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Der König und sein Sekretär

Politik ohne Religion, das mag es geben; aber auch Religion ohne Politik und politische Wirkungen? Ei, schlagt doch einmal die Geschichtsbücher irgendeiner Religion auf irgendeiner Seite nach und seht, was da geschrieben steht, vielleicht findet ihr auf einer dieser Seiten zufällig auch die folgende Geschichte.

Im Quirinalpalast am Monte Cavallo zu Rom, wo heute der arme König von Italien wohnt, residierte damals Papst Clemens VIII., der den Vatikan nicht liebte. Er pflegte, halb im Scherz, halb im Ernst, zu sagen, es sei ihm unheimlich, mit soviel Heiden und Heidengöttern unter einem Dach zu wohnen, womit er die antiken Statuen meinte. Denn der Geist der Renaissance war längst wieder heruntergestiegen von Sankt Petri Stuhl, und der Geist Luthers hatte, um in lutherischer Sprache zu reden, sogar den Teufel selber, nämlich den Papst, ein wenig angesteckt. Besonders der hier in Rede stehende befleißigte sich großer Frömmigkeit, katholischer Frömmigkeit natürlich, soweit eben Frömmigkeit mit der Sorge um die Weltregierung zusammengehen mag.

Dieser Papst Clemens saß eines Morgens, den gedachten weltregierlichen Geschäften obliegend, in seinem weiträumigen, mehr als königlich ausgestatteten Arbeitszimmer, dessen Fenster auf die kunstreich abgezirkelten Gärten des Palastes hinausgingen, die dem eifrig frommen Hohenpriester einen lieberen Anblick darboten, als die heidnisch nackten Rossebändiger vor der Straßenfront der barockgegliederten weitschichtigen Baumasse.

Das päpstliche Arbeitszimmer lag außerdem nach der Morgensonne hinaus, die der arbeitsfreudige Träger der dreifachen Krone besonders liebte, und gerade jetzt fielen ihre Strahlen schräg von oben in das Gemach, daß die etwas verblichenen Wandteppiche aus Flandern wie neu belebt farbig aufblühten. Sie erzählten die Geschichte des Königs Saul mit dem jungen David und dem Hohenpriester Samuel, der das Schicksal des unglücklichen Königs wie Wachs in seiner Hand formte, was freilich der Künstler nicht in seiner Darstellung anbringen, aber doch vom Papst herausgelesen werden konnte. Clemens hat später aus Frömmigkeit allen Prunk aus diesem Gemach entfernt und ihn durch viele Bücher und sieben Totenschädel ersetzt, doch diese kostbaren flandrischen Teppiche ließ er an den Wänden, ihre Bilder galten ihm als bedeutungsvolle Symbole seiner eigenen hohenpriesterlichen Macht.

Nur eine Person befand sich in Gesellschaft Seiner Heiligkeit, eine unansehnliche, fast verkümmerte Jünglingsgestalt – trotz der scharlachroten weitfaltigen Kardinalsgewänder – mit noch bartlosem, pockennarbigem Rundgesicht, als Staatskanzler und zugleich Neffe des Papstes der mächtigste Mann am römischen Hof: der Kardinal Pietro Aldobrandini.

In ehrfurchtsvoller, tiefste Ergebenheit ausdrückender Haltung stand der Rotmantel vor dem greisen Papst, der unter vielfachem freudigen Erstaunen einen langen Brief durchlesen hatte und sich jetzt in seinem goldenen, mit rotem Damast ausgeschlagenen Sessel zurücklehnte.

Und so in zurückgelehnter und etwas gestreckter Haltung bot er freilich ein anderes Bild als der schwarz gesträhnte kleine Aldobrandini. Seine weißen Gewänder standen in vornehmer Farbwirkung zu dem Rot und Gold des Sessels, und seinem großflächigen Greisengesicht, von feinstilisiertem weißen Bart umrahmt, fehlte nicht der Ausdruck hoheitsvoller Würde.

»Ein erstaunlicher Brief«, sagte er jetzt vor sich hin und wie zu sich selbst sprechend.

Der Kardinal blieb stumm erwartungsvoll.

»Wen nanntet Ihr als seinen Überbringer?« fragte der Papst.

Und der Kardinal:

»Er will einer von den schottischen Jesuiten sein, die in ihrem Vaterland im geheimen wirken, da ihnen jedes offene Auftreten bei Todesstrafe verboten ist. Mit Namen nennt er sich ›John Ogilwy‹, wenn ich anders die barbarischen Laute richtig verstanden habe; der Beichtvater der schottischen Königin sei ihm ein vertrauter Freund, er harrt im Vorsaal der Befehle Eurer Heiligkeit.« Mit einer Bewegung seines Zeigefingers befahl der Papst die Vorlassung des Jesuiten, und eilfertig öffnete der geschmeidige Aldobrandini die Tür nach dem Vorsaal.

Ein junger Mensch in schlichtestem priesterlichen Gewand trat ein. Nach drei Schritten ließ er sich auf ein Knie nieder, und der Papst erteilte ihm den Segen. Nach abermals drei Schritten geschah dies zum zweitenmal, darauf noch ein drittes Mal. Vor dem Papst angelangt, sank er in beide Knie. Der jünglinghafte Kardinal, jetzt sich wie ein Kammerdiener gebärdend, hob drei Finger breit das Gewand des Papstes, der Schwarzberockte küßte inbrünstig den roten Pantoffel, dann verharrte er mit aufgehobenen gefalteten Händen wie zur Anbetung. Der Papst betrachtete ihn eine Weile mit prüfendem Blick.

»Kennst du persönlich die Königin von Schottland«, fragte er plötzlich und unvermittelt. »Wie geht es unserer vielgeliebten Tochter?« In sicherem Latein antwortete der Jesuit: »Ich sehe Ihre Königliche Hoheit allwöchentlich – sie konnte mir jedoch keinen Auftrag an Eure Heiligkeit mitgeben, sie durfte von meiner Reise hierher nichts erfahren.«

»Aus wessen Hand empfingst du den königlichen Brief?« forschte der Papst.

»Aus eigener Hand Seiner Königlichen Hoheit.«

Hier wechselten der Papst und der Kardinal Staatssekretär einen bedeutungsvollen Blick.

»Bist du auch bereit,« wandte sich der Papst wieder an den Jesuiten, »deine Aussage mit einem Eid zu bekräftigen?«

»Mit dem feierlichsten, den Eure Heiligkeit von mir verlangt.«

»Gut,« antwortete der Papst, »darüber wird vielleicht noch zu reden sein, für jetzt bist du entlassen, mein Sohn.«

Und mit rückwärtigem Gehen und nicht ohne die drei Kniebeugungen, wie bei seinem Kommen, gewann der Schwarzberockte die Tür.

Der Papst hatte den Brief wieder zur Hand genommen. »Wie er schmeicheln kann, dieser ketzerische König von Schottland. In diesem Punkt ist er ein echter Sohn der Maria Stuart. ›Heiligster Vater‹, redet er uns an, und mit ›Eurer Heiligkeit allerergebenster Sohn‹ schließt er. Und welche ungeheure Sache er uns so zwischen den Zeilen in Aussicht stellt, nichts Geringeres als die Katholisierung von ganz England. Bei Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist ja alles möglich, aber ... Wir wären ja der glorreichste aller Päpste, wenn diese Aussicht unter unserem Pontifikat in Erfüllung ginge. Und übrigens, war nicht Heinrich von Frankreich ein noch viel ärgerer Ketzer, und doch hat uns der allmächtige Gott – er sei gepriesen in Ewigkeit – die Gnade erwiesen, den reuig Umkehrenden von neuem in den alleinseligmachenden Schoß unserer heiligen Kirche aufzunehmen.«

»Leider,« warf der junge Aldobrandini hier ein, und ein Schimmer von Geist huschte über sein sonst so unbedeutend aussehendes Rundgesicht, »leider erzählt man sich im Volk ein wenig erbauliches Wort von diesem vierten Heinrich.« »Daß Paris wohl eine Messe wert sei«, brummte unwillig der Papst; »ach ja, wir müssen bei einem mächtigen König über vieles wegsehen, wenn seine Macht unseren heiligen Zwecken und Absichten dient.«

»Am Ende wohl,« meinte der Kardinalneffe, »aber bis dieses erreicht ist, empfiehlt sich äußerste Vorsicht. Wer verbürgt uns, daß der Schotte nicht auch so ein Sprüchlein im geheimen hegt, wie etwa, daß das mächtige England gut hundert Lügen wert sein möchte. Wenigstens zum Heucheln, bald herüber, bald hinüber, wird ihm in der ganzen Welt kein kleines Talent nachgesagt.«

Über das großflächige blasse Gesicht des römischen Pontifex legte sich ein düsterer Schatten.

»Mein geliebter Sohn,« sprach er ernst, »ich tadle dein Mißtrauen nicht. Aber du solltest darin auch nicht zu weit gehen. Schau her, ist das nicht eine rührende Stelle. Hier, der König schreibt: Meine Gemahlin, die Königin, empfiehlt sich noch ganz im besonderen Euerer Heiligkeit Gnade. Sie setzt alles daran, ihre Kinder, soweit es bei den schwierigen Verhältnissen hier möglich ist, in der heiligen katholischen Religion zu erziehen und bittet Eure Heiligkeit in diesem Sinn um Ihr Gebet und hohenpriesterlichen Beistand.«

»Ja, das klingt sehr rührend«, meinte mit leisem Lächeln der einundzwanzigjährige päpstliche Außenminister. »Sehr rührend, aber nach allem, was wir von dem Schottenkönig wissen, begünstigt er die Ketzer weit mehr als die Katholiken, Eure Heiligkeit hat sich darüber oft genug schmerzlich beklagt. Und dann treibt sich hier immer noch sein heimlicher Gesandter oder Agent herum, dieser Herr Drümond, der bittet nicht um Euer Gebet. Der verlangt von Eurer Heiligkeit ganz andere Dinge: monatliche Subsidien in barem Geld und die Geltendmachung Eures Einflusses bei den katholischen Mächten.«

»So ist es«, rief der Papst, und triumphierend sich im Sessel emporrichtend, fuhr er fort: »Ja, mein Sohn, so ist es, aber ich muß dir gestehen, daß mich solche Forderungen mit frommer Genugtuung erfüllen: denn siehst du, mein geliebter Sohn, so sind diese verruchten Ketzer. Erheben ein groß Geschrei vor der ganzen Welt, daß es vorbei sei mit unserer Macht, und kommen doch und betteln bei uns.«

»Der Drümond«, versetzte Aldobrandini, »verlangt im Namen seines Königs, Eure Heiligkeit weiß es, noch etwas anderes. Eure Heiligkeit soll alle exkommunizieren, die seiner Thronfolge in England entgegen sind.«

»Warum nicht«, sprach feierlich der Mann der dreifachen Krone, und ein Ausdruck von Herrscherstolz tat sich kund nicht nur in seinem vornehmen Greisengesicht, sondern in seiner ganzen ehrwürdigen Person; »warum denn nicht, wenn diese Maßnahmen uns ein katholisches England mit einem katholischen König wiederzubringen imstande sein sollten. Aber ein zweischneidiges Schwert ist eine gefährliche Waffe. Und wenn diese Zumutung nicht etwa unter der Hirnschale des Herrn Drümond gewachsen ist, wenn sie wirklich vom König ausgeht, so ist sie ein schlechtes Zeugnis für die politische Befähigung des königlichen Thronprätendanten von England. In diesem Punkt hat es ja auch schon bei seiner Mutter, der verewigten Maria Stuart, erheblich gefehlt.«

Über das sonst etwas blöd aussehende Blatterngesicht des Kardinals glitt jetzt ein wirklich feines Lächeln.

»Der Brief da auf dem Tisch«, brachte er mit fast leiser Stimme hervor, »ist auch kein besseres Zeugnis.«

Der Papst antwortete nur mit einem verwundert fragenden Augenaufschlag, und dem jünglinghaften Neffen sah man deutlich an, daß er sich in diesem Augenblick von einem erhöhten Selbstbewußtsein beglückt fühlte.

»Wieso?« fragte jetzt der Papst.

»Eure Heiligkeit will mich auf die Probe stellen«, lautete des Neffen Antwort. »Denn natürlich ist es Eurer Heiligkeit so wenig entgangen wie mir, daß der König mit diesem Brief sich ganz in Eure Hand gibt. Die Mitteilung dieses Schreibens an die Königin Elisabeth von England und die anglikanischen Lords macht Jakob unmöglich als Nachfolger auf dem englischen Thron.«

»Mein vielgeliebter Sohn«, gab der Papst zurück, »ich bin wenigstens stolz darauf, daß ich immer an dich geglaubt habe trotz deines einfältigen Knabengesichts.«

Nach diesen Worten ergriff der Papst Clemens eine Lupe und prüfte durch das Glas noch einmal die Unterschrift des schottischen Königs.

»Es ist gut,« sagte er, »daß wir sie kennen, sie ist echt. Doch was wird jetzt unser nächstes Obliegen sein? Wir wollen ja den armen König nicht seinen Feinden opfern, sondern ihn für uns gewinnen. Ich denke, wir werden ihm entgegenkommend antworten und eine Gesandtschaft an ihn abordnen. Eure Meinung, Herr Kardinal?«

»Die Eure, heiliger Vater.« Und Aldobrandini verbeugte sich tief.

»Und wen werden wir schicken? Eine unbedeutende Persönlichkeit darf es nicht sein. Was meinst du von Bellarmin?«

»Wenn es ein Jesuit sein soll,« meinte Pietro Aldobrandini, »ist er sicher die geeignetste Persönlichkeit. Er gilt in ganz Europa für den gelehrtesten Theologen unserer Zeit, und von seiner diplomatischen Begabung besitzen wir hinlängliche Beweise. Aber wer heute nach Schottland geht als Diener des Heiligen Römischen Stuhles, wagt seinen Kopf, und außerordentlich beschwerlich ist die Reise auf jeden Fall. Wird dieser Mensch der Bücher und der Studierstube nicht davor zurückschrecken?«

»Geliebter Pietro«, sprach lächelnd der Heilige Vater, »in Ordensdingen scheinst du ja auffallend unwissend zu sein. Weißt du denn nicht, daß die Jesuiten, außer den drei übrigen, noch ein besonderes Gelübde ablegen, das des unbedingten Gehorsams gegen den Papst. Wo wir sie auch hinschicken, sie müssen gehorchen. Wozu hätten wir sie denn sonst; sie fallen uns oft genug unbequem. Den roten Hut meinetwegen mag sich der Bellarmin damit noch obendrein verdienen.«

So wurde die Reise des berühmten Bellarmin nach Schottland beschlossen und bald ausgeführt, zu deren Wirkungen auch das grauenvolle Schicksal eines Unschuldigen gehört, worüber sich eines Tages ganz Europa entsetzte. Aber was will, so werden politische Leute sagen, was will das Privatschicksal eines einzelnen bedeuten in einem Kampf, wo es sich um die Macht der Weltkirche auf der einen und um ein großes Königreich auf der andern Seite handelt?

Und so mag allerdings auch König Jakob von Schottland in seinem alten hochgiebeligen Schloß zu Edinburg gedacht haben.

Auch er saß eines Vormittags in seinem Arbeitszimmer; aber keine strahlende Morgensonne fiel hinein. Nur ein graues Nebellicht erhellte die schmalhohen spitzzulaufenden Fenster, so daß die Glasbilder darauf, aus farbigen Scherben zusammengesetzt, fast schwarz wirkten und die hohen Gewölbe mit ihren bemalten Feldern und Bogenrippen ganz im Dunkeln blieben. Der König aber an seinem Arbeitstisch saß im roten Glühlicht des lodernden Kaminfeuers, in dem die sechs Kerzenlichter über ihren goldenen Leuchtern wie in Scham erblaßten. Um so stolzer leuchteten und funkelten die Perlen und Diamanten in dem ungeheuren Ordensstern auf dem linken Ärmel des Königs unter dem weißen Spitzenkragen, der bis über die Schultern ging und die halbe Brust bedeckte. Und fast ebenso tief herunter fiel das reiche blondbraune, in der Mitte gescheitelte Haar des Königs, zwischen dem das ovale Gesicht auffallend lang und schmal erschien und trotz des gedrillten Lippen- und spitzen Kinnbärtchens einen weichlich weiblichen Eindruck machte, wie es denn unverkennbar an die unglückliche Maria Stuart, die Mutter des Königs, erinnerte. Zwei ungewöhnlich große mattleuchtende Perlen, die ihm, mit goldenen Ringen in den Ohrläppchen befestigt, zu beiden Seiten der Wangen heruntertropften, gaben diesem Eindruck einen letzten bestimmenden Akzent.

Unter der schmalhohen weißen Stirne mochten peinliche Gedanken ihr Wesen treiben. Denn die gewöhnlich sanft blickenden Augen gewannen von Zeit zu Zeit einen düsteren Ausdruck von Beängstigung, von Härte, ja Grausamkeit, wie ja ähnliches auch von der schönen Maria Stuart berichtet wird.

Und womit beschäftigten sich so lebhaft die Gedanken des Königs?

Sie beschäftigten sich mit jenem Brief an Papst Clemens VIII. Diese dumme Sache lag dem König schon lang im Magen. Er hatte sie gleich hinterher bitter bereut, die Gefahr erkennend, die sich darin verbarg.

Jetzt aber hatte sich der berühmte Jesuit Bellarmin als Gesandter des Papstes zur Audienz gemeldet, und der König ahnte im Geist schon all die gefährlichen Verwickelungen, in die ein solcher Meister der Diplomatie ihn hineinziehen konnte.

Lang saß er so in brütender Überlegung. Dann trat auf einmal ein ganz böser Blick in seine schönen Augen, sie waren nun gar nicht mehr schön, zugleich griff er nach der Klingel vor sich auf dem Tisch. Ein Ordonnanzoffizier erschien unter der Tür.

»Mein Geheimschreiber Balmore«, befahl der König. Und herein trat alsbald ein junger Mann mit blondem Lockenkopf, ganz in Schwarz mit einziger Ausnahme des schmalen weißen Kragens um den Hals. Er machte schon bei der Tür eine tiefe Verbeugung, eine zweite in der Mitte des Gemachs, dann in der Nähe des Tisches eine dritte und stand darauf in Erwartung der kommenden Dinge. Das dauerte eine Weile, der König schien mühsam nach Worten zu suchen. Von der feinen Wurzel seiner dünnrückigen Nase zog sich eine Furche die sonst platte Stirne hinauf.

»Mein lieber Freund,« begann er endlich, »ich muß mit dir reden in einer sehr peinlichen Sache. Du wirst dich erinnern,« fuhr er sanft und liebreich fort, »daß du eines Tages einen Brief kalligraphiert hast, gerichtet an Papst Clemens den Achten. Du erinnerst dich doch? Gut, unter diesem Brief stand später meine Unterschrift. Ich selber habe sie nicht darunter gesetzt. Demnach hast du es getan. Nun wirst du totenblaß, mein Freund. Dazu ist kein Grund. Du brauchst keine Angst zu haben. Aber wie es dir dein König sagt, der dir sehr gnädig ist, so verhält es sich, so muß es sich verhalten. Und was wichtiger ist, so muß es der päpstliche Gesandte aus deinem Munde erfahren. Ich selber darf dabei nicht gegenwärtig sein. In meiner Gegenwart könnte dein Geständnis verdächtig erscheinen. Überlege dir also genau die Worte, die du dem Gesandten sagen willst.«

Der königliche Geheimschreiber schickte sich zu einer Erwiderung an, aber der König hielt sich die Fingerspitzen vor die Lippen.

»Kein Wort«, sprach er in einem etwas weniger freundschaftlichen Ton als seither. »Kein Wort. Du siehst es ja, ich bin dir sehr gnädig, ich grolle dir nicht. Nur rechne ich auf deine Treue und Ergebenheit. Auch das noch bedenke: Lange kann es nicht mehr dauern, und ich werde in der Lage sein, alle die fetten Bistümer und Erzbistümer von England an meine Günstlinge zu vergeben, ich werde dabei den nicht vergessen, der, du weißt schon. Und nun melde dem Gesandten, daß ich ihn erwarte, und geleite ihn herein.

Mit wiederum dreimaligen Verbeugungen verschwand der Sekretär.

»Wenn dieser Balmore tapfer ist, bin ich gerettet«, dachte der König.

Doch schon erschien der päpstliche Gesandte unter der Tür, als Weltmann gekleidet in der damaligen spanischen Tracht, auch das Gesicht etwas gefärbt, so daß sein bester Freund ihn kaum erkannt haben würde.

»Tretet näher, Hochwürdiger Herr«, rief ihm der König zu. Und, »ah, setzte er hinzu, Ihr erscheint als Kavalier; nun ja, meine braven Schotten können gelegentlich recht unmanierlich werden, und der Anblick eines römischen Priesterkleides wirkt auf sie wie ein rotes Tuch auf den Stier, seitdem ihnen ihr Abgott, der unbändige Knox, seine Flöhe ins Ohr gesetzt hat. Trotzdem gibt es aber auch noch viele gute Katholiken in Schottland, und ich zweifle nicht, daß man eines Tages auch seinen König dazu rechnen wird.«

Der Gesandte verneigte sich dankend.

»Aber macht es Euch doch bequem«, fuhr der König fort und wies auf einen Stuhl an der Seite des monumentalen Kamins. »Wir sind ja kein römischer Papst und auch noch weit davon entfernt,« dazu lächelte er vieldeutig, »ein englischer zu werden. Nehmt Platz«, wiederholte er, »wir nehmen es hier mit Zeremonien nicht so peinlich als, aber Ihr wißt schon.«

»Eure Gnaden mögen verzeihen,« antwortete der Gesandte, »aber ich bin kein päpstlicher Kardinal-Legat, nur ein einfacher und geringer Abgesandter, dem es übel anstünde, in Gegenwart Eurer königlichen Person zu sitzen.«

»Nun ja,« meinte der König, und wieder mit sehr eigentümlichem Lächeln, »Ihr gehört zu den Söhnen des großen Ignatius, und deren Demut und Bescheidenheit ist weltbekannt. Ihr könnt es aber deswegen doch nicht ändern, Herr Pater, daß Ihr ein berühmter Mann seid. Ich habe selber Eure gelehrten Bücher gelesen, ich glaube sogar, nicht ohne Nutzen.«

Darauf antwortete Pater Bellarmin mit einer Frage: »Seid Ihr der Treue Eures Sekretärs sicher?«

»Wie meiner eigenen,« versetzte der König – ein seltsames Wort war das – »und also sagt, Herr Pater, was hat der Heilige Vater zu Rom mir mitzuteilen?«

Pater Bellarmin entnahm einer Tasche von feinstem Maroquinleder in Weiß und Gold einen Brief mit einem großen roten Siegel.

»Wenn Ihr erlaubt«, sagte er, »gebe ich vor allem das Breve seiner Heiligkeit zu Händen Eurer Königlichen Gnaden. Wollet also geruhen, es von mir entgegen zunehmen.«

»Das tue ich«, sprach der König, »mit Dank gegen Seine Heiligkeit, die wie ich überzeugt bin, in allem mein Bestes will.« Und er überreichte das Schriftstück seinem Sekretär: »Hier, mein treuer Balmore, öffnet und lest, wir werden in Andacht zuhören, in Andacht und Ehrfurcht, als ob der Heilige Vater persönlich zu uns spräche.«

»Teurer geliebter Sohn«, begann der Sekretär und las dann weiter, das kuriale römische Latein mit seiner lächerlichen schottischen Aussprache derart entstellend, daß sich dem Ballarmin, dem Sohn der romanischen Zunge, die Eingeweide im Leibe herumdrehten. Der König aber hörte zu mit großer Aufmerksamkeit.

Etwa zwei Drittel des päpstlichen Breve mochten gelesen sein, da, plötzlich schoß der König von seinem Sitz empor, und ein zorniges »Halt!« brachte den Sekretär zum Schweigen. Mit seinem bösesten Blick aus seinen sonst so sanften Augen wandte er sich zu dem Gesandten.

»Wer sind Wir?« herrschte er diesen an, »sind Wir gesalbter und gekrönter König von Schottland und künftiger König von England oder sind Wir der Schulbube dieses hochmütigen römischen Priesters? Von einem Brief spricht er, den er von Uns empfangen haben will. Wir wissen nichts von diesem Brief, und natürlich ist das eine der beliebten römischen Fälschungen. Und wie der Oberpfaff sich spreizt in seiner eingebildeten Allmacht. Ein dummer Pfau kann es nicht besser, aber schöner kann er's. Und gar mit Drohungen kommt er mir. Die anglikanische Partei Englands, den ganzen englischen Adel will er gegen mich aufhetzen. Oh, er soll es versuchen! Kurz, unsere königliche Würde erlaubt uns nicht, seine Unverschämtheiten länger mit anzuhören. Balmore, gib den Wisch seinem Überbringer zurück. Wir betrachten ihn als nicht empfangen. Lebt wohl, Herr Jesuit!«

Unter diesen Worten wandte sich der König zu einer seitlichen Geheimtür, der Sekretär wollte ihm folgen. Mit einem heftigen »Bleib« wurde er zurückgehalten, der König selber verschwand hinter der Tür, die aber halb geöffnet blieb.

»Herr Geheimschreiber,« wandte sich Bellarmin an den königlichen Sekretär, »sofern es nicht gegen Eure Pflicht verstößt, mit mir so schnöd Abgewiesenem noch Worte zu wechseln ...«

Durch eine ehrfurchtsvolle Verbeugung bezeigte jener seine Dienstfertigkeit.

»Ihr seht mich betreten«, fuhr der andere fort, »und tief beschämt über die mir zuteil gewordene unerhörte Mißhandlung. So wie mir heute von seiten Ihrer Königlichen Hoheit, ist noch niemals, solang es eine Diplomatie gibt, dem Gesandten eines Souveräns begegnet worden. Doch an dieser Stelle ist nicht der Ort, mich zu beklagen. Ich habe aber hier ein zweites Schriftstück, die notariell beglaubigte Abschrift jenes Briefes, wovon in dem Schreiben Seiner Heiligkeit die Rede ist, und wenn es Eurer Pflicht gegen Seine königliche Hoheit nicht zuwiderläuft, bitte ich Euch, die Sache anzusehen und Eurem Herrn darüber zu berichten.«

Der Gesandte sprach nicht weiter, er hatte unter den letzten Worten dem königlichen Geheimsekretär das Dokument überreicht, der den Inhalt flüchtig überflog.

»Diesen Text kenne ich wohl«, sagte er aufblickend, »ich habe ihn selber verfaßt, und das Original ist von meiner eigenen Hand geschrieben.«

Darauf Bellarmin mit besonderer Betonung.

»So wißt Ihr wohl, daß das Original die Unterschrift des Königs trägt?«

Frech und ohne Scham stieß der Geheimschreiber hervor: »Sie ist ebenfalls von mir, diese Unterschrift, sie ist meine Fälschung.«

Bellarmin erbleichte trotz seiner Schminke. Das war ja ein heilloses Geständnis. Aber noch ein anderer Schrecken fuhr ihm durch die Glieder. Er erblickte plötzlich hinter dem Blondkopf des Sekretärs den weitläufigen Spitzenkragen und darüber das Lockenhaupt des Königs Jakob.

»Schurke, Fälscher,« rief der König, »du bist des Todes.« Bei diesen Worten klatschte er mit den Händen, und zwei Häscher des Hohen Gerichtshofs zeigten sich in der Öffnung jener Geheimtür.

»Verhaftet den Hochverräter«, befahl der Sohn der Maria Stuart, dann wandte er sich zu dem Boten des römischen Papstes.

»Ehrwürdiger Vater«, begann er, »Ihr seht mich beschämt vor Euch stehen. Ich habe vorhin der römischen Kurie eine Fälschung zugeschoben, und siehe, diese schamlose verbrecherische Tat fällt nun auf einen, der mir selber am nächsten stand. Und wie tun sie mir nun von Herzen leid, die bösen Worte, die ich in meinem ungerechten Zorn gegen Euch und Euren Herrn ausgestoßen habe. Ach, wie schwer habe ich mich versündigt an Seiner Heiligkeit, die ich im Herzen tief verehre. Der Zorn ist doch der größte Feind des Menschen. Vergesset alles, ich bitte Euch inständig. Vergeltet, wie Heilige tun, vergeltet Böses mit Gutem. Auch seht Ihr mich bereit, alles, was mir der Heilige Vater zu sagen hat, in Ehrfurcht anzuhören, als ein getreuer Sohn Seiner Heiligkeit.«

Trotz dieser demütigen Aufforderung von seiten des Königs ist es nicht wahrscheinlich, daß der gewandte Jesuit bei dergestalt veränderter Sachlage Seiner Königlichen Hoheit nun alles das vortrug und alles das sagte, um dessentwillen er doch die weite und mühevolle Reise gemacht hatte. Die ganze Audienz dauerte kaum länger als eine halbe Stunde. Auch das hochnotpeinliche Verfahren gegen den königlichen Geheimsekretär Balmore wegen Fälschung und Hochverrat wurde fast hastig abgetan, trotz großer juristischer Schwierigkeiten. Balmore machte und wiederholte stets die gleiche Aussage: Weder den Brief noch die Unterschrift habe er gefälscht, eine falsche, verlogene Aussage aber sei sein Geständnis dem Bellarmin gegenüber, damit habe er gemeint, seinem geliebten König einen Dienst zu erweisen.

In der so gestalteten Aussage aber steckte, wenn auch unausgesprochen, eine schwere Anklage gegen diesen geliebten König, und daß der unglückliche Balmore damit die königlichen Richter nicht für sich gewann, liegt auf der Hand; man schritt, wie damals noch allgemein üblich, zu dem menschenfreundlichen Mittel der Folter, die man aber nicht so grob heraus, sondern einigermaßen beschwichtigend, die »Peinliche Frage« nannte.

In der dazu bestimmten Kammer wurde Balmore zuerst vollständig entkleidet und dann unter einen Rollenzug gestellt, von dem ein nach unten zweiteiliges Seil herunterhing. Diese beiden Seilenden wurden ihm nun um die Handgelenke geknotet; zugleich wurden ihm an den Fußgelenken eiserne Gewichte befestigt. Der zarte weiße Körper des jungen Gelehrten schüttelte sich vor Frost und noch mehr vor Angst und Entsetzen. Die vier Richter in ihren schwarzen Talaren und weißen Bäffchen standen ihm mit ruhigen kalten Blicken gegenüber, und der Älteste richtete die Frage an ihn, ob er endlich der Wahrheit die Ehre geben wolle. Balmore antwortete: »Ich habe in meinem Leben nur einmal gelogen, und das war, als ich dem Bellarmin eine Fälschung bestätigte, die ich nicht begangen habe.« Da winkte der Älteste, die drei Henkersknechte hinter dem Rollenzug zogen an, und schon schwebte ein nackter Mensch in fürchterlicher Qual zwischen Himmel und Erde. Ein Schrei, ein Todesschrei entrang sich seiner Brust und seine verzerrten Lippen suchten Worte hervorzubringen.

»Ihr wollt gestehen?« fragte der Älteste. Balmore nickte mit dem Kopf. Ein Zeichen des Richters und er stand, wenn auch schlotternd, wieder auf seinen Beinen, auf seinen erbärmlich zugerichteten Füßen.

Die Richter zogen sich in den Saal zurück, Balmore selber wurde, nachdem er angekleidet worden, dahin geleitet von zwei Gerichtsdienern, die ihn fast tragen mußten. Und dann – gestand er die »Wahrheit«, indem er log.

In seinem Innern regten sich freilich Gewissensbisse. Aber er beruhigte sie. So viele Edle und Vornehme, sagte er sich, sterben in der Schlacht für des Königs Ruhm und Größe. Ich zwar sterbe nicht wie sie auf dem Felde der Ehre, sondern in der Schande, und doch, auch ich sterbe für des Königs Ruhm und Größe, ich tue dasselbe wie sie; ich tue mehr als sie, weil ich noch obendrein die Schande mit in Kauf nehme.

Es ist möglich, daß ihm diese schönen Gedanken nicht einzig von seinem guten Geist zugeflüstert wurden, sondern halb und halb auch von jenem gräßlichen Gespenst, das die Zeitgenossen so beschwichtigend »die peinliche Frage« nannten. Doch er hätte gewiß eine solche Vermutung entrüstet zurückgewiesen. Er glaubte so fest an seine schönen Gedanken, wie er fest an seine Unschuld glaubte.

Balmore wurde zum Tod am Galgen verurteilt, sein noch warmer Leichnam wurde gevierteilt und auf den Schindanger geworfen.

Derart war es dem König gelungen, mit dem Blut eines treuen Dieners – denn Blut ist ein besonderer Saft – die papistische Tinktur von sich abzuwaschen. Ganz genügte ihm das nicht, er brauchte noch mehr Blut; mit der fast eilfertigen Hinrichtung einiger vornehmer schottischer Katholiken aber und noch einigen ähnlichen politischen Maßnahmen setzte er sich vollends in guten Geruch bei seiner lieben Base Elisabeth und der mächtigen anglikanischen Partei in England. Darüber starb zu London die jungfräuliche Königin, und er wurde ein noch viel größerer König als seither, der Papst zu Rom hatte das Spiel endgültig verloren.


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