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Der gute Erzbischof

In dem Salon der Marquise von Pompadour harrten die beiden zur Zeit intimsten Ratgeber Ludwigs XV. der Ankunft ihres Monarchen, der diesmal auffallend auf sich warten ließ.

Die schöne Herrin des Hauses, immer von heimlichen Sorgen um ihre Stellung gequält, rauschte mit ihren bauschigen Seidenröcken, voll Unruhe über dieses lange Ausbleiben, unwirsch in dem eleganten Gemach umher, indessen der Kardinal von Bernis in seinem Armsessel, das fleischige Doppelkinn auf die violettseidenen Bäffchen über dem Hermelinkragen gedrückt, verständnisvoll den Indiskretionen des hageren und steifen Grafen Berryer lauschte, der als Polizeigewaltiger von Paris und Versailles einiges mehr wußte als alle Minister zusammen und damit, wo er es für ungefährlich hielt, gern selbstgefällig prahlte. Und ganz überflüssig hielt er jede Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber diesem ebenso geistreichen wie fleischreichen Dichter-Kardinal, der sich mit seinem zweiten Versailler Vertrag über die Aufteilung Preußens für ewig – und doch war sein Sturz so nahe – in das Herz der gefürchteten Favoritin, wenn sie eines hatte, eingeschmeichelt zu haben schien und außerdem eine saftige Anekdote mit mehr Verständnis zu schlürfen wußte als irgendeiner.

Und so war der steckensteife polizeiliche Königsleutnant gerade mitten in seiner Geschichte, als plötzlich die beiden Flügeltüren sich weit auftaten und zwischen zwei zum tiefen Bogen gekrümmten Lakaien der König auf der Schwelle erschien, worauf die beiden Plauderer, gewandter als es dem einen seine langen Knochen und dem andern seine Fleischfülle zu erlauben schien, sich zu untertänigster Verbeugung erhoben und die Marquise dem Monarchen hastig entgegeneilte. Sie hielt aber schon nach drei Schritten erschreckt inne. »Ums Himmels willen, was ist Eurer Majestät?« rief sie ernstlich erschrocken.

Der König sah sichtlich verärgert aus. Auf seiner Stirne zeigten sich Runzeln und die gewohnte heitere Unbesorgtheit und lächelnde Gutmütigkeit waren wie weggelöscht aus dem etwas gedunsenen Gesicht, in dem heute weniger wie je die frühere einnehmende Schönheit noch zu erkennen war.

»Was ist Eurer Majestät?« fragte die Marquise mit bebender Stimme – wenn sie für den König zitterte, zitterte sie zugleich für sich. – »Ist Eure Majestät krank?«

Der Monarch hatte sich in einen Sessel fallen lassen und sein dreispitziges, mit weißem Straußfederflaum verbrämtes Hütchen auf die Platte des rokokobeinigen goldenen Tisches geworfen, er zerrte ärgerlich an seiner hervorhängenden Spitzenmanschette, als ob er sie zerreißen wollte, und blickte stumm und unwirsch vor sich hin – ein seltener Fall bei ihm, der seinen höchsten Ehrgeiz darein setzte, immer liebenswürdig zu erscheinen. Die andern umstanden ihn mit ängstlich fragenden ratlosen Gesichtern.

»Krank!« stieß er endlich hervor, indem er jetzt den Cordon bleu über der rosafarbenen seidenen Weste zwischen den Fingerspitzen drehte und knüllte. »Krank! Soll der König nicht krank sein, wenn sein ganzes Land krank ist?«

»Das Land krank?« fiel die Marquise ein, »Frankreich steht in gesundester Blüte durch Eurer Majestät liebevolle Fürsorge.«

»Stünde in Blüte,« versetzte der König müde lächelnd, »ohne den häßlichen Wurm, der an seiner Wurzel frißt, ohne dieses gottverdammte Parlament, dessen Feindseligkeit und Widersetzlichkeit gegen seinen König erst gestern wieder zu so häßlichem Ausbruch kam.«

»Eure Majestät,« sprach hier der gewandte Kardinal, »ist der Herr von ganz Frankreich und also auch des Parlaments.«

»Der Herr, der Herr!« brauste der König auf. »Das sagen auch die Herren vom Parlament und dennoch ...«

»Was mich aber am tiefsten kränkt,« fuhr er fort, »ist das, daß dieser Herr von Beaumont, der mir allein seinen erzbischöflichen Stuhl von Paris verdankt, unausgesetzt mit der Verräterei gemeinsame Sache macht. Es ist mir ganz unbegreiflich, wie ein sonst so milder Priester in der Politik ein so hartnäckiger Parteigänger sein kann.«

»Der Beaumont ist ein einfältiger alter Esel,« polterte der hagere Polizeileutnant hervor.

Ihn traf ein mißbilligender Blick des Königs.

»Keine Beschimpfungen, Herr von Berryer,« mahnte er mit mildem Ernst; »der Herr Erzbischof hat seine sehr guten Eigenschaften. Man hat mir oft von seiner großen Wohltätigkeit gesprochen. Darin beschämt er manchen seiner Kollegen. Uebrigens ist die Polizei eine schlechte Menschenkennerin, wie oft man auch das Gegenteil behaupten mag; sie ist zu sehr gewohnt, nur nach Schlechtigkeiten zu forschen, und hütet sich, was anderes zu finden, als was sie sucht.«

»Hat je ein König königlicher gesprochen, wie herrlich!«

Die Marquise, ihr schneeweißes Bologneserhündchen, ein Geschenk des Königs, auf ihrem Schoße streichelnd, hatte dies vor sich hingelispelt, leise, doch deutlich genug, daß es der König verstehen konnte, der ihr mit einem befriedigten Blick dankte.

Er hatte es ganz ehrlich gemeint, nichtsdestoweniger gehörte Herr von Berryer zu seinen intimsten Vertrauten, ohne dessen Geheimberichte er sich nicht zu regieren gewagt hätte.

»Aber ich sehe,« setzte er nach einer Pause hinzu, »unser Kardinal spitzt den Mund, er trägt sich gewiß mit einer Verteidigung des guten Prälaten, der nur leider ein allzu kurzsichtiger Politiker ist. Herr Kardinal, reden Sie.«

Dieser fühlte sich sichtlich geschmeichelt von der königlichen Aufforderung, doch die lebhaften Augen in seinem breiten fleischigen Gesicht drückten noch etwas anders aus, sie sprühten förmlich von jenem lebhaften Feuer geistreicher Menschen, denen sich die Gelegenheit bietet, einen sarkastischen Witz anzubringen.

»Ich weiß nicht,« ließ er sich verlauten, indem er den Hals reckte und mit den Fingern seiner Linken die violetten Bäffchen über dem Hermelin tiefer druckte, um seinem umfänglichen Doppelkinn Luft zu machen – »ich weiß nicht, ob das, was ich erzählen will, eine Verteidigung unseres guten Erzbischofs sein wird; der daß der mildtätige Greis in allem die besten Absichten hat, das wird doch wohl, denke ich, durch mein Geschichtchen bewiesen werden.«

»Nämlich, ich war noch der einfache Abt von Saint-Médard, als ich eines Abends bei dem Herrn Marquis von Marigny (dies war der Bruder der Marquise) zu einem nächtlichen Gelage eingeladen wurde. Ich fand dort mehrere Herren vorn Hof, die ich nicht näher nennen will, und außerdem den Dichter Robé de Beauveset, der sonst freilich öfter als in solcher Gesellschaft in verrufenen Häusern verkehrt, ja kaum aus ihnen herauskommt ... Verzeihen Eure Majestät,« beeilte sich der Kardinal einzufügen, da er die königliche Stirn sich unmutig runzeln sah, »noch einmal Verzeihung, ich weiß wohl, wie sehr Eurem erhabenen königlichen Sinn alles Anstößige ein Abscheu ist, und die Gedichte des Herrn Robé de Beauveset sind allerdings nicht wegen ihrer Reinheit berühmt; ich schweige, wenn Eure Majestät befehlen.«

»Ihr werdet wenigstens«, versetzte Ludwig fast ängstlich, »keine Verse von jenem Unflätigen zitieren wollen.«

»Das wäre ein Majestätsverbrechen,« beteuerte der Kardinal mit gutgeheuchelter Ueberzeugung, und der König nickte, daß er weitersprechen möge.

Diesmal vermochte der Mann im Hermelin auf seinem breiten Gesicht ein schadenfrohes Triumphieren kaum zu unterdrücken.

»Ich könnte nicht behaupten,« fuhr er fort, »daß es an jenem Abend sehr verschämt zugegangen wäre, man sprach kein Pater noster und kein Benedicite oder Gratias, vielmehr überbot man sich an Frechheit jeder, Art, aber das war alles nichts gegen das, was uns zum Nachtisch serviert wurde, wo jener Robé de Beauveset sich erhob und ein Gedicht zu lesen begann, ein wirklich abscheuliches Gedicht, das stärkste, was sich an schmutziger Verruchtheit denken läßt, aber so sprühend zugleich von Geist und Witz, daß wir alle ... Kurz, der Vorleser erntete den schmeichelhaftesten Beifall der Tafelrunde, die doch, wie ich schon erwähnt habe, nur aus der besten Hofgesellschaft ausgewählt war.«

»Ach ja, unsere Hofgesellschaft,« seufzte die Marquise und machte ein verlegenes Gesichtchen, wie ein junges Mädchen, das gerade dem Kloster entflogen ist.

»Und Herr von Beaumont, unser Erzbischof?« fragte Ludwig mehr gelangweilt als neugierig.

»Ist auch bereits in Sicht,« beeilte sich der ehemalige Abbé Bernis zu erwidern. »Als nämlich der laute und überlaute Ausdruck des Beifalls sich gelegt hatte, da verblüffte der Marquis von Marigny seine Gäste mit der sonderbarsten aller Mitteilungen. ›Meine Herren,‹ sagte er, ›ihr habt durch den reichgespendeten Beifall eurem seinen und vorurteilslosen Geschmack das beste Zeugnis ausgestellt. Aber es gibt noch andere Leute, die hierin gegen uns nicht zurückstehen. Für dieses Gedicht, das wir eben gehört haben, bezieht unser Dichter eine Pension von achtzehnhundert Lires und zwar von keinem Geringeren als dem Herrn Erzbischof von Paris.‹

Der König streckte wie zur Abwehr seine Hand aus mit gespreizten Fingern:

»Herr von Bernis, Ihr verleumdet.«

»Um Himmels willen, Kardinal!« hauchte die Frau Marquise; mehr brachte sie nicht hervor.

»Auch Ihrem Herrn Bruder, dem Marquis von Marigny,« versetzte der Erzähler mit einer untertänigen Verbeugung gegen die Favoritin, »auch Ihrem Herrn Bruder scholl es in ähnlichem Sinn entgegen, er aber berief sich auf die Zeugenschaft des Dichters. – ›Gewiß,‹ lachte dieser heraus, ›ich hatte das Glück, mein Gedicht Seiner Gnaden persönlich vorlesen zu dürfen.‹ – ›Ihr Gedicht, das vorige Gedicht, dem Herrn von Beaumont?‹ rief es von allen Seiten. – ›Gewiß, und die Wirkung meiner Lektüre auf ihn war so stark, daß drei Strophen schon genügten, um meinen Zweck‹ ... – ›Glauben wir! Glauben wir!‹ rief's um den Tisch herum. ›Der gute Mann wird von den ersten drei Strophen schon übergenug gehabt haben. Aber die Pension, die Pension von achtzehnhundert Lires.‹ – ›Ja, nicht wahr, ihr Gelbschnäbel,‹ erklärte der freche Dichtersmann, ›da steht euch der Verstand still. Aber ich erklärte dem Trottel von Erzbischof einfach, die äußerste Armut zwinge mich, dieses Gedicht drucken zu lassen und in vielen Tausenden von Exemplaren zu verbreiten. Ich wisse wohl, daß ich damit der Tugend und Sittlichkeit einen schlechten Dienst erweise, mein Gewissen sei auch sehr beunruhigt deswegen. Aber Not kenne kein Gebot. Wenn jedoch Seine Gnaden mir die bescheidene Pension von achtzehnhundert Lires gnädig gewähren wolle, so sei ich geneigt, mich damit zu bescheiden und das Gedicht niemals in Druck zu geben. Und ihr würdet den Herrn Erzbischof schlecht kennen, wenn ihr einen Augenblick an meinem Erfolg zweifeln wolltet.‹ – ›Aber, alter Halunke,‹ rief der Herzog von Noailles, ›so hättest du wenigstens dem guten Erzbischof dein Wort halten müssen!‹ – ›Habe ich es denn nicht?‹ fragte der Lump von Verseschmied mit dem ernstlichen Ausdruck von Unschuld. ›Ich habe versprochen, mein Gedicht nicht drucken zu lassen, es nicht vorzulesen, habe ich nicht versprochen.‹«

Damit schloß der Herr Kardinal seine Erzählung, indem er sich gegen den König und die Marquise lächelnd verbeugte.

Einen Augenblick herrschte eine fast peinliche Stille.

»Ja, ja!« sagte der König dann vor sich hin, »es ist nicht leicht für uns Große, Gutes zu tun.«

Das hatte aber diesmal, ohne es zu ahnen, der Erzbischof wirklich getan, sogar seinem König, trotzdem dieser so unwirsch über ihn geredet hatte. Denn ganz vergnügt erhob sich Ludwig und reichte der Marquise den Arm zum angekündigten Frühstück, und alle zusammen dankten heimlich dem allzu gutmütigen Prälaten, der auf seine Kosten ihren angebeteten Monarchen von den häßlichen Parlamentssorgen für heute befreit hatte.


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