Saadi
Aus Saadi's Diwan
Saadi

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Aus dem Buche der Oden und Hymnen

I.

        1   Seht, Saadi, aufrecht ging er weg und kommt gebückt nun wieder.
Der Mufti der Verliebten Zunft, was will er hier tun wieder?
2   Glaub nicht, daß die Verwirrung er geräumt hat aus dem Haupte,
Daß Irresein und Trunkenheit Besinnung ihm erlaubte.
3   Das außer sich geratne Herz und das Gemüt im Brause
Sind noch auf Reisen außerwärts, und nur der Leib zu Hause.
4   Er reiste Jahrlang, ob Verstand und Ruh er etwa lerne,
Was lernt er denn? verstörter als er war, kehrt er von ferne.
5   Seht den Verstand! vorm Gießbach hier wollt' er sein Herz bewahren.
Durchzog die Welt, und kehrt zurück zum Wirbel der Gefahren.
6   Du siehst daraus, im Herzen stand ihm fest der Punkt der Mitte,
Daß er sich wie der Zirkel schwang und heimbog seine Schritte.
7   Ach wie er nach dem Anblick sich der teuren Freunde sehnte,
Daß von der Leber angebrannt des Lebens Flut er wähnte!
8   Die Liebesrose satt vom Tau wächst nur auf Schiras Auen,
Drum ist der Sänger Nachtigall nun wieder hier zu schauen.
9   Zurückgekehrt von Syrien nach Schiras kam er so
Wie ChosroChosru: Chosru Parwis war der letzte große Kaiser der Perser. Die Geschichte seiner Regierung steigerte man ins Fabelhafte und Wunderbare. Thema in Nizami's (gest. 1191 n. Chr.) romantischem Epos »Chosru und Schirin« ist die Verbreitung des Geheimnisses: »man darf lieben, aber den Namen nicht verraten, sonst büßt man mit dem Tode«. Zu Chosru's schöner Gemahlin Schirin verzehrte sich der geniale Bildhauer Ferhad in hoffnungsloser Liebe. Ferhad hatte, um sie zu gewinnen, einen Milchstrom (pers. schirin = milchig, süß) durch einen Felsen geleitet. Er gab sich auf die falsche Nachricht vom Tode der Angebeteten den Tod mit seiner eigenen Axt.
    Die schöne Sage vom Ursprung des Granatapfels hat sich erhalten: aus dem Blute Ferhad's entsprungen, da das Beil, mit dem er sich getötet, im Sturze auf der Erde stecken blieb, wurzelte und Früchte trug »mit gespaltetem Busen und blutendem Herzen«.
, der vom Zuckerfeld zur süßen Schirin floh.
10   Ein Wunder, daß einmal ein Herz hat einen Wunsch erreicht,
Hat das feindsel'ge Schicksal sich vom Grimm bekehrt vielleicht?
11   Nun soll des Geist's jungfraulich Kind nicht in verwaistem Gram
Bedrückung Fremder dulden, da zurück der Vater kam.
12   Doch was sind ein Paar Muscheln wert, die er im Säckel trägt,
Nun gar wo er zum Meere kam, das tausend Perlen hegt?
13   Wohlhabe zu erwerben, war ihm nicht vergönnt vom Glück,
Als Bettler kommt er zu der Tür Wohlhabender zurück.

II.

    1   Nimm an, o Herz, du habest nun die Welt nach Wunsch gesehn
Gesehn wie Noah tausend Jahr in Ruhe dir vergehn;
2   Du habest Park und Gärten angelegt in dieser Zeit
Und Schloß und Hallen aufgeführt bis in den Himmel weit;
3   Und jedes Gut und jeder Schatz, den SchaheSchahe: hier: Fürsten (pers. Schah = »König«, Machthaber, Schahinschah = »König der Könige«). je gehegt,
Es sei dies Gut und dieser Schatz in deine Hand gelegt;
4   Mit guten Freunden säßest du in traulichem Verein,
Mit liebenden Genossen um zu trinken klaren Wein;
5   Aus China jeder Teppich, aus BolgarBolgar: das Gebiet der Wolgabulgaren in Rußland und Griechenland
Den Teppich kauftest du um Gold und Silber deiner Hand;
6   Und jede Lust, die in der Welt ist, habest du geschmeckt
Und jede Wonne, die es gibt, von Grund aus eingeleckt;
7   Den Klang der Saiten hoch und tief, der Laut und Flaute Ton,
Das Summen, das du hörst, nimm an, du hörtest es schon;
8   Und so viel tausend Musselin und Taft und Pelzwerk auch,
Du habest fein es angelegt und dann zerrissen auch;
9   Du seiest wie die Spinne selbst, der Fliege gleich die Welt
Und wie die Spinne habest du mit Netz die Flieg umstellt; 104
10   Am letzten Tag was wird es dir als Ach und Herzweh tragen?
Nimm an, du werdest hundertmal die Hand mit Zähnen nagen.
11   Auch du, o Saadi, weil du noch bist in des Käfigs Bann,
Daß einst der Käfig brach und fort sein Vogel flog, nimm an!

III.

        1   Morgens kam zum Frühlingsfeste mir der Wind von Ostens Rand,
Über Gottes Schöpferkünste staunte Sinn mir und Verstand.
2   In der Frühe wollt ich gehn ins Feld mit Schönen jugendlich,
Einer sprach: Du bist gealtert, setze zu den Weisen dich.
3   Doch ich sprach: Leichtsinn'ger, siehst du nicht den Berg in Würde groß,
Der wie zarte Knaben hält Jasmin und ArguwanArguwan: der persische Holunder, der sich, bevor er Blätter treibt, mit purpurroten Blüten bedeckt im Schoß?
4   Blütenlaubgezweiges Mantel hat er über'n Arm gedeckt,
Unterm Mantel er Früchte wie vor Sonn' und Mond versteckt,
5   Sieh, ein Morgenwind zerstreuet Rosenblätter frisch und jung,
Die Zerstreuung dient der Flurstirn des Bassins zur Kräuselung.
6   Aus der Knospe kam die Baumblüt' im einfachen weißen Kleid,
Moschusweide tat den Pelz ab bis zur nächsten Winterzeit.
7   Ist das Hauch von Schiras Augen oder Moschus von ChotenChoten: Reich zwischen China und Turkestan (Türkenland, die asiatische Tartarei). Der Nabel des chotenschen Rindes gibt den besten Moschus?
Oder läßt ein Huldbild seiner Locken Duft im Winde wehn?
8   Sehen mußt du, wie vom Schlummer früh sich hebt sein Augenstrahl,
Wenn du noch nicht Babels Zauber sahst in Chinas Bildersaal.
9   Wenn du bist verliebt, wie Saadi, lege männlich hin dein Haupt,
Denn mit solchem Liebchen ist nur solches Liebesspiel erlaubt. 105

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