Peter Rosegger
Der Höllbart
Peter Rosegger

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Der Höllbart

Im oberen Tale der Enns, wo an den felsigen Hängen des Grimming die alte Heeresstraße vorüberzieht, steht auf einem grauen tannenumragten Anger unter dem Gewände das Bild des gekreuzigten Jesus.

Hoch auf ragt der rot angestrichene Holzpfahl, und das Antlitz des Gekreuzigten ist halb erschlossenen Auges empor zu dem kahlen Gewände gerichtet. Die Steine mögen erweichen, da der Menschen Herzen, zu Stein geworden, einander in Haß und Wut gegenüberstehen, sich martern und morden. Ein wilder Krieg des Gekreuzigten wegen ist ausgebrochen. Die Gemüter brennen, wahnwitziger Religionskampf wütet in dem sonst so friedlichen Volke der Alpen.

Zu den Füßen des Gekreuzigten war vielleicht gestern noch das Marienbild mit den sieben Schwertern in der Brust gestanden; heute lag es zertrümmert am Hange. Mitten in dieser Zeit der begeisterten Marienminne hatte sich eine tolle Hand nach dem geweihten Bildnisse ausgestreckt – da war das Unerhörte geschehen. Alle Ordnung war aus Rand und Band, und die Empörung wogte durch die waldschattigen Täler.

Warum, wenn solche Greuel geschehen an Mariens heiligem Bildnis, warum stürzen die Berge nicht ein? Warum schmelzen die Gletscher nicht vor Gottes Zorn? Grimming, du grimmiger Berg mit deinem erhabenen schneeweißen Haupte, wie kannst du so still und sonnig lächeln im Abendfrieden? Warum speiest du nicht deine finsteren Nebel aus, daß sie die Klarheit des tiefblauen Himmels bedecken und mit Blitz und Hagel niederfahren auf die gottverlassene Welt, die in diesen unglückseligen Tagen Scharen von Ketzern geboren hat?

O siehe das uralte heilige Bildnis der Gottesmutter Maria, das am Fuße deiner Felsen seit Jahrhunderten brünstig verehrt, mit Kränzen geschmückt, mit Tränen begossen worden, das hat eine frevelnde Hand vom Kreuzesstamm gerissen, zerschlagen, in den Abgrund geschleudert!

So wurde geklagt und gebetet bei den kirchlichen Umgängen im Tale. Aber der Grimming, der muß einen wunderlichen Glauben haben, der feiert zu dieser Abendstunde den wilden Aufstand und die Zerstörung der Bildsäule durch ein schönes Alpenglühen. Und an seinen Riffen hüpfen lustige Gemsen; die sind froh, daß die neuen, gar gefährlichen Schußwaffen der Menschen zu dieser Zeit nur gegen Menschen gerichtet sind.

Am Fuße des Kreuzbildes liegt ein breiter Stein, die Knie der Andächtigen haben Mulden in denselben gedrückt.

Die Heeresstraße ist heute still und völlig verlassen. Der Dietrichsteiner hält die salzburgischen Pässe besetzt. Die Haufen des Volkes haben sich gen Schladming gezogen. Nur ein einziger Mann wandelt langsam, schier gebeugt die Straße heran. Er trägt einen langen weiten Mantel aus Lodentuch, seine Füße treten unsicher auf den Schuttsand – sie scheinen wund zu sein. Der Mann stützt sich auf einen Pilgerstab und trägt einen grauen Hut mit breiter, niederhängender Krempe. Auf seinen Rücken hat er ein Bündel geschnallt; ich halte, da drin liegt ein hartgebacken Stück Brot und ein Tonkrüglein, um an kühlen Quellen zu trinken. Mag ein Pilgersmann sein, der aus seinem Lande kommt und zur Gnadenmutter wallt gen Zell. Wohl dürfte er ganz so alt und hinfällig nicht sein, als das mühselige Wandern ihn erscheinen läßt, denn die Locken, die unter dem großen Hute hervorwallen, sind dicht und dunkelbraun, und der zarte Bart um Kinn und Lippen ist durch das Schermesser so oft noch nicht beschnitten worden. Wohl ist das Antlitz ein wenig blaß, aber die Augen blicken hell und entschlossen. Die Hand, die den Stab hält, mag von innen wohl Schwielen haben; von außen ist sie glatt und runzellos, nur gebräunt von der Sonne.

Als dieser Mann nun zum Kreuze kam, stand er still und blickte träumerisch empor zu seines Erlösers Bild. Als hierauf der Blick auf die zertrümmerte Statue fiel, da betrübten sich seine Züge.

Jetzt ließ er sich nieder auf den Rasen am Fuße des Kreuzes, atmete hoch auf und stützte sein Haupt auf die Hand. Tiefernst, traurig saß er da, als hätte er nachzusinnen über schwere Tage der Drangsal. – Oben auf dem linken Arm des Kreuzes saß ein kleiner Vogel, ein Zaunkönig, der pickte wohl ein Insekt aus der Spalte des Holzes. Der Mann hob rasch seinen Kopf empor – ihm war, als habe da oben von Christi angehefteter Hand ein Finger geklopft an das Kreuzholz.

Bald darauf wurde die abendliche Stille auf eine andere Weise unterbrochen. Ein Esel trabte gemächlich heran und auf dem Esel saß ein Mönchlein mit einer Blechbüchse. Bei jedem Schritte des Tieres rasselte es in der Büchse.

Kaum sah der Mönch den Wanderer, so rief er ihm zu: »Euch komme der Segen des Herrn, Ihr seid ein frommer Mann, Ihr gebt gerne einen Heller für den heiligen Vater!«

Da blickte der Wanderer auf und sagte: »Geht Eueres Weges. Bin selber ein Bettelmann.« Dann wollte er sein Haupt wieder senken zur Rast auf die Hand. Aber das Mönchlein ließ ihm keine Ruhe. »Ho, ho,« lachte es, »die Witwe im Evangelio ist ein Bettelweib gewesen und hat doch einen Pfennig gegeben. Eueren Pilgerstab, den seh' ich wohl; Ihr seid auf Wallfahrtswegen und gedenkt demütigen Sinnes Sündenvergebung oder eine sonstige Gnad' von Gott zu erbitten. Ihr seid müd' und matt und Euere Füße tun Euch weh. Wär's nicht verständiger, in dieser bösen Zeit die weite Wanderung zu unterlassen, Euch aber dafür der göttlichen Gnadenmittel des Ablasses teilhaftig zu machen? Menschenbruder, ich seh' ein Leid auf Euerem Angesichte; etwa drückt Euch eine schwere Schuld, oder Ihr gedenkt eines lieben Blutsverwandten Seele, die in Fegfeuersglut muß schmachten. Gottes Gnadenborn ist offen. Zu seiner Ehr', zum Heile der Christenheit und zum Lobe des heiligen Petrus wird in Rom ein herrlich Gotteshaus gebaut, und selig jeder, der nach gutem Wollen und Können einen Stein dazu beiträgt.«

Der Mönch hob seine Büchse und schellte und sein Gesichtchen war gerötet und strahlte, und der Esel zog die Ohren nieder, als hätte er des Rasselns nun endlich einmal genug.

Plötzlich verstummte das Schellen und auf den Straßensand gekollert wäre die Büchse, wenn sie nicht durch eine rote Schnur am Mönchlein befestigt gewesen.

»Heilige Veronika!« stotterte dieses mit verdrehten Augen. »Jetzt sind sie auch da schon gewesen!« Dann gegen den Pilgersmann gewendet: »Und du menschgewordene Trägheit kannst dasitzen und willst die Schmach verschlafen auf der Stätte der Schandtat! Bist du mit Blindheit geschlagen? Siehst du denn nicht, die ganze schmerzhafte Mutter ist zertrümmert in tausend Scherben! Wahrlich, wahrlich, die Zeit ist erfüllt, losgekettet ist der Drache. Wer auf dem Felde ist, der kehre nicht zurück, und wer auf dem Dache ist, der steige nicht herab, denn siehe, die Steine fallen vom Himmel und der Richter wird erscheinen in den Wolken. Ach, Fremdling, weine mit mir, da die schrecklichen Tage sind gekommen, und gib einen Pfennig.«

So sprach der Alte mit gebrochener Stimme und hielt die Büchse vom Esel herunter.

Aber der Pilgersmann weinte nicht und gab auch keinen Pfennig. Darüber wurde das eben noch in tiefer Schwermut schwebende Mönchlein schier erbittert. Es wischte sich mit dem weiten Ärmel die Tränen und tat bei dieser Gelegenheit auch seiner Nase ein Gutes. Dann aber richtete es sich auf und sagte: »Etwan seid Ihr selber ein Ketzer und habt das Bildnis zerstört!«

Da antwortete der Pilgersmann: »Ich lege nicht mein Herz an ein Bildnis und auch nicht meine Hand. Ich bete Gott im Geiste an, denn sein ist die Macht und die Herrlichkeit.«

»Richtig,« rief der Mönch, »so hat auch der Ketzerhauptmann Luther gesprochen; so hat auch sein gottloser Nachfolger, der salzburgische Pfarrer Matthäus Hellbert, genannt der Höllbart, gepredigt. Wißt Ihr aber auch, daß beide der Teufel geholt hat?«

»Nicht möglich!« versetzte der Pilger rasch.

»Bei Gott ist alles möglich!«

»Aber Ihr spracht ja just vom Teufel.«

»Gott hat kein Erbarmen mit den hoffärtigen Engeln gehabt, er hat auch keines mit den Priestern, die sich gegen seine heilige Kirche empören. Uns zum Heile hat er davon ein neues Beispiel gegeben an diesem Höllbart.«

»Nun, wie ist das zugegangen?« fragte der Wandersmann, den die Sache zu bewegen anfing.

»Ja, der Matthäus Höllbart,« sagte der Mönch eifrigen Tones, »der hat in unserer Diözese den kleinen Luther spielen wollen. Im Hause Gottes hat er sich erfrecht, gegen den göttlichen Gnadenquell des heiligen Ablasses zu predigen. Der Ablaß wäre nur gegen weltliche Vergehen an der Kirche, hat er gesagt – verzeih' mir's Gott! Aber der Sündenvergebung wegen hätte sich der Sünder geradewegs an Gott zu wenden. Hätt' einer die Menschen beleidigt, so läge Strafe oder Vergebung bei den Menschen; wer aber Gott betrübt, den könne die Welt nicht richten. – Der Verblendete! Als ob Gottes Barmherzigkeit zur Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen nicht die Kirche hingestellt hätte! – So hat der Pfarrer Höllbart an der Kirche und ihren Heiligtümern gefrevelt. Auch die Ehelosigkeit der Priester hat er bekämpft, auch die kirchlichen Reliquien hat er beschimpft. Darum ist ihm sein Recht angetan worden.«

»Was geschah dem Manne?« fragte der Pilger. »Erzählt, Ehrwürden.«

»Seine erzbischöfliche Gnaden, der hochwürdigste Matthäus Lang, der Salzburger Diözese Oberer, hat den Irrlehrer für ewige Zeiten auf die Burg Mittersill setzen lassen. Wir haben gebetet, daß der Herr seinen gefallenen Diener erleuchte und zur Buße führe, allein in Gottes gerechtem Ratschlusse war es anders beschlossen. Drei Bauernbursche aus Höllbarts Pfarre haben sich frevelnd unterstanden, ihren ketzerischen Pfarrer aus dem Gefängnisse zu befreien. Dieser aber ist kaum außer den schützenden Mauern der bischöflichen Burg gestanden, als er schon der Macht des Bösen verfallen war. O, es sind Merkmale da: der versengte Rasen, halbverbrannte Haarlocken. Mit Leib und Seelen ist er der Höllen zugefahren. Uns schirme Gott in seiner heiligen Kirche, und Ihr, Mann Gottes – gebt einen Heller!«

»Weiter, weiter, erzählt!« rief der Pilgersmann – »Die Burschen, die den Mann aus dem Gefängnisse befreit haben?«

»Hei, die Burschen,« rief der Alte, »wohl ihnen, daß sie auf Erden ihre Schuld haben abwaschen können. Der Erzbischof hat ihnen ihre ketzerischen Schädel vor die Füße legen lassen.«

Bei diesen Worten war der Pilgersmann emporgesprungen; seine Augen glühten, er ballte die Hände.

Dunkel war es schon geworden. Da fand es der Mönch nicht geheuer, er wendete seinen Esel und trabte hin gen Irdning.

Der Mann am Fuße des Kreuzes bebte und knirschte.

– Enthauptet! Enthauptet, die guten, braven Leute, die ausgingen, ihren Seelsorger zu retten. Von diesem Tyrann getötet!

»Ja, dich, du heiliger Gottmensch, haben sie auch getötet!« rief der Mann zum Kreuzbilde auf. »Bei deinem Andenken und bei dem Märtyrertode meiner Freunde schwöre ich es hier vor den ewigen Bergen: Auf immerdar trenne ich mich los von dieser beispiellos zelotischen Gemeine. – Luther, wohin bist du gezogen, wo ist das Land des echten Menschentums?«

In dunkler Nacht eilte er davon und ostwärts zog er an den Ufern der Enns.

Wir mögen den Wandersmann wohl nennen; es ist der aus der Burg zu Mittersill befreite fliehende Priester Matthäus Höllbart.


Am Fuße des schroffspitzigen Hochtaufing, im Waldesdunkel, abseits des Weges, hatte sich der müde Flüchtling auf die Erde gelegt, um ein paar Stunden der Ruhe zu pflegen.

Aus dem Tale her drang der Lärm der aufständigen Rotten. Nicht allein der Schein ihrer Fackeln war es, der die nächtlicher Nebel rötete. Hier war ein Dorf angezündet worden, um den Truppen des verhaßten Dietrichsteiners eine Verschanzung abzubrechen; dort war der Brand in ein einschichtig Gehöfte geworfen worden, weil dessen Besitzer der lutherischen Lehre huldigte.

An den Hängen des Tausing bellten Wölfe. Höllbart wußte wohl, diese Tiere waren ihm nicht gefährlich, sie fanden ihre Nahrung an den toten Körpern der Walstätten. Aber ein erquickend Ruhen war es nicht; und kaum über dem Gewände des Hexenturmes noch der Morgenstern schimmerte, erhob sich Höllbart und trachtete auf Umwegen über Pirn und Hall dem Tale von Admont zu.

In der Hütte eines Hirten erfuhr er, in Admont sei es gar nicht geheuer. Die Bauern der Umgebung, die vom Stifte schon seit lange hart bedrückt zu sein glaubten, hätten gesehen, wie jetzt alles auf sei, wie allenthalben das Landvolk gegen die Soldaten, der Bauer gegen seinen Pfarrer und Priester gegen Priester in den Krieg gingen. Und da hatten sie gedacht, wenn jetzt wieder die Zeit angebrochen sei, in der der Stärkere das Recht habe, so könnten sie wohl auch ihre hart erworbene Sache, die in den Stiftsspeichern aufbewahrt liege, wieder zurücknehmen.

Ein baumstarker Mann kam in die Hütte, der hatte eine Keule über der Achsel. Er trug keine Kopfbedeckung, und seine Haare waren wüst und gelb wie Stroh.

»Jetzunder rühren wir uns auch, wir vom Berg herab!« rief er. »Wir schlagen der Welt ein Loch. Sind heut im heiligen Admont gewesen. Ich sag' Euch's, Josu, die Pfaffen sind alle davon, alle. Und ihre goldenen Kelche und Kreuze und Monstranzen haben sie mit sich geschleppt, die Sakramenter. Im Felsental hinter dem Kalbling sollen sie sich verkrochen haben. Glaub's wohl, schuldig Mann geht Grausen an. Sie fürchten das feine Schladminger Halsband, den Strick. Ihr heiliger Blasius in der Stiftskirche ist wohl gegen Halsentzündung ein guter Patron, aber gegen Luftröhrenverengung hilft er nicht.«

»Lästermaul!« lachte Josue, der Hirt.

»Oh!« rief der Gelbhaarige ernsthaft, »ich kann davon schon reden! Hätt' ja selber Pfaff werden sollen. Hab' aber zu früh angehebt mit dem Kunststückel, hab' im Wirtshaus schon den Wein in Blut verwandelt. Je nu, den Abt hab' ich im Rausch gottsmörderisch geprügelt.«

»Spaßvogel! du,« sagte der Hirt. »Deinen Strohschädel halt her und schau mich an. Du bist auch beim Bilderstürmen dabei gewesen. Ich wett' meinen Schnappsack dafür!«

»Was ist denn drin?« schmunzelte der Strohhaarige.

»Heumehl für die Rinder.«

»Heumehl?« entgegnete der andere bedenklich. »Du, Josu, da hat's beim Bilderstürzen mehr abgegeben. Da lug'!« Er zerrte eine Perlenschnur aus seinem Brustfleck hervor, verbarg dieselbe aber sogleich wieder mit Hast und zwinkerte: »Hat die Mutter Gottes zu Strechau um den Hals getragen!«

»Du bist ein Rab'!« rief der Hirt. »Das weiß ich, du stirbst nicht auf der Erde.«

»Wo denn?«

»Ein paar Fuß über derselben.«

Mehr mochte der vor der Türe ausruhende Wanderer nicht hören. Er zog weiter. Dem empörten Orte Admont wich er aus.

Eine Stunde hinter Admont, wo sich das Tal schließt und der Ennsfluß hinein in jene Felsenschluchten braust, die das Gesäuse genannt sind, wo sich die kegeligen Vorberge des gewaltigen Buchsteines erheben, stand zur Zeit dieser Geschichte eine berüchtigte Schenke. Sie war halb in Felsen gehauen, halb aus rohen Holzstämmen des Urwaldes gezimmert. Eine Art von Met aus wildem Obst und Honig und Branntwein wurde in ihr gebraut und getrunken. Sie war das Obdach von Menschen, die sonst kein Heim hatten und vor denen sie oben im Flecken und in allen Bergen und Höfen die Türe zuschlossen.

Es war spät abends, als Höllbart zu diesem Hause kam und um Nachtlager bat. Der Wirt, welcher ein braunes Gesicht, rote Haare und einen Lederschurz trug, brachte dem fremden Gaste sofort von seinem Branntwein. Aber Höllbart erklärte zugleich, daß er kein Geld besitze, um den Trank zu bezahlen, er bitte nur um Gottes Willen.

Brummend goß der Wirt das Glas in seine eigene Gurgel; aber sein Weib war so gut und stellte dem Pilgersmanne ein Schüsselchen brauner Suppe vor, auf daß, wenn er am Ziele seiner Pilgerfahrt vor dem Gnadenbilde liege, er im Gebete der Geberin gedenke. Die Schenkin gab zu diesem Zwecke gerne Almosen, sie konnte dafür um so viel mehr Wasser in ihren Keller rinnen lassen, und um so gewissensruhiger die Hehlerei betreiben. Sie verließ sich ganz auf den Vergeltsgott der Armen.

Im Dachraume ober der Schenke lag Moorheu und Waldmoos geschichtet. Hier wurde unserem Wandersmann die Schlafstätte angewiesen. Höllbart war müde und erschöpft bis in die Seele hinein. Die letztvergangenen Nächte hatte er in finsteren Wäldern und auf unsicheren Heiden zugebracht. Das war ein anderes gewesen als das sanfte Linnenbett in seinem traulichen Pfarrhofe, aber auch ein anderes als das herbe Mattengeflecht auf dem düsteren Turme zu Mittersill.

In dieser entlegenen Hütte wähnte er sich geborgen, und so wollte er wieder einmal unter einem menschlichen Dache friedlich ruhen.

Allein eine Schenke wie die am Fuße des Buchstein bleibt nachts und zu so einer bewegten, störrischen Zeit nicht ruhig. Wildbärtige Männer und zerlumpte, glutäugige Weiber fanden sich ein; die meisten von ihnen waren scharf bewaffnet mit Hacken, Äxten, Sensen und Morgensternen. – Einer und der andere schwang sein Wehrbeil kampflustig in die leere finstere Luft hinein. Und sie zankten, fluchten, sangen Lieder, die zu halb geistlichen Inhaltes, zu halb Zote waren. Und sie tranken Branntwein.

Einer von den Gesellen hatte gar einen Rohrtiegel, in welchem zur Verwunderung aller ein braunes Kraut glimmte, und der Mann sog den Rauch durch das Rohr und blies ihn toll in die Menge hinein. Der Rauch hatte einen starken Geruch, und jeder und jeder wollte versuchen ihn zu saugen. Das Kraut aus der Neuen Welt war's, das zu dieser Zeit schier so viel von sich reden machte, als die neue lutherische Lehre.

Bald war die ganze Kammer angedampft, die Weiber hüstelten, und das arme Talglicht wollte schier erblinden.

Da ging die Türe auf; das Mönchlein mit der Blechbüchse trat ein. Der Esel war draußen geblieben, fraß sein Heu in Frieden und schüttelte dabei seine Ohren. Einmal ohne Pfaffenlast und Sammelbüchsengerassel sein Heu verzehren, das tat ihm wohl.

Bruder Jonas, wie sie den Eintretenden benannten, wurde derb und lustig begrüßt. Einen Mann wie den Bruder Jonas kann man brauchen. Kann man brauchen immer und überall, insonderheit zur Kriegszeit, wo es trotz landesfürstlicher Satzung allerorts zu erhaschen und zu naschen gibt. Das ist ein gut Ding, daß die heilige Mutter Kirche einen Ablaß spendet, durch den jeglich Hehl und Fehl ausgelöscht und durch den zu allen Unternehmen die Gnade Gottes kann erworben werden. Macht man tausend Taler Beute, so spendet man gerne fünfhundert in den Pfennigbeutel, daß des kleinen Seitenangriffes nach des Nächsten Gut des weiteren nicht soll gedacht werden. Und kreuzt, was leicht geschieht, ein Feind die frommen Wege, oder ist ein solcher sonst hinderlich an der Erlangung eines sehnlichst Gewünschten, so findet sich ein Mittel, ihn aus dem Wege zu räumen. Was weiter? Man flieht in den Arm der Kirche, vergießt silberne Tränen der Reue, und – Gott ist barmherzig.

So schön war's zur Zeit dieser Geschichte eingerichtet. Zwar geben solche Dinge der Erzählung einen unerquicklichen Hintergrund; aber sie lassen sich nicht leugnen, nicht verschweigen; Luther hat ja dagegen den wuchtigen Protest in die Welt geschleudert. Und unseres Helden Geschicke sind aus solchen Zuständen hervorgegangen.

Nach obigem nun war es kein Wunder, wenn der wackere Ablaßkrämer in der Schenke höchst willkommen geheißen wurde.

Aber auf den sonst so freundlichen Zügen des Bruder Jonas war heute hohe Entrüstung zu spüren.

»Unglückselig Haus, des Dach Ketzer und Lutheraner beherbergt!« rief er aus.

Da erhob sich alles: »Ketzer! Lutheraner! In diesem Hause! Hochwürdiger Herr, wir sind gute katholische Christen, und ist etwan einer unter uns, der –« Sie machten die Gebärde des Niederschlagens und sie fuhren wild durcheinander.

»Der entsprungene Lutherpfarrer aus dem Salzburgischen, der Matthäus Höllbart ist dahier!« sagte der Mönch halb drohenden und halb ängstlichen Tones. »Von Steckbriefen verfolgt, ist er gesehen worden, wie er zur Dämmerung in dieses Haus geschlichen. Der leidig' Teufel muß auf ihm sitzen; hab' ich den Höllbart gestern doch selber gesehen, wie er unter dem Kreuze gehockt, am Platze der Gottesmutter, die er hat zertrümmert. Hab' ihn nicht erkannt, gleichwohl er sich für keinen einzigen Heller Ablaß hat erworben. Heut erst, wie ich den Steckbrief gelesen, hab' ich den Wolf im Schafspelz gewahrt: Einen Pilgermantel trägt der Heid'!«

Da rief die Schenkin schon ihr: »Jesus, Maria und Joseph!« und schlug die Schüssel, aus welcher der Ketzer die Suppe gelöffelt, in den Herd hinein, daß die Scherben stoben. Des Wirtes braunes Gesicht war blaß geworden; er leugnete es nicht, daß auf seinem Heuboden ein Mann im Pilgerkleide ruhe.

Sofort wurde alles geheimnisvoll still. Man flüsterte, bekreuzte sich und machte Anstalten, den Höllbart aus der Heukammer hervorzufangen, um ihm sein Recht anzutun.

Die Leiter wurde angelehnt, zwei kernfeste Männer mit Knitteln und Äxten stiegen im Finstern zum Dachboden empor. Sie tasteten und schlugen und stachen im Heu herum; da gellte plötzlich unter ihren Hieben ein gräßlich Gewinsel und Gestöhne. Bald war alles wieder still. Einem der Männer war, als sehe er durch die dicken Dachbretter die Sterne des Himmels funkeln. Da faßte sie Entsetzen, sie polterten die Leiter herab in die Stube und erzählten mit gesträubten Haaren, was sie gesehen und gehört.

Und als sie hierauf mit dem Talglichte den Oberraum durchforschten, da fanden sie im Heu keinen Pilgersmann, sondern eine schwarze, in Todeskämpfen zuckende Katze. Wohl erneuerte sich nun das Entsetzen. – In eine Katze hat er sich verwandelt, aber das Strafgericht hat ihn doch ereilt, die Katze ist tot. – Diese Ansicht wurde sogleich entkräftet, als die Schenkin in dem erschlagenen Tiere nicht den gottlosen Höllbart verfluchte, sondern ihre liebe, treue Hauskatze beweinte. Da sahen sie am Dache auch die Lücke eines ausgehobenen Brettes.

Und als sie so gewahrt hatten, daß es doch ein Mensch war, der nicht durch eine Fuge und nicht durch ein Schlüsselloch entschlüpfen konnte, sondern wie auch alle anderen einer bedeutend großen Bretterlücke bedurfte, um durch das Dach zu entkommen, da ging frischen Mutes die Verfolgung von neuem an. Alle Gebüsche und Schlupfwinkel um das Haus wurden durchstöbert; aber keine Spur vom falschen Pilgersmanne.

Die Schenkin klagte über ihr totes Tier; die anderen Weiber keiften und schwätzten von Hexen- und Teufelsgeschichten; die Männer fluchten in den Bart, und der Bruder Jonas ordnete für das Früheste des nächsten Morgens die Durchsuchung der Gegend an.

Als sich hierauf der Mönch anschickte, seiner Herberge im Flecken zuzureiten, da fand sich im Hofe wohl der Heubarren vor, aber das Eselein nicht.

Das Eselein war mit dem Pilgersmann gegangen.


Ist man zu ermüdet, so schläft sich's nicht gut. Auch war das Gejohle in der Schenke arg. Höllbart konnte die erwünschte Ruhe nicht finden. Als er nun unter sich in der Stube seinen Namen hörte, und wie man auf war, ihn zu fangen, da verspürte er keine Müdigkeit mehr. Er hob ein Brett aus und sprang vom niedrigen Dach in den Hof. Dort stieß er unversehens ans Eselein.

Sogleich kam ihm der Gedanke: Vier Füße traben besser denn zwei – da saß er schon auf dem Rücken des Langohrs.

In der Schenke war noch die Verwirrung der schwarzen Katze wegen, als Höllbart schon über den Moorboden hin der Straße zuritt. Der Esel ließ sich's schleunen, er merkte es gleich, sein neuer Herr war um einiges leichter als der alte – ganz abgesehen von der Blechbüchse, die indes auch stets um so leichter gewesen war, je mehr sie gerasselt hatte.

Auf der Moorheide begegneten unserem Eselsreiter zwei Männer, der erste kauerte auf dem Boden und bat den Vorübertrabenden um einen vollkommenen Ablaß von hundert Tagen; denn im Falle einer in dieser Zeit sterben müsse, könne er weder das Buß-, noch das Altarssakrament empfangen; die Priester seien jetzunder alle verjagt.

Der zweite Mann sprang weiterhin aus einem Gebüsch hervor, hielt den Esel an, hob gegen Höllbart eine Keule und forderte die Blechbüchse. Als er sein Versehen inne wurde, huschte er kichernd davon. Der Strohhaarige vom Berge war's gewesen.

Als Höllbart hinab zur Straße kam, stieg er vom Esel und ließ diesen allein gegen Admont traben, auf daß dessen Spur im Straßenstaube die Verfolger irre führen sollte. Er selbst aber eilte über die Heide dem Ennsflusse zu und wand sich an dessen unwirtlichen Ufern die bewachsenen Felshänge hinab in die wilden Schluchten.

Hier war nicht mehr das Land der Menschen; hier hatte kein Weg und kein Steg Raum an den Ufern des tobenden Flusses, hier ragte das zerrissene Gewände aus in die Nebel der Alpen. Kein Mensch hatte damals die Höhen dieser Felsriesen gemessen, ihre Zinnen je bestiegen. In diesen Öden, nur von dem Sausen der Gewässer und dem Brausen der Stürme durchdonnert, hatte damals niemand was zu holen. Selbst den Gemsen war das kahle, überhängende Gewände zu wüst, und der tollkühne Steinbock wählte sich die bequemeren Hochwarten an der oberen Enns. Tiere, die in den Höhlen kriechen und in den Lüften fliegen konnten, waren die Bewohner dieser schauerlichen Schluchten. Keine Wildnis gab es im steierischen Alpenlande, die von den Menschen so spät und so schwer überwunden wurde, als dieses gewaltige Kalkgebirge an der Enns.

Stundenweit kletterte Höllbart mit Gefahr des Lebens in die Felsenwüste hinein. Sein Pilgermantel war durchnäßt von dem Staube des gischtenden Stromes, und sein Ohr war betäubt von dem Tosen des Flusses, der – wie still und stattlich breit er auch durch die oberen Täler rinnt – hier wieder zum reißenden Wildbache wird, als welcher er weit oben die Salzburger Alpen durchwütet.

Und als nun der Mond aufging und die Nebelfetzen zerrissen hoch in den bleichen, schründigen Wänden wallten und die weißen Bänder der Wasserfälle niedergingen von Hang zu Hang, und die Wogen der Enns zwischen den schwarzen Steinklötzen wie ein Schneelahnenstrom fluteten, und als so in dem steten Rauschen und in dem blassen Dämmerlichte die Schauer der Einsamkeit zogen, da hub unserem Wandersmanne an zu grauen.

Und dort, wo die Schlucht sich ein wenig weitet, wo der Strom nur flüstert und an seinem Gestade schwarzer Tann dämmert, verkroch sich Höllbart in eine Felsenkluft. Er schlang den Mantel fest um seine schauernden Glieder und kauerte sich hin an die Wand, auf daß er endlich ein wenig ruhe.

Doppelt schwer lag zu dieser Stunde gewaltiger Majestät das Bewußtsein seines Schicksals auf seinem Gemüte. Er war noch jung an Jahren, und in seiner Seele hellten gerne liebliche Bilder. Der Sohn eines Landmannes, hatte er am stillen See und auf grünender Au die Kindheit verjubelt. Sein Sinn ging stets nach dem Schönen und Milden, er liebte die Erde ihrer Blumen, den Himmel seiner Sonne wegen. Da wurde er von seinen glaubenseifrigen Eltern für das Priestertum bestimmt und in seinen ersten Jünglingsjahren dem Bischof von Salzburg überliefert. Am Tage seiner Abreise von daheim hatten die Tauben ein wirres Geflatter und ein ängstliches Gegirre über dem Hof gehabt; seine Mutter wollte darin ein böses Vorbedeuten sehen und den einzigen Sohn nicht ziehen lassen. Aber der Vater behauptete, das sei Teufelsspuk und sein Sohn müsse ein Kirchenlicht werden.

Er war ein Kirchenlicht geworden – aber ein zu helles; im Gottesreiche standen Gestalten, die warfen lange Schatten. Doch hatte er sich nicht selbst hervorgedrängt in die Reihe der Streiter, er war gedrängt worden. Still und anspruchslos war sein Wirken gewesen in dem Sprengel, dem er als Priester nur wenige Jahre angehört hatte. Sein Gewissen machte ihm keinen Vorwurf, daß er gegen einige der grellsten kirchlichen Mißbräuche sein Wort erhoben. Er hatte seine Priesterpflicht getan und hoffte nach den Tagen der Prüfung auf liebfreundlichen Wegen zu wandeln.

Heute aber, es war eine milde Sommernacht, und doch sagte sich Höllbart im Angesichte der wildgewaltigen Erhabenheit: Wie groß und furchtbar muß ein Gott sein, der eine solche Welt erschuf! Ich bin hinausgetreten aus der Gemeinschaft, habe verzichtet auf die Gnaden, habe stolz meine Sach' auf mich selbst gestellt. Wird ein Bestehen sein vor dem, des Herrlichkeit Himmel und Erde erfüllt?

Zur trostreichen Beruhigung kam der Schlaf, des Gerechten Ruhe in Gott.


Als er nach mehreren Stunden erwachte, war er gestärkt. Auf den Tafeln der Hochwände lag die stille Morgenglut. Eine herbkalte Quelle sprudelte aus dem Gestein. Höllbart trank, wusch sich die Augen und die Stirne, dann zog er weiter.

Durch Gestrüppe mußte er sich winden, über Felsen mußte er klettern, den Fluß mußte er unzählige Male überschreiten; Stürme und Lahnen hatten ihm Baumstämme als Stege über das Wasser geworfen. Auch über Schrunde und Schuttriesen mußte er setzen, durch Löcher und Überhänge mußte er kriechen, bis er nach vielen Stunden die Wildnis hinter sich hatte und in das Kohlenbrennerdorf Hieslau kam. Hier wendet sich die Enns gegen Mitternacht, um nach dem wüsten Fiebertraume in der Wildnis still und ruhesam den Geländen der Donau zuzufließen.

Höllbart sehnte sich nicht nach bewohnteren Gegenden; ihm schien es im Hochgebirge bei Köhlern, Wurzelstechern und Wilderern sicherer. Er wendete seinen Lauf dem Erzgebirge zu.


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