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Münchener Kunst.

Ich ging gestern auf der Straße hinter zwei Mädeln. Ich hielt sie für kleine Ladenfräulein; aber ich mußte mich getäuscht haben. »Was machens nun, Fräulein Mali, wenns zu Haus kommen?« fragte die Eine. »I woas no net«, lautete die Antwort; »entweder i moal oder i näh.« Sie malt oder sie näht. Ihr gilt alles gleich. Und da wollen die bösen Berliner Zungen behaupten, mit München als Kunstmetropole sei es aus.

Wir wissen hier in München sehr gut, wo uns der Schuh drückt. Heine im Simplizissimus hat den künstlerischen Ausdruck dafür gefunden. Das Münchener Kindl, mit einem Maßkrug in der einen Hand und einem Kübel-Lorbeer im anderen Arm, sträubt sich nicht im geringsten gegen den Berliner Bären mit der Pickelhaube, der ihm den Lorbeer abnehmen will; es kann ja dann auch mit der anderen Hand einen Maßkrug tragen. Das ist ihm viel lieber. Gewiß: die Geistesträgheit des »gemeinen Mannes« – und man darf den Begriff recht weit nehmen – ist hier ziemlich groß.

Aber wenn Leute, die doch einmal kein wahres inneres Verhältnis zur Kunst haben können, sich nun auch gar nicht um »so was« kümmern, so verliert die Kunst dabei eigentlich nichts; wenn aber, im Gegenteil, diese Leute, ihrem Unverständnis zum Trotz, sich für die Kunst interessieren und in Kunstangelegenheiten mitreden und dreinreden dürfen, dann muß solches Gerede der Kunst übelbekommen, nicht nur, wenn die Dreinredner gekrönte Häupter sind, sondern auch, wenn sie ein naseweises, eingebildetes Publikum sind.

Es gibt eine Art Bildung, wenn man das Ding so heißen darf, die der Kunst hinderlicher ist als Unbildung. Das gilt bis nach oben. »Kunst und Wissenschaft«, sagen wir in Deutschland. Als ob die beiden Geschwister wären und notwendig zusammen gehörten. Es sind aber mindestens zwei einander sehr feindliche Schwestern; und schon mehr als einmal hat die Wissenschaft der Kunst die Augen ausgekratzt.

Man darf trotz alledem aber kecklich behaupten, daß die Kunst in München aus volkstümlicherem Boden gewachsen ist als irgendwo in Deutschland. Es gibt hier viel Importiertes, durch Königswillen künstlich Aufgepfropftes. Das sollte aber nicht hindern, tiefer liegende Wurzeln zu beachten und in ihrer Bedeutung zu erkennen. Man darf dann freilich München nicht von seinem Hinterland abgesondert denken, wozu außer dem politisch bayrischen auch das stammlich-bayerische tiroler Gebirgsland gehört. Hier hat auf breitester Basis die kirchliche und weltliche Rokokokunst (eigentlich ein Pleonasmus) bis weit in unsere Zeit hinein geblüht und ganze Malergenerationen beschäftigt, deren Hauptvertreter gerade zu den Wittelsbachern vielfache Beziehungen hatten. Hier war die Tradition eine Macht und ein befruchtendes Element, das noch heute in zahlreichen Hausmalereien zu spüren ist. Die Kunstgeschichte hat sich bis jetzt damit wenig beschäftigt. Sie wird das Versäumte einst nachholen und dann werden viele staunen. In München wissen Männer vom Handwerk, Maler und Bildhauer, besseren Bescheid als die Gelehrten. Ich kenne einige, die nicht nur die gemalten Werke dieser Rokokomeister fleißig studiert, sondern auch deren Manuskripten und Rezepten mit Erfolg nachgeforscht haben. Sie fühlen sich zur Familie gehörig und setzen ihren Stolz darein.

* * *

Und da wäre denn gleich über die Straßenkunst einiges zu sagen, besonders über Architektur und deren äußeren Schmuck.

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Ein Kapitel für sich sind die Kirchenbauten. Man darf da nicht zu viel verlangen. Zum Beispiel keinen eigenen, modernen Stil. Ein solcher wäre, glaube ich, wenn man Geschichte, Zweck und Idee dieser Bauaufgaben bedenkt, nicht einmal zu wünschen; jeder Versuch dazu, meine ich, müßte scheitern.

Zwar: in Rom staunte ich über nichts so sehr wie über die neuen Kirchen. Viele sind es nicht. Rom hat Vorrat genug. Eigentliche Monumentalbauten sind auch nicht darunter. Aber es sind auch durchaus nicht Kopien alter, berühmter oder unberühmter Muster. Sie sind, wie sie eben sind. Aber ganz frei konzipiert sind sie, man muß wirklich staunen.

Das gilt von den neuen Münchener Kirchen nicht. Die besten Architekten haben hier nur den Ehrgeiz, dem Stil, um den es sich gerade handelt, gerecht zu werden. Nach der gelehrten Stilgerechtigkeit wird das architektonische Verdienst in erster Linie bemessen.

Welchen Stil man wählt? Das ist nicht einmal mehr Modesache, insofern man unter Mode die zwar kurzlebige, aber ausschließliche Herrschaft einer Geschmacksrichtung versteht. Nicht einmal eine ephemere Herrschaft wird heute noch anerkannt. Man ist nicht mehr ausschließlich, auch nicht für die kürzeste Zeitspanne. Man hat für alle Stile die selbe Gerechtigkeit, die selbe Liebe. Bis in unsere jüngsten Tage hinein hat man vorzüglich das Gotische und Romanische kopiert. Diese beiden Bauweisen galten, vielleicht nicht mit Unrecht, vor allen anderen als die ganz besonders religiösen Stile. Die begeistertsten Anhänger der Jesuiten haben kaum an diesem Dogma gezweifelt.

Aber ein Kunstgeschmack, der kein notwendiges Produkt einer bestimmten Kultur ist, kann nur eklektisch sein. So hat man jetzt hier, in Sankt Joseph, eine Jesuitenkirche gebaut, wo auch das Tüpfelchen auf dem I nicht fehlt, und gleich daneben erhebt sich, ebenso funkelnagelneu, sogar eine florentinische Brunneleski-Kirche mit Della-Robbia-Altären. Sie paßt nach München wie die Faust aufs Auge. Und gewiß hätte noch vor wenigen Jahren niemand solche Kühnheit für möglich gehalten. Noch dazu in Münchens Natur und Klima.

Dem Eklektizismus, dem in gewissem Sinn alles heilig ist, ist in tieferem Sinn zuletzt nichts mehr heilig.

Es ist aber auch gar nicht zu sagen, wie auf diesem speziellen Gebiet, dem des Kirchenbaues, Wandel geschaffen werden könnte.

Einen Ausweg vermöchte der Protestantismus zu bahnen. An ihm wäre es, hier einzugreifen und sich einen Ruhmestitel zu erwerben, der viele seiner Kunstsünden vergessen ließe. Er hat leider bis jetzt seine Aufgabe nicht begriffen. Und sie liegt ihm doch so nah.

Es ist fast unglaublich, daß eine so mächtige Bewegung, die den alten Gottesdienst gestürzt, die der Religion einen von Grund aus neuen Stil gegeben hat, auf die ganze Kirchenarchitektur eigentlich keinen Einfluß geübt, geschweige denn zu einem Stil darin gelangt ist.

Als der Katholizismus noch einen lebendigen Stil besaß, zur Zeit des Rokoko, baute der Protestantismus zwar unkünstlerisch bis zur trostlosesten Oedigkeit, aber er baute protestantisch. Heute baut er katholischer als die Katholiken. Die Lukaskirche an der Isar wimmelt von anachronistischen Uebertreibungen, von denen die besseren katholischen Kirchen sich fernzuhalten wissen. Doch was darf man von Münchener Protestanten fordern, wenn die Hauptstadt des Protestantismus, wenn Berlin mit seinem Dom ein solches Beispiel gibt? Da war eine Aufgabe von Weltbedeutung gestellt. Da war, einen neuen Stil religiöser Architektur zu schaffen, eigentlich eine Forderung des protestantischen Gewissens. Man hat den byzantinischen Stil vorgezogen.

Der Katholizismus mit seinem durch und durch konservativen Wesen braucht keinen neuen Stil. Er kann, wenn er alte Stile erneut, sagen, daß er vom Eigenen zehrt. Das kann der Protestantismus nicht, wenn er ehrlich sein will. Er unter allen Umständen mußte den Mut zu einem neuen Stil haben. Sein ganzes inneres Wesen mußte ihn dahin drängen.

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Münchens Verdienste auf dem Gebiet der Profanarchitektur sind bekannt und anerkannt. Das Rühmlichste daran ist die künstlerische Solidarität, wenn man so sagen kann. Hier in München wird zwar sehr individuell gebaut, aber das Individuelle verleugnet nicht den allgemeinen Stilcharakter, der sich immer deutlicher herausbildet. Auf diesem Wege allein ist Erfreuliches zu erwarten; denn wenn irgendwo, so ist in der Architektur Anarchie zugleich auch Verfall. Gerade im Reich dieser Kunst darf das Individuelle nicht das Typische überwuchern, die Laune nicht allzu weiten Spielraum haben.

Das hat man hier rechtzeitig erkannt. Die Schöpfungen Ludwigs des Ersten haben, trotzdem sie nur Kopieen waren, erzieherisch gewirkt. Vielleicht ist München die einzige Stadt, wo man bei allem, was neu gebaut wird, das Gefühl hat, daß sich hier ein eigener lokaler Stil durchringt. Das ist kein kleiner Ruhm.

Zwar hat man Theodas Fischer ziehen lassen. Aber sein Geist wirkt hier noch fort. Seine Schöpfungen, hier, besonders seine Schulhäuser, werden noch auf lange hinaus wegweisend bleiben. Und noch lebt Gabriel Seidl. Er ist wohl unfreier als Fischer, abhängiger vom Historischen, befangener; aber sein National-Museum ist doch die Schöpfung einer sehr bedeutenden künstlerischen Individualität, eines sehr geläuterten künstlerischen Geschmacks. Und ist ein Beweis dafür, daß in München das offizielle Bauen, das staatliche Bauen nicht in dem Maße wie anderswo der Mittelmäßigkeit überlassen wird.

Einigermaßen schon. Das geht nicht anders in einem Zeitalter, wo offiziell und impotent bereits Synonyme geworden sind. Friedrich Tiersch heißt hier der oberste Vertreter der offiziellen Kunst.

Es ist das vor allem eine gelehrte Kunst. Der Mann versteht es, im älteren Justizpalast z. B., seine künstlerische Armut und Sterilität mit einer wahren Sündflut von gelehrten Phrasen zu überfluten. Seine große Gelehrsamkeit hindert ihn nicht, das wüsteste Durcheinandergeschrei für Musik, die wüsteste Aufhäufung von toten Fratzen und zerhackten Gliedern für reiches organisches Leben zu halten. Daß aber diese offizielle Größe, die den Zopf noch einmal zopft, hier so wenig Schaden zu stiften vermag, das ist noch besonders ein Ruhm für München.

Und so mag hier der gemeine Mann noch so sehr Bierphilister sein: das Gesamtantlitz der Stadt beweist jedem, der nicht blöd ist, daß in diesem Körper ein starker künstlerischer Geist wohnt und das Ganze beherrscht, wenn er auch, wie es in einem Organismus nur natürlich ist, nicht in alle Teile dringt, besonders in die nicht, die, ihrer niedrigen Funktion gemäß, ihn gar nicht nötig haben.

Von Berlin kann man dasselbe nicht sagen. Aus der Physiognomie der Reichshauptstadt spricht wohl auch ein Geist, sogar ein sehr starker, nur eben nicht ein künstlerischer.

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Nur über das Niederreißen und das Restaurieren von Altem muß man auch hier, wie anderwärts, oft den Kopf schütteln. Das Niederreißen ist eben eine ganz besonders offizielle Kunst.

München war in seinen alten Teilen länger als irgend eine der Hauptstädte Deutschlands unberührt geblieben. Das erste Jahrzehnt nach dem siebenziger Krieg, wo die meisten großen Städte Deutschlands, besonders im Süden und Westen, sich von Kopf zu Fuß umkleideten, war an München fast spurlos vorübergegangen. Wenn man vor zwanzig Jahren durch die zwei Hauptstraßen nach dem Marienplatz ging, durch die Neuhauser- und Kaufingerstraße, konnte man sich zu gewissen Stunden des Tages und besonders des späten Abends in die ödeste Straße der ödesten Provinzstadt versetzt glauben. Keine Spiegelscheiben. Kaum ein Laden. Fast nur primitivste Bauernwirtschaften. Das weltberühmte alte Hofbräuhaus war typisch für die ganze Stadt.

Dieser Charakter der Stadt war nicht ohne eigentümlichen Reiz. München hatte ungeheuer viel vom Dorf und war doch, nicht nur als Königsresidenz, sondern auch als Sitz höchster geistiger und vor allem künstlerischer Tätigkeit, eine Großstadt von europäischer Bedeutung. Nur das päpstliche Rom war, auf andere Weise, etwas Aehnliches; gewiß ein schmeichelhafter Vergleich. Aber seit zehn Jahren hat sichs gründlich geändert. Ueberbleibsel gibt es zwar noch. Beispiel: die Wirtschaft »Zum schwäbischen Donisl« auf dem Marienplatz. Einem Berliner, der »so was« sieht, steht der Verstand still. Das ist in München möglich! ...

Es ist jetzt nur noch ganz vereinzelt möglich. München ist im Zug, eine moderne, sogar eine elegante Stadt zu werden. Es hat auf diesem Weg schon Riesenschritte gemacht; eher zu hastig als zu langsam. Früher ließ man, Jahrhunderte lang, alles beim Alten; heute fehlt es oft an Pietät auch für Das, was sie in hohem Grade verdiente.

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Wenn man die Menschen über Fehler, die andere in früheren Zeiten begangen haben, sittlich entrüstet sieht, sollte man meinen, sie würden gewiß nicht in dieselben Fehler verfallen. Und doch geschieht das so oft. Tausendmal schon wurde mit Empörung darauf hingewiesen, daß gewisse »Restaurationen«, die einst mit dem besten Gewissen von der Welt ausgeführt wurden, Vandalenwerk waren. Und immer wieder ist man, trotz solcher Erfahrung, allzu schnell mit dem Restaurieren bei der Hand.

Auch was in jüngster Zeit in der Alten Pinakothek an Dürers Paumgarten-Altar getan wurde, muß mindestens starke Bedenken erregen. Wer dieses bedeutende Werk Dürers in liebender Erinnerung trug und nun ahnungslos davor trat, mußte erschrecken, die Seitenflügel in einem Zustand zu sehen, in einer Restauriertheit und Gesäubertheit, daß er sie auf den ersten Blick nicht wieder erkannte. Laienhafte Sentimentalität, sagen die Gelehrten. Unser Gefühl muß zurücktreten, wo die exakte Forschung spricht. Und die exakte Forschung hat herausgebracht, daß die beiden Flügel von Dürer nicht so gemalt worden sind, wie sie waren, sondern so, wie sie jetzt sind, nach der Restauration. Dieses Pochen auf exakte Forschung! Als ob nicht in abertausend Fällen schon die exakte Forschung das Gegenteil von Dem bewiesen hätte, was die eben so exakte Forschung zehn oder noch weniger Jahre vorher bewiesen hatte ...

Aber dem Gelehrtenprotzentum kleiner und kleinster Geister ist nicht beizukommen.

Ich habe die Daten der »exakten Forschung« sorgfältig nachgeprüft. Sie haben mich nicht überzeugt. Ich fand sie durchaus unzulänglich. Für die eingehende Begründung dieses Urteils ist hier nicht der Raum; einstweilen genügt mir, daß mit meiner Auffassung Autoritäten übereinstimmen, die zwar nie in Archiven gestöbert haben, aber sich einbilden, eine Malerei Dürers und eine Malerei aus der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts (was die unrestaurierten Flügel zum Teil gewesen sein sollen) unterscheiden zu können. Ich kann freilich irren; auch die Künstler, die ich meine, könnens. Und die Restauratoren werden wohl auch Autoritäten auf ihrer Seite haben. Aber wenn ich diese Flügel so zugerichtet hätte, mir wäre bang, – nicht vor dem Gericht des Jüngsten Tages, doch vor dem einer vielleicht nicht allzu fernen Zeit.

* * *

Hier kümmerte man sich in diesem Sommer (1903) kaum um Dürer. Auch nicht sonderlich um den Glaspalast. Am meisten wurde noch von der Monet-Ausstellung gesprochen.

Mit dieser Ausstellung und der Aufregung, die sie hervorrief, zuerst in Berlin und dann hier in München, ist es wirklich ein seltsames Ding. Wer in den letzten Jahren den pariser »Salon« aufmerksam verfolgte, merkte klar die immer deutlichere und bewußtere Abkehr der französischen Malerei vom Impressionismus. Nicht der geringste Zweifel konnte darüber aufkommen. Klar war freilich auch: verloren waren die Bestrebungen des Impressionismus nicht. Das künstlerische Sehen vor der Natur hatte sich verfeinert, die Technik hatte viel gewonnen; Luft und Licht wurden feiner behandelt. Aber als Aufgabe und letztes Ziel, überhaupt als Ziel, war der Impressionismus nicht mehr sichtbar. Kaum noch als Weg.

Die Franzosen waren am Weitesten auf diesem Wege gegangen; sie haben ihn auch zuerst wieder verlassen. Ohne Hildebrands Büchlein vom Problem der Form gelesen zu haben, sind die Franzosen sehr schnell von dem Irrtum zurückgekommen, der der Kunst die Aufgabe vorschrieb, unmittelbare Sinneseindrücke zu ihrem Objekt zu machen und sich mit optischen Empfindungen zu begnügen, statt – die deutsche Sprache kommt hier der Aesthetik fein entgegen – die fertigen Vorstellungen so fertig, so anregend wie möglich darzustellen. Puvis de Chavannes wurde in seiner hohen Bedeutung erkannt und damit hörte – nicht die Schätzung – die Ueberschätzung des Impressionismus auf. Man war »des trockenen Tones«, des ewigen technischen Experimentierens, das sich selbst immer wieder nur technische Aufgaben stellte, gründlich satt.

Das ist nun bald ein Jahrzehnt her. Man darf sich also einigermaßen wundern, daß noch heute deutsche Berichterstatter und selbst deutsche Künstler vor einer noch dazu ziemlich armen Monet-Ausstellung – das Luxembourg-Museum enthält längst eine ganz andere Sammlung – in Ekstase geraten, wie vor einer neu entdeckten Welt. Französische Zeitungen haben denn auch über den verspäteten Enthusiasmus der Berliner gespottet.

Auch die Münchener Kunstschreiber haben ihren Muther fleißig gelesen; bei vielen sprach Muther aus jeder Zeile. Aber als Muther sein Buch schrieb, war der Impressionismus das Losungswort einer kämpfend vorstürmenden Partei, einer alles versprechenden Jugend, die gegen geistlose Schablone kämpfte. Und Muther selbst stand in den Reihen, tat mit, kämpfte mit. Gerade dem Impressionismus gegenüber war er kaum Historiker, sondern, wie es im Kampf notwendig ist, durchaus Partei. Heute ist, was damals zum Lichte strebte, schon historisch geworden; und wir können es, wenn wir nicht anempfinden und abschreiben, nicht mehr mit den alten Augen sehen.

Aus dem Glaspalast und den Sälen der Sezession nahm ich Eindrücke mit, die von denen der meisten Berichterstatter ziemlich weit abwichen. Anderen aber, die nicht das Bedürfnis haben zu schreiben, doch das Bedürfnis zu sehen und zu genießen, ists ungefähr so wie mir gegangen. Die Technik schreitet vor, die Handwerksmeisterschaft wächst, der Sinn für Ton und Farbe verfeinert sich von Jahr zu Jahr. Die Künstler, besonders natürlich die Jungen, zeigen, rein als Maler, eine Bildung des malerischen Gefühles, die den Betrachter mit Genugtuung erfüllen muß. Sie dürfen auch mit einem gebildeteren Publikum rechnen als vor fünfzehn und zwanzig Jahren. Wie die Augen der Maler, so sind auch die Augen des Publikums heute feiner. Das Publikum ist erzogen: kein geringer Ruhm dieser Malerei. Die mit groben Effekten Erfolg suchen, finden ihn nicht mehr.


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