Felicitas Rose
Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher
Felicitas Rose

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Liebes Herz, mir nimmt eben Franz die Feder fort, er behauptet, ich hätte zur Taktlosigkeit Blödsinn gefügt, und ich dürfte den Brief um keinen Preis abschicken, er sei den Groschen nicht wert, denk' Dir, so roh drückte er sich aus, ohhh! Deshalb setze ich diese Worte hastig und heimlich mit Bleistift drunter und lecke in Todesangst den Brief zu. Kerlchen, sei so gut und verzeihe Deiner unglücklichen

Bümi.

Aus Kerlchens Tagebuch!

Sie meinen es alle so gut mit mir.

Aber sie reden zu viel und quälen mich – – und fragen und mutmaßen – –

Nur eine nicht, meine Muusch. So eine Muusch ist doch etwas ganz Wunderbares! Ich hatte mich schon so an den Gedanken gewöhnt, daß sie ganz still in Buchenwalde weiter bliebe, mir ab und zu ein liebes Briefchen schickte und – ihrem Schmerz um ihr verlorenes Glück weiter nachhinge.

Unser Väterchen muß so betrauert werden, er nahm zu viel von unsern Herzen mit, das tut immer weh, immer. Selbst Muttchens Kerlchen mußte in den Hintergrund treten, – so dachte ich.

Ach, was denkt man für dummes Zeug zusammen!

Ich hab' ja noch nie so recht mein Mutterchen gebraucht, und jetzt, wo zum erstenmal in meinem Leben tief drinnen im Herzen die Sehnsucht nach ihr ruft, – da ist sie da. Meine Muusch ist in Mölln, bei mir, – niemand hat sie gerufen, als die leise Stimme in meinem Herzen, und die hat sie gehört! So ist eine Mutter, meine Mutter!

Tante Laura war mit mir in den Wald gegangen. – Gleich hinter dem Hause, sobald man durch das Gartenpförtchen getreten ist, ist ein wundervolles Fleckchen Erde, welches wir durch zwei Ruhebänke mit den Aufschriften: »Tante Lauras Erfrischung« und »Kerlchens Träumplätzchen« kenntlich gemacht haben.

Auf diesen Bänken saßen wir, jedes mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Das heißt, ich hatte mich neben der Bank auf die weiche Mooserde gelegt, und sah in das Grün der Bäume hinauf, durch die der dunkelblaue Himmel blickte. Und ich sehnte mich, – ach so sehr, so sehr da hinauf- und hineinzudringen – – – –

»Kommt da nicht ol Marie?« fragte Tante Laura plötzlich, und ich schrak zusammen aus meinen Träumen, sah nach dem Wege, – sprang auf – –

»Muttchen! Mein Muttchen!«

Ich hing an ihrem Halse, ich erstickte sie beinahe mit meinen Liebkosungen, und hörte ihre sanfte, gute Stimme von Tränen verschleiert:

»Mein Kerlchen! Mein Herzenskind!«

Tante Laura saß »zur Statue entgeistert«, aber wie herrlich sich jetzt die beiden verstehen, ist gar nicht zu sagen.

Und wie Mama so fragte: »Darf ich ein paar Tage bei Ihnen bleiben, ich möcht' so gern mein Kerlchen einmal wiederhaben,« – das kann man gar nicht schildern, so kann nur eine Mutter sprechen, die beinahe vergangen ist vor Sehnsucht nach ihrem Kinde.

Was haben wir jetzt für köstliche Stunden zusammen!

Ich schaue so oft die beiden verstohlen an. Mit mir hat mein Muusch beinahe nie von meinem Väterchen gesprochen, vielleicht befürchtete sie an die Wunde zu rühren, die nie vernarben kann. Bei mir brach der Schmerz immer so ungestüm hervor, wenn an die Vergangenheit erinnert wurde, das hat mein zartes Muttchen zu sehr erschreckt.

Mit Tante Laura spricht sie darüber, – stundenlang. Weil sie den Entschlafenen beide so unaussprechlich geliebt haben, sind sie Schwestern geworden, und es ist ganz rührend zu sehen, wie gut mein Muttchen mit Tante Laura ist, wie zärtlich, kindlich sie ihr alles zuträgt, als wollte sie das Schicksal wieder gleich machen, das ihr den Geliebten gab und Tante Laura als Alt-Jüngferlein durch die Welt gehen ließ.

Und noch eine Freundschaft ist hier aufgeblüht auf dem kräftigen Waldboden, und es vergeht beinahe kein Tag, daß wir nicht in die Hütte kommen und sie weiter pflegen, die Freundschaft zwischen Herrn von Rumohr und uns.

Pünktlich um 4 Uhr nachmittags erscheint Musta, der schwarze Diener, mein Muttchen legt ihren Arm in den seinen, und so schreitet dieses ungleiche Paar den Berg hinan, bis nach ungefähr einer Viertelstunde Musta mein Mütterchen auf die Arme nimmt und sie die letzte steile Anhöhe hinaufträgt. Vor der Hütte erwartet uns ritterlich der alte Herr, seine Augen unter den buschigen Brauen leuchten ordentlich, wenn er uns sieht, er hat wohl nie gedacht, daß er in seiner grünen Wildnis auch noch die Unterhaltung zweier feingebildeter Frauen haben sollte.

Sind wir vier zusammen, dann merkt man nichts von Menschenscheu, aber sobald ein Möllner Einlaß begehrt, kehrt der Igel seine Stacheln heraus. Herr von Rumohr kennt ja jeden in Mölln, Tante Laura war verblüfft, wie deutlich der Mann noch jede Eigenheit des einzelnen aus der Knabenzeit im Gedächtnis hat. Und er hatte auch noch keinem die Ohrfeigen oder Prügel vergessen, die er einst erhalten.

Auch die Sorgenrätin war eines Tages hinaufgestiegen zur »Hütte«, um, wie Herr von Rumohr sich grimmig ausdrückte, »ein Solo um das goldene Kalb zu tanzen«.

Sie mußte sich aber diese anmutige, gymnastische Übung versagen, der Schwarze ließ sie gar nicht herein, aber die große Summe, die noch an demselben Abend aus der Hütte einging, »für das Krankenhaus in Mölln«, dessen Beschützerin die Kriegsrätin ist, versöhnte sie vollständig.

Herr von Rumohr und ich verstehen uns gut. Es gab eine humoristische Szene, als er erfuhr, daß ich ins »achtzehnte Jahr ginge«, er hat mich für knapp fünfzehn gehalten, recht beschämend für mich, was er damit gut zu machen sucht, daß er mich einen »ganzen Kerl« nennt.

Wir liegen eigentlich ewig in Fehde miteinander, aber das liebt er, er reizt mich absichtlich, um, wie er sagt, »meine Augen funkeln zu sehen«, und ich falle immer wieder darauf hinein. Von dem Plätzchen aus, das er mir an seiner Seite angewiesen hat, sehe ich scharf und deutlich das Bild von Florence.

Wie schön sie ist!

Sieghaft schaut sie aus dem goldenen Rahmen heraus, – »sie ist sich ihrer Reize vollbewußt«, sagte der Vater von ihr.

Auch ein paar Briefe hab' ich schon von ihr gelesen, Herr von Rumohr drängte sie uns buchstäblich auf.

Sie lebt jetzt auf der Farm einer befreundeten Pflanzerfamilie und schildert das Zusammensein mit übermütigem Spott. Sie schreibt gutes, fließendes Deutsch, scheint aber die Sprache nicht zu lieben und fügt sich nur dem Wunsche des Vaters, wenn sie davon Gebrauch macht.

»Ich bin der einzige, der über das wilde Mädchen Gewalt hat,« sagte der Vater mit behaglichem, lautem Lachen, »aber selbst bei mir »schäumt sie ins Gebiß«, wenn ich den Zügel fest anziehe.«

Überhaupt denkt man zuerst immer, er meint ein Rassepferd, wenn er von Florence spricht – sie muß sehr unbändig sein, aber ihrem Bilde merkt man nichts an. O wie ist sie schön!

Der letzte Brief hat sich mir beinahe ganz eingeprägt, denn jedes Wort tat mir so weh, daß ich auf einmal einen unartikulierten Laut von mir gab und hinauslief.

Als ich nach einer halben Stunde wiederkam, sagte Herr von Rumohr mit dröhnendem Lachen: »Ganz wie mein Flossy. Die stößt auch einfach so ein Füllengewieher aus und rennt fort, wenn es ihr irgendwo zu langweilig wird.

O langweilig war es nicht, aber – nicht zu ertragen. Florence schrieb: »Kaum bist Du in Deutschland, mein alter Pa, und gleich stiftest Du Heiraten, das soll ja so Sitte sein in Deiner Heimat. Beinahe hätte ich Deine liebe Flossy tot gelacht über Deinen Brief, das wäre doch schade gewesen. Aber schick' ihn nur her, den guten, braven, deutschen Jungen, der Dir so über die Maßen gefällt, daß Du ihn mir aufhalsen willst. Well, ich werde ihn mir ansehen. Aber ich verspreche nichts, Pa, hörst Du? Komm' bald wieder hierher, du fängst sonst noch Grillen. Verlasse das greuliche Mölln, vermache Deinen lieben Landsleuten Deine Gicht und komm' in die Arme Deiner süßen Florence.«

*

Herr von Rumohr schüttelte den Kopf, als der Brief zu Ende war.

»Es wird schwer halten, aus ihr eine deutsche Gutsfrau zu machen, die in Haus und Stall nach dem Rechten sieht, wie es eigentlich sein sollte und wie es die Frauen der Rumohrs alle Zeit getan haben.«

Dann lachte er kurz auf. »Meine Frau hätte es allerdings auch nicht getan, – das war eine Pflanzerprinzessin, wie sie in den Büchern beschrieben steht, die ich als Junge verschlang, – und Florence ist bis jetzt alles in allem ihr Ebenbild. Aber die Liebe – die Liebe wird viel tun. Wenn sie nur erst den Fritz sieht, es ist ja ein Bild von einem Manne, – die Weiberchen sehen ja auf so was, nicht wahr, Kerlchen?«

Er schlug mir auf die Schulter, daß ich beinahe zusammenknickte, und als ich ihn empört ansah, rief er: »Wetter nochmal, was sie für Augen hat! Und sieht sie nicht wieder aus, als ob sie mir ins Gesicht springen wollte?«

Er lachte dröhnend, Mama nahm meine eiskalte Hand in die ihre und streichelte sie. Es ist, als ob mein Muttchen direkt in mein Herz hineinsehen könnte, so eine Muusch, so eine ganz liebe!

Aber was bin ich für ein närrischer Kerl! Ich möchte am liebsten meilenweit fortlaufen, wenn dieses Thema berührt wird, und doch fange ich immer wieder an zu fragen. So auch gestern.

»Ist sie musikalisch?« (Sie ist jetzt schon stillschweigend »Florence«, sobald irgend einer davon spricht.)

Wieder ein dröhnendes Lachen, bei dem der alte Herr immer selbst schmerzlich aufzuckt, er leidet so furchtbar unter seiner Gicht.

»Musikalisch? Ich hab' ihr den kostbarsten Flügel zur Verfügung gestellt, denn wir Rumohrs sind ja Musiknarren, aber sie schlägt auch hierin ihrer Mutter nach. Flossy singt keinen Ton richtig, und ob jemand Beethoven spielt oder eine Tür knarrt, – – gilt ihr gleich. Aber Fritz – –«

»Ich weiß, was du sagen willst, Kerlchen, – er spielt auf der Geige wie ein junger Gott, und wenn er nicht Rumohr und Rotbach haben sollte, müßte er mir auf die Bretter. Tausend Wetter, hat der Junge einen Strich! Und diese Technik! Und mehr noch – diese Cantilene! Als echter Rumohr schleppt er auch seine Geige immer mit sich herum und da auf dem Fleck, Kerlchen, wo du jetzt stehst, da stand er neulich auch und spielte, daß mir altem Kerl die Tränen in den Bart liefen. »Zum Teufel, Jung', – spiel was Lustiges« rief ich, aber er hörte mich gar nicht, seine Augen guckten abwesend – und dann war ich selbst ganz Ohr, denn niemals hab' ich es so wunderbar singen hören, wie es Fritzens Geige an dem Abend sang, unser Thüringer Volkslied:

»Ach wie wär's möglich dann,
Daß ich dich lassen kann,
Hab' dich von Herzen lieb,
Das glaube mir.

Du hast die Seele mein
So ganz genommen ein,
Daß ich keine And're lieb
Als dich allein!«

*

Brief vom Schlachter Krone an Kerlchen.

»Gnädigstes Fräulein!

Denn die Zeit vergeht und man kann nun nicht immer mehr »Kerlchen« sagen, wenn es einem auch beinah das Herz abdrückt, wo man so ein liebes Kind hat aufwachsen sehen.

Befinde mich soweit bonus, denn das Geschäft ist prima weil mein Newö Bär es durchaus versteht mit Ochsen umzugehen. Sie kaufen jetzt nur bei uns. Was meine Alte ist, tausend Grüße! Wie es sich längst vorbereitete und das gütige Geschick so wollte, ist sie sehr kumplett geworden und nicht allerte auf die Beine, ist ja doch nun über die sechzig und man nicht glauben soll, wien Mensch sich verändern kann, der früher doch ein schönes Mädchen war.

Hatten wir all die Zeit groß Not mit meinem Herrn Newö, der immer tiefsinnig rumlatschte und sogar Gedichte machte auf das fettigste Wurschtpapier und an wem? An Ihnen!

Ich kenne die Tochter von unserm hochverehrtesten Herrn Oberst Schlieden wie mich selber, und ich weiß, daß es Sie keine Beleidigung ist von einem achtungsvollen Manne geliebt worden zu werden zu sein. Daderdrum schreibe ich dieses Thema nieder zur freundlichen Erinnerung. Sagte aber zu meinem Neffen: »Hand von der Butter, – nich rühr an, ein Schlachtergesell und ein Edelfräulein, das gibt keinen guten Braten.«

Aber mit 'n Verliebten ist niemalen nich zu reden und ging immer rum, machte alles verkehrt und glupschte dösig vor sich.

Aber wir hatten Zeit und warteten, bis sich der dunkle Punkt in ihm Bahn brechen würde und hat sich auch gebrochen.

Nämlich mit der Alwine aus der »Edeltanne« und gehen nun schon en Wochener achte mitnander und wolln Hochzeit machen, wenn der Viehmarkt vorüber is. Unsere zukünftige Schwiegertochter hat was hinter sich, gnädiges Fräulein wissen aber, daß ich darauf nicht so viel gebe wie aufs Herz und die Nieren. Aber dieselben sind gut bei ihr.

Und komme nun mit der hochachtungsvollen Bitte an gnädiges Fräulein, ob Sie uns die hohe Freude und Ehrenhaftigkeit antun wollen zur Hochzeit meines Herrn Newö mit Fräulein Alwine Balian lieber nicht zu kommen, weil diese eheliche Verbindung alsdann retour gehen könnte. Denn Alwine tut die Schönheit nicht weh, sondern hat es mehr mit Pickeln im Gesicht, wobei sie unbedeutend schielt und sieht überhaupt aus wie ein Abziehbild, was nicht recht geworden ist.

Fräulein Kerlchen waren aber immer verständnisvoll mit meine Sorgen und lege ich also diese vorzüglich passende Ehe vertrauensvoll in ihre Hand in ewiger Treue und hochachtend

Krone.

*

Tiefblauer Himmel, lachende Sonne, strahlender Sommertag in Buchenwalde.

Kerlchen sitzt ganz allein im entferntesten Teile des Parkes, schon festlich geschmückt mit einem duftigen weißen Kleide. Heute ist sein Geburtstag. Achtzehn Jahre! Freilich das Gesichtchen paßt heute nicht so recht zu einer strahlenden Geburtstagsfeier, aber Kerlchen denkt auch, daß es noch den ganzen Tag vergnügt sein muß, und daß ihm wohl dieses stille Frühstündchen zu gönnen ist, in dem es Gesichter machen kann, wie es will.

Es lehnt sich behaglich in die tiefe, geschwungene Gartenbank zurück, und läßt seine Gedanken wandern. Im Herrenhause schläft noch alles, nur die Ökonomie ist schon wach, man hört das Brüllen der Rinder, das Stampfen der Pferde von dort herüber, Taubengurren, Hühnergackern, das Schelten eines Knechtes und derbfrohes Lachen der Mägde. Ein echter Sonntag auf dem Lande.

Und wie das duftet, ringsumher, Rosen, wohin man sieht! Kerlchen schließt die Augen vor all der Pracht, vielleicht will es auch einem Tränchen den Ausgang wehren – wer weiß!

Fritz ist jetzt »drüben« angekommen. Die ersten Nachrichten von ihm sind schon da, – er ist entzückt von den Besitzungen seines Oheims, – weiter hat Kerlchen nichts erfahren.

»Der nächste Brief wird schon wärmer klingen,« hatte Herr von Rumohr lachend gemeint, – er hat meine Florence noch nicht gesehen!«

Aber jetzt sah er sie, – er war wohl täglich mit ihr zusammen. Kerlchen öffnet die Augen, aber der Himmel erscheint ihm nicht mehr so strahlend blau, die Vögel singen ihre Lieder alle in Moll, und wie ein Schleier liegt's über der Rosenpracht.

Ob es nun hinaufschaut, oder zur Erde blickt, ob es auch die Augen schließt, immer sieht es greifbar nahe ein palmenbeschattetes, weißes Haus, und auf der Terrasse ein junges Paar, – ach und das Mädchen ist so wunderschön – –

»Guten Morgen, Kerlchen, und frohen Geburtstag!« sagt da Onkel Waldemars Stimme neben ihm, Kerlchen fährt zitternd zusammen, und es blickt noch ganz verträumt den Gutsherrn an.

Dieser nimmt weiter keine Notiz davon, – an »so was« muß man nicht rühren, heimlich flucht und wettert er aber genug, daß das Kerlchen sein sonniges, strahlendes Aussehen, seine lachenden Augen verloren hat.

Wie es da vor vierzehn Tagen aus dem Wagen stieg, wie es ihn begrüßte und seine Hand streichelte und küßte: »Ach Onkel, ich bin wieder bei dir, – in Buchenwalde ist's doch am schönsten!«

Und so schlank war das Kerlchen geworden, so schmal die runden Backen, und die Augen – von denen sprach man schon am besten gar nicht, da mußte beinahe so ein harter Kerl wie er weinen, wenn er Vergleiche mit früher anstellte. Und der Teufel sollte diesen und jenen kreuzweise holen, wer dran schuld war, daß sein Mädel sich so verändert hatte. Denn Kerlchen war so gut sein Mädel, wie die drei Walküren, es war seines geliebten Bruders Ernst einziges Kind und gehörte jetzt ihm, Ohm Waldemar.

»Warum siehst du mich so nachdenklich an, Ohmchen?« fragte Kerlchen.

»I Gott bewahre! Tu ich ja gar nicht. Ich dachte nur daran, wie gut du in meinen Park passest, und wie herrlich es für dein altes Ohmchen wäre, wenn du immer hier bliebest.«

»Guter Onkel Waldemar!«

»Gilt's, Kerlchen?«

»Ohmchen, komm setz' dich neben mich, sieh' – –«

»Ja, nun weiß ich schon, was kommt, Kerlchen, du willst mir zum so und so vielten Male erklären, daß du zum Glücklichsein mehr Arbeit und Betätigung brauchst, der Mensch soll aber nicht bloß selbst glücklich sein wollen, er soll auch mal alte Onkels glücklich machen wollen.«

»Siehst du, Onkel, das ist alles bloß Herzensgüte von dir, sie guckt ja aus jedem Wort heraus, und mir tut's so weh, daß ich sie nicht annehmen kann.«

»Warum denn nicht, du dumme Deern? – Ach so, heute ist dein Geburtstag, und da hast du das Privilegium, daß dir nicht widersprochen, und du nicht anrasaunt wirst. Das letztere gesteh' ich dir zu, aber widersprechen muß ich dir. Du denkst Tag und Nacht an deines Vaters Bürgschaft, ist es nicht so?«

»Ja, Onkel!«

»Bist ein braver Kerl, ein ganz tapferer! Und nun komme ich mit meinem Geburtstagsgeschenk. Sieh, Kerlelein, die Schuld ist getilgt, ich – ich hatte Glück in meinen Ankäufen und Verkäufen, hab' auch 'ne kleine Erbschaft gemacht, – kurz, was hätte mir mehr innere Herzensfreude machen können, als den Namen meines teuren Bruders zu meinem eigenen zu machen und die Bürgschaft zu übernehmen. Das Geld, das dein Erich-Bruder und du mir immer pünktlich geschickt zur Abzahlung, – unangetastet liegt's da.«

»Onkel Waldemar!«

Es war nur ein erstickter Ausruf, aber Kerlchens Arme umklammerten seinen Hals und es küßte ihn herzlich – zärtlich.

»Donnerwetter, das schmeckt,« scherzte der Gutsherr, um seine eigene Rührung zu verbergen. »So was verträgt der schwächste Mensch nüchtern. Und wie steht es nun, Kerlchen, bleibst du jetzt da?«

Bestürzt stand es vor ihm, dann wurde es ganz ernst.

»Ich kann nicht, Onkel Waldemar. Du hast Herrliches getan, ich will dir's nie vergessen, und Erich tut's auch nicht. Du hast uns von diesem schrecklichen Wucherer frei gemacht, aber nun bin ich dein Schuldner geworden.«

»Donnerwetter, was für 'n Unsinn! Du bist ja 'ne rabiate Person, Felicitas Schlieden. Und wenn ich nun nichts haben will?«

»Dann geb' ich alles deinen Enkelchen, Onkel, ich kann nicht anders handeln, ich kann nicht, ich weiß, Väterchen würde mir recht geben.«

»Natürlich würde er das, selbstverständlich, jeder vernünftige Mensch gibt dir recht, das heißt – hm – – nein, ich gebe dir eben nicht recht.«

»Ach freilich, du gutes Onkelchen, du hast dich ja eben verheddert – –«

»Dumme Deern! Also ist meine Mission gescheitert. Und du willst weiter ›verdienen‹?«

»O du lieber Himmel, Onkel, du weißt ja selbst, daß ich eigentlich nichts ›verdiene‹, daß das hohe Gehalt, welches mir gezahlt wird, nur grenzenlose Freigebigkeit von Tante Laura ist. Was tue ich denn? Ich lese ihr vor, schwatze dummes Zeug, mache köstliche Reisen –«

»Schon gut, Tante Laura urteilt darüber anders, ich will nicht mit dir streiten.«

»Und gibst du nach, Ohmchen?«

»Ob ich – na hör' mal, fragt diese kleine Kröte, ob ich nachgebe.«

»Ohmchen!«

»Na, nun soll ein Mensch diesem bittenden Schelmengesichtchen widerstehen. Ich nicht, ich geb's auf und gebe nach.«

»So ist's recht, mein alter, guter Onkel. Und nun versprich mir auch gleich noch, daß du mir helfen willst, wenn sich irgend etwas findet, du weißt schon, was Schweres, eine große Arbeit und Verantwortung, etwas, das mir sagt: »Kerlchen, du verdienst dein Gehalt.«

»Um Gotteswillen, Deern, das wird zur fixen Idee bei dir, aber gut, sollst deinen Willen haben. Donnerja, du wirst heute achtzehn Jahre und hast schon einen Eisenkopp, weißt, was du willst, – die Walküren lebten in den Tag 'nein, als sie achtzehnjährig waren.«

»Die hatten auch ihr Vaterhaus,« entgegnete Kerlchen tonlos.

Der Blick des Gutsherrn ruhte voll Liebe und zärtlichen Mitleids auf Kerlchen.

»Mien ole Deern!«

Dann ein Seufzer. »Also nichts zu wollen? – Muß ich zum zweiten Male erleben, daß der Schliedensche Dickkopf siegt, daß dieses kleine, zarte Jungfräulein aus dem Neste fliegt, um den Kampf mit dem Leben wieder aufzunehmen?«

» Zart, Onkel? Ich meine, ich bin stahlhart. Und wenn ich aus dem Neste fliege, – ich komme wieder, Ohmchen, gelt? Meine Heimat ist und bleibt Buchenwalde, ich habe niemand, als dich, der mir treu raten kann in schwierigen Sachen.«

Der Gutsherr schüttelte die kleine Hand, die ihm mit einem lieben, vertrauenden Blick gereicht wurde, – er sagte nichts, er sann nur darüber nach, wie es möglich gewesen war, daß der Mann, der jetzt jenseits des Ozeans weilte, dieses eigenartige, herzerfrischende Geschöpf nicht beizeiten an seinem Herzen geborgen habe, um es vor der rauhen Wirklichkeit zu schützen, und sich selbst den Sonnenschein für ein ganzes Leben einzufangen.

»Komm', Ohmchen, laß uns hineingehen und den Langschläfern Alarm blasen,« bat Kerlchen, aber der Gutsherr hielt es zurück.

»Wir gehen hinein, wenn die Post gekommen ist, ich hab' dich ja am ganzen Tage nicht, Kerlchen, da stürzen sich nachher alle auf mein Sonnenscheinchen und holen sich ihren Bedarf an Frohsinn und Lebensmut, – »solch Spendegold erschöpft sich nicht,« sagt der Dichter.

Ein wehmütiges Lächeln flog über Kerlchens Gesicht.

»Ob es nicht doch am Ende schon erschöpft ist?« dachte es. »Woher den Sonnenschein nehmen, wenn das eigene Herz so friert?«

Kerlchen legte seinen Arm in den des Onkels.

»Komm', wir gehen. Die Post ist ja längst da, und ich trage außerdem Verlangen nach einer rechtschaffenen Tasse Kaffee nebst dazugehörigem Rosinenkuchen.«

Was wurde in leichtem Plauderton gesagt, Ohmchen sollte nicht ahnen, wie es seinem »Sonnenscheinchen« kalt war.

Aber Ohmchen schien heute niemandem sein Kerlchen zu gönnen, er machte erst noch einen langen Spaziergang mit ihm durch die Felder, pflückte ihm eigenhändig ein Kornblumen- und Mohnsträußchen, das Kerlchen als etwas Entzückendes ansah, er dagegen als Unkraut verachtete, und endlich, nachdem er auch noch das »Vorwerk« revidiert und so volle zwei Stunden vorübergegangen waren, schlenderten sie gemächlich dem Herrenhause zu.

Auf dem Hofe herrschte reges Treiben. Ein Wagen wurde in die Remise geschoben, Pferde abgeschirrt, Koffer geschleppt. Ein Reitknecht führte außerdem ein paar edle Pferde langsam auf und ab, Kerlchen sah fragend den Gutsherrn an. Aber da umschlangen es auch schon die Arme von »Munke«, wahrend Baron Russee's stattliche Gestalt sich grüßend verneigte, und sein gutes Gesicht über die gelungene Überraschung strahlte.

»Ein scharfer Ritt!« lachte Munke, »aber was tut man nicht, um dieses kleine, endlich wiedergefundene Ausreißerchen und Geburtstagskind zu überraschen!«

Eng umschlungen wanderten Munke und Kerlchen nach der großen Diele, drinnen im Wohnzimmer hörte man lachen und flüstern, Munke klopfte an, da ertönte auch schon eine weithallende Klingel, kraftvoll setzte der erste Akkord des Chorals ein, und unter diesen Klängen schritt Kerlchen nun am Arme des Gutsherrn über die Schwelle. Mit gefalteten Händen blieb es an der Tür stehen, Tränen verdunkelten den Blick, aber es sah doch, daß sie alle gekommen waren, die sie weit entfernt wähnte, daß das Ohmchen eine große, herzliche Überraschung von langer Hand her vorbereitet hatte. Und als der letzte Ton des Chorals verklungen war, von Pastor Richter meisterlich gespielt, da stürzte Chrisli auf das Kerlchen zu und erstickte es beinahe mit seinen Küssen, Bümi und Luttewete halfen ihm tapfer dabei, und da die Rührung beide zu übermannen drohte, da sie außerdem sahen, daß ihr fideles Kerlchen ein ganz anderes Aussehen bekommen hatte, vornehm, blaß und schmal geworden war, und diese Wahrnehmung bei ihnen ein zornig-schmerzliches Gefühl wachrief, so vollführten sie einen Heidenlärm, der Kerlchen mit einem Schlage in die Vergangenheit versetzte und sie in ein fröhliches Lachen ausbrechen ließ.

»Gottlob, lachen kann sie noch wie 'ne Rohrdommel,« rief Bümi erleichtert aus, »aber sonst, – Kerl – du hast so was bekommen – je ne sais quoi – man kann dich nicht mehr mit gutem Gewissen ›Kerlchen‹ nennen.«

»Und deshalb sagst du nun mit schlechtem Gewissen »Kerl?«

»Tat ich das? So werde ich dich von nun an nur noch ›Felicitas‹ nennen, da steckt was Vornehm-Abweisendes drin. Und nun komm' zum Geburtstagstisch, unsere Handarbeiten schreien nach deiner Bewunderung.«

Im Salon waren sämtliche Kronleuchter angezündet, und der große Tisch, den man aus dem Wohnzimmer hineingestellt hatte, konnte kaum die Fülle der Gaben fassen.

Kerlchens Blicke streiften scheu den Aufbau, – dann ein Jubelruf aus dem tiefsten Herzen, und der schlanke, hübsche Offizier mit dem klugen Schliedengesicht hielt sein Schwesterlein umfangen.

»Mein Erich-Bruder!«

»Altes Kerlchen!«

»Geht es nun immer so fort?«, fragte Kerlchen unter Lachen und Tränen und lehnte seinen Kopf an die Schulter des Bruders, der mit dem freien Arm seine Mutter umschlungen hatte, die mit tiefer Bewegung auf die Geschwister sah und beim Anblick ihres Erich immer wieder sich sagte: »Wie wird er dem Vater ähnlich!« »Nein, nun kommt nichts mehr nach, außer dem dicken Ende. – Fangt es auf, Kerlchen verliert die »Balanxe«, rief Fräulein von Hartwigs lautfröhliche Stimme, und da erst merkte Kerlchen, daß es wirklich von all seinen Lieben umgeben war.

»Wie sie alle gut waren! Kerlchen lief von einem zum andern, und schüttelte die Hände, mit Gewalt mußte es endlich zum Gabentisch geschoben werden.

»All den offenen Kram kannst du nachher besehen,« mahnte Bümi, »es ist so wie so mehr Liebe als Mammon dabei, aber hier dieses Wertpaket und diese verheißungsvolle, große, wenn auch sehr leichte Kiste aus Berlin, die müssen dich doch reizen.«

Kerlchen besah kopfschüttelnd das Wertpaket und ließ es in Bümis Händen, aber der Deckel der großen Kiste, die eine fremde Handschrift trug, ließ sich leicht öffnen, Kerlchen nahm vorsichtig einen großen, herrlichen Strauß heraus, um dessen Stiele mit weißseidenem Band ein Brief befestigt war.

Die anderen sprachen sehr laut miteinander, zu laut, als daß es »natürlich« klingen konnte, – man wollte so gern dem jungen Menschenkinde, das plötzlich tief erblaßt war, Zeit lassen, sich zu fassen.

Kerlchen öffnete den Umschlag, zog langsam die Visitenkarte heraus und dann las es die wenigen Worte, die darauf geschrieben standen:

»Gottes Segen über Kerlchen.«

Die Blässe wich einer jähen Röte, die das ganze Gesichtchen bis unter das lockige Haar überflutete. Tief neigte sich Kerlchen über den Strauß, der so wunderbare Farben trug, daß das kleine Herz ungestüm an zu schlagen fing.

Grün und weiß, – zarte Rosen- und Myrtenzweige, – weiter nichts.

Und wie es so lieblich und scheu heruntersah auf die Blumen, legte ihm Bümi mit seltsam erstauntem Blick eine Kette um den Hals, – schwer und gewichtig lag der altertümlich gefaßte Schmuck auf dem duftigen, weißen Kleide, und die köstlichen Diamanten darin funkelten hell auf in den Lichtern des Kronenleuchters.

Kerlchen griff nach dem Schmuck und sah so lieblich erschrocken aus, daß sich die andern nicht satt an ihm schauen konnten.

Frau Oberst Schlieden zog ihr Kind an sich und reichte ihm den Begleitbrief.

»Liebes Kerlchen!

Du hast mir altem grämlichen Manne so viel Sonne in die »Hütte« gebracht, daß ich es etwas wieder wettmachen muß, – Freilich, so funkelnd wie Dein Herzenssonnenschein ist meine Gabe nicht, – dennoch wünsche ich aufrichtig, daß sie Dir Glück bringt und Dir gefallen möge.

Kramte heute in allerlei Sachen und lieben Andenken aus alter Zeit, da fand ich dies obenauf. Ureigentlich sollte es der Brautschmuck der Frauen von Rumohr sein, aber er ist nicht getragen worden seit hundert Jahren, immer hat eine der Frauen ihn zurückgewiesen als zu einfach, zu altmodisch, oder aus sonst einem törichten Grunde.

Auch meine Florence hat hell aufgelacht, als ich ihr das Halsband gab, und hat es schnell wieder eingepackt, sie wird sich einen glänzenderen Schmuck bestellen, wenn sie als »Frawe von Rumohre« vor den Altar tritt. Sobald nun aber diese Kette zurückgewiesen wird, gehört sie dem ältesten Sohne erb- und eigentümlich, so steht in der Urkunde, und er kann damit schalten, wie er will.

So schenk' ich sie Dir, kleines Kerlchen, und denke mir Dein schlankes Hälschen gar lieblich darin, teile Dir auch mit, daß die Urahne, die es getragen, eine »glückselige Frawe« gewesen ist und all ihr Glück dem Schmuck zugeschrieben hat. Wird wohl eine Legende sein, aber Du liebst ja solche Märlein, kleines Mädchen.

Um, mich ist's recht einsam jetzt, und die Briefe aus Brasilien sind meine einzige Freude. Komm' doch bald wieder hierher, ich meine immer, die verd..... Gicht hätt' nicht so geschmerzt, wenn Du bei mir warst.

Und nun tu mir das nicht an, daß Du den Schmuck zurückweist, ist ja kein großer Wert daran, nur arg viel Liebe. So leb' wohl, Geburtstagskerlchen!

Dein einsamer alter Freund
Wolfgang von Rumohr.«

Kerlchen hatte das Zimmer verlassen, nachdem es mit seltsamer Hast den Schmuck in seinen Behälter zurückgelegt. Bümi gab dem Kasten einen kleinen ärgerlichen Stoß und zog die Stirn in bitterböse Falten, Tante Laura nahm den grünweißen Strauß und stellte ihn in eine hohe Vase mitten auf den Geburtstagstisch.

»So ist nun mal das Schicksal,« sagte sie nachdenklich, »es regiert die Hand des Gärtners, daß er statt des vielleicht einfach »hell« bestellten Straußes ein wahrhaftiges Hochzeitsgebilde herstellt, und es zupft den alten Rumohr an seinem Arm, daß er für das Kerlchen den »Brautschmuck der Frawen von Rumohre« aussucht. So ein Heimtücker! Ich meine aber nicht den Alten, ich meine das Schicksal, denn der Hüttenbewohner im Möllner Wald ahnt gar nicht im entferntesten, was für 'ne ausgesuchte Dummheit er angestellt hat, wie denn überhaupt Männer – –«

»Ach Gott ja,« fiel hier Bümi mit überzeugtem Eifer ein, – »Männer sind zu dumm

Aber sie dämpfte ihre Stimme doch bei den letzten Worten, trotzdem Dr. Franz Schirmer meilenweit entfernt in S. saß; der Respekt vor ihm hatte Fernwirkung.

Nach kaum einer Viertelstunde sah Kerlchen mit den andern um den großen, runden Familientisch, »Der Brautstrauß« war hinaus auf die Veranda gesetzt worden, weil ein paar Tuberrosen darin »entschieden Koppweihdag« machten, wie Bümi behauptete.

Den Schmuck hatte Onkel Waldemar in Verwahrung nehmen müssen, aber Kerlchen hatte noch die andern Kistchen und Kästchen geöffnet und viel Liebe entgegengenommen, deren sichtbarstes Zeichen die Riesenleberwurst war, welche Schlächter Krone schickte.

Der Begleitbrief war sehr flüchtig geschrieben, aber Kerlchen fühlte, wie er gemeint war.

»Hochverehrtes Fräulein schreibe in großer Eile und Zeitverschwendung da mein Newö auf Hochzeitsreise ist und die Nachwehen des Viehmarchtes auf meinen Schultern ruhen. Wünsche darum nur viel Glück zum 18. Geburtstage, was die schönste Zeit im menschlichen Dasein ist und lege eine von mir in stiller Stunde selbstverfertige Wurst bei mit reinster Leber, Majoran und Hochachtung

Krone.«

»Kerlchen, diese Eroberung ist dauerhafter Natur,« rief Luttewete über den Tisch herüber.

»Und nahrhaft,« neckte Munke, während Bümi weise bemerkte:

»Schon uns zu Liebe hättest du den Newö Bär nehmen müssen, Kerlchen, denk' nur, mit wie viel ›Leber, Majoran und Hochachtung‹ du uns hättest unter die Arme greifen können.«

»Der Newö hat ja keinen Ton gesagt,« lachte Kerlchen, – »mit beiden Händen hätt' ich sonst zugegriffen.«

»Was für ein herrliches Absteigequartier wäre dein Schlachterladen für uns geworden. Den Urlaub unserer Männer hätten wir unweigerlich bei ›Krones oder Bärs‹ verbracht, um nachher die sieben mageren Jahre würdig verbringen zu können.«

»Vetternreisen gehörten ehedem zu dem Schönsten und Billigsten, was man haben konnte,« nahm der Gutsherr das Wort, – »jetzt ist das auch anders geworden. Noch vor vierzehn Tagen erzählte mir unsere liebe Nachbarin auf Elmelo strahlend, daß sie nach Berlin zu ihrer Verwandten eingeladen sei. Gestern trat sie mir sehr »bedrippt« schon wieder entgegen. Frau von S. hat ihr nämlich bei der Abreise eine Rechnung verabreicht über jedes bißchen, was dem Besuch in Berlin vorgesetzt worden war, – daß das Bett und die Beleuchtung nicht darauf standen, soll nur auf 'n Versehen zurückzuführen fein. Es lebe die Gastfreundschaft!«

Eine ganze Weile tobte ein Entrüstungssturm, und Kerlchen versicherte feierlichst, daß ihr ganzer Laden den zärtlichen Verwandten zur Verfügung gestanden hätte, wenn – – ja, da lag eben der Haken, wenn sie »Frau Newö« geworden wäre.

Als der Kaffeetisch abgedeckt war, erhielt Kerlchen die Erlaubnis, sich in den eingegangenen Briefen zu »begrasen«, aber schon nach einer knappen halben Stunde lief es mit einem umfangreichen Schreiben suchend dem Gutsherrn nach, bis es ihn endlich im Pferdestall fand.

»Wo brennt's, Kerlchen?«

»Nirgends, Onkelchen, aber ich hab' was!«

»Das seh' ich.«

»Setz' dich mal hier auf die Futterkiste, hör' mir aufmerksam zu Ohmchen, – hast du Zeit?«

»Für dich immer.«

»Wera von Rhoda schreibt mir, – du weißt, mein kleines, liebes Werchen, bei der ich Anstandsdame war.«

Onkel Waldemar kämpfte mit einem Hustenanfall, der ihm aber selbst unberechtigt schien, denn wenn man das Kerlchen so ernsthaft und mustergültig da auf der Futterkiste sitzen sah, konnte es wohl jedem als »Anstandsdame« glaublich erscheinen.

»Und was schreibt sie?«

»Ach, ganz liebe, närrische Worte, – richtig so, wie sie immer war, aber sieh' hier – Ohmchen – ich soll hinkommen – wenn ich will und – – – ich will

Der Gutsherr nahm den Brief und las:

»– – – hin und her haben wir uns besonnen, wem wir eine solche Liebestat zumuten könnten, denn die würde es sein, Kerlchen, trotz des hohen Gehaltes, das Dir gehörte. Eine fremde, bezahlte Kraft kann ich mir bei Fräulein von Rhoda gar nicht wieder denken, mit der letzten Pflegerin war's das reinste Trauerspiel.

Und als gestern mein Mann so zögernd aussprach. »Würde nicht Kerlchen – – – –?«

Da fiel mir ordentlich mit innerlichem Gepolter ein Zentnerstein von der Seele. Und das Merkwürdige ist, sie, unsere Tante, die außer sich ist, wenn man ihr sagt, daß sie ohne besondere Pflegerin nicht auskommt, und die Deinen Vorgängerinnen das Leben zur Qual machte (hübsche Aussichten, – was, Kerlchen?), – nach Dir verlangt sie und spricht immer von dem »ruhigen, in strengsten äußerlichen Formen sich bewegenden Fräulein Schlieden«.

Unsere Mummerei von damals darf sie natürlich nie erfahren, sie kann ruhig denken, daß der bekannte Zahn der Zeit Dich unbegreiflicherweise nicht angeknabbert hat. Also, liebes, einziges, ganz und gar unvergleichliches Kerlchen, denke daran, daß nur der Gedanke an Dich mir einigermaßen Ruhe gibt, die mir nach der Behauptung unsers guten Dr. Gieseke, der Dich tausendmal grüßen läßt, unbedingt notwendig ist. Die Buchenwälder sollen gut sein und Fräulein von Hartwig desgleichen – sie sollen Dich los lassen. Gib mir bald, recht bald Antwort, hörst Du, Kerlchen? Mein Ernst wird Dich mit unserm Wagen von Sandkrug abholen, solltest Du es aber vorziehen, noch in Altenhof zu verweilen, um Tante Altenhof, Gisela und die Kinder wiederzusehen, kann ich Dir's nicht verdenken, aber denk' dran, daß wir die Stunden zählen, Dich hier zu haben. Und was in meiner Macht liegt. Kerlchen, Du sollst Tante Rhodas Unbegreiflichkeiten nicht so gar arg spüren, wir wollen wie ein Mann zusammenstehen, und eine Mauer aufrichten, an der sich Tante auch mal ihren hochgeborenen Kopf anrennt. Auch Heinz, mein Schwager-Leutnant, wünscht, mit in das Trutzbündnis aufgenommen zu werden, außerdem habe ich mal Einblick in sein Taschenbuch getan, Du stehst darin als »vierzehnte« Liebe verzeichnet, aber während jeder andere Name zwei abweichende Benennungen trägt, z. B. A. v. B. 1. schön wie eine Rose, und 2. mit späterem Datum: (»dumm wie Bohnenstroh«), H. L. 1. liliengleiche Königin meines Herzens (2. protzenhaft). C. v. d. E. 1. süße, goldhaarige Nixe (2. erwies sich als Blender) – stand bei Dir: »F.-R. S. (Kerlchen).« Unvergleichlich! 2.  (Heirat nicht ausgeschlossen!!!)

Ich war ganz glücklich über meinen Fund, der sich auch als Fundgrube unerschöpflicher Neckerei erwies, aber da ich schon ahnte, wie empört Heinz über meine Neugierde sein würde, machte ich gleich noch heimlich einen Nachsatz: 1. Meine Schwägerin Wera von Altenhof, entzückendes Geschöpf, überstrahlt alle, heiratete in unseliger Verblendung anstatt mich meinen Bruder Ernst – 2. (pöbelhaft, drang in meine tiefsten, heiligsten Geheimnisse).

Sein Gesicht muß klassisch gewesen sein, als er den Unsinn las, – was für ein eingebildeter Kerl er aber wirklich ist, merke ich daraus, daß er mich feierlich beschwor, Dir nichts von dem Vermerk »Heirat nicht ausgeschlossen« zu sagen, damit Du Dir keine – – Hoffnungen machtest, die er vielleicht nicht erfüllen könnte.

Ich habe dreimal mit dem Finger auf die Stirn gezeigt und ihm ein Glas Wasser bringen lassen, das genügte.

Und nun zum Schlusse noch einmal: Kerlchen, komm'!

Tante Rhoda wird schon mit sich reden und leben lassen, jedenfalls tust Du ein herrliches Werk, wenn Du Dich ihrer annimmst und ihrer 365 Krankheiten, die sie wirklich immer unliebenswürdiger machen.

Ich weiß mir jedenfalls keinen andern Rat, – die »Stützen«, die bis jetzt da waren, verließen mit großer Pünktlichkeit Schloß Groß-Rhoda immer schon am dritten Tage wieder, so daß wir braven Leute in einen entschieden schlechten Geruch geraten, wenn es so fort geht. Aber mein Kerlchen ist aus tapferem Geschlecht, und wenn Du erst hier bist, dann lerne nur fleißig Euern Wappenspruch auswendig, der da sagt: » Nunquam retrorsum! Niemals zurück!«

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