Felicitas Rose
Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher
Felicitas Rose

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Der alte Herr von Rumohr saß vor seiner Hütte im bequemen Ruhesessel und studierte die eingegangene Post. Der schwarze Diener stand in einiger Entfernung und sah mit sehr ängstlicher Miene nach seinem Herrn hin.

Wenn die Gicht bös in den Füßen hauste, dann wünschte die Umgebung des Kranken immer von Herzen, daß die eingehenden Briefe und Zeitungen die Stimmung verbessern möchten; das schien aber heute nicht der Fall zu sein.

Schon mindestens dreimal hatte Wolf von Rumohr die dünnen überseeischen Blätter durchgelesen und zusammengefaltet, und ebenso regelmäßig setzte er diese Arbeit fort, holte immer wieder die Briefbogen aus dem Umschlage, glättete sie und las sie aufmerksam von Anfang bis zum Ende. So grimmig war sein Gesichtsausdruck, und immer grimmiger wurde er noch. Ein Weinglas hatte bereits dran glauben müssen, es lag zerschmettert zu Füßen einer alten Buche und zeigte, daß wieder mal der Jähzorn mit dem alten Manne durchgegangen war.

Und das diensteifrige Bemühen des Negers, die Scherben aufzulesen, war mit einem Fluche zurückgewiesen worden, dazu eine energische Hand- und Armbewegung, die dem Zornigen noch dazu rasende Schmerzen verursachte, weshalb der Schwarze es vorzog, einige Entfernung zwischen sich und den Gebieter zu legen.

»Es ist nicht zu glauben,« murmelte Herr von Rumohr zornig, – »nicht zu glauben, wenn ich es nicht schwarz auf weiß hätte. Die Florence ist mir richtig über den Kopf gewachsen, und ich sitze hier wie Trumpf Sechs, kann ihr nicht mal den Kopf waschen, wär' auch doch schon zu spät, und mein siedendes Donnerwetter hört sie nicht, und wenn sie's hörte, würde sie höchstens drüber lachen, schallend, silberhell, wie's nur meine Florence kann.

Aber was tun, was tun? Ich kann doch nicht so ohne weiteres meinen Segen geben, der – scheint's, noch nicht mal so arg verlangt wird, so verliebt, so ganz mit sich selbst beschäftigt sind die beiden.«

Wieder wurde der Brief studiert, und Mustas Gesicht verlängerte sich zusehends.

Musta hatte Miß Florence »großgewartet«. Ihre kleinen schneeweißen Fingerchen hatten sich an seinem schwarzen Krauskopf festgehalten, wenn er sie auf seiner Schulter tanzen ließ. Er hatte sie laufen gelehrt und ihr die schwermütigen Niggerweisen vorgesungen, die sie so sehr liebte, weit mehr als die langweiligen deutschen Wiegenlieder, mit denen die weiße Wärterin des Pflanzerprinzeßchens sie einlullte. Miß Flossy war immer Mustas treue, kleine Freundin gewesen, die ihn in Schutz genommen und nötigenfalls mit ihren eigenen kleinen Fäusten verteidigt hatte, aber nun er fern von ihr war und sich so schon so furchtbar nach ihr und der schönen heißen Heimat bangte, da war es nicht recht, daß sie den strengen Gebieter durch ihre Kritzelbriefchen reizte, wie das heute augenscheinlich der Fall war.

»Liebster Pa!

Heute kannst Du Dich nur ganz fest in Deinen Sessel lehnen und Dich auch im weiteren recht fest halten, denn ich hab' Dir allerhand Überraschendes zu erzählen.

Verlobt hab' ich mich, alter Pa, – nicht wahr, Du hättest nicht geglaubt, daß es so rasch gehen würde. Ich selbst auch nicht, und erst recht nicht hätte ich geglaubt, daß ich so über alle Begriffe glücklich sein würde, – es ist ja wie im Märchen, und die Welt über die Maßen schön.

Jetzt reißt mein alter Pa die Augen auf und staunt, daß seine kühle Flossy ins Schwärmen kommt, wie ein deutsches Mädchen, und er glaubt am Ende gar, der deutsche Einfluß sei dran schuld, den Du mir so weise von Deiner Heimat aus in der Person des Vetters Fritz schicktest. Und wirklich, Du hast recht gehabt, alter Pa, der Fritz von Rumohr ist ein Prachtkerl! Diese schwermütigen schwarzen Augen haben in der doch verhältnismäßig kurzen Zeit seines Hierseins Unheil genug angerichtet, trotzdem, oder vielleicht weil dieser deutsche Bär so unbekümmert durch das Kreuzfeuer schöner Blicke einherschreitet. Es ist die höchste Zeit, daß der Herzenbezwinger bald dauernd in Fesseln geschlagen wird. –

Nur ich kann es nicht tun, liebster Pa, und jetzt komme ich zu dem Kernpunkt meines Briefes, um den ich bis jetzt herumgegangen bin, wie die Katze um den heißen Brei. Wie ich Dir schon sagte, ich bin verlobt mit Cedrik Palmers, – und – ich hatte den Ceddy schon lange lieb, als mein alter Pa den sonst ganz netten Plan mit Fritz von Rumohr austüftelte.

Und nun weißt Du auch, daß Du absolut keinen vernünftigen Grund hast, mir meinen Ceddy nicht zu geben, weißt auch, daß irgend welcher Widerstand bei Deiner Flossy nichts nützen würde, deshalb tu mir und uns den Gefallen, die ganze Sache reizend zu finden, und kabele uns Deinen Segen schleunigst herüber, damit wir alles veröffentlichen können.

Damit Du aber nicht etwa in den Fehler fällst, gegen Deine süße Florence zu wüten, weil sie Dir so ein niedliches, im deutschen Buchenwalde echt deutsch ausgedachtes Heiratsplänchen zerstörte, will ich Dir doch ein Bravourstückchen von Deinem ausgesuchten Thronprätendenten Fritz erzählen, damit Du wieder mal siehst, daß der Mensch (in diesem Fall mein alter Pa) denkt, und Gott lenkt. Also Cedrik wollte eigentlich erst noch eine größere Reise unternehmen und mir erst nach seiner Rückkehr das entscheidende Wort abverlangen, – ich hatte den lieben Jungen nicht gerade sehr gut behandelt, geschweige denn ermutigt. Du kennst ja Deine kratzbürstige Flossy. Ich wäre lieber gestorben, als dem Ceddy zu zeigen, daß ich ihn lieb hatte, – Pa, tüchtig lieb.

Da erschien Fritz von Rumohr auf der Bildfläche, wir verstanden uns vom ersten Augenblick an famos, und nun wurde Cedrik rasend eifersüchtig. Hätte es meinem gelassen-ruhigen blonden Schatz nicht zugetraut. Es ist nun sehr möglich, daß ich in den darauffolgenden Wochen etwas heftig mit Rumohr kokettiert habe, – er kann's jedem Mädel antun, behaupte ich, das nicht gerade 'n Bovist an der Herzstelle trägt, wie Du immer so schön holsteinisch sagtest. Dazu kam, daß ich mich etwas über den deutschen Eiszapfen ärgerte, der selbst in den lauesten Sommernächten bei feurigster Bowle ungerührt über deutsche Politik und Bismarck reden konnte, – – na, das Ende vom Liede war, mein Othello Cedrik setzte mir eines Abends die Pistole auf die Brust (bildlich genommen) und brüllte: »Er oder ich, entscheide dich.« Worauf ich lachend entgegnete: » Dich, du dummer Ceddy.«

Das war unsere Verlobung, und Du weißt, Pa, daß sie in jeder Beziehung paßt.

Als wir nun so recht im unvernünftigsten Glücke schwelgten, fiel es mir doch schwer auf die Seele, dem Friedel die veränderte Sachlage schonend beibringen zu müssen, ich mochte gar nicht an seine melancholischen Schwarzaugen denken.

Als Ceddy fort war, und Fritzens Besuchsstunde nahte, setzte ich mich ordentlich in Positur, und als er nun mit ganz besonderer Miene eintrat, angetan mit einem schauderhaften deutschen Bratenrock, der ihm aber, wie alles, tadellos sitzt, – erschrak ich wahrhaftig.

»Ich habe mit dir ernsthaft zu reden, Flossy,« sagte er feierlich, und ich erwiderte beklommen: »Ich auch mit dir.« Nun war aber gerade ein Brief von Dir gekommen, Pa, und Fritz nahm wohl an, Du hättest wieder mal unsere Verlobung kräftig befürwortet, – kurz, er ließ mir nicht mal als Dame den Vortritt mit meiner Rede, sondern nahm meine beiden Hände und sprudelte nur so seine Worte hervor, und wie ich erst stutzend, weil ich meinen Ohren nicht traute, ihm zuhöre und schließlich den Schaden besah, – Pa – da wollte er mich durchaus nicht heiraten, um keinen Preis der Welt. – Mit Dir sei absolut nicht zu reden gewesen, meinte er, aber ich sei ein verständiges Mädchen (hörst Du Pa?), und ich solle ihm nicht böse sein, – als Schwester und Cousine sei ich ein famoses girl, aber als Braut oder Frau – never! Na, ich war so, was man sagt, – starr! Schließlich kanzelte ich ihn ordentlich ab, daß er mich nicht hatte zuerst reden lassen, und sagte ihm, daß ich ihn nicht ausstehen könnte und nicht geschenkt haben möchte, (Gott verzeih' mir diese krasse Lüge) daß ich seit Monaten verlobt sei, (es waren genau zwei Stunden), und er sei ein greulicher Mensch und solle sich zum Teufel scheren. Das tat er aber nicht, weil er behauptete, keine Fühlung mit diesem Herrn zu haben, – fragte mich immerzu, ob es denn wahr sei, daß ich den Cedrik Palmers liebte, und wurde bei meiner energischen Bejahung so kreuzfidel und sah so beleidigend glücklich aus, daß ich beinahe geheult hatte, denn so was war mir, die den Beinamen Turandot hat, doch noch nicht passiert.

Aber ich zog es vor, zu lachen, und schließlich lachten wir beide ganz unsinnig, und das löste die Spannung.

»Also du willst mich wirklich nicht, du Engel von einem Mädel?« fragte er zum Schluß noch einmal mit tiefem, erleichtertem Aufatmen und küßte mir in überströmender Dankbarkeit die Hand.

»Ich kann mir nur eins denken,« sagte ich in berechtigter Erkenntnis meiner sonstigen Unwiderstehlichkeit; »daß es dir bereits ein deutsches blondes Gretchen angetan hat, und du schon als Bräutigam hierher kamst.«

Er wurde rot und sehr dickköpfig und abweisend, aber da er wohl einsah, daß er mir eine kleine Genugtuung schuldig war, beichtete er endlich, das heißt bei diesem deutschen Eisenkopf ist ja von eigentlichem Beichten nicht die Rede. Er gab also zu, daß er stark »in love« sei, aber gänzlich unverlobt, das Mädel arm, er arm und ja auch längst noch nicht in der Lage, der Erwählten seines Herzens irgend ein bindendes Wort zu sagen, da er ganz von Dir abhinge. Aber jetzt erst, seit er den früheren aufgezwungenen Beruf von sich geworfen, fühle er, wie er der geborene Landwirt sei, und er wolle Rumohr und Rotbach hoch bringen, so wahr ihm Gott helfe.

Wie er so dastand, Pa, weiß Gott, man konnte das Mädel beneiden, dem er sein Herz geschenkt.

Ich deutete ihm ganz sacht an, daß er sehr sanguinisch sei, und daß das »arme Mädel« sich vielleicht nach einem andern umgesehen habe, aber da bekamen seine Augen so einen ganz eigenen träumerischen Glanz, und er sagte mit befreiendem Aufseufzen:

»Ach Gott nein, das tut »es« nicht. »Es« sagte er, nicht »sie«.

Und nun spreche ich ganz energisch mit Dir, alter Pa, mach' keine Sperenzien, rufe den Fritz umgehend nach Deutschland zurück und gib ihm »Rumohr« ohne weiteres. Er kann ja keinen besseren Berater bekommen als den alten Oberinspektor Kalau; die beiden bringen Dein Stammgut hoch, – wetten, Pa? Und dann bist Du gescheit und wandelst das Kunkellehen Rotbach auch in Majorat um, ich bitte Dich, was soll ich mit Rotbach. Ein Gut, das nie seinen Herrn sieht, ist ein Unding, und offen gestanden, ich hänge ja hundertmal mehr an unserm »Seven Oaks« hier, auf dem ich groß geworden bin. – Sei brav, alter Pa, Du siehst ja selbst ein, daß alles so am besten ist.

Ich möchte wohl das Mädchen sehen, das ein Fritz von Rumohr zu seiner Gattin gewählt, – – es muß etwas ganz Besonderes sein –

*

Leb' wohl, Pa, ich hab' ganz echtes, deutsches Heimweh nach Dir.

Deine Flossy.«

Aus Kerlchens Tagebuch.

Groß-Rhoda, im September.

Die gute Wera! So ein herzenswarmes Ding! Da hat sie mir mit List und halb mit Gewalt ein Stündchen verschafft, damit ich endlich einmal wieder schreiben kann. »Was hat eine bürgerliche Stütze zu schreiben?« fragt die Stiftsdame, Fräulein von Groß-Rhoda.

Sie ist so blaublütig, daß es einen Hund jammern kann. In ihrem ganzen Stammbaum soll keine einzige Mesalliance vorkommen, Wera meint sehr respektlos, sie hätte dadurch 'n kleinen Klaps wegbekommen.

Als ich ankam und sie begrüßte, sah sie mich ganz starr an. Schließlich meinte sie weinerlich: »Sie sind die Falsche, Sie will ich nicht haben!«

Ich stand Todesangst aus, sie könnte den Fastnachtsscherz, den wir einst mit ihr gespielt, wittern, aber sie beruhigte sich doch, als ich ihr schwor, Fräulein Felicitas Schlieden, ehemalige Anstandsdame von Fräulein Wera von Altenhof, jetzigen Baronin von Groß-Rhoda zu sein.

»Wie haben Sie sich so verjüngen können!« rief sie händeringend, – »es ist wie ein Wunder! Ich will es wissen, was für Mittel Sie angewendet haben, Sie haben ein anderes Gesicht, eine andere Haltung, eine andere Sprache, was taten Sie?«

Sie packte mich beschwörend an, und aus Angst vor ihrem erregten Aussehen stotterte ich was von »heißem Zitronensaft und Honig«.

Wieder sah sie mich mißtrauisch an, und Wera setzte rasch hinzu: »Aber baden drin, Tantchen – baden.«

Andern Tags schon mußte ich ein Honig- und Zitronensaftbad machen, während Wera so furchtbar lachte, daß sie sich ins Bett legen mußte.

Fräulein von Rhoda war unbeschreiblich klebrig, als sie aus der Badewanne stieg, und schauderhaft gnittrig und ärgerlich. Ob sie geglaubt hatte, schon gleich beim erstenmal der Wanne als Venus Anadyomene entsteigen zu können!

Wir haben das Bad nun schon ein paar Tage ausgesetzt, – Gottlob, mir ist dieses Komödiespielen ja zu greulich, während Wera darin förmlich schwelgt und immer neue Mittel erfindet, jung zu werden, die Fräulein von Rhoda leider alle ausprobiert, wenn auch manches nur heimlich.

Mein Zimmer ist schauderhaft. Was uns damals ein toller, reizender Scherz erschien, das rächt sich nun alles bitter, denn ich muß auf die unschuldigsten Freuden verzichten, weil ich »damals« gesagt habe, ich täte dies nicht, und das nicht, und jenes wäre mir ein Greuel. Gerade meine liebsten Beschäftigungen! So hab' ich auch all meine lieben Bilder, den Säbel von Papa, meinen Revolver, den Totenkopf, ein paar Armknochen, und was dergleichen Schmuck für ein Mädchenzimmer mehr ist, nicht auspacken können, denn sie hatte alles schon mit frommen Bildern und Sprüchen behängt, ein Korb mit »Zentnern« von feiner grauer Strickwolle stand auf dem Nähtisch, und ein Strumpf war bereits angefangen, natürlich nicht für mich, sondern für sie.

Wenn ich den Zentner aufgestrickt habe, bin ich tot oder verrückt.

Am allerschönsten ist es noch des Sonntags. Da fahren wir früh zur Kirche, und ich bin während des Gottesdienstes wenigstens mein eigener Herr.

Denn Fräulein von Rhoda leidet es um keinen Preis, daß ich in dem wappengeschmückten Stuhl der »Rhodas« sitze; so fromm die Stiftsdame ist, so glaubt sie doch streng an einen adligen und einen bürgerlichen Himmel. Wenn ich ihr erzählen würde, daß meine Ahnen Grafen waren, daß ich das Patenkind des vormaligen regierenden Fürsten bin, dessen Bild unzählige Male in ihren Zimmern vertreten ist, daß Fürst Li mein treuester Freund war – – es würde meine Situation mit einem Schlage verändern.

Aber nicht um die Welt tue ich das!

Und Wera hab ich auch ernst und streng untersagt, der Hochmütigen davon zu sprechen.

O dieses Komödienspiel!

Aber es ist das kleinere Übel. Ich will gern dienen, es ist nichts Unehrenhaftes. Denn nur durch Dienen kann ich verdienen. Guter Gott, gelt, du gibst, daß es nicht gar zu lang dauert, bis ich die Schuld getilgt habe?!

Jetzt ist Leutnant Heinz hier auf wenige Tage. Der arme, närrische Bengel! Er will und will nicht einsehen, daß, ich eine bürgerliche, bezahlte Stütze bin, er war in diesen Tagen der leibhaftige: »Schwan kleb' an«.

Seiner Tante, der Stiftsdame, ging er meilenweit aus dem Wege, denn man sah es ihr an, daß sie die Gelegenheit förmlich suchte, um ihm etwas am Zeuge zu flicken und ihm deutlich klar zu machen, was ich sei.

Als sie ihn nicht erwischen konnte, hielt sie mich fest und sagte mir allerhand komische Dinge, – o wie böse wurde sie, als ich so hellauf lachte. Ja warum macht sie denn mit einmal solche Scherzchen, wenn man doch nicht lachen soll? Sie ist doch sonst so miesepetrig.

Wenn einer 'n Witz macht, lach' ich, und wenn's der Sultan von Marokko ist.

*


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