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Bei Auguste Rodin.

In der Natur und im gemeinen Menschenleben sehen wir es häufig, daß das Lebendige und Lebendwirkende sich nicht stören läßt durch die nahe und nächste Nachbarschaft des Toten. Das Wort Jesu: »Lasset die Toten ihre Toten begraben«, wird in diesem Sinne unendlich häufiger befolgt als irgend eine andere seiner Lehren; denn es ist ein Gebot des Lebens selber. Und es ist ebenso ein Gesetz der Kunst, die auch nur ist, insofern sie lebendig ist.

Solche und ähnliche Reflexionen gingen mir durch den Kopf, als ich Auguste Rodin, unter dessen Händen die Kristallstarre des Marmors zu Fleisch und Nerv und zuckendem Leben wird, im Dépôt des marbres aufsuchte. Denn dieser stille Ort in fast wüster Umgebung ist zum Teil ein Kirchhof ganz eigener Art, ein Sammelort und eine Begräbnisstätte von sonderbaren Toten, nicht von toten Menschen, sondern von toten oder totdekretierten Marmorbildern. Der Ort hat insofern etwas Unheimliches, und einem Schwächeren als Rodin könnte hier leicht die Stimmung ausbleiben und die Freudigkeit des Schaffens vergehen.

Man denkt sich unter Dépôt des marbres einen Ort, wo rohe Marmorblöcke aufbewahrt werden und ihrer Bestimmung entgegenharren. Und das ist denn auch hier der Fall. Schon der Kardinal Mazarin hat dieses Depot geschaffen, denn in Paris haben, trotz Revolutions- und Kommunismus-Vandalismus, manche Dinge eine unglaublich zähe Langlebigkeit. Aber nicht nur tote Materie, die auf Beseelung wartet, ist hier aufgespeichert; auch längst gestaltete Blöcke, die schon einmal nicht nur zum Leben, sondern selbst zur Unsterblichkeit aufgerufen waren, betrauern hier, halb im Grabe, ihr verfehltes Dasein. Es sind besonders solche Gestalten, die, in der Oeffentlichkeit aufgestellt, die politische Empfindlichkeit der »Nation« verletzen würden. Auf solche Empfindlichkeiten nimmt der Staat gern Rücksicht. Wenn die Regierenden die ästhetische Feinfühligkeit der Besten in demselben Grad respektieren wollten, würde diese Begräbnisstätte der Marmorbilder bald nicht mehr ausreichen. Aber das fällt dem Staat nicht ein. Mit dem politischen Gewissen des Pöbels rechnet der Staat, aber das ästhetische Gewissen, das, als solches, nur in wenigen wach ist, was geht das den Staat an?

Immerhin hat derselbe Staat diese Rumpelkammer degradierter und abgetaner Marmorbilder nicht für zu gut gefunden, einem Künstler als Werkstatt zu dienen, der sich in den denkbar schärfsten Widerspruch zu aller staatlich protegierten Kunst gesetzt hat, ja, der von seinen Verehrern geradezu als die Menschwerdung oder vielmehr als die Kunstwerdung dieses Widerspruchs gefeiert wurde.

Es gibt eben doch noch große Unterschiede zwischen Staat und Staat und zwischen Regierenden da und Regierenden dort.

* * *

Es war offenbar Besuchszeit, als ich mich bei Rodin meldete. Damen der Gesellschaft kamen und gingen unter freundschaftlichen Begrüßungen, und es war wieder nicht zu verkennen, welche Vorteile die Sitte hat, die auch in privaten Räumen keine gegenseitige Vorstellung erheischt.

Rodin hat einen Barbarossakopf, eine feingeschnittene fränkische Adlernase und langen, braunroten Bart. Aber er ist kurz von Gestalt wie Pipin und auffallend breitschulterig. Das gibt seiner Erscheinung fast etwas Gnomenhaftes. In seiner Gestalt, wie in seiner Art, leise und zögernd zu sprechen, erinnert er an Hans Thoma.

Eine Dame bemerkte, er werde wohl oft große Schwierigkeit haben, gute Modelle zu finden. »Je ne suis point difficile là-dessus«, lautete die Antwort des Meisters.

Ich bemerkte dazu, ich wüßte schon von seinem Freund Octave Mirbeau, daß er die nackte Natur immer anbetungswürdig finde. »Oui«, antwortete Rodin, »elle est toujours au-dessus de notre pensée. Oh, beaucoup, beaucoup. Pour moi c'est un mystère religieux«.

Es war da eine Bronze, ein weiblicher Torso, vom Hals bis zu den Knieen, mit gespreizten Beinen und einer nichts weniger als herkömmlichen Ausführung der Details. Weitaus die meisten fänden diese Studie wohl nur widerlich und abstoßend, auch solche, die sich vom Philister weit abgerückt glauben und sich darauf etwas zugute tun. Für Rodin war das nur in hohem Grade mit Leben erfüllte Form. Mit absoluter Künstlernaivität drehte er das Werk vor all den vornehmen Damen, stellte es ins beste Licht und liebkoste es mit seinen Blicken. Es war ihm offenbar undenkbar, daß jemand etwas anderes darin sehen könne als er.

Er erklärte uns, daß es ein Teil einer großen Komposition sei; aber er habe dieses Stück Bronze so lieb, daß er es nicht von sich geben könne; er habe es darum behalten und für die Komposition ein anderes machen lassen. Und daran knüpfte er noch einige Bemerkungen.

»Seien sie versichert«, sagte er, »daß alle Komposition mehr oder weniger um der Laien willen gemacht wird. Der Künstler selber liebt eigentlich nur die Studie. Die Natur in ihrem Intimsten belauscht zu haben, genügt ihm. Der Ideengehalt einer Komposition, der für die Laien alles ist, entschädigt den Künstler nicht für die Summen feinsten und intimsten Lebens, die auf dem Wege von der Skizze bis zur Komposition notwendig immer verloren geht und die der Laie nur deshalb nicht schmerzlich bedauert, weil er keine Ahnung davon hat.«

* * *

In einem der beiden großen Atelierräume stand, der Vollendung nahe, das riesige Marmorwerk »Victor Hugo«. Der Dichter, in göttlicher Nacktheit, ruht in halb sitzend, halb liegender Haltung auf einer Wolke.

Man darf aber dabei nicht an Barockwolken denken, auf denen die heilige Dreifaltigkeit thront und Engelsputten Purzelbäume schlagen. Dieser Marmorblock mag wohl eine Wolke vorstellen, aber er gibt sich keine Mühe, ihr deswegen besonders ähnlich zu sehen. Er ist eben ein anderer als architektonischer Sockel. Er kann auch, wie er ist, einen Felsen vorstellen, einen Felsen am Meer, dessen Wogen sich zu ihm emporheben. Und bei der Gestalt kann man an den olympischen Zeus, man kann auch an Prometheus denken. Der Kopf könnte schon der des Olympiers sein trotz aller Hugo-Aehnlichkeit; er ist in Form und Ausdruck gewaltig und groß. Der Dichter ist im Zustand höchster Inspiration. Er lauscht wie auf göttliche Stimmen. Eine weibliche Gestalt laßt sich zu ihm hernieder, eine andere hebt sich hinter ihm aus der Tiefe.

In der Konkurrenz um das öffentliche Denkmal, das man neulich zur Säkularfeier des Dichters enthüllt hat, war das Werk Rodins zurückgewiesen worden. Man kann das nicht einmal bedauern. Das durchaus konventionelle Denkmal des Bildhauers Barrias, wo konventionell nackte Weiber dem Dichter konventionelle Kränze darreichen, während er selber (der ja gewiß in seinem Leben viel geschrieben hat) gar nicht konventionell einem Tintenfisch aufs Haupt tritt, wie die Maria der unbefleckten Empfängnis ihr Füßchen auf ein Schlangenhaupt setzt: Dieses in jeder Beziehung unanstößige Werk, das die ausschlaggebenden Gewalten wieder einmal gekrönt haben, paßt in Wahrheit viel besser auf die öde Straßenkreuzung der ehemaligen Place d'Eylau. Und so mag es denn dort stehen, so lang es kann. Rodins Werk hätte sich da fühlen müssen wie die Perle im Schweinetrog. Dafür hat es nun der Staat – der doch in Frankreich nicht ganz barbarisch ist – für den Luxembourg bestimmt, nicht für das Museum, sondern für den Garten.

Dazu konnte ich dem Künstler freudig gratulieren. Er freute sich auch selber. Nur in kein Museum, sagte er. Besonders, antwortete ich, wenn es das des Luxembourg ist, wo aus Mangel an Räumen die Kunstwerke allmählich aufeinander gehäuft werden wie die Gegenstände in einer Verkaufsbude.

Man sollte mehr in die Provinz schicken, meinte Rodin.

Ich erlaubte mir zu bemerken, daß das für Unsereinen nicht sehr bequem wäre. Da wurde Rodin ernst. Es nützt Ihnen nichts, sagte er, Sie müssen doch in die Provinz gehen, das Höchste und Gewaltigste, was der französische Genius geschaffen hat, enthalten die Kathedralen unserer Provinzstädte. Wer sie nicht kennt, hat keine Ahnung von dem Umfang und der Höhe der alten französischen Kunstleistung.

Sie denken sehr hoch von der Gotik? fragte ich. Non comme style, war seine Antwort, mais comme expression de vie, comme richesse de characteres.

Ich war nicht erstaunt dies zu hören

Wir stoßen auf den Schlüssel zu Rodins Wesen. Er ist der Gotik verwandter als der Renaissance.

Wie die Gotik so hat auch Rodin eine Vorliebe für das grotesk-häßliche, für das Häßliche großen Stils, für das Häßliche, das groß ist gerade durch Häßlichkeit, das ein Ungeheuer und eine Uebernatur ist durch Häßlichkeit, für die dämonische Häßlichkeit mit einem Wort. Und nicht zufällig hat er ein Tor zu Dantes Hölle komponiert, und arbeitet er fort und fort an der Gestalt des Dichters, der vor Violet-le-Duc Frankreichs Aufmerksamkeit und Bewunderung wieder der »Kathedrale« zugewandt hat und in dessen Quasimodo die Seelen aller gotischen Wasserspeier zu neuem Leben aufgerufen scheinen.

Rodin ist der nächste geistige Vetter von Richard Wagner. Alle Für und Wider, die bei Wagner Geltung haben, lassen sich auf ihn anwenden. Barock sind beide. Aber – das ist auch nur ein Wort.


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