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Der Zynismus unserer Jüngsten

Sie bilden eine ganz eigene Gruppe; aus kleinen, oftmals rührigen Verlagen tauchen sie für einen Monat auf, und außer dem Kreis ihrer Kaffeehausfreunde kennt sie niemand; zuweilen schleicht sich ein Gedicht, eine Novelle oder Kritik von ihnen in irgendein mit stürmischem Titel geschmücktes Blatt, aber wer behält die Namen, wer liest diese Blätter und wer vergißt nicht – nein, in ihrer Gesamtheit betrachtet sind diese Produkte lehrreich und interessant.

Es ist der eigenartige Zynismus, der aus ihnen spricht. Und dem begegne ich bei ihnen durchweg, in jedem ihrer Gedicht- oder Novellen- oder Romanbücher – aber sie schreiben gewöhnlich nicht mehr denn zwei – finde ich ihn und er ist überall gleich gefärbt: ein Zynismus, dem man nicht glaubt, der in sich selber unwahr ist; denn er beruht einmal in der schamlosen, durch nichts motivierten Darstellung geschlechtlicher Vorgänge und zum andern in dem Bevorzugen kotiger Worte, Worte, nicht Gedanken; dieses Wort, an dessen Stelle man, wenn es sich durchaus nicht umgehen ließ, in den bescheidenen Zeiten unserer Väter den Anfangsbuchstaben und schamhafte Punkte setzte, ist der Trumpf geworden und das Ziel. Um dieses knalligroten Wortes allein wird irgendein Alltagsgedanke in eine laue, melancholische Stimmung und absonderliche Reime gebracht. So ist die Gesäßschwiele des Pavians ihre begeisternde Muse geworden.

Und sehe ich mir die Verfasser dieser gemeiniglich gut aufgeputzten Büchlein und künstlerischer und kritischer Beiträge an, so begegne ich mit gelindem Staunen zwanzig- bis fünfundzwanzigjährigen Jünglingen, kindlich harmlosen, unausgearbeiteten, zuweilen ein klein wenig verlebten Gesichtern; sie sind zumeist erträglich gekleidet, und in den Taschen tragen sie Photographien galanter Dämchen, die ihnen einmal ihre wohlfeile Gunst geschenkt haben; sie zeigen diese Bildchen gerne. Ihr Wissen ist das eines leidlichen Gymnasial- oder Realabiturienten, zu dem nun die Kenntnis der Schlagwörter allerneuester Kunstrichtungen und der Namen ihrer in der gleichen Branche machenden Kollegen hinzugetreten ist. In diesen Wochen arbeiten sie allesamt mit »das ist eben Psychoanalyse«. Sie haben keinen Blick in ein psychologisches Lehrbuch getan, aber sie analysieren uns die Psyche, indem sie mit entzückend harmloser Unbekümmertheit Interjektionen und wilde, dunkle Worte hintereinanderreimen. Nietzsche haben sie zumeist gelesen; er gibt ihnen aber wenig Positives, und sie sind über ihn hinaus, und Logik und Erkenntnistheorie kennen sie, wenigstens die erstere, dem Namen nach. Gemeiniglich sind sie noch immatrikuliert und mieten sich ihr Atelier unter dem Pseudonym eines studierenden stud. phil. oder stud. germ.

Woher in aller Welt ihr Zynismus? Ein Zynismus bei jungen Leuten, deren Erlebnisse in einigen Pfändungsandrohungen und Liebeshändeln bestehen, die anders verliefen als sie sich gewünscht hatten. Denn es ist kein Zynismus geboren aus der jähen Erkenntnis der unbedingten Unerklärbarkeit unserer Welt und der grotesken Nichtigkeit und grandiosen Wurstigkeit unserer Erklärungsversuche; es ist nicht der Zynismus eines vornehmen Geistes, der sich trotz seiner unbeschränkten, immer wieder betonten Freiheit seiner Gebundenheit und Unzulänglichkeit bewußt bleibt, der trotz seines schmerzlichen Hohns das Rätsel respektiert und der so leicht, fast folgerichtig in einem neuen Optimismus Ruhe findet, in einer ironischen Heiterkeit und in einem feinen Selbstgenuß, unter zahllosen Deutungsmöglichkeiten wählen und zu ihnen neue hinzufügen zu können.

Man kann Zyniker werden auf zweierlei Art; eben wie man dem Leben auf zweierlei Art gegenüberstehen kann; entweder will ich mein Dasein breit und tönend machen und alle seine Genußmöglichkeiten restlos in mich ziehen und immer neue und neue erobern, oder ich suche brennenden Herzens seinen Sinn und Grund.

Wir wissen, wie der erste zum Zyniker wird; sein einer Typus reicht von dem »alles ist eitel« eines übersättigten und genußunfähigen Greises bis zu dem bitteren Wort, das der arabische Märchenerzähler den Engeln zu den ersten Menschen sprechen heißt, als sie sich feste Nahrung gewünscht hatten und darauf nach einem gewissen Orte fragten: »Geht hin auf die Erde, da ist der Abort der Welt.« Sein zweiter beginnt bei dem Griechen, der aus Armut, aus Wut und aus Rache an den ihm unerreichbaren Genüssen zum viehischen Spötter wird, und verfeinert sich im Christen, der ebenfalls aus heimtückischem Raffinement die Welt zum Teufelssud macht, deren Reichtümer ihm versagt sind. Nun zählen unsere Jünglinge weder zu den Zynikern aus Übersättigung oder aus Rache, noch zu jenem, der aus schmerzlicher Erkenntnis seiner und der Welt ewigen Fragwürdigkeit zum Spötter wird.

Oder machte sie die landläufige Ernüchterung in Punkto Liebe und Literatur zu dem, was sie uns glauben machen möchten?

Ich finde in nichts anderem den Grund ihres Pseudozynismus als in ihrer Trägheit, ihrem Mangel an künstlerischem und sittlichem Ernst und ihrem krankhaften Streben nach Bluff und Originalität.

Man mag das künstlerische Schaffen definieren wie man will, es laufen am Ende alle seine Definitionen in die zwei hinaus: das künstlerische Schaffen ist ein außer sich, in einem fremden Material, Darstellen des Innersten und Eigensten, der fest umschlossenen Einzigartigkeit und Eigenart des Künstlers, und das künstlerische Schaffen ist ein Sekretionsprozeß des seelischen Organismus von fremdartigen, ihm nicht assimilierbaren Eindringlingen. Und dieses sich außer sich Darstellen und sich Befreien geschieht mit Naturnotwendigkeit.

Die kürzlich im Erich Reiß Verlag unter dem Titel: »Morgenrot Klabund, die Tage dämmern!«, erschienenen Gedichte des sich unter dem Pseudonym Klabund verbergenden Verfassers sind, um nur bei diesem als dem ausgeprägtesten Typus zu bleiben, unausgearbeitet; es wird eine Stimmung, ein Gedanke hingeworfen, die Bilder überstürzen und widersprechen sich, der Dichter ist sich des Wirrwarrs selbst bewußt; er hat, man sieht es beim ersten Blättern in seinem Buch, die Kraft, Ordnung in sie zu bringen, aber er hat sich in seine Vergleiche verliebt, er entzieht sich der kleinen Mühseligkeit, er unterstreicht seinen Wirrwarr und stempelt ihn und macht ihn vollkommen durch ein dick hineingepflanztes »ich bin Dung«.

Aber mit dem echten, das ist, dem naturnotwendigen Schaffen ist verbunden ein angestrengter Fleiß: je treuer die Einzigartigkeit dargestellt, je sorgsamer die Eindringlinge entfernt werden, um so mehr ist der Organismus befreit und um so mehr ist der darstellende Trieb befriedigt. Es fehlt beinahe nirgends bei Klabund, den ich für den begabtesten und versprechendsten dieser Pseudozyniker halte, die innere Nötigung. Der Trieb ist da, aber es fehlt ihm durchweg der künstlerische Ernst, ihn in den eng gemessenen Bahnen zu halten, und der sittliche Ernst, diese Selbstreinigung und diese notwendige Darstellung vollkommen zu machen. Bricht der Impuls hervor, sind die ersten Worte ungewollt hervorgestammelt, so verliert er sich von selbst und folgt einem Antrieb, der mit seinem Schaffen an sich nichts zu tun hat. Ihm ist es jetzt nur um das literarische Produkt zu tun, um das Gedicht, das gelesen werden, das verblüffen soll. Die Bilder, die Worte fließen ihm zu, sie werden wahllos absonderlich und abrupt nebeneinandergestellt, ein Kraftwort hält sie zusammen und unterstreicht sie dick und rot; und was macht einen Gedanken tiefsinniger erscheinen, aparter und freiherrlicher, als wenn man ihm eine grinsende Note gibt! In keinem seiner Gedichte ist die Konzeption ein zynisches Bild, ein schmerzlich hohnvoller Zug, er ist keine zynische Natur, es fehlt ihm durchaus die Nötigung, sein Leid in schmerzlichem Hohn zu verbergen. Und hierin liegt die Unwahrheit seines Zynismus. Sein und der anderen ›Schaffen‹ ist teilweise echt und ungewollt, aber sie haben nicht Geduld und Ernst, und sie wollen sich größer machen als sie sind und verzerren sich dadurch zu einer grotesken Grimasse.


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