Felicitas Rose
Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher
Felicitas Rose

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Dann schlug es fünf Uhr vom Türmchen der Ökonomie, und mit dem Schlage trat der alte Kutscher in den Stall und war sehr erstaunt, mich schon dort zu finden.

»Na, ich bin doch immer so früh wach,« lachte ich.

»Ja, – ich meint auch bloß – weil gestern so lange aufgeblieben und über Herrn von Rumohr gesprochen wurde, – es konnte ja niemand von die Damens in's Bett finden.«

»Von Herrn von Rumohr? Was sprachen sie denn?«

»Ja, wissen Sie denn nischt? Er is doch nach Rotbach geprescht und wollt sich barduh nich halten lassen, grad als hätt' ersch geahnt, was uffn wardete. Un Herr von Seydlitz is mitgeritten, und kaum kommen se nach Rotbach, stirzt ihnen der Inspektor mit'n Telegramm entgegen, das eben hierher gebracht werden sollte. Aufreißen, lesen, Koffer packen und abreisen is denn nur so »eins« gewesen für Herrn von Rumohr.«

»Und was stand drin?« fragte ich ganz blaß.

»Och, nischt weiter, als ›Rumohr brennt‹!«

»Rumohr brennt«! – Mit dieser Gewißheit sollte ich den Tag beginnen, der mir so unsägliches Glück versprochen hatte. Ich muß wohl ein entsetzlich trostloses Gesicht gemacht haben, – denn plötzlich streichelte mir eine rauhe Hand zärtlich beide Wangen, und die laute Stimme des alten Kutschers wurde vorsichtig gedämpft:

»Freileinchen, – als ich gestern Abend in dem Stalle ging, weil mir der Herr von Rumohr bestellt hatte, da sah ich en wunnerschenes Bild uff der Futterkiste sitzen un sah ooch, daß der Herr von Rumohr seinen Pferdekauf ganz und gar vergessen hatte, – nee, nee, unterbrechen Se mir nich – ich hatt' meine helle Freide an Sie beide un Freilein Kerlchen, was kriech ich, wenn ich Sie was Scheenes gebe?«

Ich besann mich hin und her, sowohl über das »Scheene«, als auch über eine angemessene Belohnung, und der alte Kutscher beobachtete mich und rief schmunzelnd: »Wenn mer Sie so beguckt, wie Sie so morjenscheen und mit so blitzenden Augen vor einen stehn, denn merkt mer, daß mer trotz seines Alters noch immer nich in e Trappistenkloster geheert, – eche mecht' mer am liebsten e Kuß ausbitten – –«

»Schämen Sie sich« rief ich entrüstet.

»Nä, ech hab mich noch nie geschämt un will das Geschäft auch heite nich erscht anfangen, aber Se kennen ruhig bleiwe Freilein, eche ›bin der Lust an Kusse entwurzelt‹, wie mal ä Dichter sehr scheene geschrieben hat, – un das kommt davun her, daß ich iber ›Banzillien‹ geläsen habe, die sich hellisch leichte durchs Kissen übertragen.«

»Wenn Sie mir recht rasch sagen, was Sie für mich haben, und allen Blödsinn für sich behalten,« rief ich, »dann sticke ich Ihnen auf Sammet ein Sonntagskäppchen.«

»Abgemacht!«

Er schlug in meine dargereichte Hand, als sollte sie in Trümmer gehen, und dann holte er mit ungeheuer verschmitztem Ausdrucke in seinem faltenreichen Gesicht einen Brief aus der Brusttasche, den ich ihm sofort entriß.

»Ihrer Hochwohlgeboren Fräulein Felicitas-R. Schlieden in Groß-Rhoda!«

»Woher?« fragte ich hastig.

»Von ihn

»Wann?«

»Ja, – das mechten Se wohl wisse, un ich will Ihnen au nich zappeln lasse, – um Mitternacht warsch, – als er uff de Station machte, um nach Holstein zu preschen. De Augen hat er sich balde ausgeguckt nach den kleenen Fenster in ihren Stiebichen. –«

Und ich hatte geschlafen! Mein Fritz war vorbeigefahren und ich konnte schlafen, ich abscheuliches Murmeltier – – und nun war er fort!

Wie ein Wirbelwind flog ich in den Park und in ›Tannenruh‹, der tiefdunklen, dichten Baumgruppe warf ich mich auf das weiche Moos nieder, küßte den Brief, zerdrückte ihn bis zur Unkenntlichkeit, glättete ihn wieder und öffnete endlich das Siegel. Ein Telegramm lag mit eingeschlossen in dem Bogen, und ich las nun mit eigenen Augen, was mir vorhin so unheimlich in den Ohren gegellt hatte:

»Rumohr brennt«!

Und dann der Brief, der liebe, liebe Brief!

»Mein Kerlelein, mein geliebtes Bräutchen, willst Du ganz, ganz tapfer sein? Ich muß nach Holstein, gleich, ohne Zaudern, und mein Liebling sieht es ein, daß es so und nicht anders sein kann, gelt? Dieses furchtbare Telegramm! Was werde ich finden? Einen rauchenden Trümmerhaufen? – Welch häßliches Omen, – gerade als ich mir im Geiste ein Haus aufbaue, um endlich mein Kleinod hineinretten zu können, – da zerfällt das wirkliche Heim in Asche, – er ist nun so abergläubisch geworden, Dein Fritz, – Du erhältst sofort Nachricht von mir, sobald ich in Rumohr angekommen bin, und will's Gott, kann ich in kurzer Zeit selbst kommen, um allen unser süßes Glück zu verkünden. – Und nun noch im Geiste einen Blick in die wunderherrlichsten Augen der weiten Welt und einen Kuß auf den süßesten Mund. Leb' wohl, mein tapferes Lieb! Dein treuer Fritz.«

*

Aus Kerlchens Tagebuch.

Drei Tage bin ich nun tapfer gewesen, aber jetzt ist es ganz und gar vorbei damit.

Ich habe noch nicht ein einziges Zeilchen seither von Fritz bekommen, ich weiß nicht, ob er gesund ist, ob er lebt, ob Rumohr gerettet ist oder in Schutt und Trümmern liegt. Ich kann mir ja denken, daß Fritz alle Hände voll zu tun hat, – gewiß, – aber so ein paar Zeilchen sind doch schnell geschrieben, – er muß doch wissen, wie ich mich sorge. –

Ach, wie ist so mit einem Male aller Sonnenschein verschwunden! Der Sturm fegt über die kahlen Felder und heult um das Schloß wie eine klagende Menschenstimme. Ich bin sehr einsam und unsäglich traurig.

*

Wieder sind drei Tage vorbei, – was soll ich nur tun? Ich kann doch nicht mehr ruhig hier abwarten? Oder muß ich das? Ist das eine Prüfung? Muß eine Braut immer und immer Vertrauen haben und »Ja« sagen, bloß weil der liebe Gott gesagt hat: »Er soll dein Herr sein«?

Darf Fritz nun alles tun, was er will? Auch mich quälen?

Aus mir selbst heraus hätte ich wohl all diese Fragezeichen nicht gemacht, aber Baronesse Rinschi las gestern einen Roman vor, wenigstens ein Stückchen davon, und da hieß es, der Held hätte sich mit einem sehr jungen Mädchen verlobt und nachher »hatte er es gar nicht so gemeint«.

Ich lief natürlich aus dem Zimmer, denn ich mußte so furchtbar weinen, während Rinschi und Pinschi Tränen lachten und immer abwechselnd riefen: »Das geschieht dem dummen Ding recht! Zu glauben, solch ein entzückender Mensch könnte mit ihm Ernst machen!«

Aber Fritz von Rumohr ist doch kein »entzückender Mensch«! Der ist doch viel mehr! Der ist doch ein Ehrenmann – – und mein »Kamerad«!

Friedel! Liebling! Du! Hör' mich doch aus der weiten Ferne! Deinem Kerlelein ist so bange!

*

Zwei Tage später.

Nun weiß ich, daß ein Unglück geschehen ist, und bin doch viel ruhiger, ich hab' nun alles dem lieben Gott befohlen, der verläßt mich nicht, der weiß schon in seiner Güte, daß er an so einem Heimatlosen, wie ich es bin, ganz besonders Vaterstelle zu vertreten hat.

Heute Morgen winkte mir der alte Kutscher heimlich zu, – er weiß, daß ich nicht in den Stall darf, – aber sein Gesicht sah aus, als wenn ich diesmal unbedingt das Verbot von Fräulein von Rhoda übertreten und ihm folgen müsse.

Die Futterkiste ist bereits zu einem wichtigen Faktor in meinem Leben geworden, denn auf ihr hat er mir heute von allem berichtet.

Fritz ist schwerkrank! Mein Fritz! Ohne Bewußtsein soll er da liegen, –! es ist nicht zu ertragen! Ich muß mich ganz stark zusammennehmen, damit ich nicht aufschreie.

Der Diener, den er mit auf die Reise nahm, ist zurückgekommen und hat alles erzählt. Gut und Dorf Rumohr sind verloren, ein Trunkenbold, den Fritz vor wenig Wochen entlassen, hat das Feuer angelegt, und die Frau dieses Menschen hat mein Fritz auf seinen Armen aus den Trümmern getragen. Als er dann auch noch den alten, siechen Vater hat holen wollen, ist ein schwerer Balken auf ihn niedergesaust und hat ihm den Arm gebrochen. Meinem Fritz!

O du lieber, lieber Gott im Himmel, konntest du denn nicht besser aufpassen? Sie haben meinen Herzensliebling in das einzige Haus gebracht, welches noch einigermaßen Dach und Wände hat, und der Kreisphysikus von P. hat meinen Fritz verbunden, und er kommt auch täglich mehrmals, um nach dem Rechten zu sehen. O könnt' ich dort sein! Könnt' ich ihn pflegen! Die Leute können sich so schwer um ihn kümmern, sie haben ja alle mit sich zu tun, eine weibliche Hilfe wäre gar nicht da, hat der Diener erzählt, der Doktor wollte erst eine barmherzige Schwester besorgen, – es hielte aber sehr schwer, weil in P. der Typhus sei. Der junge Diener reist wieder hin zu meinem Fritz, – ich bat den Kutscher, daß er einen Brief von mir besorgen sollte zum Mitnehmen, aber er schüttelte den Kopf.

»Herr von Rumohr erkennt niemand!«

Auch mich nicht, Fritz? Auch dein Kerlchen nicht? –

Lieber, barmherziger Gott, schick' mir doch einen guten Gedanken, den ich ausführen kann, der ihm hilft, – laß mich nicht so tatenlos jammern!

*

Brief von Kerlchen an Frau Oberst Schlieden.

»Mein Muttchen! Gelt, Du tust alles ganz genau so, wie ich es jetzt Dir sage? Du bist mein Muttchen, und ich brauche Dich so sehr, so sehr in diesem Augenblicke, und noch ein anderer braucht dich.

Fritz von Rumohr liegt schwer krank in dem einzigen Hause, das noch von dem abgebrannten Rumohr steht, er hat keine Pflege, mein Muttchen, und ich kann nicht zu ihm hin. Aber Du gehst, gelt, meine geliebte Mama, Du tust es? Du hattest ihn ja immer lieb, er ist so gut, – nicht wahr, Du hörst die Angst aus meinem Brief heraus und Du wirst Deine Felicitas nicht verzweifeln lasten. Du mußt gleich abreisen, mein Mütterchen, und darfst keinem Menschen sagen, daß ich Dich darum gebeten habe, und dann schreibst Du mir gleich, wie es Fritz von Rumohr geht, und pflegst ihn gesund, hörst Du?

Dein einsames Kerlchen.

Nachschrift: Liebes Herzensmuttchen, nicht wahr, Du reist wirklich gleich zu ihm, – ich will Dir lieber noch sagen, weshalb Du es ohne zu zögern tun mußt, Mutti.

Fritz von Rumohr ist Dein Sohn, liebes Mutti, er hat Dein Kerlchen lieb, und ich bin seine Braut, ja, das bin ich! Liebes Muttchen, ach reise doch rasch! Gelt? Jetzt tust Du es?!

K.«

Brief von Herrn Wolfgang von Rumohr an Kerlchen.

»Rumohr, den 3. Dezember.

Mein kleines, liebes Mädchen!

Laß Dir Dein Händchen schütteln, das den gesegneten Brief an Dein Mütterchen schrieb. Gelesen habe ich ihn nicht, aber ich weiß aus ihrem eigenen Munde, daß sie von Dir hergeschickt worden ist. Der Name »Rumohr«, den ich zu Häupten meines Briefes vor das Datum gesetzt habe, ist der reine Hohn. Die Baracke, in der wir hausen, verdient den Namen nicht, morgen siedeln wir mit unserm lieben Kranken um, und zwar – – ins Schloß. – Verdient zwar auch nicht diese hochtönende Bezeichnung, aber es ist doch merkwürdig, daß nun, da der Riesenbrand vorbei und alles freigelegt worden ist, just ein paar Zimmer des alten Herrenhauses unter Dach und Fach geblieben sind, die kleinsten und schlichtesten von allen allerdings, in denen unsere Urahne, die eine gar einfache liebe Frau war, am liebsten gehaust hat, und in welche jetzt der Urenkel sein wundes und müdes Haupt betten soll.

Denn gar arg, schwach und hilfsbedürftig ist mein Fritzel, wie er da liegt mit dem zerbrochenen und geschienten Arm, mit der Wunde im Kopf und dem blassen Gesicht. Wie er wohl jetzt meiner Florence gefallen würde? Schön sieht er nicht aus, der Bart verwildert, die Haare abgeschoren, oder teilweise versengt, aber meinst Du nicht, daß seine Wunden, die er im Samariterdienst davon trug, besser zu Gesicht stehen, als weiß und rote Wangen?

Kleines Mädchen, was hatte ich für Sorgen um meinen Jungen, der mir lieb wie ein eigner ist!

Wie hab' ich die Zähne zusammengebissen, als der Diener mit der Schreckensbotschaft nach Mölln gejagt kam! – Ich hab' das Wohl des Jungen buchstäblich in Salicyl getrunken, und der Rückschlag wird nicht ausbleiben. Auf der ganzen Reise hatte ich mir die öde Bude ausgemalt, darinnen mein Fritzel ohne Pflege liegen sollte – – jawohl – die öde Bude stimmte, aber das andere Bildchen hatte mir der Diener nicht gezeichnet, – die zarte, vornehme Frauengestalt, die sich bei meinem Eintritt gerade über den Kranken neigte und mit weicher Hand die Umschläge erneuerte – –

Kerlchens Mütterchen!

Wir hausen und pflegen nun zusammen, meine Gicht hat ein Einsehen und tut ganz sanft, sie erlaubt mir auch, diesen langen Schreibebrief an Dich zu schreiben, kleines, liebes Mädchen mit dem hellen, klaren Kopf und dem guten Herzen. Hab' Dank, Kerlchen! Ist mein Fritz erst gesund, dann soll er Dir selber danken für Deine Fürsorge, – Gott wird schon helfen, mein Friedel ist ja jung und stark.

Dein alter Freund
Rumohr.

Nachschrift:

Ei, ei, ei! Kleines Mädchen! Sieh, sieh, sieh! Hm, hm! Also auf die Art?

Ei Du Kerlchen! Du Tausendsappermenterchen! Hatte da meinen Brief liegen lassen, weil der Fritz sich regte, und war zu ihm geschlichen, denn Dein Mutterchen war etwas eingedämmert, und der Schlaf tat der Unermüdlichen wahrlich not.

Und mein Fritzel sprach ein weniges im Fieber, und plötzlich nahm er meine Hand, und fing an sie zu streicheln, und »ei, ei« damit zu machen, und redete mit meiner alten Runzelpfote, wie ein Kind mit seinem Püppchen, und wie ich mich herunterneigte, um besser zu verstehen, was sagt der Junge?:

»Kerlchen, mein Kerlchen, mein Bräutchen! Komm'! Ach komm'!«

*

Kannst Du Dir da einen Vers drauf machen, kleines, dummes Deernchen, verschlossenes, vernageltes Erzgeneraldümmerchen, das seinen alten, guten Freund an der Nase 'rumgeführt hat? Na wart' nur! Ich hab' den Jungen, der gleich nach seinem Bekenntnis wieder fest und gut einschlummerte, wie dumm angeguckt, – aber da lag plötzlich eine weiche Hand auf der meinen, und ein paar wunderschöne Augen sahen mich unter Tränen lächelnd an. Natürlich – Dein Mutterchen hat alles gewußt, und so saßen wir nun lange Hand in Hand und dachten an – unsere Kinder.

Kerlchen, aber gelt, nun muß er gesund werden, der Bengel?

Und – Kerlchen, jetzt will ich aber »Rumohr« schön aufbauen lassen, – soll ja eine junge liebreizende »Frawe von Rumohre« einziehen in Dorf und Schloß – –

Kerlchen, und sei dem alten Manne nicht bös, daß er immer schrieb: Mein Junge, mein Fritz«. Hatte ja keine Ahnung, daß, er Dir gehörte, Du tapferes, goldenes kleines Mädchen! Mein Töchterchen, Gott segne Dich! Gute Nacht!«

Aus Kerlchens Tagebuch.

Fräulein von Rhoda ist sehr ärgerlich auf mich.

»Ich habe doch eine ›Stütze‹ engagiert, und keine Schriftstellerin,« sagt sie jeden Tag mindestens zweimal, denn so oft kommen jetzt Briefe an mich, und ebenso oft schicke ich auch einen Gruß an die Rumohrs.

Es ist meine einzige Erholung, die müssen sie mir lassen, sonst klappe ich zusammen.

Denn Fräulein von Rhoda ist krank, und wenn sie dieser Krankheit auch einen eigens dazu ausgedachten närrischen Namen gegeben hat, über welchen Rinschi und Pinschi lachen, – weh' scheint es doch zu tun, und ich muß immer zur Pflege da sein, denn die Zwillinge greift es zu sehr an. – Es ist aber doch recht schade, daß ich selbst auch gar nicht mehr das gesunde, frische Provinzmädel bin, – ich fühl's ja selbst, und der Spiegel zeigt mir auch ein erschreckend blasses, mageres, hohläugiges Gesicht, Dr. Gieseke, mein guter, alter Freund, ist verreist, sonst hätte ich ihn doch schon mal gefragt, – sein Vertreter rennt immer so an mir vorbei, ohne mich auch nur anzusehen, es ist ein Hofrat und Leibarzt irgend einer hohen Person, die in Altenhof zur Kur weilt, – und sieht aus, als dächte er, nur hoch- und uradlige Menschen dürften sich den Luxus des Krankseins erlauben.

Den 10. Dezember.

Guten Morgen! Na, so ein Schlafratz! Ach – das tut aber wohl! Wie wird Dr. Gieseke lachen und sich freuen. Als ich vorgestern die Feder aus der Hand legte, mühte ich mich ganz, stark, wach zu bleiben, aber es ging nicht, es sauste und summte mir vor den Ohren, ein dummes, häßliches Gefühl überkam mich, und immer schlug mein Kopf auf den Tisch hin. Dazwischen hörte ich die Klingel aus Fräulein von Rhodas Zimmer, es tat mir so leid, denn die Zwillinge hören nicht auf sie, und die Stiftsdame regt sich so auf, wenn ich nicht gleich komme, aber ich konnte mich nicht rühren vor Müdigkeit.

Dann weiß ich nur noch, daß die Baronessen gestürzt kamen, und furchtbar mit mir schalten, und daß plötzlich Dr. Gieseke im Zimmer stand und ein kleines Verhör mit mir anstellte, – sein gutes, rotes Gesicht sah ganz blaß aus, – dann tauchte ein anderes Gesicht auf, das von der guten, alten Mamsell im Schlosse, die zog mich aus wie ein kleines Kindchen, und brachte mich zu Bett.

»Schlafen!« befahl mir Doktor Gieseke.

Und nun habe ich geschlafen zwei Tage hindurch, und wenn sich einmal meine Lider hoben, dann sah ich undeutlich die alte Mamsell bei mir sitzen, einmal war auch der alte Kutscher da, das weiß ich, denn er dämpfte seine Stimme kein bißchen und schien sehr ärgerlich zu sein, wahrscheinlich über die Schlafmütze. Und nun bin ich wieder gesund und lief gleich hinüber zu Fräulein von Rhoda, das heißt, – laufen ist zuviel gesagt, meine flinken Beine sind merkwürdig schwer geworden, aber da trat mir eine freundliche Pflegerin entgegen, die sie drunten aus dem »Ingeheim« geholt haben, und sie drehte gleich wieder mit mir herum, und sagte gütig: »Kleinchen hat Stubenarrest, und soll sich ganz und gar erholen, so hat es der gute Herr Doktor bestimmt.« Und nun erhole ich mich. – Mamsellchen bringt mir allerhand Gutes, ich werde gepäppelt wie ein Prinzeßchen, und wenn Feierabend ist, erscheint der alte Kutscher und erzählt mir, was in Hof, Garten und Stall passiert ist. Das Schönste aber brachte mir der Postbote, – das hat mich erst ganz gesund gemacht, – einen Brief von Fritz. –

Brief?? Da meint Ihr gewiß ein langes, langes Schriftstück – ach nein – ein winziges Zettelchen ist's, aber doch mein ganzes Glück. Mein Fritz wird ja bald wieder gesund – denkt doch nur, er sieht und hört und versteht wieder alles und weiß, daß ich ihm gehöre, – ja freilich, das weiß er wieder. Und der Arm heilt schön, und die Kopfwunde hat sich geschlossen, – – der liebe Gott ist doch furchtbar gut mit mir.

Und nun hat Fritz zum erstenmal geschrieben – o Himmel, – die Krakelfüße, aber es sieht doch wunderschön aus, – gelt?

Zu lesen ist's kaum noch, soviel Tränen sind darauf gefallen, und so oft hab' ich's ans Herz gedrückt. – – – – – – – –

*


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