil mir an:
Daß dein Glück in stetem Wohlstand bleibe!
2   Als ich ihm den Taler nicht gab, flucht' er mir:
Schäm vor Männern dich gleich einem Weibe!
3   Nehmen will ich nun das Geld und nichts dazu,
Fluch und Segen bleibe seinem Leibe. 187

LXX.

        1   Haben Hunde keine Sonderzwecke,
Sind sie gute Freund auf einem Flecke.
2   Doch wirf einen Brocken in den Haufen,
Und sie werden sich das Fell zerraufen.

LXXI.

        1   Weiser Mann, wenn ein Gmeiner dich beleidigt,
Laß es nicht das Herz dir kränken und verletzen.
2   Brach ein schlechter Stein ein Goldgefäß, nicht höher
Wird man drum ihn und das Gold nicht niedrer schätzen.

LXXII.

        1   An dem Stamm des Ahorns sah ich jüngst empor gekrochen,
Eine Kürbisranke bis zum Gipfel in drei Wochen,
2   Die den Ahorn fragte: wieviel zählest du der Jahre?
Er antwortet ihr: ich zähle mehr als ein'ge Paare.
3   Sie versetzt: doch überwuchs ich dich in zwanzig Tagen.
Warum bist du so verbuttetverbuttet: in der Entwicklung zurückgeblieben? willst du mir's nicht sagen?
4   Drauf mit Lächeln sprach der Ahorn: o du Kürbisranke,
Noch ist nicht die Zeit gekommen daß ich mit dir zanke.
5   Nächstens wenn ob mir und dir Oktoberwinde wehen,
Wird sich zeigen, von uns beiden wer als Mann wird stehen.

LXXII a.
Aus Nasir eddin Chosrew's Diwan.

1.

        1   Den Adler traf, als er ausspannte sein Gefieder,
Ein Pfeil, der aus der Höh' zur Tief' ihn holte nieder.
2   Er sah den Pfeil, und fand die Adlerfeder dran;
Von mir kam, was mich traf, sprach er, wen klag' ich an?

2.

        1   Wenn du keine Gesellschaft hast,
Ist die Katze dein Gast;
Selbst ein Eulenschrei
Ist willkommen in der Wüstenei.
2   Besser wird dir ein raagres Huhn
Als ein gebratner Rettig tun,
Besser Brennholz vom grünen Strauch
als von Stroh ein Rauch. 188

3.

        1   Großer Gott, wenn bei Erschaffung einst des Erdensohnes
Deine Schöpferhand sich hat bedient des gleichen Tones;
2   Wodurch hat das Angesicht des Griechen und des Mohren
Jenes seinen Glanz gewonnen, dieses ihn verloren?
3   Bei des Griechen wie des Türken Schönheit, woher dieses
Innre wie der Höll' und Äußre wie des Paradieses?
4   Güter der Begüterten wie Meer in Meer erweitert,
Und die Armut der Verarmten Schiff auf Schiff gescheitert?
5   Woher haben die Geschöpfe so verschiedne Gaben,
Da sie eine Wartfrau, eine Kräuslerin nur haben?

LXXIII.

        1   Was klagst du übern Himmelslauf? klag' über dein Betragen,
Denn über Schädigung von dir hat noch die Welt zu klagen.
2   Sagt' ich dirs nicht: sei boshaft nicht wie Wespen! du wirsts büßen,
Wenn dir der Stachel fehlt, tritt man dir auf den Kopf mit Füßen.

LXXIV.

        1   Gottähnlichkeit hat keinem der Herr der Welt verliehn
Um als wie vor der Kaaba vor seiner Tür zu knien.
2   Ein Herr von Macht und Reichtum durch welchen keinem Haupt
Ein Segen ist beschieden, Staub sei auf seinem Haupt!

LXXV.

        1   Könntest du zusammen aller Länder Kronen tragen,
Mit der Haube deiner Macht bis an den Himmel ragen,
2   Könntest KarunsKarun: der reiche Mann der Bibel (Kores), der zur Strafe für seinen Übermut die Erde samt seinen Schätzen verschlang (der »mohammedanische Krösus«) Schätz' und DschemschidsDschemschid: mächtiger altpersischer König Herrlichkeit erjagen,
Nicht verlohnt sich, daß durch dich muß' ein Gekränkter klagen.

LXXVI.

        1   Auf gradem Wege kommst du zum Ziele wohl hinan:
Sei grad und dein ist alles, was man dir wünschen kann.
2   Dich reut ein grader Stecken, ins Feuer ihn zu tun,
Man wird ins Höllenfeuer nicht tun den graden Mann.

LXXIII.

        1   Bilde nichts dir ein auf des Lobredners Wort
Der mit Gier sein Netz stellt Fanges halber.
2   Den Tyrannen der vom Blut des Volkes lebt
Kann nicht Redekunst zum Heilgen salben. 189

 

LXXVIII.

        1   Mir ists erlaubt die Schönheit anzublicken
Weil ich in allem Schönheit kann erblicken.
2   Zwei Augen jedem Haupt sind aufgetan,
Doch du siehst Bilder, ich den Bildner an.

LXXIX.

        1   Die Trommel, deren Innres nur ein Windfang ist,
Zum Himmel sendet sie ihr Dröhnen aus dem Felle.
2   Warum willst du den Schmerz verbeißen? laß ihn los
So merkst du, wie mit dir es meinet dein Geselle.

LXXX.
Feiner Geschmack.

        1   Ein Mondgesichtchen wie ein Silberpüppchen,
Ihm magst du rauben einen Kuß im Scherz.
2   Doch willst du etwas großes derbes haben,
Nimm einen Block aus TschilminarTschilminar: Ort an der Stelle des alten Persepolis ans Herz.

LXXXI.

        1   Könnt' ich darum echter Freundschaft mich vor Guten rühmen,
Daß ich deinen Freunden deinethalb' das Herz nicht kränke?
2   Bessere Beglaubigung der Freundschaft ist mir dieses,
Daß ich deine Feinde dir zurück zur Freundschaft lenke.

LXXXII.

        1   Den Mond sah Vogel Fledermaus und sprach:
Liebreizend bist du mir und wonniglich.
2   Was sie die Sonne nennen, soll ich dir
Die Wahrheit sagen? ist nicht schön für mich.
3   Er sprach: Sei stille! nicht verfeinden will
Ich mich mit ihr um einen Freund wie dich.

LXXXIII.

        1   Der Koranprediger mit Nasenlaut
Hat Gott geärgert und die Welt erbaut.
2   Es ist nicht einer- sondern zweierlei,
Ob Zeit verloren, ob gewonnen sei:
3   Der Unholdtön'ge wenn er lang anhält,
So macht er unzufrieden Gott und Welt. 190

LXXXIV.

        1   Wen du sehen magst, der will von Glück
Größer als die andern all sein Stück
2   Und mit Müh und Anstrengung empfängt
Er was Gott will und sein Rat verhängt.
3   Nicht das Mädchen wird im Leib zum Knaben,
Weil ein Tor grad einen möchte haben.
4   Willst du deinen Wunsch vom Liebchen, still
Nimm ihn, und frag es nicht, ob es will.
5   In den Bart soll man dem Fuhrmann spein,
Der hin geht wohin sein Eselein.

LXXXV.

        1   Verstand und fester Sinn vermag den Strom, den Mund der Leute
Zu stopfen, Schlang und Skorpion mag Zauberspruch bezwingen.
2   Da glücklich aus des Kadis Haus die Ehre du gebracht hast,
Gewiß aus jedem andern Haus wirst du sie gleichfalls bringen.

LXXXVI.

        1   Wenn du dort nimmst die Einkehr in Schiras, o Morgenwind,
Nimm diesen Brief, und bringe den Freunden meinen Gruß.
2   Wiewohl mein Herz entbehren nicht kann den teuren Ort,
Doch, wie der Fisch das Wasser, entbehrt's ihn, weil es muß.

LXXXVII.

        1   Bist du weise, sammle keine Güter,
Denn das stört die Sammlung der Gemüter.
2   Einst hatt' ich ein Silberstück geborgen,
Tag und Nacht schuf mir der Beutel Sorgen.
3   Endlich warf ich von mir das verdammte
Und ward frei von meinem Hüteramte.

LXXXVIII.

        1   O sieh du nicht auf des Gesichtes Blüte,
Das ist der Schein, das Wesen ist Gemüte.
2   Wenn in der Farbe Menschenwert bestände,
So wären gleichviel wert gemalte Wände.

LXXXIX.

        1   Ein Junger Mann ausschreitend mit Gewalt
Mach auf dem Weg vor schwachen Greisen Halt.
2   Wohl sprach die Ameis vor Kameles Fuß:
Mach, dickes Tier, den dünnen nicht Verdruß. 191

XC.

        1   Oft waren, die ums Haupt den Schleier trugen,
So Mann, daß Männer aus dem Feld sie schlugen.
2   Du aber, solch ein Mann und solch ein Fechter,
Du hältst dich, fürcht' ich, wie ein Weib nicht, sondern schlechter.

XCI.

        1   Huld, die man von Unhuldigen erharrt,
Kein harter Beilschlag ist so hart.
2   Ein Edelmütiger, der den Rücken mir zukehrt, kann mich mehr beglücken
Als ein Gesicht, vor dem mir schauert der Rücken.
3   Ein kühler Trunk kann dich nicht laben im August,
Den du aus groben Händen nehmen mußt.
4   Soll solches Volk dich nicht betrüben,
So brauchst du nur Genügsamkeit zu üben.

XCII.

        1   Die schöne Hand, die alle Kenner,
Einstimmig preisen, Kinder Greise, Weiber, Männer
2   Mit dem Ärmel hat sie mich berührt
Und die Besinnung mir entführt.
Man sagt mit Recht: wer rast, die Fee hat ihn berührt.

XCIII.

        1   Die Herrn des Wohlstands können Großmut spenden,
Doch besser ist Geduld bei leeren Händen.
2   Bei seinem Freunde betteln ist noch besser
Als Ehrenkleider, die dir Fremde senden.

XCIV

        1   Wenn dir des Kleides Saum fest im GedörneGedörne: Dornen sitzt
Und du es mit Gewalt losmachst, gib Acht, es schlitzt.
2   Dem Feind, der übermannt fiel in des Feindes Hand,
Mit Lindigkeit und Flehn bringst du ihm jetzt Beistand.
3   Wenn du mit Ungestüm willst her sein hinter ihm,
So zeigst du feindlicher dich als des Feindes Grimm.
4   Denn noch versehrt hat dir der Arme nicht ein Haar
Und du bringst übereilt den Kopf ihm in Gefahr. 192

XCV.

        1   Der Beschmutzte, ström' er Weisheit wie Gewässer,
All sein schönes Reden macht nicht schlechte besser.
2   Wer rein wandelt, mag er auch stillsitzend schweigen,
Förderlich wird allen sich sein Umgang zeigen.

XCVI.

        1   Wer in Speis' und Trank des Lebens Zweck erreicht,
Ist ein Tier, das an Gestalt den Menschen gleicht.
2   Was du hast, biet auf und kauf des Sinnes Welt,
Die allein hält, wenn die Sinnenwelt zerfällt.

XCVII

        1   Ein Vogel, wo er AtzungAtzung: ein Essen (atzen, veraltet: zu essen wie setzen zu sitzen) sieht, sich niedertut,
Ein Weiser, wo er Treue sieht und Edelmut.
2   Brauchst, reicher Knauser, dein Gesicht nicht abzuwenden,
Von dir erwartet niemand ungewohnte Spenden.

XCLVIII.
Ein Rätsel.

        1   Welch ein Weib ist schwanger, wenn du's weißt, so rat',
Nicht vom Mann, von weiser Lehr' und gutem Rat?
2   Viele Kinder hats in seinem Schoße reich,
Alle liebenswürdig und einander gleich.
3   Mag ein andrer sterben, bleib am Leben du,
Und sieh der Geburt der dreißig Kinder zu.

XCIX.

        1   Schließe keiner doch beim Leben lieber Brüder
Vor den eignen Fehler seine Augenlider.
2   Hör, o Freund, von deinen Feinden, was sie sagen,
Weil für Freunde Fehler Tugendkleider tragen.

C.

        1   Viele sind auf Reisen gegangen,
Ohne zu einem Ziel zu gelangen,
2   Von den Gelehrten mit allen ihren
Wissenschaften die sie studieren.
3   Weil die Leitung des Heiles fehlt
Haben sie sich umsonst gequält.
4   Sie haben den Teufel ausgetrieben,
Und sind Ungläubige geblieben. 193

 

CI.

        1   Dem neu erwachsnen Sohn wünscht man zwar
Zu werden wie sein Vater neunzig Jahr,
2   Doch zweifl' ich daß der Greis die Hoffnung habe
Zu werden vierzehnjährig wie der Knabe.

CI a.
Aus dem Gulistan.

        1   Beim Greise suche nicht die Lust der Knaben,
Neu füllt sich nicht der ausgelaufne Graben.
2   Das Ährenfeld kann, wenn die Ernt' ihm naht,
Im Wind nicht wallen wie die grüne Saat.

CII.

        1   Sei kein Weltbegieriger! nichts gelten
dem Blick des Hochsinns beide Welten.
2   Des Menschen Notdurft kommt aus Gottes Tür hervor,
Was suchst du Gottesmann vor des Statthalters Tor?

CIII.

        1   Wenn man ihm sagt: du wirst ins ewge Feuer
Der Hölle gehn zu Faraon und Haman;
2   Das fällt dem großen Mann so schwer auf's Herz nicht,
Als sagt man: morgen geh' nicht in den DiwanDiwan: zwei Bedeutungen, hier: Versammlungssaal des Staatsrats (auch: Sammlung der Gedichte eines Poeten).

CIV.

        1   Ein Vollkommner kann entbehren Reichtum leicht und Würden
Wie ein schönes Antlitz, das nicht Rot und Weiß auflegt;
2   Immer besser ist ein Mann, der gar hat anzuziehen
Kein Gewand, als ein Gewand in dem kein Mann sich regt.

CV.

        1   Festverbundne Freunde haben vor dem Feinde Scheue nicht,
Freundes Pflicht ist, daß er breche seinem Freunde Treue nicht.
2   Hunderttausend Fäden einzeln stellen ohne Kraft sich dar,
Wenn du sie zusammenschlägest, bricht sich kein Iffendiar.

CVI.

        1   Mit der geistlichen Stiftung in Schiras kam es dahin:
Kein Zufluß ist ihr geblieben als der Abfluß von Urin.
2   Wie wäre der hungrige Schüler aufs Studieren bedacht?
Er müßte denn Tags betteln, um zu studieren bei Nacht. 194

CVII.

        1   O Gott, der du mir gabst das Reich des Glaubens,
Woll' auch den Schatz der Genügsamkeit mir spenden.
2   Ja, hab ich nichts zu leben, nun so sterb' ich
Ehr als ich esse Brot aus schmutz'gen Händen.

CVIII.

        1   Vor diesem dacht' ich, ob ich dich sollt' einen Unstern nennen
Nenn' ich dich so? nein! denn die Welt kann so kein Unstern brennen.
2   Von deinem Samen werden wohl nichts die Heuschrecken essen,
Weil du aus Hungerleiderei wirst ihren Samen fressen.

CIX.
Desgleichen.

        1   Sieben Ding an Einem Tag, ein Wunder
Wenn das Vieh nicht genug auf immer hat:
2   Nüß' und Mehlbrei, Buttermilch und Fische,
Eier, Liebesabenteuer und Bad.

CX.

        1   Baut ein Dämon sich im Himmel eine Heilgenzelle,
Er wird sein, was er gewesen, Satanas Geselle.
2   Der ist nichts der etwas ist durch seines Kopfbunds Seide,
Dieb ist Dieb, wenn er auch geht in uns'res KadiKadi: Richter Kleide.

CXI.

        1   Der Arzt und seine Kunst sind unnütz, wenn nun
Die Seele sprengen will des Lebens Reif.
2   Dem toten Esel hilft nicht auf die Beine
ein Herr, der ihm beim Ohr zerrt oder Schweif.

CXII.

        1   Gott sei Dank dem gütigen Beschützer der Gemeinde
Der so gnädig ist und unter sich entzweit die Feinde.
2   Immer daure nur der Streit der Juden und der Heiden,
Denn für uns ein Glückwunsch ist der Tod von allen beiden. 195

CXIII.

        1   Wenn du Sinn hast, schön ist alles was dein Auge sieht,
Lieblich wie der Freund ist alles was vom Freund geschieht.
2   Welches Blatt am Baum, wenn dir dafür der Blick nicht fehlt,
Das von Gottes Schöpfung ein Geheimnis erzählt?

CXIV.

        1   Gestern sang ein Vogel in der Frühe
Daß mir Sinn und Fassung ging verloren.
2   Einem meiner trauten Freunde kam wohl
Mein entzücktes Rufen zu den Ohren
3   Und er sprach: ich glaubte nicht, daß also
Könnt' ein Vogel machen dich zum Toren.
4   Doch ich sprach: es soll auf seiner Stelle
Jeder tun wozu er ist erkoren.
5   Schämen müßt' ich mich als Mensch, ein Vogel
Lobend Gott, und ich wie stummgeboren!

CXV.
Bruder Liederlich.

        1   Der Gesell der ruchlos hingebracht sein gottlos Leben
Tut bereuend einen Eidschwur bei des Tods Erstarren:
2   Ich bekehre mich und sündigen will ich nicht weiter.
Ja du kannst's nicht weiter, habe dich nicht selbst zum Narren.

CXVI.

        1   Am Tage von des Sohnes Scheiden ist das Geschick
Der Brunn', und Kanan ist verdunkelt dem Vaterblick.
2   O warte nur, bis zum Vereine die Stunde ruft!
Nach Kanaan kommt aus Ägypten des Hemdes Duft.

CXVII.

        1   Kannst du auch vom Kranken nicht dadurch die Krankheit nehmen:
Daß dich dennoch nicht der Schritt, ihn zu besuchen, reue!
2   Tausend süße Tränk' und wohlgerucherfüllte Früchte
Sind nicht so erquickend als der Duft von Freundestreue.

CXVIII.

        1   Beim Tod des Herrn hat nichts die Welt verloren
Da ihm so würd'ger Nachwuchs ist geboren. 196
2   Nicht sag ich dir, er sei an Adel reich;
Nein, auf der Welt ist ihm kein Edler gleich.
3   Nun, mög' er auch alswie sein Vater sterben,
Und seinen Nachruhm an die Welt vererben!

CXIX.

        1   Neulich ging ein Mann im Orus unter,
Der aus Samarkand war, wie ich glaube;
2   Im Ertrinken rief er laut und klagte:
Ach wie schad' ist es um meine Haube!

CXX.

        1   Ein Reittier hat man zur Bequemlichkeit,
Doch ich hab' einen Gaul zum Ungemach.
2   Auf seinen Knochen fehlt durchaus das Fleisch,
Ich glaub', von Bein das Rössel ists im Schach.

CXXI.

        1   In deinem trunknen Auge sah ich
    des Schlafs Verlangen,
O schlafe wohl! mir ist die Aussicht
    auf Schlaf vergangen.
2   An dir kann ich mir nicht vom Sehen
    genügen lassen,
Mein Ding ist anders und es läßt sich
    ins Wort nicht fassen.

CXXII.

        1   Den schwarzen Kittel muß ich
    beneiden, der dort hängt
An jenem Silberbusen
    und ihn so eng umfängt.
2   O seht den schwarzen Hänger,
    was er dort Lust empfängt,
Und seht mein schwarz' Verhängnis,
    das mich von dort verdrängt.

CXXIII.
Künstliche Jugendlichkeit.

        1   Wo war ein Bartloser von dreißig Jahren zu sehn?
Das ist ein Wunder, wie sie zum jüngsten Tage geschehn.
2   Doch wenn man dir die Hände eine Woch' auf den Rücken bände
Dir wüchs' in der andern Woche der Bart an des Bauchs Ende. 197

CXXIV.
Der gemeine Schatz.

        1   Da so manchem du die Hube gibst zu Lehn,
Nicht zulässest diesen und abweisest den;
2   Mußt du nun gleichmäßig allen Gutes tun,
Daß des Kampfes Staub mög' unter ihnen ruhn.
3   Denn was in die eine Waagschal' ist gelegt,
Ohne Zweifel von der andern wird gewägt.
4   Gleichheit und Gewissenhaftigkeit ist Pflicht,
Ob der Schatz erschöpft auch werd', es schadet nicht.
5   Denn wer Einsicht hat und Edelmut, der bricht,
Um den Schatz zu hüten, Menschenherzen nicht.
6   Wenn ein Herrscher will der Freund der Braven sein,
Muß er selbst der Wächter seiner Sklaven sein.

CXXV.

        1   Fort mit solchem Sänger hier aus unserm Saal,
Den an keinem Ort man sieht zum zweiten Mal!
2   Wie aus seinem Mund ein Ton erstanden war,
Stand den Menschen alsobald zu Berg das Haar.
3   Scheu vor ihm entflohn die Vögel unterm Dach,
Der den Hals sich sprengt' und uns das Hirn zerbrach.

CXXVI.

        1   Bei solch davidischem Gesang kein Wunder
Ist's wenn die Vögel still stehn auf den Schwingen.
2   Die Gnade Gottes rufst du an, und Gott weiß
Wie alle Welten Dank dir dafür bringen.
3   Mit solchen mißlautreichen Koransängern
Sei Gottes Gnade, wenn sie leise singen.

CXXVII.

        1   Dein Schimpfen hab' ich ganz vernommen,
Ich weiß ihm jetzt nicht nachzukommen.
2   In solchem Fall ist Schweigen schicklich,
Bis man antworten kann nachdrücklich.
3   Wenn man dich einst vom Amte jagt,
Bekommst du zu hören, was du gesagt.

CXXVIII.

        1   Spät kommst du, seltner Gast, zur Stelle;
Nun kommst du nicht vom Platz so schnelle.
2   Wenn man sein Liebchen soll so spat sehn,
Dann muß man wenigstens sich satt sehn. 198

CXXIX.

        1   Ich Ameis' die sie treten mit den Füßen,
Nicht Wesp' um deren Stich sie klagen müssen,
2   Wie kann ich Dank genug der Gnade sagen
Daß mir die Macht nicht ward die Welt zu plagen.

CXXX.

        1   Wer vor den Schönen nicht sein Herz bewahrt,
Der gibt in andre Hände seinen Bart.
2   Ein Reh, das sich läßt auf den Rücken legen
Den Halfter, geht nicht mehr auf eignen Wegen. 199

 
Aus dem Buche der Frivolitäten

Arabisches Vorwort

Saadi spricht: Mich nötigte einer der Prinzen, ihm ein Scherzbuch nach Art des SuseniSuseni: Alsuseni, persischer Satiriker aus Samarkand, gest. 1177 n. Chr. zu schreiben; ich wollt' es nicht tun und hatte keine Lust dazu, doch konnt ich nicht umhin, seinem Befehl zu entsprechen: so dichtete ich diese Verse, und bitte Gott um Verzeihung. Es ist ein Abschnitt in Spaßesweise, und das tadelt nicht die Weise, weil der Scherz ist in der Rede, was das Salz in der Speise.

I.

        1   Jene Pinie so schlank anstellig
Ist für alle, nur nicht mich gefällig.
2   In die weite Halle ihrer Gunst
Findet Eingang nur nicht meine Brunst.
3   Mir wird, so ist meines Sterns Unheil
Von der offnen Tafel nichts zu Teil.
4   Und so schlimm ist meines Fisches Los,
Von dem Meer hat er die Sehnsucht bloß.
5   O du Schönheit auf der Schöpfung Höhn,
Sei nicht grausam, denn das ist nicht schön.
6   Wenn du ohne deinen Freund kannst ruhn,
Ohne dich doch kann's das Herz nicht tun.
8   Deinem Lippensaft das Gleichgewicht
Hält der Schlauch des Wasserträgers nicht.
*   *   *
10   Was hab' ich verbrochen, o mein Bild,
Daß du mich nicht zur Gesellschaft willst?
11   Dir den Kuß zu rauben, o mein Gut,
Hab' ich wohl die Lust, doch nicht den Mut.
12   Schenke mit ein liebliches Umfangen,
Denn nicht höher reichet mein Verlangen.

II.
Die Mannheitfresserin.

        1   Sonne bist du, scheinest schlecht dem Volke,
Wolke bist du, Mannheitfressrin, Wolke.
2   Gläubge glaubt ich dich und irrte weithin,
Heidin bist du, Mannheitfressrin, Heidin.
3   Listig streich' ich um dich wie der Fuchs hin,
Luchsin bist du, Mannheitfressrin, Luchsin.
4   Bitter finden von Geschmack dich alle,
Galle bist du, Mannheitfressrin, Galle. 200

III.

        1   Das Antlitz blühend, das Gewand geblümt,
Mit Wollust eingeräuchert und parfümt,
2   So schmückt das Weib sich zum Empfang mit Fug:
Dem Mann ist seine Mannheit Schmucks genug.

IV.

        1   Wann soll ich deinen Zedernwuchs herschweben sehn?
Mir deine Rosenlipp' entgegen beben sehn?
2   Wann deine Locken lieblich widerstreben sehn?
Wann soll ich dich die letzte Hülle heben sehn?

V.

        1   Trüge reizender als du ein Garten Frucht,
Täglich steuert' ich nach solcher Gartenbucht.
2   Soviel Großmut hast du nicht, zu gönnen einem
Bettler eine Pfirs'che deiner Gartenzucht.

VI.
Der junge Bart.

        1   Ach das Veilchen fürcht' ich nimmt dem Apfel seinen Glanz
Und zerstört das schöne Ganze dieser Schönheit ganz.
2   Schriebest du doch diese Randschrift nimmer auf dein Blatt
Deren garstger Haarstrich so dein Buch verunziert hat.

VI. a
Aus dem Gulistan.

        1   Junges Grün im Garten ist gar schön
Sagen solche, die sich drauf verstehn.
2   Nämlich junger Flaum der Wegeflur
Reizt das Herz Verliebter mehr noch nur.
3   Doch dein Gärtlein ist ein Knoblauchbeet
Wachsend mehr je mehr man ab es mäht.

VII.

        1   Er ging, nachblickt ihm mancher Schlucker,
Die Lippe war ihm wie von Zucker.
2   Nun kam er wieder, seine Wangen
Vom Bart wie Tag von Nacht umfangen.
3   Wie munter auch er scherzen mochte
Er sah daß nicht das Herz mir pochte. 201
4   Er sprach: Gib Zucker-Mandeln für den Kuß!
Ich sprach: Für dich geb ich nicht eine Nuß.
5   Vorm Jahr flohst du wie ein Reh von hier,
Und heuer kommst du wie ein Panthertier.
6   Den Saadi reizt ein zarter Flaum
Nicht der Stopfnadel starrer Baum.

VIII.

        1   Jüngst als ich armer sollt' an deinem Blick ersatten,
Kam ein gelehrter Mann dabei mir zu Unstatten.
2   Der litt nicht daß ich mich an meiner Sonne sonnte,
Dazwischen stellte sich der schwere Wolkenschatten.

IX.

        1   O traute Freund' in unsrer Eintracht Chören
Laßt unsre Lust doch keinen Mißklang stören!
2   Der Zitherschläger schlägt so schlecht mit Fleiß,
Jagt ihn hinaus und schlagt ihn auf den Steiß.

X.

        1   Das schöne Götzenbild kam in das Gotteshaus
Und mit der Gläubigen Gebete war es aus.
2   Selbst der Vorbeter sprach, das Herz von Kummer schwer:
O daß er vor, und ich dahinter wär.

XI.

        1   Hör ein offnes Wort, ohn ihm dein Herz zu schließen,
Denn kein Freund ist, der sich läßt ein Wort verdrießen.
2   Liebe hast du mit den Wurzeln ausgerissen;
Freilich magst du von der alten Zeit nichts wissen.

XII.

        1   Jenes Mondantlitz, ein Engel Gottes
Wars, und ist nun eine Regenwolke.
2   Lieblich war es wie ein Feuer im Winter
Und nun ist es wie ein Pelz im Sommer.

XIII.

        1   Die Leute sind dir bös und Gott nicht gut,
Fluch regnet auf dich wie auf GaurGaur: oder Giaur: Feueranbeter, Ungläubiger und Jud'.
2   Ei sag, Unseliger, warum empfing
Die Hure, die mit dir neun Monde ging! 202

XIV.

        1   Gestern sprach ich: Buße will ich tun,
Zeit ist von der Welt zu scheiden nun.
2   Buße tu ich nun, daß ich das sprach;
Eines Liebchens Reizen denk' ich nach.
3   Nennen darf ich nur das süße Rund,
Und das Wasser tritt mir in den Mund.

XV.
Aus dem Gulistan.

        1   Steht das Weib vom Mann auf unbefriedigt,
Da kann nicht der Haushalt ruhn befriedigt.
2   Der sich nicht kann ohne Stab aufrichten,
Kann dem Weib er eine Lab' aufrichten? 203

 
Aus dem Buche der Einzelverse

Auch ein einzelner Vers gilt nach persischer Kunstauffassung als Kunstwerk. Viele Dichter haben solche Einzelvers-Sammlungen, in denen jeder Vers einen in sich abgeschlossenen Gedanken bringen muß, zusammengestellt.

1.

        Wenn du was Gutes zu erzeigen im Stande bist,
Erzeig es einem, an dem selber was Gutes ist.

2.

        Keinem Menschen darf dein Herz geweiht sein
Doch zu dienen mußt du stets bereit sein.

3.

        Wer den Edelfalken nennt einen Raben,
Dem glauben es nicht, die offne Augen haben.

4.

        Wo du den Weg zeigst, ist die ganze Welt ein Weg,
Wo du nicht Hand reichst, eine Grub' ein jeder Steg.

5.

        In hundert Jahren wird ein Baum so groß,
Der Wind entwurzelt ihn mit einem Stoß.

6.

        Wenn Türsteher und Wachtmeister auch dich aus dem Schlosse treiben,
Ist es besser als wenn dort du müßtest bei dem Trosse bleiben.

7.

        Diesmal ist's nicht der Klang der Lauten, Flauten und Violen
Diesmal ist es Kampf der Löwen und Gefecht der Mogolen.

8.

        Ob rein das Wasser nicht im Christenbrunnen sei,
Den toten Juden wasch' ich, es ist einerlei.

8 b.

        Nütze heut' das Gut, das sich dir fand zu Hand,
Denn des Glückes Vorrat geht von Hand zu Hand.

9.

        Ein Kapital ohne Zins kann keinem taugen,
Die Schlange kann aus ihrem Schwanz nicht Nahrung saugen. 204

10.

        Achte diese Welt nicht hoch, denn hier entsteht
Nie etwas wobei nicht etwas untergeht.

11.

        Einem schönen Angesicht
    Kannst du nicht entflieh'n,
Doch auch mit Willen sollst du nicht
    Demselben dich entziehen.

12.

        Auch wo der Zahn fehlt kaut man Brot zur Not;
Das Unglück ist, wo fehlt zum Kau'n das Brot.

13.

        Was kann ein Herrscher andres als Befehlen,
Ein Diener andres als Gehorsam wählen?

14.

        Den Friedlichsten kann man so plagen,
Daß er am Ende drein muß schlagen.

15.

        Besser ein Irrtum der dich beglückt,
Als eine Wahrheit die dich niederdrückt.

16.

        Wer sich nicht regen kann, was bleibt ihm andres als sich fügen?
Ein Verliebter wird sich immer nur aus Not begnügen.

17.

        Manch schöne Gestalt ist hinter des Schleiers Futter;
Schlag ihn zurück, und es ist eine Urgroßmutter.

18.

        Gott schuf dich in so schönen Weisen
    Zu einer Augenlust den Weisen,
Dafür sollst du ihm Dank erweisen
    und ihm nicht die Türe weisen.

19.

        Wer an sich selber legt den Zahn
Tut andern nie mehr Gutes an. 205

20.

        Ein böser Zustand, sei es
    dem guten Gott geklagt,
Ein Fürst der schläft und schlafen
    nicht läßt das Volk, das er plagt.

21.

        Gefallnen weh zu tun, dient nicht dem Mann zum Preise,
Ein schlechter Vogel nimmt ihr Körnchen der Ameise.

22.

        Wirf Feuer ins RöhrichtRöricht: mit Rohr bewachsenes Land und geh nur vorüber,
Es bleibt dort kein grün und kein dürr Rohr über.

23.

        Dessen Größe hat keinen Bestand
Der alle Menschen klein befand.

24.

        Zwei liebende Herzen leben besser beisammen,
Zwei brennende Kerzen geben bessere Flammen.

25.

        Wer den Blick beschränkt
    sorgt für sich allein,
Wer weiter denkt
    für Groß und Klein.

26.

        Denk nicht vergebens an der Feinde Haß;
Denn deinem eig'nen Leibe schadet das.

27.

        Wenn du die ganze Welt erwirbst
    mit Ungemach,
Was hilft es? wieder lassen mußt
    du sie mit Ach.

28.

        Der Arzt voll Einsicht reibt die Hand verlegen
Wenn er am Kranken sieht die Lebenskraft erlegen.

29.

        Versäume nicht das Leben wo du es hast,
Gelegenheit ist selten, die Zeit ein Gast. 206

30.

        Wie sich einer gibt, muß du ihn fassen
Mußt mit der Gesellschaft stimmen oder sie verlassen.

31.

        Freilich, bös' ist niemals gut; doch abzulösen
Ist im Menschen nie das Gute von dem Bösen.

32.

        Ein Herz, dem Gottes Gnad' ist verliehn,
Wird nichts auf der Welt von Gott abziehn.

33.

        Besser daß einer laut mit dir zanke
Als schweigend auf deinen Gruß nicht danke.

34.

        Um einen zu verbinden, einen and'ren kränken
Ist nicht wohl denken.

35.

        Von deinem Leid nicht zu den Feinden sprich,
Die sich freun und sagen: Gott tröste dich!

36.

        Hunger, der gedeckten Tisch vor Augen hat,
Ist Junggeselle vor der Frauen Bad.

37.

        Wer schlecht gegen mich ist und gegen dich gut,
Vor dessen Treu' sei auf deiner Hut!

38.

        Ein Mann von Herz und Wissenschaft und tadellosem Wandel,
Was schadets, wenn sein Schuh schadhaft und gewendet ist sein Mantel?

39.

        Daß du dich zu gefallnen hilfreich stellst,
Ist löblich, nur daß du nicht selber fällst. 207

40.

        Tu Gutes, soviel du vermagst,
    denn Gutes ist des Guten Lohn;
Das Böse zu vergelten, das
    lehr' ich dich nicht, das weißt du schon.

41.

        Hüte dich das Wort zu sagen,
    Worauf du die Antwort nicht kannst vertragen,
Hoffe nicht, daß du Weizen mähest
    Wo du Gerste säest.

42.

        Starker Arm und Schwertschlag ist nicht Heldenmut,
Das ist's wenn man Unrecht tun kann und nicht tut.

43.

        Wenn die Seele Ruhe findet, was ist Palast, was ist Hütte?
Wenn du schläfst, was ob auf Königsthronsitz oder Bettlerschütte?

44.

        Wenn du der Kerze freien Spielraum gönnest
Fürcht' ich daß du dein Haus verbrennest.

45.

        O wie allzuwenig männlich, o wie gar zu jugendlich
Daß der Zorn dich niederbringt und du nicht aufkommst gegen dich.

46.

        Rufe Gott an, wenn ums Herz dir weit ist und das Leben leicht,
Nicht aus vollem Herzen rufst du ihn, wenn dir die Seel entweicht.

47.

        Als Throngeschenk von SalomonSalomo, der große König, Sohn Davids (1035–975 v. Chr.). Seine Weisheit und seine Tugenden werden in persischen Mythen, in Tausendundeine Nacht und in den europäischen Zauberromanen gerühmt.
    Als alle Tiere vor seinem Thron mit Geschenken erschienen, fand sich auch die Ameise mit einem Strohhalm ein, den der Herrscher gütig entgegennahm (vgl. Erzählung im Koran: Sura 27/18)
das Bein
von einer Heuschreck bringen, ist nicht fein:
Doch ist's verdienstlich für ein Ameislein. 208

 
Zugabe

Saadi's Werke enthalten auch eine Abteilung Mulemma'at (›bunte Verse‹, d. h. Gedichte aus persischen und arabischen Versen gemischt, in der Ausgabe Calcutta (1791/1793), S. 250a–256b). Von insgesamt elf Gedichten sind die ersten zehn Gedichte in Ghasel- oder Kassidenform, in Abwechslung des Arabischen und Persischen. Das elfte Gedicht, in Reimpaaren ›Methnewi‹ gedichtet, enthält außer arabischen und persischen Versen auch Verse einer persischen Mundart. Rückert übersetzte in diesem Lehrgedicht von den drei mal achtzehn Versen nur die persischen und einen arabischen Vers (an der letzten Stelle).
Ein Epiphonem bilden dann noch zwei persische Verse:
    »So schöne Töchter sind mir die Gedanken,
    An Sehnsucht nicht nach Schönen darf ich kranken.
    So reizend find' ich meines Geistes Knaben,
    Daß ich nicht andre brauche lieb zu haben.«

Kleines Lehrgedicht

        1   Gern nehmen Lehr an die von Gott erwählten,
Und Rat vom DerwischDerwisch: ein nach Gottes Gnade strebender, weltentsagender Frommer. die vom Geist beseelten.
2   Die Ameis unter des Kameles Fuß
Sprach: Feistes Tier, mach schmächt'gen nicht Verdruß.
3   Verbinde Wunden, laß dich's nicht verdrießen;
Was weißt du ob ein Pfeil dich auch wird schießen?
4   Denn vielfach kreist der Himmel auf und nieder,
Er hat's geschenkt und hat's genommen wieder.
5   Gefallner spotten soll mir nie einfallen,
Denn selber, fürcht' ich könnt' ich einmal fallen.
6   Wer öfter kommt, wird minder Ehr empfangen;
Was man sieht seltener, wird man mehr verlangen.
7   Sagt man: »Sieh wie sich die Vornehmen strecken«;
Sieh du des Bauren Fuß im Kote stecken.
8   Des Armen blut'ges Auge mußt du fragen,
Es weiß den Wert der Wohltat dir zu sagen.
9   Vor deiner Tür ums Brot singt der Derwisch,
Du zankst: Der Vogel ist nicht auf dem Tisch.
10   Wenn du Vernunft hast, häuf' nicht! wenn ein Mann
Du bist, teil mit und gib, iß und zieh an!
11   Der erntet vom Weltacker alles Glück,
Wer eins genießt und eines legt zurück.
12   Der Heuchelfromme gleicht der GebrengruftGebrengruft: Gebr oder Giaur: Feueranbeter,
Im Innern Moder, außen Ambraduft.
13   Geh nicht mit Kuttenträgern früh und spat;
Gehst du, so halt im Sacke deinen Rat.
14   Sag nicht: »nichts Gutes ist in Bettlerseelen«;
Ein Menschliches wird ihnen auch nicht fehlen.
15   Leicht sagst du mit der Zungenspitz' ein Wort;
Bedenk, wie bald sagt man's an jedem Ort!
16   Sag nicht: ich sag's dem Freund, was ist zu zagen?
Wenn er dein Feind wird, kann es Tod dir tragen.
17   Wie schön sprach zum mutwilligen Gespielen
Der Knabe: Wirf kein Feuer in Schilfrohrdielen.
18   Wer nach mir diesen Worten Beifall gab,
Der sage: Gott erleuchte Saadi's Grab!

 


 


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