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Die Geschwister

Ein geräumiges, hellfreundliches Schlafzimmer, mit zwei Betten, nicht reich, aber von wohltuender und geschmackvoller Behaglichkeit.

Das eine der Betten ist unberührt, in dem andern ruht ein junges, blasses Weib, mit dem Ausdruck seligsten Entzückens in den glänzenden Augen. Ein Mann in der Mitte der dreißiger Jahre, mit braunrotem Gesicht und schwarzem Schnurrbart, nach Tatarenart abwärts gedreht, sitzt an der Seite des Bettes. Die Blicke beider sind auf den schneeweiß eingewickelten Säugling gerichtet, der tief schlummernd zwischen ihnen liegt.

Sie schweigen beide.

Die Wärterin ist weggegangen, um eine Besorgung zu machen.

»Findest Du nicht, Alvin, daß er Dir ähnlich sieht«, unterbrach die junge Frau plötzlich das süße Verstummen.

Der Mann zuckte lächelnd die Achseln.

»Ich finde, daß er ungefähr nach einem menschlichen Wesen aussieht.«

Das verdroß die junge Mutter, sie schalt die Männer garstig, sie schmollte.

Alvin war nicht ihr Mann, sondern ihr Bruder; der Mann selber war in dringenden Geschäften abwesend. Unter den schwierigsten Verhältnissen hatte Alvin, von außerordentlicher Begabung unterstützt, seine Ausbildung durchgesetzt und verhältnismäßig früh, in einer großen Maschinenfabrik, eine gut bezahlte Stelle als Ingenieur gefunden. Sofort nahm er sich auch seiner Schwester an. Ohne ihren Bruder wäre ihr Los ein recht unerfreuliches geworden. In niedrig dienender Stellung hätte sie ihre Jugend, vielleicht ihr ganzes Leben zubringen müssen.

Alvin ließ ihr eine gediegene Erziehung angedeihen und setzte zuletzt seinem brüderlichen Werke die Krone auf, indem er Hildegard an seinen Freund und Collegen Otto Reichensberger verheiratete. Sich selber nach einer Gefährtin umzusehen, dazu war Alvin vor lauter Arbeit nicht gekommen. Und jetzt wieder benutzte er seine dienstliche Freiheit, um die Schwester so wenig als möglich allein zu lassen, d. h. allein mit ihrem Erstgeborenen, über dessen Dasein heute zum drittenmal die Sonne aufgegangen war.

Ein paar Augenblicke ließ Alvin die Schwester vor sich hinschmollen, plötzlich sagte er:

»Ich weiß jetzt, wem er auf ein Haar ähnlich sieht« ... Die junge Mutter blickte auf.

»Dir«, fiel der Bruder ein – »als Du nämlich einen halben Tag alt warst«.

»Ach, das hast Du ja miterlebt«, erwiderte Hildegard mit sanftem Lächeln. »Wie war's denn da, Du hast schon lange versprochen, mir einmal die Geschichte meiner Geburt zu erzählen«.

»Wenn Du sie hören willst; Wunderbares ist aber nichts dabei, sie ist nur sehr traurig, sie wird Dir trübe Gedanken machen«.

Aber Hildegard bestand darauf und der Bruder erzählte.

Du hast ja den Vater gekannt, begann er, da ist nichts zu vertuschen. Zur Zeit Deiner Geburt stand es noch etwas besser mit ihm, aber es ging doch schon rasch abwärts.

Er trug damals zwar noch mit einem gewissen Stolz das Schurzfell, in dem immer Hammer und Feile steckten, die Insignien seines Handwerks, eines vornehmen Handwerks, aber er saß mit samt seinen Insignien mehr hinter dem Schoppenglas im Bierhaus, als er in der Werkstatt weilte. Freilich gab es auch meistens nichts zu tun. Wer sollte einem Kupferschmied in einem gemeinen Marktflecken genügende Arbeit geben, zumal in einer Zeit, wo das Kupfer zu ungeheurer Teuerung emporgesteigert, fast ganz außer Brauch kam und in gewöhnlichen Häusern durch spottwohlfeiles Eisenzeug ersetzt wurde, das wir mit vornehmem Namen »Email« benennen; denn ihre Schundprodukte und billigen Ersatzdinge, sonst Surrogate geheißen, mit feinen Namen zu belegen, ist ein ganz besonderer Trick der Industrie. Der Kupferschmied war zum Anachronismus geworden. Hundertmal mußte ich als Kind den schlechten Witz hören, daß im Bereich des Schillingsfelder Kupferschmieds nichts an Kupfer erinnere, als seine Nase. Wenn nicht die kleine Landwirtschaft gewesen wäre, die die Mutter fast allein in Ordnung hielt, hätte das Elend noch mehr Gewalt über uns bekommen.

Also es war damals schon recht schlimm. Ich ging in mein dreizehntes Jahr in jenem Herbst, aber mit Ausnahme herber Schmerzenserfahrungen, die ich oft mit der Mutter teilte, war ich ein rechtes Kind geblieben. Ich glaubte noch fest, daß die Kinder aus dem Kappelbrunnen kommen. Dennoch fehlte mirs nicht an Neugierde. Die war im Gegenteil, wie die Phantasie, immer in mir lebendig. Wenn irgend etwas Neuartiges hervortrat, glaubte ich, meine Nase dabei haben zu müssen.

Nun wurde damals in Rappoldsau ein großes landwirtschaftliches Gaufest geplant, und Wochen vorher wurde von nichts anderem mehr geredet. Daß ich da auch hingehen würde, betrachtete ich als ganz selbstverständlich.

Ich freute mich schon im Voraus ganz unbändig auf das seltene Fest, ich malte es mir aus in den wunderbarsten Farben.

Ich hatte gehört, daß die verschiedenen Dörfer Wagen schickten, worauf sie die Landwirtschaft gleichsam in Miniatur darstellten, und ich freute mich besonders auf den Wagen der Klepsauer, der einen ganzen Weinberg vorführen und worauf geherbstet und Most gekeltert werden sollte.

Aber auch das Vorhaben unserer Schillingsfelder erregte im höchsten Grade meine Phantasie. Sie statteten einen Getreidewagen aus. Er war von einer Weizengarbe gekrönt und daraus sollte sich beim Hoch der Festrede eine weißgekleidete Jungfrau erheben, als Göttin Ceres, und sollte einen reichen Aehrenkranz auf die Festbühne werfen.

Wo hatte man schon so etwas gesehen oder gehört! Noch dazu sollte unser hübsches Bäschen, die Ernestine Stein, den Ernteengel vorstellen.

Als der große Tag kam, war ich der erste auf den Beinen. Und ohne ein Wort zu verlieren, steckte ich mich in meinen Sonntagsstaat, – mit dem sich allerdings kaum noch »Staat machen« ließ. Das Gleiche tat Schwester Margaret. Und auch der Vater. Stillschweigend. Uns warf er nur von Zeit zu Zeit einen seltsamen Blick zu. Er war damals noch eine ziemlich stattliche Erscheinung und seine Garderobe, aus der besten Zeit stammend, eignete sich noch recht gut, seinen dörflichen Künstlerstolz äußerlich zum Ausdruck zu bringen. Wir Kinder in unserem armseligen geflickten Zeug paßten schlecht zu ihm.

»Ihr bleibt zu Haus«, sagte er plötzlich, als ich gerade nach meinem Strohhütchen greifen wollte.

Das Wort wirkte auf mich wie ein Donnerschlag, einer aus heiterem Himmel; es schmetterte mich derart nieder, daß ich die Sprache verlor.

Die Mutter wollte uns Kindern zu Hilfe kommen. »Du hast es gehört«, lautete die barsche Erwiderung. »Hättest du dafür gesorgt, daß deine Kinder etwas Ordentliches anzuziehen haben. Man muß sich ja schämen mit ihnen.«

»Hättest du dafür gesorgt!« Die Mutter sollte natürlich für alles sorgen, für alles wurde sie verantwortlich gemacht.

Mit unfreundlichen Worten ging der Vater weg.

Nun glaubte ich erst an das Unglaubliche, an das Unbegreifliche. Und mich übermannte der Schmerz, ein heftiger Weinkrampf befiel mich.

Ich war auf eine solche Behandlung nicht gefaßt. Wir standen erst am Anfang der bösen Zeit. Bis dahin hatte es in Schillingsfeld dafür gegolten, daß wir von allem haben und überall vornedran sein müßten. Der Vater hatte uns in der Tat verhätschelt. Nun aber konnte er uns keine anständigen Kleider mehr anschaffen, da mochte er sich auch nicht mehr mit uns sehen lassen. Der Mutter war es schon lange schlecht gegangen, nun kam es an uns. Das wollte ich nicht begreifen, ich heulte nur immer fort.

Solches konnte die Mutter zuletzt nicht mehr mit ansehen, mein kindischer Schmerz erbarmte sie. Sie riet uns, wenn es denn sein müsse, allein aufs Fest zu gehen. Die Festwiese sei groß, wir brauchten uns ja nicht gerade vor dem Vater sehen lassen. Aber Geld könne sie uns nicht mitgeben, sie habe keinen roten Heller mehr im Haus; sie wolle uns Brot schneiden und ein Töpfchen Hauskäse zurecht machen.

Das tat sie, die Gute. Sie packte alles in ein Tüchlein und knüpfte die vier Enden übers Kreuz zusammen, also, daß ich es in der Hand tragen oder mit meinem Stecken über die Achsel hängen konnte.

Es war sonst der Mutter Art nicht, dem Willen des Vaters entgegen zu handeln. Vielleicht tat sie es in Wahrheit auch diesmal nicht; sie mochte wissen, daß dem Vater nicht das Geringste daran lag, wo wir uns herumtrieben, wenn wir ihn nur nicht durch unsere Gegenwart vor aller Welt an sein häusliches Elend erinnerten.

Natürlich hatte die Mutter an jenem Tage noch einen besondern Grund zur Weichherzigkeit und es mochte ihr auch darum zu tun sein, uns zwei Erwachsene oder Halberwachsene vom Hause fern zu halten. Wir machten uns auf den Weg.

»Wo wollt ihr denn hin mit eurem Bündelchen da«, wurden wir von einem Trupp Schulkameraden angerufen, »das sieht ja aus, wie ein kleiner Bettelsack, ein Häfelchen ist auch drin, wollt ihr Schmalzbetteln gehen?« Und die andern lachten. Sie lachten um so lauter, je verlegner und verschämter wir zwei dreinschauten.

Da begriff ich ungefähr, was ich noch nicht gewußt hatte, daß in den Anschauungen der Leute zu Festlichkeit und Freudigkeit Geld gehört und daß nur der ein Recht hat auf Lustbarkeit und Fröhlichkeit, dem die runden Stücke in der Tasche klimpern.

Und der Mut wurde mir traurig und mein Herz schwoll von Bitterkeit. Ich dachte mit Margarete wieder heimzukehren. Doch da malte mir die Phantasie einen Wagen vor mit einem ganzen Weinberg darauf, einem ungeheuren Berg mit Hunderten von Winzern und Winzerinnen. Das mußte ich sehen. Und auch die Ernestine als Weizenengel mit dem Aehrenkranz. Ohnedies hätten uns die andern, wenn wir umgekehrt wären, erst recht ausgelacht.

Ich kam aber an jenem ganzen Tag in keine Feststimmung.

Der vielbeschrieene Klepsauer Wagen war zu meiner Enttäuschung nur ein hölzerner Weinberg mit einem Dutzend abgeschnittener Rebzweige, woran die Trauben mit Bindfaden geheftet schienen. Und die Göttin Ceres kam aus ihrer Garbe überhaupt nicht zum Vorschein. Man hatte sie zu lange vorher hineingesperrt, im Sonnenbrand unter freiem Himmel, und kurz vor ihrer Apotheose war es ihr übel geworden.

Das war jedoch nicht das Schlimmste. Aber wo wir gingen und standen, die Margaret und ich, mußten wir böse Reden hören, bald über unsere Aermlichkeit, bald über den Leichtsinn des Vaters.

Manchmal bezogen sich die Reden auch auf die Mutter und sogar auf dich, die du noch gar nicht auf der Welt warst. In meiner Unschuld verstand ich die unflätigen Worte nicht; aber die Art, wie man darüber lachte, tat bei mir Wirkung genug.

Recht im Gemüte verstört, machten wir uns auf den Heimweg. Wir glaubten übrigens trotz allem von Glück sagen zu dürfen; wir waren nämlich dem Vater nicht begegnet. So meinten wir wenigstens.

Zu Hause kam es mir vor, als ob die Mutter krank sei. Sie schleppte sich nur so von einem Winkel zum andern. Es mußte ihr etwas sehr wehe tun, sie stöhnte manchmal laut auf.

Wir waren nicht dazu erzogen, daß wir in solchen Fällen Fragen an die Eltern richteten. Ich drückte mich scheu und angstvoll auf die Seite. Dann drängte die Mutter, daß wir zu Bett gingen, früher als sonst.

Wir schliefen in der Nebenkammer, in dem großen Bett, das der Großmutter gehört hatte und worin sie auch gestorben ist; wir mußten es zu Dreien teilen, Margaret, der sechsjährige Hans und ich.

Der Vater war noch nicht zu Hause. Ich wollte gerade einschlafen, als ich ihn kommen hörte. Schon von der Stiege her erriet ich seinen Zustand. Leider erwartete man fast schon nichts anderes mehr von ihm. Sehr unsanft kam er in die Stube gepoltert.

Ein paar Augenblicke blieb es ganz still. Dann fing es an, erst wie dumpfes Grollen, unverständlich, dann immer lauter und zorniger. Ich hätte am liebsten nichts gehört und mußte doch gespannt aufhorchen.

Er hatte unsere Anwesenheit beim Fest erfahren. Wir hätten mit unsern »Bettelsack« allgemeines Aufsehen erregt. Der eitle Mann glaubte sich verunehrt vor der ganzen Welt. Und das hatte die Mutter getan. Sie brachte Schimpf und Schande über ihn. Freilich, das war ja ihre Absicht, sie wollte es so haben; ihr war es recht, wenn man mit Fingern auf sie deutete ...! In diesem Sinne ging es fort, eine Stunde lang, bald gedämpft, bald schreiend.

Dazwischen flogen Gegenstände auf den Boden, bald klirrend, bald dumpf aufplumpsend.

Von der Mutter hörte ich lange nichts. Dann drang es an mein Ohr wie schmerzliches Flehen, manchmal wie wimmernd, wie von einer Totkranken. Ich mußte zuletzt heftig weinen und darüber schlief ich ein.

Nach meinem Gefühl war ich aber kaum ein wenig eingeduselt, als ich durch gellende Laute von neuem aufgestört wurde.

Ich hörte dann im Augenblick nichts als leise Stimmen und Tritte draußen in der Stube. Als ich mich aber gerade darüber wundern wollte, daß die kleine Gertrud, die sonst bei der Mutter schlief, als Viertes neben mir lag, im tiefsten Schlummer, da hörte ich plötzlich die Mutter heftig ächzen und dann einen so gräßlichen Schrei ausstoßen, wie ich im Leben nichts gehört hatte. Und da konnte ich nur noch einen Gedanken fassen, einen schauerlichen: der Vater habe in seinem Rausche die Mutter umgebracht.

Darauf lag ich vor Schrecken wie gelähmt. Ich vermochte weder einen Angstruf hervorzubringen, noch mich zu rühren.

Dieser Zustand muß nach und nach wieder in Schlaf und Bewußtlosigkeit übergegangen sein; denn ich wußte gar nichts mehr, bis mich die Tante Hanne weckte, als es schon Tag war und es g'rad' das erstemal zur Kirche läutete.

Ich hatte die Schrecknisse der Nacht fürs erste ganz vergessen. Ich dachte nur, daß heute Feiertag sei, Mariä Geburt, und daß ich in der Kirche beim Amt zu ministrieren hätte. Auch die Tante drängte, sie schenkte mir in der Küche eine Schale Milch ein und schob mich dann zur Küchentüre hinaus. Ich eilte über Hals und Kopf davon.

Erst in der Kirche dämmerte mir die Erinnrung der Nacht auf. Doch ich beruhigte mich, ich hielt alles nur für einen bösen Traum. Ich träumte oft so schreckhaft.

Dann hatte ich ins Pfarrhaus zu gehen, um den Meßwein zu holen. Während ich in dem Hinterzimmer wartete, daß die Köchin mir den Wein brächte, hörte ich plötzlich nebenan beim Pfarrer die Stimme des Vaters. Ich erschrack.

»Wie ists gegangen?« hörte ich den Pfarrer fragen.

»Sehr schwer und sehr langwierig«, lautete die Antwort darauf.

»Und wann wars genau?«

»Zehn Minuten vor drei.«

Also doch. Ich hatte keine Mutter mehr.

Ich weiß nicht, warum ich nicht laut hinaus weinte. Aber die Pfarrköchin gab mir in diesem Augenblicke das Weinkännchen in die Hand, und ich mußte achtgeben, daß ich rechtzeitig damit zur Kirche kam und unterwegs nichts verschüttete.

Das Amt der Messe begann und ich mußte mit Gewalt meine Gedanken zusammennehmen, um die lateinischen Respensorien richtig zu sprechen.

» Introibo ad altare Dei«, begann der Priester.

Wie es mich Mühe kostete zu antworten, noch dazu laut und vernehmlich! Meine Kehle war wie zugeschnürt. Aber es mußte doch heraus:

» Ad Deum, qui laetificat juventutem meam.«

Ich glaubte erwürgen zu müssen an diesem »Gott der meine Jugend erfreut.«

Die Messe brachte ich glücklich durch. Als aber dann der Pfarrer auf die Kanzel stieg und wir zwei Meßbuben uns in die Sakristei zurückzogen, da konnte ich nicht mehr an mich halten. Mein Kamerad, überrascht von meinem heftigen Weinen, fragte was mir sei. Nur unter heftigem Schluchzen konnte ich ihm Antwort geben.

»Da müssen wir ihr nach der Kirche ausläuten«, entgegnete er ruhig.

Nach der Predigt hieß es, es sei noch eine Taufe. Einen Augenblick sah mich der Pfarrer an, er stutzte.

»So, du weinst, daß du noch ein Schwesterlein bekommen hast?«

An dem lustigen Ton, in dem er dies sagte, wußte ich mit einem Schlag, daß die Mutter nicht gestorben sei.

»Komm«, sagte der Pfarrer darauf. »Du sollst selber der kleinen Maria Hildegard das Taufbecken halten.«

Da wurdest du getauft.

Ich stand und hielt das Becken und sah dich in dem Wickelkissen ruhen, während deine Pate, die Schreinerslisbet, für dich gelobte, dem Satan zu entsagen und allen seinen Werken, als da sind Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens. Dann ergriff der Meßner mit seinen knotigen Fingern dein zartes rosaschimmerndes Köpfchen und schob das zinnerne Becken darunter und der Pfarrer goß einen ganzen Guß kalten Wassers auf das Haupt: da wurdest du rot und blau und fingst an jämmerlich zu schreien und wolltest mit Weinen und kläglichem Geheul nicht mehr aufhören.

Das schnitt mir in die Seele. Ich hätte so gerne dein Weinen gestillt und konnte doch nichts tun. Da floßen auch mir von Neuem die Tränen über die Wangen nieder und mein tieferschüttertes Gemüt wurde noch heftiger aufgeregt. Ich fühlte, daß ich dich innig liebte, mehr als meine andern Geschwister, in einem ganz besonderen Sinn, denn du warst mir erschienen, als junges liebliches Leben, in dem Augenblick, wo ich an den schrecklichsten Tod geglaubt hatte. Dafür war ich dir im innersten Gefühl dankbar. Und wie ich dich so sah in jämmerlich schmerzvoller Hilflosigkeit, und ratlos in halbpriesterlicher Kleidung davor stand: da tat ich innerlich den Schwur, mit allen meinen Kräften nach tüchtiger selbständiger Männlichkeit zu streben, um dir eines Tages nicht nur Bruder, sondern auch Vater zu sein.

»Und wie hast du deinen Schwur gehalten!« hauchte die Schwester Hildegard, nach der Hand des Bruders greifend.

»Wenn dir die Geschichte nur nicht das Herz traurig gemacht hat«, sagte dieser teilnahmsvoll. »Nicht zu sehr«, antwortete ihr stilles Lächeln. »Doch also ein wenig?« Er bückte sich nieder und küßte die junge Mutter auf beide Wangen.

»Ich muß übrigens hinzufügen«, sagte er, »daß ich mit meiner selbständigen Männlichkeit noch am gleichen Tage angefangen habe. Leider war sie schnell wackelig geworden, denn ich hatte mehr Wein getrunken, als ich vertragen konnte. Der Vater, immer stolz auf seine neugeborenen Kinder, wollte auch sein neues Glück in gehöriger Weise feiern. So arm, wie zur Zeit deines Erinnerns, waren wir noch nicht; der Vater besaß noch einigen Kredit. Er ließ also einen ordentlichen Taufschmaus herrichten und lud alle Gevattern und Nachbarn ein, daß sie mit lustigem Zechen deine Erscheinung feierten ... Und das wollen wir auch mit deinem Erstgeborenen tun, sobald dein Mann zurück ist, nicht wahr?«

Die junge Mutter lächelte in stummem Glück.


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