Peter Rosegger
Der Höllbart
Peter Rosegger

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Es wird Abend. Der priesterliche Reformer, der entsprungene Sträfling von Mittersill, der Geächtete, der »Ketzer Höllbart« ist am Ziele. – Die Welt ist aus Rand und Band. Sollte irgendwo noch was zu halten sein, so wäre es hier bei den pfadverlustigen Menschen des Waldes. Sanna ist ja bei ihm und eins mit ihm; ihr ist er den Schutz schuldig, ihr will er ein sicheres Dach geben, und wäre es unter Urwaldstämmen, und wäre es auch nur für heute und morgen.

Höllbart bleibt.

Mit einem, der die Diebe und Ehebrecher auf den Birnbaum knüpft, läßt sich ein Pakt wohl schließen. Der Zarb hat die Ansiedlung der »Waldteufel« zu einer Gemeinde gemacht. Freilich eine wilde Gemeinde, und manches Mitglied derselben deckte gerne sieben Nächte über sein Gewissen. – Umsonst ist keiner in die Wildnis gegangen. Und einer braucht den andern, und alle den einen, den Rothaarigen, den Zarb.

Der Zarb ist gar zufrieden, daß sich wie herangeschneit ein Pfarrer findet. Und ein Mann, wie er den »Höllbart« einmal schildern gehört, kühn, unternehmend, redemächtig, starr auf seinem eingeschlagenen Pfad verharrend, ein wenig schlau dabei und doch ein ehrlicher Klotz – so ein Mann wird mit den Wilden im Teufelssteinergebirge etwan noch fertig. Der Zarb ist König, das steht fest wie der Teufelsstein; aber der König muß einen Minister haben, einen Feuermann, der aus dem rohen Metallklotz des königlichen Willens eine Kette weiß zu schmieden, um damit die Untertanen zu einen, zu leiten und zu fesseln.

Der Zarb verbürgt dem Höllbart und seinem Weibe ein Haus, den Lebensbedarf, Schutz und Achtung.

So ist Matthäus Höllbart Pfarrer der Teufelsgemeinde geworden.


Die Tage wurden kürzer und wieder länger, die wilden Kräuter wuchsen und vergingen, der Mond nahm stetig zu und ab über der Wildnis, in Wechsel und Wankelmut wiegte sich alles; aber der Zarb hat sein Wort gehalten.

Höllbart besaß für sich und sein Weib ein Haus. Es war ihm erbaut worden, und die Waldteufel taten groß und nannten es ihren Pfarrhof. Seltsam genug, die Wildfänge und Gotteslästerer waren schier stolz auf dieses Wort. Der Zarb, der ein paar Jährchen früher so wild gekämpft hatte für die Abschaffung der bäuerlichen Untertänigkeit, gebot hier im Wald, dem Pfarrer Robot und Zehent zu liefern. Denn dieser Pfarrer war weder vom Papste, noch vom Staate anerkannt, der mußte freilich ganz von seiner Gemeinde Wohltat leben und zuvörderst an sich selbst ihr gutes Herz erproben lassen. Und siehe, da kamen Weiber mit Wurzeln und Kräutern, Kinder mit Waldfrüchten und Männer mit Wildbret. Und an bestimmten Tagen kamen sie zusammen auf der Wiese vor dem Zarbhaus und hielten Beratungen über verschiedenes, und da stieg Höllbart zuweilen auf den Steinblock und redete.

Er sprach nicht von den Pflichten der Menschen, sondern von ihren Rechten; und das hörten sie lieber und Höllbart dachte, wer die Grenzen seines Rechtes kennt und achtet, der ist sich und seinen Mitmenschen pflichtgetreu. Er predigte nicht von Sünde und Buße, sondern von Herzensfreude und weisem Genusse des Lebens.

Höllbart sprach so schön und mild und warm. Sie hörten ihm gerne zu, anfangs der Neuheit, des Wortes Wohlklang wegen; bald aber erfaßten sie auch der Worte fröhlichen Sinn, und sie freuten sich über dieses Erfassen.

Freilich, ganz war die Wildheit dieser Menschen nicht zu brechen. Einmal, als das Gerücht ging, alle Bewohner der Mürzgegend seien auf, um den entflohenen Höllbart zu fangen, da rotteten sie sich zusammen und wollten die Verfolger ihres Pfarrers erschlagen.

Doch die Häscher kamen nicht in die Wildnis, und Höllbart suchte die Streitlust der Waldteufel gegen auswärtige Feinde zu lenken, die sich drohend den Landesgrenzen näherten.

Mit Sanna feierte Höllbart den mildesten Hausfrieden. Sie genossen inniges Glück, wenn gleichwohl zuweilen an düsteren Herbstabenden, an einsamen sturmschweren Wintertagen ein betrübter Gast durch das Haus schlich: die Sehnsucht, das Heimweh nach zarteren, geist- und herzanregenden Lebenskreisen.

Sanna war manche Stunde mit der Waldjungfrau Hilla zusammen. Hilla war stets voll Glossen und Possen, aber ritterlich dabei. Da sitzen sie an der sonnigen Felswand und flechten aus Binsen – Fensterscheiben für den Winter. Krächzt plötzlich ein Rabe, brummt ein Bär, schallt ein Hilferuf in allernächster Nähe. Sanna fährt auf, da lacht Hilla, daß die Felsen gellen, und mitten aus dem Lachen heraus blökt ein Lämmlein. Bauchreden kann der Schalk.

Ziehen sie durch die Waldungen, um wildes Obst zu sammeln, so ist Hilla der Führer und Beschützer. Zuweilen tut es not, daß sie eine tote Eule oder einen Habicht oder sonst ein Aas mit sich tragen, um die Wölfe zu füttern, wenn sich welche halb flehend, halb drohend an die Frauen wenden.

Mit den Waldteufeln aber ist es mitunter weit schwerer fertig zu werden als mit den Wölfen. Die Waldteufel mögen kein Aas, viel lieber Waldgeherinnen selber. Der Körnlein schon gar, der weicht erst, bis ihm Hilla die Faust in sein gelbes Galgengesicht sausen läßt. Die Faust allein täte den Körnlein noch immer nicht schrecken, aber die Hilla ist die Tochter des Zarb, und der Zarb hat einen alten Holzbirnbaum auf der Wiese stehen.

Sanna und Hilla sind Freundinnen geworden. Die eine hat Kühnheit und Kraft, die andere Zartheit und Seele von der Genossin gewonnen. Sanna hat sich mittelst dieses ihres Gewinnes freier und selbstvertrauter an das Waldland geschlossen. Der Waldjungfrau Hilla ist aus ihrem sich zarter bildenden Gemüte eine andere Frucht entsprossen: die Liebe.

Da war im Waldlande ein junger Wildling, der hatte einen Stahlkopf und ein Goldherz und wurde geheißen Wandolf der Schütz. Das Schießen haben wohl alle verstanden, aber das Treffen? – Wandolf hat all seiner Tage keinen Schuß in die leere Luft getan. – Einmal in einer heiteren Nacht schießt er aus Übermut in den Himmel hinein – und siehe, ein Stern purzelt über das Firmament.

Aber nicht mit der Kugel, mit seinem Augenblitz hat er das Mädchen getroffen. Von derselben Zeit an wollte Hilla kein Schöpshauthöslein mehr tragen.

Tritt der Wandolf eines Tages in des Zarb Haus hinein: »Sabin, ich will deine Tochter freien.«

»Wer fragt mich das?« versetzte der Zarb.

»Wandolf der Schütz, der Knapp aus Zell, der das Wappen des Salm von dem Turm der Wallfahrtskirche hat geschossen, weil das Kreuz hinaufgehört, der aber auch das Kreuz von dem Turm der Wallfahrtskirche hat geschossen, weil es zweibalkig gewesen und des Papstes Zeichen hat bedeutet.«

So des Schützen Wandolfs Worte.

»Nach welchem Wappen wirst du nimmer schießen?« fragt der Zarb.

»Christi Kreuz ist mein Glauben!« sagt darauf Wandolf.

Da versetzt der Zarb:

»So greif zu und sei mein Tochtermann.«

Höllbart war dabei und wunderte sich baß, daß die Lehre des großen Volksfreundes hier so unmittelbar gedeutet wurde.

Als es zur Hochzeit kam, schickte der Zarb den Körnlein aus, um den Festbraten zu holen.

»Der Strohkopf ist kein Strohkopf,« sagte der Zarb zu Höllbart und meinte den Goldhaarigen, »im Ennstale oben versprengt worden, ist er auch zu uns gekommen. Wir können ihn vornehm brauchen. Das Pirschen versteht er wie ein Wolfshund, schriftgelehrt ist er und verschmitzt wie ein Pfaff, aber stehlen tut mir der Sakermenter wie ein Rab'.«

Hätte geistlich werden sollen, hat Körnleins Mutter dazumal gesagt, sei es aber gottlob nicht geworden.

Als die Hochzeit war – viele Waldteufel waren auf der Wiese beisammen und trieben Schabernack – da kam das Körnlein mit einem Korb voll Hühner für ein feines Hochzeitsessen.

»Wo hast sie geholt?« fragt der Zarb.

»Hi, hi,« lacht der Körnlein, »unten auf dem Hausteinerweg ist eine Bäuerin gegangen, hat gar schwer daran getragen. Hab' ihr die Tierlein zur Ehr' unserer schönen Braut abgenommen.« Da zwinkert er mit den Augen.

Aber der Zarb ruft:

»Was sind wir im Wald? Geflügel fällt uns ins Maul, soviel wir mögen. Wozu rauben auf der Straßen? – Feist sind sie; wohlan, so laßt's euch schmecken!«

Und geschmeckt hat der feine Bissen.

»Greift drein, ihr Bären, das ist gewürztes Fleisch!« ruft der Körnlein lustig.

»Du Strolch!« sagt der Zarb. »Hast gegessen? Bist satt?«

»Brautvater, dir bring' ich's!« johlt der Körnlein und fährt auf mit dem Brennwassernapf.

»Du Rabenaas!« schreit der Zarb, »ein Straßenräuber trinkt mir die Gesundheit nimmer.«

Und ein Weilchen nachher hängt der Körnlein auf dem Birnbaum.


Während in der Alpenwildnis der Pfarrer Höllbart gemeinsam mit dem gewaltigen Zarb die struppigen und störrigen Schäflein hütete, ging's draußen in den Weiten heiß her. Der Hochsommer tat es nicht. Neuen Krieg und Aufruhr gab es. Der Martin Luther soll wieder losgekommen sein. Etwa bricht der Höllbart auch hervor mit Macht. Endlich droht er wahrhaftig aufzustehen, der furchtbare Antichrist.

Im Mürztale war allgemeine Wirrnis. Am Fuße des Gölk, wo die Reutung zu Rand geht, stand ein hölzernes Kreuz schier morsch am Fuße und nach links zur Erde geneigt. Der Christus war zerbrochen und hatte keine Hände mehr. Ein Gott ohne schützende Hand, das war kein gutes Vorbedeuten.

Nicht die Ketzer hatten es getan, wie am Frauenbilde im Ennstale, sondern die Zeit, die lange, böse, gottlose Bilderstürmerin Zeit.

Hinter dem Kreuze standen hohe, finstere Schwarztannen. Und da hatte eines Morgens ein Mann aus dem Orte Krieglach gesehen, wie von den Ästen dieser Bäume große Blutstropfen niederhingen. Die Mär verbreitete sich talauf, talab: Beim Gölkkreuze ist es gesehen worden, Blut schwitzen die Bäume. Das bedeutet Arges!

Solches war eine Mär. Aber aus dem Ungarlande her kam eine Kunde, die ein lautes Schreckgewimmer hervorbrachte in allen Gauen. Der Türk' bricht wieder ein!

Ein Wehgeschrei gellt durch das Land. Zum Erzherzog Ferdinand dringt der Ruf; Ferdinand hält die Ohren zu. Was kann er tun? Sein Kriegsheer ist zerfallen; seine Schatzkammer ist leer. – »Und der blutgierige, wütende, unser und unseres heiligen christlichen Glaubens Erbfeind, die Türken, welche viel christliche Länder, Städte und Festungen unter ihre Gewalt gebracht und so viel christlich Volk, das nicht zu zählen ist, totgeschlagen, gefänglich weggeführt, schändlich mißbraucht und in ihre Dienstbarkeit gezwungen haben – sie wälzen sich wieder heran in unzähligen Scharen.«

Die Landstände ruft der Erzherzog. Die Landstände wissen Rat; es ist noch Mark im Lande Steiermark. Zwar ist das Volk am Bettelstab, der Adel ist arg geschwächt, aber die Kirche muß retten. Die Kirche hat große Güter im Lande, die Klöster haben gefüllte Schatzkammern. Religion und Kirche sind jetzo wahrhaft in Gefahr, so möge die Kirche zur Verteidigung und zum Schutz ihr Scherflein geben.

Den vierten Teil der geistlichen Güter verlangt ein Manifest des Erzherzogs, nachdem er »sein eigen Vermögen dargestreckt. Allein das reicht gegen die große Macht der Türken nicht aus, auch mögen unsere Länder und Leute die Last wie bisher nicht länger ertragen. Man ist also bedacht, nachdem die Gefahr am meisten unseren heiligen christlichen Glauben betrifft, lieber einen Teil der Güter und Gülden der Gotteshäuser und Klöster zur Rettung unseres heiligen christlichen Glaubens und zur Erhaltung des übrigen Teiles derselben anzugreifen und zum Widerstande gegen die Türken zu gebrauchen, als zuzulassen, daß der Türk' nicht nur die Gotteshäuser und Klöster und deren Güter in seine Gewalt bringe, sondern auch die christlichen Leute totschlage und von dem heiligen Glauben bringe.«

Dieses Schriftstück entfachte den Seelensturm im Lande von einer neuen Seite.

»Die rechtmäßigen Kirchengüter sollen verschachert werden?« rief der geistliche Herr von Spital bei einem Konzilium in der Neuperger Abtei, »also kein anderes Geld mehr im Land? Die Kirchengüter rauben und damit die Heiden schlagen wollen, ha, ha, das ist jetzo neuer christlicher Landesbrauch. O, der Erzherzog rechnet hinter des Wirtes Rücken, und er verrechnet sich. Soll die Kirche schon geplündert werden, so ist's besser, der Heide tut's, denn der Christ!«

Und sie vereinigten sich: »Der Ferdinand mag zehn solche Befehle stellen, wir geben nichts. Kommt es auf der Kirche Gut an, so mögen die Türkenhunde dreinfahren und die ganze erzherzogliche Bettelwirtschaft verschlingen. Der Herr wird das Seine zu schützen wissen!«

Der landesfürstliche Erlaß scheiterte an dem ehernen Sinn der Geistlichkeit.

Verlegte sich Ferdinand im Angesichte der schrecklichen Gefahr dann aufs Bitten: die ehrwürdigen Stifte und Klöster möchten doch fürs wenigste eine Anzahl Krieger stellen und besolden.

Was? Als Söldnerknechte will er die Priester einhertreiben gegen die heidnischen Bestien?

Der Klerus verweigerte alles und blieb bei dem Wahlspruch: Gott wird die Seinen zu schützen wissen. So tapfer und opferwillig die Geistlichkeit in früheren Jahren gegen den Feind der Christenheit gestritten hatte, so war sie jetzt im Drange des hereinbrechenden Luthertums wie verwirrt und verkehrt. Der Kampf um das Dogma hatte sie verbittert und verhärtet.

Die Leute waren unstet und planlos. Der Bauer wollte nicht ackern und säen; in den Werkstätten wurden Kriegsgeräte erzeugt. Auf der Heeresstraße stockten die Fuhrwerke. Kriegsknechte zogen zu einzeln oder in Haufen. Das waren zumeist verwahrloste Kerle, voll Lumpen von außen, voll Hunger von innen. Die Leute schlossen die Türen vor ihrer Nase zu. War das ein Kriegsheer! Das sollte nun gegen die Türken ziehen und war ganz mittel- und mutlos. Es sind auch gar zu herbe Erfahrungen gemacht worden. Väter und Großväter hatten vom Türken erzählt und stets beigesetzt: »Tut nur beten, Kinder! Die Städte hat er niedergebrannt, viele tausend Personen hat er davongeschleppt. Und wenn er wiederum kommt, dann helf' uns Gott!«

So haben zahlreiche Sagen von älteren Türken-Einfällen und die Erinnerungen an neuere Niederlagen die Gemüter entmutigt.

Sehr langsam und stockend bewegte sich der Strom der Krieger gegen den Semmering.

Bauern gruben zur Nachtzeit unter alten Bäumen in tiefen Felsschluchten ihr klein erspart' Scherflein oder ihre Hausgerätschaften ein. Nur die Beile und Holzäxte wurden nicht verscharrt, sondern geschärft am Schleifstein.

Und die Geistlichkeit, ei, die tat wohl auch das Ihre. Zuvörderst wurde der Preis des Meßopfers und des vollkommenen Ablasses herabgesetzt; auch die ärmsten Leute sollten der Gnadenmittel teilhaftig werden können, um gestärkt und gesegnet dem Feinde die Stirne zu bieten oder ihm wenigstens glücklich zu entkommen.

Pater Jonas war längst nicht mehr in der Gegend gesehen worden. Eine Weile in der Neuperger Abtei hatte er sich aufgehalten, und als der Türkenlärm nahte, da ging er, um sich und seine Blechbüchse wohl zu bergen, in einen stillen Winkel der hinteren Mürz. In dieselbe Gegend der heiligen Natureinsamkeit sind auch die gefüllten eisernen Kisten aus der Abtei gezogen.

Der Pfarrer von Krieglach war nach den seltsamen Vorkommnissen von seiner Stelle abgetreten. Der Gram um das verlorene liebe Kind zehrte an seinem Leben.

Der neue Pfarrer sorgte väterlich für die Gemeinde. Er ließ fürs erste aus Rom mehrere Gebeine heiliger Märtyrer kommen. Er ließ für das hinmodernde Gölkkreuz, bei dem manches Mirakel schon geschehen war, aus fein geglätteten Baumstämmen eine Kapelle bauen.

Und in dieser Kapelle wahrte er ein Kleinod, wie solches vielleicht in der ganzen Welt nicht mehr zu finden war. Durch ein Wunder Gottes war es erhalten geblieben über tausend und fünfhundert Jahre, zum Troste der Gläubigen. Aus fernen Tälern her zogen Wallfahrer, um den Gnadenschatz zu sehen und im Geiste zu empfahen.

In der neuen Kapelle am Gölk, unter einem Eisengitter, in einem grauen, sorgsam verkorkten Fläschchen war der Atem des heiligen Josef. Ob wahr und echt? Danach fragte damals kein Mensch. Ei, doch! Der halbverzagte und grübelnde Gaberfranz tat die Frage. Der Pfarrer hätte darob den Zweifler am liebsten ausgeschlossen von der Gemeinschaft der Gläubigen. Vorläufig aber wies er nur entrüstet auf das päpstliche Siegel, mittelst welchem das Fläschchen verschlossen war. Das hat dem Gaberfranz genügt – er ist aufs Knie gesunken vor dem Gnadenschatz, hat brünstiglich gebetet.

So hatten die Leute doch etwelche Mittel gegen die Türkengefahr. Außerdem wurden Prozessionen gehalten zu Kirchen und Kapellen, die unserer lieben Frauen waren erbaut worden. Es herrschte damals noch der mittelalterliche Frauenkultus, wenn auch nicht mehr in seiner ursprünglichen poesievollen Lieblichkeit wie voreinst, so doch noch in seinem berückenden Prang und Prunk. Die Bienen waren fleißig im Lande – meint der Chronist – allein sie konnten schier nicht genug Wachs aufbringen für Kerzen, die an Frauenaltären verloderten. Manches Gnadenbild, das vielleicht eben ein wenig minder sich der Neigung des Volkes zu erfreuen hatte, mußte schlicht mit Pechlunten vorlieb nehmen. Hinwiederum strahlte manch mit Gold und Seide schwerbeladenes Bildnis in einem völlig wundersam berückenden Kerzenflammenglanz. Und mit solchen Bildnissen hielten sie Umgang an sonnigen Tagen, wie in finsteren Nächten, und Klag- und Bußgesänge schollen und von den Kirchtürmen klang es wie Sturmgeläute.

So haben sie sich gegen den Feind gerüstet.

Es vergingen Wochen um Wochen. Die Straße war leer; es war wieder stiller geworden. Nur von Raubhorden vernahm man zuweilen, die in den Wäldern des Teufelsstein ziehen sollten. Die Türkengefahr, meinte mancher, sei auf die Fürbitte der Mutter Gottes vorüber. Ältere Leute aber sagten: »Helf uns Gott!«


Es war Erntemonat, aber es gab nicht viel zu ernten. Der Türke hatte noch nichts zertreten, doch das Säen war ausgeblieben in dieser Zeit der Wirrsal und der Bittgänge.

Das Pirschhaus im Orte Krieglach stand leer; wildes Bohnengewinde rankte zu den Fenstern hinein. Die junge Linde stand betrübt auf dem Hügel und sie hatte – kaum die Hundstage vorbei – schon fahle Blätter.

Der Gaberfranz ging zuweilen vorüber und blieb vor dem Bäumchen stehen.

»Es sind die Kirschen kaum reif und dieser junge Baum hat schon rote Blätter. Was bedeutet das? Etwan ist der Höllbart, der die Linde hat gepflanzt, umgekommen, und der böse Feind hat ihm den Hals gebrochen?«

Mit dem bösen Feind meinte der Gaberfranz nicht den Türken, sondern den leidigen Teufel selber. –

Der Höllbart war nun aber völlig verschollen.

Von dem Gebirge des Schwab war zu dieser Zeit ein glutäugiger junger Mann niedergestiegen in die Täler und war an die Ufer der Mürz gekommen. Er nannte sich Lindolf. Seine Vorfahren hatten sich länger denn ein Jahrhundert verborgen gehalten in einem Winkel des Gebirges. Aber in Lindolf war nicht der Sinn für ein beschauliches Hirtenleben, sein Hang ging in die Weiten und Breiten, nach großen, weltbewegenden Taten der Menschen. Die Idee von Vaterland und Vaterlandsverteidigung war nicht in ihm. Aber Menschen, denen unrecht geschah, da Feinde einbrachen in ihr Besitztum und nach ihrem Gut und Leben strebten, solche Menschen wollte er schützen; daher kam er niedergestiegen und trug in seinem Gurte jenes Beil, mit welchem er einst die Äste für den Sarg seines Ahnen von den Fichten geschlagen hatte.

Stetig zog Lindolf durch das Tal der Mürz und warb Streiter.

Über den Semmering und von den Waldungen des Alpsteiges her kamen Landstreicher, Zigeunergesindel und allerhand herrenloses Volk mit seltsamen Gebärden und fremden Lauten. Das ist der Kehricht des großen Besens – die Geißel saust näher. Über die Heiden Ungarns fluten die wilden Scharen heran. Ein Gerücht fliegt durch das Tal: Vor Neustadt und Wien wallt der Roßschweif; auf dem Stefansturme prangt der Halbmond.

Leute auf hohen Bergen hören an stillen Abenden von Aufgang her ein Donnern und dumpfes Pochen, wie von schweren Geschützen. Und einmal liegt durch die ganze Nacht ein mattroter Wolkenstreifen über den fernen Ebenen von Neustadt.

Rasender Schrecken im Lande. In den Schlössern und Flecken flutet neu das Leben auf. Kinder und Kranke werden davongeschafft; Herden werden aus den Pfrängern gejagt, als stünde alles in Flammen. Und wahrhaftig viele wollen den Brand schleudern in ihr eigenes Gehöfte. Der Kaplan von Hohenwang sprengt auf einem Rappen durch das Tal und ruft zum Landsturm auf, was stehen und ringen kann. Er selbst trägt ein Schußgewehr und eine breite, blinkende Scheiterspalte auf der Achsel. Mancher will dem Priester die Hände küssen. Mancher kniet betend vor dem Waldkreuze. »Freund!« ruft ihm der brave Mann zu, »jetzt ist keine Zeit zum Knien. Brecht die Kreuzpfähle vom Weg und drescht damit die Türkenschädel nieder!«

Ein fliegender Befehl ruft jeden zehnten und fast gleichzeitig jeden fünften Mann zur Wehr. Der Klerus erschließt nun Kirchen und Klöster: nehmt, nehmt den vierten Teil, nehmt alles, was ihr findet, nur rettet! – Wie starren die kahlen Bilder von den Altären so schreckhaft nieder! Wie prunken die goldenen Leuchter und Gefäße und Monstranzen! Aber Waffen! Waffen! – Mit Gold und Silber streitet man jetzt nimmer.

In solcher Wirrnis lodern in einer sternlosen Septembernacht auf den Bergeshöhen die Lärmfeuer. Der Feind ist ins Land gebrochen. Kreuthschüsse hallen durch das Tal, durch die Engen der Mur hinab gen Glätz.

Auf den Zacken der Kamp, auf der Spitze des Königskogels, auf dem Gölk, auf dem Wartberge steigen die Feuersäulen empor – weithin die Not verkündend. Aber der Türke ist andere Nachtlichter gewohnt, das zeigt der blutige Schein, der breit und hoch im Gewölke des Himmels leckt.


Im Tale der Mürz stehen die Dörfer leer. Wer sich nicht zum verzweifelten Widerstande gerüstet und gerottet, der ist auf der Flucht in die Wälder und Einöden. Mancher hat vor seiner Flucht noch Kalk, Stroh und Tannenzapfen in den Fluß geworfen, um durch dieses Zeichen den unteren Gegenden die Gefahr zu künden.

Auf dem Gölk im Dickicht ist ein wunderlich Lager aufgeschlagen, ein Lager voll ächzender Kinder, weinender Weiber und betender, fluchender Männer. Einer oder der andere starrt hinab in das Tal. Ein einzig Lichtlein flimmert noch im Orte Krieglach. Das ewige Licht in der Kirche ist es nicht, das ist verloschen. Wer denn ist der Tollkühne, der daheim die bösen Gäste erwartet? – Ei, der flieht nimmer. In der Totenkammer liegt er, und noch ist das Öl nicht alle, das ihm die Fliehenden in die Lampe haben gegossen. Der Mann ist gestorben aus Gram um ein verlorenes Kind; – er ist seiner Tage Priester gewesen – der alte Pfarrer von Krieglach.

So wie die Lagernden auf dem Gölk heute, so haben vor Tagen zwei Menschen hinabgeblickt in das Tal und auf den friedlichen Ort. Ach, die Zeiten sind stürmisch, jeder Tag schlägt andere Wellen, und die Hochflut rast dahin – und an den vertriebenen Mathes hat heute kein Mensch mehr gedacht.

Es wird Morgen, ein schöner, taufunkelnder Morgen. Die Vöglein jauchzen auf den Wipfeln, aber die Leute deuten den Frohgesang für Klage- und Hilfegeschrei. Darum geht heute noch die Sage, die Schwalben hätten laut geweint an demselbigen Tage und seien davongezogen, und da hätten die Leute gesagt: »Jetzt ist's vorbei mit dem Leben, jetzt sind auch die Vöglein davon, die das Glück bedeuten!«

Da, der Morgen ist hell geworden, biegen die Flüchtlinge das Geäst auseinander und blicken hinab. Was sie nun sehen, sie erschrecken nimmer davor, sie sind darauf gefaßt gewesen.

Die Straße unten ist nicht mehr weiß und grau, sie ist braun, rot, blau, wogt und schillert lebendig in allen Farben. Ein seltsames Klingeln und Schrillen und Pfeifen dringt herauf und zuweilen ein scharfer Schrei, wie ihn so gellend und durchdringend keines Älplers Kehle vermag auszustoßen.

Um den Ort Krieglach schwärmt es wie eine aufgestöberte Ameisenbrut, und aus allen Schornsteinen steigt Rauch auf. Von Stunde zu Stunde wächst das Dorf, bunte Zelte steigen wie aus der Erde hervor, und auf den Gipfeln derselben flattert der Roßschweif, funkelt der Halbmond.

Im Tale der Mürz herrscht der Türke.

Nimmer zu beschreiben sind die greulichen Scharen, die außer dem Bereiche des vor Wien aufgeschlagenen Hauptlagers, nun ihre eigenen Herren, im Gebirge zuchtlos walten, tierisch wüten. Die Mongolen mit den gelben Gesichtern und den großen Backenknochen, die Tataren mit den lüsternen Glotzaugen, »emporgestiegen aus dem nächtigen Tartaros«, die bärhaarigen Jakuten, die halbnackten Baschkiren, verschiedene Sprachen grunzend und schnaufend, sich gegenseitig selbst kaum verstehend. Die weißmänteligen Janitscharen haben es vergessen, daß sie Christenkinder gewesen, sind so wild wie die anderen.

Welch ein Geheul, welch ein Blasen und Trommeln und Scheibenschrillen, und welch ein seltsames Tanzen und Springen! Herren im Lande sein! Ei, das wissen gar die wiehernden Rosse, die blökenden Kameele. Das entfacht den Übermut, und der eine sticht mit dem langen Speer des Kameraden blutroten Turban vom Haupte. Etwan gibt es eine Brust zu durchbohren, die sich trotzig entgegenstellt, oder es ist mit dem Krummsäbel ein blondlockig Haupt abzuschlagen unter den Kindern des Landes.

Pfeile schwirren in der Luft wie Heuschrecken zur Erntezeit. Und durch all das hin huschen braunkittelige Derwische und verkünden Gebetstunden und rufen den Allah an.

»In Gottes Namen« ist all das Schreckliche geschehen hüben und drüben.

Reiter sprengen in kreuz und krumm, sprengen gegen vereinzelte Gehöfte, sprengen gegen die Schluchten von Hohenwang hinan.

Finster und trotzig steht die Burg auf dem Berge. Keine Fenstertafel glitzert, kein Fähnlein wallt. Still und leblos ragt die Feste. Ein Häuflein Rotmäntel klettert den Berg hinan, klettert katzenhaft behendig den altersgrauen Wall empor; da bricht das Wetter los. Steine hageln, qualmende Ströme von Pech regnet es nieder, dumpf und derb donnern die Flüche der wackeren Ritter und Knappen. Die Anstürmer purzeln, kollern in den Burggraben oder fliehen den Berg hinab und mischen sich unter die Scharen.

O, der alten Burg soll es nicht geschenkt sein. Mit den braunen, blutkrustigen Fäusten drohen sie, die schneeweißen Zähne fletschen sie der Feste empor: »Dir wird nimmer der Mond voll!«

Zu jener Zeit ist es nicht aufgeschrieben worden, was unseren Vorfahren geschehen ist. Aber ein Dornenkranz von bösen Sagen ist zu uns herübergekommen.

Sengen und brennen, das tut jeder Feind, wenn es in seine Feldzugspläne paßt; aber Ohren- und Fingerabschneiden, blenden, schinden bei lebendigem Leibe, – das hat nur der Barbar aus dem Morgenlande getan, und die Feder sträubt sich, es zu buchen, was die Voreltern gelitten.

Im Kirchlein am Hauenstein wird die heilige Katharina verehrt. Sie steht mit einem langen Schwerte auf dem Altare. Sie ist eine Patronin gegen Feindesgefahr. So hatte sich – der Sage nach – denn in jenen traurigen Tagen aus dem Tale der Mürz alles in das Hauensteiner Kirchlein geflüchtet, das hinter den Wäldern des Alpsteiges gelegen. Und einmal, während des Bitt- und Bußgottesdienstes sei Sankt Katharina plötzlich nicht mehr auf dem Altare gestanden. Da wäre große Trostlosigkeit gewesen unter den Andächtigen: Jetzt ist auch unsere Schutzpatronin fort, jetzt müssen wir verderben! – Aber als der Priester den Leib des Herrn habe emporgehoben zur Wandlung, da sei die Heilige neu verklärt wieder auf ihrem Platze gestanden und von dem Schwerte sei helles Blut getropft. Zur selben Stunde aber sei der heranziehende Türke durch eine unsichtbare Macht wieder zurückgeworfen worden in das Tal der Mürz.

Uns lehrt die Sage nur, daß der Feind in die Gegend von Hauenstein und der wilden Teufelssteinwälder nicht gekommen ist. Um so länger und gräßlicher haben Solimans Raubhorden an der Mürz gewütet.

Beherztere Flüchtlinge wagten sich endlich wieder hervor aus ihren Verstecken und meinten: Wenn ich flehe, daß ich wieder ruhig wohnen dürfe unter meinem Dache, meiner Kinder, meines kranken Weibes willen, wenn ich beschwöre, daß ich ihnen nichts in den Weg legen, friedsam mit ihnen leben wolle, so werden sie Erbarmen haben. Es sind ja doch auch Menschen.

Aber was für Menschen! klagt ein Chronist, wären es lieber rasende Tiere gewesen, die ihre Opfer sofort in tausend Stücke zerrissen hätten. – Aber die Barbaren legten den Armen eiserne Ringe um den Hals und schleppten sie von dannen. Manches Häuflein wackerer, handfester Männer tat sich zusammen und fuhr mit Äxten und Morgensternen auf Leben und Tod in die fremden Scharen. Sie haben viele der steierischen Erde hingeschleudert; aber Tod oder Gefangenschaft ist ihr endlich Los gewesen. Jeder den eisernen Ring um den Hals, in langen Ketten aneinandergeschmiedet, wurden sie davongeschleift, während die Heimstätten in Flammen loderten.


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