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Von hohen Staufen und von niedern Stufen.

Ein offener Brief an den Herausgeber der »Rheinlande«.

Verehrter Herr Schäfer! Wie protzig! Wie rheinprotzig! »Wir sind Rheinländer, verehrter Herr, wir verachten das elende Ausland«. Das »elende Ausland«, erlauben Sie, ist ein Pleonasmus; denn Elend bedeutet schon Ausland, und umgekehrt. Und, sagen Sie, ist es nicht seltsam, daß wir diese Ideen-Assoziation als sprachlichen Niederschlag gerade im Deutschen antreffen und in Deutschland, wo doch so oft das Gegenteil von Ausland, nämlich das Inland, identisch war mit Elend? Hätten Sie das gedacht, daß die deutsche Muttersprache, ach, so wonnesam, so traut, zugleich so ironisch sein kann? Aber vielleicht ist jene Asso ..., der Teufel hole das Wort, Assoziation wie der Johannisberger ein rein rheinisches Gewächs, und dann wäre sie allerdings keine Ironie, nicht wahr?

Tatsächlich ist es mir immer aufgefallen, wie verhältnismäßig selten man den Rheinländer im Ausland ansässig antrifft. Viel seltener jedenfalls als die anderen deutschen Stämme. Der Rheinländer ist auch darin seinem rheinsehnsüchtigen Nachbar, dem Franzosen, blutsverwandt; beide, wie Sie so schön sagen, verachten das elende Ausland.

Es ist aber ein Unterschied zwischen Verachtung und Verachtung. Es gibt eine Verachtung, die rein aus dem Gefühl entspringt, aus dem tiefinnerlichen Behagen an sich und seinem Zustand, aus der ganz naiven Freude an sich selber. Das ist die harmlose Verachtung. Vollkommenes Behagen ist recht eigentlich ihr Wesen. Sie geht auf mehreren Beinen. Eines davon heißt Ignoranz. Die französische Verachtung ist so, und die rheinische, was meinen Sie, ist ihr vielleicht ein wenig verwandt?

Die andere Verachtung entspringt aus dem Verstand. O, die ist lange nicht so liebenswürdig. Die ist nicht naiv, die ist bewußt. Denn sie ist gemacht. Sie ist sogar immer ein wenig forciert. Um ihrer sicher zu sein, muß man sie sich lange eingeredet haben. Ich nenne sie Parvenu-Verachtung. Sie geht auch auf mehreren Beinen. Das eine heißt Neid, ein anderes Schulmeisterdünkel. Wenn der Stockpreuße, der früher mit dem Stock geprügelt wurde, verachtet; wenn der Preuße des jüngsten Königsberger Prozesses verachtet; wenn der Berliner Paris verachtet: nicht wahr, lieber Freund, das ist was anderes, als wenn Sie verachten, als wenn der Rheinländer verachtet!

Die neueste Verachtung der Berliner ist übrigens nicht Paris, sondern München. Und die ist einigermaßen begreiflich. Denn München hat keine Tiergartenskulpturen.

Habe ich Ihnen nun genug Komplimente gesagt? Und darf ich nun ein wenig von uns reden, von uns Schwaben nämlich? In aller Bescheidenheit, versteht sich; denn ich will dabei gar kein Aufhebens davon machen, daß auch wir, mit Respekt zu vermelden, in den Rhein pissen. Sie würden's doch nicht gelten lassen, Sie Rheinprotz.

Wir Schwaben verachten niemand. Höchstens ein ganz klein wenig die Preußen, womit wir sehr unrecht tun. Doch naiv ist diese Verachtung, sie beruht im Grunde nur darauf, daß bei Spandau kein Heilbrunner »Schiller«, geschweige denn ein Marbacher wachsen will, und daß die Teltower Rübchen keine schwäbischen Spätzle sind.

Wir machen auch nicht, wie ihr mit euern Rheinlanden, ein Wesen mit unserm Ländle. Wir lieben es. Aber wir wissen, daß es klein ist. Es ist uns meistens allzuklein, darum gehen wir gern in die große Welt. Wir tun es immer, wenn wir große Geschäfte machen wollen. Denn in dem kleinen Ländle gibt es auch nur kleine Städle. Selbst die Hauptstadt ist eines. »Schtuckert isch ä Nescht un Schtuckert bleibt ä Nescht«, hörte ich neulich in Stuttgart in der Weinstube des Herrn Pfleiderer Einen ausrufen, und dabei schlug er mit seiner großen Bauernfaust auf den Tisch, daß die Schoppengläser mit dem Schotzacher Roten nur so auf dem Tische tanzten.

Denn wir Schwaben sind zornig. Das hat schon der alte Vischer gesagt, der Vau-Vischer, wie. wir ihn gern nennen. Es kommt das von dem säuerlichen »Schiller«, den wir so lieben. Der wirkt auf die Galle. Vischer selber war grob und zornig. Zornig war der große Johannes Scherr, und bäuerisch grob. Zornig war der große Hegel, wenn man nicht an ihn glaubte. Und wir werden nie glauben, wir württemberger Lutheraner, daß Luther kein Schwabe war, sondern daß er – was doch wirklich nicht zu glauben ist – ein Sachse gewesen sein soll. Denken Sie nur, ein Sachse! Sein Stammvater war aber gewiß aus Schwaben ausgewandert.

Denn aus Schwaben ausgewandert ist ja auch der Stammvater Friedrichs des Großen und Wilhelms des Zweiten, aber wer spricht davon? Nicht einmal wir Schwaben. Wir machen auch davon kein Wesen. Wir tun gar nicht, als ob wir auf dem Thron des Deutschen Reiches säßen.

O, wir saßen schon mehr als einmal darauf. Haben Sie, verehrter Herr Schäfer, schon etwas von den Hohenstaufen gehört?

Und, sehen Sie, neulich stieg ich in Göppingen aus, d. h. es ist schon einige Wochen her. Die Apfelbäume beugten sich noch unter der Last ihrer Frucht, und der Neue, der jetzt im Faß rumort und ein Guter zu werden verspricht, hing noch als Traube am Stock. Das ist die Zeit, die ich zum Wandern liebe. Nicht, wenn die Bäume ausschlagen. Da ist es mir zu gefährlich.

Und so mit den Gegenden. Ich bin da ganz altmodisch, ich frage den Teufel nach Tannenzapfen, oder gar Alpenröschen, die immer schon verblüht sind, wenn die armen Touristen Ferien haben. Ich wandle gern durch wogende Kornfelder, wo hie und da am Rain die Heckenrose blüht, und eine fruchtschwere Obstbaumhalde im Herbst ist mir einer der erfreulichsten Anblicke auf dieser krummen Erde. Daran aber ist unser schwäbisch-württembergisches Ländle reicher als ein Land der Welt. Von Göppingen die Höhen hinauf ein einziger Wald von Apfelbäumen. Meist ganz alte gewaltige Bäume, wie ich, im Ernst gesprochen, außer Württemberg überhaupt noch keine gesehen habe. Wo hätte man auch sonst das Lied dichten können: »Bei einem Wirte wundermild« ...

Ueber Göppingen war gerade ein Gewitter niedergegangen, und unter farbig leuchtendem Regenbogen, der sich vom finstern Rechberg her über den Hohenstaufen hinweg spannte, stieg ich gemächlich zu dem heiligen Berge hinauf. Er steht, als echter Sohn des Feuers, in strenger schöner Form, wie ein Vesuv, über dem Buchenwald der Vorhügel. Königlich ragt sein kahler Scheitel empor über das gemeine Berggesindel, das, aus dem wässerigen Element geboren, sich bescheiden vor ihm duckt. Wie eine farbige Gloriole umstrahlte der Regenbogen sein Haupt.

Und eine ganz phantastische Stimmung überkam mich. Wahrlich, ich hätte mich gar nicht verwundert, wenn plötzlich eine rote Feuergarbe aus dem Gipfel hervorgebrochen wäre und den schwarzen deutschen Gewitterhimmel wie mit Blut übergossen hätte.

Solche Feuergarben waren jene Gestalten, jene episch großen, welterschütternden, weltbrandentzündenden, die von dem wunderbaren Berge ausgegangen sind und seinen Namen tragen, die aus Blut und Stahl und Geist eine phantastisch märchenhafte Brücke geschlagen haben zwischen dem schwarzen Norden und dem glühendsten Süden, eine Brücke, schön wie ein Regenbogen, aber ach, auch so schwankend, auch so fundamentlos, aber nicht phantastischer als die Gralsburg, die dennoch in unseren Tagen – so wirkungsvoll restauriert worden ist.

Waren das Baumeister! Und das waren die ersten Schwaben, die ausgewandert sind und in der Fremde groß geworden sind. Sie haben unseren schwäbischen Zeitgenossen den Weg gezeigt. Daheim kleben sie an der Ackerscholle. Daheim haben sie nur kleine Städle. Daheim sind sie klein und eng und engherzig. Da draußen aber, da drunten in Neapel, in Sizilien und noch weiter drunten, da gründen sie Fabriken und Handelshäuser und internationale Reicheleut-Herbergen, und werden groß und reich.

Daheim sieden sie, jeden Tag, jeder für sich, ihre Spätzle. Da drunten lernten sie den Spätzleteig in die Länge ziehen. Und das nennen sie nun, echt deutsch und echt modern, Eierteigwaren.

Gleich beim Hohenstaufen, im andern Tal drüben, in Plüdershausen an der Rems, haben sie, in einem mäßigen Bauerndorf, eine Fabrik dafür errichtet. Der Großvater des Fabrikherrn war ein kleiner, kleiner Dorfbäcker. Die Fabrik ist heut größer, als irgend ein Hohenstaufenpalast je gewesen ist, und die »Eierteig«-Bändel und -Fäden in allen Breiten und Dicken, die in einem einzigen Jahr hier »gesponnen« werden, sollen eine Gesamtlänge haben, – wie ein gelehrter Kommis ausgerechnet haben will –, daß man damit die Erde gleich einem Zwirnsknäuel, ich weiß nicht wie viele hundert- und tausendmal umwickeln könnte. Ist das nicht auch phantastisch? Diese »Eierteig«-Bändelwürmer! Ja, ja, Herr Schäfer, wir haben auch unsere Kruppe, und Eierteigröhren sind den Menschendarmröhren angenehmer, als Kanonenröhren, das dürfen Sie mir glauben, und der alte Münchhausen war, wenn ich nicht irre, ein Landsmann von Ihnen und kein Schwabe.

Wir wissen aber zu unterscheiden. Besonders unterscheiden wir streng zwischen Poesie und Prosa. Das ist unsere besondere Eigentümlichkeit. Wir sind keine Romantiker, wir halten beide säuberlich auseinander. Wir wissen, das Leben ist Prosa, das Geschäft ist Prosa, und Verse sind Poesie. Besonders Verse von Schiller, von Uhland, von Gustav Schwab. Und die Hohenstaufen sind auch Poesie.

Merkwürdig. Südwestlich vom Hohenstaufen liegt ein anderer kegelförmiger Berg. Seine Söhne sind auch einmal ausgewandert und sie sind wahrhaftig in der Fremde auch nicht kleiner geworden. Sie haben freilich nicht ganze Weltalter und ganze Weltteile mit Poesie durchleuchtet. Sie haben auch bescheidenere Brücken gebaut. Aber vielleicht solidere. Jedenfalls haben sie's zuletzt hübsch weit gebracht. Aber ihnen gegenüber sind meine Landsleute von einer ängstlichen Zurückhaltung. Bei dem Namen Hohenstaufen, welch patriotisches Hochgefühl! Als ob man sagte gebackene Spätzle mit Lattichsalat. Aber bei dem andern Namen, der doch auch hochklingt: es ist, wie wenn diesem Namen in der Fremde etwas verloren gegangen sei. Etwa die schwäbische Gemütlichkeit ... Wirklich habe ich mehr als einen Landsmann gekannt, dem es, lächerlich, bei dem Namen ganz ungemütlich wurde. Es scheint doch, daß meine Landsleute, trotz allem praktisch rechnerischen Verstand, ein wenig zum Aberglauben neigen ...

     

Ich habe hier drei Kreuze gemacht, lieber Freund, Sie können sich dabei etwas denken oder auch nichts. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich bin unterdessen, in stiller Morgenfrühe, vom Hohenstaufen (auf der andern Seite) niedergestiegen in ein einsames Wiesentälchen. Mir zur Rechten lag, hoch wie in den Wolken der schwarze Rechberg mit seiner Ruine und seiner Kapelle. So schwarz ist der Berg, weil er ganz von schwarzen Tannen umstarrt ist. Er repräsentiert eine andere Seite der alten deutschen Reichsherrlichkeit:

Rechberger war ein Junker keck.
Der Kaufleut und der Wandrer Schreck ...

Dafür hat ihn aber auch der Teufel geholt.

Und jetzt lag der Wiesengrund so still um mich her im tiefen Morgenfrieden. Ein plätscherndes Bächlein begleitete meinen Pfad. Sein Erlengebüsch war unten, wie auf dem Schwindschen Bild bei Schack, vom Morgennebel grau umschwebt, aber die Gipfel oben glitzerten wie frisch gefirnißt in der Sonne. Rings im nassen Wiesengras

Zeitlosen, zarte, zitternd im Wind,
Standen mit nackenden Füßen.

Diese armen nackten Dinger möchten den Herbst zum Frühling machen. Es gelingt ihnen schlecht. Und solchen Zeitlosen, ach Gott, gleichen gewisse Poeten. Der Herbst ist ja aber viel schöner als der Frühling.

Ich kam nach Lorch und stieg zum alten Kloster Marienberg hinauf. Das war das Kloster der Hohenstaufen. Denn ein eigenes Kloster gehörte in jenen Zeiten mit zum Hofstaat. Ich hatte irgendwo gelesen (oder gehört), daß hohenstaufische Grabmäler da droben zu sehen sind, doch meine Enttäuschung war groß. Die Helden des Bauernkrieges haben dieses Kloster von Grund aus zerstört und sie haben nicht Halt gemacht vor den Gräbern der Hohenstaufen. Das wäre auch von Bauern zu viel verlangt gewesen.

Aber zwei Pfeiler mußten sie doch stehen lassen. Diese lohnen allein den Aufstieg. Sie haben Kapitale von großer phantastischer Schönheit, und ich glaube nicht, daß in ganz Deutschland etwas Aehnliches zu sehen ist. Sie weisen direkt nach Palermo.

Und noch ein Gaudium hatte ich da oben. In dem alten toten Kloster hat ein lebendiger Kommerzienrat einer toten Kaiserin ein Denkmal aus Marmor gestiftet. Irene! Wie fernher geheimnisvoll klingt der Name, wie längst vergessen. Und nun soll er, der erlauchte, der inhaltlose bleiche Name, aus dem Reich der Schatten hervorgezerrt, da oben in dem Rattennest von neuem aufleben, weiterleben auf der Zunge eines breitmäuligen Küsters, der aus dem Munde riecht, und in engster Verbindung mit dem gar nicht bleichen Namen, mit dem sehr geräuschvoll klingenden Namen des vorher so namenlosen Herrn Kommerzienrats ... Und stilvoll, strengromanisch ist das Denkmal. Wenn dieser Mann erst Kaiser wäre ... Aber auch so, nicht wahr, weiß der Mann, was er seinem Stand schuldig ist. Er ist einer, der seine Zeit begreift; er, bei Gott, gehört nicht zu den Zeitlosen. Er hat außerdem was Rührendes. Er ist ein ganzer Schwabe, ein Schwabe durch und durch, sonst hätte er – sein Geld dem Mirbach gegeben.

In dem Städtchen Lorch hat Schiller drei seiner schönsten Knabenjahre verlebt. Hier war der Pfarrer Moser sein geliebter Lehrer. Unmittelbar unter dem Hohenstaufen ist Schiller hier aufgewachsen. Aber ein Hohenstaufendrama hat er, der Italien und Frankreich, Spanien und England und Rußland mit seiner tragischen Muse durchwandert hat, nicht geschrieben. Die Hohenstaufen waren keine Freiheitshelden. Sie waren etwas ganz anderes, und ihr größter und glänzendster Prachtkerl, der zweite Friedrich, hat glänzend bewiesen, wie noch ein anderer zweiter Friedrich, daß man ein großer Freigeist und zugleich ein großer Despot sein kann.

Von Schiller begleitet, in Gedanken natürlich – oder ist auch das schon unbescheiden gesprochen? – machte ich mich auf den Weg nach seiner Vaterstadt Marbach am Neckar.

Wir wanderten das Remstal hinunter über Schorndorf und Waiblingen. Unser Weg war wie eine Triumphstraße der Pomona, eine Meilen und Meilen sich fortsetzende, einzige, unendliche Apfelbaumallee, und kein Baum ohne zehnfache, zwanzigfache Stützen, Stange über Stange greifend, weil das lebendige Holz die Fülle der roten Aepfel allein nicht tragen konnte. Und unter den Bäumen alles gesät voll. Ich konnte mich nicht enthalten, hie und da einen aufzuheben und tüchtig einzubeißen. Und einmal bückte sich auch Schiller. Er biß aber nicht in seinen Apfel, er roch nur von Zeit zu Zeit daran, mit großem Behagen. Ich gewahrte endlich, daß der Apfel faul war.

Und immer hatte ich die Hohenstaufen im Kopf und die Frage, warum wohl Schiller kein Hohenstaufendrama geschrieben hat. Aber obwohl ich mir als Landsmann einige Familiarität herausnehmen durfte, wagte ich doch nicht recht, ihm mit dieser Frage auf den Leib zu rücken. Ich wußte ohnedies von spiritistischen Sitzungen her, wie schwerfällig Geister zu denken belieben, besonders wenn man unbequeme Antworten von ihnen haben will.

Aber eine andere Frage mußte doch heraus. »Wissen Sie denn, Herr Hofrat,« begann ich schüchtern, »daß wir das nächste Jahr Ihr Jubiläum feiern und daß z. B. die Stadt Mannheim, Sie erinnern sich doch, wo Sie Ihre ›Räuber‹ aufführen ließen, daß diese Stadt Mannheim sich bereits das große Theaterwundertier Possart aus München verschrieben hat zu diesem Zweck?« »Jubiläum,« brummte Schiller, »das sagen Sie gut. Doch die katholischen Heiligen werden ja auch an ihrem Todestage gefeiert.« »Verzeihen, Herr Hofrat, aber Herr Hofrat werden daraus nicht etwa auf römischen Einfluß schließen; denn die Ultramontanen ...« »Sie schwätzet Mischt.« Ich sah mich erschrocken um. Für so grob hatte ich Schiller nicht gehalten trotz seiner schwäbischen Abstammung.

Er war übrigens verschwunden.

Und ich stand allein unter dem Tor von Marbach, unter dem obern, wo man von Affalterbach herkommt. Mein erster Gang war natürlich zum Schillerhäusle. Das ist so klein, daß es rührend ist. Aber Sie werden das ja wohl in irgend einer Schillerbiographie schon gelesen haben, lieber Herr Schäfer. Haben Sie aber auch gelesen, daß vor dem Häusle ein mächtiger Brunnen steht mit einem steinernen Mann inmitten der Schale? Das ist der wilde Mann von Marbach. Er ist, eben als wilder Mann, ganz nackt. Aber er ist doch ein anständiger wilder Mann. Er trägt sogar statt einem Feigenblatt deren zwei, eins vorn und eins hinten.

Ich mußte mir den kleinen Schiller denken, wie er, in den ersten Höschen, mit einem Zipfelchen hintenheraus, vor dem Brunnen spielte. Da wird er wohl manchmal verwundert den wilden Mann angeschaut haben. Bald von vorn, bald von hinten. Und glauben Sie nicht, lieber Freund, daß ich recht habe, wenn ich Schillers hohe sittliche Weltanschauung von dem Anblick dieser zwei Feigenblätter – sie sind von riesigem Umfang – herleite? Glauben Sie nicht? Ich wenigstens geriet über meinen genialen Gedanken ganz in Feuer, und – was mir schon lange nicht passiert ist – ich machte Verse. Ich mußte ein Loblied anstimmen auf mein engeres keusches Vaterland. Würde man ein solches Beispiel doch überall nachahmen, überall die Werke der Kunst mit zwei so schönen großen Feigenblättern verzieren. Da wäre das Geschrei mit der Lex Heinze längst aus der Welt; drum

Heil dem Land, und dreimal Heil,
wo mit Feigenblättern bedeckt wird
der ein' und auch – der andre Teil,
der bildlich so oft geleckt wird.

Aber nicht daß Sie mir diese Verse, wenn Sie meinen Brief allenfalls in den »Rheinlanden« abdrucken wollten, schnöd weglassen. Gelt, das tun Sie nicht. Richard Dehmel macht ja bessere Verse, und erst Sie selber – wenn Sie überhaupt welche machen, ich weiß es nicht. Aber es kommt mir so selten vor, daß ich Verse von mir gedruckt sehe. Also bitte, lieber Herr Schäfer.

Es grüßt sie auch das Herrgöttle von Bieberach und Ihr u. s. w.


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