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Kitsch

In dem Wind, der sich zwischen den Steinblöcken der Stadt hindurchzwängt, liegt etwas Metallenes, das ist aber auch das einzige. Denn der Schnee und die melancholischen Gaslichter und hellen Fenster, hinter denen irgendwelche Menschen irgendein Fest feiern, ist genauso kitschig wie der Umstand, daß ich ziellos, nur um die entsetzlich leere Zeit totzuschlagen, durch die Straßen stapfe, von welchem Durch-die-Straßen-Stapfen ich nebenbei erwarten darf, daß die aus ihm kommende Müdigkeit mein läppisches Vereinsamungsgefühl in eine stupide Resignation verwandeln wird, in der ich meine Wohnung aufzusuchen pflege. Aber das ist eben Kitsch im Vergleich zu dem Etwas von Metallenem in dem Winde, der unruhig durch die Straßen stößt.

Man hat mir die Worte Schnee und Einsamkeit zu oft in den Mund genommen und in einer verlogenen Gemachtheit die anscheinend unerschöpfliche Fülle von Poesie und Wahrheit, die in ihnen lag, zerstört – und nicht nur diese Worte! Ich kann kein Wort mehr sprechen und keinem Gefühle mehr mich hingeben, das ihr nicht zu einer Lüge verhunzt und zum Kitsch gemacht habt. Ich mag mir auch nicht die Mühe geben, in diese einst so ehrwürdigen Worte so etwas wie einen neuen Inhalt zu gießen, denn die Form und Hülle ist die Essenz der Dinge, und mit diesem klingenden Ich-weiß-nicht-was habt ihr eben Schindluder getrieben.

Vielleicht eine der Wurzeln unseres verfahrenen Suchens nach neuen Ausdrucksmitteln. Die Form ist unrettbar verhunzt: geben wir dem ewig gleichen und unzerstörbaren, weil ewig menschlichen, Inhalt eine neue Form! (Denn was wir durch sie auszudrücken haben, ist eben nichts Neues: was ist letzten Grundes Neues in der sogenannten naturwissenschaftlichen Erkenntnis und dem Fortschritt der Technik?)

Aber ob wir die neue Form finden werden? Ich fürchte, diese neuen Ausdrucksmittel der niemals alternden Inhalte sind zu gewollt und zu bewußt gemacht, und zwischen dem Ursprünglichen und dem Absichtlichen bleibt eine ewige Disharmonie.

Und wie mit der Kunst, so geht es mit unserem persönlichen Leben: wir mögen unsere Gefühle und Stimmungen, mit denen jeder Skribifax Mondkälber zeugt, nicht mehr und suchen unsere Überempfindlichkeit in eine melancholische Blasiertheit und in eine ironische Kühle zu retten. Eine traurige Geschichte.


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