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Die gerettete Ehe

Die Privatleidenschaften der Mächtigen stehen, wenn auch noch so versteckt, weit öfter in ursächlichen Zusammenhängen mit den großen Welterschütterungen, als es naive Gemüter ahnen oder die Philosophen der Geschichte und Politik zugeben möchten, die es ihrer würdiger finden, über das Menschliche und Allzumenschliche vornehm hinwegzusehen und die Geister dafür in die furchtbare Zwangsjacke ihrer abstrakten Gesetze und Pragmatiken einzuengen. Was nun aber diese etwas hochtrabende Sentenz mit der folgenden, fast drolligen Geschichte zu tun hat, das mag der Leser entscheiden.

In dem Hause Nr. 21 der St. Ludwigs-Gasse zu Versailles meldete sich eines Tages ein Herr von Lesbrousses und ließ die Hausherrin, die Dame Duhausset, erste Kammerfrau und Vertraute der Marquise von Pompadour, um eine geheime Unterredung bitten. Diese besann sich, den Namen schon gehört zu haben. Es mußte wohl jener reiche Steuerpächter sein, der einigemal in Verbindung mit seiner Frau genannt wurde, die als auffallende Schönheit von etwas extravagantem Wesen ein wenig ins Gerede gekommen war.

Und also legte die Kammerdame das Buch beiseite, in dem sie gelesen hatte – sie war eine große Leserin –, ordnete vor dem Spiegel ihre spärlichen Löckchen über den Schläfen, deren natürliche Ergrautheit von reichlichem Puder verdeckt war, und nachdem sie sich in ihren Armsessel zurückgelehnt hatte, ließ sie den Wartenden bitten, einzutreten. Sie wunderte sich keineswegs, den Besuch eines so reichen, in Paris wohlbekannten Geschäftsmannes zu erhalten, denn sie war gewohnt, noch ganz andere Leute in allerlei Angelegenheiten bei sich zu empfangen.

Der Eintretende, ein stattlicher junger Mann und ganz als vornehmer Kavalier gekleidet, benahm sich mit einer Schüchternheit und Verlegenheit, die zu seiner äußeren Erscheinung in grellem Widerspruch standen. Er bat vielmal um Verzeihung, daß er lästig falle, seine Angelegenheit gehe ja auch nur ihn an – und vielleicht ein wenig die Frau Marquise; auch sei es erst seine Absicht gewesen, sich persönlich an diese zu wenden, aber er habe wohl gefühlt, daß er nicht imstande sei, eine so heikle Sache mit der hohen Dame Aug in Auge zu verhandeln. Eine unüberwindliche Scham habe ihn davon abgehalten. Zu ihr aber, der gütigen Dame Duhausset, deren Ergebenheit für ihre Herrin so allgemein gerühmt werde, glaube er in aller Offenheit reden zu können, auf ihre Klugheit und Diskretion glaube er sich vollkommen verlassen zu dürfen.

Die Duhausset gab ihm, was das letztere anbelangte, die beruhigendsten Versicherungen, und nachdem er ihrer Aufforderung, ihr gegenüber Platz zu nehmen, nachgekommen war, ging er nicht länger um den heißen Brei herum (und er war für ihn sehr heiß) sondern berichtete kurz und bündig: wie er vor einigen Tagen seine Frau, ohne daß sie es gewahr wurde, darüber ertappt habe, während sie einen Brief inbrünstig geküßt und darauf in einer Schublade ihres Sekretärs versteckt hatte; worüber es ihn angekommen sei wie ein betäubender Schlag vor die Stirne, dergestalt, daß er bei der Abendtafel keinen Bissen über die Lippen bringen und die ganze Nacht nicht einen Augenblick Ruhe finden konnte.

»Ihr werdet eine persönliche Bemerkung verzeihen,« sagte er hier. »Ich bin aus einfach bürgerlichen Verhältnissen herausgewachsen und nehme manches nicht so, wie es in der großen Gesellschaft heute schon fast Sitte ist. Diesen hochgeborenen Herren, Ihr wißt es so gut wie ich, ist heute die Ehe nur noch eine Angelegenheit der Familieninteressen. Seine eigene Frau zu lieben, gilt für eine Lächerlichkeit. Die Treue oder Untreue einer Gemahlin macht den Herren wenig Sorge, sie entschädigen sich dafür bei andern. Von solchem Holz bin ich nicht geschnitzelt; ich bin vielmehr närrisch in meine Frau verliebt, wenn ich gleich manches an ihrem Charakter auszusetzen habe. Ihre übermäßige Gefallsucht und ihr Hang zu intriganten Umtrieben haben mir schon viel Kummer gemacht. Aber ein Verliebter verzeiht zuletzt alles, und wenn Ihr wüßtet, wie schön sie ist und voll sprühenden Geistes, Ihr würdet Euch vielleicht nicht über mich wundern.«

Die vornehme Kammerfrau mit den gepuderten Schmachtlöckchen versicherte ihm, daß sie das alles begreife, und er kam nun zurück auf seine Erzählung.

Am andern Morgen nämlich war die Frau plötzlich zu der bevorstehenden Entbindung ihrer Schwester gerufen worden, die in einem oberen Stockwerk desselben Hauses wohnte. Ueber dieser plötzlichen Abberufung von ihrem Ankleidegeschäft hinweg hatte sie vergessen, den Schlüssel ihres Sekretärs abzuziehen, und so wurde dem eifersüchtigen Ehemann ihr Geheimnis preisgegeben. Er fand in dem bewußten Schubfach den geküßten Brief und außerdem einen andern, oder vielmehr den Entwurf dazu, von ihrer eigenen Hand.

Und von niemand geringerem war jenes Schreiben als von der geheiligten Person des Königs selber. Dieser hatte sich auf dem großen Opernball, wo er als Maske erschienen war, längere Zeit mit der Dame unterhalten, ohne die Maske zu lüften, und schrieb ihr nun in den zärtlichsten Ausdrücken, welchen unauslöschlichen Eindruck sie auf ihn gemacht habe und wie sehr er hoffe, sie bald wiederzusehen und nähere Beziehungen mit ihr anzuknüpfen. Der genannte Briefentwurf der Dame aber war ihre Antwort an den König und lautete dahin, daß sie den nächsten Maskenball auf dem Stadthaus zu Versailles besuchen werde, sie beschrieb einige Merkmale ihres Kostüme, woran sie zu erkennen sei, und äußerte sich dann in enthusiastischen Ausdrücken, welches Glück und welche Seligkeit es für sie wäre, bei dieser Gelegenheit vom König erkannt und angesprochen zu werden.

Während dieser Rede hatte der Steuerpächter aus der Schoßtasche seines goldbordierten, amethystseidenen Ueberrocks mehrere Blätter beschriebenen Papiers hervorgelangt und vor sich auf den Tisch gelegt, welche, wie die Dame Duhausset leicht erraten konnte, die Abschriften der in Rede stehenden Briefe waren.

»Und welchem Beweggrund verdanke ich die Ehre, daß Ihr mir das alles erzählt?« fragte, nachdem der verliebte Gatte geendet hatte, kühl und abweisend die feine Kammerfrau, die nur zu gut wußte, was die Glocke geschlagen hatte; aber das brauchte sie dem hörnerfürchtigen Ehemann – manch einer freilich hätte ihn um seine Aussichten beneidet – nicht auf die Nase zu binden.

»Ich meinte eben,« sagte dieser, verlegener als je, »daß vielleicht die Frau Marquise ...«

»Ich muß Sie bitten,« unterbrach ihn die Duhausset noch abweisender als zuvor, »muß Sie sehr bitten, von dem Wahn abzukommen, als ob die Frau Marquise an den Ehebeschwerden eines Pariser Steuerpächters das geringste Interesse haben könnte.«

Und mit äußerster Höflichkeit, aber auch gleichgültig und kühl, verabschiedete sie den Mann im amethystseidenen Ueberrock, ohne ihn jedoch daran zu erinnern, daß er es vergaß in seiner sichtbaren Verwirrung, die bekritzelten Papiere wieder zu sich zu nehmen, die darum auf dem Tischchen liegen geblieben waren und welche die alte Dame nun, sichtlich zufrieden mit ihrem Betragen, nach einem flüchtigen Blick darauf sorgfältig in dem schwergestickten Täschchen verbarg, das sie am Gürtel trug.

»Gut so!« sagte sie vor sich hin; »der absonderliche Ehemann brauchte nicht zu ahnen, wie sehr sich die gnädige Frau für seine seltsamen Eröffnungen interessieren wird. Sie wird aber sogar seinen gelinden Schrecken darüber bekommen, und ich werde ihr die Sache sehr vorsichtig beibringen müssen, um ihr kein körperliches Unheil zuzufügen.«

Die Duhausset kannte ihre Herrin in Herz und Nieren und wußte genau Bescheid um die ewigen Aengste und Sorgen der Marquise, von einer jüngeren Nebenbuhlerin ausgestochen zu werden in der Gunst des launenhaften und ewig gelangweilten Königs. Sie hatte auch sofort begriffen, daß in dem vorliegenden Fall die Gefahr für die Marquise größer war als je; denn der Steuerpächter hatte ihr über die Schönheit, den glänzenden Geist und die mannigfaltigen Talente seiner Ehefrau, worunter ihr Talent zu allerlei ehrgeizigen Kabalen nicht das geringste war, durchaus nichts Neues gesagt: die Bürgerin Lesbrousses war stadtbekannt für diese Eigenschaften.

Drückte sich also die alte Dame vor dem schnörkelumrahmten Rokokospiegel noch einmal ihre spärlichen weißen Löckchen zurecht, strich sich den bauschigen Rock aus schwerer strohgelber Seide zurecht und machte sich dann nicht ohne Aufregung auf den Weg nach dem nahen Schlosse und den Gemächern der Marquise von Pompadour, die in ihrer Eigenschaft als Palastdame der Königin das ganze Untergeschoß jenes Flügels bewohnte, vor dem, inmitten eines weiten Bassins, die üppig phantastische Neptungruppe damals noch fast jeden Tag ihre überwältigenden Wasserkünste spielen ließ.

Sie konnte jedoch nicht, wie sie geglaubt hatte, ohne weiteres zu ihrer gnädigen Herrin gelangen, die sich zu einer hochwichtigen politischen Konferenz mit dem österreichischen Botschafter eingeschlossen hatte. Vielmehr mußte sie über eine Stunde im Vorsaal warten, bis endlich die langbeinige, hagere Gestalt des alten Fürsten Kaunitz mit dem langgezogenen, blassen Gesicht unter schneeweißer Perücke – sonst ganz in schwarzen Samt gekleidet – aus der Tür trat und mit vertraulichem Kopfnicken (sie hatte ihm schon wichtige Dienste geleistet) an ihr vorüberschritt.

Nun aber hielt sie nichts mehr zurück, zu ihrer geliebten Herrin hineinzueilen, die in ihren reichgestickten seidenen Bauschröcken von leuchtendem Blau und Gold, lebhaft aufgeregt und einen Brief in der Hand, im Gemach hin- und herfuhr, wie sie zur Beruhigung in solchen Fällen zu tun pflegte.

»Ach, meine Teuerste!« rief sie ihrer Kammerdame entgegen, »Ihr kommt zur rechten Zeit, Ihr trefft mich im glücklichsten Augenblick meines Lebens. Mein schönster Traum geht seiner Erfüllung entgegen. Das Bündnis zwischen Frankreich und Oesterreich gegen jenen abscheulichen Menschen, der sich König von Preußen nennt, ist so gut wie abgeschlossen. Und denkt Euch nur, diesen Brief von Ihrer Apostolischen Majestät der Königin von Ungarn und Römischen Kaiserin hat mir der Fürst Kaunitz eingehändigt. Und welch ein Brief! Seht selber: Madame, ma très chère Soeur schreibt die strenge Maria Theresia, und Hier, seht selber, Prinzesse et Cousine nennt mich die erhabene Majestät. Daß ich das erleben durfte, oh, wie ich glücklich bin! Aber ich möchte auch dich glücklich sehen, mein Schätzchen! Hast du einen Wunsch? Sprich frei heraus, ich will dir alles erfüllen, was du begehrst.«

Die üppige Neptungruppe draußen vor den hohen Fenstern konnte ihre Wasserfülle nicht lebhafter aussprudeln als die Marquise das Uebermaß ihres Glückes.

»Aber was ist Euch denn?« fragte sie plötzlich enttäuscht. »Ihr scheint Euch ja nicht mit mir zu freuen, Ihr macht ja ein Gesicht, als ob ich Euer Apotheker wäre, der Euch bittere Pillen zu schlucken gäbe! Wahrhaftig, das ist recht abscheulich von Euch.«

Die alte Dame, für gewöhnlich von lustigem Humor, machte in der Tat ein höchst betretenes Gesicht. Für sie war der Augenblick recht peinlich. Sie hätte sich so gern mit ihrer Herrin gefreut, aber konnte sie es im Bewußtsein dessen, was dieser drohte? Auch wußte sie nicht, was sie tun sollte. Der Marquise diese Stunde zu verderben, war eine herzlose Grausamkeit, und doch durfte sie mit ihrer Hiobspost nicht zurückhalten, die Gefahr war dringend, es stand alles auf dem Spiel. Wer konnte wissen, was daraus entstand, wenn sie schwieg, das vermöchte sie nicht zu verantworten. Es fiel ihr wahrlich schwer, aber sie mußte reden.

Und damit stürzte sie, wie sie nur zu sehr befürchtet hatte, die Marquise von dem Gipfel höchsten Glückes jäh in einen Abgrund qualvoller Befürchtungen. Bei der einleitenden Erzählung der Duhausset versuchte sie noch einige verächtliche, wegwerfende Scherze; als sie dann aber die Briefabschriften in der Hand hielt, da zitterte diese zierliche, kleine Hand, und Puder und Schminke konnten es den scharfen Blicken der erfahrenen alten Dame nicht verheimlichen, daß das Gesicht ihrer Herrin jäh erblaßte.

»O ihr neidischen Götter!« stöhnte diese, »so gönnt ihr denn dem Sterblichen nie ein reines, volles Glück. Aber geht,« wandte sie sich an die Kammerdame, »geht, ich muß mich erst zu fassen suchen.«

Und einigermaßen gefaßt schien sie in der Tat, als sie nach einer Viertelstunde die Duhausset wieder hereinrief.

»Da ist ein Brieflein an den Herrn von Berryer,« sagte sie mit immer noch bebender Stimme. »Auf ihm allein steht jetzt meine Hoffnung. Er ist mir treu ergeben und ich hoffe, er wird mir raten und helfen können. Aber Ihr müßt selber und sofort nach Paris fahren und müßt den Herrn königlichen Polizeileutnant persönlich zu erreichen suchen; ich muß ihn notwendig noch vor Abend sprechen.«

Und kaum eine Viertelstunde später humpelte bereits der Mietswagen der Duhausset über das Pflaster der breiten Alleestraße, die von Versailles nach der Hauptstadt führt. Dort traf sie zwar den gefürchteten Polizeihäuptling weder in seiner Wohnung am Vendomeplatz noch auf seine Kanzlei im Chatelet, aber sie geriet darüber nicht in Verzweiflung, sondern fuhr vom Chatelet fort in die nicht allzu ferne Blaue Mäntelgasse im Marais, wo die Baronin von Breteuille wohnte, die damals seine eingestandene Geliebte war. Wirklich fand sie ihn dort, und er zögerte auch nicht, dem Wunsch der Marquise, der ihm ernstlich ein Befehl war, ohne Verzug nachzukommen; denn wenn er der allmächtigen Marquise wohl manchmal nützlich war, so war doch ihr Einfluß ihm selber noch viel nötiger, und ihr beiderseitiges Verhältnis war eine Art Versicherung auf Gegenseitigkeit.

Er stieg also mit der kammerfraulichen Dame in das gemietete Wagengehäus, das, so rasch es konnte, nach Versailles zurückhumpelte, währenddessen die Duhausset dem königlichen Vertreter der hohen und geheimen Polizei die Sachlage eingehend dartat; dergestalt, daß Herr von Berryer bereits mit einem festen Plan in der königlichen Residenz und den Gemächern der Marquise ankam, die er durch seine sichere Zuversicht schnell gänzlich beruhigte.

»Ich gehe,« sagte er, »wie ich hier stehe, nach dem Trianon und lasse mich bei Seiner Majestät melden, und verlaßt Euch darauf, hohe Frau, Ihr sollt mit mir zufrieden sein.«

Der Polizeileutnant hatte jederzeit Zutritt zum König, der seine Person zwar nicht liebte, aber seine Dienste für unentbehrlich hielt. Dennoch mußte er diesmal warten. Er wollte sich schon höchlichst ärgern über den leidigen Verursacher; als er aber erfuhr, daß dies kein anderer sei als der Botschafter Ihrer Apostolischen Majestät, da lächelte er verständnisvoll. Denn er war nicht ununterrichtet über die geheimen und geheimsten Vorgänge in der Politik. So erhob er sich denn auch, als der Fürst Kaunitz unter der Tür des königlichen Kabinetts erschien, in seiner ganzen Länge zu ehrfurchtsvollem Gruß, den aber der noch immer um eine halbe Spanne höhere Botschafter nur steif und kalt erwiderte.

Den König traf Herr von Berryer in nachdenklicher Versunkenheit vor seinem Arbeitstisch, mit gerunzelter Stirn auf die Papiere starrend, die hier aufgehäuft lagen. Denn gegen dieses Bündnis mit Habsburg, dem Erbfeind der französischen Monarchie, das ihn dieser überfrisierte alte Affe von einem Fürsten Kaunitz einreden wollte, sträubte sich seine ganze bourbonische Weltauffassung. Aber die fatale Sache einfach von der Hand zu weisen, ging durchaus nicht, denn hinter diesem Kaunitz stand die Marquise, und was die sich einmal in ihr Köpfchen gesetzt hatte ... Kurz, der König warf dem eintretenden Polizeipräsidenten, wie wir heute sagen würden, einen so unwirschen Blick zu, der jeden andern als Herrn Berryer gänzlich eingeschüchtert haben würde. Dieser aber, der seinen König kannte, fand rasch das richtige Wort.

»Es handelt sich um ein Attentat gegen Eurer Majestät geheiligte Person,« sprach er, indem er sich nach tiefster Verbeugung um so höher aufrichtete.

»Sprechet also!« versetzte Ludwig unfreundlich, indem er ungeduldig an seiner linken Spitzenmanschette zupfte.

Und der Polizeileutnant nahm das Wort. Um einen Brief handle es sich, der in mehreren Abschriften in Paris herumgezeigt werde, und von dem freche Mäuler behaupteten, daß er vom König eigenhändig geschrieben und an eine gewisse Bürgersfrau namens Lesbrousses gerichtet worden sei, einen wahrhaft lächerlichen Brief, geeignet, die erhabene Person der Majestät dem allgemeinen Gespött preiszugeben, wenn dem Unfug nicht Einhalt geschehe.

Der Polizeileutnant kannte seinen König besonders darin, daß ihm nichts peinlicher war, als mit seinen Liebesangelegenheiten in das Gerede der Leute zu kommen. Auch griff der Monarch – der die Sorgen um die hohe Politik schon gänzlich vergessen zu haben schien – hastig nach dem Brief, den ihm Herr von Berryer unter einer abermaligen tiefen Verbeugung überreichte. Er warf aber nur einen Blick hinein und zerriß ihn dann in Fetzen. Er wollte dem Polizeileutnant sein Geheimnis nicht preisgeben, den er in diesem Augenblick richtig haßte und der sich die unerhörte Frechheit angemaßt hatte, fast eine Majestätsbeleidigung, den wahrhaftigen Brief des Königs als lächerlich zu bezeichnen, wobei dem Monarchen unwillkürlich eine Blutwelle ins Gesicht geschossen war. So galt es, zum bösen Spiel eine gute Miene zu machen.

»Ihr kümmert Euch um rechte Albernheiten, Herr von Berryer,« sagte er gleichgültig; »wollt Ihr mich glauben machen, daß irgendein Mensch meines Königreichs einen so abgeschmackten Brief ernstlich seinem König zutrauen würde? Da habe ich eine bessere Meinung von meinen Untertanen. Laßt aber immerhin, wenn Ihr wollt, jeden in die Gefängnisse Eures Chatelet werfen, dem nachgewiesen wird, das sinnlose Gekritzel kolportiert zu haben.«

Dazu nickte er, zum Zeichen, daß die langweilige Audienz beendet sei. Herr von Berryer wollte noch etwas erwidern, aber der König hob gebieterisch die Hand, eine von ihm beliebte Geste, und der Polizeigewaltige zog sich unter wiederholten Verbeugungen stumm zurück, unsicher darüber, ob er mit seinem Schritt etwas Wesentliches im Interesse der Frau von Pompadour erreicht hatte oder nicht.

Er hatte aber kaum das Königliche Kabinett verlassen, als ein Lakai dem König einen Brief hineinbrachte, und das war eben die verliebte Stilübung der schönen Lesbrousses, wie sie ihr Ehemann heimlich aus dem Konzept abgeschrieben und der Dame Duhausset zugestellt hatte. Ludwig las den Brief ganz, wie ein Verliebter so was liest, er errötete sogar wiederholt – eine neue Liebe war ihm immer wieder wie eine erste Liebe –; aber nachdem er zu Ende war, verdüsterten sich plötzlich seine Züge.

Ueber der Lektüre der enthusiastischen Epistel war ihm, schon ganz von dem in Aussicht stehenden Erlebnis erfüllt, der Polizeileutnant völlig aus dem Gedächtnis gekommen. Aber jetzt erinnerte er sich wieder an ihn, und damit wurde es ihm klar, daß es nichts sei mit dem erhofften Abenteuer. Denn diese Lesbrousses war ja eine dumme Gans, eine indiskrete, alberne Person, die sich in ihrer Eitelkeit nicht scheute, einen vom König empfangenen Liebesbrief prahlerisch herumzuzeigen und das eitle Huhn zu spielen, das da gackert, noch bevor es gelegt hat oder aber, was noch empörender wäre, sie war leichtfertig genug, um ein heimliches Schreiben von der Hand des Königs so gleichgültig herumfahren zu lassen, daß es ihr entwendet und mißbraucht werden konnte.

Und ein heftiger Zorn befiel den König über diesen Gedanken. Ja, so heftig war seine Empörung, daß er es ganz übersah, wie er im Begriff stand, sich dem Polizeileutnant gegenüber zu verraten und demselben seine Autorschaft an dem »albernen Brief« wenigstens mittelbar zu gestehen. Er klingelte. »Man rufe den Polizeileutnant zurück!« befahl er. Und, als dieser eingetreten war:

»Was ich noch sagen wollte, Herr von Berryer,« begann er, »wißt Ihr etwas Näheres über die Person jener Bürgerin, von der vorhin die Rede war?«

Und der Herr von Berryer hätte kein Polizeimensch sein müssen, um nichts Näheres zu wissen. Er hatte, wie er sagte, sorgfältige Erkundigungen eingezogen, und die gedachte Bürgerin war ihm vor allem geschildert worden als eine große Ehrgeizige, die imstande sei, das ganze Königreich auf den Kopf zu stellen, wenn es möglich wäre, nur um von sich reden zu machen und sich eine Wichtigkeit zu geben in ihrer Gesellschaft von Zöllnern und Zöllnerinnen, in der sie freilich die erste sei an Schönheit wie an Geist und Talenten.

»Also ein fast gefährliches Persönchen, wenn man Euch glauben darf,« versetzte der König.

»Eure Majestät wird klug daran tun, sie im Ernst dafür zu halten.«

»Aber was werdet Ihr erst sagen, mein lieber Herr von Berryer,« flüsterte Ludwig geheimnisvollen Tons, »wenn ich Euch gestehe, daß mir die Dame eben einen Brief geschrieben hat, worin sie mich ihrer Liebe versichert und sich bis zu der Hoffnung versteigt, auf dem Stadtball am nächsten Sonntag von mir angeredet zu werden? Das könnte, bei dem Charakter dieser Person, zu bösen Häusern führen. Wie gut, daß ich durch Euch gewarnt bin. Aber sie soll überhaupt nicht auf den Ball kommen. Ihr werdet sie innerhalb vierundzwanzig Stunden bitten, sehr höflich natürlich, auf acht Tage meine Kostgängerin zu sein in meinem Schloß vor der Sankt-Antons-Vorstadt, nur für acht Tage, so lang wird ihr steuerpächterlicher Ehemann sie entbehren können.«

Und so geschah es. Die schöne Bürgerin Lesbrousses wurde eines schönen Morgens, ohne zu wissen warum, – sie war hierin nicht die einzige – in die Bastille abgeführt und nach acht Tagen wieder daraus entlassen, ebenfalls ohne zu wissen warum. Nur ihr Ehemann, der Steuerpächter Lesbrousses, ahnte den Grund, hütete sich aber wohl, etwas über seinen Verdacht laut werden zu lassen.

Nur ganz im geheimen lachte er sich ins Fäustchen und beglückwünschte sich, vor die richtige Schmiede gegangen zu sein, um sein Eheglück, das in Scherben zu gehen drohte, wieder fest verschweißen zu lassen. Und die Schmiedin in der gedachten Schmiede, die Marquise von Pompadour, gratulierte sich erst recht zu ihrem geschickten Werk, um so mehr, als kein Mensch – außer dem Ehemann –, am wenigsten aber der König, eine Ahnung haben konnte von der heimlichen Mitarbeit ihrer zarten Hände und seinen Hämmerchen. Dem Steuerpächter erwies sie sich für das ihr geschenkte Vertrauen nicht undankbar, und um den Mann für die achttägige Einkerkerung seines geliebten Frauchens zu entschädigen, ließ sie ihn unter der Hand zum Generalpächter ernennen, womit sie bewies, daß sie wahrhaft königlich zu entschädigen verstand. Ach, dem verliebten Herrn Lesbrousses wäre die Rettung seiner Ehe schon Belohnung genug gewesen! Der gute Mann konnte ja nicht wissen, daß er mit seinem Schritt bei der Kammerdame Duhausset nicht nur seine Ehe, sondern ein ganzes großes Stück Weltgeschichte gerettet hatte. Denn was hätte um Himmels willen aus dem sogenannten Siebenjährigen Krieg und aus Friedrich von Preußen und seinen ruhmreichen Taten werden sollen, wenn die Marquise etwa kurz vor Abschluß des von ihr und dem Fürsten Kaunitz angezettelten Vertrags in Ungnade gefallen und damit vielleicht die ganze Koalitionspolitik in die Brüche gegangen wäre?


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