Peter Rosegger
Der Höllbart
Peter Rosegger

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Vor der Bergkirche zu Eisenerz waren Menschenmassen versammelt. Der Kirchenraum konnte die Menge nicht fassen. Der Priester stand auf einer grauen Felswand und predigte dem aufgeregten Volke. Heute predigte er nicht von den Sakramenten und anderen kirchlichen Glaubenslehren, heute hielt er die Hände gefaltet und rief: »Brüder, haltet Friede untereinander; seid gehorsam, Untertan der Obrigkeit. Die Obrigkeit kommt von Gott!«

»O nein!« schrie eine Stimme aus der Menge. »Unsere Obrigkeit kommt vom Teufel; Gott besegnet das Feld, aber unser Edelmann stampft mit seinen Jägerbanden das Korn in die Erden! Gott besegnet die Fruchtkammer, unser Edelmann leert sie aus. Die Obrigkeit tritt uns mit Füßen. Die Obrigkeit ist vom Teufel!«

Tausendstimmiger wild erregter Beifall. Der Priester konnte nicht mehr weiter sprechen; mit Fichtenzapfen wurde er beworfen.

Ein derber eckiger Mann, dessen finsteres Haupt mit den langen scharlachroten Locken über alle Köpfe emporragte, wurde nun jubelnd umringt: »Der ist unser König! Der Sabin lebe!«

Der »rothaarige Sabin« war er genannt, ein verachteter, blutarmer Teufel bis zu den Tagen des Aufruhrs. Da war der Sabin der erste gewesen, der zutiefst bedrückt von den geistlichen und weltlichen Herren das Wort ausstieß: »Niederbrennen die Schlösser und Klöster! Die Ketten brechen! Uns gehört die Welt!«

Der Sabin war's gewesen, der mit viertausend Bauern den Landeshauptmann Dietrichstein bis in das Ennstal verfolgte, vor Schladming ihn umringte, sich vor den Hauptmann hinstellte und ihm die Worte ins Gesicht schleuderte: »Dieser Dietrichsteiner hat uns Brüder am meisten verfolgt, Vertrieben, spießen und mit Rossen auseinanderreißen lassen. Ist einer im Ring herum, der anders weiß? Der trete herfür!«

Es trat keiner herfür.

»So hab' ich meine Klag' genugsam bewiesen und sprech' zu Recht: Er soll gespießt werden! Und welcher der Meinung ist, der recke eine Hand auf!«

Viertausend Hände wurden aufgereckt.

Sie sind aber den heranmarschierenden, ihnen zehnfach überlegenen Söldnern gewichen. Doch nur bis auf weiteres.

Der rothaarig' Sabin war dabei, als auf dem Schladminger Platz ein Dutzend Edelleutköpfe in den Sand kugelten. Der Sabin hatte die Pechfackel geschleudert in das Gebälke des prächtigen Schlosses Teuffenbach. Der Sabin hatte es vor den Zinnen Steinachs gerufen: »Haben sie das Recht, unsere Saaten zu verwüsten, so haben wir das Recht auf den Wald und das Wild! Brauchen wir einen Herrn, so werden wir uns einen machen! Brauchen wir einen Pfaffen, so werden wir uns einen erwählen. Wir Bauern können das Land ernähren, aber wir können es auch verheeren! Wir Bauern sind die Ersten und die Letzten!«

Räuber und Mörder hatte der Salzburger Erzbischof die Rebellen geheißen. »Wohlan!« rief der Sabin, »der Bischof soll seiner Tag ein wahres Wort gesagt haben!«

Der Sabin hatte das Volk der Alpen von Sonnenaufgang und Mittag mit dem Donner seiner Rede zusammengerufen vor die Mauern der Bischofsburg und mit dem Sturme seines Atems gleichsam die Gluten der brennenden Stadt entfacht.

Erst als der gewaltige Salm mit seinen alles niederwerfenden Heeresmassen nahte, floh er zurück in die Heimat.

Das war die Vergangenheit des Mannes, der heute vor der Bergkirche zu Eisenerz den Prediger unterbrochen hatte. Ein kühnerer Recke als dieser Sabin war im Lande Steier nicht geboren worden, und sein wild genialischer Schwung riß die Massen mit sich fort.

So war es kein Wunder, daß die Menge jetzt den alten Priester, welcher eine Obrigkeit gepredigt, die eigentlich des Teufels war, verhöhnte und zuletzt mit Steinen bewarf. Der Prediger wollte fliehen, da stürzten ihm ein paar Bursche nach und warfen ihn johlend nieder.

So trat denn ein noch junger Pilgersmann hervor, um den Greis zu schützen. »Hintan, ihr Buben!« rief er entrüstet. »Ist euch der Priester nicht heilig, so sei es der Mensch, der arme, hilflose Greis. Ehret die Obrigkeit! Das ist eine große Satzung Gottes; aber – ehrt das Alter! Das ist eine noch größere. Nach den Vorschriften der Gebote zu predigen und zu lehren, das ist des Priesters Amt. Ihn steinigen, weil er seine Pflicht erfüllt? Machet nur die Augen auf und seht den alten Mann; er ist arm und verlassen, wie ihr selbander; auch er schmachtet unter dem Drucke geistlicher und weltlicher Oberen, so tief gedrückt, wie ihr selbander! Erbärmliche Kreaturen, die den hilflosen Knecht steinigen, weil sie dessen Herr mit Füßen hat getreten. Einigt euch, ihr Knechte alle, statt Zwiespalt zu stiften; es gibt andere Mittel, die Ketten zu sprengen!«

Sie waren betroffen zurückgewichen, aber der Sabin trat hervor. »Was sagt dieser Mensch? Der predigt euch ja an wie ein Pfaff! Bist etwan auch eine von Gott gesandte Obrigkeit? Wir kennen keinen Herrn als uns selber. Bei uns herrscht die Stimme der Gemeine. Soll ich dir's beweisen? Soll ich abstimmen lassen über deinen Kopf?«

»Abstimmen lassen!« sagte Höllbart, der junge Pilgersmann, mit ruhigem Nachdruck. »Wer bist du, daß du gebieten willst? Wer gab dir Vollmacht? Bestehst du zu Recht nach dem Willen der Gemeinde? Bist du gewählt zum Oberhaupt?«

»Nein!« riefen mehrere Stimmen, »er ist nicht gewählt. Er hat sich vorgedrängt. Er will die Herren erschlagen, um selbst zu herrschen, der Wildling mit den roten Haaren. Nieder der Sabin! Der Fremdling im Pilgermantel soll unser Führer sein!«

Hundert Stimmen riefen es.

»Des bewahre mich Gott!« sagte Höllbart, »ihr seid nicht die treuen Streiter gegen die Knechtschaft; ihr seid ein loser Haufe; euer Gesetz heißt Wankelmut, euer Recht heißt Gewalttat. Gebt acht, ihr schmiedet euch schwerere Ketten, als euere Vorfahren haben geschleppt!«

Ein einziger Beifallsruf erscholl, und der ihn ausgestoßen, das war der Sabin.

Wilde Bewegung gärte in den Menschenmassen. Höllbart, durch Zufall in diesen unheimlichen Kreis verschlagen, hatte Mühe zu entkommen.

Er wanderte, ein Flüchtling stets, gegen die Gebirgsgruppe des Hochschwab.


Es war schon Abend, als Höllbart an den schönen, wald- und felsbegrenzten See kam.

Ein letzte Hütte kauerte hier am Waldhange, die nahm den Wanderer auf. Die einzige Bewohnerin der Hütte war eine alte Frau; diese schnitt sich eben ihre weißen Locken ab, als der Wanderer eintrat. Nun konnte sie ihr Dienstherr nicht mehr an den Haaren zerren, wenn sie ihm aus dem See zu wenig Fische lieferte. Die Locken begrub sie unter grünem Rasen, denn – »in der Nähe wohnt eine Hexe, die hat über jeden Gewalt, von dem sie ein Haar weiß zu kriegen«.

»Wer bist du und wo gehst du hin?« fragte die alte Frau den Pilgersmann. Er aß und trank mit ihr, schlief unter ihrem gastlichen Dach; er blieb neun Stunden in ihrer Hütte, aber er konnte ihr auf obige Frage keine Antwort geben.

Wer bist du und wo gehst du hin? das fragte er sich ja selber hundertmal. Er war ein Flüchtling und ging dem Osten, dem Sonnenaufgang zu. Nach dem Niedergange zieht der Menschheit endloser Strom; nur wenige gibt es, die dem Strome entgegen, einsam dem Aufgange zustreben.

Das Mütterlein erzählte seinem Gaste, es habe einen Sohn, der hätte Priester werden sollen, aber er sei es, gottlob, nicht geworden. Er sei viel verlacht gewesen, denn Gott habe ihm lichtgelbe Haare erschaffen, und so hätten sie ihn fortweg den »Strohschädel« gescholten. Aber er habe Grütze im Kopf und sei ein gar braver Junge, und jetzt sei er oben im Admontischen und helfe wacker mit, den Herrentrotz zu brechen.

Höllbart starrte in die Wand hinein und konnte dem Mütterlein nicht in das Gesicht sehen. Er kannte ja ihren Sohn, den braven Jungen, der war Kirchenschänder und Straßenräuber.

»Hätte geistlich werden sollen,« wiederholte die Alte, »ist es aber, gottlob, nicht geworden.«

Als Höllbart die Fischerhütte verließ, spiegelte sich die morgensonnige Seemauer in der dunklen Wasserfläche. Der Wandersmann, neu erfrischt, schritt rüstig fürbaß. – Ein Pilgersmann, der gen Zell reist, dachten sich die Waldleut', denen er begegnete, und sie grüßten ihn ehrerbietig und empfahlen sich seiner Andacht.

Ein Pilgersmann ist er freilich, aber wo ist sein Zell, sein Gezelt, das heimatlich schützend sich über ihn spannt? Wo ist seine Zelle, in die er den Honig sammelt, so er aus den Blumen und Disteln der Welt gesogen?

Unsteten Sinnes, zuvörderst nur auf Flucht bedacht, zog er durch Schluchten und bewaldete Hochtäler. Immer höher und höher stieg sein Fuß, immer einsamer und stiller wurde die Gegend. Endlich war kein Waldschatten, kein Wildbach mehr; Wacholdergesträuch, Knieholz zog seine bläulich grünen Filze über Lehnen, Mulden und Kuppen. Hier ragte das fahle Gerippe einer abgestorbenen Tanne auf, dort stand ein grauer Fels empor, weithin zogen sich kahle Schuttlehnen, an welchen abgerutschtes Erdreich das Urgestein bloßgelegt hatte. Und die Höhen zogen sich hin und hin, teils Almmatten, teils pflanzenlose Felskuppen mit Schneemulden. Und in den Fernen ragten Spitzen und Kanten und weiße Zinnen mit schier senkrechten Abgründen.

Gegen Morgen und Mittag hin aber lag das weite, weite Waldland, von welchem kaum zu sagen, ob Mensch oder Tier es beherrsche.

Und über all dem lag das ungeheure Meer des Äthers, endlos tief in seiner Höhe, in welcher am sonnigen Tage jeder Blick ertrinkt, der etwa ausfliegt nach einem Gestirn oder nach der goldenen Pforte des Himmelreiches, die dort oben gesucht wurde.

Und in den fernsten Fernen verschwimmt der Himmel und das sanfte Blau des Waldlandes ineinander, und wenn sich daraus in matten Umrissen Wolken erheben, so vermeint das Auge eine neue gigantische Alpenwelt ersteigen zu sehen.

Höllbart stand auf dem hohen Berge und sann. Es war ihm, als stehe er im Urquell des Lichtes und von hier aus flössen das Leben und das Sterben und alle Geschicke nieder zu den Menschen.

Es war ihm, als stehe er in Gott. Und hatten ihn die nächtigen Schluchten der Enns mit Grauen erfüllt, so zitterte nun seine Seele in Zuversicht, Liebe und Begeisterung. Wie schön und rein und treu muß ein Gott sein, der eine solche Welt erschuf!

Die Sonne sank dem Untergange zu; eine scharfe Luft strich über die felsigen Höhen. Wenn dort am weit abliegenden Hange das Rudel Gemsen Steinchen zum Rieseln brachte, so trug die Luft dieses Rieseln treu und klar herüber, als müsse sie in solchen Öden auch den leisesten Schall sorglich wahren und pflegen.

Noch einmal wendete Höllbart sein Auge zurück nach dem wildzerrissenen Berglande der Enns, nach den leuchtenden Schneefeldern des Dachstein, hinter welchen das liebe Salzburgerland liegt. Seine Heimat, wo er Vater und Mutter in die Erde gesenkt, wo er sein Schwesterlein getraut mit dem Herzerwählten, wo er den Landsleuten zu Trost und Frieden das Wort Gottes gepredigt. – Seine Heimat, die ihn verdammt hatte zu ewigen Ketten.

Höllbart stützte sich auf seinen Wanderstab und weinte.

Er blickte nicht mehr zurück; an den östlichen Hängen des Gebirgsstockes stieg er nieder.


Auf den Almweiden der Niederung unter einer Gruppe hoher dichtästiger Fichten stand ein kleines Haus – das einzige weit und breit. Es war gezimmert aus Stämmen, an denen noch die Rinde klebte, und sein flaches Dach war beschwert mit Steinen. Ein kleiner Herdenstall stand daneben, der war ähnlich gebaut.

Es war allmählich die Nacht heraufgestiegen aus dem weiten Osten.

Als Höllbart niederwärts zu diesem Hause kam, drang schon der rote Schein des Herdes aus den Fensterchen und fiel zitternd an die Stämme der Fichten.

Und als Höllbart in das Haus trat und seinen Gruß bot, da dankten sie dafür mit einer traurigen Stimme.

Bei der knisternden Flamme des Herdes war niemand; die wirbelte für sich allein. Mann und Weib und Kind saßen still um ein Lager herum, und auf dieser Stätte ruhte ein Greis, der hatte die Hände über der Brust gefaltet und lag auf einem Kissen, und seine spärlichen lichtweißen Locken wallten über das Kissen nieder.

Der Mann, der neben den anderen bei dem Ruhenden gesessen war, erhob sich nun und ging dem Eintretenden entgegen. Wortlos faßte er ihn an der Hand und leitete ihn gegen den Herd hin.

Am Herde flüsterte er dem Pilgersmann zu: »Wenn Ihr bei uns übernachten wollt, so seid gerne willkommen. Aber frohe Gastlichkeit können wir Euch nicht geben. Es ist gestern der Vater gestorben, morgen soll er in die Erden. So haben wir ihn nur mehr die einzige Nacht im Hause.«

Ein Hafermus setzten sie dem Wandersmanne vor. Dann führte ihn der Hausvater auf den Stallboden und sagte: »Hier schlafet. Das ist mein Bett ansonsten, aber ich bleib' wach. Ich bin jetzunder der Älteste im Haus.«

Höllbart war allein. Er tat die Augen zu. Aber seine Seele sah doch den Mond durch die Dachspalten zucken. Er spann sich auf Mondfäden empor zu Himmelshöhen; ein ewiges Uhrwerk sah er stehen auf dem Grunde der Welt und jedes Gestirn war ein Rad und das tickte und tickte . . .

Er schlug die Augen auf, er wendete sich, er war wach, aber das Ticken hörte er fort und fort. Da erhob er sich und stieg hinab in das Freie.

Taunaß war der Rasen und der Mond stand hoch. Es war Mitternacht.

Auf einer der Fichten saß jemand und hieb Äste herab; das war das Ticken. Die Äste fielen rauschend zu Boden. Höllbart trat ins Haus. Am Herde brannte eine Spanlunte. Um das Lager des Toten saßen sie noch beisammen, wie sie am Abend beisammengesessen waren. Keines sagte ein Wort. Der Hausvater hatte Geäste vor sich, wie es draußen vom Baume fiel; das flocht er ineinander. Zwei halb erwachsene Mädchen blickten den Toten schier unbeweglich an. Das Weib hielt einen schlummernden Säugling auf dem Schoß.

Als Höllbart eingetreten war, stand der Hausvater wieder auf und ging ihm entgegen.

Höllbart sagte, er wolle nicht schlafen, er wolle, wenn sie es erlauben, auch im Hause sein und an der Leiche wachen.

Da führte ihn der Hausvater zu einem Holzstöckel, das zu Häupten des Toten stand, auf daß er dort Platz nehme. Dann nahm er wieder die Äste vor und flocht.

Höllbart konnte sich nicht enthalten leise zu fragen, was aus diesen grünen Fichtenzweigen werden sollte.

Der Hausvater antwortete: »Das wird die Truhen,« und flocht weiter.

Und nachdem wieder eine Weile die Stille gewesen war, als ob des Schläfers Ruhe nicht gestört werden dürfe, legte der Hausvater das Flechtwerk beiseite, ließ die beiden Hände über die Knie hinabhängen und murmelte in den Boden hinein: »So ist es gekommen und so hängen die alten Zeiten zusammen mit dem heutigen Tag.«

Da drängte es Höllbart wieder zu einem Worte, und auf den Toten deutend, sagte er: »Der Mann muß schon alt gewesen sein.«

»Alt?« entgegnete der Hausvater und blickte auf. »Sein Großvater – gar ist er's nicht gewesen, aber so mögen wir ihn alle wohl heißen – der hat das Kreuz auf der Brust getragen und ist mit den Heerscharen ins heilige Land gezogen.«

Höllbart hob sein Haupt.

»Wohl,« fuhr der Mann fort, »der ist Burgknappe gewesen zu Brück. In einer großen Sterb' hat er Weib und Kind verloren; so ist er auf und mit den Kreuzfahrern gezogen. Hat ihn schon gar nichts mehr gefreut, so hätt' er doch zum guten End' sein Blut mögen einsetzen für eine gute Sach' – wenn's eine gute Sach' gewesen ist. Nu, wie der Will'. Nach vielen Tagen ist er wiederum zurückgekommen, abgezehrt bis an die Knochen und in den Lappen seines Kleides hat er ein Knäblein getragen.

»Wir auf der Bergeshöh' mögen uns das nicht so vorstellen, aber grausamlich müssen die Unsern im Morgenland geschlachtet haben. Wie das friedsame Gottesgrab einen Christenmenschen nur so wild machen kann! Gerauft haben sie selbander schon wie die wilden Tier', und die Unsern, die ins Morgenland gefahren, weil sie alldorten die heilige Christuslehr' wollten verbreiten, das Grab wollten befreien, – die haben – ah, 's ist eine wilde Geschichte.«

Der Erzähler hatte unwirsch abgebrochen, und erst nach einer Weile ergriff er wieder das Wort:

»Schaut, und da hat mein Urgroßvater das Schwert gar nach einem Kinde ausgestreckt. Das hat unter einem Zederbaum mit Zweigen gespielt, ist hilflos und leicht wohl verwaist gewesen, hat meinen Urgroßvater lieblich angelächelt. – Lasset die Kleinen zu mir kommen! hat der Mann gesagt, deswillen jetzt der blutige Krieg entbrennt . . . So hat zur selbigen Stund' mein Ahn gedacht, hat das Schwert in die Scheide getan, hat das Kind auf seinen Arm genommen. Nimmer ist er seinen Genossen gefolgt, nimmer hat er gestritten um des Erlösers Grab – da der Herr ja von Toten erstanden, wer soll noch streiten um sein Grab? – Des Kindes Vater und Mutter haben die Christen erschlagen, so hatt' unser Ahn als Christ gedacht: Kind, ich nehme dich und will dein Vater sein. Bist du ein Juden- oder ein Heidenknab', so ist ja der Herr Jesu Christ' auch ein Jud' gewesen.

»Er ist davon. Wie es ihm unterwegs ist ergangen, das soll er niemalen gesagt haben. Das Kind hat er mit in unser Land gebracht, ist aber nicht mehr verblieben als Burgknapp zu Brück. Die große Schmach hat er gesehen, so ist ihm aller Glauben an die Menschheit vergangen. Aber er ist selber so einer gewesen, und das kann er nimmer aus sich herausreißen, da muß ein anderes, ein ganz anderes Leben angefangen werden. Und hat er den Knaben schon zu sich genommen, so will er ein Ordentliches aus ihm machen, ein Besseres, als was er selber ist gewesen. Das soll nicht in Leibeigenschaft sein, das soll nicht sengen und brennen und Menschenbrüder umbringen. Viel lieber in tiefen Einöden sorgen und graben und ein freier Mann sein. – So hat er's vermeint und ist mit dem Kinde heraufgestiegen in dieses Gebirge, das dermalen leicht noch von keinem Menschenfuß ist betreten worden.«

Der Hausvater brach ab und sann. Und dann murmelte er wieder vor sich hin: »So hängen die alten Zeiten zusammen mit dem heutigen Tage.«

Dann fuhr er fort:

»Diese Niederung, die rings wohl eingeburgt ist von Bergen und durch das Schwabengewände vor Wetterstürmen geschützt und auf welcher gutes Weidegelände zu finden – hat der Urgroßvater erkoren. Hier hat er sich aus Steinen und Rinden eine Hütte gebaut, und hier hat er sieben Fichten gepflanzt, auf daß seine Nachkommen die Heimatsstätte erkennen sollten, wäre die Hütte auch längst zerfallen. Das Denkmal hat sich der Ahn gesetzt; er ruht längst unter den Fichten. Der Knabe aus dem Morgenlande ist gediehen, groß gewachsen, hat als Hirt gelebt wie sein Ziehvater und wie seine Stammeltern im Morgenland auch als Hirten haben gelebt. Aus dem grünen Tragöstal hat er sich die Gesponsin genommen, und nach vielen Jahren einer friedsamen Lebenszeit, da sein Sohn schon erwachsen, ist er zur Ruhe gegangen unter die Fichten. Sein Sohn ist alt geworden an die neunzig Jahre, allfort gesund, allfort frohsam, hat dieses Haus gebaut, hat darin Kind und Kindeskinder gesehen, jetzunder ist er gestorben vor zwei Tagen.«

»Die Fichten stehen noch,« setzte der Mann nach einer Weile bei, »und mein Älterer, der Lindolf, schlägt Äste ab. Auch Großvater und Urgroßvater haben einen solchen Sarg gehabt.«

Als Höllbart diese Erzählung gehört hatte, war es ihm, als müsse er reden, vermochte aber kein Wort zu sagen. Er erhob sich und ging hinaus in die kühle Mondnacht. Er kannte nicht, was mit ihm war. – So oft, wenn er am Altare geopfert, hatte er zu seinem Erlöser gefleht um den Frieden des Herzens, um die Ruhe in Gott. – Und hier war beides, und er empfand beides, und er meinte, er sei verstorben; und liege gleich sein Leib unten im Jammertale und werde geschändet von den Feinden, so sei doch seine Seele eingegangen in den ewigen Frieden der Auserwählten.

Unten Knechtschaft und Haß und Fluch und Kampf und Streit »um Gottes willen«; und hier oben Frieden und stille Entsagung und Freiheit und weltumfassende Liebe. – Hier auf diese rauhen Felsen ist ein Körnlein der göttlichen Lehre gefallen. Hier ist kein Feind, der Unkraut säet, hier gedeiht der echte Same und bringt hundertfältige Frucht.

Da entstand in Höllbarts Seele der Gedanke: Verbannter Wanderer, bleibe hier auf diesen Höhen, diene wie diese Menschen in Arbeit und Entsagung deinem Gott, bis sie auch dich begraben unter den Fichten.

Aber eine andere Stimme in ihm war laut und warnte: du kommst geradewegs von der Welt, die Seuche der Unzufriedenheit, Zerfahrenheit und Leidenschaften steckt noch in dir, in allen Fäden deiner Kleider. Dein Mund will predigen den Dornenweg, vor dem deine eigenen Füße sich sträuben; deine Ohren horchen aus nach fremden Sünden, da du dir kaum deine eigenen gestehen magst; deine Hände sind gewohnt, die Hostie als Gottesleib zu tragen, in der du selbst nur das geweihte Brot von der Pflanze vermagst zu erkennen. Kein Lippengebet und kein geschnitztes Bild hast du hier noch wahrgenommen, und in dir steckt der Priester und vielleicht auch der Pharisäer. Zieh weg. – O, ich hätte mich allem entschlagen, als Einsiedler hätte ich gelebt wie der heilige Antonius, als Büßer wie Augustinus, als Märtyrer wie Paulus.

Aus solchen Träumen fuhr er erschreckt empor. »Matthäus Hellbert,« sagte er zu sich selbst, »in dir steckt noch der Fanatiker, der römisch-katholische Scholastiker. Du gehörst noch dem Wahnwitze an. Du entweihe hier den heiligen Gottesfrieden nicht.«

Aber Höllbart empfand doch die Wandlung, die seit Tagen in ihm vorging. Ein anderer wollte er wieder hinabsteigen zu den Menschen. Er war noch jung, konnte als treuer Friedensbote doch vielleicht manche nach dem Rechten ringende Seelen stärken und beruhigen. Er konnte im Volksaufruhr mäßigend, in Leidenschaften roher Gemüter besänftigend wirken. Und es empfand der lebenskräftige Mann ja auch an sich selbst die Sehnsucht nach Genugtuung für sein Leiden, nach Erfüllung des menschlichen Glücks, nach der wohl jeder ringen darf und soll.

Als der Morgenstern aufging und im fernen Osten hinter Wolkenbänken die Glutnadeln der Morgenröte strahlten, da war der aus lebendigen Fichtenzweigen geflochtene Sarg fertig. Ohne ein Wort und ohne eine Träne legten die Männer, Vater und Sohn, den Toten hinein. Das Weib legte noch einmal ihre Hand auf seine kalten Finger, die Kinder legten ihm ein hellrotes Dornröschen auf die Brust zu seinem Herzen. Dann krochen sie hinter den Herd und huben an sich zu fürchten. Die Männer hoben den Sarg und trugen ihn hinaus zu den Fichten und senkten ihn still in das bereitete Grab.

Höllbart war mit dem Gedanken umgegangen, den Leuten dadurch einen Liebesdienst zu erweisen, daß er dem alten Manne nach den Gebräuchen der christlichen Religion den Segen in das Grab spreche. Schon im Laufe der Nacht hatte er sich als Priester zu erkennen gegeben. Nun stand er unweit vom Grabe, sie konnten ihn leicht bemerken, aber sie taten nichts desgleichen, und sie baten nicht um den Segen.

Jedes warf eine Handvoll Erde hinab, dann legten sie das Grab zu. Und der Hausvater nahm das jüngste Kind aus den Armen der Mutter und stellte es über den Hügel, daß die nackten Füßchen die Erde berührten. Als dieses geschehen, gab er den Kleinen der Mutter und sagte: »Nimm, Weib, da hast du den Großvater jung und frisch wieder zurück.«

So weiß urwüchsige Herzenseinfalt die Botschaft von der Auferstehung des Fleisches und dem ewigen Leben zu deuten.

Erbaut und erschüttert zugleich verließ Höllbart das Hirtenhaus auf der Alpenhöhe. Lindolf, des Älplers ältester Sohn, begleitete ihn, um ihm den Pfad zu weisen. Es war ein schöner, schlanker Bursche, in dessen dunkelfarbigem und glutäugigem Antlitze die Eigenart des Morgenländers spielte.

»Willst du niemals in die weite Welt hinausgehen?« fragte Höllbart seinen Begleiter.

Da hob Lindolf seine Hand, wies gegen die Morgensonne und sagte: »Alle Tag' steigt eine Sonne aus meinem Heimatlande herauf. Ja, ich werde einmal hinausgehen und das schöne Land aufsuchen.«

Nach kurzem kehrte er um. Höllbart stieg nieder über die weichen Matten, auf welchen die kleine Herde weidete. Ein paar Rinder grasten emsig, und man sah ihnen den Genuß an den Augen an. Andere saßen und kauten und taten, als ob sie vergnüglich in sich hineindächten; wieder andere standen umher und beleckten sich gegenseitig den Kopf und das Genick.

»Da herauf ist der Fluch nicht gedrungen. Selbst die Tiere sind hier glücklich und zufrieden.«

Kaum hatte der Grübler das gedacht, als sich eine Kuh gegen ihre Genossin auflehnte. Diese war ihr streichelnd und leckend mit der Zunge ins Auge gefahren. Das vergalt die Beleidigte mit einem unwilligen Horngegaukel. Die andere gab den Stoß mit den Hörnern zurück. Da stemmte die erste ihre Vorderfüße aus, zog ihre Schnauze unter die Brust und zeigte ihrer Gegnerin die Stirne. Im nächsten Augenblicke fuhren sie zusammen, daß die Knochen gellten. Nach einem heißen Kampfe, wobei die Tiere wild schnoben und die Erde aufwühlten, lag das eine Rind am Boden, streckte die viere von sich und flehte mit einem kläglichen Gebrüll um Gnade. Mit einem Liebesdienste hub es an, mit einem Kampfe auf Leben und Tod ging es voran und der Schwächere unterlag dem Stärkeren. Ewig das alte Lied.

Noch einmal sah Höllbart auf das Haus zurück, das im Hochtale stand unter der Fichtengruppe. Dann wendete er sich rasch und schritt fürbaß.


Er ging durch Zirmgesträuche und junge Lärchen hinab, bis er in die Hochwälder kam, die ihm stundenlang die weißen Felswände und den blauen Himmel verdeckten.

Da nirgends Weg noch Steg zu erkennen war, so folgte er einem Bächlein, das von dem Gebirgsstock niederkam, und diesem ging er entlang, und sein Pilgerstab tat ihm im Klettern und Übersetzen gute Dienste. Das Bächlein wuchs rasch, kam nach und nach auf ebenes Gelände. Endlich rann es an einer elenden Menschenhütte vorüber, später an einem größeren Gehöfte, wie sie zu dieser Zeit anhuben außerhalb der Wälle zu erstehen. Und endlich kam der Bach und unser Wandersmann an einen Flecken – Aveländ genannt.

Hinter diesem Orte, wo sich das Tal wieder einengt, stand ein Eisenhammer, in welchem emsig an neuen Schußwaffen, als Doppelarmbrüsten, Hakenbüchsen und sogar an zentnerschweren Rohrgeschossen gearbeitet wurde.

Auf einem Felshügel stand eine völlig neue Burg. Sie war wenige Jahre früher zur Abwehr gegen die Türken erbaut worden. Sie war mit Mannen besetzt, und als Höllbart zum Tore kam, das den Weg abschnitt und kaum das Wasser unter sich durchließ, mußte er dem Wart sehr artige Worte sagen, daß er weiterziehen durfte.

»Seid Ihr ein Pilgersmann, so ist hier hinaus nicht der Weg nach Zell!« hatte der Wart gesagt.

»Nicht nach Zell, nach Neustadt gedenke ich zu ziehen,« antwortete Höllbart, »ich gehe zu den Landsöldnern und will gegen die Ungarn oder Türken kämpfen.«

Das gute Vorhaben leuchtete dem Pförtner ein und er ließ die Angeln des Tores knarren.

Höllbart war selbst überrascht von dem kühnen Worte, so ihm über die Zunge gegangen. Zu den Landsöldnern und gegen die Türken kämpfen? fragte er sich nun, als er durch die dämmernden Waldschluchten hinzog; ja, im Grunde, was kannst du Besseres tun? Einen Feldpater werden sie wohl brauchen. So hilf gegen die fremden Horden dein Vaterland zu schützen und die abendländische Gesittung zu wahren. Eben rüstet sich der Osmane wieder.

Mit Gewalt – verheerend, sengend, mordend – eine wahre Geißel Gottes, hat der Türke wiederholt die deutschen Gelände der Ostmark überflutet. Wie macht die Weltgeschichte alles quitt! Wenige Jahrhunderte früher sind die Heerscharen aus dem Abendlande in den Orient eingefallen, sind die Plage und die Schrecken Kleinasiens gewesen. Heute geht es verkehrt.

Ähnlich waren die Gedanken Höllbarts, als er in der abendlichen Kühle und im Rieseln und im Rauschen des neben ihm fließenden Wassers dahinschritt.

Und als der Abend dämmerte, traten beiderseits die Waldberge zurück.

Ein breites, schönes Tal tat sich auf, durch welches vom Aufgang gegen Niedergang ein klarer, stattlicher Fluß zog, reich umflochten und umfriedet von Erlen und Weiden. Und dem Flusse entlang ging die breite weiße Reichsstraße mit ihrem beständigen Wagengerassel, Fuhrmannsgeschrei, Peitschengeknatter, Pferdegewieher und all dem lauten und bewegten Lebensstrom, der die Länder damals noch solchergestalt durchwogte. Auf Wiesen und Feldern arbeitete spät noch das Landvolk an der Ernte. Von der Burg auf der Bergeshöhe aber strahlten zahlreiche Fenster. Die Stubenberger saßen vermutlich bei fröhlichem Mahle.

Höllbart wagte es nicht, den belebten Ort Kapfenberg zu berühren. Von einem Landmanne erbat er sich ein Stück Brot, dann übernachtete er auf freiem Felde unter Weizengarben.

Wie ist das Feld so gut! Sein Korn ernährt, sein Stroh erwärmt. Aber die Heimchen kamen herbei und zirpten und flüsterten dem müden Wandersmanne ins Ohr: Das Feld sei schon recht, aber das Beste von ihm bekäme nicht der fleißige Landmann, das Beste bekäme der dort oben im Schlosse.

Ein Vogel saß auf dem Garbendeckel und pickte Körner aus den Ähren. Da erwachte Höllbart, erhob sich und zog weiter. Goldlichte Morgendämmerung lag auf den Waldbergen. Die wiegenden Weiden am Wasser waren wie reifig angehaucht, und alles war tauig und frisch.

Höllbart wandelte im Tale der Mürz.

Seiner Richtung treu bleibend, zog er gegen Morgen. Er mied die Straße und ging im Gebüsche am Ufer des Wassers. Da konnte er trinken, wenn ihn dürstete, und konnte trinken, wenn ihn hungerte. Oft wölbten sich die Weiden über dem Flusse zusammen. Das Wasser zog still, und in seiner Tiefe lagen die runden goldbraunen Steine, und darüber hin in kreuz und krumm und auf und nieder glitten rotbesternte Forellen und sie fächelten anmutig mit den Flossen.

So war Höllbart an dem alten Marein und am lieblichen Kinperg vorübergekommen. Er blickte zu der umwaldeten Festenruine Kinperg empor, an welcher noch die wilden Spuren des Erdbebens waren, das dreihundert Jahre früher diese stille Gegend heimgesucht hatte.

Von der Bergkirche Sankt Georg klang schon das Mittagsglöcklein nieder, als Höllbart weiter gegen die freundliche Anhöhe des Wartberges schritt. Auf dieser Anhöhe stand damals eine Warte der Lichtenegger, das obere und das untere Tal beherrschend.

An der Warte blieb unser Wanderer lange stehen und blickte still entzückt in das obere Tal – eine schöne grüne Au, von dämmernden Waldbergen umgossen. Nahe zu seinen Füßen durch den Tann herauf schimmerte die Burg Lichtenegg.

Ein Hirtenknabe stand da, der erklärte das Bild: dort der Berggraben, links hinein ist das Veitschtal. Weiter rückwärts rechts die Bergschneide hin ist der Gölk und die rotgraue Mauer davor mit dem Keildache ist der alte Heidenturm zu Krieglach, an welchen sie jetzt eine Kirche gebaut haben. Und weiter rückwärts an den Abfällen des Kaiser- und Königskogels steht die Burg Hohenwang. Seht, jetzt fällt gerade so schön die Sonne drauf, daß die Fenster funkeln. – Ja, und noch weiter zurück sind die Alpen von Spital und der Semmeringsattel, wo die Straße über den Berg ins Österreichische geht.

»Und dahinter liegt Wiener-Neustadt, mein Ziel,« ergänzte Höllbart, sagte dem Burschen ein Dankeswort und stieg den Berg hinab ins obere Tal der Mürz.

Es hungerte ihn; Lichtenegg winkte gastlich. Aber in den Burgen lauern leicht die Steckbriefe auf den Flüchtling. Höllbart ging weiter und suchte im Gesträuche nach Haselnüssen; sie waren noch lange nicht reif. Am Ufer des Flusses, auf Steinhaufen wuchs der Himbeerstrauch; aber Höllbart fahndete vergebens nach Beeren. Und als er im Gebüsche so herumkroch, da flog vor seinen Augen plötzlich eine Forelle aus der Luft, fiel auf den Boden und zappelte im Laubwerk.

Welch ein Wunderland! Nicht Manna, sondern lebende Fische fallen aus dem trockenen Himmel! – Höchlich überrascht war unser Wanderer, aber sogleich griff er nach dem verschmachtenden weißbauchigen Tiere, welches unter den Blättern schlingelte. Da stand aber auch schon der Fischer mit der Angelstange vor ihm und tat das Fischlein in die Wasserlagel.

Und siehe, mehr noch als über den vom Himmel gefallenen Fisch staunte Höllbart über den Fischer. Der war ein schlankes, blühendes Mädchen mit großen nußbraunen Augen. Seine dunklen Locken waren als ein Kranz um das Barhäuptchen geschlungen; seine Arme und sein Busen waren nur mit einem weißen Linnenkleide bedeckt; sein Röcklein war ziemlich hoch geschürzt gewesen, glitt jetzund aber nieder bis zu den Barfüßchen.

Höllbart errötete. Das Mädchen errötete nicht, sondern bekannte lachend ihre Ungeschicklichkeit, daß sie die Forelle mit der Schnur aus dem Wasser in das Dickicht geschnellt habe.

»Ihr suchet Himbeeren,« sagte sie dann, »die hab ich Euch vor einer halben Stunde weggegessen.«

»Gesegne sie Gott.«

»Ja, und Ihr habt etwan noch gar kein Mittagsmahl gehabt?« fragte das Mädchen, »Ihr kommt gewiß von Zell her?«

»Ich komme von weit,« bemerkte Höllbart, der gar nicht wußte, was er sagen sollte.

»Von weit? Und Ihr mögt etwan im Wirtshaus nichts essen? Seid auch sonst ganz fremd dahier und seid müde? Ihr sollt ins Pfarrhaus gehen.«

»Mein Kind,« entgegnete Höllbart, »wie kannst du mich erkennen und hast mich noch niemalen gesehen?«

»Ihr Närrchen,« lachte das Mädchen, »wer wird Euch denn kennen, wenn Ihr so von weit kommt! Fremde Leut' gibt's mehr auf der Welt als bekannte. Ja, brave Leut' gibt's auch mehr als böse, und so besinn' ich mich gar nicht. Wir brauchen dieweilen kein Wirtshaus und kein Pfarrhaus. Dort unter der Esche liegt ein Stein, darauf mögt Ihr sitzen, bis das Mahl fertig ist. Heut' ist Freitag, da bekommt Ihr nur Fische.«

So die junge Fischerin. Und wo ein emsig Weib schafft, ist das Haus bald fertig. Zuerst ging das Mädchen und trug Reisig zusammen. Dann suchte es aus seinem Kleide Schwamm und Stein hervor und schlug Feuer und kniete hin vor das Reisig und blies es an – und wo aus rosigem Mündchen warmer Atemhauch wehet, da wird das Fünklein leicht zur lodernden Flamme.

Höllbart saß unter der Esche. »Siehe nun,« sagte er mit dem König David, »Jehova hat dich erwählet, ein Haus zu bauen zum Heiligtum.«

Seine Wange glühte.

Und als das Feuer nun brannte, da fing das Mädchen Fische aus der Lagel, bog jedem kunstgerecht den Kopf über, daß er sich nicht mehr rührte, weidete ihn am Wasser aus und legte ihn sorglich in die Glut. Hierauf kauerte es etwa fünf Minuten vor dem Feuer und schürte die Kohlen. Und bald kündete es die Fischerin mit heller, lustiger Stimme, das Essen sei fertig. Dann pflückte sie das Blatt eines Wasserampfers ab, legte mit zwei Fingerchen zierlich die Brätlinge darauf und überreichte sie so dem Manne, der unter der Esche saß.


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