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IV.

Zugleich mit dem Frühstück brachte das Zimmermädchen zwei Briefe, und da die Rückseite des einen Eliot als Absender bezeichnete, so öffnete er zuerst den Brief des Polizeileutnants. Darin steckte ein Ausschnitt aus der Newyorker »Sun« vom vergangenen Tag, der eine ziemlich umfangreiche Notiz über den Tod des Kommanders enthielt. Es war nicht leicht zu entscheiden, ob der Inhalt von Duniphan sen. beeinflußt worden war oder ob die Zeitung den Fall aus eigenem auszuschroten gedachte, um das Sensationsbedürfnis der Leser zu befriedigen.

Die »Sun« berichtete »aus zuverlässiger Quelle«, daß sich der Kommander Archibald Duniphan in Washington, der einzige Sohn des Mr. Duniphan in Pittsburg, aus unglücklicher Liebe zu einer millionenreichen Spanierin entleibte. Das Blatt schilderte mit überschwenglichen Worten die hervorragenden Eigenschaften des Verstorbenen, der für immer seinen tieftrauernden Angehörigen, zu denen auch der Staatssekretär Mowling zähle, entrissen wurde, und der seinen Freunden sowie der Union, der er besonders bei der Botschaft in Japan jahrelang die wertvollsten Dienste leistete, in unvergänglicher Erinnerung bleiben werde. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, so reich sie auch an edlen und tatkräftigen Persönlichkeiten seien, besäßen keine zweite von den Qualitäten Archibald Duniphans. In einem neuen Absatz äußerte das Blatt seine Empörung über die Herzlosigkeit der »Spanierin«, die noch früh genug einsehen werde, wie unrecht sie handelte, da ihre Weigerung ein Herz zerbrach, dessen sie allerdings kaum wert gewesen war.

Florian vermutete, daß der Zweihundertfünfzig-Dollar-Pastor diesen Nachruf verfaßte, und lächelte über die Sprachlehrerin Carmen Pereira aus Mexiko, über die sagenhafte »Spanierin«, die nach der »Sun« Millionen besaß ...

An den Rand des Zeitungsausschnittes hatte Eliot mit Bleistift gekritzelt: » Ou est la femme? Hier ist sie, falls der ›Sun‹ die Weibsperson nicht frei erfand, was ich sehr wohl für möglich halte. Ich rate Ihnen jedoch, die angedeutete Spur zu verfolgen. Auf eine Enttäuschung mehr oder weniger darf es Ihnen schon nicht mehr ankommen, denn ich bin jetzt mehr denn je überzeugt, daß der Kommander Selbstmord verübte, da ich von seiner gewaltigen Verschuldung erfuhr und außerdem, daß Duniphan sen. in den letzten Monaten so große geschäftliche Verluste erlitt, daß Eingeweihte mit dem Zusammenbruch der Company schon in den nächsten Wochen rechnen. Ferner gilt die Stellung Mowlings als erschüttert. – Meinem lieben Bankräuber bin ich an den Fersen und, so Gott will, ergreife ich ihn, ehe er einen Fuß auf das Schiff setzt, das ihn über den Stillen Ozean entführen soll. Gruß! Eliot.«

Peter Florian legte den Zeitungsausschnitt vor sich hin. Die Tatsachen, die gegen seine Ansicht sprachen, mehrten sich, und er stellte an sich die Frage, ob er nicht besser daran täte, sich zurückzuziehen, falls die Umfrage in der »Rebe« und ein Besuch bei Carmen Pereira keine sehr wichtigen Verdachtsmomente gegen eine bestimmte Person ergeben würden. Gegen den wahnsinnigen Leutnant Mac Douglas wollte er keinesfalls etwas unternehmen. Tat das nicht die berufsmäßige Polizei, er fühlte sich nicht verpflichtet, ihn ans Messer zu liefern. Mochte der geisteskranke Mörder frei ausgehen und allein mit seinem Gewissen fertig werden.

Während dieser kleinmütigen Erwägungen öffnete Doktor Florian den zweiten Brief und entzifferte die krähenfüßige Unterschrift: Samuel Kirk!

Der Admiral schrieb:

Lieber junger Freund!

Mir geht, was ich von Ihnen hörte, nicht aus dem Kopf. Auf keinen Fall will ich etwas unterlassen, was Ihnen behilflich sein könnte, das Rätsel zu lösen. Warum dachte ich nicht gleich daran!!! Ja, ja, mein lieber junger Freund, man wird alt – auch der unverwüstliche Samuel Kirk wird alt und schwachsinnig! Trotzdem habe ich den Mörder entdeckt!! Falls nämlich der Kommander ermordet wurde. Ich habe ihn entdeckt – den Kapitän Okamoto von der japanischen Botschaft. Den Japanern ist alles und mehr als alles zuzutrauen. Okamoto und Duniphan verkehrten miteinander, schon in Tokyo und nachher noch auffälliger in Washington, und ich sah sie nicht zu meinem Vergnügen (da ich die Gelben noch grimmiger verabscheue, als die Schwarzen, welchen beiden ich die Hölle an den Hals fluchen möchte) immer beisammen stecken. Also sollte der zitronengelbe Affe mit den Schlitzaugen nicht versucht haben, aus dem Leichtfertigsten unserer Marineoffiziere Geheimnisse herauszulocken, die sich auf unsere Flotte beziehen und die dem Kommander leider zufolge seiner Stellung bekannt waren???? Zum Spionieren sind ja die Militär- und Marineattachés auf der Welt. Und bezahlen gut!! Und Duniphan hatte niemals Geld. Soll ich Ihnen noch mehr sagen? Daß vor einer Woche Kapitän Okamoto den jetzt toten Kommander im Zimmer 39 aufsuchte und daß sie nach einem heftigen Wortwechsel schieden! Und weshalb zankten sie sich? Vermutlich konnten sie sich über den Preis eines militärischen Verrats nicht einigen. Wie dem auch sei, im Marineministerium werden die Pläne für die neue Flottenvermehrung ausgearbeitet, und diese frühzeitig zu kennen, ist für Japan schon ein paar Millionen Jen wert. Was sagen Sie? – Nun zu etwas anderem. Gestern kehrte Mac Douglas, nachdem er mit Ihnen gespeist hatte, verstört ins Amt zurück und antwortete auf meine Frage, was ihm fehle, Sie hätten ihn im Verdacht, den Mord, an den Sie wie ein Prophet an seine Irrlehre glauben, begangen zu haben. Aber lieber, junger voreiliger Freund! Leslie Mac Douglas dergleichen zuzumuten! Er ist durch und durch ein Ehrenmann – ganz im Gegensatz zu Archibald Duniphan! Ich bürge unbedingt für Mac Douglas!!! Machen Sie ihn nicht noch verrückter durch eine ungerechtfertigte Verfolgung. Fassen Sie den Schuldigen – in der japanischen Botschaft! Dann wird Ihnen kräftig die Hand schütteln

Ihr stets ergebener
Samuel Kirk.«

»Der Fuchs!« murmelte Peter Florian, halb belustigt, halb verärgert. »Woher der plötzliche Eifer? Bin ich auf der richtigen Spur und soll irregeführt werden? – Wäre Samuel Kirk in Europa und benähme er sich so zwiespältig und schwankend, und wäre er nicht ausgerechnet Admiral, man steckte ihn auf der Stelle ein. Ihn und Mac Douglas und den alten Steuermann.« Er lächelte: »Die Wirtsleute in der ›Rebe‹, die Pereira und Okamoto könnte man auch gleich für alle Fälle ein bißchen einsperren. Scheinen durch die Bank Ehrenmänner zu sein! ... Aber zum Kuckuck, ich weiß ja nicht einmal mit Bestimmtheit, ob der schreckliche Duniphan nicht doch das Gift freiwillig schluckte ... Grund dazu hatte er wahrhaftig, davon wenigstens haben mich die verschiedenen Leute schon überzeugt! Die Menschen sind doch die sonderbarsten Geschöpfe in unseres Herrgotts reichhaltigem Tierpark!«

Aber es war höchste Zeit, in der »Rebe« Umschau zu halten! Die auswärtigen Blätter beschäftigten sich bereits mit dem Fall, nun würden auch die Washingtoner Zeitungen nicht mehr lange darüber schweigen und es empfahl sich, mit der Kneipwirtin und der Spanierin zu unterhandeln, so lange sie noch nichts von dem Tode Duniphans wußten. Und Peter Florian zweifelte, ob er nicht schon zu spät daran war.

 

Statt mit der umständlichen Straßenbahn zu fahren, hätte Florian lieber ein Auto genommen, aber er wollte in der »Rebe« nicht auffallen, und so wählte er nicht nur die Elektrische, sondern auch eine mindere Kleidung, in der er recht gut für einen kleinen Beamten oder Geschäftsmann gehalten werden konnte. Die elektrische Tram surrte zuerst durch die innere Stadt und dann hinaus in die Vorstädte, gegen Georgetown hin, und durch die High Street. Menschenmassen eilten, drängten, hasteten. Einfache und abgearbeitete Frauen, die in keinem ihrer schlaffen Züge an überfeinerte Gibsongirls erinnerten. Die Luft gellte von dem grellen Schrei der Ausrufer; Neger boten Ansichtskarten feil, blonde Deutsche handelten mit heißen Würstchen, Chinesen verkauften bunte Farbendruckbilder, Juden im Kaftan Schuhschnüre, Spazierstöcke und Kindertrompeten, Italiener brüllten: »Gipsfigurli! Schöne, weiße Gipsfigurli!«, und ein Inder, kühl und stolz, suchte Abnehmer für Perlenschnüre.

Doktor Florian stieg aus und fragte einen Schuhputzjungen, ob er die Weinstube »Zur Rebe« kenne.

»Yes, Sir, aber es kostet fünf Cents.«

So viel opferte Florian gern, der Bursche bog in eine kleine Seitengasse ein und wies grinsend auf ein Schild in der Ferne.

»Danke, my boy, das war rasch verdient.« Neben einem elenden Trödlergeschäft stand das gut bürgerlich aussehende Restaurant, und der Doktor, der auf eine Winkelkneipe gefaßt gewesen, staunte über das hübsche Gebäude und den gesitteten Eindruck, den es machte. Er trat ein. Ein freundliches Zimmer mutete behaglich an und desgleichen der kleine Speisesaal mit den weißgedeckten Tischen und den Butzenscheiben. Bekkie Smuls, die Besitzerin, hielt offenbar auf Ordnung und Sauberkeit. Augenblicklich war nur eine dicke Kellnerin anwesend, die sich nicht sehr schnell von einem Sessel in einer dunklen Ecke löste, wo sie wohl ein bißchen geschlafen hatte, und den Gast unterdrückt gähnend nach seinen Wünschen fragte.

Der Gast wünschte Floridawein. Ob sie davon mehrere Sorten auf Lager hätten.

»Nein, Floridawein ist Floridawein. Ziehen Sie eine Flasche vor oder ein Glas aus dem Faß?«

»Eine Flasche, wenn ich bitten darf.« Und gespannt wartete er, was sie bringen würde. Nach einer kleinen Weile stellte sie eine leicht verstaubte, grünliche Flasche auf den Tisch, und Peter Florian sah klopfenden Herzens den goldigen Siegellack – dieselbe Siegelung wie bei den Flaschen im Schrank des Kommanders!

Die Kellnerin schlug mit verkehrtem Korkzieher den Lack ab.

Florian hinderte sie daran: »Liebes Fräulein, ich mache das am liebsten selbst. Ich bin ein großer Weinliebhaber und habe diese Marke rühmen hören. Da möchte ich mir nicht das Vergnügen rauben lassen, mir das famose Getränk eigenhändig einzuschenken.«

Er prüfte genau die Siegelung und die Etikette – ja, es stimmte. Es war die Sorte, die sich Duniphan liefern ließ. Er bohrte den Stopsel an, entfernte ihn und goß ein Glas voll: Allerdings, der Kommander verstand sich auf Getränke! Nun galt es mit Vorsicht herauszukriegen, was wissenswert war. »Fräulein!« rief Peter Florian mit süßer Stimme. »Kann man diesen Wein auch in größeren Mengen bekommen? Ich meine zum Beispiel einen ganzen Korb.«

»Ich glaube schon.« Die Kellnerin blieb ungerührt auf ihrem Sessel. »Aber da müssen Sie schon mit Frau Smuls persönlich sprechen.«

»Kann ich das gleich besorgen?«

»Frau Smuls ist ausgegangen.«

»Wann kommt sie wieder?«

»Das weiß ich nicht.«

Florian überreichte der Kellnerin einen halben Dollar. »Ich wohne weit von hier, schönes Fräulein, und finde wahrscheinlich nicht bald wieder Zeit, vorzusprechen. Wäre es nicht doch vielleicht möglich, sofort wegen des Weines abzuschließen?«

Das Trinkgeld wirkte, und das Mädchen erklärte, Fräulein Maud sei allerdings zuhause, und wenn sie den Kellerschlüssel habe, wäre es immerhin möglich. Sie entfernte sich und brachte eine junge Dame, die schlecht zu dem üblen Ruf, in dem die Kneipe bei Dick Tom stand, paßte. Sie war niedlich, besaß eine gewisse Würde und grüßte freundlich.

Um so freundlicher erwiderte Florian den Gruß: »Guten Tag, Fräulein Maud, verzeihen Sie die Störung, aber ...«

Sie ließ ihn nicht ausreden: »Von Störung kann keine Rede sein, Sir. Die Kellnerin sagte mir, Sie wünschten einen Korb Floridawein, stimmt das?«

»Ja, das stimmt. Ich erfuhr von meinem Freund, dem Kommander Duniphan, daß Sie von einem Dutzend an ins Haus liefern.« Jetzt mußte es sich entscheiden, ob die Kunde vom Tod schon bis hierher gedrungen war.

»Da sind Sie freilich nicht ganz richtig informiert, Sir, aber da Sie vom Kommander empfohlen sind, möchte ich nicht ungefällig sein. Ansonsten können wir nur von sechzig Flaschen aufwärts die Zustellung übernehmen. Wir haben leider wenig Personal. Nur er und ein Kapitän Okamoto beziehen ausnahmsweise kleine Körbe. Doch, wie gesagt, es wird sich bewerkstelligen lassen.«

Die Smuls wußten also nichts von dem Vorgefallenen! »Wie danke ich Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit, Fräulein Maud! Ich werde Ihnen meine Adresse aufschreiben und sofort bezahlen. Aber ich hätte noch eine zweite Bitte auf dem Herzen!«

»Nur heraus damit; wenn ich sie erfüllen kann!«

»Ich bin Weinkenner und Weinfreund und wollte Sie ersuchen, mich durch Ihren Keller zu führen, der nach der Florida-Marke zu urteilen, ein wahres Schatzkästlein sein muß.«

Mit graziösem Kopfneigen willigte Maud ein, löste einen Schlüssel vom Schlüsselbund an ihrer Schürze und ließ sich von der dicken Kellnerin ein Lämpchen bringen. Damit schritt sie voran und leuchtete eine steile Treppe hinab.

Aus dem Gewölbe schlug ein betäubender Weindunst herauf, und voll Spannung tappte Peter Florian über die schmale Stiege. Seine Führerin geleitete ihn von Stellage zu Stellage, von Faß, zu Faß, und nannte die Namen der aufgestapelten Vorräte. Es fehlte keine bekannte Sorte aus Amerika und aus Europa.

Zuletzt kamen sie zur Abteilung, wo der Floridawein eingelagert war. Er griff eine Flasche aus der Reihe heraus und hielt sie gegen das Licht des Lämpchens: »Hier ist die Perle Ihres Kellers. Und was mir schon rein äußerlich an ihr gefällt, ist die Aufmachung, die geschmackvolle Etikettierung und der seltsam gefärbte Siegellack!«

Maud lachte hell: »Da hat Mutter wieder einmal recht gehabt! Sie behauptete nämlich, die Herren wollten nicht nur etwas für den Gaumen, sondern die Getränke müßten sich auch dem Auge gefällig zeigen. Deshalb bestellte sie aus Omaha den goldbraunen Siegellack direkt aus der Fabrik.«

Jetzt tat Peter Florian die Frage, auf deren Beantwortung alles ankam: »Benützen Sie ausschließlich goldbraunen Siegellack?«

»O nein.«

Enttäuscht trat er einen Schritt zurück. Der Keller verlor für ihn jede Bedeutung. Also konnte die gewöhnlich braune Siegelung der vergifteten Flasche schon aus der »Rebe« stammen! Die bisherigen Vermutungen zerfielen in Nichts, und statt dessen eröffneten sich neue Aussichten von zweifelhaftem Wert.

Maud aber erklärte: »Für jede Sorte Wein haben wir eine andere Farbe. Das ist sehr praktisch und schließt Verwechslungen aus.«

Florian horchte auf: »So ist also das Goldbraun dem Floridawein allein vorbehalten?«

»Ja, natürlich.«

»Und Sie haben noch andere Lacke in ähnlich brauner Farbe ... so daß Verwechslungen doch noch vorkommen können?«

Das Mädchen vermochte sich sein Interesse für solche Nebensächlichkeiten nicht zu deuten. »Wir haben nur das eine Braun. Es ist, wie gesagt, wegen der Verwechslungen, die sonst unvermeidlich wären, denn das Personal ist oft nachlässig und schaut nicht genau auf die Etikette. Man will aber doch die Gäste gut bedienen!«

Florian forschte eindringlich: »Und Sie nahmen niemals braunen Siegellack, um damit die Flaschen mit Floridawein zu verschließen?« – Er merkte, daß Maud ob der beharrlichen Fragerei, deren Sinn sie nicht begriff, unruhig wurde, und wollte ihr für seine Neugierde eine Erklärung geben: »Ich glaube nämlich, bei einem Bekannten Floridawein aus Ihrem Keller getrunken zu haben, und der war anders gesiegelt.«

»Dann war es eine Nachahmung unserer Aufmachung«, entschied sie bestimmt.

»Das meine ich auch, denn der Wein schmeckte bei weitem nicht so rein wie der Ihre.«

Sie stiegen wieder die Treppe hinauf – Florian mit der sicheren Überzeugung, daß die todbringende Flasche des Kommanders nicht hier, sondern erst später vergiftet worden war. Er erkundigte sich: »Wann schickten Sie doch den letzten Korb an meinen Freund Duniphan?«

»Das werden wir gleich haben.« Maud blätterte in einem abgegriffenen Buch. »Vor drei Wochen, am vierten dieses Monats. Gewöhnlich pflegt Herr Duniphan allwöchentlich einen Korb mit zwölf Flaschen zu erhalten, denn eine größere Anzahl kann er nicht unterbringen.«

Peter Florian stutzte. Die Angabe widersprach der bestimmten Aussage des alten Steuermanns, der versicherte, der Negerjunge sei noch einmal am fünfzehnten des Monats im Ministerium gewesen. Hatte Jack gelogen – mit Absicht gelogen? »Sollten Sie sich nicht irren, liebes Fräulein? Sollte nicht noch nach dem vierten eine Sendung abgegangen sein? Ich frage nur, weil ich allenfalls für meinen Freund eine Bestellung machen möchte, um ihm, da er sehr beschäftigt ist, Mühe zu ersparen.«

Das Mädchen blätterte wieder in dem blauen Buch: »Nein, nein, ich irre mich nicht, es war am vierten. Von der Sorte wurde seither nach auswärts nichts geliefert als ein Korb mit vierundzwanzig Flaschen an den Kapitän Okamoto von der japanischen Botschaft.« Als sie der tiefen Nachdenklichkeit des Gastes gewahr wurde, wollte sie sich besonders gefällig erweisen: »Um jeden Zweifel auszuschließen, denn es könnte schließlich eine Eintragung unterblieben sein, werde ich Napoleon fragen.«

»Napoleon?«

»Napoleon Washington, unseren Laufjungen.«

Der durch die Kellnerin herbeigeholte pockennarbige Negerjunge wurde von Fräulein Smuls angefahren: »Kannst du nicht grüßen, Boy! Aber jetzt sag mir, aber lüg nicht, sonst setzt es etwas, wem du in den vergangenen drei Wochen Körbe mit den bronzebraun gesiegelten Weinflaschen brachtest!«

Der kleine Schwarze, überzeugt, er habe einen großen Unsinn gemacht, den er nun verantworten sollte, zermarterte sein Hirn, zählte irgend etwas an den Fingern ab und gluxte in einem furchtbaren Englisch: »Yes, Miß, daß ich Ihnen genau sage ... am fünfzehnten dem Käpt'n Okamoto.«

»Und sonst niemandem?«

»Yes, yes, dem Kommander mit dem schweren Namen.«

»Duniphan?«

»Yes, yes, Duniphan von den blauen Soldaten.«

Sie erklärte unwirsch: »Von uns aus bist du nicht geschickt worden.«

»No, no«, radebrechte Napoleon. »Wie ich dem Käpt'n den Korb mit den vierundzwanzig Flaschen brachte, sagte er: ›Boy‹, sagte er, ›ich letzte Sendung noch nicht getrunken haben, allons, bringen dem Kommander Duni ... Duni ...«

»Duniphan heißt er, du Schafskopf! Und so trugst du die vierundzwanzig Flaschen ins Ministerium, he?«

»No, no!« Der schwarze Washington schüttelte seinen fettigen Wollkopf. »Käpt'n sagen, vierundzwanzig sind zu viel, dafür der Duni keinen Platz in seinem Kastl haben. Nimm den andern Korb von der Vorwoche, Boy, er sein noch ungetrunken. – Und ich alten Korb mit zwölf Flaschen aufladen und dem Duni bringen ... So sein, Miß, auf schwarzes Ehrenwort!«

Maud jagte den Jungen fort und wandte sich zu Peter Florian: »Also hat der Kommander am fünfzehnten doch noch eine Sendung erhalten, von der ich freilich nichts wissen konnte, und die uns auch nichts angeht. Sie brauchen also nichts für ihn zu bestellen. Er kann das übrigens selbst durch das Telephon besorgen. Nur an den Kapitän Okamoto schicken wir wöchentlich regelmäßig ohne besondere Aufträge abwechselnd zwölf und vierundzwanzig Flaschen.«

Die Zusammenhänge und Beziehungen wurden immer verwickelter und seltsamer. Die Verdachtsgründe gegen eine Person mehrten sich, und das Netz zog sich eng um sie zusammen, um dann plötzlich zu zerreißen, weil eine andere Spur auftauchte, die Beachtung verdiente. Sinnend saß Florian da und nippte seinen Floridawein ... War es nicht merkwürdig, daß Okamoto den Korb, der eine ganze Woche bei ihm gestanden hatte, an den Kommander weitergab? Das machte ihn, wie die Dinge lagen, verdächtig, höchst verdächtig – und kein Staatsanwalt Europas würde zögern, gegen den Kapitän einzuschreiten. Und dadurch wurde zugleich der Leutnant Mac Douglas entlastet, mochten auch psychologische Momente gegen ihn sprechen. Anderseits war es auch nicht recht glaublich, daß Okamoto, ein Angehöriger der geriebensten Rasse aller fünf Weltteile, so plump zu Werke ging. Er mußte ja mit der Möglichkeit rechnen, daß es herauskam, von wem die letzte Weinsendung an den Kommander stammte!

Doktor Florian grübelte und grübelte und fürchtete, der selbstgestellten Aufgabe nicht gewachsen zu sein. In diesen Erwägungen wurde er durch das Erscheinen einer Frau gestört, die sofort seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte: Eine ältere aufgedonnerte Person mit gefärbten Haaren und angestrichenen Wangen, in einem knallroten Kleid, das ihre ausladenden Formen kräftig markierte, und mit einem Riesenhut, dessen Krempen bei jedem Schritt wippten. Ohne sich um den Gast zu kümmern, schrie sie kreischend: »Maud! Maud!« Und als das Mädchen eilig herbeigeschossen kam, sprudelte es von den Scharlachlippen der Mutter: »Maud, was ich erfuhr! Nein, was ich eben erfuhr – nein, entsetzlich, du errätst es nicht, und dabei ist er uns noch hundertfünfundachtzig Dollars sechzig Cents schuldig, die sein Vater nicht bezahlen will.«

Maud, die an derartige Temperamentsausbrüche gewöhnt schien, fragte ungerührt: »Mama, was gibt es denn, hat jemand Konkurs angesagt?«

»Konkurs! Konkurs!« Frau Smuls warf einen forschenden Blick den ersten seit ihrem Eintreten, auf den fremden, einschichtigen Gast und antwortete mit einiger Zurückhaltung: »Der Kommander Duniphan ist tot.«

Die Tochter lachte hell auf: »Wer band dir diesen Bären auf, Mama?«

Beleidigt wehrte die gefärbte Alte ab: »Einen Bären soll man mir aufgebunden haben? Wie kommst da darauf? Duniphan ist tot, mausetot, und unsere hundertfünfundachtzig Dollars sechzig Cents sind beim Teufel! Aber ich werde seinen Vater belangen, bei Gott, ich werde ihm die Hölle heiß machen, und er muß eine arme Witwe schadlos halten. Warum machte er aus seinem Sohn einen Säufer! Ein so steinreicher Mann und weigert sich, die Läpperschuld zu begleichen.«

Maud lachte ohne Unterlaß: »O Mama, man hat dir doch einen Bären aufgebunden! Ich weiß es besser, denn der Herr, der hier an dem Tisch sitzt, sagte mir vor einer halben Stunde, er sei ein Freund des Kommanders, für den er sogar Floridawein bestellen wollte. Da mußte er doch auch etwas davon wissen, wenn Herr Duniphan wirklich gestorben wäre!«

Die Alte wird beiläufig etwas reden haben hören – dachte Florian, und zwang seinem Gesicht eine ehrliche Betrübnis auf: »Ach, mein armer Freund! Ich kann es gar nicht glauben ... Vorgestern noch spielten wir frisch und munter Poker, und jetzt soll er nicht mehr unter den Lebenden weilen ...«

Er hatte sich verrechnet, und die Wirtin legte ihm dies auch rasch und entschieden dar: »Mein Herr, der Kommander Duniphan ist seit drei Tagen tot, und da Tote nicht Poker spielen, logen Sie mich an!«

»Hm«, knurrte der Entlarvte.

Aber Maud, die ihm offenbar freundlich gesinnt war, suchte zu vermitteln: »Der Herr irrt sich wohl nur in der Zeit. Vielleicht ist es schon länger her, daß er mit dem Kommander Poker spielte.«

Aber ihre Mutter zog sie beiseite, fragte, flüsterte und entfernte sich dann mit beweglichen Schritten.

Maud Smuls näherte sich Florian und lispelte, um von der Kellnerin nicht verstanden zu werden: »Ich mußte Mama unser Gespräch wiederholen und ...«

»Und?«

Das Lispeln wurde noch gedämpfter: »... und Mama behauptet, der Kommander sei keines natürlichen Todes gestorben, so daß ...«

»So daß?«

»... Sie in Ihnen einen ... schlechten Menschen vermutet, weil Sie so sonderbare Erkundigungen einzogen, ein Freund des Herrn Duniphan zu sein erklären und nicht einmal wissen, daß er gestorben ist ...«

Florians Schweigen ob seines ungeheuren Staunens über die neueste Wendung, die die Angelegenheit nahm, faßte das Mädchen als stummes Schuldbekenntnis auf, aber bewahrte ihm dennoch einige Sympathien: »Mein Herr, Mama holt einen Schutzmann, der Sie gewiß verhaften wird – aber ich will Sie retten!«

»Liebes Fräulein Maud, glauben Sie an meine Schuld?«

»Pst! Die Kellnerin horcht ... Fragen Sie nicht viel und entfernen Sie sich durch die Hintertür und laufen Sie, was Sie können in die High Street. Sind Sie einmal im Trubel untergetaucht, so ist die erste Gefahr vorüber.«

Er war gerührt: »Sie sind die Herzensgüte selbst, Fräulein Maud, aber ich möchte Ihnen keine Ungelegenheiten bereiten, und so ziehe ich es vor, den Schutzmann hier zu erwarten.«

Achselzuckend setzte sich das gefällige Mädchen an den Nebentisch.

Frau Smuls kehrte mit einem rothaarigen Polizisten zurück und zeigte auf den anrüchigen Gast: »Nehmen Sie den da gleich mit, er hat den Kommander Duniphan umgebracht.«

Der Rothaarige stapfte gravitätisch heran und faßte mit gespreizten Beinen vor Florian Posto: »Kommen Sie mal, mein Lieber, und machen Sie keine Umstände – sie könnten Ihnen teuer zu stehen kommen!«

Aber als Peter Florian in die Brusttasche langte, flüchtete der nicht sehr tapfere Polizeimann in die Ecke zur dicken Kellnerin und brüllte: »Hello! Unterstehen Sie sich nicht, eine Waffe zu ziehen! Ich zerschmettere Sie sonst auf der Stelle!«

Der Doktor beruhigte ihn und schwenkte statt des gefürchteten Revolvers ein ungefährliches Blatt Papier: »Rücken Sie nur an, Sie Held! Ich tue Ihnen nichts. Können Sie lesen?«

»Werd' ich nicht lesen können!« Und angesichts des unschuldigen Papiers, das gewiß nicht geladen war, marschierte der Uniformierte wieder heran. »Was haben Sie denn da?« Mit zwei Fingern ergriff er den dargereichten Paß, der auch noch eine Bestätigung und eine Empfehlung des Polizeipräsidenten von Washington trug. Lange las er Buchstaben für Buchstaben und meinte endlich, bedauernd, keine Amtshandlung vornehmen zu können: »Tut mir leid, der Herr ist selbst von der Polizei.« Und da damit seine Aufgabe erledigt war, schritt er ohne weiteres zur Tür hinaus. Gleich hinter ihm verschwand Frau Smuls. Dafür näherte sich Maud abermals.

»Verzeihen Sie, mein Herr, das Mißverständnis, das Mama und ich sehr bedauern. Aber warum sagten Sie uns nicht ...«

»Schon gut!« schnitt Florian ihr das Wort ab und erkundigte sich nach seiner Schuldigkeit. »Aber den Korb mit zwölf Flaschen schicken Sie mir dessenungeachtet ins Boardinghaus ›Metropole‹. Übrigens werde ich Ihnen nie vergessen, daß Sie mich zu retten beabsichtigten. Doch, gottlob, war es nicht notwendig.«

Eine Viertelstunde später stand er vor einem himmelhohen Zinshaus in der 97. Straße, wo die Sprachlehrerin Carmen Pereira wohnen sollte, und machte sich auf eine ähnlich unerquickliche Szene gefaßt. Der Lift schnellte ihn ins achte Stockwerk, und er schellte an der Tür, deren Namenskarte anzeigte, daß die Gesuchte hier Unterricht an Gentlemen erteilte.

Die Mexikanerin öffnete eigenhändig, und Florian bemühte sich, rasch über die Person, mit der er es zu tun hatte, ins Reine zu kommen. In Carmen Pereiras Adern floß zweifellos neben spanischem auch semitisches und vielleicht sogar Negerblut. Darauf deuteten die großen ovalen Augenausschnitte, die schwarze Regenbogenhaut, der sehr dunkle Teint, die leicht aufgeworfenen, nicht zu schmalen Lippen und das stumpfschwarze Kraushaar, aus dem eine gelbe Masche farbenfreudig flatterte. Die junge Dame war reizvoll, und ihre fremde Schönheit wurde noch durch ein buntes Phantasiekostüm mit einem abgrundtiefen Ausschnitt nicht unabsichtlich unterstrichen. Nur stand die Aufmachung nicht im Einklang mit dem nüchternen Beruf einer strengen Sprachlehrerin. Der Anblick setzte Florian nicht in Erstaunen, er war darauf vorbereitet gewesen, und so sagte er in seinem besten Spanisch: » Buenos dios, Sennoritta. Bin ich hier recht, wenn ich so kühn bin, die berühmte Professorin der spanischen Sprache, die unvergleichliche Donna Carmen Pereira zu suchen?«

Huldvoll lächelnd entgegnete die »Professorin«: »Treten Sie ein, stolzer Caballero, seien Sie mir willkommen! Darf ich einen Landsmann in Ihnen begrüßen?«

»Nicht ganz«, versicherte Peter Florian wahrheitsgetreu und schlüpfte möglichst graziös in ein mit den verschiedensten Dingen angefülltes Zimmer. Unter den Dingen herrschten Kleidungsstücke, die wüst umherlagen, vor. »Leider bin ich nur Nordamerikaner, bedaure aber täglich, nicht an den Ufern des Ebro geboren worden zu sein. Ich liebe Ihre herrliche Muttersprache über alles, doch zu meinem Leidwesen radebreche ich sie nur ...«

»O, Sie sprechen sie meisterhaft!«

»Zu gütig! Erst unter Ihrer bewährten Anleitung hoffe ich zuversichtlich, das hohe Lob aus Ihrem Munde auch tatsächlich zu verdienen.« Um gegen das geübte Augenspiel der Sennoritta nicht allzusehr abzustechen, mühte auch er sich etliche brennende Blicke ab, die jedoch hinter seinen dicken Brillengläsern nicht voll zur Geltung kamen. »Wenn Sie erlauben, schönste der Frauen, so zöge ich es vor, unser Gespräch, bis ich durch Ihre göttliche Hilfe in Ihrer herrlichen Muttersprache den letzten Schliff erlangt haben werde, englisch zu führen.«

Ein gewährendes Nicken erteilte die Erlaubnis. Die Mexikanerin machte für den Gast aus einem Fauteuil dadurch Platz, daß sie ein Mieder und einen lila Unterrock mit grandioser Gebärde auf den Boden warf und mit einem Fußtritt unter das Bett beförderte, auf das sie sich dann malerisch hinsinken ließ.

Doktor Florian rückte mit seinen vorgespiegelten Wünschen heraus: »Vielleicht genügt es vorderhand, täglich eine Stunde zu nehmen, und zwar abwechselnd Grammatik, Konversation und Lektüre. Ich denke bei letzterer an Calderon und Cervantes, an die berühmten Klassiker Ihrer ursprünglichen Heimat, die Ihre Vorfahren wohl zur Zeit des großen Cortez verließen ...«

Carmen Pereira sprudelte in einem ungeheuer raschen und noch viel fehlerhafteren Englisch hervor: »Sie errieten es, verehrtester Herr, daß meine Ahnen zu den Granden Isabellas zählten und schon unter Kolumbus an der in der Weltgeschichte einzig dastehenden Entdeckung Amerikas lebhaftesten Anteil nahmen. Ja, die Pereiras hielten ihr stolzes Blut jederzeit unvermischt, und nur widrige Umstände zwangen mich für ganz kurze Zeit einen Beruf zu ergreifen, der meiner Familie und meiner Abkunft unwürdig genannt werden muß. – Mein Bruder Dom Pedro ist General in der mexikanischen Armee und hat die sichersten Aussichten, bei der nächsten Präsidentenwahl durchzudringen. Und Sie wissen – vom Präsidentenstuhl zum Königsthron ist nur ein kleiner Schritt. Nun aber haben ihn feindliche Intrigen gehässiger Neider gezwungen, zeitweilig das Land seiner zukünftigen Herrlichkeit zu verlassen, aber treue Freunde sind nicht müßig und werden ihm eine glänzende Genugtuung verschaffen. Bis dahin muß ich verdienen ...«

Ein langes Atemschöpfen, das eine elegante Kreuzung der Beine begleitete, ermöglichte es Peter Florian, gelbseidene Strümpfe anzustaunen und auf weniger fernliegende Dinge, als die Granden Isabellas und der künftige Kaiser von Mexiko waren, zurückzukommen: »Nach Calderon und Cervantes ...«

Die Sennoritta war mit dem Atemschöpfen zu Ende: »Gewiß, mein Herr, Calderon und Cervantes – o, wie ich sie liebe! Aber sie dürften für den Anfang zu ermüdend sein, und ich empfehle meinen Schülern ein leichteres Übungsbuch, das seine Zwecke, sprachlich vorzubilden und in die spanische Kultur einzuführen, vollkommen erfüllt. Es ist ein Roman, der die Spannung und damit den Lerneifer wach erhält; Madrados, der unvergleichliche Madrados aus Sevilla hat ihn geschrieben, und er betitelt sich ›Die Liebesschule‹.«

Zu seinem Leidwesen war Peter Florian gezwungen, dem Gespräch allmählich eine andere Wendung zu geben: »Sennoritta, Sie sind die entzückendste Professorin, die je lebte und leben wird. Ihr System verdient, in alle höheren Schulen eingeführt zu werden, und ich bin überzeugt, Sie werden dafür noch Ehrenmitglied der gelehrten Akademie von Madrid, wie Sie ja der allgemein menschlichen Schönheitsakademie bereits durch die äußeren Gaben, die Ihnen die gütige Natur verlieh, angehören.«

Carmen Pereira lächelte verheißender denn je und rollte die schwarzen Augen, was sie in ähnlichen Fällen immer, und immer mit Erfolg, tat.

Klopfenden Herzens, um die Fortentwicklung des bis dahin erfreulichen Zwiegespräches besorgt, sagte jetzt Florian bedeutend leiser: »Der Commander Archibald Duniphan hat mich an Sie gewiesen ...« Er hoffte, mit seiner gewinnenden Art den Boden auch für ein weniger anmutiges Thema vorbereitet zu haben. Aber er täuschte sich.

Die Mexikanerin wälzte sich vom Bett auf den zerschlissenen Teppich, tauchte davon wie eine Löwin im Sprung zu ihrer vollen Höhe auf, öffnete die Augen zu furchtgebietender Größe, ballte die Fäuste und zischte ohne jeden Wohllaut in der Stimme: »Der Schuft, der Lump, der Betrüger, der Verführer, der Trunkenbold hat Sie hergeschickt?«

Vergebens schwor Florian, er sei mit Herrn Duniphan nur flüchtig bekannt.

»Mit solchen Leuten verkehren Sie? Mit solchen Schwindlern, die unerfahrenen Mädchen ihr teuerstes Gut ablisten, ihnen die Ehe versprechen und hernach das Weite suchen, keinen Knopf bezahlen wollen, nicht einmal die Sprachstunden, die man ihnen erteilte, die meine Briefe uneröffnet zurücksenden, meine Besuche beleidigend abweisen, mit der Polizei drohen und vor keinem noch so schändlichen Mittel zurückscheuen? So etwas ist also Ihr Freund? Schämen Sie sich!«

»Nicht mein Freund!« schrie Florian. »Im besten Fall ein oberflächlicher Bekannter, den ich nebenbei in Gesellschaft traf ...«

Die Sennoritta ergänzte das Sündenregister Duniphans: »Sogar Geld wollte er von mir unter der Maske, er sei ja mein Bräutigam, entlehnen, aber der heilige Antonius und die Madonna seien bedankt, daß ich selbst kein Geld habe ... Plötzlich blieb der Schurke aus, schickte meine Briefe mit kränkenden Vermerken zurück, und meine Besuche ...«

Doktor Florian suchte den Groll der Mexikanerin zu besänftigen: »Bitte, beruhigen Sie sich, allerliebste Sennoritta, und bürden Sie die Sünden des, wie Sie mich überzeugten, gewissenlosen Commanders nicht meinen jungfräulichen Schultern auf. Ich gelobe Ihnen an Eidesstatt, den Mann nie mehr zu grüßen und seinen Gruß unter keinen Umständen zu erwidern!«

Der gute Zuspruch mäßigte wenigstens die äußerste Wut Carmen Pereiras, und sie erging sich nur mehr in milderen Verwünschungen: »Oh, ich weiß, die Madonna wird ihn strafen, ich flehe sie darum auf den Knien an, den Ketzer zu verderben – denn der Gauner ist nicht einmal ein Christ, sondern ein Angelikaner – und sie nickte mir vom Altar herab gnädig zu. In der Hölle wird er braten, die Teufel werden ihn spießen und ihn vierteilen, und die Glut wird in alle Ewigkeit sein falsches Herz schmoren, ohne daß er sterben kann.« Carmen Pereira raufte sich mit einiger Vorsicht das Haar, so daß der Grundbau der künstlerischen Frisur und die Einlage nicht verdorben wurden, und schloß die Verfluchung: »Und schon in dieser Welt wird das Schicksal den Halunken ereilen, er wird verelenden und um magere Bissen Brotes betteln – er wird sterben, ja, gewiß, er wird sterben durch die Hand einer Rächerin, die er ins Unglück stürzte und die ihn bestraft, wie er es verdient.« Hoch erhobenen Hauptes, eine Heroine, schmetterte sie die furchtbaren Worte: »Vielleicht hat ihn schon der Strahl der Rache getroffen!« Und mit einem schmelzenden Seufzer sank sie auf den mangelhaften Fußteppich nieder.

Peter Florian erraffte mit einer schleunigen Bewegung seinen Hut, und mit dem eiligen Versprechen: »Ich komme wieder, wenn Sie weniger erregt sind«, flitzte er durch die Tür ins Vorhaus und die acht Treppen hinab, immer über drei Stufen auf einmal, bis er auf der Straße war. Für die Rufe der Mexikanerin, die ihm nachfolgten, war er taub geblieben. Und nun links herum um einen Häuserblock und rechts herum um eine Kirche – und er stellte fest, gerettet zu sein.

Aber sehr viel später erst wagte er, an einem beschatteten Platz sich verschnaufend, die Eindrücke der letzten Stunde zu ordnen.

Carmen Pereira wußte von dem Tod des Commanders, nach ihrem Benehmen zu urteilen, nichts – aber wie waren dann ihre Worte: »Vielleicht hat ihn schon der Strahl der Rache getroffen« aufzufassen? Als Phrase, wie alles, was sie herausbrüllte? War sie an der Vergiftung nicht dennoch irgendwie beteiligt und wußte nur nichts von dem Gelingen des Anschlages? Möglich, doch nicht wahrscheinlich, wenn auch Gift ein spezifisch weibliches Mittel ist.

Er entschloß sich, erst den Anteil des Kapitäns Okamoto an der Sache einwandfrei festzustellen und die Sennoritta vorderhand nicht unter jene Personen einzureihen, die er in sein Innerstes als schwer belastet einkerbte.

Ein telephonischer Anruf Dick Toms führte zu keiner unmittelbaren Verbindung mit ihm, denn der Detektiv arbeitete gerade in Yolk, dessen Bürgermeister mit der Gemeindekasse spurlos verschwunden war und ausgeforscht werden sollte. Immerhin stellte man ihm auf der Polizeidirektion den Besuch Dick Toms für den kommenden Vormittag in Aussicht.


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