Saadi
Aus Saadi's Diwan
Saadi

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XXXIX.
An einen gestürzten Frevler.

        1   O Füchslein, warum bliebest
    du nicht in deinem Bau?
Du machtest die Faust einem Löwen,
    nun schmecktest du seine Klau'.
2   Ein Feind gönnt einem Feinde
    so bösen Schaden nicht
Als selbst sich antut mit Willen
    ein unvernünftiger Wicht.
3   Was über fremde Hände
    darf sich beklagen ein Knab',
Der mit eigenen Händen
    den Backenstreich sich gab?
4   Welch Leid ists, das vom Frevel
    des Vogts der Dieb erträgt,
Dessen eigener Frevel
    ihm ab den Nacken schlägt?
5   Des Sultans Purpurteppich
    färbt man mit deinem Blut;
Was hast du, Tor, nicht auf deiner
    Binsenmatte geruht?
6   Zwei Augen mit einander
    im Kopfe, die nicht sehn,
Sind besser als solch ein Auge,
    das nicht sieht sein Versehn,
7   Ein Weg ist und Gruben am Wege,
    eine Sonn' und ein Auge das sieht,
Damit ein Mensch achthabe,
    wohin mit dem Fuß er tritt.
8   So viel Vorleuchter hat er
    und geht den falschen Weg.
Laß ihn gehn, daß er falle,
    und bleib in deinem Geheg!
9   Doch andern sage: der Frevler
    fiel in die Grube hinein,
Damit sie nicht Gruben graben
    zu eigenem Ungedeihn.
10   Wer gern den Worten Saadi's
    sein Ohr hat aufgetan,
Sucht Gottes Wohlgefallen
    zuerst und sein eigenes dann. 126

XL.

        1   Niemand hat an wem gesehn
    solcher Huld und Anmut Strahl,
Niemand sieht dich der dich nicht
    möchte sehn das zweitemal.
2   Unser Sänger o wie süß
    weiß er um Schmerz zu klagen!
Ein verliebter Vogel versteht
    herzenrührend zu schlagen.
3   Oft kommt mir in Sinn, der Liebe
    Kummer zu verdecken,
Das Kristallglas kann doch sein
    Geheimnis nicht verstecken.
4   Der beschwingte Vogel wenn
    im Käfig er gealtet,
Kann doch nicht vergessen daß
    er Schwingen einst entfaltet.
5   Was denn tat ich abermalig
    daß des Freundes süßer Mund
Nicht zur Rede, noch sein Auge
    aufgeht aus dem stolzen Grund?
7   Meer des Grams, in dem ich sinke,
    diesen Hauch noch hab ich bloß,
Endlich nun du mich getötet,
    laß mich ruh'n in deinem Schoß!
8   Saadi's Blut verdient nicht daß
    sich deine Hand beflecke,
Wert' daß sie der Falke fange
    ist nicht die Heuschrecke.

XLI.

        1   Besser heimlich sünd'gen als mit Frömmigkeit sich brüsten;
Wenn du Gott willst dienen, kannst du dienen nicht den Lüsten.
2   Nicht mit Stolz und Eigendünkel blick auf diese Menge!
Möglich ists daß Gottesknechte sind in dem Gedränge.
3   Auch in deiner Zeit noch gibt es Könige der Ehren,
Die die Reiche dieser Welt für Totenstab erklären.
4   Kurzer Blick der Ungeweihten faßt nicht ihre Helle,
Wie der Fledermaus Gesicht ist vor dem Sonnenquelle.
5   Edeltaten üben sie, und geizen nicht nach Danke;
Streiche dulden sie und richten sich nicht auf zum Zanke.
6   Von dem Kochherd eines Filzes fliehn sie gleich dem Rauche,
Machen nicht die Hand zum Löffel, der in Schüsseln tauche. 127
7   Leer von Liebe dieser Welt und jener die Gemüter;
Denn des Freundes kann man denken oder zählen Güter.
8   Glaubenshelden rüsten stille Tat, nicht laute Mähre;
Denn das Mohnhaupt klappert wegen seines Innern Leere.
9   Das ist des gesegneten Verständ'gen vollster Segen
Gegen heimatlose Streuner keinen Stolz zu hegen.
10   Frommen Manns und Sünders Zustand ist annoch im Schweben;
Sieh aufs gute Lebensende, nicht aufs gute Leben!
11   11 Nicht aufs äußre Kleid gerichtet ist des Pilgers Treiben;
Kannst des Sultans Gürtel tragen und ein SufiSofi oder Sufi: (von »Sof«, d. h. »wollene Kutte«) ein dem beschaulichen Leben Geweihter. Das Streben des Sufis geht dahin, sich über die äußeren Formen der Religion zu erheben, sich mystisch in die Tiefen der Gottheit zu versenken, sich von den Fesseln des irdischen Daseins zu befreien und zur Einheit mit Gott zu gelangen. Zu den Sufis gehören vorzugsweise die Derwische (d. i. gleich dem arab. Fakir ein nach Gottes Gnade strebender, weltentsagender Frommer). bleiben.
12   12 Von der Fülle, die auf dich die Huld des Höchsten streute,
Streue du auch vor die Füße jener Gottesleute.
13   13 Wo die Frist ist deine Frist, tu Liebes irgend einem;
Wo die Hand ist deine Hand, tu mit ihr wehe keinem.
14   14 Nicht ein Bild ist Saadi's Rede, das mit Farben prahlet,
Wie ein Maler an die Tür des Badehauses malet,
15   15 Ein Geweb' ists ausgelegt mit Perlen und Gesteine,
Umgeworfen dem geliebten SchalkeSchalke: Gefolgsmann; Knecht; Schelm, den ich meine.

XLII.

        1   Bist du kommen, ach wie sehnsuchtreich war ich!
Seit du gingest, einem Toten gleich war ich.
2   Kein Vergessen war es, das mich schweigen ließ,
Staunend stumm ob deiner Schönheit Reich war ich.
3   Wo ich ohne dich in Rosenlauben schlief,
Ruhlos in der Wüste Dorngesträuch war ich.
4   Deiner Einung Hoffnungshauch gab Leben, sonst
Sterbend von der Trennung Todesstreich war ich.
5   In des Feuerofens Glut wie AbrahamAbraham: wurde von Nimrod in einen Feuerofen geworfen, ohne daß ihm das Feuer etwas antat: es wurde für ihn zu einem Rosengarten.
Dir gestellt auf Rosenblättern weich war ich.
6   Dich zu atmen, Morgenduft, die Nacht durch wach
Harrend auf des Hahnes Zapfenstreich war ich.
7   Saadi spricht im Trennungsschmerz die ganze Nacht:
Du bist untreu und mir immer gleich war ich.

XLIII.

        1   Das Liebchen, das ich habe,
    das Holdchen, das mir kund,
Es hat ein süßes Mündchen,
    doch fern von meinem Mund.
2   Wird nie das Glück es machen,
    daß diesen Zypressenzweig
Ich sitzend zu mir setze
    und bestreue mit Rosen weich?
3   Dein herzenschmückendes Antlitz
    ist aller Schönheit Verein;
Was weiß, wer so vereint ist,
    von eines Zerstreuten Pein! 128
4   Komm schleunig, nur noch ein Zug ist
    auf meines Daseins Blatt,
Sieh, selbst ist erloschen die Seele
    Wo deiner gedacht hat sie.
5   Ich strebe nicht nach Belohnung
    und bebe vor Strafe nicht,
Ich bin der Knecht, den du richtest,
    dein ist, o Herr, das Gericht.
6   O schöner als Leila du, zu
    fürchten ist nur daß ich
Wie MedschnunLeila und Medschnun: eine arabische Romanze, die Nizami (gest. 1191 n. Chr.) zum pers. Epos formte. Der durch unglückliche Liebe zu Leila wahnsinnig gewordene Beduine Medschnun (»medschnun« d. h. besessen) irrte in der Wüste umher, dort sah er überall die Geliebte und identifizierte sich ganz mit ihr. in Wüst' und Gebirg
    werde verschlagen durch dich.
7   Wenn eine Erdbreit voll Feinde
    aufbricht und mich anficht,
Nicht wert bin ich deines Gesichtes,
    wenn ich wende mein Angesicht.
8   In deinen Banden gebunden,
    überwunden von deiner Hand,
Ist mir die Besinnung geschwunden
    seit ich deine Schönheit empfand.
9   Vor Schmerzen die Hand am Herzen
    und eln Fuß, der wankend wich,
All das kann ich verschmerzen
    nur nicht verscherzen dich.
10   Ich klage nur im Verborgnen,
    wie wunderbar ists dann
Daß auf der Welt kein Verliebter
    vor meinen Klagen schlafen kann.
11   Siehst du wie heiß die Funken
    falln über den Zunder her?
Du bist heißer als die Funken
    und entzündeter ich als er.
12   Sie sagen: Saadi opfre nicht
    das Leben diesem Triebe.
Geht das Leben darauf, das ist recht,
    mein Leben ist deine Liebe.

XLIV.

        1   O erlaube, daß wir nur dir vorübergehn
Und mit einem Blick auf deine schöne Züge sehn.
2   Sehnsucht ist in der Entfernung, Kränkung in der Nähe,
Besser Kränkung, weil ich nicht der Sehnsucht widerstehe.
3   Ob du Blick auf Blick willst richten, das ist deine Sache;
Komm, daß ich dir meine Blicke zum Fußteppich mache. 129
4   Für mein Leben einen Hauptplan hab' ich, und ob schnaubten
Feinde rings, und drauf das Haupt ging', ich werd' ihn behaupten.
5   Mehr als Staub sind, sagst du, die wurden mir zu Raub.
Mehr als Staub? o nein, sie sind weniger als Staub.
6   Bei dir bin ich und nicht bei dir, kommt es dir seltsam vor?
Ich bin im Ring und draußen bin ich der Ring am Tor.
7   Gegen Feinde trägt man vor Freunde seine Klagen.
Wenn der Freund der Feind nun ist, wohin soll man sie tragen?
8   Weder Hoffnung, daß du Liebe könntest uns gewähren,
Weder Aussicht, daß wir könnten andre Liebe nähren.
9   O wir rennen nicht von selber hinter einem her,
Sondern an der Schnur gefangen schleppt uns nach sich er.
10   Saadi, ei wer bist du denn? es sind in diese Schnur
Soviel gefallen, daß wir sind geringes Wildbret nur.

XLV.

        1   Jahrelang hab' ich dem Wunsch begierig nachgestellt;
In dem Hause war der Freund, ich sucht' ihn in der Welt.
2   Außerhalb des Weltenraumes war sein Hoheitszelt
Aufgeschlagen, den ich sucht' im engen Raum der Welt.
3   »Nicht nach Schönen will ich blicken,« wenn ich also sprach,
Nahmen sie mein Herz und notgedrungen blick' ich nach.
4   Wie die Nachtigall durchklagt' ich Nächte bis heraus
Trat die Sonn' und verkroch mich wie die Fledermaus.
5   Von dem nicht gesehnen JosephJoseph: oder Jussuf, Sohn Jakobs, dessen Geschichte im Koran (12. Kapitel) die »schönste Geschichte« des Korans sei, ist das Sinnbild vollkommener Schönheit im ganzen Morgenlande. Seine Liebesgeschichte mit Suleika wird von den Mystikern oft allegorisch gedeutet. brachtet Schildrung ihr,
Aber als er kam, verging Sinn und Besinnung mir.
6   Nimmer, sprach ich, in der Klause will ich trinken Wein,
Schenke, gib den Becher her, es fällt mir anders ein.
7   Mög die ganze Stadt nun kommen, mag sie sehn daß ich
Alt gewesen und geworden wieder jugendlich.
8   Saadi, sag dem Heer der Jäger, daß es nicht aufschlägt
Gegen mich sein Netz, denn mich hat Einer schon erlegt.

XLVI.

        1   Solang ich habe Geld, will ichs verschwenden;
Solang du Küsse hast, sollst du sie spenden.
2   Mag man mich morgen in den Kerker schließen,
Des freien Gartens will ich heut genießen.
3   Zu Ende sei die Welt für mich gegangen,
Du warest von der Welt mein Herzverlangen.
4   Du hast zuerst die Liebe mich gelehrt,
Sei sie zuletzt mir auch von dir erklärt!
5   O welche Rosenfüll' im Gartenbeete,
Wenn nicht des Gärtners Wort sie uns verböte.
6   Willst du mir, o Zypreß' mit Silbergliedern,
Zuwider sein, was kann ich dir erwidern?
7   Solang' ich lebe, lieg' ich dir zu Fuß,
Und wenn ich schied', laß ich dir meinen Gruß. 130

XLVII.

        1   Die Tür der Klause schlossen
    wir hinter dem Freunde zu,
Wir kamen zurück von allen
    und bei uns bist nur du.
2   Außer dem Bande des Freundes
    brach ich ab jedes Band,
Außer dem Pfand des Geliebten
    werf' ich weg jedes Pfand.
3   Ein solcher Handel ist ferne
    von der Nüchternen Sinn,
Sie schelten mich natürlich
    daß ich betrunken bin.
4   Kein Eigen, daß mit Herzweh
    nicht aufzugeben sei;
Ich gab mich einem Hulde
    zu eigen und ward frei.
5   Ein Diener deiner Gnade,
    wo ich auch immer bin,
Ein Herold deiner Herrschaft
    wo ich auch komme hin.
6   Geehrt in aller Augen
    bin ich von deinen verschmäht,
Vor dir bin ich erniedrigt,
    vor aller Welt erhöht.
7   O du Abgott der Herzen
    zeige dich schleierlos
Daß wir dich schaun und werden
    der Selbstvergött'rung los.
8   Wir gaben Acht auf das Auge
    daß nicht entwischt das Herz,
aber bei aller Schlauheit
    fingest du uns mit Scherz.
9   Bis du Erlaubnis wirst geben:
    Streu' es zu Füßen mir!
Trag' ich das teure Leben
    auf offnen Händen hier.
10   Das ist Freundschaft, o Saadi,
    daß der Treue Verband
So bis zuletzt aushalte,
    wie er zuerst bestand. 131

 

XLVIII.

          1   Ich habe keine Fassung um ohne dich zu ruhn,
Und niemand den ich könnt an deine Stelle tun.
2   Komm doch einmal und frage mich im Vorübergehn,
Wie die traurigen Tage mir vorübergehn!
3   Der Hölle bin ich verfallen, wenn ich leb' ohne dich;
Denn Gott nimmt in dem Himmel keinen Betrübten wie mich.
4   Ich weiß dich nicht zu nennen; du bist mein Augenlicht,
Ohne dein hohes Dasein seh' ich die Schöpfung nicht.
5   Ohne den Freund zu sehen, seh' ich die Welt lieber nicht;
Stellt in der Nacht der Trennung vors Bette mir kein Licht!
6   Im Pfad der Treue muß ich einmal gehn bis ans Ziel,
Ob über mich ergehn mag Weh tausendmal soviel.
7   Nicht wie der Mörser erheb' ich um Freundes Stoß ein Geschrei;
Stell wie den Topf mich ans Feuer, so bleib ich stehn dabei.
8   Geh du Mühle des Schicksals über mein Haupt nur hin
Mit aller Gewalt, weil einmal der untre Stein ich bin.
9   Der Tiger nicht mit den Klauen ists der mich danieder schlägt,
Du mit gemalten Fingern, o Bild, hast mich erlegt.
10   Wie die Blase des Rehes kocht mir im Herzen das Blut,
Davon geht in den Weltraum der Moschusdüfte Glut.
11   O Saadi, ohne zu prahlen, erweise brauchbar dich;
Was hat der Zucker nötig zu sagen: Süß bin ich?

XLIX.

        1   In dieser Nacht, wo mich im Schoß ein zuckern Liebchen hegt,
Schmerzt michs nicht wenn aufs Feuer man wie Aloeholz mich legt.
2   Wenn man den Wunsch erreicht hat, ist der Tod nicht fürchterlich.
Wo ist der Pfeil des Ungemachs? komm' er! der Schild bin ich.
3   Halt, Himmel, einen Augenblick das Morgenfenster zu
Der Sonne, denn heut Nacht gefällt beim Monde mir die Ruh.
4   Ist dies die heilge Wundernacht? ist es der Morgenstern?
Stehst du mir gegenüber? steht ein Traumbild mir von fern?
5   Von diesen beiden Augen, die in dieser Nacht dich sahn,
Wärs unverzeihlich morgen wenn sie sähn was anders an.
6   Die Seele wird den Durstigen gelabt in Eufrats Schoß;
Doch mir ging Eufrat übers Haupt, und durst'ger ward ich bloß.
7   Erst nahm die Sehnsucht, als ich dich erblickte, mir den Sinn,
Nun nimmt ihn mir die Wonne, da ich dir in Armen bin. 132
8   Sprich ungescheut! kein fremder Blick, kein Schwätzermund ist hier,
Als nur die Kerz', und eben jetzt die Zunge nehm' ich ihr.
9   O sag' nicht: Mit dem Leben kommt hier Saadi nicht davon.
Wo sollt' ich mit dem Leben hin, das deinem Weh entflohn!

L.

        3   Wie ich auch von jener schlanken Zeder, der unhuldigen,
Ward gekränkt, wenn sie nun käme, müßt ich mich entschuldigen.
4   Hauch des Morgens der Erhöhung, wie soll ich dir danken?
Meiner Hoffnung Garten wollte welken und erkranken.
5   Dein Scheiden jenes Tages war des Sinnenlebens Tod,
Heut' aber ist dein Wiedersehn des Geistes Lebensbrot.
9   Die vollkommne Sehnsucht hat nicht wer da liebt und ruht,
Denn unstatthaft ist es frieren an des Feuers Glut.
10   Bist du ein Mensch, o Saadi, stirb an Liebe nur,
Denn solches Todes sterben soll die Kreatur.

LI.

        1   Kann man dem Lebenslicht entsagen,
Dem Liebsten kann man nicht entsagen.
2   Süß ist alles von diesen Lippen,
Wie sie mir bitterste Pflichten sagen.
3   Mich reut' es, sollt' ich vor deinem Wuchse
Ein Wort von des Gartens Fichten sagen.
4   So schwindeln vor dir die Gedanken,
Daß ich muß dem Bericht entsagen.
5   In solchem Band bin ich: der Freiheit
Kann ich ehr als der Pflicht entsagen.
6   Ich hab' ein Buch von dir geschrieben,
Aber es muß dem Licht entsagen.
7   Denn du bist schöner als SchirinsSchirin: Gattin Chosru's. Chosru Parwis war der letzte große Kaiser der Perser. Die Geschichte seiner Regierung steigerte man ins Fabelhafte und Wunderbare. Thema in Nizami's (gest. 1191 n. Chr.) romantischem Epos »Chosru und Schirin« ist die Verbreitung des Geheimnisses: »man darf lieben, aber den Namen nicht verraten, sonst büßt man mit dem Tode«. Zu Chosru's schöner Gemahlin Schirin verzehrte sich der geniale Bildhauer Ferhad in hoffnungsloser Liebe. Ferhad hatte, um sie zu gewinnen, einen Milchstrom (pers. schirin = milchig, süß) durch einen Felsen geleitet. Er gab sich auf die falsche Nachricht vom Tode der Angebeteten den Tod mit seiner eigenen Axt.
    Die schöne Sage vom Ursprung des Granatapfels hat sich erhalten: aus dem Blute Ferhad's entsprungen, da das Beil, mit dem er sich getötet, im Sturze auf der Erde stecken blieb, wurzelte und Früchte trug »mit gespaltetem Busen und blutendem Herzen«.
Schönheit,
Daß mans nicht kann in Geschichten sagen.
8   Die Nachtigall darf wegen des Gärtners
Dem Rosengespräche nicht entsagen;
9   Und wer mit dem Lieb in der Sänfte liebäugelt,
Wird's dem Treiber mitnichten sagen.
10   Doch ich darf nicht mein Weh dem Freunde
Vor den lauernden Wichten sagen.
11   Heimlich Rede des Freunds zum Freunde
Kann man nicht vor Gerichten sagen.
12   Was hier Saadi erzählt, wird künftig
Oft die Welt in Gedichten sagen.

LII.

          1   Liebchen, das den Freund gekränkt hat und den Bund zerrissen,
Also das war deine Treue, dieses dein Gewissen! 133
2   Mich kennt man in deiner Gasse, doch nicht kennst du mich,
Nicht den Josef fraß der Wolf, dem Blut ans Maul man strich,
3   Nichts hab' ich genossen und es spricht die ganze Stadt
Die Geschichte MedschnunsLeila und Medschnun: eine arabische Romanze, die Nizami (gest. 1191 n. Chr.) zum pers. Epos formte. Der durch unglückliche Liebe zu Leila wahnsinnig gewordene Beduine Medschnun ("medschnun" d.h. be-sessen) irrte in der WUste umher, dort sah er überall die Geliebte und identifizierte sich ganz mit ihr. Der Verwunderung des Kalifen, daß Medschnun eine solch unscheinbare Frau liebe, erwidert der Liebende: »Die Schönheit Leila's sieht man nur mit Medschnun's Augen«., der gesehn nicht Leila hat.
4   Wer im Traume biß die roten Lippen einer weißen
Rose, mag vom Traum erwachend nur den Finger beissen.den Finger beißen: Zeichen der Verwunderung oder Enttäuschung
5   Lang umsonst dir nachgerannt bin ich durch Tal und Hügel
Wie ein töricht Kind dem Sperling, als hätt' er nicht Flügel.
6   Jedes Vögelein des Herzens angbegabter Leute
Werd' nur deiner Augenbrauen-Bogenkrümmung Beute.
7   Wem mag sich dein Gang vergleichen? in dem Hof dem Pfauen?
Und dein Nicken mit dem Blicken eines Reh's der Auen?
8   Als den Fuß aus Schiras ich zu setzen war entschlossen,
War kein Weg, du hattest rings um mich den Kreis geschlossen.
9   Ringen kann man nicht mit deinen Alabasterhänden,
Weg geh ich und segne dich und höre mich noch schänden.
10   Saadi's Auge müsse nimmer sehn dein Angesicht,
Tut er's auch für andern Schimmer, seit er sah dein Licht.

LIII.

      1   Wie du fern dem Auge wohnst,
    tief im Herzen lebest du,
Hell ist deiner Schönheit Glanz,
    und den Schleier nie hebest du.
2   Volk zur Beute machtest du,
    edle Leute schlachtest du,
All ins Netz uns brachtest du,
    selber frei entschwebest du.
3   Ob das Herz nach deinem Brauch
    du gebrochen, was ists auch?
Stets vernehm ich deinen Hauch,
    leis ums Herz mir webest du:
4   Was verhieß' ein andrer Mund
    daß ich bräche deinen Bund?
Sei von dir die Seele wund,
    Seelenbalsam gebest du!

LIV.

        1   Besser ists nach einem Silberarme nicht zu zielen,
Nicht mit einem händelsüchtgen mächtigen zu spielen.
2   Liebst du ihn und gabst dein Herz, was ist dir nicht beschieden?
Ist er mit dir unzufrieden, sei mit ihm zufrieden.
3   Kümmre dich um ihn allein, daß er um dich sich kümmre,
Und dich kümmre dein Geschäft nicht, ob es auch zertrümmre. 134
5   Solch ein Bündner ist zum Herzenshandel dir erkoren,
Sei das Kapital, nur die Verbindung nicht, verloren!
4   Der Geduld Schild kann den Pfeil der Trennung nicht ertragen,
Hättest mit dem Brauenbogner Kampf nicht sollen wagen.
6   Zu des Herrn Gebot das Haupt zu senken der Ergebung
Ist dem Diener besser als des Stolzes Haupterhebung.
7   Schlägst du wie die Laute mich, nicht auf werd' ich mich lehnen,
Aber spiele lieber doch auf mir in sanften Tönen.
8   Ohne Zweifel wird des Schicksals Pfeilwurf mich ereilen
Da ich fallen muß o fälle mich mit deinen Pfeilen!
9   Unsere Gesellschaft gleicht heut' einem Garten wieder,
Sängerswohllaut übertrifft noch Nachtigallenlieder.
10   Horche nicht den Nachtigallen, jede Herzensfaser
Zittert, wenn die Lieder anstimmt Saadi der Schiraser.

LV.

        1   Wenn du wirfst Moschusriegel von der Wange wieder,
Werfen Liebende die Köpfe dir zu Füßen nieder.
2   Wenn du gehst im Tanz einher, o silberleibge ZederZeder: in der pers. Poesie wird die Geliebte häufig mit der Zeder (»silberleibig«) verglichen,
Sieh nur, wie sein Leben trunken für dich ausspielt jeder.
3   Du mit solcher Wohlgestalt und solchem Leibeswuchse
Kannst dich nicht befassen mit Zypresse, Tulp' und Buchse.
4   Welcher Garten kann wie deine Wange Rosen geben?
Welche Zeder darf sich gegen deinen Wuchs erheben?
5   Wenn du am Ohrläppchen nur das schöne Mal betrachtest,
Hast du Zeit nicht daß du deinen feinen Wuchs beachtest.
6   Mit dem Morgenwinde recht ich, mit dem Morgenwinde
daß er spielt mit deiner Locken rollendem Gewinde.
7   Sänger in der Freunde Kreise bring uns ein Getön,
Sing, o Nachtigall im Garten denn du singst so schön.
8   Wer sagt daß du hundert Herzen fängst auf einem Fange?
Da du tausend Wild vielmehr erlegst auf einem Gange.
9   Seit ich Saadi's zuckertriefend süße Lieder las,
Weiht' ich mich zum Dichter aller Dichter von Schiras.

LVI.

        1   Zypressenbaum im Geisterfeld
O du Seel' und Wonne der Welt!
2   Vor dir zu sterben auf einmal
Ist besser als fern dir leben in Qual.
3   Dein Aug ist Zauber der Ewigkeit,
Du bist ein Aufruhr der letzten Zeit.
4   Wo man bringt deinen Namen vor,
Steigst du selbst vor den Augen empor.
5   Wenn du kommst von der Reise zurück,
Bring nichts mir mit, doch bringst du Glück.
6   Wer mir ansagt, du nahest schon,
Dem geb ich mein Leben zum Botenlohn. 135

 

LVII.

        1   Wär dir der Lustaufgebung Lust bewußt,
Du würdest Lust nicht nennen Sinnenlust.
2   Dein Seelenvogel flöge hoch empor,
Wenn du ihm auftätest der Begierde Tor.
3   Du aber wirst nicht AnkasAnka: auch Simurg, der fabelhafte Vogelkönig und weise Ratgeber König Salomo's, lebte abgeschieden auf dem Weltberg Kaaf. Symbol des Göttlichen. Mut gewinnen,
Weil du ein Sperling bis im Netz der Sinnen.
4   Du solch ein Götzendiener der Gestalt,
Niemals im Leben kommst du zum Gehalt.
5   Wenn dir ein Gräschen käme jener Flur,
Des Gartens Blumen schienen Gras dir nur.
6   Reu'n würd' es dich zu kaufen beide Welten,
wär' dir bewußt was deine Schätze gelten.
7   Der Wert bleibt dir vom Leben als Ertrag,
Denn du ihn mit dir bringst zum letzten Tag.
8   Sag, was du bessres als das Leben hast,
Daß du es von dir wirfst wie eine Last?
9   Nicht um ein Königreich man kaufen kann
Den Augenblick, der ungenutzt verrann.
10   Du gehst so langsam schläfrig deine Bahn,
Ich fürchte du verlierst die Karawan.
11   So wahr du lebst, ich weiß sonst keinen Rat:
Halt' deine Zeit, wie du nur kannst, zu Rat.
12   Zieh deine Zunge wie die Muschel ein,
Um, wenn es Zeit ist, Perlensaat zu streu'n.
13   Sein Lebenlang aß Saadi bitt're Speise,
Damit man ihn um süße Rede preise.

LVIII.

        1   Wer mit klarem Antlitz wandelt und mit reinem Saum,
Wäscht mit Licht die Finsternis hinweg vom Weltenraum.
2   Wenn nicht deines Hauptes Sinne Lüsternheit verführt,
Ist ein reizend Liebchen alles, was dein Blick berührt.
3   Dann wird in dein Seelenohr Musik vom Seelenchor,
Lieblich dringen, wenn du stopfest dein natürlich Ohr.
4   Lange wirds nicht mit dem Diener der Begierd' anstehn
Und er wird in Haß verwandelt diese Freundschaft sehn.
5   Daß des Herzens Fessel nicht den Fuß dir halte fest,
Teile mit des Auges lüsternem Vogel nicht das Nest.
6   Wenn der Baum sich bieget über deines Nachbarn Haus,
Trägt er bittre Früchte, hau ihn mit der Wurzel aus.
7   Hüte dich, ich sagt' es dir, vor der Verstockung Schritt,
Denn die Hoffnung der Versöhnung legst du ab damit.
8   Saadi, Tugend ist nicht daß du brechest Mannes Faust,
Die Begierde brich, wenn du ein Mann zu sein getraust. 136

LIX.

        1   Wenn mit Huld und Wohlgefallen
    erst dein Aug auf allen ruht,
Soll an mich die Reihe kommen,
    zeigst du lauter Übermut.
2   O ihr die ihr nie den Sinn
    der Liebenden entfaltet,
Lieb' ist etwas wirkliches
    die ihr für bildlich haltet.
3   O der du den Rat mir gibst:
    ich soll Ihn lassen! was
Tust du? vor SebukteginSebuktegin: Vater des Sultans Mahmud von Ghesna
    Beleidigst du EjasEjas: Günstling des berühmten Sultans Mahmud von Ghesna.
4   Wo ich bete, geht vorbei
    der Schlank' und spricht mit Scherzen:
Dein Gebet ist fehl getan,
    ich bin die KiblaKibla: »die Richtung des Angesichtes beim Gebet und der Ort, nach welchem hin man es richtet« (F. Rückert). Ursprünglich war es der Tempel von Jerusalem, seit dem Jahre 2 der Hedschra die Kaaba von Mekka. der Herzen.
5   Gestern sprach ich hoffnungsvoll:
    Ich bete für dein Glücke,
Bete, sprach er, für dich selbst;
    der Katz Andacht ist Tücke.
6   Ich sprach: beiß' ich die Lippe dein,
    so eß ich Zucker und trinke Wein.
Er sprach: du issest wenn ich koch.
    Wie lange willst du reden noch?
7   Deinen Saadi nanntest du mich,
    dann mit Schmach verbanntest du mich.
Willst du nicht decken den Tisch, wofür
    machtest du auf des Hauses Tür?

LX.

        1   Weißt, was mir kund hat gemacht
    die Nachtigall in der Nacht?
Was bist du denn für ein Mensch,
    wenn Lieb' in dir nicht erwacht?
2   Kamel gerät bei Arabersang
    gerät in tanzenden Gang.
Welch ein verkehrtes Geschöpf,
    wenn dich nicht Wonne durchdrang! 137
3   So oft ging meinem Blick dein schönes Bild vorbei;
Wohin ich blick, ist mirs als ob dein Bild dort sei.
5   Das Rebhuhn geht nicht so, die Tanne steht nicht so;
Der Pfau hat sich mit Zier zu brüsten nicht vor dir.
7   Mein Blick dreht sich nach dir, wo du vorübergehst,
Wie du mit stolzem Wuchs den Blick nach keinem drehst.
8   O blick einmal mit Huld auf mein gewelktes Laub
Vielleicht das nächste mal trittst du auf mich im Staub.

LXI.

        1   Gegen Liebesbrauch und Recht wie mocht' es dir behagen
So zu brechen und nach deinem Freunde nicht zu fragen?
2   Angenommen daß du nicht dich scheust vor Menschenangesicht,
Doch unschuldige zu töten, fürchtest du vor Gott dich nicht?
3   Hülle dein geschmücktes Antlitz, deiner Locken Fülle,
Daß der Sonne Schönheitsbild sich nicht vor dir verhülle.
4   Tausend Herzberaubte schmachten voll Begier zu nippen,
Von den Lippen brachtest du die Seele auf die Lippen.
5   Damals merkt' ich meine Geltung meinen Wert für dich
Als an mir vorbei du gingst und gabest nichts auf mich.
6   Sagten wir's nicht tausendmal und nie wollt' es verfangen:
Geh nicht nach der Liebe, Doktor! Du bist doch gegangen.
7   Saadi, daß du rügest Zecher und Verliebter Sitten
Hast du nun kein Recht mehr, da du selber ausgelitten.
8   Mit dem Schwerte schlug er mich und ging und sah im Gehen
Nach mir um: du wolltest Liebe, dir ist recht geschehen.

LXII.

        1   Nimmer stirbt ein Herz, das Leben dessen du wirst sein;
Glücklich, wem aus aller Welt besessen du wirst sein.
2   Kummer kann in jenen Kreis eintreten nimmermehr,
Wo als Mittelpunkt der Lust gesessen du wirst sein.
3   Nimmer wird verstreu'n der Herbstwind jenes Gartens Laub,
Wo die schönste wandelnder ZypressenZypresse: häufig gebrauchte Metapher für die Geliebte, die Zypresse (im Gegensatz zu anderen Metaphern wie Zeder oder Pinie) hat mythologischen Sinn. In ihren schwankenden Bewegungen sieht der Liebende nur den anmutsvollen Gang und den Wuchs seiner Geliebten. Oft schattet die Zypresse auf Gräbern als Denkmal der Abgeschiedenen. Wie die Lilie gilt sie als Symbol der Freiheit, weil sie keinen ihrer Zweige zum Boden senkt, sondern alle himmelswärts kehrt, indem sie einen einzigen kegelförmigen Stamm darstellt. du wirst sein.
4   Alle Welt blickt auf, wohin des hohen Glückes Blick
Zielt, ein flücht'ger Blick im Auge wessen du wirst sein?
5   O steinherz'ger Brunnen, wo verdurstend MarutMarut: Harut und Marut sind eine Engelspaar, das, auf die Erde gesandt, sich dort von Zuhra (d. i. Venus) verführen ließ. Zur Strafe für ihren Fall und ihren früheren Hochmut wurden sie kopfüber in den Brunnen von Babel gehängt. sitzt,
Dessen Mund nah, ohn' ihn zu nässen, du wirst sein!
8   Wer ertrüge nicht mit Lust von dir der Trennung Last,
Wenn bei allen Schmerzen die ihn pressen du wirst sein?Immer wieder in der pers. Poesie: der Gedanke, daß alle Schmerzen leicht werden, wenn der Geliebte anwesend ist.
10   Saadi, bei dem Aufruhr dort am Auferstehungstag
Hoff' ich, nicht von jenem Blick vergessen wirst du sein. 138

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