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Pandolfino

I.

Die weltgeschichtlich großen Sünderinnen, wie zuletzt alle übergroßen und blendenden Gestalten der Vorzeit, haben freilich ihre Wurzeln im Boden der gemeinen Wirklichkeit, aber ihr letztes Ausmaß, den letzten Höhenwuchs ihrer Gestalt, womit sie ins Übermenschliche und Unmenschliche hineinragen, verdanken sie doch einer Macht außer ihnen; sie verdanken sie dem Kuß der Frau Saga, nämlich jener mythenbildenden Kraft der Volksphantasie, aus der auch alle Kunst und Dichtung aufsprießt, deren tiefstes Wesen es ist, nicht eigentlich zu verschönern im schwächlichen Sinn des Wortes, sondern zu vergrößern, zu bereichern, zu steigern, emporzutreiben aus dem Gemeinen ins Ungemeine, aus dem Gewöhnlichen ins Außergewöhnliche, aus dem Vernunftbaren ins Wunderbare, aus dem Natürlichen ins Übernatürliche und Widernatürliche, aus dem Menschlichen ins Göttliche oder Teuflische, mit einem Wort über den Menschen hinaus in den Übermenschen.

Und wehe, wenn dann ein Dichter, der nicht Größe genug hat, verführt von der dämonischen Schönheit solcher mythischen Volksschöpfungen, sich ihrer zu seinen Zwecken bemächtigt, dann entstehen notwendig, ästhetisch, nicht moralisch gesprochen, nur widerliche Ungeheuer und Scheusale.

Man weiß, was auf diesem Weg aus jener so unglücklichen Johanna geworden ist, jener letzten angiovinischen Königin von Neapel, von der sogar die nüchterne Geschichtsschreibung, freilich ohne sie zu verstehen, eine schöne und große Liebe erzählt, aber natürlich, ihres Nichtbegreifens wegen, schlecht und unverständlich erzählt.

Diese Königstochter war mit sechzehn Jahren an den kränklichen Erzherzog Wilhelm von Österreich vermählt worden, der, eben seiner kranken Lunge wegen, in dem windgeschützten Meran, der Landeshauptstadt seiner neuerworbenen Grafschaft Tirol, seinen Aufenthalt genommen hatte.

Und in diesen hochummauerten, horizontlosen Gebirgskessel sah sich nun die Tochter des lichtweiten parthenopeischen Golfs, sah sich die sozusagen königliche Palme vom Fuß des meerumblauten Posilipo verpflanzt und in einem weltverlorenen, dorfartigen Winkelstädtchen einem siechen Manne, den bereits der Tod gezeichnet, zur Genossin bestellt, die von dem glanzvollsten und üppigsten Hofleben kam, das die Welt damals kannte. Die rohen Kriegsmänner in der Umgebung ihres Gemahls, denen Kampf und Trunk das Leben bedeutete, schmeichelten weder ihren zarten Sinnen noch ihrem seinen Geist, also daß es nicht zu verwundern ist, wenn das blutjunge Königskind fast kränker wurde als ihr lungensüchtiger, käsegesichtiger Ehegespons – krank im Herzen vor nagendem Heimweh; und krank zu krank gesellt, gibt eine traurige Musik.

Jene andere Musik aber, die das Königskind aus dem Sonnenland als Erinnerung in tiefverschlossener Seele trug, war nicht nur das Gegenteil davon, sondern von so heißem Klang, daß sie nicht daran denken durfte, wenn ihr nicht unter den langen schwarzseidenen Wimpern auch die Blicke heiß werden sollten wie lodernde Flammen. Aber von so südlichem oder sündlichem Klang sollte dennoch eines Tages auch ihr äußeres Ohr einen wenn auch noch so unvollkommenen Widerhall vernehmen, und dieses scheinbar geringfügige musikalische Erleben wurde nicht nur ihr, sondern noch mehr drei Männern dergestalt verhängnisvoll, daß es zweien davon um den Kopf und dem andern um die Krone ging.

An einem Sonntagnachmittag im April war's, und die junge Erzherzogin befand sich mit zahlreichem Gefolge auf dem Weg zur Hauptkirche der Stadt, um die Vesper zu hören. An ihrer Linken schritt die spitznasige blonde Gräfin von Trachenstein aus der Steiermark, die gestrenge Frau Oberhofmeisterin; zwei buntscheckige knirpsige Pagen trugen, wohl in fünf Schritten Abstand, das schwere Schleppkleid der Fürstin, die übrigen Herren und Damen folgten hinterdrein. Aus den dunklen Feueraugen der Angiovinerin blickte es wie zorniger Mißmut. Die bäuerisch plumpen Pfeiler der Gewerbelauben, unter denen sie herschritt, spotteten ihrer schlanken grazilen Gestalt, und wie einen Druck empfand sie die dunklen, allzu niederen Gewölbe, die eine hohe stolze Aufgerichtetheit unmöglich zu machen schienen, zwar nicht gerade für ihre Gestalt an sich, aber für ihre ellenhohe zuckerhutförmige Haube, von langen Schleiern leicht umflattert. Doch mochten es vielleicht auch andere, mehr innerliche Dinge sein, die sie mißgelaunt stimmten, daß ihre dunklen Augen fast zornig böse Blicke warfen, die sich aber dann plötzlich sonnenhaft erhellten.

Das wurde bewirkt durch eine Musik, die plötzlich in einiger Entfernung anhub, wie die verstoßene Tochter der parthenopeischen Nymphe in diesem Land der Hyperboräer nie gehört hatte, woran sie aber die Erinnerung aus frühester Kindheit in sich trug. Die hohen quirlenden Töne eines Dudelsacks waren es, und die sich überhastenden, sich übersteigenden und manchmal sich frech überschreienden Triller konnten, so schien es ihr, nur die Begleitung sein zu jenem wilden napolitanischen Volkstanz, dem die königliche Prinzessin als Kind einige Male zugeschaut hatte. Bei dieser Erinnerung verschwanden die stumpfen, klotzigen Pfeiler zu ihrer Seite und die schwarzen, schmutzigen Mauern und niederen Gewölbedecken, und vor ihr weitete sich unter unendlicher Lichtblaue der gelbe Strand von Santa Lucia, der den perlmutterschimmernden Spiegel des unabsehbaren Golfs wie ein goldener Rahmen umschmiegte. Aber das war natürlich nur ein augenblickliches Traumgesicht. In Wahrheit stieß der Zug der fürstlichen Kirchgänger auf einen gedrängten bäuerlichen Volkshaufen, der mit aufgesperrten Mäulern dieser unerhörten, wilden Tanzmusik lauschte. Den Tanz selber mußte man sich dazudenken, es sei denn, daß man die grimassenhaften Sprünge und Pantomimen eines grasgrün bekleideten Äffchens auf der Schulter des Dudelsackpfeifers dafür nehmen wollte.

»Platz, Platz! ihr Leute«, riefen jetzt die Hoftrabanten die Menge an, die sofort ehrfurchtsvoll auseinanderwich, daß der fremde Spielmann der Fürstin frei vor Augen stand, ein hagerer brauner Junge mit roter Schlappmütze auf dem schwarzen Hinterkopf und schwarzem Faltenmantel über rotem Hemd, kurz, ein unverkennbarer allerliebster Neapolitanerbengel, der beim Anblick der jungen Erzherzogin sich die Mütze herunterriß und in beide Knie niedersank, während er, die feurigen Blicke auf die Fürstin geheftet, die schrillen und hastenden und sich überstürzenden Triller seiner wilden Tanzweise sehr wirksam in ein sanftes Adagio überleitete in langgezogenen, fast klagenden Tönen, womit auf dem Golf von Neapel in hellen Mondnächten die Fischer auf unendliche Entfernungen hin im Zwiegesang Strophe und Gegenstrophe einander zusenden.

Die Erzherzogin Johanna stand eine kleine Weile wie im Bann. Und deutlich war ihr anzusehen, wie sehr sie Lust verspürte, den tönegewaltigen Sendboten der Heimat zu sich heranzurufen, um auch in seinen Worten den süßen Gruß der Heimat zu hören; aber das spitznasige schmale Gesicht der hageren, blonden Frau Oberhofmeisterin nahm einen solchen Ausdruck von Strenge und Härte an, daß der jungen Erzherzogin gänzlich der Mut entfiel. Sie griff nur noch rasch in ihre Gürteltasche und warf ihrem kleinen Landsmann ein Geldstück zu, der es geschickt auffing und inbrünstig küßte, was auch das grasgrün bekleidete Äffchen pantomimisch nachahmte, und bei welchem Anblick die Nase der Frau Gräfin von Trachenstein noch spitziger wurde. Denn diese Dame war offenbar die Großmutter oder Urgroßmutter jener Spottgeburt von höfischem Ungeheuer, das später unter dem Namen der spanisch-habsburgischen Hofetikette über zwei Jahrhunderte lang die Fama von ganz Europa in Atem hielt; was nun freilich, wenngleich in anderm Sinn, auch dem Königskind Johanna widerfuhr, infolgedessen ein schwaches menschliches Wesen zur eingefleischten Teufelin werden mußte – im Munde eben jener Frau Fama. Und so kann man sagen, daß die beiden Frauen, wie sie jetzt, den beglückten Dudelsackpfeifer hinter sich lassend, dem spitzbogigen Kirchenportal zuschritten, recht eigentlich die Symbole zweier feindlicher Mächte darstellten, die besonders in den höheren und höchsten Regionen der menschlichen Gesellschaft seit ewig um den Sieg miteinander kämpfen, der doch, wenn er, auf der einen oder andern Seite, ein letztgültig vollständiger je werden sollte, das Menschentum in diesen Regionen so oder so mit gleicher Sicherheit vernichten müßte.

Für diesmal aber hatte das eine Prinzip, das der Gouvernante, einstweilen gesiegt, und es siegte auch noch einmal am darauffolgenden Sonntag, wo sich der gleiche musikalische Auftritt wiederholte, ohne zu etwas Weiterem zu führen.

Eine andere Gestalt aber bekam dann die Sache am Montag danach bei dem vormittägigen Messegang der Herzogin. Wieder staute sich eine Volksmenge vor der Kirche, aber was sie umstanden und umgafften, war jetzt, wenn schon dieselbe Person, kein lustiger Pfeifer mehr und Spielmann, sondern ein ertappter Dieb, ganz ohne seinen geliebten Dudelsack und ohne das grasgrün bekleidete Äffchen. Der junge Neapolitaner hatte nämlich unter den Lauben am offenen Bäckerladen ein Weizenbrötchen stibitzt, dabei war er ertappt worden und sollte nun dafür öffentlich ausgepeitscht werden. Die Stockknechte hatten ihm bereits die Kleider vom Leib gerissen; wie sie ihn aber nun ergreifen wollten in seiner wundervollen braunen Nacktheit, um ihn auf die Schranne niederzuzerren, da stieß er einen Schrei des Entsetzens aus. Hatte er das Herannahen der Erzherzogin bemerkt?

Sie jedenfalls wurde von seinem Schrei getroffen, und diesmal tat sie, alle äußeren Rücksichten vergessend und nur dem inneren Antrieb folgend, nicht beachtend auch die dünnen verkniffenen Lippen und spitze Nase der hagerblonden Frau Oberhofmeisterin, tat sie so rasche Schritte gegen den gaffenden Volkshaufen – trotz der unbequemen langen Schnabelschuhe –, daß sogar der eine der kleinen Pagen, der zugleich ihr Stundenbuch trug, sich ihre Schleppe aus der Hand entfahren ließ. Doch das hatte nichts zu bedeuten, auch die bäuerliche Menge wartete nicht erst auf einen Heroldsruf, sondern wich von selber zu einer breiten Gasse auseinander. Ein Leuchten wie von einem Blitz unter den langen schwarzseidenen Wimpern der Fürstin hervor, begleitet von einer heftig abwehrenden Bewegung des Armes – daß ihr langer spitzer Hängeärmel dabei wie ein gnadenverkündendes Fähnlein flatterte –, scheuchte die betroffenen Henkersknechte weit hinweg von dem Körper des nackten Adonis, der jetzt nicht ohne Grazie in die Knie sank und zu seiner Retterin seine Arme ausgebreitet emporhob. Die erregte Königstochter sprach kein Wort, aber mit ihren Fingerspitzen, wie sie rosig aus den gehäkelten Halbhandschuhen hervorschauten, berührte sie die Schulter des Knaben; damit weihte sie ihn zu ihrem Eigentum und machte ihn unberührbar und unnahbar für die schmutzige Bratze eines kommunalen Schergen.

Mit einem Semmeldiebstahl also machte diesmal ein Mann seinen Eintritt in die Weltgeschichte; denn daß Herr Pandolfo Graf von Alopo dieser für alle Zeiten angehört, wird niemand bestreiten. Für seinen Semmeldiebstahl wurde ihm die Strafe trotzdem nicht geschenkt, er erhielt sie sogar ins Ungeheure vergrößert und in demselben Ausmaß, wie sein seltsames Schicksal sich seither ausgewachsen hat, aber bis dahin hatte es noch weite Wege.

Pandolfino oder auch kurz Dolfino nannte ihn mit schmeichlerischem Diminutivum das Königskind aus Neapel, das seltsamerweise, und wer weiß von was für Mächten, dazu bestellt worden, auf der landesfürstlichen Burg zu Meran eine Zeitlang die Rolle einer Erzherzogin von Österreich zu spielen, und das war doch eigentlich nicht so recht ihr Fach.

Pandolfino nannte sie ihn, und er war ihr Page geworden, trotz der Oberhofmeisterin Gräfin von Trachenstein; denn der kranke Wilhelm von Österreich hatte keinen Grund oder auch vielleicht nur nicht den Mut gefunden, seiner Gattin, die ihn so selten mit einer Bitte beehrte, in einer so geringfügigen Sache wider Willen zu sein, also daß jetzt, zur Abwechslung, das Prinzip der Gouvernante dem andern, dem entgegengesetzten, das Feld räumen mußte.

Pandolfino nannte ihn das Königskind Johanna, wenn er das Knie vor ihr beugte und sie ihm die Wange streichelte, der aber auch ein gar so hübscher und gar so aufmerksamer Page war und mit dem sie – es bedeutete dies kein Kleines – in den süßen Lauten ihrer Kinderheimat plaudern konnte und ganz anders als mit ihrer zahnlosen alten Amme, die in dem nordischen Klima von Tag zu Tag schwerhöriger wurde, und ganz anders auch als mit dem sehr dienstwilligen, doch leider etwas säbelbeinigen Ser Martino Petruccini, der ihr als ihr Oberstallmeister nach Meran gefolgt, aber immer nur von Dingen redete (und geredet haben wollte), die nun einmal dem Königskind kein Vergnügen machten.

Aber konnte sie denn ein Gefallen finden an dem, was in knabenhafter Ruhmredigkeit Pandolfino an sie daherplauderte und mit fast komisch leidenschaftlichen Versicherungen und Schwüren untermischte?

Nämlich ganz und gar nicht aus Zufall sei er nach Meran gekommen, sondern als elfjähriger Knabe habe er die Prinzessin Johanna bei ihrer Abreise von Neapel zum erstenmal erblickt, draußen am Hafen, als sie aus ihrer Sänfte trat und, geführt von der Hand ihres königlichen Bruders, die steil ansteigende Brücke zu dem weißleuchtenden hohen Meerschiff, einer venetianischen Galeone, hinaufstieg. Da war es wie ein Zauber über ihn gekommen, und er hatte sich geschworen, wenn er größer geworden, ihr zu folgen, sie aufzusuchen, wo es auch sei, und in ihrem Dienst, wenn sie ihn genehmigen wollte, das höchste Glück seines Lebens zu finden.

Und auch das leckere goldene Weizenbrötchen hatte er nur entwendet, um die Aufmerksamkeit der Erzherzogin mit Gewalt auf sich zu lenken.

In all dem steckte nicht das geringste Körnchen Wahrheit, es war reine Lüge; aber wie er die Lüge vortrug, wurde sie zum Gedicht und wurde er zum Dichter; ja, berauscht von der feurigen Kühnheit der eigenen Rede und dreimal schön in solchen Augenblicken, wurde er leicht glaubend an sich selber; kein Wunder, wenn er Glauben weckte.

Natürlich sorgte die junge Erzherzogin für seine Erziehung. Sie hatte sich von dem gelehrten Kardinal-Erzbischof von Brixen, der ihr manchmal den Hof machte, einen gewandten Kleriker ausgebeten, von Geburt Toskaner, der mit dem Knaben aus Neapel die Fiametta des Boccaccio und die Sonette des Petrarca las und seinen Zögling in allen sieben Künsten unterrichtete. An diesem Unterricht durften auch die vier übrigen Pagen teilnehmen; aber diese blieben neben dem Neapolitaner, dessen Geist sich wie eine prachtvolle exotische Blüte entfaltete, nur arme bescheidene Schattenblümchen, daß man sie mehr für die untertänigen Diener als für die Kameraden des Pandolfino gehalten hätte.

Drei Jahre dauerte dies. Dann eines Tages erlag der Erzherzog Wilhelm seiner Lungenkrankheit und machte seine kinderlose junge Witwe zur eigenen Herrin ihres Schicksals. Sie trug ein Vierteljahr lang in großer Zurückgezogenheit und frommer Herkömmlichkeit Trauer um den Verstorbenen, dann holte sie von neuem ihre goldschimmernden Gewänder von farbiger Seide, von schwerem Brokat hervor, und bald entwickelte sich auf der landesherrlichen Burg zu Meran ein ungewohntes reges Treiben. Das Königskind rüstete sich, unterstützt von Ser Martino Petruccini, ihrem Oberstallmeister, zur Rückreise nach Neapel.

Die kurze Strecke nach Venedig wurde in glanzvollem Zug über das Gebirge zurückgelegt, und dabei tat nun das Königskind etwas, womit sie dem heiligen Prinzip der Gouvernante, um diesen symbolischen Ausdruck beizubehalten, in geradezu unerhörter Weise ins Gesicht schlug. Daß die blondhagere und spitznäsige Gräfin von Trachenstein aus der Steiermark von der Fahrt ausgeschlossen wurde, wird wohl niemand verwundern; aber daß die junge Johanna außer ihrer Kammerfrau (soviel Zugeständnis machte sie dem genannten Prinzip) noch jemanden in ihre prunkvolle königliche Sänfte nahm, die von vier Maultieren getragen wurde, und daß dieser Jemand kein anderer war als ihr Pandolfino, den sie zu ihrem Mundschenken erhoben hatte, das verdarb dem allzeit dienstbereiten, aber leider ein wenig säbelbeinigen Ser Martino bedenklich die Laune, so sehr er sich auf diese Reise gefreut hatte wie seine junge glänzende Herrin selber.

Zu Venedig bestieg die Gesellschaft das Schiff, eine weißleuchtende hohe Galeere, fast der Galeone ähnlich, worauf das Königskind von Neapel her ihrem kränkelnden Gemahl zugeführt worden war.

Möge aber niemand hier falschen Vermutungen Raum geben. Die schöne Johanna hat, solange Herr Wilhelm von Österreich die reine Luft von Meran mit seinem verpesteten Atem verunreinigte, dem Elenden pünktlich die Treue gehalten – wenn auch nur wegen der strengen Wachsamkeit der mehrgenannten Gräfin von Trachenstein. Denn das heilige Prinzip der Gouvernante ist nicht immer eine verächtliche Spottgeburt und lächerliches Ungeheuer, sondern ebensooft auch eine wirkliche moralische Person hohen Ranges, die nur leider nicht immer ihren Zweck erreicht, weil eben das andere, das ihr entgegenstehende Prinzip, zwar vielleicht weniger moralisch ist, aber seine Quellen aus einer Macht herschreibt, als welche von den Herren Theologen und Moralpredigern anders genannt wird als von den Philosophen, sofern diese etwa, wie dies wohl zuzeiten kommen mag, nicht selber Moralprediger und Theologen sind. Der Novellist aber, als die dritte Art Richter und souveränste von allen, möchte von den beiden Mächten, die in der menschlichen Gesellschaft, besonders in deren hohen und höchsten Regionen, seit ewig um den Sieg miteinander kämpfen, der Novellist möchte beileibe keiner von beiden zu nahe treten, weil, wie gesagt, der letztgültig vollständige Sieg einer der beiden das Menschentum in diesen Regionen, so oder so, in gleicher Weise vernichten müßte. Aber freilich, ohne den ewigen Kampf beider würde es weder Novellisten noch Novellen geben.

Auf der Burg zu Meran hätte also, ich sagte es schon, auch das schärfste Späherauge nichts entdecken können, was nicht zu dem Verhältnis von Herrin und Diener gepaßt hätte. Aber wie sie jetzt auf dem Deck der hohen weißleuchtenden Galeere von Sankt Markus über die stillen Fluten der blauen Adria dahinglitten, die ehemalige Erzherzogin (wenigstens hatte sie diese Rolle gespielt) in einen hochlehnigen, reichskulptierten Sessel geschmiegt, ihre mit spitzen Schnabelschuhen bekleideten Füße auf einem reichgestickten Kissen, während Dolfino neben diesen Füßen und Kissen, wie ein gezähmter Panther graziös hingestreckt, aus seinen napolitanischen Glutaugen schmachtende Blicke zu ihr emporrichtete: da konnte selbst ein wenig scharfsichtiges Auge unzweifelhaft erkennen, daß das Verhältnis der beiden zueinander ein anderes geworden war, als wie es auf der Burg zu Meran bestanden hatte. Denn es gibt nun einmal menschliche Beziehungen, die ein Königskind einem Bauernkind seltsam ähnlich machen, bis aufs Kleid, das nun gerade in den genannten Beziehungen am wenigsten mitzureden hat. Und wenn die menschlichen Gesetze es der Frau Politik erlauben, die blühende Schönheit und Fülle der Jugend an Siechheit und Unvermögen zu verkuppeln, so ist doch noch nicht ausgemacht, daß auch die höheren göttlichen Gesetze ihre Sanktion dazu geben, da ja auch das mehrfach genannte Prinzip der Gouvernante doch mehr menschlichen als göttlichen Ursprungs ist.

»Schau' nur, Dolfino,« sagte das Königskind, »wie die geschmeidigen Delphine so lustig unsern Kiel umtanzen, als ob sie mit uns im Einverständnis wären und uns einen Hochzeitsreigen aufführen wollten; soll ich dich in Zukunft Delfino nennen?«

Dazu lächelte sie geheimnisvoll, und ein tiefer vielsagender Blick des Pandolfino dankte ihr. Und beide schwiegen wieder, und nur mit stummen Blicken fuhren sie fort, sich heimlich in der Seele miteinander zu unterhalten.

II.

Zu Neapel erwartete die junge Königstochter ein jubelnder Empfang. Denn alles, wonach sein Sinnen stand, versprach sich dies Volk, hoch und niedrig, von der künftigen Herrschaft der schönen jungen Fürstin, überreiche Gnaden und Geschenke und prunkvoll glänzende Feste.

Nur König Ladislas, ihr Bruder – wie er zu dem befremdenden Namen kam, gehört nicht zur Sache –, war nicht dabei vertreten. Er lag, anders wie einst Wilhelm von Österreich, aber in ebenso rettungsloser Siechheit danieder, und zwar an einer Krankheit – warum sollte das nicht gesagt werden –, die man damals in Europa, wo sie noch neu, die napolitanische nannte. Er war vergiftet worden auf Anstiften der Florentiner, als welche sich von dem ebenso ehrgeizig tatkräftigen wie ausschweifenden König alles versehen mußten, der mit seinem Wahlspruch › Aut Caesar aut nihil‹ nichts Geringeres als die Herrschaft über ganz Italien anstrebte. Mittels einer ungeheuren Summe hatten sie den Peruginer Arzt Uccellaccio bestochen, der durch das Medium seiner eigenen Tochter dem König das Gift beibrachte, das ihn vernichten sollte. Wahrlich, die Welt, in welche die jungverwitwete Erzherzogin hier in Neapel eintrat, war eine andere als jene, welche sie zu Meran im heiligen Land Tirol verlassen hatte.

Der König also konnte sich bei dem triumphalen Empfang seiner Schwester, jetzt vom ganzen Volke als seine zukünftige Königin umjubelt in ihrer jugendlich strahlenden Schönheit, nicht persönlich einstellen; aber er ließ ihr, da zwei Hofhaltungen in demselben Palast nicht königlich gewesen wären, im Nordosten der Stadt, in dem gewaltigen Capuaner Kastell, ihre Residenz anweisen, wo ein glänzender Hofstaat sie erwartete. Von diesem jedoch schloß sich ihr mürrischer Reisemarschall, der Oberstallmeister Martino Petruccini, freiwillig aus, weil er die Rolle, die dem Mundschenken Pandolfino, dem kleinen Semmeldieb aus Meran, hier zugeteilt wurde, nicht mit ansehen mochte. Denn es blieb bis in die weitesten Volkskreise hinein nicht unsichtbar, daß der genannte Pandolfino, den viele als den Sohn des armen Dudelsackpfeifers Peppo noch gut in Erinnerung hatten, bei ihrer zukünftigen Königin noch einen andern Posten einnahm als den des Mundschenken. Wenn das Volk auch nicht wissen konnte, daß es hinter den massigen Rundtürmen des Capuaner Kastells eine geheime Wendeltreppe gab, die auf verborgenen Umwegen zu dem Schlafgemach der jungen Fürstin führte, denn außer der verwitweten jungen Erzherzogin wußte das allein der süße Dolfino, so wurde doch vieles von dem Treiben in jenem Schlafgemach bald allgemeines Gerede.

Wenn da zur Stunde des Morgengebetes der Kaplan in psalmodierendem Ton die Horen las, was der schönen Johanna sichtbar nur ein geringes Vergnügen machte, wahrscheinlich, weil sie die lateinischen Psalmverse und Antiphonen eben doch nur halb verstand, da suchte wie oft ihr gelangweilter Blick in verstohlener Sehnsucht nach dem des Pandolfino, der in erheuchelter Andacht neben der Frau Oberhofmeisterin – aber es war nicht mehr die Gräfin von Trachenstein – hinter dem Priester kniete. Und ihre Haltung vor dem gar nicht unbequemen schmalen Betstuhl aus zierlich durchbrochenem schwarzen Holz und roten Kissen wurde sichtlich immer ungeduldiger, wie die eines kleinen Mädchens in einer langweiligen Unterrichtsstunde, und ihr Herz freute sich schon jetzt auf den leckeren geistigen Nachtisch.

Da zeigte sich die Szene verwandelt, der schwarze Kaplan verschwunden, das Königskind behaglich hingeschmiegt in seinem hohen thronartigen Sessel, wie der Betstuhl von schwarzem, durchbrochenem Holz und roten Kissen; und auf zierlichem Schemel zu ihren Füßen saß Pandolfino und las ihr mit seiner einschmeichelnden Stimme und im reinsten toskanischen Klang die wunderbar rhythmischen Perioden, in die Meister Boccaccio seine graziösen Novellen zu kleiden gewußt hat, an denen sich damals, als noch neu, mehr als je die ganze Welt entzückte.

Und wenn sie dann ihre königliche Sänfte bestieg, weil sie den dicken dumpfen Mauern entfliehen und des goldenen Lichtes und der seidenweichen Lüfte des napolitanischen Himmels froh werden wollte und des Anblicks von Meer und Inseln und palmentragender Vorgebirge – ihre Sänfte bestieg, um sich nach dem gelben Strand von Santa Lucia tragen zu lassen, die volksbunte Hauptstraße hinunter, die später der Corso von Toledo hieß und heute wieder einen andern Namen trägt: da saß ihr Oberstallmeister – und es war nicht mehr der säbelbeinige Ser Martino – und saß ihre Frau Oberhofmeisterin (aber auch nicht mehr die Gräfin von Trachenstein) bescheiden auf dem schmalen Vorderbänkchen, und ihr bequem zur Seite und herablassend lächelnd saß ihr Ganymed, ihr göttlicher Mundschenk, ahnungslos, daß einst in derselben Straße die Hunde sein Fleisch fressen würden. Denn die Liebe einer Königin, die zum süßesten heimlichen Entzücken noch den höchsten Rausch menschlichen Daseins, den Rausch der öffentlichen Macht verleiht, vermag auch zu Ausgängen von so furchtbarer Tragik zu führen, daß ... doch bis dahin hat es noch weite Wege.

Pandolfino also saß glückdurchschauert an der Seite der stolzen Königstochter, leutselig herablächelnd auf das Volk, unter dem er einst als kleiner verlumpter Bettelmusikant seine Laufbahn begonnen. Dieses Volk aber machte ehrfurchtsvoll Platz und riß die Mützen vom Haupt und begrüßte jubelnd, zusammen mit seiner schönen zukünftigen Königin, auch ihren lockigen Mundschenken, denn das war wirklich noch ein gutes Volk, das nichts Arges darin fand, wenn sich eine junge Witwe zu trösten suchte wie sie eben konnte.

Waren sie wirklich ein gutes Volk, diese wildleidenschaftlichen, lärmigen Halbafrikaner des neapolitanischen Golfs, denen doch das, was wir Treue nennen, nie eigentlich so recht im Blute lag? Jedenfalls war es noch eine gute Zeit – für Könige; eine Zeit, wo den Völkern das Blut derer, die es einmal als seine Herren anerkannte von Geschlecht zu Geschlecht, eine unverletzliche heilige Sache bedeutete, die nach dem allgemeinen Gefühl selbst von Schuld und Sünde der Person nicht leicht besudelt und verunehrt werden konnte. Und man weiß ja, was dieses Volk sich erwartete von seiner Fürstin. Wie hätte es also ernstlich verstimmt werden können beim Anblick einer leichtfertigen Unbekümmertheit, die seinen Hoffnungen nur um so reichere Nahrung bot?

Wo aber hatte sich das Prinzip der Gouvernante jetzt verkauert?

Ach, es war gar nicht so sehr verkauert und versteckt, es stand sogar in leibhaftiger Gestalt und als gewaltige Macht, dem Pandolfino zum Trotz, zur Seite der jungen Fürstin. Es gehörten dazu die Ersten unter den Großen des Reiches, in vorderster Linie Julius Cäsar, Graf von Durazzo und Herr von Capua, ihr leiblicher Vetter, ferner dessen Schwager, der Graf von Gerace, und endlich der besonders trotzige und stolze Graf von Troja, der oberste Seneschall des Reiches, ebenfalls ein Vetter der jungen Fürstin. Diese hatten ein ganz besonderes Interesse an der Thronfolge der Prinzessin Johanna; denn sie war ja nur von ihrer Mutter her eine Angiovinerin, durch ihren Vater aber, Karl III., war sie eine Durazzo. Wenn sie den Thron bestieg, bestieg ihn mit ihr zum drittenmal das Haus Durazzo, welches durch König Karl III. dem Hause Anjou gleichsam aufgepfropft war. Diese starke sogenannte Partei der Durazzi übte, wie sie die mächtigste Stütze der jungen Fürstin und Thronprätendentin bildete, eben deswegen eine Art Recht der Vormundschaft über sie aus, und wenn darin das Prinzip der Gouvernante auch nicht wie der Zipfel eines Taschentuches zwischen biedermeierlichen Rockschößen hervorguckte, so steckte es doch darin.

Die Durazzi hatten zugleich den nach dem König mächtigsten Mann des Reiches auf ihrer Seite, den Kondottiere und Großkonnetabel Sforza. Was für den Pandolfino die Göttin der Liebe, das hatte für den Sforza, den Begründer des späteren Mailänder Herrscherhauses, die Bellona, die gewaltige Kriegsgöttin vollbracht. Öfter als irgendwo hat man es in Italien erlebt, daß sich Söhne selbst der alleruntersten Volksschichten zu machtvollen Ämtern, ja zu fürstlich souveränen Würden erhoben haben, denn Italien ist das Land, wo sogar der Sohn eines Schweinezüchters den höchsten Thron der Welt besteigen und ihm Ehre machen konnte, was nur möglich ist in einer Rasse und in einem Volk, wo Vorurteile wenig, die verwegene Kühnheit aber, wenn ihr Kraft und Begabung zur Seite stehen, alles gelten.

Öfter als irgendwo sind in Italien Spitznamen zu weltgeschichtlichen Namen geworden. Der Konnetabel Sforza hieß eigentlich Mutius Attendoli. Schon seine äußere Erscheinung verriet ihn als Ausländer, wenigstens für Neapel. Seine hohe Gestalt, die die kleinen fettlichen Neapolitaner um drei Kopflängen überragte, sowie sein dicker und lang herabhängender ganz blonder Schnurrbart ließen an die ehemaligen Normannen denken, die einst die sizilianischen und napolitanischen Lande beherrscht hatten. Aber noch von anderem Blute her wachsen solche Gestalten auf dem Boden Italiens, nämlich unter den Romagnolen von longobardischer Abstammung. In der Tat war Mutius Attendoli, genannt Sforza, ein Bauernsohn aus einem Dorf der Romagna, bei der Stadt Faenza. Als er einmal, ein sechzehnjähriger Knabe, im Garten seines Vaters hart arbeiten mußte, überkam ihn der Unmut über die knechtische Mühseligkeit, und mit einem Schwur warf er seine Hacke hinauf zu dem Feigenbaum über ihm. Geschworen hatte er innerlich: fällt sie wieder herunter, so ist es der Wille Gottes, daß ich weiterarbeite, bleibt sie aber hängen, usw. Die Hacke verfing sich leicht in dem schlangenartigen Geäst des Feigenbaumes, Mutius aber stahl in der Nacht darauf ein Pferd aus dem Stalle seines Vaters, ritt damit heimlich davon, nahm Kriegsdienste, und wenn er in Ausübung dieses Handwerks bei der Beuteverteilung meist sehr gewalttätig vorging, so hat ihm dies zwar seinen Spitznamen eingetragen, den späteren Namen einer mächtigen Dynastie, aber ihn nicht daran gehindert, ein gewaltiger Feldhauptmann und zuletzt der Großkonnetabel des Königreichs Neapel zu werden. Oder ist er dazu gar noch der Nebenbuhler des Semmeldiebes aus Meran, des göttlichen Mundschenken Dolfino geworden?

Das wird die Geschichte zeigen.

Wenn also wirklich das Prinzip der Gouvernante von der Partei der Durazzi vertreten wurde, so lag es wahrscheinlich in starken Händen. Einstweilen jedoch, wie bereits angedeutet, merkte man nicht viel davon. Diese Großen des Reiches dachten zwar anders als das gemeine Volk über das Verhältnis ihrer Fürstin zu ihrem Ganymed, doch sie machten, nach dem bekannten Sprichwort, dieselbe Miene dazu. Sie dachten: Gönnen wir dem verzogenen Königskind einstweilen seine Possen (als ob die Liebe eine Posse wäre); wird sie einmal erst den königlichen Thron bestiegen haben, wird sie auch begreifen, was sie diesem, was sie uns und sich selber schuldig ist, und der kleine Adonis von Mundschenk wird von ihr absinken wie ein vernutzter Kleiderlappen und wird wieder ein Lump und Bettler sein, wie er immer gewesen. So dachten sie. Aber das Prinzip der Gouvernante hat sich, wie die Weltgeschichte lehrt, öfter gröblich verrechnet.

Und ein weltgeschichtlicher Tag war es, da König Ladislas von Neapel endlich seinem innerlichen Gift erlag. Wie schon erwähnt, hatte ihn Florenz vergiftet, weil es in ihm seine größte Gefahr erblickte. Damit wurde zugleich einem näheren und darum noch dringlicher bedrohten Herrscher ein großer Dienst erwiesen; denn wer weiß, was aus dem ohnedies arg zerrütteten Patrimonium Petri geworden wäre ohne die Erkrankung des ehrgeizigen Königs? Es stand dort schlimm, und an dem Tag, da das genannte Gift im Castello Nuovo zu Neapel seine letzte endgültige Wirkung tat, mußte zu Rom der alte napolitanische Seeräuber Baltasar Cossa, der als Johann XXII. den Statthalter Christi auf Erden darstellte, in der Nacht heimlich die Flucht ergreifen, um seinen seltsam umgekehrten Gang nach Canossa anzutreten. Denn nicht der Kaiser machte diesmal den Bußgänger, sondern der Papst, und nicht dem Süden entgegen ging die Reise, sondern dem Norden. Konstanz hieß sein Canossa, und es harrte dort seiner auf dem Konzil ein beträchtlich schlimmerer Empfang, als ihn jener vierte Heinrich einst auf dem finsteren Bergschloß der schönen Markgräfin Mathilde erfahren hat. Seltsamerweise war es die vereinsamte und verödete Burg zu Meran – das Königskind vom Parthenopeischen Golf war ja längst ausgeflogen –, die dem obersten König der Christenheit ein letztes Nachtquartier diesseits der Alpen darbot. Auf einem schwarzen Maulesel, aber anders wie einst der Göttliche, dessen Statthalter er sich nannte, begann er in der Frühdämmerung des andern Morgens, nur von zwei Getreuen begleitet, seinen mühseligen und gefahrvollen Ritt über die Reschen-Scheideck und Finstere Minz auf die Landseck zu, ein lamentabler Zug für den Inhaber einer Würde, die über allen Würden stand auf dieser Welt.

Einen andern Aufzug sah zu derselben Zeit die Stadt Neapel. Durch die volksbunte Hauptstraße, die später der Korso von Toledo genannt wurde und heute wieder einen andern Namen trägt, bewegte sich ein wundersamer goldener Wagen, von sechs weißen Rossen gezogen, geführt an den goldenen Zügeln von den höchsten Würdenträgern des Reiches, das vorderste Paar von dem Grafen von Troja, dem obersten Seneschall, das zweite von Julius Cäsar von Capua, dem Großgonfaloniere, und das dritte von dem Grafen von Gerace, an Stelle des Erzkämmerers, dessen Amt, augenblicklich unbesetzt, für das vornehmste galt von allen. In dem bekränzten Wagen aber, in königlicher Einsamkeit – denn diesmal fehlte Pandolfino – saß die junge Königin Johanna und hielt ihren Triumphzug von dem Capuaner Kastell nach dem Königsschloß, das noch heute, so schwarz und finster es auch aussieht vor Alter, das Neue Kastell heißt. Damals aber war es wirklich noch neu und stieg mit seinen gewaltigen runden Türmen weißleuchtend wie ein Märchenbild aus den blauen Fluten des Golfs empor an derselben Stelle, wo einst griechische Fischer – sie trugen auf ihren schwarzen Haarschöpfen schon dieselben roten und nach vorn oder nach der Seite lappenartig umhängenden Tuchmützen – einen seltsamen Fisch in ihren Netzen gefangen haben, der nichts anderes war als der schlohweiße Leichnam der homerischen Nymphe Parthenope, die manche auch eine Sirene nennen.

Ein wirklicher Triumphzug war's, und an jeder Seggia der Stadt, nämlich den offenen antiktheaterartigen Gerichtsplätzen, hielt der Wagen, und der Sprecher des Adels aus der jeweiligen Region hielt eine wohlgesetzte Begrüßungsrede. Und ein ungeheurer Jubel des Volkes umtoste jedesmal die neue erbberechtigte Herrscherin von Neapel.

Und sein Jubelrausch erlitt keine Enttäuschung, noch vor Abend öffneten sich alle Gefängnisse und gaben ihre Gefangenen frei, und in allen Regionen der Stadt wurde unter das gemeine Volk Geld ausgeteilt und leckere Speisen und Wein. Auch die Großen des Reiches, besonders die Partei der Durazzi, waren zufrieden. Die Königin war ja gewissermaßen ihr Werk, und wenn dieses mit so außerordentlichem Pomp in Szene gesetzte Werk mit Jubel begrüßt wurde von der Welt, so konnten sie darin nur ihre eigene Genugtuung finden.

Sie dauerte leider nicht lange. Am dritten Tage nach dem Regierungsantritt der Königin Johanna, das heißt in der Nacht nach diesem Tag, befand sich im Stadtpalast des Grafen Julius Cäsar von Capua eine vierköpfige Versammlung von Männern beieinander, auf deren Gesichtern, auch ohne daß man erst ihre Reden hörte, Ärger und Empörung deutlich genug zu lesen standen. Außer dem noch jugendlichen Julius Cäsar befanden sich da die Grafen von Troja und Gerace, zwei schon greisenhafte Gestalten, und der hochstämmige Sforza, der allseitig gefürchtete Kondottiere. Die Angelegenheit, die besprochen wurde, betraf am nächsten und persönlichsten den Grafen Gerace. Dieser hatte bei dem prunkhaften Einzug der Fürstin in das Königsschloß den Platz des Großkämmerers eingenommen und darum auf die Verleihung dieses Amtes mit Sicherheit gerechnet. Aber die Königin hatte nun einen andern mit dieser höchsten Würde bekleidet, nämlich, zum Unrecht das schreiende Ärgernis fügend, den neugebackenen Grafen von Alopo, den Ser Pandolfo, genannt Pandolfino, Semmeldieb und Schleppenträger meranischen Angedenkens. Dieses Allerschlimmsten hatten sich die Grafen wahrlich nicht versehen. Sie fühlten sich wie vor den Kopf geschlagen. So furchtbar war ihre Entrüstung, daß sie kaum Worte fanden. Nur ihre verstörten Gesichter zeigten an, daß sie vor dem Unerhörten sich wie rettungslos Verlorene fühlten, wie Leute, die in einen plötzlich aufgähnenden Abgrund starren, der sie zu verschlingen droht.

Aber noch schlimmer als dieser Schlag traf sie die Enttäuschung, die der schnauzbärtige Kriegshäuptling, der hochstämmige Sforza und Großkonnetabel, ihnen bereitete. Sie hatten nicht anders gemeint, als daß er ihre Auffassung vollauf teilen werde. Aber er zeigte sich anderer Meinung, wenigstens nahm er das für sie Ungeheuerliche ganz und gar auf die leichte Achsel, die er dabei ein wenig verächtlich zuckte.

Von ausgesprochen königlichem Sinn, will sagen königlicher Klugheit, so meinte Sforza, zeuge allerdings das Gehaben der Königin Johanna nicht. Nein, eigentlich königlich könne man ihr Handeln nicht nennen. »Aber«, so fuhr er fort, mit einem fast verächtlichen Lächeln unter dem herabhängenden, bereits leicht ergrauenden Lippenbart, »warum will man auch aus einem Weib eine Königin machen? Ist das nicht gegen die Natur? Man kennt die Namen berühmter Königinnen. Semiramis hieß die eine, Tamyris die andere, Kleopatra die dritte. Waren das aber Frauen nach der Natur des Weibes oder nicht vielmehr ihr entgegen? Unsere schöne Königin Johanna aber, hat sie nicht, wenn auch vielleicht wenig königlich, so gerade darum echt weiblich gehandelt? Ist es nicht echt weiblich, daß die Frau, was sie liebt, gern groß und herrlich sehen möchte vor der Welt, die das Knie beugen soll vor dem, dem sie selber Untertan ist?«

»Ja«, schrie hier der noch jugendliche Cäsar von Capua heraus; »aber es müßte ein Würdiger sein. Ist es jedoch erlaubt, daß eine Königin einen Knecht liebe?«

»Ich gebe dir deine Frage zurück, Julius Cäsar,« rief der Sforza, »ich frage: darfst du den einen Knecht nennen, den deine Königin liebt? Ich habe nicht die Ehre, dem Ser Pandolfo, Grafen von Alopo, näherzustehen, aber man sagt: ihn habe die Muse geküßt, ehe es unsere Königin getan hat. Das ist vielleicht kein allzu großes Verdienst, aber Ihr, Graf von Troja, müßt doch wissen, daß Ihr sogar Euren Namen letzten Endes einem Manne verdankt, den man, wenn er heute lebte, sehr wegwerfend einen Bänkelsänger nennen würde.«

Der alte Graf von Troja hob unwirsch den Kopf, während seine auf dem Tisch liegende knöcherne Hand sich unwillkürlich zur Faust ballte.

»Herr Konnetabel, Ihr sprecht in Rätseln, ich verstehe Euch nicht,« sprach er mit verhaltenem Ingrimm, »ich höre aber: Ihr geht weit in Euren Reden.«

Der lange Sforza zuckte wieder verächtlich mit der Achsel. Er sagte: »Ich bin eines Bauern Sohn.« Und dabei warf er den dreien einen Blick hin, den sie nicht mißverstehen konnten; daß er aber seine Laufbahn mit einem Pferdediebstahl begonnen, fügte er nicht hinzu.

Kurz, die geheime Zusammenkunft der vier Männer nahm für drei unter ihnen einen höchst unbefriedigenden Verlauf. Sie hatten den Großkonnetabel für ihren Verbündeten gehalten, und als er nun weggegangen, zweifelten sie nicht, daß er ihnen entgegenstand, daß sie zum mindesten auf ihn nicht rechnen durften. Er aber erhielt dafür, daß er so freimütig und allerdings vielleicht nur aus einer augenblicklichen Laune heraus den Anwalt der Königin und ihres Günstlings gemacht hatte, schon nach wenigen Tagen seinen Lohn, freilich so, wie er ihn kaum mochte erwartet haben. Er wurde am Morgen darauf von der Königin in Audienz empfangen, die von der geheimen nächtlichen Zusammenkunft nichts wußte. Sie behandelte ihren Feldhauptmann mit großer Huld, der sich nicht genug wundern konnte über die Wohlunterrichtetheit der jungen Monarchin in allen Fragen der Politik und der Regierung, also daß auch er, wie er überhaupt als Kriegsmann mit Potentaten pflegte, frei von der Leber redete und sogar bald eine recht heikle Frage berührte.

»Ihr werdet auf einen Gemahl denken müssen, hohe Frau«, sagte er; »wie Euer eigener Sinn steht, weiß ich nicht, aber das Volk erwartet von Euch einen Erben des Reiches, und Eure Großen werden es sich nicht nehmen lassen, Euch die Möglichkeit dazu recht bald zu verschaffen.«

Die Königin, zurückgesunken in die goldgestickten schwarzen Kissen ihres steillehnigen hohen Stuhles, zeigte dem Sprecher ein unmutiges Gesicht, ja unter den langen, schwarzseidenen Wimpern hervor traf ein fast feindseliger, böser Blick den Sprecher, der deswegen aber seine Rede nicht bereute.

»Ihr habt recht,« antwortete Johanna endlich, »man wird mir deshalb bald genug und lästig genug in den Ohren liegen. Aber gerade du, mein Sforza, sollst mir nicht davon reden. Oder soll ich den Stiel umdrehen? Hättest du nicht zu allererst die Pflicht in deiner Stellung, dich nach einer neuen Hausfrau umzusehen? Du bist jetzt schon im dritten Jahr Witwer, ein großes Haus wie das deine bedarf einer Herrin.«

»Ihr spottet meines grauen Bartes, schöne Königin«, versetzte der Konnetabel in überzeugtem Ton.

»Was du redest, mein Mutio,« rief Johanna in heiterer Vertraulichkeit, wie sie ihr eigen sein konnte, indem sie sich gegen den vor ihr stehenden Kriegsmann weit vorneigte, »was du redest! Willst du deine Königin zu Komplimenten herausfordern? Nimmt dich in acht! Stelle mich nicht auf die Probe!«

Es war mit Scherz gesprochen. Es konnte aber auch als Ernst gehört werden. Und vielleicht haben es zwei Ohren so gehört – die Ohren des Ser Pandolfo, Grafen von Alopo. Als Großkämmerer des Reiches hatte er jederzeit Zutritt zu der Person der Königin. Und so stand er jetzt im langen brokatenen Gewand unter dem erhobenen Vorhang des Eingangs, die Lippen aufeinander beißend, lauernd. Mutio Sforza schien ihm offenbar kein ungefährlicher Nebenbuhler. Er räusperte sich jetzt, sei es unwillkürlich oder willkürlich, und der Sforza begrüßte den Großkämmerer mit stummer Verbeugung. »Ich habe Euch schon zu lange belästigt, hohe Frau«, wandte er sich an die Königin, beugte das Knie, und mit einem leichten Kuß auf die dargereichte lilienweiße Hand verabschiedete er sich.

Aber das lockenumwallte, apollohafte Antlitz des Herrn Pandolfo, Grafen von Alopo, erheiterte sich auch jetzt nicht. Seine dunklen, leicht verschleierten Augen ruhten wie mit tiefem Kummer auf der Gestalt der jungen Königin. Sie hatte sich wieder behaglich, fast katzenartig in die goldgestickten schwarzen Kissen ihres steillehnigen Stuhles zurückgeschmiegt. Die von seinen Silberfäden durchwobene amethystfarbene Seide ihres Kleides hob sich wundervoll davon ab, ihr Hängeärmel war zurückgestreift, ihr schimmernder Arm lag lässig auf der hohen Armlehne ihres braunen Holzgestühls. Sie schien auf eine Anrede zu warten.

III.

»Was ist dir, Pandolfino?« fragte die Königin endlich, befremdet von dem düsteren Schweigen ihres Lieblings.

»Königin,« antwortete dieser, »Ihr nährt eine Natter an Eurem Busen.«

»Pfui, Pandolfino, du sprichst ja wie ein schlechter Poet,« versetzte sie lachend, »ich bin doch keine Kleopatra von Ägypten.«

Aber Herr Pandolfo blieb ernst. Und ernst wurde bald auch das zarte Nymphengesicht der Königin, während der Kämmerer, aufrecht vor ihr stehend, die Linke im Gürtel seines lichtgrün-goldblumigen Gewandes, seinen gar nicht harmlosen Bericht erstattete. Dieser betraf die geheime nächtliche Zusammenkunft der drei Häupter der Durazzischen Partei im Stadtpalast des Grafen Julius Cäsar von Capua. Herr Pandolfo war durch seine zahlreichen Späher genau davon unterrichtet. Zwar den Inhalt der Verhandlungen kannte er nicht. Aber nach den Gesichtern, die die Herren geschnitten hatten bei der letzten Audienz, ließ sich nur Schlimmes vermuten. Auch der lange Sforza war beobachtet worden, wie er, ohne alle Begleitung, durch die dunkelsten Treppengäßchen sich nach jenem Palast geschlichen und durch ein Hinterpförtchen in ihn eingetreten war.

Und Herr Pandolfo zweifelte nicht, daß es sich dabei um eine gefährliche Verschwörung handelte, bei welcher der Konnetabel wahrscheinlich die aktivste Rolle übernommen habe.

Wirklich, die Königin war ernst geworden, und auf ihren samtenen Pfirsichwangen lag jetzt fast die Blässe der Angst. Der Herr Pandolfo sprach zuletzt nicht mehr wie ein schlechter Dichter, sondern wie ein guter, der, weil selber ergriffen, ergreifende und überzeugende Worte findet. Das Leben ihres Lieblings stand offenbar in ernster Gefahr. Und diese Angst bestimmte ihre Haltung. Ohne viel Besinnen gab sie dem Großkämmerer jede gewünschte Vollmacht mit der Versicherung, alle Schritte zu billigen, die er zu seiner Sicherheit unternehmen werde.

Und als der Großkonnetabel nach drei Tagen sich aufs neue zu einer Audienz meldete, wurde ihm bedeutet, daß sich die Königin auf den Turm Beverella verfügt habe, um einem Flottenmanöver zuzuschauen, das ihr auf dem Golf zu Füßen des Kastells vorgeführt werde – was denn freilich mit den hochgebauten weißen Gallionen und Galeeren und Karavellen mit ihren langbewehrten Ruderern ein wunderbares Schaustück gewesen sein mag – wenn es nicht eine bloße Lüge war wie überhaupt die Anwesenheit der Königin in dem genannten Turm an der Seeseite des Kastells. Denn kaum war Mutio Sforza, nachdem er an der Schloßkirche von St. Barbara vorüber den ungeheuern Hof des Kastells überschritten hatte, in die nichts weniger als zur Lust erbaute Beverella eingetreten, so wurde er schon von vier Schergen ergriffen, gefesselt und in die unterirdischen, eigentlich unterseeischen Verliese dieser runden Quaderfeste hinuntergeschleppt.

So hatte es Pandolfino gedichtet, so wurde es ausgeführt.

Pandolfino hoffte dadurch die Mitverschworenen in Furcht und Schrecken zu erhalten. Daß er sie damit sogar versöhnen würde, konnte er nicht ahnen. Er hatte dabei mehr Glück, als er wußte. Sein Gewaltstreich gegen einen der mächtigsten Männer des Königreichs konnte ihm übel bekommen, wenn die Durazzi nicht Grund gehabt hätten, jetzt sogar, wenigstens für den Augenblick, seine Mitverschworenen zu werden. Denn da sie seit jener Nacht den Sforza als einen Verräter an ihrer Sache betrachteten, fanden sie keine kleine Genugtuung darin, daß der Großkonnetabel wie ein rechter Gimpel dem Mann in die Schlinge gegangen und zum Opfer geworden, dem er so großmütig das Wort geredet hatte, und sie konnten darum dem Großkämmerer gar nicht so recht böse sein.

Nicht, daß sie ihren Plan, ihn zu entfernen, aufgegeben hätten, aber dieses Geschäft sollte nun ein anderer besorgen. Sogar einer, der in gewissem Sinn einstweilen noch gar nicht existierte, nämlich der Gemahl der Königin. Mit diesem rechnete nun das Prinzip der Gouvernante, und diesmal machte es für lange Zeit keine Falschrechnung, obwohl der gedachte Gemahl erst gesucht und gefunden und vor allem von der Königin entgegengenommen werden mußte.

Diese Bemühungen übernahmen jetzt die Durazzi, die damit keine Verschworenen mehr waren, sondern die ehrlichen Förderer des Staatsinteresses und ergebene Diener ihrer Monarchin, als welche, wie die Dinge nun einmal lagen, zu dem bösen Spiel eine gute Miene machen, ja überdies gegen ihre Vettern von königlichen Dankesworten überfließen mußte für ihre Sorge um das Heil der Monarchie und der Monarchin.

Nichtsdestoweniger lehnte die Königin eine Reihe von Vorschlägen und Anträgen sehr energisch ab, vielleicht nur, um Zeit zu gewinnen und ihre aufgedrungenen Vormünder zu ermüden. Auch mußte man öfter ihre Gründe gutheißen als politisch nicht ohne Sinn und Vernunft.

Nur einmal wurde ihre Weigerung als allgemeines Ärgernis empfunden. Da erschien eines Tages – der alte Graf von Troja hatte es so eingefädelt – eine glänzende Gesellschaft, Ritter und Prälaten, von seiten des Königs Ferdinand von Aragonien, um feierlich um die Hand der Königin zu werben für den Prinzen Don Juan, den zweiten Sohn des Königs. Diesmal gab es keine vernünftigen Gründe zur Ablehnung. Vielmehr sprach die Politik, wenn für irgendeine, so für diese Verbindung. Die Aragonesen waren bereits die Herren von Sizilien. Eine Wiedervereinigung der beiden Königreiche Sizilien stand durch diese Heirat in sicherer Aussicht. Sie lag sogar bereits im Plan der weltgeschichtlichen Vorsehung und fand tatsächlich, wie jedermann weiß, und dem Widerstand der Königin Johanna zum Trotz, nicht viel später ihre Verwirklichung. Einstweilen aber schien sie endgültig zu scheitern an dem kinderhaften Trotz Johannas. Und was konnte sie diesmal für Gründe anführen? Der aragonesische Prinz war erst achtzehn Jahre. Sie erklärte, daß sie sich schämen müßte, einen Knaben zu heiraten.

Fast mit sittlicher Entrüstung sprach sie dieses Wort, indem sie sich in ihrem Stuhl stolz emporrichtete, und über ihr nymphenhaftes Gesicht legte sich ein kalter Trotz. Der Graf von Troja, der diese Unterhandlungen mit ihr führte, senkte, vor ihr stehend, bekümmert sein greises Haupt. Es stieg ihm wohl eine Antwort auf die Lippen, eine bitterböse, und man kann sich leicht denken, auf welche Persönlichkeit sich diese Antwort bezog. Aber wie hätte er so gröblich den Respekt gegen die Monarchin verletzten dürfen? Dieser Respekt zwang ihn, seine Antwort in sich hineinzuwürgen, und wenn er es noch nicht gewußt hatte, jetzt blieb ihm kein Zweifel mehr daran: daß wohl er und seine Freunde in dem schwierigen Fadengewirr der Politik gelegentlich ihre Hand und ihre Finger haben durften, daß aber allein der Graf von Alopo, Großkämmerer des Reiches, mehr oder weniger König war von Neapel, wenn auch sozusagen auf heimliche Weise. Und also mußte, denn so war es le bon plaisir des Herrn Pandolfo, die glänzende Gesandtschaft des Königs Ferdinand von Aragonien, Ritter und Prälaten, mit einem höchst ärgerlichen Korb und nicht wenig gekränkt in ihrem spanischen Stolz, auf ihrer weißbesegelten Karavelle nach Barcelona zurückzukehren.

Aber nicht nur die spanischen Gesandten fühlten sich gekränkt, noch mehr die Magnaten von Neapel, ja selbst das harmlose Volk murrte, und Johanna fühlte wohl, daß sie einen Streich wie diesen nicht wiederholen dürfe, weil selbst Ser Pandolfo dabei seine Rechnung nicht finden würde. Auch sehr mächtige Monarchen sind nicht allmächtig. Und als darum der alte Graf von Troja und Julius Cäsar von Capua mit einem neuen Heiratsplan vor ihr erschienen, da schien es, wie wenn ihre trotzige Königin sich in ein schüchternes Pensionsmädel verwandelt hätte.

»Meine lieben Vettern,« sagte sie mit einem etwas müden Lächeln auf den sonst so trotzigen Lippen, »ihr wißt, daß ich euch in allem gern zu Willen bin, insofern damit nicht meinen königlichen Rechten und meiner Frauenehre zu nahe getreten wird.«

Über die »Frauenehre« hätte hier wieder der alte Troja gern eine Bemerkung gemacht, jedoch wie früher unterdrückte er auch jetzt seine Meinung.

»Eines will ich euch nicht verhehlen,« fuhr die Königin fort, »ihr steht hier vor eurer rechtmäßigen Herrin, eurem angestammten, anererbten König, vertreten durch meine arme, schwache Person. Bedenkt dies wohl! Meine ererbten Königsrechte zu schützen gegen jedermann, das ist eure Pflicht als meine Untertanen und Verwandte, die ihr seid. Schickt nun immerhin eure Abgesandten an den Grafen von La Marche. Er ist ja wohl ein Bourbone und also vom Blut der Könige von Frankreich, aber seine Residenz Gueret – wer hätte auch nur je den Namen gehört? – ist doch nicht viel mehr als ein Dorf in den Auvergner Bergen, wo er jetzt, wie ich höre, damit beschäftigt ist, sich ein prunkvolles Schloß zu bauen, weil er sonst nichts zu tun hat. Denn mit seinem Vetter von Frankreich soll er nicht zum besten stehen. Er wird sich also bewußt sein, wie weit er in seinen Ansprüchen gehen darf. Ich will ihn als meinen Gemahl freundlich empfangen, und wenn er es zufrieden ist, heiße er der Generalvikar des Königreichs von Neapel; das ist gewiß ein schöner Titel.«

Von den Lippen der Königin war das müde Lächeln verschwunden und ein strenger, herrischer Zug an seine Stelle getreten. Sie selbst hatte sich hoheitsvoll emporgerichtet auf ihrem Stuhl. Ihre Herren Vettern beugten sich tief vor ihr. Sie fühlten etwas wie Drohung in dem Blick ihrer wundersamen Augen. Und das hätte sie eigentlich nicht gedemütigt, es hätte sie eher mit Stolz erfüllt, denn sie fühlten gern in Johanna ihren Herrn und König. Mit Genugtuung hätten sie sich als ihre Untertanen empfunden, wenn sie selber frei gewesen wäre. Aber statt dessen war sie, wie es die Vettern nahmen, die Sklavin eines andern, eines Niedriggeborenen. Dieser Gedanke dünkte ihnen unerträglich, und so setzten sie auf den Grafen von La Marche heimliche Hoffnungen, von denen aber die Königin einstweilen nichts zu ahnen brauchte. Sie waren wirklich im Herzen entschlossen, ihre Königin, oder richtiger: ihren König zu verraten. Sie waren schon jetzt Hochverräter in ihrer Seele, während Johanna sie für ehrliche Untertanen hielt. Ihre Motive mochten ihren Verrat entschuldigen, ja rechtfertigen, aber die kommenden Dinge haben gezeigt, daß sie sich in ihrem Mittel vergriffen hatten.

Und dann war's einige Monate nach dieser Audienz, da trat einmal gegen Abend der Graf von Alopo in großer Aufregung in das Gemach der Königin, die, harmlos mit ihren Frauen plaudernd, am Stickrahmen saß, von dem ihre Augen sich von Zeit zu Zeit erhoben, um durch das offene Fenster mit den zierlichen Doppelsäulchen aus rotem Porphyr in die lichte Ferne hinauszuschweifen, hinweg über den opalfarbenen Golf zum Posilip, der mit seinem weißen Gefels aus den Wogen emporwuchs und auf dessen Absturz einige schlanke Palmen schwarz gegen die lichtseidene Bläue des Himmels standen.

Das Erscheinen des Großkämmerers und seine verstörte Miene riß sie aus ihrer kindlichen Harmlosigkeit.

»Was ist dir, Pandolfino?« fragte sie besorgt.

»Ich bringe schlimme Nachricht, Königin,« antwortete er mit einer Stimme, in der seine innere Erregung zitterte, »der neue Herr naht.«

»Herr?« wiederholte Johanna. »Ich kenne keinen Herrn über mir an. Keinen,« fügte sie schelmisch lächelnd hinzu, »als den ich mir selber gesetzt habe.«

Das war stolz königlich gesprochen. War es auch weiblich gesprochen? Und darf der Mann sein Herrentum haben aus der Gnade der Frau?

Doch dem Großkämmerer von Neapel lagen im Augenblick solche Spitzfindigkeiten fern, er hegte andere Sorgen.

»Ihr steht im Begriff, ihn zum Herrn zu machen«, versetzte er fast barsch. »Und einstweilen spielt er ihn, ohne Euch gefragt zu haben.«

»Von wem redest du, Pandolfino?« fragte die Königin mit der unschuldigsten Miene von der Welt.

»Von wem anders,« versetzte Herr Pandolfo, »als von dem Bauerngrafen Jakob von Bourbon! Er ist in Venedig eingetroffen und hat es sich nicht versagt, in seiner französischen Eitelkeit sich dort einen königlichen Empfang zu bestellen. Er ist ja sehr reich. Der Doge der Republik des Heiligen Markus ist ihm sogar auf dem hochgebauten goldenen Bucentoro in großem Pomp entgegengefahren, und ganz Venedig hat ihn als den König von Neapel begrüßt.«

»Er ist ein Narr,« versetzte die Königin im wegwerfendsten Ton, der ihr zur Verfügung stand, »ein echter französischer, eitler Narr; aber lassen wir das Männlein nur kommen!«

Hier entstand eine Pause. Herr Pandolfo schien nachzudenken. Und was er dann sagte, überraschte die Königin nicht wenig. War auch ihr Pandolfino unter die Politiker gegangen?

»Wir haben eine Unüberlegtheit begangen«, sprach er.

»Ich denke an den Sforza.«

»Wie?« versetzte etwas boshaft Johanna.

»Ihr habt meiner rasenden Eifersucht allzu willig Gehör geliehen.«

»Da kannst du recht haben, mein Dolfino«, meinte das liebe Hannchen und machte ein verzweifelt altkluges Gesicht dazu; »wenn ein Mann eifersüchtig ist, ist er immer ein Tor, und man sollte überhaupt nicht auf ihn achten.«

»Laß uns nicht streiten, schöne Herrin,« bat der Großkämmerer, »wir leben in einem zu gefährlichen Augenblick. Leider kommen zu den heimischen Sorgen auch noch bedrohliche Aussichten der äußeren Politik. Die Konzilherren zu Kostnitz haben unter Mitwirkung des Kaisers Sigismund unsern guten Landsmann, den Papst Johann, zur Abdankung gezwungen und den Otto Colonna als Papst Martin den Fünften auf den Stuhl Petri erhoben. Dieser gewalttätige und herrschsüchtige Römer wird uns ein weniger bequemer Nachbar sein als sein Vorgänger (diese Voraussagung hat sich seither auffallend bewahrheitet), und Eure Majestät, Königin, wird wahrscheinlich nur allzubald eines mächtigen Feldhauptmanns bedürfen. Ihr seht, schöne Herrin, daß es also naheliegt, an den Großkonnetabel zu denken, dessen in Tricarico müßig liegende Heerhaufen sich immer mehr aufführen wie der böse Feind, ohne daß eine starke Hand da wäre, ihnen zu wehren. Bis vor die Tore von Neapel verheeren und verwüsten sie das Land.«

Die Königin seufzte.

»Meine Vettern haben leider anderes zu tun, als ihre Königin vor ihren Bedrängern zu schützen.«

»Sie sind selber Eure ärgsten Bedränger«, ergänzte der Großkämmerer. »Über den Konnetabel aber ist mir erstaunliche Kundschaft geworden, und daraus ist mir ein Plan erwachsen. Der Sforza war gar nicht, wie ich gemeint hatte, von der Partei der Durazzi. Er hat sich sogar in der Nacht jener heimlichen Zusammenkunft offen mit ihnen überworfen und ist als Feind von ihnen geschieden, weshalb sie denn auch seine Einkerkerung so ruhig hingenommen haben. Er kann noch unser Verbündeter werden. Gebt ihm die Freiheit, Königin, und ...«

»Wir haben ihn schwer gekränkt«, fiel ihm Johanna ins Wort; »wird er sich so leicht versöhnen lassen?«

»Haltet Ihr es für möglich, daß er, Euer Untertan und Dienstmann, Eure königliche Huld von sich weise?«

»Er ist stolz und hochfahrend.«

»Mehr noch ist er etwas anderes,« beeilte sich der Großkämmerer hinzuzufügen, »nämlich habsüchtig. Er ist nicht umsonst ein geborener Bauer; seine Reichtümer zu vermehren, war ihm noch immer jede Gelegenheit willkommen. Und diese Gelegenheit hat diesmal ein allerliebstes Gesicht. Eure Freigebigkeit, Königin, hat meine Schwester Catarina Alopo, heute außer Euch das schönste Weib in Neapel, zur reichsten Partie des Königreichs gemacht, ich werde dem Sforza ihre Hand anbieten.«

»Ei, mein Pandolfino,« antwortete die Königin mit einem klugen Augenaufschlag, »du hast wirklich manchmal einen verflucht gescheiten Gedanken, wie man ihn einem Musensohn, der du bist, gar nicht zutrauen sollte.«

Der Großkämmerer beugte das Knie und küßte der Königin die Hand. »Ich eile, den Mann in seinem Kerker aufzusuchen.«

Unterwegs aber hatte er noch ein kleines Zwischenspiel zu bestehen, nämlich bei Überquerung des langgestreckten weiträumigen Burghofs, so weiträumig, daß er einem ganzen Heerlager Platz gegeben hätte und daß die gar nicht kleine Kirche von Sankt Barbara sich inmitten des ungeheuren und auch ungeheuer hohen Schachtes wie ein kleines zierliches Kapellchen ausnahm. Zwischen den Strebepfeilern dieser Kirche aber waren jetzt gelbe Zelttücher aufgespannt; grob zugehauene Marmorblöcke von bald schmal länglicher, bald kubischer Gestalt lagen übereinandergehäuft, an einzelnen von ihnen meißelten rüstige Gesellen, und hier und da war bereits zu erkennen, wie pflanzliche und tierische Formen oder auch der Ansatz zu einer menschlichen Figur, nach vorliegenden Rötelzeichnungen auf glatten Holztafeln, sich aus dem harten Gestein heraushoben. Vor einem mächtigen Reißbrett aber stand in anliegend gestrickten braunroten Beinkleidern und dunkelgrünem, gegürtetem Tuchkamisol der Meister Andreas aus Florenz und zog in sinnendem Schauen seine Rötelstriche. Mit seinem kurzen weißen Bart und dem gleichfarbigen dreigeteilten Haargelock, unbedeckt von dem zurückgeschobenen gelben Lederkäppchen, glich sein mächtiger Kopf fast dem des heiligen Petrus, wenigstens so wie man ihn oft abgebildet sieht. Der Großkämmerer wollte grußlos an ihm vorüber, der Meister aber vertrat ihm den Weg.

»Ein Wort, wenn Eure Gnaden erlauben möchten!«

»Scher' dich zum Teufel, Maurer,« herrschte der Graf von Alopo ihn an, »ich habe Wichtigeres im Kopf.«

Die Hand des berühmten Bildners machte eine Bewegung nach seinem Dolchgürtel. Doch er beherrschte sich, und stolz erhobenen Kopfes trat er an sein Reißbrett zurück. Es ist so, wie man mir in Florenz sagte, dachte er, diese Napolitaner sind keine Christenmenschen; Afrikaner sind es, Heiden, Barbaren, mit einem Wort Bestien. Und dann hantierte bereits wieder sein Rötelstift in bald zögernden, bald hastig zufahrenden Strichen über das weißgeglättete Pappelholz vor ihm.

Die Schritte des Großkämmerers aber hatten sich verlangsamt. Diese verdammten Florentiner, dachte er, zuerst haben sie uns gezwungen, ihre Sprache zu sprechen und zu schreiben, und nun sollen wir auch einzig beten vor ihren Götterbildern, womit sie ganz Italien überschwemmen, und doch sind wir, wir Napolitaner, die Söhne Griechenlands. Aber diese Toskaner haben böse Zungen, die überall gehört werden, und wer sich ihnen nicht beugt zwischen Verona und Palermo, den bringen sie in ein übles Geschrei. Die Königin wird mein barsches Betragen zu entgelten haben und wird es mir übel anrechnen. Sapristi, ich liebe ihre Gardinenpredigten nicht. Und an dem Alten hat sie gar ihren Narren gefressen.

Er hatte einen Augenblick im Gehen angehalten, und jetzt kehrte er um. Mit liebenswürdigster Freundlichkeit näherte er sich von neuem dem Meister Andreas. »Verzeiht, Meister,« sprach er, »ich habe schwere Dinge im Kopf und war ungeduldig gegen Euch; aber wolltet nicht glauben, daß ich den größten Meister in der Kunst, dessen Italien sich heute rühmt, nicht zu schätzen wüßte! Habt Ihr ein Anliegen an mich, Meister Andreas?«

Solchen Schmeichelreden konnte der Bildner nicht widerstehen.

»Hoher Herr,« sprach er, »Eure schöne Königin, Gott erhalte sie glücklich, hat mir eine Ehre angetan, wie noch keinem Künstler unserer Zeit widerfahren ist. Das Grabmal des Königs Ladislas, das sie zu schaffen mich berufen hat, soll an Größe und Reichtum und Schönheit alles übertreffen, daß es seinesgleichen nicht haben wird in der ganzen Christenheit. Ihr dient der größten und großmütigsten Königin der Welt, hoher Herr. Aber die Großen übersehen gern das Kleine. Ein Großes ist das Werk des Künstlers, ein Kleines ist das Geld. Eure schöne Königin sollte doch daran auch denken, denn meine Gehilfen laufen mir weg, wenn ich sie nicht bezahlen kann. Unsere herrschenden Geschlechter von Florenz sind keine Könige, sind nur einfache Bürger, aber für die Künstler haben sie einen stets offenen und bei Gott auch vollen Beutel, besonders der junge Cosimo aus dem Haus der Medici.«

Ei, du bettelhafter florentinischer Großsprecher, dachte Herr Pandolfo, doch seine schönen Adonisaugen heuchelten staunende Bewunderung.

»Es ist mir eine große Ehre, dir zu dienen, Meister Andreas,« sagte er; »ich werde noch diesen Abend mit der Königin reden; mein Freund, du sollst mit mir zufrieden sein.« Und mit einem verbindlichen Kopfnicken verabschiedete er sich.

Wenn es mir nur auch gelingt, den schnauzbärtigen Romagnolen so leicht zu begütigen wie diesen Florentiner Handwerker! dachte er. Wenigstens soll es mir ein gutes Vorzeichen bedeuten, wenn ich auch bei dem Sforza ganz andere Schulden auf dem Kerbholz habe.

Und wirklich muß ihm sein Besuch in der Beverella, deren unterirdische oder vielmehr unterseeische Verliese gewiß nicht auf Heiterkeit zu stimmen angetan waren, ganz nach Erwarten geglückt sein. Denn als er am Abend zu Santa Lucia, als napolitanischer Fischer verkleidet, in dem Hause eines engen Winkelgäßchens mit einem hübschen Liebchen bei einer Flasche Falerner zusammensaß – denn er hielt der Königin Johanna keineswegs die Treue –, da mußte ihm die schlangengeschmeidige Assunta gestehen, daß sie ihn seit Wochen nicht in solcher Aufgeräumtheit gekannt habe. »Du würdest dich nicht wundern,« sagte er lachend, »wenn du wüßtest, was für ein Mordsfisch mir heute in die Angel gebissen hat, ein Fisch, sage ich dir, mein Schätzchen, den der stolze Cäsar von Capua mit seiner halben Grafschaft nicht zu teuer bezahlen würde. Ich habe ihn der Königin gebracht, und so glücklich wie über seinen Anblick haben ihre strahlenden Augen schon lange nicht geleuchtet.«

»Hat sie ihn denn aber auch gut bezahlt?« fragte die schlangengeschmeidige Assunta mit begehrlichem Blick. »Mit einem Kuß von ihren stolzen Lippen«, antwortete trocken der geheimnisvolle Menschenfischer. Die Assunta schien enttäuscht: »Du bist einmal ein lumpiger Aufschneider«, versetzte sie schnippisch, indem sie mit ihrem Glas, in dem der Wein vor der flackernden Öllampe funkelte wie flüssiger Bernstein, an das seinige stieß.

Dem wiederausgesöhnten Großkonnetabel aber wurde von der Königin eine große Genugtuung zugedacht. Ihr zukünftiger, bereits prokuratorisch ihr angetrauter Gemahl hatte ihr eine Botschaft zugehen lassen. Danach war er zu Manfredonia an der Adria und also auf napoletanischem Boden gelandet, und Johanna bestellte den Sforza zum Führer der feierlichen Gesandtschaft, die dem Königsgemahl nach Benevent entgegenkommen sollte. Alle ihre getreuen Barone nahmen daran teil, Sforza erhielt für die Formen der Begrüßung ganz besondere geheime Instruktionen.

Aber jetzt kam der heimliche Verrat ihrer Vettern zum offenen Ausbruch. Ohne Vorwissen der Königin waren sie, Julius Cäsar von Capua, der Graf von Troja und der Graf von Gerace, mit zahlreichen andern Großen des Reiches, die ihren Anhang bildeten, schon drei Tage früher zum Empfang des von ihnen sehnlich Erwarteten aufgebrochen, dem sie weit über Benevent hinaus entgegenkamen. An den Ostabhängen des Apennins, wo die weite apulische Ebene beginnt, liegt das Städtchen Troja, von dessen Besitz der Seneschall von Neapel seinen Grafentitel führte. Der Ort selber schreibt seinen Namen von den Griechen her, die einst an dieser Stelle die Langobarden besiegt haben.

Im Osten dieser Stadt, vor dem Foggianer Tor, erwarteten die Barone des Königreichs Neapel in feierlicher Aufstellung den Zug des Jakob von Bourbon, Grafen von La Marche, der eine so große und glänzende französische Gefolgschaft mit sich führte, daß sie wahrlich auch eines gekrönten Königs nicht unwürdig erscheinen mochte. Der Bourbone, wie ihn die Italiener nannten, ein stattlicher Mann in der Mitte der Vierziger, mit spitzzulaufendem, braunem Bart, ritt auf einem schwarzen Berberhengst seiner Begleitschaft um einige Schrittlängen voran. Als er nun näher kam, stieg der greise Seneschall, der Graf von Troja, als der Gastherr dieses Bodens, vom Pferd und kam dem von La Marche zu Fuß entgegen. Er sprach: »Erlauchter König! Eure Majestät sei uns allen willkommen.« Daraufhin, wie auf ein gegebenes Losungswort, stiegen alle Barone von ihren Pferden, verbeugten sich tief und begrüßten Jakob von Bourbon als ihren König. Dieser aber schien sich von den Hochverrätern an ihrer Königin und Herrin nicht sehr imponieren zu lassen. Er lüftete nur leicht sein Hütchen und setzte ohne Aufenthalt seinen Ritt fort auf die Stadt Benevent.

Julius Cäsar von Capua und der Graf von Troja ritten ihm zur Seite und verfehlten nicht, ihren neuen Herrn und König über die Verhältnisse in Neapel und die Gesinnung der Königin mit kaum verschleiernden Reden aufzuklären, in die, wenn auch vorsichtig, der Name des Großkämmerers gelegentlich verflochten wurde, ohne daß bei all dem Jakob von Bourbon auch nur eine Miene verzog und kaum daß je ein Wort von seinem Munde kam. Er verbarg sogar nicht, wenn es die andern auch vielleicht nicht merkten, daß er, hierin kein schlechter Franzose, die Verräter ein wenig verachtete.

Einige Enttäuschung freilich malte sich schon jetzt auf den Gesichtern der Neapolitaner; sie hatten sich einen Franzosen gesprächiger gedacht. Auf französische Geistreichigkeit schien dieser nicht erpicht zu sein. Nein, man war innerlich nicht ganz zufrieden, und der greise Troja, der ja nach seiner Meinung noch näher als die andern von den Griechen abstammte, dachte sogar heimlich im Herzen an die äsopische Fabel von den Fröschen, die um jeden Preis einen König haben wollten.

Vor den Toren von Benevent gab es einen andern Auftritt. Hier hatte sich der Sforza mit den Seinigen aufgestellt, ganz wie die andern vor Troja; sein Herold, in den Farben von Anjou und Durazzo bunt ausstaffiert, ritt dem Ankommenden entgegen, und nachdem sein Bläser dreimal in die Trompete gestoßen, wie bei Ankündigung einer Schlacht, rief er mit lauter Stimme: »Hier ist der Großkonnetabel von Neapel!«

Dieser aber stieg nicht vom Pferde, er verneigte sich nur leicht gegen Jakob von Bourbon und sprach: »Erlauchter Graf! Die Königin, deine Gemahlin, erfreut sich deiner Ankunft und erwartet dich mit Ungeduld.«

Hier wurde also der Graf von La Marche auf einmal nicht mehr als König genommen. Er schien aber nicht darauf zu achten; er fragte nur: »Wie geht es der Königin?«

Im Thronsaal des königlichen Schlosses zu Benevent aber bestieg er den hohen Stuhl unter dem purpurnen Thronhimmel und ließ sich von den Baronen huldigen, die ihm kniend die Hand küßten. Da erkannte der Konnetabel, welche Art Suppe die Durazzi ihrer Königin und ihm selber eingebrockt hatten, und wenn auch im Herzen nicht willens, sie aufzuessen, so mußte er doch dergleichen tun. Für den Augenblick wenigstens sah er keinen andern Ausweg, als sich den gegebenen Umständen scheinbar zu fügen. Aber vor der Tür zum Thronsaal trat ihm Julius Cäsar von Capua in den Weg. »Zurück!« rief er ihn an. »Elender Schurke, der als Fremdling, als Bauernsohn aus der Romagna, es wagen konnte, sich gegen unsern König zu empören.«

Und wohl war es sein König, er hatte ihn selber dazu gemacht. Der Konnetabel aber warf dem Capuaner statt aller Antwort seinen Hut vor die Füße. Das gleiche tat Julius Cäsar. Aber nur der Sforza bückte sich nach dem Hut seines Gegners, zugleich entblößte er sein Schwert. In demselben Augenblick trat, wie er es mit seinem Vetter von Capua verabredet hatte, der Graf von Troja hinzu mit zwei eisengepanzerten Rittern hinter sich. Als oberster königlicher Seneschall waltete er also nur seines Amtes, wenn er durch seine Begleiter den Konnetabel mit Gewalt festnehmen ließ, der, so konnte es scheinen, im Begriff gestanden, mit gezücktem Schwert in den Thronsaal einzudringen und sich auf den König zu werfen. Und also wurde dieser Sforza, der berufen war, eine mächtige Herrscherdynastie zu gründen, kaum befreit, zum zweitenmal eingekerkert, denn so lag es damals, zu den Zeiten der Könige, im Stil des Lebens, es lebte sich da noch abenteuerlicher und gefährlicher als später in der Zeit der Bürger.

Der Schlag der Durazzi gegen den Großkonnetabel war wohlüberlegt, er traf zugleich die Königin, die damit ihres starken Armes beraubt wurde. Sie begriff ihre Lage, und mit der Geschmeidigkeit, die in ihrer Natur lag, fand sie sich schnell in die neue Rolle, die ihr durch den Verrat ihrer Vettern zugeteilt worden, wohlunterrichtet, wie die Dinge in Troja und Benevent verlaufen und wie Jakob von Bourbon weiterhin in allen Städten, durch die er kam, als König empfangen wurde und als solcher auftrat. So ließ sie in aller Eile einen prunkvollen Baldachin herstellen und ordnete an, daß ihr Hofmarschall, der Graf von Prajano, und die zwölf vornehmsten Ritter ihres Hofdienstes ihrem neuen König vor das Capuaner Tor entgegenzogen. Sie setzte selber dem Hofmarschall die Rede auf, Wort für Wort, womit er den König, nachdem die Ritter den königlichen Baldachin über ihm entfaltet, begrüßen sollte; Jakob von Bourbon durfte mit ihr zufrieden sein.

Wie aber war es, als der Bourbone darauf, überschattet von dem königlichen Baldachin mit seinen vier mächtigen Büscheln von Straußfedern über den goldenen Tragstangen, durch die sozusagen einzige Straße des damaligen Neapels ritt, die später der Korso von Toledo hieß? Ja, wie war es da?

So war es, daß der Ruf »Es lebe unser König!« wohl allenthalben erscholl; aber der freudige jauchzende Jubel wie einst bei dem Zug der Königin kam nicht darin zum Ausdruck. Zu den Seiten des Königs ritten – aber nicht mehr unter dem Baldachin – zur Rechten der königliche Seneschall Graf von Troja und zur Linken der Großgonfaloniere Julius Cäsar, Graf von Capua, und das gemeine Volk, so fern es den inneren Hofkabalen stehen mochte, wußte doch nur zu gut, daß die beiden der Königin nicht freundlich gesinnt waren. Dieses Volk aber liebte seine Königin, die, jung und schön, prunkhafte Ritterspiele gab und fette Volksbelustigungen. Es liebte auch den glänzenden Grafen Alopo, den Großkämmerer, der, als eifriger Begünstiger des tollen Lebtags, sich dem Volk freundlich und leutselig zeigte, wo sich nur die Gelegenheit gab. Beide, die Königin und ihr Günstling, lebten in den Sinnen und der Phantasie des Volkes wie in einer Art Verklärung. Was hätte dagegen der finsterstolze Graf Julius Cäsar und der greisenhafte zittrige Seneschall der Phantasie zu bieten vermocht? Jakob von Bourbon aber fühlte aus all dem so viel heraus, daß die beiden Königsmacher keinen allzu großen Rückhalt hatten im Volk, und beschloß bei sich, sein Betragen danach einzurichten. Sympathisch hatten ihn die Verräter ohnedies nicht berührt von der ersten Begegnung an.

Auf der Hängebrücke, die vom Hafenplatz zum Tor des königlichen Kastells führte, begrüßte ihn der junge strahlende Graf Alopo, des Reiches Großkämmerer; er ließ sich vor seinem neuen König aufs Knie nieder und küßte ihm den Fuß in tiefster Unterwürfigkeit. Jakob von Bourbon aber sah freundlich und leicht spöttisch lächelnd auf den Knienden nieder, von dem er wohl wußte, daß er bis jetzt für den mächtigsten Mann des Königreichs gegolten.

Die Königin erwartete ihren Gemahl oben im großen Prunksaal, auf dem Thron sitzend und umgeben von ihrem Hofstaat, den Erzbischof von Nola, ihren Kanzler, stehend zu ihrer Rechten. Der König schritt mit seinem Anstand langsam auf sie zu und verbeugte sich dreimal vor ihr. Die Königin Johanna sprach: »Wer mich liebt und das Haus Durazzo, der begrüße diesen meinen Gemahl als seinen König.« Und alle riefen: »Es lebe die Königin Johanna und der König Jakob, unsere Herren!« Der Franzose antwortete nur: »Ich danke Eurer Majestät« und küßte, sich verbeugend, der Königin die Hand, wonach er ihr die Damen und Herren seines Gefolges in der Reihenfolge ihres Ranges vorstellte.

Auf diesen ersten Akt folgte in der an den Saal anstoßenden Kapelle die kirchliche Trauung durch den Erzbischof von Nola. Johanna entschuldigte gegen ihren Gemahl die etwas unzeremoniöse Kürze dieser Handlung. Sie habe, der Stimme ihres Herzens folgend, gewünscht, daß die heilige Weihe der Kirche ihrem Bund nicht länger fehle, und da der König müde sein werde von seinem langen Ritt, habe sie ihm die Umständlichkeiten einer großen Zeremonie in Santa Barbara oder am Grabe des hl. Januarius ersparen wollen. Dabei sah sie den Bourbonen an mit einem Blick wie dem einer sehnsuchtsvollen kleinen Braut. Der König erwiderte fast wie in Verlegenheit, er habe eine so eilige Beschleunigung nicht zu erwarten gewagt und sei darum der Königin um so mehr zu Dank verpflichtet.

Sie sind beide gute Komödianten, dachte Julius Cäsar von Capua, indem er dem König die Hand reichte zum Gang nach der Kapelle. Voran schritt die Königin an der Hand ihres Großkämmerers, des Herrn Pandolfo, Grafen von Alopo, auf dessen Gesicht kein anderer Ausdruck zu lesen stand als der einer kalten Würde, die, mit seiner Jugendlichkeit in seltsamem Widerspruch, in der Königin aber den Gedanken weckte, daß sie sich wahrlich des Erwählten ihres Herzens nicht zu schämen brauche.

Sehr verschieden davon verliefen die Gedanken in dem Gehirn des greisen Seneschalls Grafen von Troja, der der Herzogin von Tarent, der obersten Palastdame der Königin, die Hand gereicht hatte und als Dritter in der Reihe folgte. Ist das Franzosenart, so dachte er, oder ist dieser Jakob von Bourbon nur ein Hanswurst von einem Franzosen? Wie kann er diesen Skandal ertragen? Er hätte den süßen Pandolfino gleich unten auf der Zugbrücke verhaften lassen sollen; er ist doch wahrlich genügend unterrichtet worden von uns.

Nach der Trauung begab man sich zur Tafel im sogenannten Rittersaal, und hier saß dann zur Linken der Königin, nach dem Recht seiner Würde, der Erzbischof von Nola, zur Rechten des Königs aber, nach altem Herkommen, sein Großkämmerer, und diesem gegenüber, Aug' in Auge, der Großgonfaloniere Julius Cäsar von Capua. Der Graf von Troja und die übrigen anwesenden Barone des Reiches nebst den vornehmsten Franzosen im Gefolge des Königs schlossen sich an mit den Damen in bunter Reihe. Für zwei keineswegs gleichgültige Gäste fehlten die Stühle, sie saßen dennoch mit zu oberst an der Tafel: der Ritter Verrat und die Dame Verstellung. Man sah sie nicht, aber man spürte sie, ihr Hauch machte die Luft giftig, und dies mochte der Grund sein, daß in dieser glänzenden Gesellschaft nur die leuchtenden Farben der Prachtgewänder und die üppigen Rosensträuße in kupfernen und achatblauen Gefäßen eine hochzeitlich helle Freudigkeit ausdrückten. Nur von dem blitzenden Gefunkel des mannigfachen Edelgesteins in dem zierlichen Goldkrönchen der Königin, in Gürtelschnallen, Schwertknäufen und Mantelspangen, wie des hellgrünen Smaragds, des zartblauen Berylls, des blutroten Rubins, und nur von dem buntfiedrigen Gevögel zwischen phantastischen Blumen, eingewirkt in die flandrischen Teppiche und Behänge der Saalwände, ging es aus wie ein hochzeitliches Jubilieren, kaum aber von den zurückhaltenden und gedämpften Reden der Gäste mit Ausnahme eines Trinkspruchs, kurz gehalten, aber sprühend von Geist und übermütiger Laune, den der Graf von Alopo ausbrachte, der aber doch nicht allen gefallen wollte. Der Graf Julius Cäsar, dem Sprecher gegenübersitzend, wurde merklich bleich vor Wut. Der Großkämmerer hatte sich da etwas herausgenommen, was doch allein ihm, dem nächsten Verwandten der Königin, zugestanden hätte. Aber so fein wär's ihm freilich nicht gelungen. Und vollends düster blickte der Graf von Troja auf seinen Teller nieder. Diese Rede setzte nach seiner Meinung dem Skandal die Krone auf.

Um so freudiger strahlte dabei das Auge der jungen Königin. Der Beherrscher ihres Herzens hatte sich durch seine geistige Überlegenheit auch als der Beherrscher einer Lage gezeigt, in der doch das Schreckgespenst der Gefahr ihm nur allzunahe entgegengrinste.

Dachte das auch der König? Er lächelte vor sich hin wie einer, der einen schönen Augenblick genießt. Er war offenbar kein Hasser einer ironischen Situation. Dagegen seinen Geist leuchten zu lassen in feingeschliffener Rede, wie es sonst französische Art ist, fühlte er entweder kein Bedürfnis oder keine Befähigung. Seine Wortkargheit machte die Neapolitaner förmlich betroffen; dieser lederne Geselle war wahrlich kein König nach ihrem Sinn.

Er erhob sich auch überraschend früh, bat die widerwillig sich erhebenden und erstaunt dreinblickenden Gäste, ihn mit seiner Müdigkeit zu entschuldigen, sich aber in keiner Weise stören zu lassen, und ergriff unter tiefer Verbeugung die Hand der Königin, die von dem übereilten Aufbruch sichtlich am unangenehmsten berührt schien.

Dem Großkämmerer hätte es obgelegen, nach Brauch und Herkommen dem königlichen Paar nach dem Schlafgemach voranzuschreiten. Doch diesmal wies ihn der König mit einer leichten Handbewegung zurück, allerdings nicht ihn allein, sondern auch die übrigen Herren des hohen und höchsten Ehrendienstes, so daß nur die Herzogin von Tarent als oberste Palastdame und der Hofmarschall Graf von Prajano nebst Pagen und Trabanten den hohen Neuvermählten folgten und mit den verblüfften Würdenträgern auch ein altüberkommenes umständliches Zeremoniell gleichsam wesenlos beiseite geschoben war.

Im Saal fanden sich zuerst die Franzosen und ihre Damen, die den überhasteten Aufbruch des königlichen Paares von der scherzhaften Seite nahmen, zuerst auf ihre Sitze und in das gastliche Behagen zurück. Zu ihnen gesellte sich jetzt der Graf von Alopo und wußte diese selbstgefälligen Eindringlinge schnell so zu bezaubern, daß sie alle erklärten, der Großkämmerer sei der einzige Neapolitaner mit Geist.

Und wie Herr Pandolfo den Franzosen, so näherte sich gleichzeitig einer von diesen, Herr Tristan von Clermont, den Häuptern der Durazzischen Partei. Die stolzen Vettern der Königin hatten es, als ihrer Würde nicht entsprechend, verschmäht, in Abwesenheit des Königs weiterzutafeln; sie standen in einem einsamen Nebensaal und sprachen über Politik. Der greise Seneschall, Graf von Troja, konnte jetzt seinem Unmut rückhaltlos Luft machen über den König, der die skandalöse Gegenwart des Grafen Alopo bei der heutigen Feier nicht verhindert hatte, worin ihm Herr Julius Cäsar und der Graf von Gerace lebhaft beistimmten. In diesem Augenblick trat zu ihnen Herr Tristan von Clermont, von dem sie wohl wußten, daß er der nächste Vertraute des Königs war.

»Ihr kommt uns gerade recht,« raunte ihm, nicht ohne einen flüchtigen Blick des Mißtrauens, der Capuaner zu, »offen gestanden, wir beklagten uns gerade über den König.«

Die Lippen des Herrn Tristan umspielte ein spöttisches Lächeln, das er keineswegs zu verbergen trachtete.

»So früh schon, meine Herren?« sagte er boshaft. »Und das in einem Augenblick, wo der König in den Armen der Liebe gewiß an alles eher denkt als an die Politik? Da werden ihm ja die Ohren läuten, und das könnte leicht ein Unglück geben. Oder wäre es nicht schlimm, wenn der zukünftige Thronfolger von Neapel mit läutenden Ohren auf die Welt käme und damit behaftet bliebe sein Leben lang? Er würde darüber vielleicht verrückt werden, und das müßte notwendig noch ein größeres Unheil über den Staat bringen als die noch so tollen Verliebtheiten einer hübschen jungen Königin.«

Diese Rede des Franzosen war nicht angetan, die kabbalistischen Gesichter der andern aufzuheitern!

»Herr Ritter,« sprach finster der greise Seneschall, »wir sind in diesem Augenblick nicht aufgelegt zu spaßen, am wenigsten über die heiligen Geheimnisse einer königlichen Brautnacht, woran auch nur mit Gedanken zu rühren uns ein Crimen laesse majestatis bedeuten würde.«

»Puh!« machte Herr Tristan, wie wenn es ihn schauderte bei so großen Worten. »Übrigens,« fügte er bei, indem er mit Daumen und Zeigefinger sein seidenweiches Knebelbärtchen zwirbelte und ein boshafter Blick in seine lustigen Augen trat, »übrigens, wer sagt euch denn, daß ich scherze, ihr gestrengen Herren? Ich gedachte vielmehr, euren feierlichen Herrlichkeiten eine durchaus ernste Warnung zukommen zu lassen.«

Dies klang zweideutig, und die Neapolitaner witterten einen versteckten Sinn, eine Art Drohung darin. Der nervösen, nicht sehr großen Gestalt des gelbgesichtigen Julius Cäsar gab es innerlich einen Ruck; er dachte heimlich: Mit dir nehme ich es noch auf, Freundchen. Aber Herr Tristan spielte ganz und gar den Harmlosen.

»Haben Eure Herrlichkeiten eben aus dem Saal die begeisterten Zurufe gehört?« fragte er. »Sie galten eurem Erzkämmerer, dem Grafen von Alopo. Er scheint meine Landsleute gänzlich bezaubert zu haben. Und wahrlich, er ist ein wunderbarer Mann. Das Schwert des Todes schwebt über seinem Haupt, er weiß es, dennoch ...«

Julius Cäsar von Capua unterbrach die Rede.

»Herr Ritter,« fiel er ein, »solange ein Schwert über einem Haupt schwebt, kann es auch noch, unter Umständen, ein anderes Haupt verletzen, vielleicht gar ein königliches.«

»Hallo,« rief Herr Tristan, » Crimen laesae majestatis

»Es gibt Leute, denen man alles zutrauen darf«, bemerkte der leicht bucklige, im allgemeinen schweigsame Graf von Gerace.

»Wirklich?« fragte der Franzose, und abermals blitzte es boshaft aus seinen lustigen Augen. Seine unverkennbar spöttische Frage ärgerte den Grafen von Capua.

»Wir Neapolitaner«, sagte er fast herrisch zurechtweisend, »sind keine Freunde von spitzen Reden – –«

Eher von spitzen Dolchen, dachte Herr Tristan.

»Ihr aber, Herr Ritter,« sprach der Capuaner weiter, »Ihr wißt sehr wohl, auf wen mein Vetter Gerace mit seinem Wort deutete; es ist der Mann, dem ja auch Ihr außerordentliche Fähigkeiten zuzutrauen scheint.«

»Ich halte ihn sogar für fähig, sich die Gunst des Königs zu gewinnen.« Herr Tristan warf dies leicht hin, aber man sah ihm an, daß er wohl wußte, was für ein schweres und niederschmetterndes Wort es für die Neapolitaner bedeutete. Und wirklich, die dreie standen sprachlos. Herr Tristan lachte.

»Beruhigen sich Eure Herrlichkeiten! Jakob von Bourbon ist nicht ohne einigen Verstand.«

Der Graf von Gerace wagte von neuem ein Wort, er sagte:

»Die Rolle, die dieser Graf von Alopo heute abend gespielt hat, war uns allen ein Ärgernis.«

»Das glaube ich,« antwortete Herr Tristan, »denn eigentlich hättet Ihr, Herr Graf, an seiner Stelle sein sollen, nach Eurer Meinung.«

»Eure Anspielung, Herr Ritter, mißfällt mir,« sprach Julius Cäsar scharf, »für uns handelt es sich nicht um unsern eigenen persönlichen Vorteil, sondern einzig und allein um das Heil unseres Königs.

Herr Tristan machte ihm eine stumme Verbeugung.

»Und darum können wir nicht begreifen,« nahm wieder der greise Seneschall, Graf von Troja, das Wort, »daß der König es zu diesem Skandal kommen ließ, statt unsere Ratschläge zu befolgen, die wir ihm deutlich genug zu verstehen gegeben haben.«

»Aber unter welchem Vorwand sollte Seine Majestät den Grafen verhaften lassen?« fragte Herr Tristan.

»Vorwand?« rief der Capuaner. »Braucht es eines Vorwandes, wo so schwere Gründe vorliegen?«

Tristan von Clermont nahm jetzt plötzlich einen ernsteren Ton an als seither.

»Ihr, meine Herren,« sagte er, »ihr mit dem afrikanischen Blut in euren Adern ...« Die Neapolitaner machten eine Bewegung des Unwillens.

»Wenn es euch lieber ist,« fuhr Herr Tristan fort, »sagen wir griechisches Blut. Also ihr mit dem griechischen Blut in euren Adern seht diese Dinge anders an als wir Franken. Die Verhaftung des Herrn Erzkämmerers hätte einen Prozeß zur Notwendigkeit gemacht, und dieser Prozeß hätte in ärgerlichster Weise die Königin bloßgestellt. So ungalant gegen seine Gemahlin zu handeln, dessen ist kein Franzose fähig, gar als König; aber glaubt mir, der König ist ein besonnener und kluger Mann« (er hielt sich wenigstens in hohem Grad für einen solchen), »ein kluger Mann, er wird seine Sache schon gut machen.«

In diesem Augenblick betrat der Großkämmerer von Neapel von dem großen Saal her das Gemach und näherte sich der Gruppe mit einer solchen Unbefangenheit und Selbstsicherheit, daß Herr Tristan nicht anders konnte, als den befeindeten und gefährdeten Mann aufs neue heimlich zu bewundern; die andern, obwohl voll von Haß und Grauen, begegneten ihm mit ausgesuchter Höflichkeit, von Politik wurde nicht mehr gesprochen!

Daß aber Tristan von Clermont sich in der Ausdeutung seines königlichen Beschützers nicht geirrt hatte (wenigstens meinte er es so), zeigten die nächsten Tage; der Graf von Alopo blieb unbehelligt in seinem Amt und in seiner Freiheit. Er hatte wie zuvor jederzeit freien Zutritt zur Königin, aber freilich, sie je wieder unter vier Augen zu sprechen, blieb ihm versagt. Der König hatte seiner Gemahlin einen neuen Stallmeister bestellt in der Person eines alten Franzosen, namens La Berlinguère, den die Neapolitaner Berlinghiero nannten, und der, wenn nicht der König zugegen, die Königin nicht einen Augenblick aus den Augen lassen durfte, die also in ihren eigenen Gemächern wie eine Gefangene behandelt wurde.

Und das bedeutete nun freilich keine Erfreulichkeit für den süßen Pandolfino. Noch Schlimmeres traf ihn. In der Öffentlichkeit behandelte ihn der König mit all den Formen der Höflichkeit, die seiner hohen Würde zukamen; aber im Alleinsein mit ihm oder auch, was noch schlimmer, in Gegenwart der Königin, zeigte er ihm die äußerste Geringschätzung und Verachtung und überschüttete ihn förmlich mit beißendem Hohn. Wie blutige Geißelhiebe trafen seine kurz hingeworfenen Worte die verwundete Seele des armen Pandolfino, der doch nur mit tiefster Unterwürfigkeit darauf erwidern durfte. Aber noch andere erlebten keinen kleinen Ärger mit dem König.

Den bestgehaßten Feind der Durazzi, den Großkonnetabel Sforza, von dem alten Seneschall so heimtückisch eingekerkert, gab König Jakob zwar zunächst nicht frei, aber er gewährte ihm ein sehr bequemes ritterliches Gefängnis, und seiner jungen Gemahlin, Katarina Alopo, die sich in das Kloster von Sankt Clara geflüchtet, erlaubte er, frei in ihren Palast zurückzukehren. Er ernannte sogar den Herrn Francesco, den ältesten Sohn des Konnetabels und späteren Herzog von Mailand, zum obersten Befehlshaber der ganzen napolitanischen Heeresmacht; gegen die Durazzi aber, die ihn zum König gemacht hatten, bewahrte dieser merkwürdig anständige, aber allerdings und vielleicht eben deswegen nicht allzu kluge König (wie sehr er sich auch dafür hielt) die ursprüngliche Abneigung, die sie durch ihren aufdringlichen Verrat in ihm erweckt hatten. Das Wort vom Undank der Könige ist uralt, aber bei diesem Jakob von Bourbon war es noch etwas anderes. Je unsicherer er sich letzten Grundes in seiner Lage fühlte, um so deutlicher glaubte er zeigen zu müssen, daß er sich aus eigener Kraft den Schwierigkeiten gewachsen fühle. Er traute sich große Dinge zu. Und daß die Durazzi ziemlich anmaßend auftraten, stieß vollends dem Faß den Boden ein. Eine Anzahl ihrer Barone wurde plötzlich verhaftet. Dem greisen Troja ließ der König sagen, daß ihn sein Alter nicht geeignet scheinen lasse, als oberster Richter des Königreichs zu fungieren, und daß er deshalb hiermit aufgefordert sei, sein Amt als oberster Seneschall des Königreichs dem Herrn Tristan von Clermont abzutreten. Überhaupt ging der König rücksichtslos darauf aus, alle höheren Würden des Reiches einzig den Franzosen vorzubehalten, mit denen er sich ausschließlich umgab. Das verfängliche Fabula docet des äsopischen Froschteichs – der alte Troja dachte jetzt mit Bitterkeit daran – traf die Durazzi täglich härter.

Der stolze Julius Cäsar von Capua sah sich vom König gänzlich auf die Seite geschoben, und seine ehrgeizige Seele füllte sich immer mehr mit giftigem Haß gegen den fremden Eindringling, wie er jetzt den König nannte, den er doch selber, um den Preis des Hochverrats an der angestammten Monarchin, zu so hoher Würde und Machtvollkommenheit erhoben hatte. So stand er denn mit seinem innerlichsten Gefühl jetzt keinem so nahe als dem einst so verachteten Grafen von Alopo, und nicht allzulange dauerte es, daß sie sich auch äußerlich zusammenfanden, so daß diesmal, was nicht allzuhäufig vorkommt, die Liebe und die Politik sich zu gemeinsamem Tun die Hand reichten.

Julius Cäsar hatte voll Mißmut Neapel verlassen, wo das Prinzip der Gouvernante abermals in neue Hände übergegangen war, und saß trutzend wie ein fauchender Uhu auf seinem alten Bergschloß zu Marcone bei Capua. Hier ließ sich eines Tages ein armer napolitanischer Fischer bei ihm melden mit der Begründung, daß er ihm eine wichtige Sache aus Neapel zu melden habe, und das war niemand anders als der Großkämmerer Pandolfo Graf von Alopo in Person.

Über die zu vollbringende Tat stimmten die beiden ehemaligen Feinde von allem Anfang an überein. Und sie zu beschließen, war freilich leicht; ihre Ausführung indessen schien fast unmöglich. Doch Herr Pandolfo, dessen seelische Spannkraft und sonstigen geistigen Fähigkeiten Herr Tristan von Clermont nicht umsonst so bewundert hatte, würde sich für einen erbärmlichen Tropf gehalten haben, wenn ihn seine poetische Erfindungskraft, wie er ein wenig ironisch die Sache nannte, jetzt im Stich gelassen hätte. Und so wußte er, noch vor Weihnachten, dem Grafen von Capua einen Vorschlag zu unterbreiten, dem man tatsächlich eine gewisse Poesie nicht absprechen konnte, und dem dann auch Julius Cäsar, wenn er schon die Gefahren darin nicht verkannte, nach einigem Bedenken seine Zustimmung gab.

Die größte Schwierigkeit bei der Ausführung seines sinnigen Vorschlags lag darin, daß die Königin im voraus davon unterrichtet sein mußte. Nun war Herr Pandolfo zwar nicht ganz ohne geheime Verbindung mit der Königin verblieben. Eine ihm geneigte Zofe hatte ihm von seiner erhabenen Geliebten wiederholt kleine Zettelchen überbracht, knappe hieroglyphisch gehaltene Versicherungen von Liebe und Treue, und Pandolfino hatte diese in ähnlichen abgerissenen Rätselworten erwidert; aber so tollkühn ließ er sich doch nicht hinreißen, um auch nur einen einzigen Augenblick bei dem Gedanken zu verweilen, dieser verhältnismäßig unschuldigen Geheimpost seine halsbrecherischen Absichten anzuvertrauen.

Wen jedoch das allmächtige Schicksal erheben oder auch vernichten will, dem ebnet es auch den Weg zu dem Ende hin, das ihm unwiderruflich vorbestimmt ist. Und auch ein König fällt nicht von Mörderhand, wenn die Götter oder die Vorsehung ihm ein anderes Los bestimmt haben, mag auch der Anschlag noch so sinnig ausgedacht, der Dolchstoß von noch so sicherer Hand geführt sein.

So schien denn ein geradezu wunderbar aussehender Zufall den Pandolfino in überraschender Weise zu begünstigen. Denn da er jetzt eines Tages, wie stets zweimal in der Woche, der Königin seine dienstliche Aufwartung machte, erlebte er das Unglaubliche, daß der alte Berlinghiero, entgegen allem Brauch, mit einer stummen Verbeugung gegen ihn das Gemach verließ. Der Fall kam so unerwartet, daß Pandolfo fast darüber seine Fassung verlor. In dieser Verblüffung verwechselte er, wie das öfter geschieht, den Teufel mit dem lieben Gott. Er stürzte der Königin zu Füßen.

»Johanna,« flüsterte er, »der König muß sterben: Gott selber ist mit uns im Bunde.«

In den schönen Augen der Königin malte sich ein ungeheucheltes Erschrecken. Sie sagte: »Pandolfino, du rasest. Erhebe dich, der Berlinghiero wird jeden Augenblick eintreten!« Pandolfino erhob sich und stand nun in ehrfürchtiger Haltung vor der Königin, die, wie man es auf alten Bildern steht, begünstigt von der hochsteilen Lehne ihres Stuhles, in steifer Würde schweigend verharrte. Und flüsternd entwickelte ihr Pandolfo seinen Plan.

Alljährlich am Abend vor der Heiligen Nacht pflegten die Verwandten der Königin, und andere Reichsbarone, der Monarchin in feierlicher Weise ein Geschenk zu überbringen, das diese, so wollte es ein altes Herkommen, nur von ihren Frauen umgeben entgegennahm.

»Dieses Mal wird es«, erläuterte Pandolfo, »ein kunstvoll geformtes Backwerk sein, den alten maurischen Palast in Granada, die Alhambra genannt, darstellend. Das Ganze wird von solcher Pracht und zugleich von solcher Größe sein, daß zehn Jünglinge in der weißen Standestracht von Zuckerbäckern es abwechselnd tragen werden. Die Grafen von Troja und Gerace, wie auch die andern Barone, die an dieser Huldigung sich beteiligen, werden ahnungslos sein. Nur Julius Cäsar von Capua wird die geheime Bedeutung des Geschenks kennen. Mit ihm ist bereits alles verabredet.«

Johanna horchte gespannt aus. Pandolfo fuhr in etwas erregterem Ton fort.

»Nun höre, Johanna!« raunte er. »Einer der als Zuckerbäcker weiß verkleideten Diener wird dein Pandolfino sein, und während sie lärmend das Vivat ausbringen, wird er sich unvermerkt auf die Seite machen und hinter den zurückgeschobenen Türvorhängen unsichtbar werden. So wird er die Ankunft des Königs erwarten, der nach Abzug der feierlichen Huldigungsgesellschaft nicht verfehlen wird, dich zu deinem Weihnachtsgeschenk zu beglückwünschen. Du kennst meinen Dolch. Der König wird die Heilige Nacht nicht überleben. In dem Augenblick, wo ich sein blutiges Haupt aus dem Fenster werfe, wird Julius Cäsar mit seinen Kriegsleuten das Tor des Kastells erbrechen, dann wird das ganze Franzosengesindel niedergemetzelt, und die hier als Untertanin und Gefangene des französischen Usurpators schmachtete, wird aufs neue als die souveräne Königin von Neapel proklamiert werden unter dem Jubel alles Volkes, das dich mehr liebt, als du ahnst, süße Königin.«

Pandolfo hielt inne. Auch Johanna sah mit starren Augen eine Weile schweigend vor sich hin. Dann sagte sie, nicht ohne einen merklichen Ton des Vorwurfs: »Warum plauderst du mir das aus, Pandolfino? Du hättest mich in Unwissenheit lassen sollen.«

»Ich hätte dir die Mitwissenschaft gern erspart«, antwortete der Großkämmerer. »Aber das war nicht rätlich; du möchtest leicht in der Überrumpelung unser Werk vereitelt haben.«

Johanna senkte schweigend den Blick zu Boden. Von ihren Wangen war der mattrötliche Schimmer eines flaumigen Pfirsichs verschwunden, eine fast tödliche Blässe lag über ihrem Gesicht. Sie schien nach einer Antwort zu suchen; aber sie fand keine, und stumm reichte sie ihrem Großkämmerer ihre weiße, schmale Hand zum Kuß. Vergeblich suchte der Graf ihrem Blick noch einmal zu begegnen. Aber wenn ihm das auch nicht gelang, so verließ er doch das Gemach mit großer Befriedigung.

Pandolfo machte danach auch dem König seine Aufwartung. Jakob von Bourbon saß mit seinem Vertrauten, dem obersten Seneschall Tristan von Clermont, beim Schachspiel. Er empfing den Großkämmerer freundlicher als je zuvor. Er sprach Worte, die den Herrn Pandolfo von neuem in höchstes Erstaunen versetzten. »Mein lieber Alopo,« sagte der König fast kameradschaftlich, »der Herr Seneschall hier, der, wie du wohl weißt, dein Freund ist, hat mir immer Vorwürfe gemacht, daß ich deine Verdienste nicht genug zu schätzen wüßte. Er hat mich hundertmal deiner Treue und Ergebenheit versichert, und es ist ihm gelungen, mich endlich zu überzeugen. Du kommst von der Königin. Ich weiß, du kannst das Gesicht des alten La Berlinguère nicht leiden, ich werde darum Fürsorge treffen, daß du ihm nicht mehr bei Ihrer huldvollen Majestät begegnen sollst.«

Damit wendete sich König Jakob wieder zu dem Spiel, und der erstaunte Großkämmerer war entlassen, ohne zu ahnen, wie fürchterlich wahr der König, wenigstens im letzten Teil seiner Rede, gesprochen hatte.

Als er unten in den Schloßhof hinaustrat, hielt sein Page, der hier die Pferde auf und ab führte, gerade bei den Zelten des Meisters Andreas an der Längswand der Sankt-Barbara-Kirche. Der Knabe, mit den Gesellen des Florentiners scherzhafte Reden tauschend, bemerkte, wie es schien, seinen Herrn nicht gleich, der nun selber auf die Gruppe zuschritt. Unter den gelben Zelten war die Arbeit bereits ein gutes Stück gediehen. Kniende und stehende Rittergestalten und ein reicher Zierat von Tier- und Pflanzenformen hatten sich aus den rohen Blöcken herausgeschält, auf einem gewaltigen Sarkophag lag, ausgestreckt in voller Rüstung, die Arme mit den Stahlnetzhandschuhen über der Brust gekreuzt, der selige König Ladislas, kurz, eine ganze Anzahl von Einzelbestandteilen des umfangreichen und vielfach zusammengesetzten Bildwerks, wie es noch heute in der Kirche von St. Johann zu den Kohlbrennern zu sehen ist, fanden sich bereits im groben herausgearbeitet.

Meister Andreas, der mit vorgebundenem Schurzfell selber an dem königlichen Sarkophag meißelte, legte Hammer und Eisen beiseite, und sein gelbes Lederkäppchen hinter dem dreigeteilten weißen Haargelock lüftend, grüßte er mit beflissener Unterwürfigkeit den Großkämmerer.

»Geht's gut, Meister?« fragte dieser, der heute bedeutend freierer Laune zu sein schien als damals auf seinem Gang nach der Beverella zum Besuch des gefangenen Sforza.

»Der König«, antwortete der Florentiner, »hat meine Arbeiten noch keines Blickes gewürdigt; diese Franzosen sind in Sachen der Kunst reine Bestien.«

»So vergeltet eben gleiches mit gleichem, stolzer Republikaner«, scherzte Pandolfo.

»Kann ich aber auch dem König den Brotkorb höher hängen«, entgegnete der Meister in gleichem Ton, wenn auch eine Note schärfer, denn er schien wieder einmal sehr unzufrieden.

Diese Florentiner Steinmetzen, dachte Herr Pandolfo, spielen die Hochmütigen, aber ihre Geldgier ist noch größer als ihr Stolz.

»Übrigens«, nahm der Bildhauer noch einmal das Wort, »auch Ihr, hoher Herr, scheint mir einigen Grund zu haben ...«

Graf Alopo dachte: Nun stellt sich der staubige Lump auch noch auf eine Stufe mit mir.

»Du hast eine allzu lose Zunge, Mann aus Florenz«, unterbrach er unwirsch den Meister – (ach, daß ihm doch selber die Zunge heute nicht so locker gesessen hätte!) – »Und wie du dich irrst! Der König ist mir ein sehr huldvoller Herr.«

Bei diesen Worten stand er bereits mit einem Fuß im Steigbügel. Zugleich aber fühlte er sich an der Achsel gepackt und zurückgeworfen. Vier Schwerbewaffnete bemächtigten sich seiner, fesselten ihn und stülpten einen weiten, schwarzen Sack über seine Gestalt. Dann fühlte er sich mit Gewalt auf ein Pferd gehoben zwischen zwei andern Pferden, und so ging es galoppierend davon, wer weiß wohin.

Seine Vergewaltiger freilich wußten es. Nicht fern von dem gelben Strand von Santa Lucia, der den perlmutterschimmernden Spiegel des unabsehbaren Golfs wie ein goldener Rahmen umschmiegt, ragte seit ewigen Zeiten aus den blauen Wogen ein schwarzer Fels, den die Griechen die Insel Megaris nannten und auf der später ein europäischer Kaiser und König von Sizilien, genannt Friedrich der Zweite von Hohenstaufen, ein festes Kastell errichtet hat, aus schwarzem Gestein, wie der Fels selber, furchtbar finster dastehend in der lichten Bläue von Himmel und Meer, und die Leute hießen es Il Castello dell' Ovo, von seinem eiförmigen Umriß. Hinter dessen Mauern verschwand Herr Pandolfo, Graf von Alopo, des Königreichs Neapel Großkämmerer. Auch der Graf Julius Cäsar von Capua, der um der bewußten Geschäfte willen nach Neapel gekommen, hielt hier kaum eine halbe Stunde später ebenfalls seinen unfreiwilligen Einzug.

Und wie das so gekommen war?

Die Entfernung des Berlinghiero aus dem Gemach der Königin hatte für den Grafen Alopo eine Probe bedeutet oder eine Falle, und er ist hineingefallen. Der König selber, die Rolle eines gewissen Herrn aus Dänemark namens Polonius spielend, zusammen mit seinem Seneschall, dem Herrn Tristan von Clermont (die Vorbereitungen und Bedingungen dazu waren mit großer Sorgfalt und Heimlichkeit ins Werk gesetzt worden), hatte den Pandolfino hinter der Tapete belauscht in seinem heimlichen Gespräch mit der Königin.

Der Prozeß der beiden Grafen nahm nicht viel Zeit in Anspruch, und auch das Urteil wurde ohne Aufschub vollzogen. Sie wurden auf dem neuen Markt vor dem Tor von Capua enthauptet, im Angesicht des weiten und massigen Kastells Cupuana, wo einst der junge Pandolfino, schon hinlänglich berauscht aus dem Becher der Liebe, von dem betörenden Trank der Macht zum erstenmal genippt hatte. Der unermüdliche Kabalenspinner Julius Cäsar von Capua und ehemalige Hochverräter an seiner Königin, wurde aus Rücksicht auf sein verwandtes Blut in der Kirche der Annunziata ritterlich bestattet, der Leichnam des Pandolfo aber, durch den Spruch der Richter von allen seinen Würden entkleidet, wurde auf dem Schindanger verscharrt und sein Kopf vor der genannten Kirche auf einer Stange allem Volk zur Schau aufgesteckt. Doch schon in der folgenden Nacht riß ein Sturm ihn zu Boden, und die Hunde machten sich darüber her und fraßen ihm das Fleisch aus dem Gesicht und fraßen die geschwellten Lippen, die so oft in liebestollen und lustvollen Nächten von der schönsten Königin der Welt geküßt worden waren.

*

Das ist die wahrhafte Geschichte des Pandolfino und der schönen Königin Johanna von Neapel, nicht was durch die Jahrhunderte über sie phantasiert wurde, sondern was die Geschichtschreibung von ihr erzählt, wenn auch schon nicht, wie sie es erzählt. Denn, die einst zu den Tagen des Herodotos eine junge Göttin war, gleichgeschwisterig mit der epischen Muse, ist unterdessen ein altes zahnloses Weib geworden, das trotz seiner Zahnlosigkeit ewig alles benagen und benörgeln muß, und es ist zum Davonlaufen, wenn sie uns selbstgefällig ihr Gekäue vorsetzt.

Wie aber Johanna von Neapel den Tod ihres Lieblings gerächt hat, wie sie nun in der Kraft ihrer rächenden Aufgabe stark wurde und, ihres vergewaltigten Königtums sich mit kräftiger Hand bemächtigend, den anmaßlichen Bourbonen, nachdem er sich allzulange mausig gemacht hatte, in heimlichem Einverständnis des Papstes aus dem Lande jagte mit Hilfe des Mutio Sforza und anderer kühner Ritter – sie wurde noch immer wie nur je geliebt und angebetet –, daß er eines Tages als armer Flüchtling zu Venedig landete, wo ihm kein Doge und kein goldener Bucentoro mehr entgegenkam, also daß er, geknickt in seinem mittelmäßigen Geist, im Kloster der Franziskaner zu Besançon in der Freigrafschaft Burgund unerkannt sich vor der Welt verbarg in seiner Scham: das steht in einem andern Kapitel des unzusammenhängenden und oft so sinnlosen Buches, das sich die Weltgeschichte nennt.


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