Saadi
Aus Saadi's Diwan
Saadi

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Aus dem Buche der Süßigkeiten

I

        1   Lieblich zeigt in meinem Spiegel sich dein Bild,
Weil der Spiegel rein ist und das Bildnis mild.
2   Wie ein lautres Glas den Wein, so offenbart
Deine Antlitzschöne schöne Sinnesart.
3   Wer mit einem Blick dich sah, auf einen Schritt
Mit dir ging, trägt ewig von dir Unruh mit.
4   Mag das Wild im Felde sich dem Netz entziehn,
Doch zu deinem Netze zieht der Trieb uns hin.
5   Einen Vogel, der einmal liebt einen Ort,
Mag man töten, und er geht von dort nicht fort.
6   Eifersüchtig auf dein Weh in meiner Brust,
Hab' ich keinem Arzt den Schmerz zu klagen Lust.
7   Laß mich dir zum Opfer dienen! stirbt nicht gern
vor der Sonnenfackel Lämpchen Siebenstern?Lämpchen Siebenstern: wörtlich: »der Leuchter des Siebengestirns«, der Sterngruppe der Pleiaden am Rücken des Stieres
8   Wenn du lächelnd einen Ärmel schüttelst aus,
Halten Papagei und Fliege Zuckerschmaus.
9   Wenn das süße Püppchen einmal trutzig sitzt,
Wollen Anspruchsvolle lauter Süßes itzt.
10   Deinen Garten zu beschaun ist Saadi's Wahl,
Niedre Hunde drängen sich zum Raubemahl.

II.

        1   Das sehnsuchtsvolle Herz ging durch des Gartens Pracht,
Vom Blumenwürzeduft ward's außer sich gebracht.
2   Die Nachtigall rief dort, die Rose winkte hier,
Da fielest du mir ein, und sie entfielen mir.
3   Dein Bild im Herzen und dein Siegel auf dem Mund,
Dein Rausch im Haupt, dein Duft geheim im Seelengrund.
4   Seit deinen Bund ich schloß, brach ich die andren Bünde,
Denn jedes Band nach dir zu lösen ist nicht Sünde.
5   Seit deiner Liebe Dorn ergriffen meinen Saum,
Wird mich zum Rosenbeet die Lust verlocken kaum.
6   Wohl fühlt ein Herz, wenn solch ein Weh es niederwarf,
Daß es nach Arzenei die Hand nicht strecken darf.
7   Wenn dich zu suchen Müh uns kostet, ist's kein Schade;
Die Lust zum Heiligtum macht glatt der Wüste Pfade.
8   Und wer auf einen Freund mit Brauenbogen blickt,
Der muß ein Schild sein, das vor keinem Pfeil erschrickt.
9   Und kommt ins wunde Herz vom Köcher jeder Pfeil,
Sei dies mein Teil, daß ich der Opfer bin ein Teil.
10   Sie sagen: Saadi, sag nicht solche Liebesklagen.
Ich sage sie und lang nach mir wird man sie sagen. 106

III.

        1   Dem Schlaftrunknen leuchtet nie das Leben ein,
Was ist rechtes Leben? Trunkenheit vom Wein.
2   Meine nicht, daß ich von solchem Wein dir sprach,
Der die Schenken baut und den Verstand reißt ein.
3   Trunken sollst du sein vom Liebesseelenwein,
Was dir den Verstand benimmt, ist Weh allein.
4   Willst du Hofdienst, weigre den Gehorsam nicht,
Willst du Läuferstelle, stell den Lauf nicht ein.
5   Der du fortschläfst und der Trupp bricht auf, du wirst
Dein Herberg, fürcht ich, sehn im Traum allein.
6   Eh du Pflichtsaat streutest, wirst du Lebensfrucht
Nicht einernten, arbeit' und der Schatz ist dein.
7   Tief in Finsternissen ist des Lebens Quell,
Perl in Meeresgründen, Schatz in Wüstenein.
8   Wer den Ring beständig an die Platte schlägt,
Ließe man nicht eines Tages ihn doch wohl ein?
9   Gehn am Tage muß man, um dem Ziel zu nahn
Und bei Nacht ruhn bis herankommt Sonnenschein.
10   Saadi, wenn du ohne Dienst den Lohn verlangst,
Durstig liegt der Reisende beim Wasserschein.

IV.

        1   Die ganze Nacht nicht schliefen wir,
Wohl, Mittagsschläfer, bekomm es dir!
2   Die Durstigen starben in der Wüst'
Und das Wasser von HillaHilla: Staat am Euphrat, an der Stelle des alten Babylon nach KufaKufa: Stadt in Babylonien und Kaldäa fließt.
3   Du stark von Bogen, von Treue schwach,
So hieltest du Wort dem Freunde ach?
4   Gleich Dörnern, wo ich nicht bei dir bin,
Ist mir das Lager von Hermelin.
5   Du angeschaut von verliebter Schar
Wie von Andächtigen der Hochaltar!
6   Ich gab in der Liebe Zucht meinen Schopf
Und ging in die Schule mit greisem Kopf.
7   Gift ist, kredenzt von der zarten Hand,
mir in der Kehle wie Zuckerkand.
8   Den Tollen im Gäßchen der Schönen tut
Nicht weh Torwächterübermut.
9   Nichts kann ums Leben Saadi bringen,
Als wenn ihm seine Freund' entgingen.

V.

        1   Lächelpüppchen, wer hat in die Lippe dir gebissen,
Aus dem Anmutsgärtchen wer die Wangenros' gerissen?
2   Wer sie mag gebissen haben, hat den Wunsch empfangen,
Wer sie nicht entrissen, hat viel Ärger und Verlangen. 107
3   Wer das Messer hat bis an das Heft ins Ziel gestochen,
Niemal süßere Melone hat wer aufgebrochen.
4   ChidherChidher: oder Chisher, fand im Lande der Finsternis den Lebensquell auf, dessen Hüter er ward, er galt als Überirdischer Leiter auf dem Wege des beschaulichen Lebens und wird als blühender Jüngling gedacht, in die grüne Farbe der Wiederverjüngung der Natur gehüllt., ei ich gönne dir nicht diesen Quell des Lebens.
Weißt du wie sich AlexanderAlexander: pers. Iskandar, zog mit Chidher in das Land der Finsternis, um das Lebenswasser aufzusuchen, doch nur seinem Begleiter gelang der Fund. drum bemüht vergebens?
5   Ist hier eines Menschen Blut, ist roter Wein geflossen?
Oder hat die schwarze Maulber dein Gewand begossen?
6   Denk daß plötzlich deine Mauer hat bekommen Scharten,
Daß du nicht mehr sagest, niemand hat gesehn den Garten.
7   Noch in vorger Woche tat den Mund nicht auf die Rose,
Heute riß entzwei ihr Schleier von des Ostwinds Stoße.
8   Durch den Tigris, wo vor Furcht die Ente nicht geschwommen,
Steuern Schiffe nun weil weg die Dämme sind genommen.
9   Künftig wird von uns das Fäßchen nicht mehr angestochen,
Es genügt uns, daß den Krug ein Fremder hat berochen.
10   Lange wird die Fruchtfüll auf dem Baume sich nicht halten,
Da, wie reif sie ist, die Jungen wissen und die Alten.
11   Hältst du es mit allen nun, und weichst vor und zurücke?
Immer Unrecht ist's von dir, und Schuld vom scheuen Glücke.
12   An ein andres Gartentor laß, Saadi, dein Verlangen
Pochen, diese Wiese laß, die Herd' ist hier gegangen.

VI.

        1   Ich bin in eine Gasse gefallen von Ohngefähr,
In welcher Ladung und Esel schon sind gefallen mehr.
2   Bringt die Kund' in den Garten dem gefiederten Troß:
In einen Käfig gefallen ist euer Sanggenoß.
3   Trag, o Hauch des Morgenwindes, den Gruß zu Liebchen hin,
Daß ich gleich dem Morgen zum Hauch geworden bin.
4   Was bleibt, als still zu halten, dem, den du hältst beim Schopf?
Eine Flieg ist gefallen in einen Honigtopf.
5   Treibe wie ich mit der Liebe doch keiner ein solches Spiel,
Außer, wer eben in solche Stricke der Liebe fiel.
6   Saadi, die mißliche Lage des Balls ist keinem klar,
Als wer ein Spiel des SchlägelsBall und Schlägel: eine Allegorie in der pers. Poesie für unglückliche Liebe. Die Geliebte (der Schlägel) gibt sich mit dem Liebenden spielend ab. Der Liebende (der Ball) ist immer bereit, sich nach Beliebe des Schlägels »schlägeln« und herumkugeln zu lassen. sein ganzes Leben war.

VII.

        1   Bist du's oder hat die Gartenpinie sich gesetzt in Gang?
Oder nahm ein Engel Menschenantlitz an und Stimme Klang?
2   Jene Fee, die sich der Welt entzogen eine lange Frist,
Wieder sah ich, daß sie sichtbar nun hervorgetreten ist.
3   Hat man Weihrauch angezündet? haucht im Garten Rosenbrand?
Kommt das Liebchen? kommt die Moschuskarawan aus Tartarland?
4   Seit ich mit dem Bilde deines Angesichtes ward bekannt,
Kommt mir, wen ich andres sehe, vor als wie ein Bild der Wand,
5   Karawanfürst! einen Blick auf diese Schönheit gönne mir!
Fordert man dafür ein Leben, als ein Käufer steh ich hier.
6   Länger nicht im Hause will ich sitzen dumpf vor Gram umparkt
Nun besonders da ich höre daß die Rose kam zum Markt. 108
7   Wenn den Blick auf Gottes Schöpfung du mir willst verheben,
Sag ich dir, daß dazu mir die Augen sind gegeben.
8   Was, o Ruh der Seele, über mich ergeht in deinem Band,
Sag ich einem, der Gefangenschaft in deinem Bande fand.
9   Sieh, die Flöte, stets mit Edlen im gastlichen Bunde,
Klingt und klagt weil sie empfangen manchen Schlag und Wunde.
10   Saadi, wenn du hohen Mut hast, klage Liebes Weh nicht an,
Seit die Welt steht, hat die Liebe stets dem Lieben weh getan.

VIII.

        1   Sünd ists in der Klause sitzen ohne dich,
Keine Türe schließt vor solchem Gaste sich.
2   Wenn der Saum des Glückes in die Hand dir fiel,
Lässest du ihn fahren, ists ein Torenspiel.
3   Wer von deinem Pfeile fiel, der steht nicht auf,
Wer in deine Fangschnur kam, vergißt den Lauf.
4   All mit eins in dein Bestrick wir kamen,
Vogel in das Garn, Fisch in den HamenHamen: eine Art Angelhaken.
5   Welch ein Blick, der Blut ins Herz mir trieb!
Welch ein Salz, das meine Wunden rieb!
6   Nicht die Last der Schmach kann ich ertragen,
Nicht dem Bund der Treu kann ich entsagen.
7   Auch der Rest von Sein, der mir noch blieb zur Frist,
Sagen darf ich nicht vor deinem Sein: er ist
8   Nie mehr, wenn der Sinn sich hat kund getan
Betet die Gestalt der Götzendiener an.
9   Trunkenheit des Weins ist dem versunken
Dessen Herz wie Saadi's liebestrunken.

IX.

        1   Selig bin ich auf der Welt, weil selig ist die Welt durch Ihn,
Meine Liebe leih ich allen, denen seine ward verliehn.
2   Freund, den Jesushauch des Morgens mache dir zu Nutzen auch,
Ob dein totes Herz er wecke, denn von Ihm ist dieser Hauch.
3   Nicht dem Himmel ward vertrauet, nicht den Engeln ward verliehn,
Was im schwarzen Korn der Brust der Adamskinder keimt durch Ihn.
4   Gift werd' ich mit Lust verschlingen, weil der Schenke reizend ist,
Willig werd ich Schmerzen tragen, weil von ihm die Heilung ist.
5   Wird nicht besser meine Wunde desto besser immerhin;
Heil der Wunde, die verbunden jede Stunde wird durch Ihn.
6   Wohl von Weh zu scheiden ist nicht was dem Eingeweihten frommt,
Schenke, gib den Wein aufs Wohlsein des von dem mein Wohlsein kommt!
7   Ob ein König ob ein Bettler, beide sind mir einerlei,
Denn in Knechtschaft beugt den Rücken seinem Throne wer's auch sei.
8   Saadi, rafft den Bau des Lebens der Vernichtung Gießbach hin,
Sei getrost, es ist die Grundlag' ewger Dauer fest durch Ihn. 109

IX. a

        1   Durch ihn will ich mich der Welt freun, weil sich freut die Welt durch Ihn,
Alle Schöpfung will ich lieben, weil sie steht und fällt durch Ihn.
2   Mache dir zu Nutz, o Freund, den jesusgleichen Morgenhauch
Daß er totes Herz belebe, denn er ist geschwellt durch Ihn.
3   Nicht den Himmeln ist gegeben, nicht den Engeln ist verliehn
Was der Adamskinder dunkle Herzenstief', erhellt durch Ihn.
4   Gift will ich mit Süße trinken, weil der Schenke reizend ist,
Schmerz will ich mit Willen tragen, weil er Heil erhält durch Ihn.
5   Wenn nicht meine blutge Wunde besser wird, ist's besser so,
Heil der Wund', in die zu jeder Stunde Balsam fällt durch Ihn.
6   Weh und Wohlsein, für den Weisen hat es keinen Unterschied.
Auf sein Wohlsein, Schenke! weil mein Wohlsein mir gefällt durch Ihn.
7   Fürstentum und Bettlertum ist beides einerlei für uns
Weil Anbetung jeden Rücken krümmt vor diesem Zelt durch Ihn.
8   Saadi, wenn das Haus des Lebens der Vernichtung Strom zerbricht,
Halt das Herz fest, denn der Bau der Dauer ist festgestellt durch Ihn.

X.

        1   Nun Rosengeruch und Vogelgesang,
Tage der Lust und Flurengang.
2   Herbst Kämmerer hatte die Blätter gestreut,
Lenz Maler hat nun den Garten erneut.
3   Wir haben nicht Lust in den Garten zu gehn,
Frühling ist überall, wo wir dich sehn.
4   Nach Schönen zu blicken, verpönt ist es traun,
Doch nicht mit solchem Blick wie wir schaun.
5   Der Schöpfung Geheimnis, so klar ist das
In deinem Antlitz wie Wasser und Glas.
6   Um dich mit dem rechten Auge zu sehn,
Möcht' ich des linken verlustig gehn.
7   Welch Herz kein Gepräge vom Siegelstein
Der Lieb annimmt, ist ein Ziegelstein.
8   Mich hat verbrannt mit Haut und Schopf
Das Feuer unter der Sehnsucht Topf.
9   Das Klagen Saadi's ohne Maß,
Sie sagen, wider Vernunft ist das.
10   Der weiß es nicht in welcher Flut
Wir stecken, der draußen am Ufer ruht. 110

XI.

        1   Komm, an Friede, Freundlichkeit und Freundschaft ist die Reihe nun,
Auf Beding daß wir mit Schweigen das Vergangne lassen ruhn.
2   Nicht auf Liebe mehr zu kreisen war mein Vorsatz fest und stät,
Dich erblickt ich und der Einsicht Falkenauge war vernäht.
3   Mich den herzbetrübten tadeln mag ein solcher, der nicht sieht,
Welchen Umfang hat die Liebe und die Schönheit welch' Gebiet.
4   Was kann meine Gier erjagen, gibst den Weg zu dir du nicht?
Schwach ist des Bestrebens Auge, welchem fehlt der Leitung Licht.
5   Süßer ist des teuren Lebens Untergang von deiner Hand
Tausendmal, als aufzusuchen andern Schutzes Unterpfand.
6   Ob ich niemals mich vergangen? wenn du scharf danach willst sehn:
Daß ich ging von deinem Antlitz, übrig g'nug ist das Vergehn.
7   Gegen deinen Sinn zu handeln, kann mir kommen nicht in Sinn;
Wie könnt' ich den Herrn verklagen, dessen Landeskind ich bin?
8   Nicht in einem Körperumriß sieht man soviel Geisteslicht,
Und in einem Koranabschnitt soviel Wunderverse nicht.
9   Ihrem Ende naht die Rede und das Leben seinem Ziel,
Doch der Schildrung deiner Schönheit fehlt an beiden Enden viel.
10   Saadi's Buch der Trennungsklagen war zu keinem Ohr gebracht,
Wo nicht einen Schmerzenseindruck seiner Worte Kraft gemacht.

XII.

        1   Kein Reich auf Erden ist dem Reich der Bettler gleich,
Kein Reichtum ist als wie Zufriedenheit so reich.
2   Wenn irgend einem Mann hier mag ein Rang zukommen,
Der ist's, der keinen Rang bei andern eingenommen.
3   Viel Eigenschaften sind, entsage du der Haft
Der Eigenschaften, nichts ist bessre Eigenschaft.
4   Wer ist der Mann der hier zur wahren Kenntnis kam?
Der ist's der auf der Welt von Niemand Kenntnis nahm.
5   Bekleidet wirst du sehn am Auferstehungsmorgen
wer heute nackend geht und mag ein Kleid nicht borgen.
6   Ein Gras und ein Gewächs mit einer guten Kraft
Ist besser als ein Mensch der keinen Nutzen schafft.
7   Was, Bettler, weißt du denn von dem was gut dir tut?
Freu dich, wenn du nichts hast, gewiß es tut dir gut.
8   Der ist kein Freund, der sich will über'n Freund beklagen,
Nicht eine Blutschuld ist's, wen irgend Lieb erschlagen.
9   Das ist der Weg der Zucht den, Saadi, du gewiesen,
Du findest, wen du hörst, nicht bessern Rat als diesen.

XIII.

      1   Süßer ist kein Lebenslauf als Liebesnot,
Morgenrot Verliebter hat kein Abendrot. 111
2   Die Musik schweigt, aber die Verzückung blieb:
Einen Anfang, doch kein Ende hat die Lieb.
3   Einen unter Tausenden ergreift der Laut,
Denn nicht jeder ist dem Liebesgruß vertraut.
4   Jedem Wunsch der Wünscher ist ein Ziel gesteckt,
Doch das Wunschziel Wissender ist unentdeckt.
5   Nur Bekannte finden sich zu diesem Schmaus,
Zutritt hat der Pöbel nicht im Fürstenhaus.
6   Aloe hat Wohlgeruch nur, wenn sie brennt;
Reife wissen, daß der Rohe dies nicht kennt.
7   Jeder macht sich mit des Liebchens Namen groß,
Aber unser Liebchen nennt sich namenlos.
8   Frage mich nach Liebesrausch, und sei belehrt:
Was weiß einer, der nicht Hefen hat geleert?Hefen leeren: den Becher bis zum Grund austrinken
9   Schlaf zur Unzeit ist's, der dir den Weg versteckt,
Sorg nicht, daß zur Unzeit Morgenruf dich weckt.
10   Saadi, wenn du Götzen brichst, nicht selbst es sei!
Selbdienst ist nicht minder als Abgötterei.

XIV.

        1   Du weißt es, ruhen kann ich
   Nicht ohne dein Gesicht,
Die Last der Trennung trag' ich
   So viele Tage nicht.
2   Von mir wär' ohne Sehnsucht
   Ein Stückchen? welch ein Märchen!
So unnütz ist an meinem
   Leibe kein einzig Härchen.
3   Nach jenem Körnchen tat ich
   Nur einen Blick, nicht mehr;
Ich sah's und fand aus dem Netze
   Den Weg zurück nicht mehr.
4   Nachts will mich oft bedünken,
   Nie woll' es werden Tag
Und seh' ich dich morgens, wünsch ich,
   Daß Abend nie werden mag.
5   Zög' all die Stadt mit Hader
   Und Streiten gegen mich aus,
Was frag' ich nach der Gemeinheit
In der Erwählung Haus?
6   Ich kam nicht aus Heuchelei, um
   Zu gehn aus Verdruß davon,
Ich habe die Pflicht zu dienen
Auch sonder Ehr und Lohn. 112
7   Bei dir von Kopf zu Fuß
   Schwör' ich: mit dir im Bund
Wird mir des Feindes Feindschaft,
   Des Schmähers Schmäh'n nicht kund.
8   Ich liebe dich, ob Huld du
   Mir oder Unhuld tust.
Bei deinen Augen, im Auge
   Hab' ich nicht meine Lust.
9   Du wärst ein mißgeschaff'nes
   Geschöpf, o Saadi, wenn du
Sagtest: ein Herze hab' ich,
   Und kein Herzlieb dazu.

XV.

        1   Ein Herz verliebt und entsagend
   das mag ein Stein wohl sein,
Von Liebe zur Entsagung
   ist mancher Meilenstein.
2   O ihr Brüder der Wallfahrt
   redet mir nur nicht ein,
Denn frommes Werk auf Liebsweg
   ist das Glas und der Stein.
3   Wein und Musik will ich nicht mehr
   verheimlichen im Gemach,
Denn im Liebesglauben
   ist guter Nam' eine Schmach.
4   Auf welche Zucht soll ich hören,
   auf welchen Erspriß soll ich sehn?
Mein Auge steht auf die Schenke,
   mein Ohr aufs Lautengetön.
5   Zum Angedenken von Einem
   ergriff ich beim Gewand
Den Ostwind, was ergab sich?
   Wind hab' ich in der Hand.
6   Meinem im Zorn gegang'nen
   wer bringt ihm von mir den Bescheid?
Komm, weggeworfen hab' ich
   den Schild, wenn du kommst zum Streit.
7   Töte mich wie dir's im Sinn ist,
   denn ohne deine Schau
Ist für mein Dasein enge
   die weite Weltenau. 113
8   Durch Tadel aus Saadi's Herzen
   wird Liebe nicht weggetaut.
Wer wäscht vom Mohr die Schwärzen?des Mohren Schwärze: das Abwaschen der Schwärze des Mohren, bekannt aus dem Alten Testament, ist auch im Persischen sprichwörtlich.
   Sie sind in seiner Haut.

XVI .

        1   Lieb ist mir daß dein Mondgesicht Gebrauch vom Schleier mache,
Damit man wie die Sonne nicht es seh' auf jedem Dache.
2   Wer darf die Fremden schelten? wenn du selber deine Schöne
Erblickst im Spiegel, räumt dein Herz die Brust mit Lustgestöhne.
3   Zum Lachen ist es, wenn vor dir süß reden will ein Schlucker,
Dein Lebenswasser, wo du lachst, entspringt aus deinem Zucker.
4   Dem Morgenseufzer darf ich nicht den freien Gang erlauben,
Er möchte deinem Morgenhauch etwa die Reinheit rauben.
5   Ein Putz ist nimmermehr im Stand dich reizender zu putzen
Und keine Kräuslerin vermag dich schöner aufzustutzen.
6   Oft sagt' ich: zeige dies Gesicht doch nicht an jeder Stelle,
Damit es nicht ein Auge sieht das nicht ist geistig helle.
7   Hinwieder sag' ich: Bild und Sinn, die in dir aufgegangen,
Vermag nur der zu schauen wer die Kunst zu sehn empfangen.
8   Ich lasse jedem Feind zu mir den Weg um deinetwillen,
Damit einmal ein Freund auch kommt und sagt von dir im Stillen.
9   So schwer nicht fallen würd' es mir, wenn ich das Haupt verlöre,
O Zarteste, als daß man ein Haar auf dem Haupt verstöre.
10   Nicht das ist Saadi's Kummer daß er sitz' im Staub der Wege,
Nur daß er sich als Hindernis dir in den Weg nicht lege.

XVII.

        1   Nicht nur auf Erden ist nicht deines Gleichen,
Der Mond am Himmel muß an Glanz dir weichen.
2   Ich gebe nicht dem Wuchse der Zypressen
Mein Herz, sie können sich mit dir nicht messen.
3   Beim Brauenbogen!beim Brauenbogen: Schwur beim schönsten Teil des Gesichts der Geliebten niemand in der Stadt
Ist der nicht deinen Pfeil im Herzen hat.
4   Hinfort wird niemand Menschenherzen fangen
Denn keines blieb das deinem Strick entgangen.
5   Wenn auch du setzen magst auf meinen Platz,
Für dich ist auf der Welt mir kein Ersatz.
6   Gewiß, in solchen Busen seidenweich
Gehört nicht solch ein Herz dem StahleSeide – Stahl: dieser Kontrast (hier: »seidener Busen« und »stahlhartes Herz«) ist in persischen Gedichten häufig zu finden. gleich.
7   Die ganze Welt bewegt zum Liebespiel
Der Name Saadi's, der dir selbst entfiel.

XVIII.

        1   Wen einmal Liebe fing in ihren Stricken,
Der muß in ihre Launen auch sich schicken. 114
2   Wer nie verliebt sich hat, der ward kein Mann,
Das Silber wird nur rein wenn es zerrann.
3   Kein Braver kann der Liebe Gasse nah'n,
Setzt er nicht Irdisches und Ew'ges dran.
4   In dein Gedenken muß ich mich versenken,
So daß ich nicht vermag an mich zu denken.
5   Der Liebe sagt' ich Dank und sag ihr Dank noch heut:
Sie hat mein Herz verbrannt, doch meine Seel' erfreut.
6   Gepriesen sei'st du süße Rednerzunge,
Von der ist all dies bittre Leid im Schwunge.
7   O Saadi, angenehmer als dein Wort
Gibt's für Verständ'ge keinen Lebenshort.

XIX.

        1   Brich ab und räume vom Gepäck das Zelt,
Denn in Bewegung ist der Zug der Welt.
2   Weib, Kind und Freund' und Leut' und Anverwandte
sind Karawanenbrüder, Wegbekannte.
3   Laß nicht dein Herz an der Gesellschaft hangen,
Die weiter geht, wenn du bist weggegangen.
4   Staub sind von Anbeginn die Menschenglieder
Und recht beseh'n am Ende sind sie's wieder
5   Ist's besser nicht, daß Anfangs man ans Ende
Denk, und sich über'n eig'nen Wert nicht blende?
6   So viel verschlang die Erd' und and're leben
Die hochmutvoll das Haupt zum Himmel heben.
7   An einem Grab rief einer aus die Klage:
Sind dies die Erdenfürsten vor'ger Tage?
8   Ich sprach: Brich weg ein Brett vom Haupt der Schläfer
Und sieh ob es sind Fürsten oder Schäfer.
9   Er sprach: Es braucht das Brett nicht weggebrochen
Zu sein; ich weiß, sie sind ein Handvoll Knochen.
10   Der Rat ist bitt're Arzenei; sie wollen
Wie JulebJuleb: Erfrischungsgetränk soll er durch die Gurgel rollen.
11   Nun, solcher Art PurganzPurganz: ein Abführmittel versetzt mit ZuckerDer Rat ist immer bitter, Saadi gibt ihn »verzuckert«, in süße Worte gehüllt.
Beut Saadi's Apotheke jedem Schlucker.

XX.

        1   Reiche, die ein Paradieshaus haben für den Armen,
Sollten auch zu jeder Stunde seiner sich erbarmen.
2   Doch du bist ein Schönheitreicher, Armer, unbedürftig,
Fragst nicht ob sie sind verwundet, siechtumunterwürfig.
3   Was bekümmert dich, ob Kummer einen mag verzehren,
Da, jemehr du tötest, deine Freunde stets sich mehren?
4   Bin ich um der Krankheit willen von dir ein Verbannter?
Ist ein treuer Freund doch besser als ein Anverwandter.
5   Deren Mut veracht' ich, die auf's Spiel ihr Haupt und Hemd
Setzen und dem Freund zu Liebe sind sich selber Fremde. 115
5   Eine süße Lippe gibt natürlich bitt're Reden,
Wer der Schönheit Waffen führet braucht sie zum Befehden.
6   Hast du keinen resoluten Liebenden gesehen,
Der gesenkten Haupts das Schwert sich über's Haupt läßt gehen?
7   Saadi, nicht wie ich und du, voll Gierd' und kurz von Arme,
Sondern aller Welt entsagend ist der wahre Arme.

XXI.

        1   Die Nachtigall ist trunken,
    und Knospen trägt das Reis,
Die Welt ist jung geworden
    und Freunde sitzen im Kreis.
2   Der Liebling unsrer Gesellschaft
    hat immer Herzen geraubt,
Doch heut tut ers besonders
    da er geschmückt sein Haupt.
3   Wer erst aus Buße die Laute
    im RamadanRamadan: 9. Monat des arabischen Jahres und Fastenmonat der Mohammedaner zerbrach,
Hat nun Rosen gerochen
    und Buße gebrochen danach.
4   Zerstampft vom Fußtritt der Lust ist
    der Rosenteppich ganz
Weil Geistlicher und Laie
    soviel gesprungen im Tanz.
5   Den Wert der geselligen Stunde
    kennen zwei Freund' allein,
Die lang geschieden waren
    und neu sind im Verein.
6   Nun geht aus unserm Kloster
    kein Nüchterner hinaus
Dem Vogt zu sagen, daß trunken
    die Sofis sind beim Schmaus.
7   Wird mir die Welt zu Feinden,
    wenn nur der Freund mich hält,
So frag' ich nicht nach ihnen,
    ob sie sind auf der Welt.
8   In Mitten unsres Hauses
    da steht ein Rosenbaum,
Vor dessen Wuchs ist niedrig
    die Zypress' im Gartenraum.
9   Einer sprach zur Zypresse:
    Bringst du mir Früchte zu Stand?
Sie gab zur Antwort: Freie
    kommen mit leerer Hand. 116
10   Auf dem Weg des Verstandes
    gehen, o Saadi, viel,
Weil sie den Weg nicht wissen
    zu der Torheit Asyl.

XXII.

        1   Soviel ist die Welt nicht wert um sich darum zu neiden
Oder um ihr Sein und Nichtsein töricht Gram zu leiden.
2   Denen, die da gar nicht sehn nach diesen Erdenschollen,
Ist wohl einzuräumen daß sie sind die einsichtsvollen.
3   Was ein Weiser sieht daß es will fallen übern Haufen,
Wär es auch die ganze Welt, er wird für nichts es kaufen.
4   Dieses ist ein Haus, das brechen muß in Schutt und Grause,
Glücklich wer sich umgetan nach einem andren Hause.
5   Hörtest du von einem, dem die Welt blieb treu zum Ziele?
Vor den Augen steht die Wahrheit, aber blind sind viele.
6   Daß du nicht dich brüsten mögest und dich stolz gebärden!
Deiner Art hat Gott in seiner Habe viele Herden.
7   Du jetzt auf dem Schoß der Erde, dir nicht fiel zum Lose
Alle Zeit; manch andre harren schon im Mutterschoße.
8   Alle Tage trägt ein Schaf weg dieser Wolf voll Luge,
Doch nach ihm begierig blicken immer Schaf unkluge.
9   Der aus Hochmut seinen Schritt nicht ließ zum Boden gleiten
Ist nun Staub am Boden, über den die andren schreiten.
10   Möchten sie den Wert der Augenblicke nur erkennen,
Um die wen'gen zu benutzen, die vom Grab sie trennen.
11   Rosen ohne Dornen sind dem Garten nicht gegeben,
Dieser Welt dornlose Rosen sind, die schuldlos leben.
12   Saadi, guter Name wird die Welt ins Grab nicht legen;
Tot ist jener, dessen Name man nicht nennt mit Segen.

XXIII.

        1   Treib nicht Mutwill, Holder, denn du stehst vor Einsichtsvollen,
Rechts und links Fremd' und Bekannte die dich sehen wollen.
2   Keiner ist, der nicht mit einem Blick dich möcht' erspähn,
Und ich auch geh damit um, womit sie all umgehen.
3   Augen haben jene Leute, die mit Lust einsaugen
Deiner Wangen Licht, die andern haben keine Augen.
4   Manche haben Sorg' um drüben, manche Sorg' um hüben,
Doch nach dir ist eitel jede Sorge die wir üben.
5   Schenk, den Krug vom Keller, gib dem Derwisch, daß er klüger
Werd' im Leben, denn die Toten werden Ton für Krüger.
6   Wer nicht deinen Blick genossen, was hat der genossen?
Ich bedaure die dahin gehn sorglos und verdrossen.
7   Nun, wohin wirst du dich neigen, Lust zu wem bezeigen?
Ringsum steht ein Haufen mit erwartungsvollem Schweigen.
8   Die bei deinem Anblick jetzt nicht tanzen vor Entzücken,
Reißen, wenn du weggegangen, einst ihr Kleid in Stücken. 117
9   Saadi, wegen Unbill kann man nicht der Lieb entsagen,
Laß vorm Tor uns sitzen, wenn sie aus dem Haus uns jagen.
10   Meine Sterne gaben mirs zu, es vor dir zu klagen,
In der Ferne bet' ich für dich, doch wer wird dirs sagen?

XXIV.

        1   Die Rosenzweige haben
    den Schmuck nun angelegt,
Und haben die Nachtigallen
    zum Singen aufgeregt.
2   Bring das Zelt in den Garten
    wo vom Kämmerer Wind
Ausgebreitet am Boden
    die seidnen Teppiche sind.
3   Die ungenierten Schenken
    sie laufen her und hin,
Den Gästen, die sie tränken,
    nehmen sie Herz und Sinn.
4   Ich schluckte nur eine Neige
    und meine Besinnung zerrann;
Was haben sie für Taumel
    wohl in den Wein getan?
5   Ich ward von einem Trunke
    so außer mich geruckt;
Wie haben nur die andern
    so viel Becher geschluckt?
6   Auf brennende fiel das Feuer
    und sie vebrannten noch mehr,
Die frostigen Naturen
    blieben kalt wie vorher.
7   Was ist das Leben? sterben
    in des Geliebten Schoß,
Nur gestorbene Herzen
    hat dieser lebende Troß
8   Solang' die Welt gestanden
    ward mißhandelt im Zorn
Der Kämmerer der Rose
    vom Waffenträger Dorn.
9   Für Erschlagene sehen
    die Leute Verliebte nur an;
Laß dir von Saadi sagen:
    Sie haben ihr Heil empfahn.

XXV.

        1   Nicht in allen Lebenden
    ist menschlicher Verstand,
Manche Menschen in der Welt
    sind das Bild an der Wand.
2   Schwarzsilber übergoldetes, zum Tiegel der Schmelze gebracht
Wird anders daraus hervorgehn, als die Leute gedacht.
3   Mancher, welchem deine Schätzung
    kleinen Wert verleiht,
Hat in einsichtvollen Augen
    große Würdigkeit.
4   Die Grabgenossen haben
    der Rede Zunge nicht,
Doch höre, wie vernehmlich
    ihr Ruf zu jedem spricht!:
5   »Gib Acht und geh nicht so gewaltsam stolz einher,
Denn hier liegen unterm Boden deines gleichen mehr.«
6   Die Reihe des Besitzens kommt
    in kurzer Zeitfrist allen,
Dies überlassen Folgenden
    und selbst vorüberwallen.
7   Hoffe nicht, daß satt von Welt das Haupt der Gier und Lust
Jemals werde, bis aufs Haupt gestreut ist Erdendust.
8   Böses wünschen will ich nicht den Bösen, denn gefangen
Sind die Armen selbst von ihrem bösen Herzverlangen.
9   Beim Leben lebendiger Herzen! Weltherrschaft ist nicht wert
O Saadi, daß deswegen Kränkung ein Herz erfährt.

XXVI.

        1   Das ist nicht Beding der Liebe daß vor Ungemach entfliehn
Die vom Willen fest Ergriffnen, und der Kränkung sich entziehn.
2   Hoffende, wenn sie die Hand des Suchens von des Freunds Gewand
Zögen ab, an welchem andren wär' ein Halt für ihre Hand.
3   Magst du dein Gesicht verhüllen, anders ist es nicht verliehn
Denen die im Geiste schauen, von dir ab den Blick zu ziehn.
4   Nimm dem SufiSofi oder Sufi: (von »Sof«, d. h. »wollene Kutte«) ein dem beschaulichen Leben Geweihter. Das Streben des Sufis geht dahin, sich über die äußeren Formen der Religion zu erheben, sich mystisch in die Tiefen der Gottheit zu versenken, sich von den Fesseln des irdischen Daseins zu befreien und zur Einheit mit Gott zu gelangen. Zu den Sufis gehören vorzugsweise die Derwische (d. i. gleich dem arab. Fakir ein nach Gottes Gnade strebender, weltentsagender Frommer). sein Gewand, den Becher gib ihm in die Hand.
Trunkenheit und guter Leumund halten nicht zusammen Stand.
5   Suche Freundes Wohlgefallen und gib andern den Bescheid:
Tausend Widerwärtigkeiten die ihr stiftet sind kein Leid.
6   Wenn mit dir, der du das Ziel bist, ich den Frieden hab' erstrebt
Ist mir's recht, wenn alle Welt sich gegen mich zum Kampf erhebt.
7   Wenn den Untergang von Saadi deiner Scheidung Schwert verhängt,
Auf dem Blut steht keine Sühne das des Freundes Hand versprengt.
8   Unser Weg ist Unterwerfung auf der Gnade Schwelle hier,
Denn dich kann man nicht entbehren, daß man könnte trotzen dir. 119

XXVII.

        1   Wenn an einem Knechte Gott nicht selbst hat Wohlgefallen,
Wird nicht helfen Fürsprach ihm von den Propheten allen.
2   Der Beschluß Es werd und ward ist Gottes Machtgenügen
Und es ist kein Wort zu diesem Wort hinzuzufügen.
3   Nicht zufällig war der Rost in Pharaones Herzen,
Da der weißen Hand Glättstein nicht wischte weg die Schwärzen.
4   Den Unsel'gen rief man und gab ihm nicht Weg zum gehen,
Band das Aug ihm und befahl dem Elenden zu sehen.
5   Der zur Höll' erkorne mag mit Talke sich bestreichen,
Wie Naphthabestrich'nes Holz wird ihn die Glut erweichen.
6   Vorbestimmt ist welch ein Handeln jedem wird entspringen,
Weder Dattelfrucht noch Pfirs'che wird der Giftbaum bringen.
7   Häßliches kann nicht die Kunst der Kräuslerin erfrischen
Sowie man aus schönem Antlitz nicht den Reiz kann wischen.
8   Wird des Mohren Schwärzedas Abwaschen der Schwärze des Mohren, bekannt aus dem Alten Testament, ist auch im Persischen sprichwörtlich. jemals weiß durch Wasserfluten?
Wird des Griechen Weiße jemals schwarz durch Feuergluten?
9   Saadi, nimm kein Heil in Anspruch das nicht sein hat sollen,
Denn wo man nicht hat gesät, kann man nicht ernten wollen.
10   Was geschehn soll steht geschrieben; magst du's aufgenommen
Willig haben, oder nicht, was kommen soll wird kommen.

XXVIII.

        1   Die mit ZypressenwuchseZypresse: häufig gebrauchte Metapher für die Geliebte, die Zypresse (im Gegensatz zu anderen Metaphern wie Zeder oder Pinie) hat mythologischen Sinn. In ihren schwankenden Bewegungen sieht der Liebende nur den anmutsvollen Gang und den Wuchs seiner Geliebten. Oft schattet die Zypresse auf Gräbern als Denkmal der Abgeschiedenen. Wie die Lilie gilt sie als Symbol der Freiheit, weil sie keinen ihrer Zweige zum Boden senkt, sondern alle himmelswärts kehrt, indem sie einen einzigen kegelförmigen Stamm darstellt. will zu Felde gehn;
Sieh an den Gang, wie lieblich ist er anzusehn.
2   In welchem Lusthain wird die Lust verdoppelt sein,
Wenn im Gefolg' der Scherze sie betritt den Hain?
3   Sie geht, und jeder tote Stein auf ihrem Pfad
Ruft lebenatmend: ein Messiasodem naht.
4   Das Steinherz würde nicht so unbefangen gehn,
Wenn sie das ahnte, was durch sie mir ist geschehn.
5   Sagt jedem, der ein Herz hat: nimm das Aug' in Acht!
Denn die PeriPeri: die weiblichen Genien der alten pers. Religionslehre, die der Koran nicht erwähnt und die Huri an ihre Stelle setzt. Von den Dichtern werden sie dennoch als luftige, zarte Schönheiten, die die Regionen der Luft bewohnen, geehrt. In Europa den »Fairies« oder Feen vergleichbar. die blendendeDie »blendende« Peri: der Anblick der Peri macht blind. geht auf die Jagd.
6   Was immer in der Stadt von Mann und Weib sie fand,
Dem hat sie's Herz genommen und geht nun auf's Land.
7   Die Sonn' und die Zypresse sind von Neid erregt,
Weil jene Sonne sich zypressengleich bewegt.
8   Saadi, du hingst dein Herz an sie, und sah'st es gehn
Ja auch dein Leben wirst du nach ihm wandern sehn.

XXIX.

        1   Wer dein Gesicht gesehen hat, mag meinen Zustand fassen;
Denn wer das Herz eingeräumt, vermag nicht sich zu fassen.
2   Wessen Augen ward ein Blick auf solchen Glanz zu Teil,
Der schenkt dir die Seel' und rufet deinem Leben Heil.
3   Wenn der Gärtner dich zur Hand nimmt, o Zypress', an Quellen
Soll er nicht, an Augenströme soll er hin dich stellen. 120
3   wie manchen Tag bracht' ich zur Nacht damit hin, um zu nähren
Den Traum, einst eine Nacht mit dir zum Tage zu verkehren.
4   Mit Müh und Kunst hab' ich die Nacht der Trennung hingebracht
Zum Tag und seh' ich dann dich nicht, so ist der Tag mir Nacht.
5   Willkür ziemt deiner Sultanschaft; doch das sei nicht gestattet
Von da daß, wenn der Reiter trabt, der Gänger sink' ermattet.
6   Verhüllen magst du dein Gesicht, wonicht, so wird mit Willen
Gewiß kein Mensch, der Augen hat, die Augen sich verhüllen.
7   Heb' mich mit des Mitleids Hand vom Staub am Boden auf,
Denn wenn du mich von dir wirfst, nimmt niemand mich in Kauf.
8   Was bedarf es Schwertes, Liebendem den Tod zu geben?
Gib ihm einen Gruß vom Freund, und er verstreut sein Leben.
10   Ein Gruß an Herzbegabte sei das Wort, denn nicht für jeden
Dem sie zu Ohren kommen, sind verständlich Saasi's Reden.

XXX.

        1   Notwendig, wer ein schönes Gesicht hat so wie du,
Wer da vorbeigeht wendet sich jedes Aug ihm zu.
2   Nimm du nur auch o Rose, in Acht die Nachtigall,
Denn da wo Farb und Duft ist, da ist auch Hall und Schall.
3   Dein Mund an meinem Munde, der Wunsch ist mir genug,
Sei's wenn nach tausend Jahren ward meine Asch' ein Krug.
4   Es mag ein reines Antlitz in jeder Stadt wohl sein,
Doch reiner Saum wie deiner und reine Sinnart? nein.
5   Du trägst den Ball der Schönheit in deiner Zeit davon.
Weh dem, der gleich dem Balle dem Schlägel nie entflohn!
6   O Schad um solche Locken! gibst du sie nimmer frei?
Erlaube daß umduftet dir Schoß und Busen sei.
7   Ich denke, wer zu hängen an dich nicht hat ein Herz,
Der ist kein Mensch, ein Bildnis ist er von Stein und Erz.
8   Herauf aus Saadi's Herzen dringt nicht der Seufzerhauch
Wie eines Mannes Winseln in eines Brunnen Bauch.

XXXI.

        1   Noch mit keinem ist's gekommen, wie mit mir, zu solchem Ziel.
Soll ich's sagen: hingeworfen hab' ich meine Zeit im Spiel.
2   Für mich ist kein Anhalt in der Stunde, wann die Stunde naht,
Als daß Gnade der mir schenke, der geschenkt das Leben hat.
3   Manchen Vorwurf wird die schwache Seele dulden jenen Tag,
Die dem Frevel unenthaltsamer Begierden unterlag.
4   Einmal sag' ich: wäre doch kein Tag der Auferstehung gar,
Daß die Bösen nicht beschämet wurden von der guten Schar.
5   Wieder sag' ich dann: verzweifeln darf ich nicht an seiner Huld,
Hunderttausend meinesgleichen kann sie tilgen wohl die Schuld.
6   Meine Freunde sagen: Buße mußt du um die Sünde tun,
Doch die Buße die ich tue wird auf schwachem Grunde ruhn.
7   Meines Rates Auge siehet nicht vor Finsternis die Welt,
Schuldvergeber, deiner Leitung Fackel sei vor mit erhellt. 121
8   Ich dem nun den Kopf zu heben nicht der Sünde Scham erlaubt,
Heb' ihn bis zum höchsten Himmel, wenn du sagst erheb' das Haupt!
9   Ob mein Ungehorsam überschritten habe Grenz und Maß;
Was ich bin, allein in Hoffnung deiner Gnade bin ich das.
10   Herr, was kann von Saadi dargebracht dir wohlgefäll'ges sein?
Wollest Kraft mir schenken oder meine Unkraft mir verzeihn!

XXXII.

        1   Einerlei ist ob er liegt auf Seide weich, auf Dornen scharf,
Wenn im Arme der Verliebte nicht sein Liebstes halten darf.
2   Mag es sein daß von des Liebsten Blicke fern ein andrer ruht,
Aber mir ist es unmöglich still zu liegen auf der Glut.
3   Bist du meiner unbekümmert, not ist deine Hilfe mir,
Bist du meiner unbedürftig, meine Hoffnung steht auf dir.
4   O der du mit Liebe pflegest deiner Grottenfreunde Chor,
Ich bin Hund der Kluftgesellen vor der Grottenfreunde Tor.
5   Auf mir hab' ich solche Last und schreite rüstig immerdar,
Munter unter seiner Last geht ein berauschter Dromedar.
6   Sieh, der Schild ist weggeworfen, vorgebeugt der Nacken schon,
Ob du tötest, du bist Meister, oder ob du gibst Pardon.
7   Triffst du mit dem Schwert der Kränkung, in dem Schlag ist Ruh' bereit,
Machest du die Miene herbe, süß ist deine Bitterkeit.
8   Saadi, wenn der Liebe Brandmal dir ist sichtbar ausgedrückt,
Solches ist des Sklaven Stolz, daß ihn des Herren Brandmal schmückt.

XXXIII.

        1   Jedes Laub am Baum
    ist dem Blick des Weisen
Eines Buches Blatt
    Gottes Macht zu preisen.
2   Nun ist Frühling, auf!
    laßt uns gehn und wandeln;
Niemand weiß, wie lang
    uns die Stunden kreisen.
3   Eine Nacht einmal
    hast du mir versprochen
Und die Nächte gehn
    und die Tage reisen.
4   Dunkel blieb vom Blitz,
    Staub zurück vom Reiter;
Jugend ging und weiß
    Blieb das Haar des Greisen. 122

XXXIV.

        1   Der Weise der Enthaltsamkeit schlug ein den Weg zur Schenke,
Des Lebens Barertrag gab er für eines Tags Getränke.
2   Der du auf guten Namen hältst, gib Acht, dein Fuß stößt an den Stein!
Zieh dein verstecktes Glas hervor, und laß uns offen trinken Wein.
3   Wenn wir zur Auferstehung gehn ohn' aller Werke Sack und Pack,
Ist's besser als daß wir bestehn in Scham wenn man macht auf den Sack.
4   Denn all derlei Gepräng und Pracht wie Münzen sind verschlagen
Mit übersilbertem Gesicht, die nicht den Stempel tragen.
5   Wenn jeder darbringt frommen Dienst zum Richterstuhl der Erbarmung.
Was bringen wir als Kapital? Bekenntnis der Verarmung.
6   Fällt alle Welt her über uns mit ihrer Schelte brausend;
Der dessen Herz beim Einen ist, was kümmern ihn die tausend?
7   O Saadi, ob ein gutes Werk dir nicht sei anzuschreiben,
Zu deinem Angedenken wird ein guter Name bleiben.

XXXV.

        1   Die Lieb entzieht sich nicht der Pein:
Dorn und Rose, Kopfweh und Wein.
2   Ich glaube fest, ein herbes Wort
Ist süß von der Zuckerlippe dort,
3   An keinen andern wend' ich mich,
Dich ruf' ich um Hilf' an gegen dich.
4   Ich schelte dich nicht daß du lachst
Wenn du vor Kummer mich weinen machst.
5   Der Garten ohne Zweifel lacht
Wenn die Wolke weint in der Frühlingsnacht.
6   Du gehst und merkst nicht wie voll Wehn
Dir nach die Herzen und Augen gehn.
7   Wenn einst dir zu Füßen ich sterben soll,
Bin ich nicht leid- und sorgenvoll.
8   Nur möcht' ich Leben wieder erwerben
Um noch einmal vor dir zu sterben.
9   Ich sprach: wie ein Stein will ich sitzen stumm
Das Antlitz gewendet zur Wand hin um.
10   Ich weiß es wird mir nicht möglich sein,
Zur Rede bringst du einen Stein.
11   Saadi geht nicht davon vor den Wehn,
Wo soll ein Gefangner im Block hingehn?

XXXVI.

        1   O Nacht gesegnet, Tag zwiefach gesegnet
Wo mir im Siegesglanz das Glück begegnet!
2   Nun, Pauker, schlag zwiefach Freudenschlag!zwiefachen Freudenschlag: drei oder fünf Paukenmusiken des Tages vor dem Fürstenpalast; hier die erste des Tages doppelt für das Doppelfest (vgl. die nächste Anm.)
Denn gestern WeihnachtWeihnacht: freie Übertragung des pers. »lailat ul-Qadr«. Die Qadr-Nacht ist die Nacht der ersten Offenbarung des Korans, meist am 27. Ramadan gefeiert. Das persische Neujahr (Nauruz) ist am 20. März. Im Jahr 1243 n. Chr. fielen die beiden Feste zusammen (der Ramadan 640 d. H. begann am 22. Febr. 1243 n. Chr.). Das Gedicht hat Saadi entweder in diesem Jahr geschrieben oder aber es liegt nur ein Topos für ›übergroßes Glück‹ vor., heut' ist Frühlingstag. 123
3   Mond und Engel? Kind von Adam stammend,
Bist du es oder Sonne Weltentflammend?
4   Weißt du nicht, Gegner lauern im Versteck?
Zum Trotz den Bösen tu dein Gutes keck.
5   O Feind, die Liebe schenkt Erhöhung, schließe
Nur fest die Augen, daß dich's nicht verdrieße.
6   Wohl weiß ich Nächte, wo im Trennungsband
Ich mit den Seufzern schürte Weltenbrand.
7   Doch aus dem Dunkel jener Nächte stammen
Auch diese Gluten, die mein Wort durchflammen.
8   Und wenn nicht wäre jener Nächt' Entsetzen,
So wüßte Saadi nicht dies Heut zu schätzen.

XXXVII.

        1   Zur Unzeit hat in dieser Nacht gekrähet wohl der Hahn,
Weil noch Verliebte nicht genug an Kuß und Druck getan.
2   Umspielt von dunklen Locken ist des Liebchens Busen rein,
Wie von des SchlägelsSchlägel: eine Allegorie in der pers. Poesie für unglückliche Liebe. Die Geliebte (der Schlägel) gibt sich mit dem Liebenden spielend ab. Der Liebende (der Ball) ist immer bereit, sich nach Belieben des Schlägels »schlägeln« und herumkugeln zu lassen. Ebenholz des Balles Elfenbein.
3   In dieser Nacht, wo Schlummer selbst des Unheils Aug beschleicht,
Gib Acht! sei wach, daß ungenützt das Leben nicht verstreicht
4   Bevor du hörst von der Moschee AdinaAdina: Freitag; Moschee Adina: Freitags- oder Hauptmoschee Morgenhall
Oder vom Tor des Schlosses des AtabegAtabeg: Titel der Herrscher Persiens (Provinz Fars) Paukenschall.
5   Wie töricht wär' es, wenn den Mund du hättest weggetan
Vom hahnenaugenroten Mund, weil kräht ein dummer Hahn!

XXXVIII.

        1   Der Frühling kam, nun sing im Strauch
    o Nachtigall, mit süßem Hauch
Und bist du gefangen in Trauer
    wie ich, so sing im Bauer!
2   Alle nehmen Liebchen sich
    unminniglich und minniglich,
Ein andrer Tag ein andrer Sinn,
    indeß ich stets beim einen bin.
3   Wie der Zuckerhändler mit der Flieg
    im Kriege liege,
Zur Hand hat er den Wedel noch
    und wieder kommt die Fliege.
5   Was hilft mir nun der weise Rat,
    da mich das Band umschlungen hat?
Wenn ich einmal den Käfig brach,
    will ich mich hüten hintenach.
6   Kaum daß ich zu wem mich setze,
    hab' ich ihn vergessen' auch;
Wie der Morgen ohne Sonne
    hab' ich keinen Lebenshauch: 124
7   Ob ein Freund mag zu mir kommen
    oder ein feindlich Schwert über's Haupt,
Ich bin bei einem, der zu denken
    an anderes mir nicht erlaubt.
8   Ich bin ein geplünderter Wandersmann,
    Wer will der falle mich nur an,
Der Sänger ließ mir nicht soviel
    daß mir's die Scharwach' nehmen kann.
9   Willst du, so gib mir guten Rat,
    willst du, so leg mir Ketten an!
Der Tolle legt den Kopf erst ab,
    dann aus dem Kopf den tollen Wahn.
10   Saadi's Hilfeschrei warfest du
    in die Welt, o Seelenruh.
Statt ihn zu bringen zu Hilfeschrei,
    spring ihm einmal mit Hilfe bei! 125

 


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