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6.

Francesco Testi kostete mit unendlichem Wohlbehagen das Gefühl der Erquickung aus, das ihn erfüllte. Es war, als ob ein neuer Lebensstrom ihn durchrieselte; er fühlte, wie die Wärme den Körper wohlig durchdrang, wie die Kräfte und der Wille zum Leben zurückkehrten. Er glaubte, nie etwas Köstlicheres genossen zu haben als die Omelette, die Frau Carlotta ihm mit fast mütterlicher Sorgfalt einlöffelte. Viel freundlicher als sie ihn aufgerichtet, ließ die Frau des Wirtes ihn sanft auf das Lager zurückgleiten.

»Hat es Ihnen geschmeckt?« fragte sie zärtlich. Testi bejahte stumm und warf verlangende Blicke auf das Huhn, das Jenkins unberührt gelassen hatte.

Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, jetzt nicht. Jetzt müssen Sie erst schlafen. In einer Stunde bringe ich Ihnen das Huhn.« Sie breitete die Lumpen der Decke über ihn aus und löschte das Licht. Vorsichtig, auf den Zehenspitzen, verließ sie das Zimmer.

Testi fühlte, wie eine schwere Müdigkeit von ihm Besitz nahm; bleiern legte sich die Mattigkeit auf seine Glieder. Er schloß die Augen, um sich willenlos dem Schlaf zu überlassen. Das Blut schoß ihm in dumpfen Schlägen zu Kopf, sein Herz schlug ihm bis in den Hals, und sein Atem ging schwer und beklommen. Ein Druck lag auf seiner Brust, der ihn einzwängte wie eine schwere eiserne Rüstung; das Gefühl des Schwindels ging wirbelnd durch seinen Kopf. Langsam richtete sich Testi auf und starrte atemlos in das Dunkel. Die Gedanken, die ihn erfüllten, von ihm Besitz nahmen, seinen Körper und seine Sinne durchdrangen, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er fühlte sich in einem Netz gefangen, einem Netz, das sich bei jedem Atemzuge, den er tat, fester um ihn schloß.

Seufzend legte er sich nieder; aber ein immer stärker werdendes Frösteln verscheuchte den Schlaf. Er zog die Knie hoch und hüllte sich fester in die Lumpen. Auf den bunten Gardinen malte sich undeutlich der Schatten der Fenstersprossen; während er auf die dunklen Vierecke starrte, schienen sie deutlicher, schwärzer, gefährlicher zu werden. Auf einmal hatte er das Gefühl, wie in einer Zelle gefangen zu sein. Die Wände dieses Zimmers engten ihn ein; waren das die Nerven oder war es mehr: war es das Vorahnen von etwas Kommenden, das seine überreizten Sinne erfühlten?

Endlich fiel Testi in einen wirren, unruhigen Schlummer. Die Bilder seiner Flucht aus der Hölle der Schwefelbergwerke füllten seine Seele mit Grauen. Er sah sich in den Glühdämpfen der Solfatori, sah sich in den dumpfen, von der Sonne ausgedörrten Baracken. Das grauenvolle Einerlei der öden Tage und die grausame Schlaflosigkeit in der Enge der Zellen zerrte an seinen Nerven. Wie von einem grellen Blitz beleuchtet sah er die Ereignisse seiner Flucht. Die wahnwitzige Jagd der Verfolgung, bei der man ihn gehetzt hatte wie ein wildes Tier. Er hörte die Schüsse und das laute Rufen der Verfolger, er sah, wie sie näher kamen, wie sie die Hände nach ihm ausstreckten, ihn packten ...

Mit einem lauten Schrei fuhr Testi jäh empor; kalter Angstschweiß stand ihm auf der Stirn. Neben ihm saß Frau Bambaro und lächelte ihn aus ihren verquollenen Augen an; ihre fette Hand strich über sein Haar. »Sie haben Fieber, Signore«, sagte sie besorgt, »ich werde Ihnen einen starken Tee kochen.«

Testi warf die Decken von sich und sprang von dem Lager auf. »Ich möchte mich waschen, und ich möchte einen anderen Rock.«

Sie nickte eifrig und öffnete die Tür. »Giacomo!« rief sie hinaus.

Gleich darauf erschien Herr Bambaro. »Was soll's?« fragte er mürrisch. Das vorhin so devote Wesen des Mannes hatte einer stark betonten Dreistigkeit Platz gemacht; statt des überhöflichen schwadronierenden Cicerones stand jetzt ein brutaler selbstherrlicher Kleinwirt vor Testi.

»Der Herr hätte gern andere Kleider, vielleicht kannst du ihm einen sauberen Rock verschaffen, Giacomo?«

Bambaro schüttelte mißmutig den Kopf. »Ich hab' doch keinen Trödelladen.«

»Mister Jenkins wird es Ihnen gut bezahlen.«

»Pah! Wer ist Mister Jenkins? Wer sagt mir, daß der Herr überhaupt wiederkommt? Glauben Sie, daß ich bei den paar Kröten noch einen Anzug für Sie übrig habe?«

»Sie können Mister Jenkins im Hotel aufsuchen; Ihr Geld ist Ihnen sicher.«

Brummend verließ der Fremdenführer das Zimmer.

»Er wird Ihnen schon helfen, Signore«, sagte die Frau gutmütig, »warten Sie, ich bringe Ihnen Wasser.«

Testi empfand mit einem unbeschreiblichen Wonnegefühl, wie die Benommenheit und die Mattigkeit der Glieder unter dem erquickenden Einfluß des frischen, eiskalten Wassers von ihm wichen. Die Brust dehnte sich freier, und die Spannkraft seiner Arme kehrte zurück. Sein Kopf wurde frei von dem unerträglichen Druck, seine Gedanken begannen sich zu festigen. Er begriff, daß es für ihn zunächst am wichtigsten war, sich andere Kleidung zu verschaffen; der Arbeitsanzug, wenn er auch nur noch aus Lumpen bestand, konnte jeden Augenblick an ihm zum Verräter werden.

Eine leichte Ungeduld erfaßte ihn; jetzt, wo er sich gekräftigt fühlte, hätte er gern dieses Haus verlassen. Aber freilich, er mußte wohl auf seinen Beschützer warten. Mr. Jenkins hatte versprochen bald zurückzukommen. Und außerdem – wohin sollte er gehen, ohne Geld, in dieser fremden Stadt, wo die Gefahr für ihn an jeder Straßenecke lauerte. Testi fühlte: zum zweiten Male würde er nicht die Kraft finden, seinen Verfolgern zu entwischen.

Ein Geräusch schlug an sein Ohr. Er schreckte nervös zusammen und starrte ängstlich in das Halbdunkel des Raumes. Er war sich nicht klar über die Natur dieses Geräusches; es schien aus dem Winkel des Zimmers zu kommen. Dann plötzlich wußte er, es mußten tastende Hände sein, die im angrenzenden Raum suchend über die Wand strichen. Er ging vorsichtig über den knarrenden Fußboden und legte das Ohr an die Wand. Jetzt hörte er es ganz deutlich – das dünne Gebälk trug ihm jeden Laut zu. Hände fuhren an der Wand auf und nieder als suchten sie einen Ausgang. Monotones Gemurmel drang zu ihm hinüber. Eine weibliche Stimme, die anscheinend mit sich selbst sprach; unzusammenhängende, unklare Worte, deren Sinn er nicht verstand. Das tastende Geräusch verstummte, es schien, als ob ein Körper schwer und haltlos an der Wand zusammensank.

Testi preßte das Ohr dicht an die Mauer; ein halb unterdrücktes Weinen kam von drüben, ein stilles fassungsloses Weinen.

»Was machen Sie denn da?!« Signor Bambaro stand in der Tür; über dem Arm trug er einige Kleidungsstücke.

Testi winkte ihn mit einer Kopfbewegung heran. »Hören Sie nur – was geht dort drinnen vor?«

Der Genuese trat mit hastigen Schritten näher. »Kümmern Sie sich nicht um fremde Angelegenheiten«, rief er ärgerlich mit unterdrückter Stimme. »Hier«, er hielt Testi die Garderobenstücke hin, »das können Sie haben. Fünfzig Lire.«

Testi zuckte die Achseln. »Wenn Mister Jenkins solchen Preis dafür zahlen will«, sagte er zweifelnd.

Der andere nickte, und ein häßliches Lächeln legte sich um seinen Mund. »Er wird schon, amico, er wird schon. Ich glaube, das wird es ihm wert sein.«

»Ich habe kein Geld bei mir – nicht einen Soldo.«

Bambaro schüttelte den Kopf. »Ist auch nicht nötig. Geben Sie mir nur Ihre Fetzen da. Sie werden sie schon einlösen. Ist doch Staatseigentum, nicht wahr, junger Freund?« Er rieb sich boshaft kichernd die Hände.

Testi schwieg beklommen; hier war er rettungslos in einer Falle, aus der ihn vielleicht nicht einmal Jenkins retten konnte.

Bambaro legte den Anzug auf einen Stuhl. »Keine Angst. Ich kenne so was – bei mir finden Sie ein mitfühlendes Herz. Ziehen Sie die Sachen hier ruhig an; das Bündel mit Ihrer Staatsgala lassen Sie aber gefälligst ...«

Ein gellender Schrei aus dem Nebenzimmer ließ ihn verstummen. Eine weibliche Stimme schrie dort drüben, gepeinigt, angstgequält. Mit einer schrillen Dissonanz brach dieser Angstruf ab und verebbte in einem krampfhaften gellenden Gelächter. Unnatürlich, furchterregend war dieses Gelächter, das nicht enden zu wollen schien.

Die beiden Männer sahen sich wortlos an.

»Was war das?« fragte Testi leise.

Bambaro unterdrückte einen Fluch; er ging langsam zur Tür. »Das Weib macht mir noch das Haus rebellisch«, murmelte er.

Testi senkte lauschend den Kopf. Das Lachen erstarb in einem leisen wehen Gewimmer. Er blickte fragend zu dem Fremdenführer hinüber.

»Ich rate Ihnen dringend, kümmern Sie sich nicht darum. Es geht Sie den Teufel was an.« Der Genuese verließ das Zimmer.

Mit klopfenden Pulsen stand Testi an der Wand; von drüben war kein Laut mehr zu hören. Er zog gedankenvoll die Kleidungsstücke über und verschnürte die alten schmutzigen Lumpen in ein Bündel. Seine Nerven waren noch irritiert durch den Schreck; gewiß, es war an sich nichts Besonderes, daß in einem Zimmer dieser etwas fragwürdigen Herberge eine weibliche Stimme aufklang, aber dieser Schrei aus dem Munde einer Frau hatte etwas Beklemmendes, Aufwühlendes gehabt. Er fühlte es: in diesen schreckerregenden Tönen lag Furcht; vielleicht Entsetzen.

Testi hatte das unbestimmte Empfinden einer drohenden Gefahr, einer Katastrophe.

Ein Laut kam aus dem Zimmer nebenan; deutlich hörte er murmelnde Stimmen. Jetzt unterschied er, zwei Menschen mußten sich dort jenseits der Wand befinden. Eine brüchige Stimme sprach unausgesetzt – leises verhaltenes Weinen antwortete. Plötzlich ging das Murmeln in ein heiseres unartikuliertes Brüllen über; ein Gegenstand wurde krachend gegen die Wand geschmettert; klirrend splitterte Glas.

»Hilfe! Zu Hilfe!«

Francesco Testi fühlte, wie alles Blut ihm zum Herzen schoß beim Klang dieser Stimme. Dieses Organ weckte tausend zärtliche Erinnerungen in ihm; tausend Gedanken stürmten wirbelnd auf ihn ein. In der plötzlich eingetretenen Stille, in der er das jagende Klopfen seines Pulses zu hören glaubte, lauschte er mit vorgebeugtem Körper auf das Echo dieses Hilferufs.

Aber, seltsam genug, alles blieb still im Hause. Von unten scholl gedämpfte Musik, das laute Streiten der Kartenspieler klang in abgerissenen Sätzen herauf. Nichts deutete darauf hin, daß man kam, der Hilferufenden Beistand zu leisten.

Testi stand einen Augenblick regungslos; dann legte er die Hände an die Wand des Zimmers und preßte den Mund auf die schmutzige Tapete. »Warten Sie«, flüsterte er, »ich komme, beruhigen Sie sich.«

Eine Hand schlug in irrsinniger Angst gegen die Mauer, und eine vor Erregung keuchende Stimme sagte: »Um Gottes willen, kommen Sie schnell, wer Sie auch sein mögen. Helfen Sie mir!«

Mit einem Satz sprang Testi zur Tür seines Zimmers – sie war verschlossen. Er rüttelte an dem Griff, dann schlug er trommelnd mit den Fäusten gegen das Holz. Atemlos lauschte er einen Augenblick; im Hause blieb alles still. Er stieß mit den Füßen gegen die Türfüllung, er schrie laut den Namen des Wirtes – alles vergeblich. Testi ging ein paar Schritte ins Zimmer zurück und warf sich mit aller Kraft gegen die Tür. Aber das feste Holz erzitterte nicht einmal unter seinem Anprall. Er blieb keuchend in der Mitte des Raumes stehen; von nebenan klang erregtes Gemurmel. Er trat zur Wand und klopfte in kurzen Abständen gegen das Gebälk.

Aber es kam keine Antwort von drüben; nur hastige Schritte waren hörbar und ein irres seltsames Lachen. Dann fiel ein Stuhl polternd zur Erde, die Wand zitterte unter dem Anprall eines schweren Körpers, stampfende Füße und ein ingrimmiges Stöhnen verrieten einen erbitterten Kampf.

Wiederum gellte der flehentliche Hilferuf auf, aber die Stimme erstickte jäh und verlor sich in einem dumpfen Röcheln.

Testi blickte verstört um sich; er riß das Fenster auf und beugte sich weit vor. In der tiefen Dunkelheit der Straße lag bleiernes Schweigen – er begriff: ehe er Hilfe herbeirufen konnte, war es vielleicht schon zu spät. Seine tastenden Hände erfaßten die Brüstung eines schmalen Gitters. Zur Rechten erkannte er das Fenster des Nebenzimmers; es lief in einem ganz schmalen Vorsprung aus, der gleichfalls durch ein Gitter abgeschlossen war. Vorsichtig bestieg Testi die Gitterbrüstung, seine Hände suchten einen Stützpunkt an der Wand des Hauses. Er fühlte die Stange eines Wäschehalters über sich, doch das morsche Holz brach, als er sich darauf stützte. Testi wankte, aber im Fallen erfaßten seine Hände das Gitter des Nebenbalkons – mit einem Klimmzug zog er sich hoch. Der schmale Vorsprung bot ihm kaum einen Halt für seine Füße, das rostsplitternde Gitter riß ihm die Finger blutig, schließlich gelang es ihm, mit dem Stumpf der Holzstange das Fenster einzustoßen und den Riegel von innen zu heben.

Testi schwang sich über die Brüstung ins Zimmer. Es war dunkel. Er tastete sich an der Wand weiter, um den Knopf der Lichtschaltung zu suchen. Plötzlich stieß sein Fuß an einen menschlichen Körper. Er beugte sich mit vorgestreckten Händen nieder und fühlte die Umrisse einer weiblichen Gestalt, die regungslos am Boden lag.

»Wer ist dort?« Eine furchtsame Stimme kam aus dem Dunkel.

Er richtete sich auf. »Können Sie nicht Licht machen?« fragte er.

»Nein, ich glaube, die Lampe ist zertrümmert«, kam eine zaghafte Antwort zurück.

Testi lauschte in das Dunkel mit verhaltenem Atem und jagenden Pulsen. Er horchte mit tiefinnerlichem Erschrecken auf diese Stimme, die aus der Tiefe dieser Nacht kam, aus der Seltsamkeit dieses feindseligen Hauses, und die ihm das Herz mit einer wilden Freude erfüllte. »Wer sind Sie?« fragte er mit stockender Stimme. Er bekam keine Antwort. Dieses beklemmende Schweigen riß ihn aus seiner Erstarrung. »Wo ist der Lichtschalter?« Seine Hand suchte die Wand ab – in diesem Augenblick flammte die Lampe auf. Sie warf ein trübes, kaltes Licht in den Raum.

Zu Testis Füßen lag eine zusammengekauerte weibliche Gestalt, sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen, ein Zittern, wie ein Fieberschauer, lief über ihren Körper.

Er hob schnell den Blick. Dort drüben, in einen Winkel des Zimmers gepreßt, stand eine Frau. Sie strich sich mit einer abwesenden Bewegung die Haare aus der Stirn zurück. In den weit aufgerissenen Augen lag tödliche Angst.

»Dorothy!«

Der Name rang sich von Testis Lippen wie ein Aufschrei. Er ging mit unsicheren Schritten auf sie zu; sie stand bewegungslos gegen die Wand gelehnt, ihre schlaff am Körper hängenden Arme verrieten ihre Schwäche. Ihre blassen Lippen bewegten sich, ohne daß es ihr gelang, einen Laut hervorzubringen.

Seine Arme fingen die Wankende auf; sie lag mit geschlossenen Augen, schwer atmend an seiner Brust. »Was ist geschehen, Dorothy? Wer ist jene Frau dort?«

Sie schlug die Augen auf und streifte mit entsetztem Blick die am Boden liegende Gestalt. Testi ergriff ihre Hand; sie lag kalt und willenlos in der seinen. Mit einem unterdrückten Aufschrei riß sie sich los. »Fort, um Gottes willen, nur fort!« Dorothy lief wie gehetzt zur Tür; sie ließ sich nicht öffnen. »Der Schlüssel«, sagte Dorothy leise, »sie hat ihn an sich genommen.«

Testi beugte sich zu der Fremden. Ihre Arme lagen in einer merkwürdig verkrampften Stellung auf den schmutzigen Dielen, ihr Gesicht war bläulich angelaufen. Sie hatte die Augen aufgeschlagen, aber die Pupillen schienen wie ein schmaler Strich hinter den Lidern zu liegen. Die Lippen waren geborsten, und die Zunge lag geschwollen in der Mundhöhle. Dicht neben ihren verkrampften Fingern lag der Schlüssel.

Testi hob ihn auf. Der müde Blick der Frau folgte seinen Bewegungen; sie ächzte und drehte sich mühsam auf die Seite, aber sie ließ es willenlos geschehen, daß er die Tür aufschloß.

Die beiden traten auf den Flur. Es war kein Laut zu hören; die Gäste mochten gegangen sein. Es brannte kein Licht. Testis ausgestreckte Hand erfaßte das Treppengeländer, vorsichtig setzte er den Fuß auf die Stufe. Ein knackender Laut sprang auf, ein kleines schnell ersterbendes Geräusch, aber in der tiefen Stille des Hauses schwoll der Ton zu bedrohlicher Stärke an.

Testi hemmte den Schritt und lauschte.

In diesem Augenblick klingelte das Telephon. Er schrak entsetzt zusammen und drückte sich in das Dunkel des Flurs zurück. Ein schlürfender Schritt näherte sich; unten in dem Winkel beim Apparat wurde ein Licht angeknipst, und eine schläfrige Stimme rief: »Hallo!«

»Ah, Exzellenza, Sie sind es«, rief Bambaro und fuhr nach einer kurzen Pause mit erhobener Stimme fort: »Alles in schönster Ordnung, Signore. Ihr Schutzbefohlener schläft. Oh, es ruht sich gut in meinem Hause. Sehr wohl, sehr gut, Exzellenza, in einer Stunde also.«

Testi sprang auf und stolperte die Stufen hinunter. Er riß dem verdutzten Bambaro den Hörer aus der Hand und schrie in den Apparat: »Mister Jenkins, kommen Sie sofort, verlieren Sie keine Minute! Gefahr! Hier ist ...«

Eine Hand riß ihn von dem Apparat zurück und schleuderte ihn gegen die Wand. Er schlug mit dem Kopf gegen die scharfe Kante der Tür. Leise aufseufzend sank Testi ohnmächtig zu Boden. Von dem Treppenpodest kam ein unterdrückter Aufschrei. Bambaro sprang mit einem wilden Satz die Stufen hinauf, er preßte seine Hand auf Dorothys Mund: »Schweigen Sie«, zischte er ihr mit unterdrückter Stimme zu.

Sie ließ sich widerstandslos ins Zimmer zurückzerren.

»Fort, schnell! Sie müssen das Haus verlassen, schnell!« schrie der Genuese der fremden Frau zu.

Sie saß in sich zusammengesunken am Tisch, ihre glasigen Augen stierten verständnislos auf den Sprechenden.

Bambaro packte sie am Arm. »Vorwärts, schnell, man darf Sie hier nicht finden!« Er riß sie mit roher Gewalt vom Sitz hoch, aber sie fiel taumelnd auf den Stuhl zurück, und der Kopf sank ihr schwer auf die Brust. »Verflucht!« knurrte der Italiener und blickte ratlos auf die beiden Frauen, »was soll ich ...«

Von unten schrillte das Läuten des Telephons. Grell, mit einer wütenden Beharrlichkeit bohrte sich der hämmernde Ton in die Stille der Nacht.

*

Der Polizeipräfekt von Genua erhob sich von seinem Sessel. Er stand in aufrechter Haltung, die Arme gekreuzt, die dunklen glänzenden Augen unverwandt auf das Gesicht Joe Jenkins gerichtet, der in lässiger Haltung vor dem großen Schreibtisch saß. Das Zimmer des Polizeigewaltigen von Genua war mit allen Dingen des letzten Komforts ausgestattet, alles wies darauf hin, daß der Commendatore Dottore Ermete Zafari ein Mann von kultiviertem Geschmack war. Aber die seltsame Architektur des Raumes mit den hohen spitzgiebeligen Fenstern, die fast auf den Boden reichten, dem schweren getäfelten Plafond ließ irgendwie Erinnerungen aufkommen an Inquisition, unterirdische Zellen und Folterkammern.

Ein Beamter trat herein, blieb an der Tür stehen und machte eine Meldung. Der Präfekt nickte und gab dem Mann einen Wink. Seine Geste war von einer großartigen Erhabenheit: so und nicht anders mußten einst die glorreichen Dogen der stolzen Republik Genua ihre Trabanten entlassen haben.

Doktor Zafari strich sich den weißen Spitzbart mit einer langsamen Bewegung seiner wohlgepflegten Rechten. »Wir müssen Ihnen sehr dankbar sein, Mister Jenkins«, nahm er mit einer leisen aber scharf akzentuierten Stimme das Wort, »Sie haben durch Ihr schnelles, energisches Zupacken der Polizei zu einem guten Fang verholfen.«

»Es ist doch nur zum kleinsten Teil mein Verdienst, Herr Präfekt«, erwiderte der Detektiv, »ohne Ihre liebenswürdige Bereitwilligkeit, mir Ihre vortrefflichen Beamten zur Verfügung zu stellen, hätte ich ja nichts auszurichten vermocht.«

Der Polizeipräfekt verbeugte sich mit vollendeter Grandezza. »Ich glaube nicht mehr als meine Pflicht getan zu haben. Gewiß, unsere Genueser Polizei ist vorzüglich organisiert«, der Tonfall seiner Stimme hob sich in gespreizter Selbstgefälligkeit, »aber es ist fast unmöglich in einer so großen Hafenstadt, in diesem Reservoir für alle möglichen Verbrechertypen, alle Schlupfwinkel zu kennen oder auch nur zu beobachten. Wir sind eben sehr oft auf das Spiel des Zufalls angewiesen.«

Jenkins nickte zustimmend.

Doktor Zafari legte die Hände auf den Rücken und ging mit stolzer Miene im Zimmer auf und nieder.

Der Detektiv schwieg erwartungsvoll.

Die Ruhe wurde erdrückend; von fern klang das geschäftige Leben des Vormittags durch die hohen Fenster; der Lärm des Straßenverkehrs brandete in kleinen, kaum hörbaren Geräuschen in das Zimmer herein.

Plötzlich blieb der Präfekt vor Jenkins stehen. »Wie geht es der Signorina – Miß Crane?«

»Gut. Sie wartet draußen im Vorzimmer auf ihre Vernehmung.«

»Wird sie sich kräftig genug fühlen, dem Verhör der Verhafteten zu folgen?«

»Gewiß.«

Der Präfekt drückte auf die Klingel. »Ich lasse Miß Dorothy Crane bitten«, befahl er dem eintretenden Beamten.

Durch die sich öffnende Tür trat Dorothy.

Doktor Zafari ging ihr mit schnellen Schritten entgegen und führte sie mit einer fast väterlich anmutenden Sorgfalt zu dem breiten Sessel vor dem Schreibtisch.

Dorothy begrüßte mit einem schwachen Lächeln den Detektiv, der ihr aufmunternd zunickte.

Der Polizeipräfekt nahm seinen Platz hinter dem Tisch wieder ein. »Miß Crane«, sagte er, die Worte stark betonend, »die Vorgänge der letzten Nacht sind so seltsam und zugleich so ineinander verschachtelt, daß ich, um ein einigermaßen klares Bild von dem Verbrechen zu bekommen, alle Einzelheiten hören muß. Wollen Sie die Güte haben, mir Ihre Erlebnisse zu schildern?«

Dorothy stützte leicht den Kopf in die Hand, sie schloß einen Augenblick lang die Augen als suche sie in ihrer Erinnerung. »Dürfte ich Sie bitten, Herr Präfekt, die erforderlichen Fragen an mich zu stellen? Es wird mir dann leichter, mich wieder an alles zu erinnern.« Ihre Stimme klang müde und teilnahmslos; die dunkelumschatteten Augen lagen tief in dem blassen schmalen Gesicht.

»Sie sind, wenn ich recht unterrichtet bin, mit dem Dampfer ›Stromboli‹ hier angekommen?«

»Ja. Mister Jenkins forderte mich durch ein drahtloses Telegramm nach Palermo auf, den ersten fälligen Dampfer nach Genua zu nehmen und ihn im Hotel Colon zu erwarten.«

»Diese Reise ging glatt vonstatten? Ich meine, es ereigneten sich keinerlei Zwischenfälle während der Fahrt?«

»Nein. Aber es fiel mir auf, daß man sich in besonders eifriger Weise um mich bemühte.«

»Wie ist das zu verstehen?«

Jenkins kam Dorothys Antwort zuvor. »Ich hatte durch ein zweites Telegramm den Kapitän des ›Stromboli‹ gebeten, Miß Crane unter seinen besonderen Schutz zu nehmen.«

»Aus welchem Grunde, Mister Jenkins?«

»Ich hatte begründete Ursache anzunehmen, daß man einen Anschlag auf Miß Crane plane.«

»Die Fahrt verlief also ohne irgendeinen Zwischenfall, nicht wahr, Miß Crane?«

Sie nickte. »Ja, ich hätte überhaupt nicht gemerkt, daß mir irgendeine Gefahr drohte, hätte der Kapitän nicht darauf bestanden, daß ich mich bei der Ankunft in Genua unter den Schutz eines Schiffsoffiziers stellen sollte.«

»Taten Sie das, Miß Crane?«

»Der Dampfer hatte unterwegs Maschinendefekt. Es war niemand von der Mannschaft abkömmlich; der Kapitän entschuldigte sich bei mir und riet mir, sofort nach der Landung am Kai ein Auto zu nehmen und ins Hotel Colon zu fahren.«

»Was geschah, als Sie den Dampfer verließen?«

In Dorothys Augen stieg der Ausdruck einer wilden Angst; sie blickte hilfesuchend zu Jenkins hinüber.

Der Detektiv hob die Hand. »Ich glaube es zu wissen«, sagte er ernst; »eine Frau trat an Sie heran mit einem Gruß von mir. Sie benahm sich so sicher und gewandt, daß Sie keine Zweifel hatten, die Dame sei von mir beauftragt, Sie zu empfangen. War es nicht so, Miß Crane?«

Sie nickte schweigend und senkte den Kopf.

»Wollen Sie mir nicht erklären ...?« Der Polizeipräfekt blickte fragend zu dem Detektiv hinüber.

»Es gehört zu der Taktik dieser Leute, es überrascht mich nicht. Aber wie war es nur möglich, Miß Dorothy, daß Sie dieser Fremden ohne weiteres folgten, nachdem Sie doch schon durch die Umstände sozusagen gewarnt waren?«

Eine dunkle Röte übergoß Dorothys Wangen. »Ihr Vorwurf ist berechtigt, Mister Jenkins«, sagte sie mit verhaltener Stimme, »aber Sie werden mich und meine Handlungsweise verstehen, wenn ich Ihnen sage, mit welchen Mitteln man mich gefügig machte.« Aufsteigende Tränen erstickten ihre Stimme. »Jene Frau sagte mir, daß Sie meinen Vater gefunden hätten, daß Sie jetzt bei ihm seien. Ich sollte nicht ins Hotel Colon gehen, sondern ...«

Jenkins trat auf Dorothy zu und drückte ihr die Hand. »Das entschuldigt alles, Miß Dorothy; bitte, erzählen Sie weiter.«

»Einen Augenblick, bitte«, unterbrach der Polizeipräfekt, »ich nehme an, alle diese Dinge hängen mit der Vorgeschichte dieses seltsamen Abenteuers zusammen. Das wird sich ja im Laufe der Untersuchung herausstellen. Aber können Sie mir erklären, Mister Jenkins: woher wußten die Verbrecher, daß Miß Crane gestern abend mit dem ›Stromboli‹ ankommen würde? Diese Reise wurde doch, wenn ich Sie vorhin recht verstanden habe, erst durch Ihr Telegramm an Miß Crane veranlaßt?«

»Ganz recht, Herr Präfekt. Die Verbrecher sind eben von dem Inhalt dieses Telegramms unterrichtet worden. Durch wen und zu welchem Zweck vermag ich im Augenblick nur zu vermuten. Wir werden das wohl im Laufe des Verhörs feststellen.«

»Sie sagen, Mister Jenkins, die Person, die wir im Zimmer dieser Spelunke in der Via Griffone fanden, ist Ihnen bekannt?«

»Ja. Es ist angeblich eine Agentin des Rauschgiftdezernates im Auswärtigen Amt in London. Aber in Wirklichkeit ist sie eine geschickte und gefährliche Spionin im Dienste der Gegenpartei.«

»Wollen Sie weiter erzählen, Miß Crane? Schöpften Sie Argwohn, als die fremde Dame mit Ihnen in jene obskure Gegend fuhr?«

Dorothy schüttelte den Kopf. »Ich hatte nur einen Gedanken, bald würde ich meinen Vater wiedersehen. Das Glücksgefühl, das mich durchströmte, machte mich blind gegen meine Umgebung. Meine Begleiterin war von ausgesuchter Liebenswürdigkeit; ihre Antworten auf meine dringenden Fragen ließen einen Argwohn überhaupt nicht aufkommen.«

»Wann schöpften Sie zuerst Verdacht?«

»Als die Zeit immer weiter vorschritt, ohne daß Mister Jenkins erschien, und als die Dame mir immer wieder ausweichende Antworten gab. Jetzt endlich fiel mir ihr Wesen auf. Sie schien bald von einer grenzenlosen Apathie befallen, bald geriet sie in einen Paroxismus der Wut.« Dorothy sah mit schreckerfüllten Augen vor sich hin. »Ich wollte das Zimmer verlassen und fand die Tür verschlossen. Da befiel mich eine namenlose Angst. Ich brach weinend zusammen.«

Sie schwieg; das Entsetzen der durchlebten bangen Stunden stand in ihren flackernden Augen. Mit kaum vernehmbarer Stimme fuhr Dorothy fort: »Ich glaubte eine Wahnsinnige vor mir zu haben. Sie stürzte sich auf mich und hielt mir mit wutverzerrten Zügen die Fäuste vor das Gesicht. Plötzlich stieß sie einen gellenden Schrei aus, dann warf sie Gläser und Teller zur Erde. Dabei lachte sie.« Dorothy schauderte. »Ein furchtbares, grauenvolles Lachen, das in ein krampfhaftes Weinen überging.«

Eine Pause entstand, die drückend und schwer im Zimmer lag.

»Der typische Anfall einer Kokainistin«, sagte Jenkins.

»An das, was jetzt geschah, vermag ich mich nur noch schwach zu erinnern. Ich glaube, ich schrie um Hilfe. Eine Stimme – ich wußte nicht woher sie kam – antwortete mir; dann warf sich die Irre auf mich, krallte mir ihre Nägel ins Gesicht und riß mich zu Boden. Ich verlor das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam ...« Dorothy unterbrach sich und preßte die Lippen aufeinander; sie schien völlig erschöpft.

Doktor Zafari sah teilnahmsvoll zu ihr hinüber. »Ich danke Ihnen, Miß Crane.« Er wandte sich zu Jenkins. »Es wird wohl zunächst das Wichtigste sein, den unbekannten jungen Mann zu vernehmen, um seine Persönlichkeit zu identifizieren.«

»Ich möchte bitten, vorher die verhaftete Gloria Wynn vorführen zu lassen«, sagte Jenkins, »ich glaube einige wichtige Aufschlüsse durch ihre Befragung zu erhalten.«

Der Polizeipräfekt nahm ein Blatt von seinem Schreibtisch und reichte es dem Detektiv hinüber. »Mit der Vernehmung dieser Frau werden wir uns noch eine Weile gedulden müssen. Der Arzt hat sie noch in Behandlung. Sie sehen, er konstatiert eine schwere Kokainvergiftung.«

Jenkins legte das Attest des Arztes auf den Schreibtisch zurück. »Auch der Unbekannte bedarf der Schonung, seine Kopfverletzung und der Blutverlust haben ihn sehr geschwächt. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Präfekt, wollen wir vielleicht einmal den Wirt aus der Via Griffone befragen.«

Doktor Zafari nickte und gab Befehl, den Cicerone vorzuführen.

Die Tür ging auf; Bambaro trat herein.

Er ging mit seinem gewinnenden Lächeln auf den Tisch des Präfekten zu und machte eine chevalereske Verbeugung. Sein Blick glitt über die Anwesenden; er streckte die Hand aus, als ob er Jenkins begrüßen wollte, dann verbeugte er sich tief und respektvoll vor Dorothy. Er schob die Hand in den Westenausschnitt und sah sich erwartungsvoll im Raum um.

Der Präfekt warf einen kurzen Blick in die Akten. »Sie sind der Gastwirt Bambaro«, sagte er schroff.

Der Gefragte schüttelte den Kopf, und ein leises Lächeln trat in sein Gesicht. »Scusi, Signore, ich bin Giacomo Bambaro, Dozent der schönen Künste von der Universität in Bologna. Die Ungunst der Zeiten hat mich gezwungen, das höchst ehrsame, aber beschwerliche Gewerbe eines Gastwirtes und Fremdenführers zu ergreifen.«

Der Präfekt schlug mit der Hand auf den Tisch. »Ihr Lebenslauf interessiert mich nicht. Antworten Sie kurz und sachlich auf meine Fragen.«

Der Genuese setzte eine beleidigte Miene auf. »Prego«, erwiderte er kurz.

»Was wissen Sie von den Vorgängen in den oberen Zimmern Ihres Gasthofes?«

»Nichts, Signore. In meinem Hotel verkehren die verschiedenartigsten Gäste. Ich kann unmöglich wissen ...«

»Sie wollen damit also sagen, daß Sie die Frau nicht kannten, die mit dieser Dame«, Zafari wies auf Dorothy, »in Ihre Spelunke kam?«

Bambaro warf den Kopf in den Nacken. »Nein – ich kannte diese fremde Frau nicht. Im übrigen, Herr Präfekt, mein Albergo ist keine Spelunke; ich bin stolz auf mein Etablissement. In der Via Griffone soll einst der stolze Republikaner Verrina verkehrt haben, der Mann, der Genua von dem Verräter Fiesco befreite.«

Der Präfekt hob ungeduldig die Hand.

»Finden Sie es nicht seltsam, Signor Bambaro«, nahm Jenkins das Wort, »daß diese Frau gerade zu Ihnen in diese abgelegene Straße kam. Es gibt doch noch andere Trattorien in der Umgebung des Hafens.«

Bambaro lächelte nachsichtig. »Die Dame wußte zweifellos, daß sie in meinem Haus am besten aufgehoben war.«

»Sagen wir lieber, daß sie bei Ihnen die Quelle für Kokain und Morphium zu finden hoffte – nein – wußte«, sagte Jenkins ruhig.

Bambaro warf einen entrüsteten Blick zu dem Präfekten hinüber. »Darf ich Sie bitten, Signore, mich gegen die Anwürfe dieses Herrn in Schutz zu nehmen?«

Zafari richtete sich mit einem ärgerlichen Ruck auf. »Lassen Sie die Albernheiten, Bambaro! Man hat bei Ihnen große Mengen von Rauschgift gefunden. Bitte, schweigen Sie! Ich will gar nicht von den verbotenen Glücksspielen sprechen, die Sie in Ihrem sauberen Haus geduldet haben, oder von den verschwiegenen Zimmern. Wir haben Ihre Vielseitigkeit jetzt kennengelernt. Es besteht also gar kein Zweifel, daß die fremde Frau nicht zufällig zu Ihnen gekommen ist.«

Bambaro hob beschwörend die Hände. »Ich bestreite das! Als ich in das Zimmer kam und sah, daß die Frau in einem Tobsuchtsanfall alles zerschlagen hatte – ich erkannte sie gleich als Morphinistin –, habe ich ihr die Tür gewiesen.«

»Ganz so einfach liegen die Dinge nicht; wollen Sie mir erklären, Bambaro, weshalb niemand im Hause auf die Hilferufe reagierte? Die Dame dort, Miß Crane, sagt, daß sie mit aller Kraft um Hilfe geschrien habe?«

Der Gefragte blickte zu Dorothy hinüber; er legte pathetisch die Hand aufs Herz und rollte die Augen. »Mi duole molto«, sagte er mit weicher Stimme, »aber ich habe nichts gehört. Ich würde mein Leben gewagt haben, der schönen Signora zu Hilfe zu eilen.«

»Komödiant«, murmelte der Präfekt.

Jenkins erhob sich und ging auf den Wirt zu. »Dann, mein Bester, sagen Sie mir, bitte, warum haben Sie dem Herrn im Nebenzimmer verboten, sich um die Hilferufende zu kümmern?«

»Ich wußte doch, daß der Signore krank war. Meine Frau sagte mir, er hätte das Fieber. Ich wollte ihn vor Aufregungen bewahren.«

Jenkins klopfte dem Wirt anerkennend auf die Schulter. »Sie sind ein Menschenfreund, Signor Bambaro. Vermutlich war es auch reine Besorgnis um das Wohlergehen Ihres Gastes, daß Sie ihn im Zimmer einschlossen?«

Der Genuese warf einen schnellen Blick aus den Augenwinkeln auf den Detektiv; eben wollte er den Mund zu einer Antwort öffnen als ein Beamter meldete:

»Die verhaftete Frau ist eingeliefert. Sie ist jetzt vernehmungsfähig.«

Der Präfekt gab dem Sprechenden einen Wink; durch die geöffnete Tür betrat Gloria Wynn das Zimmer. Sie ging langsam durch den Raum, die Augen, die unnatürlich weit aufgerissen waren, starr geradeaus gerichtet. Ihre Haltung war straff, und ihre Bewegungen von einer etwas erkünstelt wirkenden Energie. Ihr Gesicht hatte die fahle Blässe einer Schwerkranken. Schlaffe Falten um die Mundwinkel ließen die Vierzigerin weit älter erscheinen. Ihr volles Haar war stark von grauen Fäden durchzogen.

Der Präfekt deutete auf einen Stuhl vor dem Tisch; sie ließ sich zögernd darauf nieder.

»Wollen Sie uns sagen, Miß Wynn – nicht wahr, so ist doch Ihr Name?« – Doktor Zafari sah von den Papieren aufblickend zu der Sitzenden hinüber.

Die Gefragte nickte schweigend.

»Wollen Sie uns sagen, in wessen Auftrag Sie gestern nachmittag diese Dame dort am Kai, als sie mit dem Dampfer ›Stromboli‹ eintraf, begrüßten?«

Gloria Wynn hob den Kopf; sie sah auf den Präfekten, sie wandte die Augen zu Joe Jenkins und sie sah auf Dorothy, die sie mit furchterfüllten Augen betrachtete, sie streifte mit einem leeren Blick den Fremdenführer, und es schien, als ob sie die Fragen beantworten wollte – aber dann preßte sie die Lippen aufeinander und blieb stumm.

»Miß Wynn«, sagte der Präfekt und stieß den Bleistift auf den Tisch, »Sie haben sich eines tätlichen Angriffs auf Miß Dorothy Crane schuldig gemacht, auch einer Freiheitsberaubung. Diese Delikte sind schwerwiegend genug, um den Haftbefehl gegen Sie bestehen zu lassen. Es dürfte in Ihrem Interesse sein, meine Fragen zu beantworten.«

In das blasse Gesicht der Kranken schoß eine flüchtige Röte. »Ich bin leidend«, sagte sie mit schwacher Stimme, »wenn ich diese Anfälle bekomme, so ... es tut mir leid ... ich weiß mich auf nichts zu besinnen.«

»Bitte, beantworten Sie meine Frage: wer beauftragte Sie, Miß Crane vom Dampfer abzuholen?«

Gloria Wynn starrte an dem Präfekten vorbei ins Leere und schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann auf diese Frage keine Antwort geben«, sagte sie leise.

Der Präfekt zuckte die Achseln, er blickte hinüber zu Jenkins, der mit undurchdringlichem Gesicht dem Verhör folgte. »Ich kann Sie natürlich nicht zwingen. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie die Folgen Ihrer Weigerung auf sich nehmen müssen.«

»Ich kann nur sagen, daß es mir aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, eine Erklärung zu geben.«

Doktor Zafari schwoll die Zornesader. Er wollte eine heftige Antwort geben, als Jenkins aufstand und nach einer kurzen, erlaubnisheischenden Verbeugung gegen den Präfekten sich zu Gloria Wynn wandte.

»Ich will Ihnen sagen, wer Sie veranlaßte, Miß Crane in Empfang zu nehmen. Es war der Kapitän Falcon von der Jacht ›Elena‹. Ist es nicht so?«

Die Gefragte sah dem Detektiv mit ängstlicher Spannung ins Gesicht.

»Es bedarf keiner Bestätigung. Nur Kapitän Falcon hatte Kenntnis von dem Telegramm an Miß Crane. Sie geben vor«, fuhr Jenkins fort, »eine Agentin Lord Haddingtons zu sein. Sie arbeiten für sein Ressort; in Sachen des Rauschgifthandels. Aber – nicht wahr – gleichzeitig stehen Sie auch in Diensten der Rauschgiftschmuggler? Bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Sie lassen sich von beiden Gruppen bezahlen; aber in Wirklichkeit dienen Sie nur den Interessen des Schmuggelkonsortiums.

Jenkins griff in die Tasche und legte das Bild Elena Falieris vor Gloria hin. »Diese Dame ist Ihnen doch bekannt, nicht wahr?«

Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.

Der Detektiv verschränkte die Arme. »Ich habe keine andere Antwort von Ihnen erwartet. Aber vielleicht erklären Sie mir dann, weshalb Sie gerade dieser Dame in London im ›Empire‹ eine Karte mit meiner Handschrift entwendeten. Oder sollten Sie diese Karte ›zufällig‹ gefunden haben?«

Gloria Wynn stand betroffen von ihrem Sitz auf. »Ich verstehe von alledem kein Wort, mein Herr. Wer sind Sie?«

»Sie haben mir an jenem Abend im ›Empire‹ durch den Zeitungsboy eine kleine Warnung zukommen lassen – Sie erinnern sich vielleicht? Sie haben meinem Zimmer im Hotel Morley einen Besuch abgestattet und sollten sich wirklich nicht darauf besinnen können, daß es Joe Jenkins war, dem Sie Ihre freundliche Aufmerksamkeit gewidmet haben?«

Sie ließ sich schwer in den Stuhl zurückfallen und rang mühsam nach Atem; ihre Augen hatten den Glanz verloren, die Hände lagen schlaff auf der Lehne ihres Sitzes, und ein immer stärker werdendes Zittern durchlief ihre Gestalt.

Jenkins zog eine kleine Glasröhre aus der Tasche, er entnahm ihr eine flache Tablette und gab sie der Leidenden. Sie griff gierig danach. Langsam trat die Wirkung ein; Glorias Atem ging ruhiger, das Zittern verschwand, und ihre Augen gewannen wieder Glanz.

»Wollen Sie mir sagen, Miß Wynn«, nahm Jenkins mit verändertem Ton das Wort, »was Sie über das Verbleiben von Mister Wilbur Crane wissen? Miß Dorothy bangt um das Schicksal ihres Vaters.«

Gloria ließ ihre Augen auf Dorothy ruhen; es war ein leerer, toter Blick, mit dem sie das junge Mädchen betrachtete. »Ich kenne Mister Crane nicht. Ich weiß nichts von seinem Schicksal.«

»Sie sagen nicht die Wahrheit, Miß Wynn. Der Brief, den Sie aus meinem Hotelzimmer holen wollten, hängt mit der Affäre Crane unmittelbar zusammen.«

Gloria schüttelte den Kopf. »Ich weiß von keinem Brief; ich habe mit dieser Angelegenheit nichts zu tun.«

»Lassen Sie doch dieses kindische Leugnen, es ist ganz zwecklos. Der Kasten, aus dem Sie den für Ihre Auftraggeber so wichtigen Brief entwenden sollten, enthielt eine versteckte Kamera. Sie selbst lösten den Verschluß, als Sie den Deckel des Kastens öffneten. Hier ist Ihr Bild, Miß Wynn.«

Jenkins hielt ihr das Photo entgegen. Sie warf einen schrägen Blick darauf, aber um ihre Lippen legte sich ein trotziger Zug.

»Mit dem erbeuteten Brief – es war aber nur leider nicht der richtige –, mit diesem Brief begaben Sie sich nun in das Haus hundertvierundsiebzig Mall – – in die Villa Lord Haddingtons.«

Gloria lachte leise auf, es war ein verächtliches, etwas spöttisches Lächeln. »Lord Haddington«, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, »hat von diesen Dingen keine Ahnung. Er ist nur ein verliebter Narr.« Sie schwieg plötzlich und biß sich auf die Lippen.

Jenkins beobachtete sie aus den Augenwinkeln. »Es ist selbstverständlich, daß Sir Ernest von Ihrem Besuch in seinem Hause nichts wußte. Sie erwarteten ja auch wohl kaum, den Lord dort vorzufinden. Ihr Besuch galt doch dieser Dame hier.« Der Detektiv zeigte auf das Bild Elena Falieris. »Sie sind doch mit Madame Falieri von der Bühne her bekannt, nicht wahr? Sie wußten, daß Madame Falieri im Hause des Lords zu Gast war. Es liegt also nahe, daß Sie die alte Bekanntschaft wieder auffrischen wollten.«

Gloria Wynn warf grell auflachend den Kopf zurück. »Das ist alles barer Unsinn, Mister Jenkins. Damit können Sie mich nicht fangen. Woher haben Sie nur diese Informationen – oder sind das alles Hypothesen?« In ihre Augen war ein irrlichterndes Flackern getreten; ihre Wangen brannten in fieberhafter Röte. »Ich will Ihnen zu Hilfe kommen, Mister Jenkins. Da Sie doch schon so viel zu wissen scheinen, will ich Ihnen sagen, wer die Person war, die ich im Hause Lord Haddingtons suchte: es war Georg Stylianides.«

Jenkins spitzte die Lippen wie zu einem Pfiff. »Georg Stylianides«, sagte er gedehnt, »das Haupt des Rauschgiftkonsortiums? War er denn in London – in der Villa Lord Haddingtons?«

Gloria machte eine unbestimmte Handbewegung. »Vielleicht«, erwiderte sie.

»Und Sir Ernest wußte nichts von der Anwesenheit dieses Mannes in seinem eigenen Hause?«

Sie sah ihn unter halb geschlossenen Lidern an. »Vielleicht«, kam es tonlos von ihren Lippen.

Jenkins rieb sich das Kinn. »Hm«, sagte er nachdenklich, »das ist recht interessant. Darf ich Sie nun noch fragen, Miß Wynn: was sagte denn dieser Herr Stylianides zu dem erbeuteten Brief? Ich meine, zu der netten vorgedruckten Notiz, die Sie statt des wichtigen Briefes ergatterten?«

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu und kehrte ihm den Rücken.

»Ich begreife, daß Ihnen diese Frage peinlich ist. Erlauben Sie mir noch eine andere Frage – sie ist etwas weniger verfänglich. Was sollte eigentlich mit der Entführung von Miß Crane bezweckt werden?«

Gloria Wynn ließ sich mit einer haltlosen müden Bewegung in den Stuhl fallen. »Ich bin völlig erschöpft, Herr Präfekt, darf ich Sie bitten, das Verhör abzubrechen?«

»Wollen Sie diese letzte Frage Mister Jenkins' nicht beantworten?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »ich kann mich kaum noch aufrecht halten. Aber vielleicht gibt Ihnen Signor Bambaro Auskunft darüber; er ist unterrichtet.«

Der kleine Genuese sprang erregt von seinem Sitz auf. »Sie lügt!« schrie er wütend, »ich weiß gar nichts, gar nichts!«

Der Präfekt schnitt ihm mit einer kurzen Handbewegung das Wort ab. »Schweigen Sie! Die Haussuchung hat ergeben, daß Sie große Vorräte aller möglichen Arten Rauschgift in Ihrem Keller lagern hatten. Das sind nicht etwa kleine, gelegentlich aufgekaufte Quanten gewesen, sondern das sind richtige Läger, die der Belieferung des Schleichhandels dienen. Es ist so gut wie erwiesen, daß Sie mit dieser ganzen Affäre in Verbindung stehen. Beantworten Sie also die Frage Mister Jenkins'!«

Bambaro stieß den Stuhl hinter sich zurück. »Ich denke gar nicht daran«, schrie er, hochrot vor Wut, »wenn jemand hier Fragen zu stellen hat, so bin ich es. Nämlich ...«

Der Präfekt schlug mit der Faust auf den Tisch. »Unterlassen Sie die Unverschämtheiten – ich werde Sie wegen Ungebühr in Strafe nehmen!«

Bambaro fuchtelte mit den Händen in der Luft. »Scusi, Signore, meine Erregung reißt mich hin. Ich bin beleidigt worden, ich muß mich verteidigen. Mein Hotel ist keine Freistatt für entlaufene Staatsverbrecher.«

»Was soll das heißen?« fragte der Präfekt scharf.

»Nicht mehr und nicht weniger, als daß dieser Herr hier«, Bambaro wies mit ausgestreckter Hand auf Jenkins, »mir einen flüchtigen Sträfling in mein ehrbares Haus gebracht hat.«

Doktor Zafari blickte verständnislos auf Jenkins, der, ohne eine Miene zu verziehen, im Zimmer stand.

Dorothy Crane hatte sich angstvoll erhoben und ging mit kleinen zögernden Schritten auf den Detektiv zu.

»Ohne Umschweife«, herrschte der Präfekt den Genuesen an, »wie kommen Sie zu der Behauptung?«

»Prego, Signore. Ich werde beweisen, was ich sage. Die Kleidung, die der Fremde gegen einen Anzug austauschte, den ich ihm verkaufte – ich bekomme überdies noch fünfzig Lire von Ihnen, Signor Jenkins, Sie haben wohl die Liebenswürdigkeit, diese kleine Forderung zu begleichen. Entschuldigen Sie, Herr Präfekt, Geschäft ist Geschäft. Nun also, diese zurückgelassene Kleidung trägt den Stempel der Strafkolonie Alina.«

Der Präfekt beugte sich über den Schreibtisch und schrie den Sprechenden an: »Was sollen diese absurden Behauptungen? Wollen Sie im Ernst damit sagen, daß Mister Jenkins Ihnen einen Sträfling zugeführt hat?«

Bambaro kreuzte die Arme und nickte. »Ich behaupte und beweise es«, sagte er ruhig.

Doktor Zafari hob den Blick; er zuckte unmutig die Achseln und fragte beiläufig: »Wollen Sie sich dazu äußern, Mister Jenkins?«

Der Detektiv räusperte sich. »Ich kann es nicht leugnen«, erwiderte er langsam, »dieser Mann, von dem Signor Bambaro spricht, ist ein italienischer Strafgefangener.«

Bambaro sah sich mit der Miene eines Triumphators im Kreise um.

»Ich verstehe nicht, Mister Jenkins«, die Stimme des Präfekten klang ungeduldig und gereizt, »Sie wußten, daß der Fremde ein ausgebrochener Flüchtling war?«

»Ja, ich wußte es.«

»Kennen Sie auch den Namen des Flüchtigen?«

»Ja. Er heißt Francesco Testi.«

Der Präfekt hob sinnend die Augen zur Decke. »Testi? Das ist doch der Botschaftssekretär, dem man den Prozeß wegen Hochverrat gemacht hat. Er war zu Zwangsarbeit verurteilt.«

»Ganz recht. Er ist nach Alina gebracht worden.«

»Verzeihung, Mister Jenkins, aber wenn Sie so genau über die Persönlichkeit des Sträflings orientiert waren, so mußten Sie doch den Behörden ...«

»Ich habe den Mann halb verhungert und gänzlich erschöpft am Hafen gefunden. Ich hielt es für meine Pflicht, ihn zunächst einmal zu stärken.«

Bambaro kicherte. »Dieser Testi ließ sich von mir einen Anzug geben – das sieht nicht gerade so aus als ob er die Absicht gehabt hätte, sich freiwillig zu stellen.«

Doktor Zafari blickte unschlüssig vor sich hin; dann rief er dem an der Tür wartenden Beamten zu: »Der Mann, der im Vorzimmer wartet, soll kommen!«

Der Polizist blickte betroffen auf seinen Chef. »Dieser Mann«, sagte er zögernd, »ist schon vor einer Stunde fortgegangen.«

Der Präfekt schoß einen wütenden Blick auf seinen Untergebenen. »Und das haben Sie nicht verhindert?«

»Er war doch kein Haftung, Signore, ich glaubte kein Recht zu haben, ihn zurückzuhalten.«

»Der Mann muß gesucht werden – sofort, schnell. Mit allen verfügbaren Mitteln.« Der Präfekt ging mit drohend erhobenen Händen auf den schuldbewußt dastehenden Beamten zu. »Wissen Sie, wen Sie da haben laufen lassen? Einen Ausbrecher, einen Sträfling!« Er rannte wütend im Zimmer umher. »Mann«, schrie er den Verdutzten an, »stehen Sie nicht herum! Rufen Sie den Offizier vom Dienst. Alles ist sofort mobil zu machen!«

»Verzeihung, Herr Präfekt«, Jenkins' ruhige Stimme unterbrach den Erregten. »Ihre Beamten sind ganz schuldlos an dem Vorfall. Ich selbst habe Francesco Testi veranlaßt, fortzugehen!«

Zafari blieb vor dem Detektiv stehen und starrte ihn mit offenem Munde an.

»Es hat auch keinen Zweck«, fuhr der Amerikaner mit großer Gelassenheit fort, »nach Testi zu suchen; Ihre Leute würden ihn nicht finden.«

»Aber vermutlich ist Ihnen der Aufenthalt Ihres Schützlings bekannt?« fragte der Präfekt im ironischen Ton.

»Gewiß.«

»Und darf man vielleicht erfahren ...?«

»Selbstverständlich. Signor Testi befindet sich auf exterritorialem Boden. Er hat sich unter den Schutz des Botschafters der Vereinigten Staaten gestellt.«

»Mister Jenkins«, die Stimme des Präfekten klang scharf und drohend, »ist das auch mit Ihrem Wissen geschehen?«

Jenkins nickte. »Mehr noch: auf meine Veranlassung.«

»Sie haben einem Staatsgefangenen zur Flucht verholfen, Mister Jenkins, Sie unterbinden die Vollstreckung eines Urteils! Wissen Sie, was das für Sie bedeutet?«

»Signor Testi denkt nicht an Flucht. Er hat mir und Mister Gerrard, dem Botschafter, sein Ehrenwort gegeben, sich den Behörden zur Verfügung zu halten.«

»Das spricht Sie nicht von der Schuld frei, in die Justiz eines fremden Landes unbefugt eingegriffen zu haben.«

»Ich nehme diese Schuld auf mich.«

»Meine weiteren Maßnahmen muß ich mir vorbehalten, Mister Jenkins.«

Der Detektiv zuckte die Achseln. »Ich kann Sie nicht daran hindern, Herr Präfekt. Nur eins möchte ich noch betonen: es liegt mir fern, der italienischen Justiz in den Arm fallen zu wollen. Signor Testi ist aber in der Lage, mir wichtige Anhaltspunkte zur Aufklärung eines Verbrechens zu geben. Eines Verbrechens, das nicht nur an einem einzelnen begangen ist, sondern an der ganzen Menschheit. Höchstwahrscheinlich hängt auch das Urteil gegen Testi mit den Machenschaften der Verbrecher zusammen. Sollte sich aber seine Schuld erweisen und er zu Recht verurteilt sein, so bürgt Ihnen sein Wort und das unseres Botschafters dafür, daß Testi bereit ist, seine Strafe zu verbüßen.«

*


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