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Kunst und Religion.

Es ist kein Zufall, daß alle kirchlichen Ketzer mehr oder weniger eifrig die Kunst verketzert haben. Unter allen religiösen Reformatoren, das Wort im weitesten Sinn verstanden, ist vielleicht Luther der Einzige, der die Kunst – ich rede hier ausschließlich von der bildenden Kunst – nicht mit feindlichen Augen angesehen hat.

Doch weder von Calvin, noch von Karlstadt soll hier die Rede sein, noch von deren Nachahmer auf dem päpstlichen Stuhl, dem vierten Paul, der in das jüngste Gericht des Michelagnolo die Hosen hinein malen ließ, noch von jenen Elenden, jenen Namenlosen, die in den Loggien des Raphael die schönsten Figuren heruntergekratzt haben und die verdient hätten, preußische Polizeimänner oder sächsische Konsistorialräte zu sein – Italiener waren es gewiß nicht!

Ich werde die Kirchenmänner aus dem Spiel lassen. Es gibt außer ihnen noch Reformatoren genug.

Und sie haben alle denselben Zug. Ihr Beruf ist prophezeien, predigen, strafen – mit oder ohne Anwendung von Gewalt. Das hängt meist nur von den Umständen ab. Unter andern Umständen wäre Robespierre ein frommer Pietist geworden, und Teufel noch einmal, wenn – Tolstoi imperiale Macht hätte ...

Reformatoren, wenn sie auch noch so sehr Laien sind, werden fast immer, selbst wenn sie nicht wollen, zu Religionsstiftern, besser gesagt zu Kirchenstiftern. Das auffallendste Beispiel ist Saint-Simon. Es gibt eben auch atheistische Religionen, wenn auch das spezifisch religiöse daran sehr verblaßt ist, wenn auch die grobpraktische Moral mit Religion verwechselt wird.

Und Tolstoi? Sein Pech ist, daß die Religion seiner Erfindung schon vor neunzehnhundert Jahren geboren wurde. Ein großes Pech für einen, dessen größte Schwäche die Originalitätssucht ist und der es nicht verleugnen kann, daß er ein berühmter Dichter war, ehe er ein berühmter Reformator wurde, der jeder historischen Dokumentation seiner Lehre, in Personen und ganzen Körperschaften, eine Hartnäckigkeit der Ignoranz entgegensetzt, die nur in seiner Genialität ihres gleichen hat. Die größten Heiligen des Mittelalters und der früheren Jahrhunderte, deren Ruhm nicht nur die Kirche verkündet, deren eigenartige typische Größe auch kein Philosoph zu leugnen vermag: für Tolstoi existieren sie nicht. Er weiß einfach nichts von ihnen. Und er hat ganz recht. Ihn hört die ganze Welt, die ganze gebildete Welt; ihn hören alle Zeitungen dieser Welt und machen sich zu seinem Sprachrohr.

Er kennt offenbar diese Welt. Er singt ein Lied auf die Armut, niemand denkt an Franz von Assisi und seine Braut; er singt ein Lied auf die Keuschheit, auch das war noch nicht dagewesen und man würde nicht zu den Gebildeten gerechnet werden, wenn man nicht über den heiligen Aloys spottete und den heiligen Tolstoi furchtbar ernst nähme; er singt ein Lied gegen die Kunst, und – auch da nimmt man ihn ernst. Als ob nicht schon zur Zeit des Auszuges aus Aegypten und noch früher die Propheten gegen die Bilder gepredigt hätten, die Propheten, die Frommen, die Moralisten, die Nationalen.

Alle sittlichen Eiferer waren zu allen Zeiten Feinde der Kunst. Alle Weltverbesserer und Menschenverbesserer haben immer damit angefangen, mit der Kunst aufzuräumen, von dem, der das goldene Kalb zerschlagen hat, bis auf Karlstadt, und von Karlstadt bis herunter auf unsere Kunsterziehungstage, die die Kunst in die Volkschule und ins Arbeiterhaus bringen wollen – die die Kunst mit Spitalsuppe füttern wollen. Diese wissen nicht was sie tun. Leute wie Karlstadt und Tolstoi wissen es und haben den Mut dazu, und wenn Tolstoi nicht originell ist, so ist er dafür um so konsequenter: wer sich an Bauern wendet, das Wort symbolisch gebraucht, muß notwendig die Kunst verleumden und verleugnen.

Und immer im Namen der Sittlichkeit. In der Tat ist die Sittlichkeit dem Volk notwendiger als die Kunst. Die Sittlichkeit ist das Lebenselement des Volkes. Das ist die Kunst keineswegs.

Nicht einmal die katholische Kirche hat es gewagt, einen Künstler dem Volk als Heiligen aufzustellen. Wie viele Mönche des Dominikanerordens, berühmte Prediger und Gelehrte, haben nicht die Ehre der Kanonisation erfahren; keiner war reineren Gemüts und frömmeren Wandels und heiliger in seiner Kinderseele als jener Fra Angelico von Fiesole, und keiner von allen hat mehr religiöse Erbauung und Andacht geweckt als dieser mit seinen reinen Lobgesängen in Farben und Gold: aber nur die Prediger wurden heilig erklärt, nicht der Maler.

Man könnte auf den Verdacht kommen, als ob die Kirche der Kunst gegenüber doch kein ganz gutes Gewissen gehabt und die Kunst empfunden hätte weniger als Ausdruck ihrer sündensühnenden und heiligenden Mission als ihrer irdisch-weltlichen Schönheit, Macht und Herrlichkeit – ein Gewissen, das bald darauf, eben in den Reformatoren, unangenehm laut wurde.

Sollte die Kunst wirklich gegen den Geist des Christentums sein?

Gegen die Religion ist sie sicher nicht. Man könnte sogar sagen, sie gehöre zu ihr, sie sei ein Teil von ihr, eine Religion ohne sie sei eine halbe Religion, eine einseitige Religion, eine spiritistisch-schwindsüchtige Religion. Nicht nur der weltlustfreudige Paganismus der Griechen, auch die viel tieferen und strengeren Religionen des alten Indiens und des alten Aegyptens fanden ihren höchsten symbolischen Ausdruck in der Kunst. Nicht minder der mittelalterliche Katholizismus. Was bedeutete er noch für uns, wenn er nur einen Hildebrand und Thomas von Aquin hervorgebracht, aber nicht die Kathedrale geschaffen hätte! Auch im Mittelalter waren Kunst und Religion wie Leib und Seele. Der Gottesdienst selber, das religiöseste an der Religion, war nach innen Gebet und Opfer, nach außen aber ein Schauspiel, ein Kunstwerk.

Nicht wahr, darüber braucht man kein Wort weiter zu verlieren. Wo aber an dem Menschheitskörper, so weit er vom Juden-Christentum durchsäuert ist, etwas herausschwärt, was sich reines Christentum nennt, Christentum cat exochen, mit oder ohne Gottesglauben, ein solches Geschwür verleumdet und verleugnet immer notwendig die Kunst.

Und der innerste Grund dieser Erscheinung? Er liegt darin, daß dieses »reine« Christentum seine Stärke nicht im Religiösen hat, sondern im Sittlichen, im Sozialen; im Praktischen mit einem Wort. Darum gehen diese Urchristen, diese Cat-exochen-Christen, in ihrer Wertung der Kunst mit den offenbar antireligiösen und atheistischen Sozialen Hand in Hand, in guter – Brüderlichkeit. Sie sagen oft Sittlichkeit. Sie meinen darunter Gleichheit. Manchmal nennen sie es sogar Freiheit. Sie könnten ebensogut das Schwarze weiß nennen. Der Kasernendrill braucht Uniform, und gleichen Schritt und Tritt, und gleichen Griff. Die Maschine schafft Gleiches. Der Mensch schafft Ungleiches. In der Freiheit gedeiht das Ungleiche.

Alle Sittlichkeitsfanatiker sind mehr oder weniger versteckte Gleichheitschwärmer. Wenn sie ehrlich und konsequent sind, müssen sie alle großen Männer der Weltgeschichte vom Sockel reißen, die meisten waren erschreckend unsittlich. Aus derselben Konsequenz müssen sie die Götter absetzen, die Göttin Kunst mit inbegriffen.

Es ist ganz belanglos, daß Tolstoi sich einen Christen und Proudhon sich einen Atheisten nennt. Ihr Sittlichkeitsideal mit allen seinen politischen, das heißt praktischen Folgen ist dasselbe, und darüber hinaus gibt es für sie nichts. Für die Religion lassen sie keinen Raum, was allerdings nur der eine von ihnen ausdrücklich zugiebt. Und natürlich lassen sie keinen für die Kunst. Hier sind sie ganz ein Herz und eine Seele. Tolstoi könnte Proudhon abgeschrieben haben.

* * *

Die Sätze des russischen Grafen sind jedermann in Erinnerung, hören wir dagegen den Proletariersohn Proudhon. Mit dem ganzen Pathos seiner moralischen Entrüstung schnaubt er die Künstler an.

»Daß ihr es nur wißt: nicht der Krämergeist unserer Zeit, wie ihr behauptet, die eiserne Notwendigkeit selbst setzt eurem Schaffen den Preis ... Im Zeitalter Leos X. mußte das Geld der gesamten Christenheit, mußte der Ertrag des Ablaßhandels dazu herhalten, die italienischen Künstler in Brot zu setzen; unter den römischen Kaisern waren es die unterjochten Völker, die man auspreßte, um die griechischen Künstler zu bezahlen; Perikles selber aber bezahlte mit dem Schweiß der Sklaven. Die Gleichheit ist gekommen; sollten die Freien Künste ihren Namen verleugnen und die Sklaverei zurückführen wollen.«

Die Gleichheit ist gekommen. Ei! wo wohnt sie, wo sitzt sie. Diese wunderbare Dame, der zu lieb auf die Kunst verzichtet werden muß, ich habe noch niemand gehört, der sie gesehen hätte. Sollte sie sich etwa gar in Frankreich versteckt halten und dort mit den Plutokraten zu Bette gehen.

Hören wir weiter den Propheten der Gleichheit, Sittlichkeit und Glückseligkeit.

»Das Talent erscheint gewöhnlich im Gefolge einer Mißratenheit. Wem die Natur das harmonische Gleichgewicht aller Fähigkeiten versagt hat, in dem bildet sie eine einzelne zur Monstruosität aus. Ein Mann ohne Hände schreibend mit dem Bauch, das ist das Bild des Genies ...«

Proudhon weiß als echter demokratischer Gleichmacher ein gutes Gegenmittel: – die Schule. Natürlich.

»Unsere Schulen sind orthopädische Anstalten, wo die Auswüchse der Natur beschnitten werden.« Sie wirken also, nach Proudhon, antipoetisch, das heißt antiseptisch gegen das Gift der Kunst.

Der Mann kannte die Schule besser als unsere schulmeisterlichen Kunsterziehungstage. Und folgendermaßen verleumdet er den Künstler weiter:

»Die Begriffe des Rechts und der Rechtschaffenheit haben keine Wurzeln in seinem Herzen, und von allen Klassen der Gesellschaft ist die der Künstler am ärmsten an starken Seelen und vornehmen Charakteren. Wenn man eine Rangordnung unter den öffentlichen Berufen aufstellen wollte nach ihrem Einfluß auf die Zivilisation durch die sittliche Kraft des Willens, durch die Wärme des Herzens und die Macht der Leidenschaft, durch hohe Begeisterung für Wahrheit und Recht, und wenn man dabei von dem Wert ihrer Doktrinen an sich absähe, so käme man zu dem folgenden Resultat: den ersten Rang würden die Priester und Philosophen einnehmen, dann kämen die Staatsmänner und Feldherrn, dann die Kaufleute Fabrikanten und Arbeiter, endlich die Gelehrten und die Künstler. Während der Priester, nach seiner poetischen Sprache, sich selber nimmt als lebendigen Tempel Gottes, und während der Philosoph zu sich selber sagt, handle so, daß jede deiner Handlungen als Muster und Richtschnur dienen kann: bleibt der Künstler unberührt von der Bedeutung seines Werkes und stellt sich mit seiner Person fein auf die Seite, er zieht Nutzen aus dem Schönen und Erhabenen, er betet es nicht; er malt Christus auf die Leinwand, er trägt ihn nicht wie Ignatius Loyola in der Brust ...«

So redet einer, der als entschiedener Atheist alle Religion abschaffen will.

Er ist nur konsequent. Die Religion braucht die Kunst; die Sittlichkeit, d. h. das Sozialpraktische braucht sie nicht. Ein Feind der Religion muß die Kunst abschaffen; denn damit verarmt er die Religion, hungert er sie aus, und sie muß sterben. Kunst und Religion sind in gleichem Grad Luxus, wo das Sittlich-notwendige und Notwendig-sittliche höchstes Ziel ist.

Hören wir den Reformator noch einmal.

»Das Volk, dessen Instinkt so sicher ist, bewahrt pietätvoll das Gedächtnis der Gesetzgeber und Helden; um die Namen der Künstler kümmert es sich wenig. In den langen Zeiten einer gesunden Unwissenheit hat es für sie nur Abscheu und Verachtung, als ob es ahnte, daß diese Lustigmacher des Lebens notwendig die Verbreiter aller Laster und die Spießgesellen seiner Unterdrücker sind ... Und die Kirche, diesem Empfinden (der Armen im Geist) entgegenkommend, hat wiederholt ihr Anathema über die Künstler ausgesprochen. Die Kunst, d. h. der Luxus und die Wollust sind nach der christlichen Lehre Werk und Wesen des Satans, die zur ewigen Verdammnis führen. Und ohne daß ich einer Klasse Menschen, die infolge der allgemeinen Verderbnis so achtbar sind wie alle, zu nahe treten will ... kann ich nicht anders als dieser christlichen Auffassung Recht geben.«

Wahrhaftig, Tolstoi brauchte nicht weit zu gehen, um seine Offenbarung über Kunst und Künstler gedruckt vorzufinden. Auch Proudhon, sonst ein so klarer Kopf, verwechselt hier Religion und Sittlichkeit, vermag im »christlichen« nicht das religiöse vom moralischen Element zu unterscheiden. Auch er hat nicht begriffen, daß man wohl die Sittlichkeit, nicht aber die Religion gegen die Kunst ins Treffen führen kann. Dennoch hat er einen richtigeren Begriff von Religion als Tolstoi, er ahnt den inneren Zusammenhang zwischen Religion und Kunst. Er will nicht einen Luxus abschaffen und den andern behalten, er ist konsequenter als Tolstoi.

Wer die Religion abschaffen will, sagte ich, muß die Kunst abschaffen. Beide sind im Bund miteinander.

Ja, aber die Kunst emanzipiert sich doch oft von der Religion!

Von der Religion im engern Sinn gewiß. Aber das nützt den Feinden jenes sublimen »Luxus«, den wir Religion nennen, zu gar nichts. Denn indem die Kunst sich von der landes-üblichen Religion emanzipiert, setzt sie sich doch keineswegs in Feindschaft zu ihr, bekämpft sie auch gar nicht wie oft die Wissenschaft tut, sondern stellt sich nur als Religion neben die Religion, in schwesterlicher Eintracht und bildet, zum Grauen aller Moralbolde, nur einen neuen methaphysischen – und physischen – Luxus in unserem armen Dasein.


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