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Die Gesellschaft hat die Schwäche des Menschen vergrößert, nicht allein dadurch, daß sie ihm das Verfügungsrecht über seine eigenen Kräfte entzogen hat, sondern vor Allem dadurch, daß dieselben durch ihre Schuld unzulänglich für ihn geworden sind. Aus diesem Grunde vermehren sich seine Wünsche mit seiner Schwäche, und dies ist es auch, was die Schwäche der Kindheit, mit dem Mannesalter verglichen, so grell hervortreten läßt. Wenn der Mann ein starkes und das Kind ein schwaches Wesen ist, so liegt die Ursache nicht etwa darin, daß ersterer mehr absolute Stärke als letzeres besitzt, sondern einfach darin, daß jener sich natürlich selbst genug sein kann, dieses aber nicht. Der Mann muß demnach mehr Willen, das Kind mehr Phantasie haben, unter welchem Worte ich alle Wünsche verstehe, welche nicht auf wahren Bedürfnissen beruhen, sondern sich nur mit fremder Hilfe befriedigen lassen.

Ich habe die Ursache dieses Schwächezustandes angedeutet. Hier greift nun die Natur durch die Liebe der Eltern ein; allein diese Liebe tritt sehr verschieden auf; bald zeigt sie sich in übertriebener, bald in ungenügender, bald in verkehrter Weise. Eltern, welche in bürgerlichen Verhältnissen leben, versetzen ihr Kind vor dem dazu geeigneten Alter in dieselben. Dadurch daß sie es an Bedürfnisse gewöhnen, die ihm noch fremd sind, unterstützen sie nicht seine Schwäche, sondern vermehren sie. Sie vermehren sie ferner dadurch, daß sie Leistungen von dem Kinde fordern, welche die Natur noch keineswegs verlangte, daß sie die geringe Kraft, welche es besitzt, um nach seinem Willen zu leben, dem ihrigen unterwerfen, daß sie die gegenseitige Abhängigkeit, in der sie beiderseits durch die kindliche Schwachheit, wie durch die elterliche Liebe von einander erhalten werden, in Sklaverei des einen oder des andern Theiles verwandeln.

Der vernünftige Mann versteht sich in seiner Stellung zu behaupten; das Kind jedoch, welches die seinige nicht begreift, würde sich nicht durch sich selbst in derselben erhalten können. Es findet unter uns tausend Wege, sich aus ihr zu entfernen. Es ist nun die Aufgabe derer, die seine Leitung unternommen haben, es darin zu erhalten, und diese ist fürwahr nicht leicht. Es soll weder einen thierischen, noch einen männlichen Charakter zeigen, sondern es soll ein Kind sein; es muß seine Schwäche fühlen, und darf doch nicht darunter leiden; es muß abhängig sein und doch frei von knechtischem Gehorsam, es soll bitten und nicht befehlen. Es ist Andern nur in Folge seiner Bedürfnisse unterworfen und weil sie eine bessere Einsicht von dem besitzen, was ihm dienlich oder schädlich, für seine Erhaltung zuträglich oder nachtheilig ist. Niemand, nicht einmal der Vater, hat das Recht, dem Kinde zu befehlen, was nicht zu seinem Besten dient.

Bevor die Vorurtheile und die menschlichen Einrichtungen unsere natürlichen Neigungen verderbt haben, besteht das Glück der Kinder eben so wie das der Erwachsenen in dem unbeschränkten Genusse der Freiheit; allein diese Freiheit wird bei den ersteren durch ihre Schwäche beschränkt. Wer thut, was er will, ist glücklich, sobald er sich selbst genug ist; das wird stets bei dem Menschen der Fall sein, welcher im Naturzustande lebt. Wer dagegen thut, was er will, während doch seine Bedürfnisse seine Kräfte übersteigen, der ist nicht glücklich; das ist bei dem Kinde der Fall, trotzdem es sich in dem nämlichen Zustande befindet. Sogar im Naturzustande genießen die Kinder nur einer unvollkommenen Freiheit, derjenigen ungefähr ähnlich, welche ein Erwachsener im bürgerlichen Leben genießt. In dieser Beziehung verfällt jeder von uns, da wir einander einmal nicht entbehren können, wieder in Schwäche und Elend. Wir sind geschaffen, Männer zu werden; die Gesetze und die Gesellschaft haben uns aber wieder in den Zustand der Kindheit zurückversetzt. Die Reichen, die Großen, die Könige, sie sind alle nichts weiter als Kinder, welche, da sie sehen, daß sich Jeder bemüht, auch die kleinste Unannehmlichkeit von ihnen fern zu halten, dadurch allmählich wahrhaft kindisch eitel werden, und die förmlich stolz auf Dienstleistungen sind, die man ihnen, wenn sie echte Männer wären, nimmermehr erweisen würde.

Diese Betrachtungen dürfen nicht unterschätzt werden; sie sind ganz dazu geeignet, alle Widersprüche der socialen Ordnung zu lösen. Es gibt zwei Arten von Abhängigkeit: die von den Dingen herrührende oder die natürliche, und die von den Menschen ausgehende oder die gesellschaftliche. Da die Abhängigkeit von den Dingen den sittlichen Charakter unberührt läßt, so erwächst der Freiheit daraus kein Nachtheil, noch erzeugt sie Laster; dagegen bilden diese sich sämmtlich aus der Abhängigkeit von den Menschen, weil dieselbe an keine bestimmte Regel geknüpft ist, In meinen Grundsätzen des politischen Rechts habe ich nachgewiesen, daß in der socialen Ordnung der Einzelwille irgend welcher Persönlichkeit niemals zur Geltung kommen darf.

und durch sie allein verderben sich Herren und Knechte gegenseitig. Wenn es überhaupt ein Mittel gibt, diesem Uebel in der Gesellschaft abzuhelfen, so kann es nur darin gefunden werden, daß man ohne Rücksicht auf den einzelnen Menschen allein das Gesetz walten läßt und den allgemeinen Willen mit einer wirklichen Gewalt ausrüstet, die der Aeußerung jedes Einzelwillens überlegen ist. Besäßen die Gesetze der Völker gleich den Naturgesetzen eine Unbeugsamkeit, welche keine menschliche Kraft je zu überwinden vermöchte, so würde die gesellschaftliche Abhängigkeit wieder der natürlichen ähnlich werden; man würde dann im Staate alle Vortheile des Naturzustandes mit denen des bürgerlichen Lebens vereinigen; man würde mit der Freiheit, die den Menschen von Lastern frei erhält, die Sittlichkeit verbinden, welche ihn zur Tugend erhebt.

Erhaltet das Kind lediglich in der Abhängigkeit von den Dingen, dann werdet ihr bei seiner Erziehung die Gesetze der Natur befolgen. Setzet den launenhaften Kundgebungen seines Willens nur physische Hindernisse oder solche Strafen entgegen, die als Folgen seiner Handlungen zu betrachten sind, und deren es sich bei gegebener Gelegenheit wieder erinnert. Haltet euch nicht lange mit dem Verbote etwas Böses zu thun auf; es genügt, es daran zu verhindern. Seine Erfahrung oder seine Ohnmacht muß ihm als alleiniges Gesetz dienen. Erfüllet seine Wünsche nicht deshalb, weil es nach den verbotenen Gegenständen Begehren trägt, sondern nur weil es ihrer bedarf. Weder sei es sich bei seinem eigenen Thun des Gehorsams, noch bei den Bemühungen Anderer um seinetwillen des Rechtes zu befehlen bewußt. Es empfinde seine Freiheit bei seinen wie bei euren Handlungen. Fehlt es ihm an Kraft, so ergänzet sie ihm nur so weit, als es derselben bedarf, um frei zu sein, nicht aber, um sich zu eurem Herrn zu machen. Möge es dadurch, daß es eure Dienstleistungen mit einer gewissen Demuth annimmt, zu erkennen geben, wie sehr es den Augenblick herbeisehnt, wo es derselben wird entbehren können, und wo es die Ehre haben wird, sich selbst zu bedienen.

Zur Kräftigung des Körpers und zur Beförderung seines Wachsthums besitzt die Natur Mittel, welchen man nicht hinderlich in den Weg treten darf. Man darf ein Kind, wenn es gehen will, nicht zum Stillsitzen, noch, wenn es ruhig auf seinem Platze bleiben will, zum Gehen zwingen. Ist der Wille der Kinder nicht durch unsere eigene Schuld verdorben, so äußern sie denselben nie unnützerweise. Sie müssen springen, laufen, schreien dürfen, so oft sie Lust dazu verspüren. Bei allen ihren Bewegungen folgen sie den Bedürfnissen ihrer Natur, die sich zu stärken sucht; sehr achtsam muß man aber sein, sobald sich bei ihnen Wünsche regen, die sie nicht selbst zu befriedigen vermögen, sondern bei deren Erfüllung sie auf fremde Hilfe angewiesen sind. Alsdann muß man zwischen dem wahren, dem natürlichen Bedürfnisse, und dem eingebildeten Bedürfnisse, welches sich zu regen beginnt, oder jenem, welches in der strotzenden Lebensfülle seine Wurzel hat, wovon bereits die Rede gewesen ist, sorgfältig unterscheiden.

Ich habe mich oben schon darüber geäußert, was man zu thun hat, wenn ein Kind weint, um dadurch dies oder jenes zu erlangen. Ich will hier nur noch hinzufügen, daß man ihm, sobald es sein Begehren auszusprechen vermag und trotzdem zu Thränen seine Zuflucht nimmt, sei es nun, um seinen Zweck schneller zu erreichen, oder sei es um eine Weigerung zu besiegen, unter allen Umständen seine Bitte abschlagen muß. Hat ihm eurer Ueberlegung nach das Bedürfnis seine Bitte entlockt, so müßt ihr sein Begehren sofort erfüllen; aber seinen Thränen gegenüber den Nachgiebigen spielen, heißt ihn nur zu immer erneuten Thränengüssen anspornen, heißt ihm Zweifel an eurem guten Willen und den Glauben einflößen, daß bei euch Ungestüm wirksamer als Freundlichkeit sei. Hält es euch nicht für gütig, wird es bald unartig werden; erscheint ihr ihm schwach, werdet ihr bald unter seinem Eigensinn zu leiden haben. Hierbei ist es von Wichtigkeit, daß man ihm das, was man ihm nicht versagen will, regelmäßig auf das erste Zeichen gewährt. Haltet im Verweigern Maß, lasset euch aber nie dazu bewegen eine einmal ausgesprochene Weigerung wieder zurückzunehmen.

Vor Allem hütet euch, das Kind an leere Höflichkeitsformeln zu gewöhnen, deren es sich nötigenfalls als Zauberworte bedienen könnte, um seine ganze Umgebung seinem Willen zu unterwerfen und augenblicklich seine Wünsche befriedigt zu sehen. Bei der nur auf den äußern Schliff angelegten Erziehung der Reichen begeht man stets den Fehler, ihnen ein gebieterisches Wesen einzuimpfen, welches auch unter den feinen und höflichen Formen stets hervortritt. Man schreibt ihnen die Ausdrücke vor, die sie anwenden müssen, damit ihnen Niemand zu widerstehen wage. Bei den Kindern der Reichen stehen deshalb Mienen und Ton nie mit ihren bittenden Worten in Einklang; bei ihren Bitten treten sie mit gleicher, ja noch mit größerer Anmaßung als bei ihren Befehlen auf, da sie dessen völlig sicher sind, unbedingten Gehorsam zu finden. Man fühlt sofort hindurch, daß die Ausdrücke: »Wenn es Ihnen gefällig ist« und »Ich bitte Sie«, in ihrem Munde: »Es ist mir gefällig« und »Ich befehle es Ihnen« bedeuten. Eine vortreffliche Höflichkeit, die bei ihnen nur darauf hinausläuft, den Worten einen andern Sinn unterzulegen und stets gebieterisch zu reden. Ich meinestheils, der ich bei meinem Emil einen geringeren Uebelstand darin erkennen würde, wenn er sich unhöfliche Formen als ein anmaßendes Wesen aneignete, würde es lieber sehen, daß er bittend sagte: »Thue das,« als befehlend: »Ich bitte Sie.« Nicht die angewendeten Worte, sondern der damit verbundene Sinn ist von Wichtigkeit.

Es gibt sowol in der Strenge wie in der Nachsicht eine Grenze, die man nicht überschreiten darf. Lasset ihr die Kinder leiden, so gefährdet ihr ihre Gesundheit, ja ihr Leben, und macht sie dadurch wirklich elend; haltet ihr dagegen mit zu übertriebener Vorsicht jede Art von Unbehaglichkeit von ihnen fern, so legt ihr dadurch den Grund zu großen Leiden, verhätschelt und verzärtelt sie und entfremdet sie dem menschlichen Standpunkte, auf den sie wider euren Willen doch eines Tages wieder zurückkehren werden. Um sie möglicher Weise vor einigen Leiden zu behüten, die aus der Natur hervorgehen, schafft ihr ihnen künstliche, die nicht in derselben ihre Wurzel haben. Ihr werdet mir dagegen einwenden, daß ich in den Fehler jener schlechten Väter verfalle, welchen ich den Vorwurf machte, daß sie das Glück der Kinder der Rücksicht auf eine ferne Zukunft, welche vielleicht nie eintreten wird, opferten.

Allein mit Unrecht, denn die Freiheit, die ich meinem Zöglinge einräume, entschädigt ihn reichlich für die leichten Unbequemlichkeiten, denen ich ihn bloßgestellt lasse. Ich sehe kleine Jungen im Schnee spielen, förmlich dunkelroth, vor Kälte erstarrt und kaum im Stande, die Finger zu bewegen. Sie brauchen nur hineinzugehen und sich zu wärmen, aber sie thun es nicht. Zwänge man sie dazu, würden sie die Strenge des Zwanges hundertmal härter als die der Kälte empfinden. Worüber beklagt ihr euch also? Werde ich etwa euer Kind elend machen, indem ich es nur solchen Unannehmlichkeiten aussetze, welche es gern leiden will? Dadurch, daß ich ihm die Freiheit lasse, gründe ich sein Glück nicht nur für die Gegenwart, sondern befestige es auch für die Zukunft, indem ich es gegen die Uebel waffne, welche es ertragen muß. Wenn ihm die Wahl frei stände, mein oder euer Zögling zu sein, meint ihr wol, daß es einen Augenblick schwanken würde?

Glaubt ihr, daß irgend ein Wesen außerhalb den seiner Natur entsprechenden Verhältnissen wahrhaft glücklich sein kann? Und heißt es nicht den Menschen diesen seinen Verhältnissen entfremden, wenn man alle Uebel seines Geschlechtes gleichmäßig von ihm fern halten will? Ja, ich behaupte geradezu, er muß, um die großen Güter würdigen und genießen zu können, vorher die kleinen Uebel kennen lernen; das liegt in seiner Natur begründet. Wenn es uns in physischer Beziehung zu wohl geht, werden wir in sittlicher Beziehung rückwärts schreiten. Ein Mensch, den nie ein Schmerz berührt hätte, würde weder die Regung der Menschenliebe, noch die Wonne des Mitgefühls kennen; sein Herz würde gegen alle Eindrücke unempfindlich sein; ein Feind aller Geselligkeit, wäre er ein Ungeheuer unter seines Gleichen. Wißt ihr, welches das sicherste Mittel ist, euer Kind unglücklich zu machen? Daß ihr es daran gewöhnt, Alles zu erlangen; denn seine Wünsche werden in Folge der Leichtigkeit ihrer Befriedigung unaufhörlich wachsen, und deshalb wird euch wider euren Willen euer Unvermögen früher oder später zwingen, seinen Bitten eine Weigerung entgegenzusetzen; und diese ungewohnte Weigerung wird ihm mehr Pein verursachen als die Entbehrung des ersehnten Gutes selbst. Anfangs wird es nur den Stock verlangen, den ihr gerade in der Hand habt; bald darauf wird es eure Uhr haben wollen; dann wird es den Vogel begehren, der vorüberfliegt, und nun wieder den Stern, den es leuchten sieht, kurz es wird Alles verlangen, worauf sein Blick fällt. Wie werdet ihr es nun zufrieden stellen können, wofern ihr nicht Gott seid?

Der Mensch besitzt von Natur die Neigung, Alles, was in seiner Gewalt ist, als sein Eigenthum zu betrachten. In diesem Sinne ist der Grundsatz Hobbes: »Vermehrt zugleich mit unsren Wünschen auch die Mittel zu ihrer Befriedigung, und ein Jeder wird sich zum Herrn von Allem machen«, bis zu einem gewissen Grade wahr. Dennoch hält sich das Kind, das nur zu wollen braucht, um sofort zu erhalten, für den Besitzer des Weltalls; es betrachtet alle Menschen als seine Sklaven, und wenn man sich schließlich einmal genöthigt sieht, ihm irgend etwas zu verweigern, ihm, welches Alles für möglich hält, sobald es seine Befehle ertheilt, so faßt es diese Weigerung als einen Act von offener Auflehnung gegen seinen Willen auf; alle Gründe, die man ihm in einem Alter, das noch einer vernünftigen Anschauung verschlossen ist, entgegenhält, gelten in seinen Augen nur als Vorwände. Es sieht überall nur den bösen Willen, und da das Gefühl einer vermeintlichen Ungerechtigkeit sein Gemüth verbittert, so faßt es gegen alle Welt Haß, und während es jede Gefälligkeit ohne den geringsten Dank hinnimmt, erregt jeder Widerstand seinen Unwillen.

Wie ließe sich nun denken, daß ein derartig vom Zorne beherrschtes und von unzähmbaren Leidenschaften verzehrtes Kind je glücklich sein könnte? Glücklich! Ein solches Kind! Es vereinigt in sich einen Despoten und zugleich den verächtlichsten Sklaven und die elendeste Kreatur! Ich habe so erzogene Kinder gesehen, welche in allem Ernste verlangten, man sollte das Haus umstoßen, ihnen den Wetterhahn holen, den sie auf einem Thurme wahrnahmen, ein Regiment im Marsche aufhalten, um die Trommel länger zu hören, und welche, ohne auf Jemand zu hören, ein durchdringendes Geschrei erhoben, sobald man ihnen zu gehorchen säumte; Alles beeiferte sich vergeblich um sie, und da die Leichtigkeit, mit der sie bisher alle ihre Wünsche hatten erfüllen sehen, ihre Begehrlichkeit nur immer mehr gesteigert hatte, so bestanden sie hartnäckig auf unmöglichen Dingen, und stießen überall nur auf Widerspruch, Hindernisse, Sorgen und Schmerzen. Beständig zänkisch, beständig eigensinnig, beständig ärgerlich, schrieen und klagten sie tagelang. Waren das etwa glückliche Wesen? Schwäche mit Herrschaft vereint erzeugt nur Thorheit und Elend. Von zwei verzogenen Kindern schlägt das eine den Tisch und das andere läßt das Meer geißeln; sie werden viel zu geißeln und zu schlagen haben, ehe sie zufrieden leben.

Wenn dergleichen Anschauungen von Herrschaft und Tyrannei sie schon in früher Jugend elend machen, was wird dann erst geschehen, wenn sie heranwachsen und ihre Beziehungen zu den andern Menschen sich zu erweitern und zu vervielfältigen beginnen? Welche Ueberraschung für sie, die daran gewöhnt sind, sich Alles vor ihnen beugen zu sehen, bei ihrem Eintritte in die Welt wahrzunehmen, daß sie überall auf Widerstand stoßen, und sich von der Wucht dieses Weltalls, welches sie nach Belieben in Bewegung zu setzen gedachten, niedergeschmettert zu fühlen! Ihr übermüthiges Benehmen und ihre kindische Eitelkeit ziehen ihnen nur Demütigungen, Spott und Verachtung zu; überall sehen sie sich Kränkungen ausgesetzt. Peinliche Erfahrungen bringen sie nur zu bald zu der Einsicht, daß sie weder ihre Stellung noch ihre Kräfte kennen. Da sie nicht Alles vermögen, bilden sie sich schließlich ein gar nichts zu vermögen. So viele ungewohnte Hindernisse entmuthigen sie, so viele ihnen an den Tag gelegte Verachtung raubt ihnen alles Selbstvertrauen; sie werden feige, furchtsam, kriechend und sinken um so tiefer, je mehr sie sich überhoben hatten.

Kommen wir jedoch wieder auf unsere Grundregel zurück. Die Natur hat sie so geschaffen, daß sie sich auf unsere Liebe und Pflege angewiesen sehen; oder hat sie sie etwa dazu bestimmt, daß wir ihnen gehorchen und sie fürchten sollen? Hat sie ihnen ein Achtung gebietendes Aussehen, einen strengen Blick, eine barsche und drohende Stimme gegeben, um uns Furcht einzuflößen? Ich finde es verständlich, daß das Brüllen eines Löwen den Thieren Schrecken einjagt, daß sie Zittern überfällt, wenn sie seinen entsetzlichen Kopf erblicken; allein will man je ein die Gefühle empörendes, verächtliches und lächerliches Schauspiel genießen, so betrachte man sich eine Schaar Beamten, wie sie, den Vorsteher an ihrer Spitze, in vollem Galaanzuge sich vor einem Wickelkinde niederwerfen und an dasselbe eine feierliche Ansprache in den schwülstigsten Ausdrücken richten, auf die es keine andere Antwort als Schreien und Geifern findet.

Gibt es wol, wenn wir die Kindheit an und für sich selbst betrachten, auf der Welt ein schwächeres, elenderes, von der Willkür seiner Umgebung abhängigeres Wesen als ein Kind, ein Wesen, das in so hohem Grade des Mitleids, der Pflege und des Schutzes bedarf? Scheint es nicht, als ob es nur deshalb eine so zarte und liebliche Gestalt und so rührende Züge erhalten habe, damit Jeder, der in seine Nähe kommt, ihm in seiner Schwäche beispringe und sich beeifere ihm zu helfen? Gibt es etwas Abstoßenderes und Unnatürlicheres, als den Anblick eines gebieterischen und eigensinnigen Kindes, welches seiner ganzen Umgebung Befehle ertheilt und denen gegenüber, die es nur zu verlassen brauchen, um es umkommen zu lassen, ungescheut den Ton des Herrn annimmt?

Wer wollte andererseits nicht einsehen, daß die Schwäche des ersten Alters die Kinder schon dergestalt hemmt und behindert, daß es wahrhaft barbarisch wäre, diesem Zwange noch den unserer Launen hinzuzufügen, indem wir ihnen eine so beschränkte Freiheit entziehen, die sie so wenig mißbrauchen können und deren Entziehung ihnen eben so wenig Vortheil bringt als uns? Wenn es nichts gibt, was mehr unsern Spott herausfordert, als ein hochmüthiges Kind, so gibt es auch nichts, was so sehr unser Mitleid erregt, als ein eingeschüchtertes. Warum wollen wir, da mit dem Alter der Vernunft doch schon die bürgerliche Sklaverei beginnt, derselben noch die Privatsklaverei vorausgehen lassen? Wir wollen es ruhig mit ansehen, daß von diesem Joche, das die Natur uns nicht auferlegt hat, doch ein Augenblick des Lebens befreit sei, und den Kindern den Gebrauch der natürlichen Freiheit gestatten, welche sie wenigstens eine Zeit lang von den Lastern fern hält, die man unter der Sklaverei annimmt. Mögen doch diese strengen Lehrer, mögen doch diese ihre Kinder in knechtischer Furcht erhaltenden Väter mit ihren kleinlichen und nichtigen Einwürfen hervortreten und einmal die Methode der Natur kennen lernen, bevor sie ihre eigenen herausstreichen.


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