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Von einem, der es krumm nahm

Es ist nicht immer leicht, das Richtige zu treffen, wenn es sich darum handelt, ob man einen Spaß krumm nehmen soll oder grad. Und wohl muß man manchmal ein Spaßverderber sein, weil man es sich selber schuldig ist oder weil die Forderungen einer höheren Gesittung es zu fordern scheinen. Aber die Welt, wie sie einmal ist, wird sich immer lieber auf die Seite des schlechtesten Spaßmachers stellen als auf die Seite dessen, der sie um ein Lachen bringt und wenn er hundertmal der wertvollere Mensch ist; kaum wird sie ihn leicht für den überlegeneren halten, er wird meistens den kürzeren ziehen und nicht nur in den niedrigen Sphären der menschlichen Gesellschaft.

Und so möchte nicht gern jemand für einen gelten, der keinen Spaß versteht, und am wenigsten möchte ein Franzose sich das nachsagen lassen; nur darf man auf ihn nicht die Probe machen mit der Verletzung seiner Eitelkeit, wenn er auch ein noch so großer Philosoph ist, was übrigens Gelehrte am seltensten zu sein pflegen.

Ein Gelehrter aber und nichts als ein Gelehrter war Herr Naudet aus Dijon. Er hatte ein Werk über den griechischen Tanz geschrieben und scheint sich damit einen großen europäischen Ruhm erworben zu haben, sonst hätte ihn die Königin Christine von Schweden gewiß nicht an ihren Hof nach Stockholm berufen; denn wie für das Volk nur das Beste (wenn man gewissen Gescheitheiten glauben will), so war für diese ruhmsüchtige Königin nur der Berühmteste gut genug.

Zusammen mit Herrn Naudet, dem Burgunder, hatte die jungfräuliche Christine auch einen deutschen Philologen berufen, namens Hadrian Maibomius, der ein Buch über die griechische Musik geschrieben hatte und damit womöglich noch berühmter geworden war als sein französischer Kollege, da zur Philologie vor allem Sitzfleisch gehört, wovon wir bekanntlich immer etwas mehr haben als der zappelige Franke; doch ein Ausbund von Gelehrsamkeit war der eine wie der andere.

Ob nun die Pallas suecica oder Sibylle des Nordens (wie ihre Schmeichler die Königin nannten) mit dieser doppelten Erwerbung eigentlich zufrieden war, wird nicht besonders berichtet; sicher ist aber soviel, daß der gnomenhaft gestaltete Herr Bourdelot, der Leibarzt ihrer Majestät, die beiden Berühmtheiten nicht sonderlich liebte, weil sie an den gesellschaftlichen Abenden in den Privatgemächern der Königin immer in einen endlosen Disput miteinander gerieten, noch dazu über Dinge, von denen sie im Grunde soviel wie nichts wußten, was ihn unendlich langweilte, der ein Freund des geistreichen Plauderns und des heiteren Scherzes war, besonders, wenn seine Bosheit ihn würzte. Und gerade um dessentwillen, und weil er nicht nur ihren Arzt, sondern auch ein wenig ihren Hofnarren machte, liebte ihn die Königin, die sich gern mit Leo dem Zehnten vergleichen ließ, und er hatte mehr Einfluß bei ihr als sogar der große Hugo Grotius und der verehrte Descartes.

Und so machte er ihr eines Tages, scheinbar in aller Harmlosigkeit, den Vorschlag, die beiden griechischen Altertümler zu veranlassen, daß sie statt ihrer endlosen Dispute doch einmal die Dinge selber vorführten, um die es sich handelte, also Herr Naudet einige griechische Tänze zum Besten gäbe und Herr Hadrian Maibomius einen attischen Chorgesang oder sonstige atheniensische Vokalmusik vor dem versammelten Hof zu Gehör brächte.

Darüber mußte die Königin lachen, denn sie dachte an den Kropf, der dem Herrn Maibomius wie ein griechischer Weinschlauch am Halse hing, und an das gichtische Gebrest des Herrn Naudet, dem die Knie steifer waren als einem ausgedienten Seemann.

Die Königin lachte, aber die Aufforderung an die beiden Philologen erließ sie dann mit allem Ernst, und wahrlich, die beiden Berühmtheiten, jeder der Stolz seiner Nation, fanden nicht den Mut, sich solcher Zumutung zu widersetzen. Denn ein geborener Hofmann mag wohl durch Gewandtheit sich vor dem Aeußersten bewahren, ein Gelehrter aber, der vom Hofmann nichts an sich hat als die Feigheit, muß notwendig dem Gespött anheimfallen und darf sich nicht beklagen, wenn er die Lacher ohne Mitleid findet.

Die Hofsitten waren damals noch nicht so verfeinert wie ein Menschenalter später, man fand noch Geschmack an allerhand Derbheiten, und als sich dann eines Abends im sogenannten goldenen Saal des Schlosses eine zahlreiche geladene Gesellschaft versammelt hatte, vor welcher nun Herr Hadrian Maibomius, der Mann mit dem Monstrekropf, ein Dutzend Verse des Pindar daherbrüllte wie eine Kuh und der gichtbrüchige Naudet in einem bacchischen Tanz (wofür er es ausgab), sich nicht anders als wie ein steifer Bock gebärdete: da lachten nicht nur die ausgelassenen Pagen und schalkhaften Zofen, auch die königliche Majestät stimmte mit ein. Cartesius selbst, der Mann mit der ewig gefurchten Mathematikerstirn, und selbst Hugo Grotius, der gravitätische Holländer, fanden die Sache spaßig. Ja sogar die steifgetragenen adeligen Blondköpfe über den gefältelten Radkragen und schwarzen Seidenwämsern zeigten heut ein Wohlgefallen in ihren spitzbärtigen mürrischen Gesichtern, die sonst lauter Mißbilligung waren in ihrem Ausdruck, weil ihre junge Königin die hergelaufenen bürgerlichen Schelme mehr begünstigte und ehrte als den ganzen schwedischen Adel zusammen.

Doch sehr verschieden verhielten sich die beiden notgedrungenen Künstler.

Herr Hadrian Maibomius, der ein Humorist war trotz seiner Gelehrsamkeit, lachte selber lauter und schallender als alle anderen; er lachte, daß es seinen Kropf förmlich schütterte. Herr Naudet aber, der eitle Franzose, fühlte sich in seiner Eigenliebe tödlich verwundet. Er fauchte innerlich vor Wut und Rache, denn es war ihm nicht entgangen, daß niemand anders als sein eigener Landsmann, der buckelige Leibarzt, der Urheber dieses Streiches war. So schwur er bei sich, seine Revanche zu nehmen, und einen heiligeren Schwur gibt es nicht für einen Franzosen.

Er lauerte also dem Leibarzt so lange auf, bis dieser einmal tief in der Nacht zu der Königin gerufen wurde, die nicht schlafen konnte. Da stellte er sich, mit einem derben Stock aus knotigem Kreuzdorn bewaffnet, auf den Anstand in einem verlassenen dunklen Gang, durch den Meister Bourdelot zurückkommen mußte und wo in dieser Nachtzeit kein Licht brannte, so daß nur der Mondschein einige viereckige helle Flecken auf die Fliesen warf. Und als gegen drei Uhr der leibärztliche Gnom mit seiner Handlaterne wie ein Gespenstlein in der Ferne auftauchte und ein Liedlein pfeifend der Fensternische nahe kam, an deren Dunkelseite Herr Naudet in die Ecke gedrückt lauerte, stürzte der gichtische Burgunder auf ihn los, warf ihn zu Boden und hieb mit solcher Wucht auf den gebrechlichen Körper ein, daß er ihm zwei Rippen zerbrach, wovon ein Splitter in die Lunge eindrang, daran der Arzt sich innerlich verblutete, so daß er bereits eine Leiche war und ganz blau im Gesicht, als ihn ein Lakai am Morgen auffand.

Das ging nun, man wird es begreifen, der spaßliebenden Königin über den Spaß, und sie fragte wenig danach, daß es Herr Naudet nicht so gemeint hatte. Denn es gab niemand in der Welt, dessen Verlust sie so schmerzlich bedauert hätte als den des Herrn Bourdelot. Gelehrte, die mit ihrem europäischen Ruhme prahlten, konnte sie sich dutzendweis verschreiben, aber eine Perle wie diesen verkrüppelten spaßigen Leibarzt gab es nicht zum zweitenmal in ganz Europa; und die Königin, die später mitten in Frankreich, wo sie doch nur noch eine Privatperson vorstellte, ihren Monaldeschi mit einem Wink vom Leben in den Tod schickte, war nicht die Person, viel Federlesens zu machen, also daß Herr Naudet schon drei Tage nach seiner blindwütigen Rachetat auf dem Toldbod am Galgen baumelte und zum Pfeifen des Nordostwindes noch einmal recht unfreiwillige Tanzversuche machte.


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