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siehe Kapitelüberschrift

Benno Rüttenauer über sich selbst

Kurz vor dem Krieg erschien in München ein dickleibiger Band mit dem Titel »Geistiges und künstlerisches München«, worin neben einigen feinen und anmutenden ein großer Haufen recht dummer hochtrabender und gespreizter Selbstbiographien zu lesen waren, die zu manchem boshaften Lachen Anlaß gegeben haben. Selbstbiographien sind ein verfängliches Ding. Von dem Obengenannten aber steht in dem Buch folgendes zu lesen:

Ernst und Würde ziemen dem Großen und den Großen. Und außerdem den Philistern. Wenigstens meinen sie es. Andern Leuten, wenn sie einmal von sich selber sprechen sollen, mag es nicht übel anstehen, sich damit zu helfen, daß sie das üble Thema ein wenig lustig und mit nicht allzu wichtiger Miene behandeln. Und doppelt mögen sie sich dazu gedrängt fühlen, wenn sie aus Hinterwinkel stammen. So nenne ich gern, besonders in einigen Lieblingserzählungen (Alexander Schmälzle) meinen Heimatsort, in dessen Nähe ich, in einer kleinen Gerberei draußen am Bach, zu Lichtmeß 1855 das Licht der Welt erblickte.

Wer in der Chronologie und den Synchronismen unserer Literaturgeschichte etwas genauer bewandert ist, der begreift sofort das fatum von diesem datum, womit ich mich gleich von meiner Geburt an achtlos zwischen zwei Stühle setzte, wenn man mit solch gemeinem Bild die beiden glorreichen und schockweise auftretenden Generationen von Dichtern bezeichnen darf, die unser Schrifttum seit fünfundsechzig Jahren zu so hohem Ruhm gebracht haben, und für die ich nun ein für allemal, für die ältere zu spät und für die jüngere zu früh auf die Welt gekommen bin.

Der amtliche Namen meines Geburtsortes ist Wittstadt. Ich bin kein Philologe – wahrhaftig nicht – aber ich denke mir, daß der Name soviel bedeuten mag als der Ort an den Weiden oder an den Wiesen oder am Walde. Denn Wald und Wiesen und Weiden gab es vor allem in dem weltverlorenen Seitentälchen der Jaxt, wo ich mit sieben Jahren in der sehr primitiven Schule das rührende Lied sang:

Dich, mein stilles Tal,
Grüß ich tausendmal!

Das ist ein sehr sentimentales Lied. Die Sentimentalität aber ist die ältere, bleichgesichtige und bleichsüchtige Schwester des Humors. Der Humor meiner Kindheit aber war eine orangengelbe Schürze, die ich jedoch ablegen mußte, wenn ich in die Schule ging. In die Schule durfte der Humor nicht mit. Wir waren eine uralte Gerberfamilie. Und das ist eben der Humor, daß ich von der ganzen Sache nur die Schürze liebte; das Gewerbe, das sich nicht auf die Kunst sondern auf die Wissenschaft, nämlich die Chemie gründete, konnte ich nicht ausstehen. Es war nicht nach meinem Geschmack. Es war noch weniger nach meinem Geruch.

Zum Glück für meine Nase verkrachte das Geschäft, das durch Generationen und Generationen orangengelb geblüht, aber ganz anders geduftet hatte. Dieser Krach war kein singularer Fall, wir bildeten nur eines von den vielen Opfern der neuen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Nase also war gerettet, aber die orangengelbe Schürze war dafür hin auf immer. Sie bedeutete bald kaum weniger für mich, als wie die blaue Blume für die Romantiker. Wir waren nun arm. Ich wäre aber gern Vergolder geworden, wie unser Nachbar Seitz. Und dann wieder wäre ich gern Töpfer geworden wie mein Pate Rotermund. Oder am liebsten hätte ich beides werden mögen: ein Künstler, der zuerst die wunderbaren Töpfe drehte und sie darauf noch wunderbarer vergoldete.

Das waren doch künstlerische Instinkte? Aber ich bildete mir nichts darauf ein. Ich weiß sehr wohl, der Mensch ist zur Kunst geboren, wie der Vogel zum Flug; aber lernen muß er sie trotzdem, die Kunst. Und ich habe in meinem Leben nicht gelernt, goldene Töpfe zu machen. Wohlwollende Verwandte hatten es anders mit mir vor. In der Kreisstadt, im Hotel zum Roten Ochsen, sollte ich Hausknecht werden. Von Hausknechten erzählte man sich Märchen. Sie waren reich geworden von Trinkgeldern. Und wie reich! Sie hatten sich Häuser gekauft. Mir aber stellten sich auch in dieser stolzen und hoffnungsreichen Laufbahn Hindernisse in den Weg. Ich wurde nicht Hausknecht, aber ich wurde wenigstens Hauslehrer, was immerhin einigermaßen mit einander verwandt ist. Ein Stuttgarter Redakteur hatte das im »Geistigen München« gelesen und fing dann eine siebenzeilige biographische Notiz über B. R. so an: » Eigentlich hätte er Hausknecht werden sollen.« Ei, daß dich das Mäusle beiß', du literarischer Hausknecht, mit deinem wundervollen » Eigentlich Ich wurde sogar Lehrer an einem großmächtigen Gymnasium. Wie das zugegangen ist, begreife ich heute noch nicht; vielmehr: ich begreife es heute weniger denn je. Das war in dem schönen Freiburg im Breisgau, und ich war zweiundzwanzig Jahre alt. Von meinem Schulhalten will ich lieber schweigen. Ich habe dafür immer allzu schlechte Zensuren bekommen. Aus einem Musterschüler, der ich einmal war, was freilich fast eine Schande ist, war wenigstens kein Mustermensch oder gar Musterlehrer geworden. Kurz, ich schweige. Nicht verschweigen aber darf ich, daß ich damals in allem Ernst ein Heiliger werden wollte. Die ganze Mystik des wunderbaren Münsters schwellte meine junge Seele. Thomas von Kempis und Arthur Schopenhauer wurden meine Lieblingsautoren, und Bernhard von Clairvaux hielt ich als Ideal nicht für unerreichbar. Aber – o Eitelkeit des menschlichen Herzens! Da saß damals in jener frommen Stadt, in einer breitfenstrigen Mansarde, obwohl ihm das ganze schöne Haus gehörte am Rande der Dreisam, ein berühmter und vielbeneideter Mann, ein glücklicher Mann, mit einer Dionysosstirne, mit einem langen, schmalgehaltenen, schon silberigen Bart, der das Bild eines spanischen Granden gab zur Zeit der heiligen Armada, aber zugleich mit einer Nase, die von ferne an die des weisen Sokrates erinnerte. Dieser merkwürdige Mann saß da oben hinter dem breiten Dachfenster über dem rinnenden Schwarzwaldgewässer, er saß in seinem vornehm schwarzen Hausrock und zog Rauchwolken aus einer langen Pfeife, unaufhörlich. Wenn er einmal auf Augenblicke das Fenster öffnete, schwehlte es daraus hervor, wie bei einer Feuersbrunst. Er zog Rauchwolken und seine Hand schrieb auf weiße Blätter, hochgeschichtet, schrieb und schrieb. In der Dreisam unter seinem Fenster rannen die Tropfen nicht so unaufhaltsam wie die Tinte aus seiner Feder. Und seine Bücher flatterten gleich Taubenschwärmen aus der Dachkammer. Ich ging wenigstens einmal täglich unter der Mansarde vorüber, und immer klopfte mir das Herz. Ich war sehr schüchtern. Doch in etwas kindischem Gedankengang dachte ich: Wenn der Mann sich deiner annähme, könntest du ein Schriftsteller werden.

Wilhelm Jensen, der Recke aus Ostfriesland, hat sich meiner wirklich angenommen, sehr freundlich, sehr herzlich, er beglückte mich mit fast brüderlicher Freundschaft. Ein Schriftsteller wurde ich aber noch lange nicht.

Ich schnürte dann mein Bündel und wanderte aus. Ich durchstreifte die südlichen Provinzen von Frankreich, ich wanderte auf Troubadourwegen. Ich ging nach Paris. Ich wohnte auf dem Mont Sainte-Geneviève, nahe bei der uralten Sorbonne, wo einst der Hl. Bernhard, dem ich aber längst nicht mehr nachstrebte, und der unheilige Abelard in so hitzigen Kämpfen ihre philosophisch-theologischen Lanzen gebrochen haben. Ich wohnte sogar auf dem Montmartre. Aber selbst dort wurde ich kein Schriftsteller, die Kunst des Schreibens fiel mir merkwürdig schwer. Es ging mir damals nicht anders wie Karl dem Großen, ich legte umsonst meine Schreibtafel unter mein Kopfkissen. Zwar im Traume schrieb ich dann wunderbare Bücher.

Bald nach meiner Rückkehr aus dem Land der Troubadours mußte ich, auf Befehl der Götter, meinen Wohnort Freiburg mit Mannheim vertauschen. Das gefiel mir gar nicht in meiner Troubadourstimmung. Wohl trat mir hier eine neue Mystik entgegen, die des Großhandels und des Großkapitals, von allen Mystiken für mich die mystischste. Meine Seele war immer noch jung, aber geschwellt wurde sie nicht von dieser neuen Mystik. Dennoch war ich dann gern in Mannheim, es ist trotz Rauch und Gestank eine gesunde und nahrhafte Stadt. Auch liegt sie verhältnismäßig nahe bei Paris, das machte ich mir ausgiebig zu Nutzen.

Und in Mannheim wurde ich ein Schriftsteller – d. h. soweit es eben mein fatales Geburtsdatum zulassen wollte. Dennoch verliebte ich mich, nicht in die quadratische Stadt, und als ich bald auf zwei Jahre nach Italien ging, nach Sorrent und Syrakus, wo die Orangen nicht nur blühen – die orangengelbe Schürze mochte da doch noch zu einer mysteriösen Wirkung gekommen sein: – da bekam ich, ach! kein Heimweh nach den Schloten des Hemshof und anderem Mannheimer Ruß, trotz der Nahrhaftigkeit der guten Stadt, ich blieb sogar auf dem Rückweg, 1904 war's, in München hängen, ohne Zwang und Nötigung oder Herzeleid.

Hic Rhodus, hic salta, sagte ich mir, als ich München sah, und ging hin und nahm mir eine Frau, freilich eine Mannheimerin, und nahm mir auch ein Häuschen in Gern und bekam Stadt und Land immer gerner, ecce curriculum vitae.

*

Meine erste Dichtung, die ich schrieb – außer unzähligen »Gedichten« natürlich – war »Der alte Tumichan«, für den ich darum noch bis heut eine gewisse Schwäche habe. Einzig aus diesem Grund ließ ich ihn in diesem Büchlein abdrucken, was mir der Leser verzeihen mag, dem ich natürlich nicht zumuten kann, meine Schwäche zu teilen.

Ich schrieb dann sehr mancherlei. Auch Kunstbücher. Das erste über Hans Thoma (Malerpoeten, Symbolische Kunst) später über Wilhelm Trübner und andere. Ob je ein Leser daraus etwas gelernt hat, bezweifle ich, ich habe so meine Gründe; aber daß ich selber mir, indem ich sie schrieb, einiges Wesentliche zur Klarheit brachte – docendo discimus – das glaube ich zu meiner Genugtuung und ohne Selbsttäuschung behaupten zu dürfen, und so sind sie also doch nicht vergeblich geschrieben worden. Von meinen erzählenden Büchern aber, zu denen ich heute noch ein näheres Verhältnis habe und von denen ich hoffe – noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf! – daß dazu auch einige Leser (das deutsche Volk wäre ein zu kühnes Wort) ein ähnliches Verhältnis gewinnen möchten, weil sie meine Weltanschauung aussprechen, wenn sie ihnen schon nicht, wie ein biedermayerlich-farbiges Taschentuch allzusichtbar hinten heraushängt; von diesen Büchern seien hier folgende genannt:

 

Alexander Schmälzle. Lehrjahre eines Hinterwinklers.

Prinzessin Jungfrau. Nach den Aufzeichnungen der Fürstin.

Der Kardinal. Bekenntnisse eines Priesters.

Die Enkelin der Liselotte. Eine Liebes- u. Weltgeschichte.

Tankred. Die Geschichte des verheimlichten Prinzen.

Graf Roger Rabutin. Die Beichte eines Leichtfertigen.

Bertrade. Die Chronik des Mönchs von Le Saromon.

 

Sie sind alle im Verlag Georg Müller in München erschienen und mein ehemaliger, jetzt leider verstorbener Freund Georg Müller, zugleich Freund der schönen Literatur wie selten ein Verleger, hat sie in einer so liberalen Weise ausgestattet, daß ich stolz darauf bin und dem Verewigten dafür auf immer dankbar sein werde.

München, Lichtmeß 1920.

B. R.

P.S. Für Liebhaber seien noch erwähnt:

 

Die dreißig tolldreisten Geschichten. Nach Balzac's Contes drolatiques. Soeben in 13. Auflage erschienen im Insel-Verlag, Leipzig.

Wilhelm Hempfing
ist 1836 in Schönau bei Heidelberg geboren. Nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe war er als Zeichenlehrer in Ettlingen, Bühl und Tauberbischofsheim tätig. Dann ging er zu Professor Fehr auf die Akademie der bildenden Künste. Nach größeren Reisen in Italien, Frankreich und Holland sowie nach seiner Teilnahme am Feldzug, lebt er jetzt in der badischen Hauptstadt.

*

Die Zeichnung auf Seite 231 stellt, nach einem älteren Aquarell, Rüttenauers Geburtshaus dar.


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