Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Dick Tom löste sein Versprochen mit lobenswerter Pünktlichkeit ein, und zum Frühstücktee hatte Peter Florian ein Charakterbild des Kapitäns Okamoto in Händen, das nach der Unterredung mit dem Japaner freilich nicht mehr von großer Bedeutung war. Dennoch las er es aufmerksam.

» Okamoto ist der Abkömmling einer berühmten japanischen Adelsfamilie, ein echter Samurai, und es wurde ihm durch einen englischen Lehrer im elterlichen Haus eine sorgfältige Erziehung zuteil. Bereiste als junger Mann in Begleitung des Professor Yasugi Amerika und Europa. Seine seemännische Bildung ist mehr theoretischer Natur, weshalb er ausschließlich in diplomatischen Angelegenheiten, die nur lose mit der Marine Zusammenhängen, verwendet wird. Man schildert ihn als einen glühenden Patrioten, der von einer glänzenden Zukunft der gelben Rasse träumt. In ihm sind alle Vorzüge und alle Laster seines Volkes vereinigt. In seiner Stellung als Marineattaché in Washington besitzt er das unbeschränkte Vertrauen seiner Regierung, während man anderseits seinen regen Verkehr mit Kommander Duniphan in den führenden Kreisen unserer Flotte nur ungern sah. Admiral Kirk drang bereits des öfteren auf die Abberufung Okamotos, und wie verlautet soll er in wenigen Wochen einen Urlaub antreten, von dem er wahrscheinlich nicht mehr in die Union zurückkehrt.

Dick Tom.«

Schon wollte Florian das Blatt gleichgültig beiseite legen, als er einige auf die Rückseite mit Bleistift hingeworfene Zeilen gewahrte: »Eben mit Torwart der japanischen Botschaft gesprochen. Sagte mir, daß der Kapitän diese Nacht unvermutet abreiste. Abreise scheint endgiltig, da er Nachsendung aller Effekten nach Tokyo anordnete, kalkuliere ich.«

Okamoto abgereist! Oder ohne Beschönigung: Durchgegangen, weggeschlichen wie ein scheuer Verbrecher im Dunkeln!

Leute mit reinem Gewissen fliehen nicht.

In Peter Florian jagte ein Gedanke den andern.

Der Kronzeuge gegen Mac Douglas sauste in Expreßzügen und Eildampfern den fernen Inseln seiner Heimat zu, und man würde ihn nie fassen können! Japan wird ihn schützen – den Abkömmling von Samurais!

Und Douglas, dessen Schuld klar wie der Tag schien?

Mac Douglas war unschuldig! Er war verrückt, nervös, unzurechnungsfähig, so daß nach seinem Gebahren jede gesunde Logik in ihm den Täter vermuten mußte, und der Japaner nährte gewissenlos wider eigenes besseres Wissen den Verdacht gegen den Unglücklichen. Absichtlich und berechnend zieh er einen Schuldlosen des Mordes! Okamoto spielte, um sich selbst rein zu waschen, einem vertrauensseligen Deutschen eine Komödie vor! Florian wütete und drehte in seinem Zorn die Fransen der Tischdecke ab. Für so namenlos dumm hatte ihn der ewig grinsende Gelbe gehalten! Und so dumm war er tatsächlich gewesen! Florians Fäuste drohten, und es gelüstete ihn, den Flüchtigen zu verfolgen und niederzuschlagen. Aber wo ihn finden? Reiste man ihm gegen Westen nach, so dampfte er wahrscheinlich schon im Osten über den Atlantischen Ozean. Auch über Europa führen Wege nach Asien. Eile hatte der Kapitän mit der Heimkehr keine, nur Sorge, eingefangen zu werden.

Mit der mählich wieder einkehrenden nüchternen Überlegung stellte Florian eine Frage an sich und beantwortete sie auch sogleich: »Warum flüchtete Okamoto, nachdem er erst so überaus klug den Strick gedreht hatte, an dem Mac Douglas baumeln sollte?« – »Weil ihm hinterher sehr berechtigte Bedenken aufstiegen!« Er bedachte, daß man ihm den Leutnant gegenüberstellen würde, daß er dann gezwungen war, diesem den Wortlaut der angeblichen Unterredung, die Mac Douglas so schwer belastete, ins Gesicht zu wiederholen, und daß es da wohl leicht geschehen konnte, daß man seinen Betrug durchschaute ...

Ja, die Unterredung, die erdichtete Unterredung, die nie stattgefunden hatte! Oder vielleicht doch? Weil ein Unzurechnungsfähiger, ein Verfolgungswahnsinniger in seiner blöden Narrheit etwas schwatzte und ausgerechnet den wirklichen Mörder anflehte, er solle ihn retten und sich als Täter bekennen! Der Gelbe aber packte die Gelegenheit beim Schopf und belastete einen Schuldlosen, um allerdings nachher einzusehen, daß er das hohe Spiel, das er spielte, auch verlieren könnte! Da empfahl er sich lieber bei Nacht und Nebel. Der Kapitän hatte das Gift eigenhändig in den Wein gemischt und unter der Maske einer heuchlerischen Freundschaft seinem Opfer den tödlichen Trank zugeschickt. Und das Opfer war noch so blöd, den Erhalt mit herzlichen Worten zu bestätigen, die Okamoto abermals dazu benützte, sich von jedem Verdacht zu reinigen.

Und warum tötete Kapitän Okamoto den Kommander Duniphan?

Warum ... Wer durfte sich unterfangen, erraten zu wollen, was die beiden Menschen, die durch Laster und manches andere üble Einverständnis aneinander gekettet waren, wirklich für einander fühlten? Was sie sich gegenseitig Schlechtes wünschten!

Hatte vielleicht der Japaner den gemeinsamen Urlaub dazu ausersehen, den Kommander in einer stillen Gegend aus dem Wege zu räumen? Und dessen Weigerung, mit ihm zu reisen, reifte den Entschluß, sofort zur Tat zu schreiten. Oder war eine Weibergeschichte die Ursache? Eifersucht? Neid? Carmen Pereira ...

Gleichgültig. Die Flucht des Kapitäns zertrümmerte das Gebäude, das er zum Beweise der Schuld des Leutnants errichtet hatte, und verstärkte das alte Mißtrauen gegen ihn selbst zu einwandfreier Bestimmtheit.

Peter Florian bildete sich beinahe ein, sein furchtbarer Verdacht gegen Leslie Mac Douglas sei erst durch die Aussagen des Gelben geweckt worden. Er fühlte sich abgespannt, müde und unfroh, und so entschloß er sich ohne viel Überlegen zu einer kleinen Reise ans Meer. Am Strand, eingewiegt von der urewigen Wellenmelodie der See, würde er sehr bald wieder heiter und arbeitsfroh werden. Ein Reisehandbuch – ein Eisenbahnfahrplan, und die Wahl des Ortes war binnen fünf Minuten erledigt. Um elf Uhr dreißig fuhr der nächste Zug ab. Kleider, Wäsche, Bücher, alles Notwendige flog in den Rohrplattenkoffer, ein Auto wurde telephonisch bestellt, und als Florian aus dem Haustor eilte, stieß er mit einem herausstürmenden Mann in der Uniform amerikanischer Seeoffiziere zusammen. »Verzeihen Sie!« rief er eilig.

»Doktor!« antwortete Mac Douglas, dessen Wangen grauer und hohler denn je waren.

Florian wünschte den Zug zu erreichen und trug kein Verlangen nach einem Zwiegespräch. »Ich bin sehr pressiert, Herr Leutnant!«

»Und nicht einmal ein paar Minuten haben Sie für mich übrig?«

»Eigentlich nein, denn der Expreß wartet nicht, aber wenn Sie zu mir ins Auto steigen wollen, so können wir uns ein bischen miteinander unterhalten.«

Der Marineoffizier war mit einem einzigen Satz seiner langen Beine im Kraftwagen, und so sausten sie zu zweit dahin.

»Eine Frage!« stammelte Mac Douglas flehentlich. »Wie steht es mit Ihren Nachforschungen? Haben Sie eine Spur – die richtige Spur?« Er faltete die Hände wie ein bettelndes Kind. »Um Gotteswillen, antworten Sie, ich ertrage es nicht länger, für einen Mörder gehalten zu werden. Wenn Sie wüßten, mit wie sonderbarem Blick mich die Leute ansehen, wie sie tuschelnd an mir vorüberschleichen und die Stirnen runzeln! Ich bin verfehmt und verurteilt, ehe mir auch nur das Geringste nachgewiesen ist. Ich bin mit meiner Kraft am letzten, und unter diesen Umständen hat das Leben jeden Wert für mich eingebüßt, ich werfe es weg – auf Ehre, ich werfe es weg ...« Seine Hand machte eine Geberde, als schleudere sie angeekelt einen Gegenstand von sich. »Man darf einem Menschen nichts Übermenschliches aufbürden, sonst zerbricht er unter der Last. Bedenken Sie, auch meine Braut ist krank und ich fürchte ...«

Florian fühlte Mitleid mit dem Leutnant: »Lieber Freund, Ihre Nerven sind überreizt, und Sie bilden sich etwas ein, was nur in Ihrer Phantasie besteht. Gönnen Sie sich Erholung, spannen Sie eine Weile aus, und der Spuk, der Sie ängstigt, wird in Nichts zerflattern.«

»Der Spuk! Ja, wäre er ein bloßer Spuk ...« Mac Douglas lachte wie ein Irrer. »In Ihren und in den Augen aller Menschen bin ich der Mörder Archibald Duniphans, dem man aus Gnade, die er wahrscheinlich gar nicht verdient, noch eine Galgenfrist gewährt, bis seine Braut, die ja nichts dafür kann, gestorben ist. Glauben Sie, ich merkte nicht, wie mich Detektivs auf Schritt und Tritt verfolgen! O, warum bin ich zum Unglück geboren? Warum schlägt mir alles fehl! Der tote Duniphan reckt aus dem Grab heraus seine Arme und zieht mich nach, unter die Erde ...« Er barg das Gesicht zwischen den Händen.

Nur getrieben, Trost zu spenden, sagte Doktor Florian: »Gut, wenn Sie meinen Worten so große Bedeutung beimessen – Sie sind gewiß unschuldig, und ich habe den Mörder des Kommanders entdeckt!«

»Wirklich? Wirklich? Ich darf aufatmen und kann den Leuten wieder offen ins Gesicht schauen! Doktor, ich danke Ihnen, danke Ihnen vom Herzen!« Und ehe Florian es hindern konnte, küßte ihn Mac Douglas auf die Wange. Dann sprang der Leutnant mit einem gewagten Satz aus dem Auto.

Schon im Zuge sitzend, den er gerade noch erreicht hatte, schüttelte Peter Florian den Kopf. Er hatte sich überrumpeln lassen, hatte etwas gesagt, wovon er nicht ganz überzeugt war. Mac Douglas unschuldig? Vermutlich, wenigstens möglich, aber man durfte es noch nicht mit unwandelbarer Bestimmtheit behaupten. Und dennoch, auch ohne den Überfall in der Hast der Abfahrt hätte er ihm ganz dasselbe gesagt, weil er sich nicht für berechtigt hielt, einen Menschen zu Tode zu hetzen, bloß weil es trotz Kapitän Okamoto nicht undenkbar war, daß er an den Gesetzen frevelte. Etwa als Werkzeug in der Hand des ungleich klügeren Japaners?

Die Gegend flog am Waggonfenster vorbei, und Florian brannte sich eine Zigarre an. Er hatte sich Urlaub gegeben, und während einer freien Woche wollte er nicht an den Fall Duniphan denken – mehr noch, er wollte sich überhaupt nie mehr damit beschäftigen. Okamoto war fort, und einen Wahnsinnigen anzuklagen, dazu fühlte er keinen Beruf in sich. Und worauf konnte sich auch eine Anklage stützen? Auf Unbestimmtes, Ungewisses.

Durch den Entschluß, von der Angelegenheit zu lassen, die ihn über ein gewöhnliches Maß aufregte, erleichterte er sein Gemüt, aber es gelang ihm vorderhand noch nicht, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Er forschte und grübelte ... Es hatte keinen Zweck, sich noch tiefer in die Sache einzugraben. Der Japaner war unantastbar und flüchtig, den Leutnant, sollte er ebenfalls darein verwickelt sein, zur Rechenschaft zu ziehen, war aus anderen Gründen ausgeschlossen.

Florian sagte sich, er dürfe mit sich zufrieden sein, er hatte das Rätsel bis auf einen unbedeutenden Rest gelöst, und was daran noch ungeklärt war, konnte mit geringer Mühe endgültig geklärt werden – falls sich einer die Mühe nehmen wollte.

Der Kapitän und der Leutnant, beide arbeiteten sie zusammen, und das Ergebnis dieser Arbeit war der Tod des Kommanders.

Der »Fall Duniphan« war also für Doktor Florian abgetan, und er brauchte nur mehr zu überlegen, wie er Eliot und dem Admiral Kirk gegenüber, denen er eine Art Rechenschaft schuldete, seinen Rückzug begründete, ohne sie einzuweihen, was nicht in seiner Absicht lag, und ohne sich selbst als einen, der unfähig an seiner Arbeit verzweifelte, hinzustellen. Nun, in der Woche, die er für seinen Urlaub bestimmte, kam ihm gewiß ein guter Gedanke, der die Geschichte auch in dieser Beziehung befriedigend abschloß.

Noch hatte er zwei Stunden Fahrt vor sich, und so holte er Goethes »Faust« aus der Handtasche heraus, um darin zur Zerstreuung zu blättern. Willkürlich schlug er eine Seite auf und begann zu lesen:

»O glücklich, wer noch hoffen kann,
Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.«

Langsam entglitt das Buch seinen Händen. Er glaubte ja zu wissen, was er brauchte ... Und trieb er nicht dennoch steuerlos durch die Riesenflut des Irrtums, in der die Menschheit vor und nach Goethe immer wieder zu versinken droht ...

 

Das Wetter begünstigte Peter Florian, und er schwelgte in der Ruhe des einsamen Strandes, den die Badegäste in diesem Jahr wegen der allgemeinen kühlen Frühsommerzeit noch mieden. Ihm war das Alleinsein und die herbe Frische gerade recht. Stundenlang lag er in der leichtverschleierten Sonne, vergrub sich im Sand und stieg dann ins prickelnde Meer, weit, weit hinausschwimmend in blaue Endlosigkeiten. Dabei genasen die überanstrengten Nerven. Nie empfand er Langeweile; er schlief seine zwölf Stunden, schaute schönheitstrunken über die zitternde Fläche der See oder las Goethe, Emerson und Shakespeare.

So strich die Woche hin und verstrich.

In Florian hatte sich in den Tagen alles Erlebte gleichsam gesetzt und sein letztes Urteil erheblich verbessert: Er war jetzt überzeugt, daß der Japaner der einzige Schuldige war. Eine Teilnahme des Leutnants an dem Verbrechen schien ihm ganz unwahrscheinlich. Er beabsichtigte, den Polizeileutnant, falls er ihn schon in Washington vorfand, ins Vertrauen zu ziehen und ihm das Ergebnis der Nachforschungen rückhaltlos mitzuteilen. Dem geschwätzigen Admiral hingegen wollte er aus rein praktischen Erwägungen heraus das förmliche Geständnis machen, er habe sich doch geirrt und es bestehe kein Zweifel, daß Duniphan freiwillig aus dem Leben schied.

Zufrieden, gefestigt, Körper und Geist im Gleichgewicht, sagte er dem liebgewordenen Strand Lebewohl und stieg in den Zug.

Eine Anfrage bei der Polizeidirektion ergab, daß Eliot schon seit vier Tagen daheim war. Sofort suchte Florian ihn auf.

Der Polizeileutnant begrüßte ihn herzlich und rührte mit keinem Wort an dem »Fall Duniphan«, der ihn ja nie sonderlich interessiert hatte. Dafür plauderte er vergnügt eine ganze Stunde lang von seiner glücklichen Jagd auf den Bankräuber, der jetzt im sicheren Gewahrsam eines Gefängnisses in San Franzisko saß. Lachend schilderte er die Verfolgung des überaus schlauen Diebes. Neunmal in einer Woche wechselte er die Haarfarbe und siebenmal die Barttracht und narrte die gewiegtesten Detektivs von New- York und Philadelphia. Einmal trippelte er unverfroren durch ein Heer aufgebotener Polizisten als Dame verkleidet, und Eliot gestand schmunzelnd zu, daß es eine recht hübsche Dame war, die der Halunke verkörperte. In Kostümierungen, im Wechsel der Stimme und der Sprache, die bald ans Französische, bald ans Deutsche anklang, obwohl er ein waschechter Amerikaner war, in wohlerwogener Auswahl der Gasthäuser, in denen er einkehrte, leistete er das Erstaunlichste. Nacheinander, streng der jeweiligen Verkleidung angepaßt, sprach der Gauner in den teuersten Hotels, guten Pensionen, mittleren Herbergen und minderen Kneipen vor, seine Häscher täuschend, und doch nützte es ihm schließlich nichts. Da beging er, als er an Bord des »Mikado« stieg und seine Rettung schon gesichert schien, einen groben Fehler. Als Heizer für die Überfahrt geheuert, trottete er gleichmütig an zwei Schutzleuten vorbei, die ihn nicht beachteten, und wurde von Eliot erkannt – an einem Fettfleck auf seiner alten Weste, die er in Chikago getragen hatte, wo sich seiner ein Bahnbeamter nachher auf Grund der Personalbeschreibung erinnerte, weil ihm der einfache, ein wenig schielende Mann (der nach Bedarf auch den Blick verändern konnte!) dadurch aufgefallen war, daß er seine Fahrkarte mit einer neuen Tausenddollarnote bezahlte und dabei eine braune, fleckige Weste trug ... Ansonsten glich der Räuber in San Franzisko äußerlich in keinem einzigen Zug dem Manne, der in Washington die stählerne Kasse der Bank ausgeräumt hatte.

Eliot rühmte unverhohlen die Geschicklichkeit des Kerls und meinte, wenn er seine Strafe abgesehen habe, dann werde er versuchen, ihn für die Geheimpolizei zu gewinnen.

Florian meldete seine Bedenken gegen die Verwendung eines Verbrechers auf Vertrauensposten. Der Polizeileutnant schmunzelte: »Ich tue das mit Vorliebe und mache dabei nur gute Erfahrungen. Was sagen Sie übrigens zu Dick Tom? Hat er Sie zu Ihrer Befriedigung bedient?«

»Klaglos.«

»Und dennoch gehörte er früher zu einer berüchtigten Bande von Falschmünzern, aus der ich ihn mit eigener Lebensgefahr herausangelte und vor Gericht schleppte. Jetzt ist Dick Tom meine rechte Hand und leistet mir durch seine reiche Erfahrung auf dem Gebiet der praktischen Kriminalistik unschätzbare Dienste.«

Nun kam er doch auf den Fall Duniphan zu reden: »Da Sie mit der Unterstützung Dicks zufrieden waren, so darf ich wohl annehmen, daß Sie den Tatbestand, der Ihnen dunkel schien, in erfreulicher Weise aufhellten, nicht wahr?«

»Allerdings.« Und Peter Florian erstattete Bericht – wie er erst den Leutnant Mac Douglas im Verdacht hatte und nach der Überraschung in der »Rebe« den Kapitän Okamoto und dann abermals Mac Douglas, als ihm der Japaner von dem sonderbaren Ansinnen des Offiziers erzählte, und jetzt – zuletzt und logisch unwiderleglich – bezichtigte er Okamoto, dessen heimliche und schleunige Flucht nur die eine Erklärung zulasse, daß er sich durch den Meuchelmord am Kommander belastet fühle und daher rechtzeitig das Weite suchte.

»Sie gingen sehr umsichtig zu Werke«, lobte Eliot. »Da kann natürlich der Erfolg, nicht ausbleiben. Aber was jetzt?«

»Jetzt ziehe ich mich zurück.« Florian legte die Beweggründe für seinen Entschluß dar.

Der Polizeileutnant billigte ihn. »Man würde nur Schlamm aufwühlen und dadurch doch niemandem nützen.« Er überlegte eine Weile. »In Ihrer beneidenswerten Einsamkeit am Meere kümmerten Sie sich selbstverständlich gar nicht weiter um die Sache?«

»Nein.«

»Da lasen Sie wohl auch keine Zeitungen? Das müssen Sie nachholen, lieber Freund. Es ist unglaublich, was die Presse mit ihren phantastischen Ausschmückungen aus meiner Verbrecherhetze durch die Union machte. Ich hätte meine Erlebnisse beinahe nicht wiedererkannt.«

»Statt in Zeitungen vergrub ich mich in den Dünensand und in Goethe, Emerson und Shakespeare.«

Eliot beugte sich vor, und es zuckte um seinen Mund: »Verehrtester, um nochmals auf Duniphan zurückzukommen – hätten Sie auch Mac Douglas für schuldig gehalten, wäre er geflohen wie der Japaner?«

»Wahrscheinlich.«

»Und wenn er, statt zu fliehen, sich getötet hätte?«

»Selbstmord ist in diesem Fall einer Flucht gleichzuachten.«

»Ganz meine Meinung. Und wissen Sie, daß alle unsere Zeitungen und die ganze Stadt seit drei Tagen davon voll sind, daß sich binnen kurzer Frist nun schon der zweite Offizier im Marineministerium selbst entleibte? Vorgestern nämlich erschoß sich der Leutnant Leslie Mac Douglas im Zimmer 38.«

Peter Florian starrte Eliot, der sich an seiner Überraschung weidete, entsetzt an und benötigte Minuten, um sich halbwegs zu sammeln. »Nein, nein«, stammelte er, »das kann nicht wahr sein ... Es läßt sich nicht verstehen, nicht deuten, nicht begreifen ...«

»O doch«, versicherte der Polizeileutnant selbstsicher. »Der Kapitän Okamoto und der Leutnant steckten unter einer Decke, was ja auch Sie einmal vermuteten. Der Japaner vermochte sich zu retten, weil er vermögend und des Schutzes seiner Regierung sicher ist, aber der arme Mac Douglas, der offenbar im Solde des anderen stand, sah sich von seinem Auftraggeber verraten und nach dessen Flucht allein auf sich angewiesen. Da griff er zur Waffe.«

Florian wendete ein: »Ich versicherte ihm doch noch kurz vor meiner Abreise, daß ich ihn für unschuldig hielte und hinter dem wirklichen Mörder her sei!«

»Damals wußte eben Mac Douglas noch nichts von dem Verschwinden seines Komplicen und durfte hoffen, Sie seien irregeführt worden. – Für meine Ansicht sprechen alle Tatsachen: Das Verhalten des Leutnants, das Verhalten des Kapitäns, der seinen Mittäter skrupellos preisgab, die Flucht des einen und der Selbstmord des anderen.«

Da mußte Florian zugeben, daß diese Erklärung eine hohe Wahrscheinlichkeit für sich hatte. Er verabschiedete sich bald und ging von namenlosem Unbehagen erfüllt nach Hause. Hier setzte er sich an seinen Schreibtisch und durchdachte nochmals alles. Nicht leichten Herzens verwarf er dann seine Hypothese von der Alleintäterschaft des Japaners und pflichtete der Ansicht Eliots von der Mitwirkung Mac Douglas' bei. Er war geschlagen, überwunden von dem Polizeileutnant, der vielleicht von allem Anfang an den wahren Sachverhalt geahnt hatte und geduldig zuwartete, bis die Zeit ganz ohne sein Zutun von dem Geheimnis den Schleier lüftete, der sich über den merkwürdigen Todesfall gebreitet hatte.

Es blieb Doktor Florian nichts zu tun übrig, als den Admiral Kirk aufzusuchen, ihm die Wahrheit zu bekennen und ihm alles andere zu überlassen. Das verbrecherische Zusammenwirken eines amerikanischen Offiziers mit einem Spion des Staates, der die Union haßte und von ihr wieder gehaßt wurde, war eine ungeheure Gefahr. Es handelte sich da um ein verzweigtes hochverräterisches Unternehmen gegen die Sicherheit der Vereinigten Staaten, und dem konnte nur dadurch die Spitze abgebrochen werden, daß die maßgebenden Stellen in Washington von dem Bestehen des Komplotts unterrichtet wurden, um Abwehrmaßregeln zu treffen.

 

Der alte Steuermann verweigerte mit in den Boden gerammten Beinen den Zutritt zum Büro Samuel Kirks: »Der Herr Admiral arbeitet und hat sich Störungen strengstens verbeten.«

Durch die grauen Gänge hasteten Offiziere, die erstaunt aufschauten, wie ein Zivilist darauf drang, von dem wunderlichen Kirk empfangen zu werden, und wie Jack den Eingang hartnäckig verteidigte.

Endlich riß Peter Florian die Geduld und er schrie: »Gut, so werde ich dem Herrn Admiral schreiben, daß ich auf seinen Wunsch herkam, und daß Sie es waren, der mich wegwies – daß Sie mich nicht einmal anmeldeten. Er hat mir jederzeit freien Zutritt angeboten. Ich bat ihn darum gewiß nicht. Mein Besuch käme ihm und nicht mir zustatten!«

Mürrisch gab der Alte nach und öffnete die Tür zur Kanzlei des Admirals. Er selbst schlurfte hinter Florian drein.

Samuel Kirk fuhr von der Riesenzeitung, in die er vertieft war, auf und wollte losdonnern, aber sowie er den Besuch erkannte, legte er die Zeitung über die Schreibtischplatte und grüßte freundlich: »Hallo, der junge Deutsche ist da! Welches Vergnügen, welche Ehre! Weiß sie wohl zu würdigen.« Und da der Steuermann sich überflüssig zu schaffen machte, wies er ihn mit gutmütiger Derbheit hinaus: »Scher dich zum Teufel, Alter, hierinnen können wir dich nicht brauchen.«

Florian blickte im Zimmer herum und fand alles unverändert. Nur ein bischen aufgeräumt schien man gelegentlich zu haben, denn es herrschte leidliche Ordnung, und selbst der gewöhnlich mit den unglaublichsten Dingen überlastete Schreibtisch war, abgesehen von der Zeitung, die über dem Tintenfaß und den übrigen Schreibsachen lag, von Kram und Akten freigemacht. »Ich komme«, sagte er, »um mein Versprechen einzulösen, Sie über den Gang meiner Untersuchungen auf dem Laufenden zu erhalten, und bringe Ihnen Nachrichten, die für Sie von höchster Wichtigkeit sind.«

»So, so, bin sehr gespannt auf die neuesten Nachrichten.« Kirk schob die entsetzliche Schifferpfeife zwischen die gelben Zähne. »Haben lange nicht zu mir hergefunden.«

»Erst war ich beschäftigt und hernach unpäßlich, so daß ich mich eine Woche an der Küste herumtrieb. Auch hätte ich Ihnen früher nichts Bestimmtes melden können.«

»Und das können Sie jetzt? Bin begierig, bin sehr begierig – junger Mann, Sie ahnen gar nicht, wie begierig der alte Kirk ist! Ist ja auch nichts Alltägliches, den Mörder eines einzufangen, der gar nicht ermordet wurde.«

Florian fühlte den Spott, aber er wollte ihm mit Tatsachen begegnen, über die er schon verstummen würde! »Ich staune, Herr Admiral, daß Sie auch noch nach dem Tode des Leutnants Mac Douglas und der Flucht des Kapitäns Okamoto zweifeln. Ich vermutete, die beiden Vorfälle würden Ihnen die Augen öffnen.«

Samuel Kirk biß in das Mundstück seiner Pfeife und knurrte.

»Das sind doch zumindest recht auffällige Ereignisse, die in Verbindung mit dem Hinscheiden des Kommanders Duniphan eine ganz eigenartige Bedeutung erhalten.«

Der Admiral sträubte seine Brauen. »Was geht mich der Japs an! Aber um meinen Leutnant trauere ich, weil er ein tüchtiger und fähiger Offizier war. Doch wie das mit dem Selbstmord Duniphans zusammenhängen soll, ist mir schleierhaft. Mac Douglas jedenfalls ist an der dummen Geschichte im Zimmer 39 genau so wenig beteiligt wie Moses an der Entdeckung Amerikas.«

Diese Begriffsstützigkeit setzte Florian in Erstaunen. Deshalb mußte er sich eindeutig ausdrücken: »Ich komme zu Ihnen, um Ihnen die Mörder Duniphans zu nennen. Damit ist die Aufgabe, mit der ich mich selbst betraute, beendet, und es beginnt Ihre Mission, Herr Admiral. Mich interessierte der Fall rein theoretisch, für Sie hat er eine ungemein praktische Bedeutung.«

Samuel Kirk zwinkerte mit den winzigen Blauäuglein, strich sein dichtes, kurzgeschnittenes Haar und zwirbelte den spitzen Kinnbart: » Mörder, sagen Sie? Gleich in der Mehrzahl? Ihr Deutsche seid doch verfluchte Kerle, und euch entwischt keiner! Da ist unser berühmter Eliot, den die Zeitungen preisend in den Himmel heben, ein Waisenknabe dagegen.« Bei der Erwähnung der Zeitungen schlug er gutgelaunt auf das ausgebreitete Blatt auf dem Schreibtisch, das dabei zu Boden glitt und die Tischplatte den Blicken freigab.

Florian, in der Absicht sich zu bücken und die auseinanderflatternden Papiere aufzuheben, hielt mitten in seiner Bewegung inne und starrte auf die Messingschale vor dem Tintenfaß, in der allerlei Gegenstände wirr aufgehäuft waren. Seine Haltung bekam etwas Lauerndes, er gehorchte einer plötzlichen Eingebung und fragte hart: »Sir, warum vergifteten Sie den Kommander Archibald Duniphan?«

»Weil er militärische Geheimnisse an Japan verkaufte.«

Es folgte eine lange, schwüle, unerquickliche Pause.

Bis Samuel Kirk kollernd hervorstieß: »Warum fragten Sie mich nicht schon vor zwei Wochen danach? Ich hätte Ihnen gern die Wahrheit gesagt. Übrigens allerhand Hochachtung, das haben Sie fein gedeichselt. Ich glaubte, Sie wollen mir auf die Nase binden, der Gelbe habe im Verein mit Mac Douglas das Gift gemischt.« Launig, gar nicht wie ein ertappter und erschreckter Mörder, drohte er mit dem Zeigefinger: »Ihr Deutschen habt es faustdick hinter den Ohren und macht dabei, als könntet ihr nicht bis fünf zählen. Habe seit je Achtung vor euch gehabt – aber ich will niemandem meine Meinung aufdrängen.«

Florian war starr. Ein des Meuchelmordes Geständiger witzelte und lachte! War etwa auch Samuel Kirk verrückt wie Leslie Mac Douglas – waren alle in diesem Ministerium verrückt?

Unversehens wurde der Admiral ernst: »Ich merk' es Ihnen an, Doktor, meine Heiterkeit gefällt Ihnen nicht. Und recht haben Sie. Aber ich bin wirklich froh, es entlastet mich, obschon ich ein robustes Gewissen habe, mit einem Menschen, der mich verstehen wird, über ... darüber zu reden ... Mord ist schließlich Mord, und was ich tat, werden die Leute ein Verbrechen nennen, das ich jedoch jederzeit wieder begehen würde, wenn es notwendig wäre. Setzen Sie sich nieder, lieber junger Freund, und hören Sie mich geduldig an, als hätte man Sie als Richter über mich gestellt. Und dann handeln Sie nach Gutdünken ... Der Kommander Duniphan taugte nie viel, und deshalb erwirkte sein Vater, der sich von dem Ortswechsel etwas versprach, daß sein Sprößling zur Botschaft nach Tokyo versetzt wurde. Der alte Duniphan ist ein höllisch reicher und mächtiger Herr, so lange die republikanische Partei Oberwasser hat, und sparte deshalb bei den Wahlen nie mit den Dollars. Wär' das nicht gewesen, den Sohn hätten wir lang schon hinausgeschmissen gehabt. So aber kam er nach Japan, und das gelbe Land mit seinen gelben Bewohnern hat ihn völlig zugrunde gerichtet. Ja, die Japanesen sind für uns noch gefährlicher als die Niggerbande, denn sie sind tausendmal schlauer und bekämpfen uns mit unseren eigenen Waffen. – Kommander Duniphan schloß sich in Tokyo an den Kapitän Okamoto an, und man munkelte bald, er halte die Reservate der Botschaft so dicht wie ein leckes Schiff. Er rauchte Opium, und das setzte ihm arg zu und untergrub die Energie und die Grundfesten seiner Moral, 's ist immer dasselbe! Der Kapitän beutete den Zustand seines sogenannten Freundes aus und preßte aus ihm Geheimnisse heraus wie aus einer Zitrone. Den Schaden hatte die Union. Duniphan wurde endlich abberufen, und daß er auch jetzt noch nicht davongejagt wurde, verdankte er abermals seinem Vater, der mit Roosevelt gesotten und gebraten ist. Sie steckten den Kommander in meine Abteilung, weil ich eine harte Hand für lockere Bürschchen haben soll. Anfangs machte er sich auch ganz passabel, bis auch Kapitän Okamoto hier auftauchte. Die beiden trieben es zum Gotterbarmen, schmissen das Geld zum Fenster hinaus, waren ständige Gäste in den Opiumhöhlen von Washington und hingen aneinander wie die Kletten. Duniphans Schuldenlast schwoll, und der Alte in Pittsburg, dem die Spekulationen auch nicht immer nach Gefallen gerieten, sperrte dem Sohn die Kasse und den Kredit. Aber das strebte der Japaner ja nur an und kriegte dadurch den ewig geldbedürftigen Kommander, der wertvolle Geheimnisse unserer Marine an ihn verschacherte, in seine Krallen. Und Duniphan wußte dank seines Postens im Ministerium Dinge, die schon ihre Million und mehr wert waren, und für die ihm der gelbe Knicker gewiß nur ein paar lumpige Dollars zahlte. Einmal aus der schiefen Ebene, war er dem Kapitän mit Haut und Haar verfallen. Aber lange hatte ich keine festen Beweise für die Spionage, die ich witterte und von deren Vorhandensein ich bombenfest überzeugt war. Deshalb stellte ich dem Kommander Fallen, und er plumpste auch richtig hinein. Unter dem Siegel der Amtsverschwiegenheit vertraute ich ihm an, wir planten den Bau riesiger Tauchboote und überdies die Verlegung unserer Hauptflottenstützpunkte nach dem Westen zum Schutz der Küsten des Großen Ozeans gegen Japan. Das war alles nicht wahr und von mir frei erfunden, aber Duniphan verriet das ›Geheimnis‹ seinem lieben Freund, der es prompt nach Tokyo weitergab, so daß zwei Monate später unser Botschafter von dort meldete, die japanische Regierung habe ihm zu verstehen gegeben, sie sei über unsere künftigen Riesentauchboote und andere feindselige Vorbereitungen wohlunterrichtet. Den Unterricht konnte sie nur von meinem Kommander haben, denn ihm allein teilte ich meine Erfindung mit. Mit diesem erdrückenden Material begab ich mich zu Roosevelt und forderte wenigstens die Entfernung Archibald Duniphans. Der Präsident warf mich beinahe hinaus – er wisse schon, daß ich meinen Untergebenen nicht leiden könne und alles versuche, ihn abzuwimmeln. Ich brauste auf, Roosevelt schimpfte mich einen Querulanten, und ich hieß ihn einen Quatschkopf, der vom Geldbeutel des alten Duniphan abhängig sei. Damit trollte ich mich, und der Kommander blieb mir erhalten. Ich überwachte ihn, und der alte Steuermann überwachte ihn, und ich gab ihm keine Sache von Bedeutung in die Hand, aber ich vermochte es doch nicht zu hindern, daß er da und dort etwas aufschnappte. Und was er wußte, das wußte am nächsten Tag der Gelbe und ein Monat später das japanische Flottenkommando. So stand es, als der Kongreß das neue Schiffsbauprogramm bewilligte, das höchst geheime Einzelheiten enthielt, deren Wert davon abhing, daß sie wenigstens vorderhand den Japanern unbekannt blieben. Ich schlief nächtelang nicht, wegen der furchtbaren Gefahr, die unserer Flotte drohte, falls Duniphan, in dessen Ressort ein gut Teil der Vorarbeiten notwendig fiel, den bisherigen Verrat fortsetzte, und wandte mich wiederum an Roosevelt und einige Staatssekretäre, aber man glaubte mir nicht, höhnte lächelnd mein greisenhaftes Mißtrauen und ließ alles beim alten.« Kirks Gesicht verzerrte sich: »Da hab' ich denn beschlossen, dem Spion eigenhändig das Handwerk zu legen ... Wie das geschah, das haben Sie gleich erraten. Ich holte in seiner Abwesenheit eine der Flaschen Wein, den er während der Amtsstunden zu trinken pflegte, aus seinem Schrank, mischte das Indianergift hinein, verschloß sie wieder und stellte sie auf ihren alten Platz zurück. Da haben Sie das Rätsel gelöst.«

Peter Florian, der unbeweglich zugehört hatte, antwortete mit Überlegung: »Ich begreife Ihr Tun, Herr Admiral, und wahrscheinlich hätte gar mancher Patriot an Ihrer Stelle ebenso gehandelt.«

Kirk nickte: »Daher konnte ich leicht beschwören, daß Leslie Mac Douglas unschuldig sei, und ich konnte mit dem reinsten Gewissen der Welt den Kapitän des Mordes am Kommander bezichtigen, denn ohne seinen dämonischen Einfluß hätte sich Duniphan niemals so weit vergessen, und sein Tod wäre keine Notwendigkeit für die Sicherheit der Union geworden. Das Heil des Staates steht höher als die einfache Moral, die gebietet: Du sollst nicht töten! – Sehr ungelegen war mir das krankhafte Gebaren des Leutnants, der sich einbildete, der erste Verdacht falle auf ihn, weil er mit seinem Kameraden in offener Feindschaft lebte. So benahm er sich, daß jeder Uneingeweihte, besonders Sie, lieber Doktor, gegen ihn mit Mißtrauen erfüllt wurde, und ich sah voraus, daß ich gezwungen sein würde, mich als Täter zu bekennen, um ihn zu entlasten, falls das Gericht auf Ihre Nachforschungen hin gegen ihn Schritte täte.«

Von einem bösen Gedanken geleitet, fragte Florian: »Sie schafften doch nicht auch Mac Douglas aus dem Weg?«

»Was Ihnen nicht einfällt!«

»So verschuldete ich seinen Tod, weil er zur Waffe griff, um sich von meinen Verfolgungen zu befreien, obwohl ich ihn vor meiner Abreise an die See versicherte, von seiner Schuldlosigkeit überzeugt zu sein.«

Bekümmert senkte er den Kopf. Freundlich klopfte ihn der Admiral auf den Rücken: »Nein, da irren Sie gewaltig! Ihr Zuspruch im Auto – er erzählte mir von der Unterredung – beruhigte ihn vollkommen. Er erschoß sich nach dem Begräbnis seiner Braut, die nach langem Leiden starb; er muß sie sehr geliebt haben. Und ihre Krankheit trug wohl auch viel zur Verschlimmerung seines Nervenleidens bei, das ihn zu Tollheiten verleitete – wie zu der Zumutung, die er an Okamoto stellte.«

»Auch das wissen Sie!«

»Mac Douglas beichtete es mir am nächsten Tag, als er das Furchtbare seines Ansinnens, das einem Einbekenntnis des Mordes gleichkam, einsah.«

»Noch eins, Herr Admiral, warum flüchtete der Kapitän?«

»Weil er wohl fürchtete, mit dem Tod des Kommanders würde die Spionageaffäre aufgedeckt werden, und er sich keine Unannehmlichkeiten zuziehen wollte, die zwar nicht mit seiner Bestrafung enden konnten, da seine Zugehörigkeit zur japanischen Botschaft unseren Richtern die Hände band, aber immerhin standen ihm schlimme Stunden bevor. Er wußte, was er vom alten Samuel Kirk zu gewärtigen hatte!«

»Und der Schuft hat zu guter Letzt noch den unglücklichen Mac Douglas verdächtigt!«

»In diesem Punkt tun Sie dem Gelben Unrecht. Er war von der Schuld des Leutnants tatsächlich überzeugt, was nach dessen Besuch bei ihm auch kaum anders sein konnte. Hielt ja sogar der alte Steuermann Mac Douglas für den Täter, und weil er ihn liebte, hatte der dumme Jack die Absicht, sich selbst als Mörder anzugeben, um den Leutnant zu retten!«

»Es ist alles anders, als ich dachte«, sagte Florian kleinlaut.

»Aber jetzt müssen auch Sie mir erklären, Sir, wieso Sie plötzlich die Frage an mich stellten, warum ich den Kommander vergiftet hätte. Sie sprachen doch von Mördern in der Mehrzahl, und ich bin doch trotz meiner Jahre immer nur ein einzelner.«

»Ein glücklicher Zufall, Herr Admiral, hat mich auf die Wahrheit gebracht. Damit Sie alles begreifen, muß ich meine früheren Mitteilungen um ein Stück ergänzen. Ich entdeckte an der vergifteten Flasche, daß sie mit einem anderen als dem ursprünglichen Siegellack verschlossen war, und, als ich Ihnen eben sagen wollte, der Kapitän habe gemeinsam mit dem Leutnant den Kommander getötet, streiften Sie durch eine ungeschickte Handbewegung das Zeitungsblatt vom Tisch herab, und ich erblickte in der Messingschale einen Siegellack – einen bräunlichen Siegellack, gleich dem, mit dem die vergiftete Flasche nachträglich geschlossen worden war. In dem Moment schoß es mir durch den Kopf: Der Admiral selbst hat Duniphan ermordet!«

Samuel Kirks gefaltetes Gesicht zog sich erst in die Länge, hernach in die Breite, und schließlich brach er in ein lärmendes Gelächter aus. Als er sich wieder in der Gewalt hatte, öffnete er die unterste Schreibtischlade, kramte eine Weile darin, legte dann eine bronzebraune, abgeschmolzene Lackstange vor Florian hin und daneben das Stück aus der Messingschale: »Hm, wie denken Sie darüber, lieber Doktor?«

Peter Florian betrachtete beide Stücke: »Sie sind sehr ähnlich in der Farbe, aber auch nur ähnlich ... Das eine hat einen Bronzeglanz.«

»Nein, das andere hat einen Bronzeglanz, nämlich das aus der Lade. Miteinander verglichen, fällt die Verschiedenheit augenblicklich auf. Und ich siegelte die Flasche nicht mit dem Lack, den Sie auf dem Schreibtisch gesehen haben, sondern mit dem aus der Lade. Ich bestellte es aus Neuyork, weil ich hier keins auftreiben konnte, das dem für die Originalsiegelung benützten genügend ähnlich war. Das Neuyorker jedoch konnte ein weniger scharfes Auge leicht täuschen.«

Nun lächelte auch Peter Florian, nur ein bißchen gezwungen: »Da hat mich ein Irrtum aus die richtige Fährte gebracht, hat erreicht, was allem Scharfsinn nicht gelungen war ...«

Der Admiral betrachtet ihn leicht von der Seite: »Also ... jetzt werden Sie zu Gericht laufen und den alten Samuel vor die Geschworenen schleppen – aber damit werden Sie vermutlich kein Glück haben, denn die amerikanischen Geschworenen möchte ich sehen, die den verurteilten, der einen gefährlichen Spion kurzerhand bestrafte. Man kann statt bestrafen auch lynchen sagen, aber ich will niemandem meine Meinung aufdrängen. Ich sage nur, was wahr ist.«

Doktor Florian schüttelte den Kopf: »Wir wollen der Straße lieber nicht das Schauspiel eines des Meuchelmordes angeklagten, wenn hinterher auch freigesprochenen Admirals geben.« Er lachte frei und erleichtert: »Sir, ich erkenne an, daß Sie von Anfang an mit Eliot und dem Beschauer den Sachverhalt durchschauten – der Kommander Archibald Duniphan hat sich selbst vergiftet.«


 << zurück