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Der Sohn der schönen Isotta

Viel Grauenvolles hat sich zu alten Zeiten in der guten Stadt Rimini am gartenreichen Gestade der blauen Adria zugetragen, als welche das Geschlecht der Malatesta großartig fürchterlichen Angedenkens sich zu seinem Fürstensitz erkoren und erobert hatte. Hier war es, wo Giovanni Malatesta, genannt Lancelotto, eines abends seine junge Frau, Francesca da Rimini, zusammen mit seinem Bruder Paolo, im Ehebruch überrascht und beide mit seinem gewaltigen Schlachtschwert auf einen Streich getötet, aber ihrem Namen damit und zugleich dem der guten Stadt Rimini zur unverlöschlichen Unsterblichkeit verholfen hat in dem göttlichen Gesang des großen Dante.

Aber dieses weitkundige Ereignis, durch die stahlblanken Terzinen jenes poetischen Weltrichters dem Gedächtnis der Menschheit für ewige Zeiten eingeprägt, hat doch die Stadt Rimini damals sicherlich nicht in so ungeheure Aufregung versetzt, wie zweihundert Jahre später gewisse andere malatestaische Vorgänge daselbst, die im folgenden in bescheidener Prosa erzählt werden sollen.

An einem selbst dortzuland ungewöhnlich heißen Sommertag, nämlich am fünften August 1471, wurde bei dem romagnolischen Dorf Vigliano unfern der hochragenden Burg von Malazena eine der blutigsten Schlachten jener Zeit geschlagen. Die beiden obersten Feldhauptleute auf der einen Seite, der päpstliche Großgonfaloniere Napoleon Orsini und der Generalfeldhauptmann der mit Rom verbündeten Mailänder Truppen, Alexander Sforza, wurden schwer verwundet, der Legat des Papstes, Kardinal-Erzbischof von Spoleto, sozusagen der Vertreter des obersten Kriegsherrn auf dieser Seite, konnte sich mit knapper Not hinter die Mauern der Stadt Cesena in Sicherheit bringen, die ganze Streitmacht des apostolischen Stuhles und seiner mailändischen und sonstigen Verbündeten löste sich in Flucht und Verwirrung auf.

Und noch etwas Größeres geschah dem Sieger des Tages. Ein Kurier aus Rom überbrachte ihm ein freundschaftlich abgefaßtes Breve des eben neugewählten Papstes Sixtus IV. nebst der Bulle, die den siegreichen jungen Helden in seinem Fürstentum Rimini als Vikar der heiligen römischen Kirche feierlich bestätigte. Mehr unverhofftes Glück konnte einem Manne an einem Tage nicht begegnen.

Und wer war dieser Mann?

Man nannte ihn Robert den Prächtigen, oder den Großwaltenden, nämlich Roberto Malatesta il Magnifico, und ganz Italien lebte von diesem Tage an in der Überzeugung, daß dieser kaum sechsundzwanzigjährige Sohn des Sigismondo Malatesta des Schrecklichen und der sanften Vanetta dei Toschi seinen Vater an kriegerischem Ruhm noch weit übertreffen werde.

Dieser Vater aber hatte ihn in feierlichem Testament enterbt. Er hatte sogar dieses Testament, um ihm jede mögliche Kraft zu verleihen, in der päpstlichen Kanzlei zu Rom, von zwei Notaren beglaubigt, niederlegen lassen und war dann in dem guten Glauben gestorben, damit seiner vielgeliebten zweiten Gemahlin, der weithin genannten schönen Isotta die Regentschaft und ihrem und seinem Sohn Salusto die Nachfolge auf dem Thron gesichert zu haben. Und tatsächlich behaupteten die beiden bis zum Tag von Vigliano unbestritten die Herrschaft über Rimini.

Zu seinen Lebzeiten hatte Sigismondo dieser schönen und auch sonst ungewöhnlich begabten Frau, damals noch seine Geliebte, ehe sie seine Gemahlin wurde, durch den berühmtesten Baumeister der Zeit, den großen Leo Battista Alberti, einen prachtvollen Marmortempel errichten lassen, wie einst die alten Heiden taten. Dieses eigenartige Gotteshaus, der heutige Dom von St. Francesco zu Rimini, von Sigismund Templum Malatestinum genannt, zeigte in seinem tausendfältigen und überreichen Skulpturenschmuck kein kleinstes Zeichen unserer heiligen christlichen Religion, aber dafür vielhundertmal die ineinander verschlungenen Buchstaben S und I, die Initialen von Sigismondo und Isotta der Göttlichen, denn so und nicht anders nannte er sie, wo immer er ihren Namen in Marmor graben ließ oder in geprägtem Edelmetall verewigte.

Auch ihr Bildnis, – und wer kennt es nicht? – ließ er durch den unvergeßlichen Pisanello und den als Künstler kaum weniger ausgezeichneten Matteo dei Pasti in zahlreichen Medaillen nachbilden, die noch heut zu den höchstgeschätzten Kleinodien ihrer glücklichen Besitzer gehören. »Durch Schönheit und Tugend der Schmuck Italiens« lautet die Legende auf einem dieser kostbaren Rundbilder.

Zugleich ließ er ihr in dem Pantheon seines vergöttlichten Geschlechts, in jenem malatestianischen Marmortempel ein monumentales Grabmal errichten und das zu Lebzeiten seiner ersten Gemahlin Polixena Sforza. Die Überreste dieser sucht man heute vergeblich in jenem Tempel des Gedächtnisses, sie sind in irgendeinem Winkel im Boden versenkt und die Platte, die sie bedeckt, ist glattgetreten unter den Nagelschuhen des frommen Volkes oder war überhaupt ohne Inschrift geblieben. Der mächtige Sarkophag der Isotta aber hat seinen Platz neben dem Altar der Erzengelkapelle, hoch an der Wand; zwei gewaltige Elefanten, die Wappentiere der Malatesta, tragen ihn auf ihrem Rücken, und auf seiner Vorderseite auf einem erhaben gearbeiteten, von zwei Genien gehaltenen Schild liest man die Inschrift DIVAE. ISOTTAE. ARIMINENSIS. SACRUM. Das Heiligtum der göttlichen Isotta von Rimini.

Sein Sohn Robert aber, Roberto il Magnifico, fünf Jahre älter als Salusto, entstammte einer früheren Liebe, seine Mutter war jene Vanetta dei Toschi, die Sanfte genannt, die aber später, der Himmel mag wissen in welch einem Anfall von Laune, mit einem Dolchstoß in ihr sanftes Herz von Sigismondo, man hieß ihn den Schrecklichen, ermordet wurde.

So erklärt sich vielleicht das erwähnte Testament des Sigismund, dessen Gutheißung durch den Papst Paul II., als den Oberherrn von Rimini wie der ganzen Romagna, er mit so großem Eifer betrieben hat.

Aber wenn auch die Kirche unsterblich ist, die Päpste sind es keineswegs. Sie regieren sogar meistens kürzere Zeit als andere Herrscher, und die wenigsten Päpste, man weiß es, haben allen Entschließungen ihres Vorgängers Folge gegeben, wie ja denn auch tatsächlich die besagte Bulle des neugewählten Papstes Sixtus IV. der Geneigtheit Pauls II. gegen Isotta von Rimini ein gründliches Nichtsdavonwissenwollen entgegensetzte.

Die zahlreichen großen und kleinen Tyrannen jener Zeit, wenn sie gleich ihre nach innen unbeschränkte Gewalt mit größter Härte, ja Grausamkeit ausübten, hatten ihre Feinde doch nur unter ihresgleichen. Die Masse des Volks schaute eher mit staunender oder stupider Bewunderung zu ihnen auf, besonders wenn diese Fürchterlichen durch glänzende Taten, natürlich kriegerischer Natur, und ein noch glänzenderes persönliches Auftreten, verbunden mit imponierender Körperlichkeit, einen oft geradezu magischen Zauber auf die Phantasie der begeisterungslustigen Menge ausübten. Und das diabolische Geschlecht der Malatesta von Rimini übertraf hier vielleicht alle andern.

Zwar Roberto Malatesta trug über seiner hohen Gestalt und den mächtigen Schultern den antiken Imperatorenkopf seines Vaters mit dem breitrunden Kinn und der kräftig vorspringenden Nase, nicht mehr in voller Reinheit, drei große Warzen, ein schiefes Dreieck bildend, verunzierten seine linke Wange, aber er verdiente doch seinen Beinamen il Magnifico, der sich, der ganzen Empfindungsweise dortzulande entsprechend, weit mehr auf Körperliches als auf Seelisches bezog.

*

Sein Einzug in der guten Stadt Rimini am Tage nach der Schlacht von Vigliano durch die marmorne, aber im Verlauf der Jahrhunderte schwarz gewordene Porta Romana des Caesar Augustus, dem schönsten Bogen der Welt, gestaltete sich denn auch für ihn zu einer wahrhaft triumphalen Genugtuung. Er fand die Stadt geschmückt wie nie, seinen Weg mit Rosen bestreut, sieben rosengeschmückte Siegespforten aufgerichtet und alle Gasten mit kostbaren Teppichen überspannt zum Schutz gegen die Sonnenhitze, das ganze Volk wie toll vor Stolz und Jubel, ganz vergessend, daß in der Burg mit den acht Türmen, der sogenannten Rocca Malatestiana, eine Frau saß, die dieses gleiche Volk noch kurz zuvor nicht nur als Regentin und Herrin verehrt, sondern auch menschlich wahrhaft geliebt hatte.

War sie wirklich vergessen, die schöne Isotta? Der Magnifico mußte es denken.

Die achtfach getürmte Burg lag jetzt vor ihm. Ohne die strengen architektonischen Linien würde sie einem gewaltigen Felsgebirge geglichen haben. Das gelbliche Gestein leuchtete in der Augustsonne und stand wie aus Gold gegen den blauen Himmel.

Vor dem seeartig breiten Wasser, das die massigen, oben gezahnten Ringmauern umspiegelte, mußte er haltmachen auf seinem hohen schwarzen Streitroß und mit ihm das ganze kriegerische Gefolge seiner Leibtruppe; sein übriges Heer kampierte in festen Lagern weit draußen in der Ebene.

Einen Augenblick lang überkam ihn kein kleiner Verdruß. Doch dieser legte sich wieder, als er bemerkte, daß die enge Schloßpforte drüben gleichfalls im Rosenschmuck prangte, und schon rasselte auch die hoch in der Luft stehende Brücke an schweren Ketten nieder, die nun sein spiegelblanker schwarzer Hengst vorsichtigen Schrittes betrat. Unter der Pforte stand Isotta mit ihrem Sohn, dem einundzwanzigjährigen Herrn Salusto. Robertos Züge erheiterten sich vollends.

»Ei, Madonna,« sprach er scherzend, »Ihr steht ja hier, als ob Ihr mir den Eintritt in das Haus meines Vaters verwehren wolltet.«

Isotta antwortete: »Erlauchter Herr, wir beide, Euer Bruder und ich, stehen hier, um Euch den Willkomm zu bringen.«

Er dachte: Auf den Knien wäre dieser Willkomm mir willkommener gewesen. Zu einem gültigen Sakrament gehört ja nicht nur die innere Gesinnung, sondern auch das äußere Zeichen. Laut aber sprach er: »Wir danken Euch, Madonna, und werden uns Euch auch in Zukunft als ehrfurchtsvoller Sohn erzeigen, und Ihr, Salusto, wißt, daß Wir Euch immer als Bruder geliebt haben, wenn Ihr auch ein wenig allzusehr das Muttersöhnchen spieltet und freilich Unseren Wunsch nicht erraten habt, als Ihr zu Hause bliebt, während wir dem Feind und großer Gefahr entgegenzogen.«

Damit hielt er die Formen des Empfanges für beendet. Drei Tage später aber erlebte die gute Stadt Rimini ein anderes Schauspiel.

Das war im Monat August der achte, und da geschah es, daß Roberto Malatesta beim frühesten Morgengrauen aus dem Schlaf, wenn er wirklich geschlafen hatte, unsanft aufgestört wurde durch den Anführer seiner Leibwache, einem Mann mit kurzem schwarzen Krausbart und mit halb abgehauener, wüst vernarbter Nase im fahlen Gesicht, dessen verstörter Ausdruck im voraus eine schlimme Botschaft vermuten ließ.

Und folgendermaßen lautete sie. Auf ein ungestümes Klopfen am Burgtor war der Hauptmann an das höhergelegene Sprechgitter geeilt und hatte da Schreckliches vernommen. Ein Trüppchen Leute aus dem niedersten Volk, mehr Weiber als Männer, meldeten unter Wehklagen und wüstem Geheul, nicht weit von der Burg in der Gasse der Augustiner, auf dem halbrunden Platz mit dem Ziehbrunnen hätten sie den jungen Herrn Salusto tot in seinem Blut gefunden. Eure Magnifizenz wissen, fügte der Berichterstatter bei, es ist das der Brunnen vor dem Hause des Giannozzo Marcheselli, dessen Bruder in der Schlacht bei Vigliano auf seiten Eurer Feinde gekämpft hat; er ist Euer einziger erbitterter Widersacher unter den Bürgern von Rimini.

Der Malatesta schwieg, wie es schien, in tiefster Erschütterung. Nur ein dumpfes Stöhnen entrang sich von Zeit zu Zeit seiner Brust, so machte er den Eindruck eines Schwergetroffenen. »O ihr Götter, ihr neidischen,« brach es dann einmal plötzlich aus ihm hervor, »so teuer laßt ihr mir meinen Sieg bezahlen, ich hatte keine liebere Seele auf dieser Welt.«

Während des Ankleidens aber mit Hilfe zweier Trabanten wandte er sich einmal an den schwarzbärtigen Hauptmann mit der verstümmelten Nase:

»Du warst schnell mit deiner Zunge und sprachst mir ein wenig voreilig von dem Fähnrich Tito, dem Bruder des Giannozzo Marcheselli; hat er aber nicht auch eine Schwester, die man die blonde Beatrice nennt?«

Der Hauptmann machte zu dieser Frage ein etwas einfältiges Gesicht.

»Ich wußte nicht,« brachte er zögernd hervor, »daß man davon sprechen darf, und freilich erzählen sich die Leute, daß der erlauchte Signor Salusto von ihr heimlich geliebt wurde.«

Er erhielt eine strenge Antwort:

»Du wirst ihr das hoffentlich nicht zur Schande anrechnen wollen.«

»Gott bewahre,« beteuerte der Fahlgesichtige mit dem schwarzen Krausbart; »aber vielleicht hatte der Giannozzo diese Kühnheit ...«

»Und wollte«, brauste der Malatesta aus, »die Schande seiner Schwester mit dem erlauchten Blut des Herrn Salusto abwaschen! Meintest du so?«

»Verzeiht, hoher Herr,« antwortete der Gefragte, »es gibt Fälle, wo man am besten tut, überhaupt keine Meinung zu haben.«

»Das möcht' ich dir auch anraten, Meister Bartolo der Vorsichtige«, donnerte der Malatesta ihn an. »Aber ein anderes ist Meinen und ein anderes ist Wissen. Und was du bestimmt weißt, das sollst du mir sagen. Vergiß dabei nicht, daß es um deinen Kopf geht. Sprich, und laut, daß es in alle Ohren gellt, die gegenwärtig sind.«

Und der Hauptmann berichtete.

In der verflossenen Nacht um die zweiundzwanzigste Stunde von einem Weibsbild in der Frauengasse zurückkehrend durch die Gasse der Augustiner, hatte ihn eine entgegenkommende Gestalt veranlaßt, sich rasch in eine dunkle Ecke zu drücken, gerade gegenüber dem Hause der Marcheselli. Jene Gestalt aber, ein Liedchen vor sich hinpfeifend, kam nahe an ihm vorüber, und er erkannte sie sehr wohl trotz des schwarzen Kapuzenmantels. Bei dem Ziehbrunnen überschritt sie den Platz und näherte sich dem Pförtchen, das seitwärts des Hauses der Marcheselli in den Garten führt. Dieses Pförtchen öffnete sich allsobald wie von selbst, und unter einem dunkeln Frauengewand hervor streckte sich ein weißer Arm dem Ankommenden entgegen, worauf beide Erscheinungen hinter der Pforte verschwanden.

»Woran aber willst du die Gestalt im Kapuzenmantel so sicher erkannt haben?« fragte der Malatesta.

Meister Bartolo gab Antwort: »An dem Liedlein, das sie vor sich hinpfiff. Das pfeift kein anderer Mensch in Rimini, aber von dem erlauchten Herrn Salusto hatte ich es erst am Vormittag gehört, als er im hintern Burggarten zu Füßen des ehernen Herkules saß, ein geschlossenes Büchlein in der Hand und die Diana, sein Lieblingswindspiel, zur Seite.«

All diese Reden zwischen dem Fürsten und dem Hauptmann seiner Leibwache wurde nicht nur im fürstlichen Schlafgemach vernommen. Die Doppeltüre dieses stand zum Vorsaal hinaus weit offen, von wo ein großer Teil der Burgleute hineinhorchte; sie alle mußten glauben, daß über den Mörder und seine Tat kaum noch ein Zweifel walten könne, und diese Überzeugung wurde bald noch mehr bestärkt und von allem Volke geteilt, bei dem der Sohn der schönen Isotta, und nicht zum wenigsten seiner blühenden Jugend wegen, sich der größten Beliebtheit erfreut hatte.

Auf dem halbrunden Brunnenplatz der sonst engen Gasse der Augustiner, wo bereits ein großer Menschenhaufen den durch mehrfache Wunden so übel zugerichteten Leichnam umdrängten, kam dies deutlich genug zum Ausdruck in den bestürzten Gesichtern der Männer wie in den Klagerufen und dem Jammergeschrei der Weiber, deren aus allen Türen und Winkeln immer noch mehr in frühmorgendlicher Aufgestörtheit und kaum verhüllten Blößen herbeieilten, wobei es sich wieder zeigte, wie leicht das gemeine Volk die Sache seines Herrschers zu seiner eigenen macht, selbst wenn dieser Herrscher ein Mann der Willkür und böser Grausamkeit ist.

Man vernahm aber bald noch andere Laute als die von menschlichen Stimmen. Wie von fernem Waffengeklirr erklang es, und durch die Menge lief ein Gemurmel: der Fürst.

Er nahete. Nicht hoch zu Roß kam er. In einen seidenen Trauermantel gehüllt, ohne andere Kopfbedeckung als das sehr kunstreich gearbeitete schmale Diadem, mit niedergeneigtem Haupt und sichtbar in tiefen Schmerz versunken, schritt er zwischen seiner gepanzerten Leibwache, die Bevölkerung von halb Rimini hinter sich.

Um die Leiche herum entstand nun ein weiter Raum; nur das kleine Völklein auf dem gelbmarmornen Brunnenrand und dem hoch darüber stehenden Querbalken mit der Eimerrolle, in den sonderbarsten hockenden und kauernden Haltungen und Umklammerungen, alles kaum behoste halbwüchsige Buben und ebensolche Dirnlein, die einen mit scheuen, die andern mit frechen Gesichtern, diese allein machten keine Anstalt, ihre kühnlich eroberten Vorteile preiszugeben.

Doch Roberto Malatesta, der Mann mit den drei Warzen auf der linken Wange, trat jetzt an die blutige Leiche seines Bruders. Er ließ sich auf ein Knie nieder, dann küßte er mit großer Innigkeit den verblichenen schönen Mund des jugendlichen Toten. Dabei wiederholte er, und diesmal unter reichlichen Tränen, die Worte, die ihm schon einmal vom Munde gegangen:

»Du liebste Seele, die mir auf der Welt gelebt hat. Deine Mutter freilich, jetzt die ärmste der Welt, glaubt das alleinige Vorrecht zu haben, dich zu lieben. Gott tröste sie.« Er erhob sich, mit tränenden Augen um sich blickend. Es schien, als ob er sprechen wollte, aber sich dessen nicht fähig fühlte vor Schmerz und Herzeleid. Das umstehende zahlreiche Volk ehrte sein Unglück mit stummem Schweigen.

Doch plötzlich entstand eine Bewegung. An der einspringenden Ecke beim Zusammenstoßen der Marchesellischen Gartenmauer mit dem Nachbarhause fanden sich zwei hohe Reisigbündel angelehnt und hinter denselben hatte ein Bewaffneter des Fürsten ein blutiges Schwert hervorgezogen, das er jetzt seinem Herrn überbrachte. Dieser winkte einen Mann in ledernem Schurzfell mit langem roten Bart zu sich heran, einen bekannten Schwertfeger der Stadt Rimini.

»Kennst du vielleicht diese Waffe, Meister?« fragte ihn der Malatesta laut und durchdringlich.

»Allerdings,« antwortete der Beschurzte, »ich habe sie erst vor acht Tagen geschliffen, es ist das Schwert des Giannozzo Marcheselli.«

Und »Mörder! Mörder!« rief es aus vielhundert Kehlen. Daß nun ein solcher sein blutiges Werkzeug auf dem Schauplatz seiner Tat zurückließ, konnte, wenn man es überlegt hätte, eigentlich unglaublich scheinen. Doch hier überlegte niemand, und obwohl der Fürst keinen Befehl gegeben, sah man im Handumdrehen das Tor des Hauses Marcheselli erbrochen. Und nicht viel länger dauerte es, daß die eingedrungenen Soldaten und Bürger wieder herausstürzten.

Sie führten einen gefesselten Menschen mit sich, fast nackt, nur mit einem blutigen Hemd bekleidet, blutig auch an Händen und Gesicht.

»Der Mörder! Der gottlose Mörder!« schrie ihm das wütende Volk entgegen.

Erst auf eine herrische Befehlshabergeste des Malatesta verstummte das Wutgeschrei.

Der blutige Mann im Hemd, die Arme auf den Rücken gebunden, wurde von dem Hauptmann der Leibwache, dem Meister Bartolo mit der abgehauenen Nase, am Arm gehalten, wenige Schritte vor dem Fürsten.

»Wer ist der Mensch?« fragte dieser den Hauptmann.

»Es ist Giannozzo Marcheselli.«

»Mörder! Gottverdammter Mörder!« schrie es wieder von allen Seiten. Doch ein Zeichen des Siegers von Vigliano ließ die Menge aufs neue verstummen.

Der Gefesselte bot einen grauenerregenden Anblick dar. Unheimlich rollte er seine Augen, die wie auf Stielen aus ihren Höhlen traten. Er schien sich wie gegen einen unüberwindlichen Schlaf zu wehren und unbewußt alles dessen zu sein, was mit ihm und um ihn vorging. So erregte er den Eindruck eines Irrsinnigen.

»Es ist Giannozzo Marcheselli«, nahm Meister Bartolo das Wort wieder auf. »So wie Eure Magnifizenz ihn vor sich sieht, fanden wir ihn in seinem Bett! Die Hände blutig, das Gesicht blutig, die Bettücher voller Blutflecken.«

»Mörder, Mörder!« brüllte es wieder von allen Seiten, und jetzt mochte Roberto Malatesta gegenüber der allgemeinen Volkswut sich ohnmächtig fühlen. Das Schauerliche geschah. Die Menge schien wie in eine einzige wilde Bestie verwandelt. Ganz wie eine solche stürzte sie sich auf den elenden Giannozzo, und nicht lange dauerte es, so wurde da und dort, hier ein Bein, da ein Fuß, der Kopf sogar, auch ganz unförmliche Stücke Fleisches von ihm als blutige Trophäen in die Höhe gehoben, oder mit Füßen zerstampft, oder den schnuppernden Hunden zum Fraß hingeworfen.

Doch selbst diese scheußliche Metzgerei tat dem guten Volk noch nicht genug. Es stürzte sich jetzt auf das Haus des Marcheselli, erst raubend und plündernd, dann mit Feuerbränden, daß bald die roten Flammen aus den Dachluken züngelten und zuletzt nur noch kahle schwarze Mauern zum blauen Augusthimmel emporstarrten. Wenigstens aber hatte die Dienerschaft entweichen können, auch das Suchen nach der blonden Beatrice blieb ergebnislos, und erst lange Zeit nachher erfuhr man, daß es ihr gelungen war, sich zu den benachbarten Clarissinnen zu flüchten, deren frommes Haus sie auch in ihrem ganzen Leben nie wieder verlassen hat.

Die Bürger der guten Stadt Rimini jedoch erhielten am darauffolgenden Tage einen neuen beliebten Schmaus. In dem marmornen Prachtbau, dem Templum Malatestianum, von Sigismondo dem Schrecklichen der eigenen Göttlichkeit und der der schönen Isotta errichtet, die er so oft in hochbegeisterten Gedichten besang, durften sie den Aufbau eines gewaltigen Katafalks bewundern, der an Reichtum und Schönheit alles übertraf, was bis dahin in Rimini gesehen worden. Einen solchen mehr als königlichen Aufwand von seiten Robertos zu Ehren des toten Stiefbruders Salusto fanden sie wahrhaft ruhmwürdig, und vielleicht datiert sein Beiname il Magnifico von diesem Tag.

Doch als nach Verlauf einer Woche die Beisetzung und die Obsequien mit sogar noch größerem Pomp begangen wurden, beteiligten sich die guten Riminianer dabei mit etwas gemischten Gefühlen. Der Magnifico hatte ihnen, und von einem Magnifico war das vielleicht wirklich nicht schön, ein wenig in die Suppe gespuckt.

Nämlich in Rimini stand damals noch der alte gotische Signorenpalast, ähnlich dem Palazzo Vecchio in Florenz, als stolzer Zeuge jener Zeit, wo das souveräne Volk sich noch selber seine Herren gab. Und gerade an dem wettergrauen, vom Zahn der Zeit bedenklich angenagten Tor dieses alten Palastes fanden sie am Vorabend der genannten Obsequien ein malatestaisches Edikt angeschlagen, was ihnen nur halb gefiel.

Ihr rächender Eifer beim Tod des Herrn Salusto, wofür sie von seiten des Fürsten den wärmsten Dank erwartet haben mochten, wurde darin keineswegs gelobt; er wurde sogar streng gerügt und dem Volk zu solch eigenmächtigem Beginnen jede Berechtigung abgesprochen, ja, die ganze Sache als eine grobe Unbotmäßigkeit gegen den Fürsten dargestellt. »Dem Volke, was des Volkes, aber dem Fürsten, was des Fürsten ist«, lautete ein Satz und klang hart in den Herzen der guten Untertanen. Nicht dem Volk stehe die Ausübung der Gerechtigkeit zu, sondern allein dem Fürsten. Dessen Absicht sei es gewesen, den Mörder seines erlauchten Bruders den verordneten Richtern zu übergeben und die ganze Angelegenheit nach allen Regeln einer peinlichen Justiz klarstellen zu lassen, wobei es dann auch an den Tag kommen mußte, ob nicht noch andere Personen, wie es fast den Anschein habe, in den Mordanschlag verwickelt waren, was nun alles durch die bestialische Einmischung zuchtloser Untertanen abgeschnitten worden. Und mit schwerdrohenden Warnungen vor allenfallsiger Wiederholung der gleichen Unordnung schloß das Edikt.

Von der schönen Isotta aber hat der Erzähler gar nichts zu berichten?

Doch.

Die Ermordung ihres Lieblings änderte ihr seitheriges, immer noch mehr oder weniger freundschaftliches Verhältnis zu Roberto Malatesta vollständig. Sie wohnte zwar auch weiterhin auf der Burg, schloß sich aber mit nur geringer Dienerschaft in ihre Gemächer ein und ließ niemand vor sich, auch den Fürsten nicht, der ihr den Ausdruck seines tiefsten Beileids und eigenen Schmerzes darbringen wollte.

Jedoch einen Brief von Roberto zu empfangen konnte sie sich nicht weigern. Diese Frau, die so lange und auch schon bevor sie seine Gemahlin wurde, die Herrschaft mit dem allmächtigen Sigismund geteilt hatte, zeigte sich keineswegs gesonnen, nun mit einem Schlag auf alle Politik gänzlich zu verzichten.

Und eben darauf bezog sich der genannte Brief des neuen Gewaltherrschers. Zweierlei wollte er ihr zu verstehen geben. Das eine sei dies: Wenn Isotta glaube, ihre geheimen Verhandlungen mit der Republik des hl. Markus, Verhandlungen mit einem ihm feindlichen, kurz hochverräterischen Sinn und Inhalt, wären ihm verborgen geblieben, so lebe sie in einem verhängnisvollen Irrtum, und er wolle sie damit ernstlich gewarnt haben. Und das Zweite: Über die Ermordung des erlauchten Herrn Salusto, seines vielgeliebten Bruders, seien ihm schon wiederholt gewisse Gerüchte zu Ohren gekommen, und Isotta werde wohl wissen, warum er ihr dies schreibe. Er sei, wie immer, ihr ergebener Sohn, und darum wolle er es auch in diesem Punkt nicht an einer leisen Warnung fehlen lassen.

Die letzte Anspielung findet sich noch in einem andern Brief des Herrn Roberto Malatesta. Diesen schrieb er gleich nach der Ermordung seines Stiefbruders, er ist datiert vom 9. August 1471 und gerichtet an den Hohen Rat der großmächtigen Republik von Florenz, dem er damit die schreckliche Bluttat an dem hocherlauchten Herrn, dem Herrn Salusto, seinem vielgeliebten Bruder, kund und zu wissen tat.

In diesem Schreiben steht folgender merkwürdiger Satz: »Obwohl an dieser verabscheuungswürdigen Missetat oder irgendeiner Beihilfe dazu natürlich vollkommen unschuldig, muß ich doch befürchten, daß gewisse Personen, die auf meinen Untergang ausgehen, es sicher versuchen werden, Gerüchte darüber auszustreuen, die mich bei Eurer Herrlichkeit in ein falsches Licht stellen könnten; aber Gott, der gerecht ist und die Wahrheit aller Dinge kennt, wird es nie zulassen, daß ein Unschuldiger für den Schuldigen einstehen muß.«

Der letzte Absatz besonders, wie sich bald zeigen wird, enthält eine wahrhaft kühne Ironie; doch soll hier dem Gang der Ereignisse nicht vorgegriffen werden.

Die schöne Isotta – sie war es immer noch, denn ihre Art Schönheit grenzte ein wenig ans Männliche, lag vorherrschend in der großen reinen Linie statt in den Reizen des Zubehörs, als welche die leicht verletzlichen, die leicht verwelklichen sind – und also die schöne Isotta hatte mehrfache Gründe, warum sie den Roberto Malatesta nicht mehr vor Augen sehen wollte. Anfänglich folgte sie dabei nur einem dunklen weiblichen Gefühl, dem sie sich nach Frauenart vollständig hingab, doch mit der Zeit kam ihr auch der helle Verstand dabei zu Hilfe.

Zwei Dinge vor allem fand sie doch eigentlich ganz unbegreiflich. Einmal, daß ein Mörder sein eigenes blutiges Schwert bei der Leiche zurückläßt, und zweitens, daß er auch sonst nicht im geringsten darauf bedacht sein sollte, die Spuren seiner Tat zu beseitigen, vielmehr sich blutbesudelt zur Ruhe begibt, als wenn nichts geschehen wäre. Nur ein Irrsinniger könnte so handeln. Kurz, ein einigermaßen klares Nachdenken bestätigte die Logik der aufgeregten Volksmasse keineswegs. Anderes wieder blieb freilich in einem andern Sinn unerklärlich.

In diesen Tagen erschien auf der Burg ein päpstlicher Gesandter mit einem schwerwiegenden Auftrag. Der Herzog Alfons von Kalabrien war in den Kirchenstaat eingebrochen, er bedrohte sogar die Heilige Stadt mit einem Überfall, und die Aufgabe des römischen Gesandten bestand in nichts Geringerem, als den kriegskundigen und kriegsberühmten Malatesta mit seinen gefürchteten Scharen für den Heiligen Vater zu gewinnen und in Sold zu nehmen.

Denn dieser Malatesta war bekanntlich nicht nur ein kleiner Fürst von Rimini, sondern auch und noch mehr, wie man das dortzulande nannte, ein großer Kondottiere, oder Söldnerhauptmann auf deutsch, in bezahltem Dienst allen kriegführenden Mächten zu Gebote stehend, die ihn haben wollten und ihm genügend Beutegewinn und anderen Vorteil in Aussicht stellen konnten.

Die Besprechungen des Malatesta mit dem päpstlichen Unterhändler gingen nicht sehr glatt vonstatten, und der sich daraus ergebende Vertrag mit seinen Hunderten von Paragraphen nahm den Fürsten von Rimini oft bis tief in die Nacht hinein so in Anspruch, daß ihm tagelang für nichts anderes mehr weder Ohr noch Auge blieb. Denn auch bei den größten Geschäften dieser Welt geht es im Grund nicht viel anders zu, als wenn der Jud mit dem Bauern um seine Kuh handelt, nur eben viel schwieriger und langwieriger.

Und während nun wieder einmal bis über Mitternacht hinaus der Fürst und sein Kanzler mit dem Bevollmächtigten des römischen Stuhles feilschten, fand, im tiefsten Geheimnis, auch bei Frau Isotta eine nicht alltägliche Unterredung statt.

Sie saß in einem hochlehnigen Stuhl mit reichem Schnitzwerk an der Seite ihres Webrahmens. Ein Mann in brauner Kapuzinerkutte, die Kapuze weit über das Gesicht vorgezogen, stand vor ihr.

»Zeig' dein Gesicht!« befahl sie.

Der Kapuziner schob die Kapuze zurück und zeigte das fahle Bartgesicht mit der verstümmelten Nase des Hauptmanns Bartolo.

Isotta nahm das Wort:

»Du willst mir eine Mitteilung zu machen haben, die mich nahe angehe; brichst du damit nicht die Treue gegen deinen Fürsten?«

»Verzeiht, Madonna,« antwortete er, »ich habe sie ihm bis jetzt nur allzu buchstäblich gehalten, ich war ihm treu bis zur Unmenschlichkeit. Auch habe ich ihn geliebt, wie nur ein Knecht seinen stolzen Herrn lieben kann. Er wußte es wohl. In allen seinen Schlachten habe ich an seiner Seite gekämpft, ich habe ihm zweimal das Leben gerettet. Aber seit meinem letzten Dienst, den ich ihm erwiesen habe, seit dieser grauenhaften Sache ...«

Isotta unterbrach ihn.

»Schrecklicher Mensch du!« rief ihr Schmerz aus ihr heraus, »ich ahne, um was es sich handelt; aber sprich es nicht aus, denn wie sollte ich sonst dein scheußliches Angesicht noch einen Augenblick länger ertragen können.«

Der Tagliaferro, wie er sich gern nennen hörte, drückte die rechte Hand wider seine Brust; er sprach:

»Ja, Madonna, ich bin vielleicht ein Scheusal; doch begreife ich, was in Euch vorgeht. So will ich es nicht aussprechen, wenn Ihr Euch entsetzt. Aber seht, seit dieser Sache bekomme ich kein gutes Wort mehr von ihm und keinen guten Blick; so habe ich es auch bis heute nicht gewagt, ihn an meinen Lohn zu erinnern, den er mir versprochen hat. Eine Summe Geldes hat er mir allerdings gegeben, aber nicht in Gnade, nur so wie man einem Hund einen Brocken hinwirft, und ich halte ihn für fähig, mir ins Gesicht vorzuwerfen, das alles sei bloß meine Erfindung, um ihm noch mehr Geld abzupressen. Ich lese es in seinem Blick, wie er mich haßt und vielleicht fürchtet. Ja, so ist es, mein bloßes Dasein macht ihm angst. Ich bin wohl keine Stunde bei Tag und Nacht meines Lebens sicher. Und ohne die Ankunft der päpstlichen Gesandtschaft, wer weiß, was bereits geschehen wäre. Aber nun will ich es nicht länger darauf ankommen lassen, und mit Hilfe des allmächtigen Gottes ...«

Isotta machte eine Bewegung des äußersten Erstaunens.

»Mensch, was sagst du? Mit einem ungeheuren Verbrechen auf der Seele vertraust du noch auf die Hilfe Gottes?«

Der falsche Kapuziner faltete die Hände:

»Gott wird mir nicht anrechnen, was mir mein Herr und Fürst befohlen hat. Denn ohne Gottes Barmherzigkeit, wer könnte bestehen? Dennoch soll man sich auf Gott nur verlassen, wenn man selber das Nötige nicht versäumt hat. Nur dem hilft Gott, der sich selber hilft. Mein Entrinnen aus Burg und Stadt ist aber sorgfältig vorbereitet, und schon morgen, ehe die weitbogige Augustsonne die Hälfte ihres sechzehnstündigen Weges zurückgelegt, hoffe ich, vor seinem Erbfeind, dem Herrn Friedrich von Urbino, zu stehen, er wird mich mit Freuden aufnehmen.«

»Wirst du auch ihm dein Verbrechen bekennen?« fragte Isotta.

»Nein,« lautete die Antwort, »auch Friedrich ist ein Fürst, und Fürsten brauchen zwar die Mörder, aber sie lieben sie nicht.«

Isotta forschte weiter.

»Aber mir gegenüber hattest du keine Scheu; war dir denn das ein leichtes, der Mutter des Ermordeten mit deinem Bekenntnis unter die Augen zu treten?«

»Erlauchte Frau,« antwortete Bartolo, »es war mir der schwerste Gang meines Lebens, aber ich gedachte damit einen Teil meiner Schuld abzubüßen. Ich gedachte auch, Euch damit einen Dienst zu tun. Und daran knüpfte ich eine Hoffnung; macht sie nicht zuschanden, Madonna.«

Er sank in beide Knie, die Hände erhebend: »Könnt Ihr mir verzeihen, hohe Frau?«

Isotta zögerte.

»Du verlangst mehr, als ein in den Tod verwundetes Mutterherz vermag.«

»Seid Ihr keine Christin?«

Die Gesichtsblässe der Isotta verstärkte sich noch um einen Grad, wie im Kampf mit sich selber antwortete sie: »Im Denken und Reden war ich stets eine Heidin; wir haben ein Gotteshaus gebaut, aber haben es einzig mit heidnischen Zeichen und Symbolen ausgestattet. Das war vielleicht Gotteslästerung. Auch die Gelehrten und Poeten, die uns so zahlreich umgaben, redeten nur von Juno und Aphrodite, von Jupiter, von Mars und Apollo. Vieles, was uns widerfahren ist, deutet auf ein Strafgericht des erzürnten Gottes. Aber gebetet habe ich immer nach den Vorschriften der Heiligen Kirche. So hoffe ich, Gott möge mich stärken, und dann will ich beten für das Heil deiner armen Seele, mehr kann ich dir nicht zusagen. Aber jetzt erhebe dich, und dann gib mir noch Antwort auf eine Frage.«

Und als der Tagliaferro wieder vor ihr stand:

»Es ist so viel Seltsames im Verlauf jener Vorgänge«, begann sie nachdenklich, »vor allem das blutige Schwert des Giannozzo Marcheselli, aufgefunden in der Nähe des Toten und wie man, bei schon taghellem Morgen, ihn selber in seinem Bette fand mit den überreichen Spuren einer blutigen Tat, kannst du mir das erklären?«

»Aber war denn das nicht,« antwortete der Krausbärtige, »war denn das nicht für das dumme Gesindel von Volk fein ausgesonnen? Um das zu begreifen, erlauchte Frau, müßt Ihr wissen, daß ein leiblicher Bruder von mir dem fast einsiedlerisch lebenden Marcheselli als Koch diente, der mir, gegen gute Belohnung, gern einen kleinen Dienst erweisen wollte. Er mischte seinem Herrn einen solchen Schlaftrunk, daß auch die Posaunen des jüngsten Gerichts ihn zu erwecken kaum imstande gewesen wären. Er schlachtete darauf einen Stallhasen, und mit dessen Blut richtete er den entkleideten und zu Bett gebrachten Giannozzo so zu, wie wir ihn am andern Morgen aufgefunden haben. Mit der gleichen roten Salbe beschmierte er auch das Schwert des Marcheselli und steckte es hinter jene Reisigbündel. Das alles wurde, nach dem wohlausgedachten Plan des Fürsten, zwischen mir und meinem Bruder verabredet und ausgeführt, und sagt selber, hocherlauchte Frau und Herrin, war das nicht ein wahrhaft spitzbübisches Stücklein?«

»Genug, genug,« rief die entsetzte Isotta, »aber nun geh', und die Madonna begleite dich, wenn es ihr nicht allzusehr vor dir graut.«

Diese merkwürdige Unterhaltung zerstörte freilich auch die letzten Zweifel im Kopf und Herzen der schönen Isotta, aber zum Heil gereichte ihr das nicht.

Roberto Malatesta erfuhr am andern Tag die Entweichung des Bartolo; er sah nun wohl ein, daß er einen schweren Fehler begangen, daß er den Mann falsch behandelt und sozusagen selber in die Flucht getrieben hatte. Aber daran blieb nichts mehr zu verbessern, und statt des entronnenen Mörders erschreckte ihn jetzt ein anderes drohendes Gespenst und raubte ihm den Schlaf. Er hatte nämlich auch die nächtliche Zusammenkunft seines Hauptmanns mit Isotta in Erfahrung gebracht, und so bedeutete jetzt die verhaßte Stiefmutter für ihn eine größere Gefahr als je, wenigstens schien ihm ein weiteres Zusammenleben mit der herrischgewohnten Frau unerträglich – man fand sie eines Morgens erdrosselt in ihrem Bett.

Von diesem Tod wurde in der Öffentlichkeit wohl manches gemunkelt, aber laut sprach niemand davon. Um so mehr Rühmens machte man, und noch nach vielen Jahren und durch halb Italien hin, von der rührenden Totenfeier für die schöne Isotta, von dem unerhörten Trauerpomp ihrer Beisetzung im Templum Malatestianum, dem heutigen Dom von Sankt Francesco. Der ungeheure Aufwand dabei übertraf noch bei weitem den für den unglücklichen Salusto einige Monate zuvor, Roberto Malatesta hieß wahrlich nicht umsonst il Magnifico.

Der mit den kostbarsten Spezereien und mit ausgesuchtester Kunst gepflegte Körper der schönen Isotta fand seine letzte Ruhe auch durchaus nach den Wünschen und Bestimmungen dessen, dem sie so lange die teure Geliebte war, ehe sie seine Gemahlin wurde und der dieser Göttlichen, denn so und nie anders nannte er sie, wo immer er auch ihren Namen in Marmor graben ließ – der ihr in dem Tempel seiner eigenen Göttlichkeit, in jener Kapelle, die man später die Kapelle von Sankt Archangelo nannte, aus weißem Marmor einen königlichen Sarkophag errichtet hat, wie er heute noch zu sehen ist, hoch an der Wand, auf dem Rücken zweier Elefanten ruhend. Auf seiner Vorderseite ist ein Schild erhaben gemeißelt, von zwei Genien gehalten, und die Inschrift darauf lautet: DIVAE. ISOTTAE. ARIMINENSIS. SACRUM. Das Heiligtum der göttlichen Isotta von Rimini.

Damit ist eigentlich die Geschichte zu Ende. Aber nicht nur Kinder allein, denen man ein Märchen erzählt hat, möchten danach gern noch weiter erzählt haben, und in der Tat ist hier vielleicht über den Magnifico noch ein letztes Wort zu sagen, wobei nun freilich ein neuer Name zu nennen ist, wenn auch keine neue Person.

Denn um keine andere Persönlichkeit handelt es sich, als um den mehrerwähnten päpstlichen Bevollmächtigten bei Roberto Malatesta auf der festen Burg zu Rimini. Dieser Mann lebte noch wenige Jahre zuvor als ein armer Gewürzkrämer in einer feuchtdumpfen Gasse zu Savona im Piemontesischen. Da bestieg eines Tages sein mütterlicher Oheim, ein ehemaliger Franziskanermönch, als Papst Sixtus IV. den höchsten Thron der Welt, und aus dem Krämer wurde ein Graf, Girolamo Riario genannt. Dieser mochte nun finden, daß der stahlharte Roberto die augenblickliche Not des heiligen Vaters allzu selbstsüchtig ausnützte, indem er sich von seinen harten Bedingungen und Forderungen auch nicht einen Deut abhandeln ließ, was den Riario befürchten lassen mußte, von dem päpstlichen Oheim zu Rom wie ein Schulbub empfangen zu werden, der seine Aufgabe nur sehr mittelmäßig gelöst hat.

Aber die schwierigen und langwierigen Verhandlungen mit dem fürstlichen Söldner- und Bandenführer von Rimini verhinderten den neugebackenen Grafen nicht, sich dazwischen auch dessen Stadt ein wenig anzusehen, und siehe da, sie gefiel ihm. Nach einem solchen Fürstentum stand auch ihm der Sinn, und bei Gott und seinem hohenpriesterlichen Stellvertreter war viel mehr möglich als eine solche Kleinigkeit.

Zu Rom führte der Graf Girolamo ein wüstes Leben, noch in einem hohen Grad wüster als alle andern, der Gedanke aber an das Fürstentum Rimini verließ ihn keinen Augenblick mehr, und als er eines Tages an seiner üppigen Tafel nebst andern Kirchen- und Kriegsfürsten auch den Roberto Malatesta, den ruhmreichen Befreier Roms bewirtete, da bemächtigte sich dieser Gedanke mit erhöhter Macht seiner ehrgeizigen Seele. Und da die Stärke dieser wilden Seele eines frechen Emporkömmlings nicht darin bestand, einer ihr schmeichelnden Versuchung zu widerstehen, und außerdem, wie man sehen wird, noch ein anderer böser Wurm in ihm fraß, so – doch nun ein wenig Geduld.

Wirklich war Roberto Malatesta wieder einmal der Held des Tages geworden wie noch nie, selbst den glanzvollen Tag von Vigliano mit eingerechnet. Er hatte bei Nettuno, oder wenn man lieber will bei Porto d'Anzio, südlich von Rom den Herzog Alfons von Kalabrien in kurzer heftiger Schlacht fast vollständig vernichtet trotz der skandalösen Ungeschicklichkeiten des päpstlichen Neffen, Girolamo Riario nämlich, dem auf dem äußersten linken Flügel die eigentlichen pontifikalen Truppen unterstanden.

Und als Roberto Malatesta danach auf der denkmalreichen Via Appia und durch die Porta Sankt Sebastiano seinen Einzug hielt in die ewige Stadt, da empfingen ihn an diesem Tor fünfunddreißig Kardinäle, gekleidet in ihre reichsten Scharlachgewänder.

Die zwei jüngsten unter ihnen führten sein Pferd an den Zügeln, die andern folgten ihm hoch zu Roß. Und so, in niegesehenem überreichen Rüstzeug und Gewandschmuck in Gold und leuchtend blauer Seide, über der das ganze Pferd wie ein Mantel umhüllenden Schabracke von schwerem Silberbrokat trat er unter unbeschreiblichem Jubel des Volkes einen Triumphzug an, anders zwar und in anderer Aufmachung als die alten Cäsaren, aber nicht mit geringerer Ehre. Tausendfältig erscholl es: »Es lebe Roberto Malatesta. Es lebe der Magnifico. Es lebe der Erretter Roms.« Am Kolosseum ging der Zug vorüber und über das alte Forum und über die Tiberbrücke, vorbei dann an dem zu einer gewaltigen Festung ausgebauten Grabmal des Hadrian. Und nie endeten die tausendstimmigen stürmischen Rufe: Es lebe der Befreier Roms! Es lebe der große Malatesta! Es lebe der Magnifico, der alles überstrahlende!

Auf den Stufen vor dem Rundbogenportal der Basilika des heiligen Petrus, nicht der heutigen, der ehemaligen uralten aber, angeglüht von der römischen Sonne, goldig funkelnd im Schmuck ihrer heiligen Mosaiken, erwartete und empfing Papst Sixtus IV. den Sieger von Porto d'Anzio. Der römische König in weißem Priestergewand nannte ihn laut den größten Sohn der Kirche. Er verglich ihn mit dem göttlichsten Helden der Christenheit, dem strahlenden Erzengel Michael. Der fürstliche Krieger beugte sein Knie, um dem Stellvertreter Gottes die Füße zu küssen; dieser aber hob ihn zu sich empor und umarmte ihn unter Tränen der Freude.

Sieben Tage dauerte dieser Triumph. Dann, an einem Septembermorgen mit leis niederrieselndem Regen, fanden die immer noch in Begeisterung lodernden Römer an jenem stark verstümmelten antiken Marmorbild bei der Piazza Navona, das man den Pasquino nannte, einen Zettel angeheftet mit einem flüchtig gezeichneten Reiter und darunter eine dem erhabenen Dante nachgebildete Terzine, die also lautete:

Roberto son io, che venni, vidi, e vinsi
L'inclito Duca, e Roma liberai,
E lui d'honnor, e me di vita spinsi.

Was man etwa so lesen mag:

Ich bin Roberto, ich kam, sah, siegte,
ich schlug, ihn wehrlos und ehrlos machend,
den weit gefürchteten Herzog Alfons, und rettete Rom,
da holte mich der Teufel.

Der Triumphator hatte seinen Tod gefunden und keinen sehr reinlichen. Eine abscheuliche Dysenterie machte in drei Tagen seinem Leben ein Ende. Und diese Krankheit kam ihm von einer vergifteten Feige an der üppigen Tafel des Grafen Girolamo Riario, von der er ohnmächtig weggetragen werden mußte.

So wenigstens erzählt es der florentinische Staatsmann und Geschichtsschreiber Nicolo Machiavelli viel umstrittenen Angedenkens, der aber in derlei Historien sich öfter als gut unterrichtet dargetan hat.


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