Felicitas Rose
Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher
Felicitas Rose

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Unten in der Küche pfiff Jens Jensen ein Liedchen und wichste dazu.

»Jüst so, as ik dat seggt harr,« rief er Kerlchen entgegen, »de Düwel hett ol Marie afholen wolln düsse Nach, – sien Visitenkart liggt äwerall rüm.«

»Schäm' dich, Jens! Mach' keine dummen Redensarten, sondern lauf' fix zu. Du mußt den Doktor holen.«

»Den Viehdoktor?«

»Dummes Zeug!«

»Ik meen man! Wenn en Drach' krank is –«

Kerlchen faßte ihn bei den Schultern und beförderte den Jungen energisch an die frische Luft, während er von einem Ohr bis zum andern griente. Kerlchen hätte ihm eine Ohrfeige geben können, und er würde auch nur gegrient haben; Leute mit so kleinen Füßchen wie Fräulein Feliztas (Jens Jensen legte den Druck auf die erste Silbe) durften sich schon viel herausnehmen.

*

»'n Tag, Fräulein Kerlchen!«

»Gott sei Dank! Herr Doktor!«

»Na, ist's denn so schlimm?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wer ist denn der Patient? Ol Marie oder die Gnädige?«

»Alle drei!«

»So? Seit wann zählt denn eins doppelt?«

»Die Kriegsrätin ist auch da – – liegt oben bei Tante.«

»Ja, was ist denn passiert?«

Der Doktor sah sehr ernst aus und stieg brummend und kopfschüttelnd neben Kerlchen zum Fremdenzimmer hinauf. Als sie an ol Maries Tür vorbeikamen, blieb er stehen und klinkte sie auf.

Die Alte begrüßte ihn kleinlaut.

»Ich probier' schon das Aufstehn, Herr Doktor, oha, oha, de Gurken sünd all, oawer de Koffee – – igittigitt!«

Ol Marie wollte aufstehen, sank aber zurück, während kalter Schweiß auf ihre Stirn trat. Der Doktor faßte ihren Puls.

»Zeigen Sie mal die Zunge. Hm, sieht schlecht aus, Magen verkorkst, was? Sie sind doch die Jüngste nicht mehr, gewiß mal wieder in Erbsen und fettem Speck gewüstet? He?«

Die Erinnerung an fetten Speck schien alles bei ol Marie rebellisch zu machen.

»Na, erlauben Sie mal,« wehrte der Doktor ab, »legen Sie's einstweilen dahin – – so – und nun raus mit der Sprache.«

Ol Marie erholte sich und beichtete kurz und inhaltsvoll:

»Sekt!«

»Waaaas?«

»Ja, so is dat, Herr Doktor!«

»Wann?«

»Gestern Abend!«

»Wieviel?«

»Na, so 'n Stückener drei!«

»Flaschen?«

»O Herr Doktor, nee, – man Gläser.«

»Is auch grad genug, Sie dumme Person! Sie waren also dun und hab'n jetzt 'n gehörigen Kater, 'n Brand kriegen Sie auch noch!«

Ol Marie fing an zu weinen.

»Na, nu schlafen Sie man,« setzte der Doktor begütigend hinzu, während Kerlchen mitleidig ein nasses Tuch auf die Stirne legte.

»Oha, Herr Doktor, muß ik denn to Bett bliwen?«

»Na vorläufig gewiß, – Sie können ja doch auf keinem Beine stehen!«

Ol Marie schluchzte heftiger.

»Oha, wer mi dat in mien Jugend segg har! Herr Doktor, vorn lütten »Brand« fürcht' ik mi ni, ik bün jo versichert, äwwer – um Gotteswillen schaffen Se mi den »Kater« von Liew.«

Der Doktor lachte gefühllos und ging.

»Es ist wirklich dumm,« sagte er draußen zu Kerlchen, daß ol Marie gerade jetzt solche Streiche machen muß, wo die Gnädige auch krank ist. Wie konnten Sie aber dem alten Mädchen auch Sekt geben?«

»Es war eine Wette – und – und – –«

»Worüber klagt Fräulein von Hartwig?«

»Herr Doktor – ich glaube – sehen Sie – es ist wohl dasselbe wie bei ol Marie – wir waren so vergnügt gestern, und die Kriegsrätin kam auch und – die mußte zuerst ins Bett gebracht werden und heute hat sie ihr Testament gemacht.«

Der Doktor war überwältigt. Er setzte sich auf die Treppe und lachte Tränen, Kerlchen half ihm ehrlich dabei, nur durften beide nicht laut werden, weil sie dicht vor Tante Lauras Zimmer standen.

»Ein regulärer Katzenjammer! Und Sie sind dran schuld, Sie Teufelskerlchen, ich seh's an Ihren Schelmenaugen. Und wie steht's mit Ihnen? Sie haben doch sicher 'n gehörigen Stiebel zusammengepichelt.«

»Es geht für 'n Schaltjahr,« lachte Kerlchen, »ach, ich trink' ihn ja zu gern, Sie auch Herr Doktor?

»Hm! Wir wollen jetzt zu den beiden Patienten.« –

Die beiden Damen sahen den Eintretenden mit hilfeflehenden Blicken entgegen, der Arzt schritt von einem Bett zum andern, untersuchte eingehend und sprach dann ruhig:

»Akute Alkoholvergiftung!«

Mit einem Schrei fuhr die Kriegsrätin in die Höhe, um sich wimmernd sogleich wieder niederzulegen.

»Müssen wir sterben, Herr Doktor?«

»Nein, meine Verehrteste, nur das nächste Mal vorsichtiger sein, wenn Wetten ausgetragen werden. Für jetzt ist's das beste, wenn Sie Hundehaare auflegen.«

»Ach Gott, mein armer Dackel,« schrie die Rätin auf. »O die Sorgen, die Sorgen!«

»Ihrem Dackel geschieht nichts,« beruhigte der Doktor, »aber wie steht's mit 'm Glas Sekt, recht eisgekühlt und 'nem büschen Kaviar, damit der Appetit sich regt?«

Schwache, abwehrende Handbewegung.

»Schlafen, Herr Doktor, – schlafen!«

»Das ist denn auch das beste! Ich spreche heute nachmittag noch mal vor. Einen Notar brauchen Sie nicht, Frau Kriegsrat, Sie werden noch manches Püllchen fröhlich austrinken, aber nur unter meinem Beistand. Praesente medico nihil nocet – »dem Arzte schaden keine Präsente.« Ich empfehle mich.«

*

Die beiden Zurückbleibenden legten sich mit einem Seufzer der Erleichterung tiefer in ihre Kissen.

»Na, liebe Hartwig, für diesmal war's noch nichts!« meinte die Kriegsrätin mit einem ganz leisen Anflug von Humor in der Stimme, »aber dieses Testament bleibt doch bestehen.«

»Recht so, liebe Karg!« – O mein Kopf! Mir tut's nur leid, daß wir beiden Alten, wir sprichwörtlich widerstandsfähigen Frauenzimmer wegen dem bißchen Kopfweh unsern Doktor hergejagt haben, – er war schon über Land und ganz erschöpft, – in Feddernhausen ist Scharlachepidemie.«

»Der Ärmste! Wir müssen ihn ordentlich entschädigen. Was sagte er da zuletzt von Präsenten?«

»Ach, das war 'n Schnack von ihm, uzen wollt' er uns. Der und Präsente nehmen, da kennen wir ihn doch. Der schreibt seine Liquidation, und rundet man sie nach oben gehörig ab, dann hat den Überschuß schon am nächsten Tag das Kinderkrankenhaus. Aber 'n Frühstück soll er haben, muß er haben, – o mein Kopf!«

Fräulein von Hartwig läutete Sturm, und da Kerlchen den Klang der Glocke nicht hörte, erschien Jens Jensen in der Türöffnung.

Frau Kriegsrätin Karg zog die Decke bis an die Nasenspitze hoch:

»Seit wann haben Sie männliche Bedienung in Ihren Zimmern, liebste Hartwig,« fragte sie kläglich.

»En Mann? En dummen Jung is he, un ik weet ni, wo der Deubel den Schapskopp herkarrt. Wo is ol Marie? O mein Kopf!«

»Dat seggt ol Marie ok! De liggt in ehr Kammer und streckt alle viere.«

»Um Gott – was fehlt ihr?«

»Fehlen deiht ehr nix, se hett 'n beten toveel.« Jens Jensen machte eine nicht mißzuverstehende Handbewegung. »Se hett en lütten Mallör gehatt gestern Abend.«

Die beiden alten Damen wurden rot.

»Wo ist Fräulein Felicitas?«

»Die macht en Frühstück vorn Herrn Doktor, der fiel nur so in 'n Lehnstuhl rein, ganz mör war he vun sin Landreis'.«

»Sag' dem Fräulein, sie sollt Wein hinsetzen, von jeder Sorte, was sie will.«

»Hat ihm schon, – Fräulein Fee denkt an allens, se wär ok de Eenzigst, de nicht besapen wier.«

»Mach' daß du rauskommst, Jens Jensen.«

*

Doktor Kramer und Kerlchen saßen im traulichen Eßzimmer, Kerlchen bereitete schnell und geschickt appetitliche Brötchen, und der Doktor sah ihm mit unverkennbarem Wohlgefallen zu.

»So ein Hausmütterchen sind Sie,« fragte er behaglich, »ich glaubte, Sie wären mehr so ein kleines Verwöhntes mit Prinzessinnennatur.«

»Das wäre schlimm, Herr Doktor. Tüchtig muß ich noch lernen, um einmal ganz auf eigenen Füßen stehen zu können. Ich bin ja ein heimatloses – –«

Kerlchen bekam verräterisch blanke Augen.

»Donnerwetter!« fuhr der Doktor auf. »Heimatlos! Wie Sie so etwas sagen können! Fräulein von Hartwig liebt Sie wie ihr eigen Kind, von uns andern Möllnern will ich schon gar nicht reden, – na und ich will zehn gegen eins wetten, der erste junge Mann, der Sie hier sieht, packt Sie gleich auf und nimmt Sie mit.«

»Phhhh! Er soll's nur probieren!«

»Fräulein Kerlchen, – – ich – ich kann ja leider nicht den Wahrheitsbeweis selbst antreten, – ich könnte ja Ihr Vater sein –«

Kerlchen lachte fröhlich.

»Gott sei dank, ja, Sie lieber, alter Herr Doktor! Und nun bin ich fertig, und Sie müssen tüchtig essen und diesen alten herrlichen Rotwein probieren und dann – –«

»Kerlchen, Kerlchen, was haben Sie mit mir vor?«

»Gar nichts Schlimmes, Herr Doktor. Aber da ist noch 'ne Flasche gestern übrig geblieben, und warum soll ich sie erst wieder in den Keller zurückbringen, – sie hat die ganze Nacht in Eis gelegen, – köstlich!«

»Na, hab' ich nun nicht recht mit der Prinzessinnatur? Ich sah's Ihnen ja an der Nasenspitze an, Fräulein Kerlchen, daß Sie Kaviar lieber essen als Kohlrüben. Aber – was wird Fräulein von Hartwig sagen, wenn wir in ihrem Sektkeller herumwüsten?«

Jens Jensen steckte den Kopf zur Tür herein:

»De Gnädige läßt sagen, Fräulein Feliztas möcht' allens orrnlich besorchn mit das Frühstück, un von jede Sorte Win schall upn Disch kamen.«

»Sehen Sie, Herr Doktor?« triumphierte Kerlchen.

»Und sollen jo nich vergeten, in de Küche ok 'n Glas hentosetten,« schloß Jens Jensen diplomatisch.

»Na, das hat Fräulein von Hartwig sicher nicht gesagt, – du hast eine blühende Phantasie – –«

Aber Jens war schon fort.

»Der wächst sich auch zum Original aus,« lachte der Doktor, »und was er Ihnen für Augen macht – –«

»So 'n dummer Bengel! Ich muß ihn wirklich nächstens mal durchhauen.«

»Allerdings ein probates Mittel gegen Verliebtheit, aber bei allen werden Sie's doch nicht anwenden können, oder machen Sie's auch so, wie gewöhnlich die Siebzehnjährigen, die da sagen: »Ich heirate nie!«

Kerlchen antwortete nicht, der Sektpfropfen wollte und wollte nicht herauskommen, ein Sektbrecher war auch nicht da, ein alter Büchsenöffner vertrat seine Stelle, was Wunder, daß Kerlchen so rot wurde – vor Anstrengung.

»Na, krieg' ich keine Antwort?«

»Knall« sagte der Korken und sprang bis an die Decke, aber edles Naß floß nicht vorbei, Kerlchen war flink und geschickt.

»Prost, Herr Doktor!«

»Prost Kerlchen! Es ist fabelhaft gemütlich bei Ihnen, und es sieht sich famos zu, wenn Sie sich so als kleiner, geschickter Sektbrecher anstellen. Aber erst meine Antwort. Nee, nee, nicht weggucken und nicht ärgerlich aussehen. Ich möcht' gar zu gern Ihr Glaubensbekenntnis hören, Sie sehen mir doch gar nicht so aus, als würden Sie den ersten Besten nehmen!«

»Den Ersten nicht, – aber den Besten!« rief Kerlchen unerschrocken und errötete so lieblich unter den forschenden Blicken des alten Herrn, daß dieser ganz begeistert sein Glas bis zur Neige leer trank und feierlich ausrief: »Dem Besten!!!«

Kerlchen tat ihm Bescheid, wich aber seinen weiteren Fragen sehr geschickt aus, und als er nach dem vierten Glas schmunzelnd sagte:

»Wissen Sie, Kerlchen, – so furchtbar alt bin ich eigentlich gar nicht für Sie, – knapp neunundfünfzig –,« da lachte das Mädel so hell, fröhlich und anhaltend, daß der Doktor mit einstimmen mußte, zuerst noch etwas ärgerlich, aber dann ganz laut und vergnügt.

»Teufelskerlchen! Wetterhexe!«

Es ging schon stark auf Mittag zu, als Doktor Cramer Abschied nahm, sehr wortreich und umständlich. Kerlchen hielt es für ratsam, seinen Arm zu nehmen und ihn die steinerne Treppe hinabzuführen, die in den Garten und von dort zur Straße mündete.

Dabei mußte es sich ordentlich in acht nehmen, daß der dicke Stock mit dem silbernen Knopf, mit dem der Doktor auslegte, als sei er auf einer Säbelmensur, es nicht traf.

»Stoßt an! Jena soll leben! Hurra hoch!«

»Stoßt an! Jena soll leben! Hurra hoch!«

»Ruhe!« schrie der alte Stadtdiener Jürgensen, der gerade um die Ecke bog und vor überwachsenden Sträuchern des Hartwigschen Gartens den kraftvoll Singenden noch nicht entdecken konnte.

»Dat 's gewiß wedder mal de Lausejung, de Jens Jensen. Ik will di wat, du Näswater!«

Schwapp, prallte sein Bäuchlein gegen das des Herrn Doktor Cramer.

»Die Philister sind uns gewogen zumeist, sie ahnen im Burschen, was Freiheit heißt,« sang dieser, und der Amtsdiener machte einen tiefen Bückling und murmelte:

»O Herr Doktor, ik mein ok man!«

»Stoßt an, Freiheit soll leben! Hurra hoch!«

»Stoßt an, Freiheit soll leben – – –

»Was uns' Doktor blot hett!« meinte der Amtsdiener zum Bäcker Hansohm, der vor seine Haustüre getreten war.

»Wat he hett? En lütten Hoarbuß hett he uns' Doktor! Awer dat makt nix, he steit sienen Mann in slimme Tiden, uns' Herr Doktor!«

Der Doktor war an sein Haus gekommen und wurde hier von seiner Wirtschafterin empfangen, der Gesang von der »Freiheit« schnappte urplötzlich ab – – – – – –

*


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