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[Unverfälschte Biographieen der bekanntesten prostituirten, noch lebenden Frauenzimmer in Berlin.]


I.
Ottilie, die schöne Schwindlerin.

Wenn ein angenehmer Wuchs und ein entsprechendes Gesicht, verbunden mit angeborner Heiterkeit und unbefangenem, einschmeichelndem Betragen, der Ausdruck und Reflex einer sittenreinen Seele wären, – dann würden Wenige Bedenken tragen, Der, von welcher ich spreche und welche ich Ottilie nennen will, jene weibliche Tugend vorzugsweise zuzugestehen. Aber – so wie unter den schillerndsten Farben der in einer indischen Vegetation schwelgenden Schlange das gefährlichste Gift verborgen liegt, welches sie bei der leisesten Berührung todbringend auszuspritzen nicht warten läßt, – so ist in der sittlichen Welt eben so oft jene trügerische Maske das Versteck abgefeimter, durchtriebener Koketterie, und die Lockspeise für Gimpel, welche dumm oder schwach genug sind, sich durch jene lockenden Außenseiten umgarnen und fangen zu lassen. Dies gilt als Einleitung zur Biographie unserer Ottilie.

Sie ist gegenwärtig 25–26 Jahre alt, und obschon in Folge eines zu raschen Lebens etwas passirt, doch immer noch, man kann beinahe sagen, schön zu nennen. Ihr Geburtsort ist ein etwa 12 Meilen von Berlin gelegenes wohlhabendes, aber etwas zu sittenloses Landstädtchen D... Ihr Vater, ein armer Handwerker, starb früh, und hinterließ seiner Wittwe Nichts, als eine zahlreiche Kinderschaar. Daher war Ottiliens Erziehung nur mangelhaft und umfaßte nicht einmal die gewöhnlichsten Elementarkenntnisse. Wie es bei Kindern ihres Standes dort üblich ist, verbrachte sie ihre erste Jugend damit, Holz und Streu aus der Stadthaide nach Hause zu schaffen. Als sie eingesegnet war, behagte ihr diese Beschäftigung nicht mehr, sie lernte sich, da sie bereits die Aufmerksamkeit ungesitteter Männer erregte, fühlen und ging auf einen Tabaksboden bei einem dortigen Kaufmann, wo in der Regel der eben nicht beste Theil der männlichen und weiblichen Jugend zusammen arbeitet, und wo gute Sitten durch schlechte Gesellschaft – häufig durch die Principale und ihre Geschäftsgehülfen selbst – erstickt werden. Hier wurde Ottilie – war es vorher noch nicht geschehen – in die Geheimnisse ihres Geschlechts praktisch eingeweiht, hier aber entstand auch bei ihr die Sucht, sich durch ihre körperlichen Vorzüge ein träges, vergnügtes Dasein um jeden Preis zu beschaffen. Noch blieben ihre Wünsche bei dem Stande einer Kammerzofe stehen. Sie hatte gesehen, wie dergleichen Mädchen – wenn sie mit dem umwohnenden Adel nach der Stadt kamen – aufgeputzt und frisirt, ebenso wie ihre Damen, einhergingen: diese Herrlichkeiten wollte sie genießen. Ihrem Aeußern gelang es bald, eine solche Stelle zu erhalten. Diese behauptete sie aber nur kurze Zeit, weil ihre sittenstrenge Herrin Ottiliens heimliches Treiben mit den männlichen Domestiken nicht dulden wollte. Was blieb ihr übrig? Das Eldorado der dienenden Classen der kleinen Städte ist – zu ihrem großen Schaden – Berlin. Sie ging also auch nach Berlin, fand bald einen und den andern Dienst, ihre Liederlichkeit, ihr angebornes Lügentalent – welches ihr schon in ihrer Vaterstadt den Namen: Lügenottilie verschafft hatte – ließ sie aber nirgends lange aushalten. Schlechte Zeugnisse stellten sich ihrem fernern Unterkommen in den Weg, sie war über die polizeilich vorgeschriebene Frist dienstlos, und wurde daher nach ihrer Heimath zurückgewiesen. Dort hätte sie keine Aufnahme gefunden, auch kränkte es ihren Dünkel, mit Zwangspaß versehen sich bei der heimischen Polizeibehörde melden zu müssen.

Ihre Schönheit machte sie zu einer werthvollen Acquisition für eine Winkelkupplerin. Diese Schandweiber – von dem gemeinen Volke sehr treffend mit dem Namen Seelenverkäuferinnen bezeichnet – lauern, wie der Tiger auf seine Opfer, so auf junge, ansehnliche Mädchen, die Unfall oder eigene Schuld dienstlos macht und zwingt, bei einer derartigen Megäre in Schlafstelle zu ziehen. Durch listige Ueberredung, durch Vorspiegelung glücklicher Heirathen, welche Diese oder Jene unter ähnlichen Umständen gemacht, durch das Beispiel anderer bereits verdorbener Dirnen, die sich bei ihrem verwerflichen Gewerbe glücklich befinden, weil sie nicht arbeiten müssen, stürzen endlich selbst bisher unschuldige Geschöpfe in jenen Strudel hinab, worin sie für immer untergehen.

Ottilie orientirte sich bald auf dem Terrain, wohin sie sich schon lange gewünscht hatte. Sie machte lockere Geschäfte, zog guten Verdienst, – bis endlich die Polizei ihrem romantischen Leben ein Ende machte, sie auf mehrere Monate nach dem Arbeitshause schickte und demnächst bei Androhung doppelter Strafe aus Berlin verwies. Sie wußte sich zu helfen. Ihre Galans, die sie ungern verloren, gaben ihr den Rath, zum Schein einen hier ortsangehörigen Einwohner zu heirathen, welcher gegen ein angemessenes Geldgeschenk sich verpflichten mußte, die Wohnung seiner jungen Frau nie zu betreten und überhaupt auf die Ausübung seiner ehemännlichen Befugnisse ein- für allemal zu verzichten. Die Verlobung – mit einem dem Trunk ergebenen Droschkenkutscher – ward gefeiert, Ottilie war vor der Verfolgung der Polizei gesichert, und da Mutter und Vormund mit Freuden in die Ehe willigten, blos um ihren Pflegling los zu werden, erfolgte bald die Trauung.

In der Folge werde ich noch andere Beispiele anführen, wo man sehen wird, wie Frauenspersonen – welche wegen Verbrechen oder sittenlosen Lebenswandels aus Berlin nach ihrer Heimath zurückgewiesen worden sind – fortwährend für Geld verworfene Männer finden, die sie scheinbar zur Frau machen und ihnen das Domicil in der Residenz verschaffen. Zur Verhinderung dieses Mißbrauchs wäre es wohl zu wünschen, wenn wir statt eines strengen Ehescheidungs- ein strengeres Ehehinderungsgesetz hätten, denn das erstere schreckt von dergleichen Scheinehen nicht ab, da nach Ablauf einiger Wochen der Mann auf Grund der Bezüchtigung des Ehebruchs dennoch verabredetermaßen gegen seine Frau auf Scheidung klagt, welche auch regelmäßig erfolgt, weil die Frau den Ehebruch einräumt. Das ist es aber, was bei dem ganzen Handel beabsichtigt wird, denn die geschiedene Ehefrau behält – wenn sie, wie immer, nicht zu einer zweiten Ehe schreitet – das Domicil des Ehemannes. Solche Ehen kann man in der That mit Talleyrand »das Sacrament des Ehebruchs« nennen.

Nach ihrer Verlobung und als Ottilie vor der Berliner Polizei sicher war, kannte sie keine Schranken mehr, sie überließ sich der ungezügeltsten Libertinage. Nicht nur, daß sie selbst Phryne war, und als solche im ehemaligen Colosseum, in der Villa bella, und wie alle jene Akademieen der Venus &#960;&#940;&#957;&#948;&#951;&#956;&#959;&#962; heißen, die erste und ausgelassenste Rolle spielte, sie war zugleich auch Kupplerin und gestattete ihren Colleginnen – natürlich nicht unentgeldlich – in ihrer Behausung abzusteigen und Männerbesuche anzunehmen.

Da spielte ihr das Schicksal einen neckischen Streich. Am Tage ihrer Hochzeit – wo sie den liebenswürdigen Bräutigam bereits beim Heraustreten aus der Kirche verabschiedet hatte – waren ihre eifrigsten Verehrer mit einigen Kindern der Freude zu einer Orgie in ihrer Wohnung versammelt. Der Polizeicommissarius des Reviers hatte dies gehört, und beschloß, am Spätabende jenes idyllische Vergnügen zu stören. Als er daher in die verschlossen gewesene und nur mit Widerstreben geöffnete Wohnung trat und außer zwei Herren, welche behaupteten, daß die Frauenzimmer ausgegangen wären, Niemanden antraf, so schöpfte er Verdacht und schritt zu einer Visitation. Jetzt fand er die Bescheerung. Ottilie und eine ihrer Freundinnen – fast gänzlich im Stande der Natur – hatten sich in einem Spinde versteckt, und hielten die Thür desselben zu, so daß diese mit Gewalt losgesprengt werden mußte. Ihr Aufenthaltsort, ihr Ansehen ließ errathen, was vorgegangen war. Der Polizeicommissarius machte der paradiesischen Scene dadurch ein Ende, daß er die Herren aufschrieb und die Dirnen zum Arrest beförderte. So führte der unselige Hochzeitsabend Ottilien, statt zu Hymens Fackeln, wieder in das Arbeitshaus.

Nicht zu lange Zeit nach ihrer Entlassung klagte ihr Mann wegen Ehebruchs auf Trennung, welche bei ihrem Eingeständnisse erfolgte. Nunmehr war sie auch den Trinker los, der täglich Geld von ihr erpreßt hatte und jetzt ein- für allemal abgefunden ward. Er soll später am Delirium gestorben sein.

Da Ottilie sich sowohl gegen ihre Wirthinnen, die sie fast allmonatlich wechselte, so wie gegen die Lehnefrauen (d. h. diejenigen, welche den Dirnen zu hohen Zinsen Geld, Putz und Pretiosen leihen) nicht immer Wort hielt, auch Andere, mit denen sie in Berührung kam, hinterging, so blieb es nicht aus, daß die frühere »Lügenottilie« jetzt zu einer »Schwindelottilie« gestempelt und getauft ward. Doch nahte – etwa ein Jahr nach ihrer Ehescheidung – eine Zeit heran, wo es in der That schien, als ob sie wirklich einen bessern Weg betreten wollte, wenn sie auch noch nicht gänzlich aufhörte, in den Reihen der Prostituirten zu glänzen.

Ein ehemaliger junger Beamter, wir wollen ihn E. nennen, kam mit einem Vermögen von etwa 6000 Thlrn., glänzender Einrichtung, und mit Empfehlungsbriefen an hochgestellte Personen hier an, um eine andere Carrière einzuschlagen, als er bisher verfolgt hatte. Er besuchte die öffentlichen Lustbarkeiten fleißig und sah sehr bald unsere Ottilie, für welche ihn eine leidenschaftliche Flamme ergriff. Er kam ihr gewandt entgegen und da sie eingesehen, daß er Geld hatte und splendid war, so stand er bald am Ziel seiner Wünsche. Aber er war auch eifersüchtig und wollte von Nebenbuhlern Nichts wissen. Daher bewachte er sie mit Argusaugen, sie durfte ohne ihn nicht ausgehen und mußte Tag und Nacht in seiner Wohnung zubringen. Ueberdies hatte er ihr ein Quartier bei Leuten gemiethet, die ebenfalls die strengste Surveillance über Ottilien übten. Sie war schlau: da sie an seine angeblich großen Erbschaften glaubte, so wie an seine Eheversprechen, so schien es, als ob damit alle ihre Wünsche gesättigt wären und außer für ihren E. kein Platz in ihrem Herzen offen stände.

Dieser vergaß, im Taumel seiner Vergnügungen, seine Empfehlungsschreiben abzugeben, und so vergingen zwei Jahre, sein Geld ward alle, er verkaufte das Nothwendigste, und mußte endlich, um sich vor seinen Gläubigern zu retten, aus Berlin entfliehen.

Kaum hatte Ottilie den Verfall seines Vermögens wahrgenommen, so kehrte sie ihm schnöde den Rücken und hing sich an einen Comtoiristen, der früher schon nach ihr geseufzt hatte. Jetzt zeigten sich die schlimmen Seiten ihres Charakters recht auffällig: während sie vorher tausend Mal geschworen hatte, nie wieder einen Andern, als ihren Eduard zu lieben, und wenn er ein Bettler wäre und sie mit ihm das Brot vor fremden Thüren suchen müßte, so bestrebte sie sich jetzt umgekehrt recht geflissentlich, ihn mit den schwärzesten Farben zu malen, um ihre eigene Schande zu bemänteln, und Dem –mit welchem sie das Letzte durchgebracht – vorzuwerfen, daß er sich habe durch den Verdienst ihres Körpers ernähren lassen und ihr Geld schuldig geblieben sei.

Mit dem Comtoiristen dauerte es jedoch nicht lange: dieser, als Geschäftsmann, hatte mehr praktischen Verstand, als sein studirter Vorgänger und ließ die Gleißnerin sogleich sitzen, als er sie durchschaut hatte. Inzwischen hatte unter den prostituirten Frauenzimmern, die sie früher beneidet hatten, ihr Ruf gelitten, auch die Männer beschuldigten sie der Schwindelei und Treulosigkeit, und so kam es, daß sie, selbst mit Aufwendung aller ihr zu Gebote stehenden Tournüre, nur Wenige an sich zu ziehen vermochte. Sie beschloß daher, eine Zeit lang von dem Schauplatze, wo sie früher Epoche gemacht hatte, abzutreten, bis ihr Verhalten gegen E. vergessen wäre, und ging zu einer Kupplerin nach Rostock. Sie kam jedoch bald nach Berlin zurück, weil sie in Folge einer von der Kupplerin denuncirten Schwindelei Rostock zu verlassen für gut fand. Diese Denunciation gelangte auch hierher und führte unsere Ottilie zum ersten Male in die Hände der Criminalpolizei. Obwohl sie längere Zeit verhaftet war, stellte sich jedoch der Thatbestand strafbaren Betruges nicht gegen sie heraus und sie ward daher, ohne Einleitung der Untersuchung, wieder entlassen.

In der Folge hat sie ihren frühern Glanzpunkt nie wieder erreicht. Vorsichtig gemacht und von der Polizei ernstlich verwarnt, scheint sie ihr excessives Betragen in den öffentlichen Localen, welche sie überhaupt jetzt wenig zu besuchen scheint, sehr gemäßigt zu haben, doch ist auf der anderen Seite nach ihren jetzigen Herrenbekanntschaften ihr keine günstige Prognose zu stellen, da sie bereits Liebhaber unter den Gestraften und polizeilich Observirten gefunden haben soll. Dies ist in der Regel die Vorinstanz vor der eigenen Betheiligung an Verbrechen, welche ihr bis jetzt noch Niemand hat zur Last legen können. Ich glaube auch, so leichtsinnig und grundsatzlos sie sonst ist, daß sie dennoch nie einer verbrecherischen Richtung verfallen kann und wird.

Das muß ich aber nochmals wiederholen, daß, bei allen ihren in einem grenzenlosen Leichtsinne wurzelnden Fehlern, ihr persönliches Betragen und ihre nicht uninteressante, freundliche und anständige Unterhaltung sie vor mancher Verlegenheit schützen, und daß es nur der Ruf ihres zu sehr auf Schwindeleien gerichteten Naturells ist, welcher sie weit weniger ein Gegenstand der Spekulation der Roué's und Libertins werden läßt, als Andere, die physisch und geistig weit unter ihr stehen.


II.
Auguste L. die projcetirte »gnädige Frau«.

Wie unwahr das Sprichwort ist: »der Apfel fällt nicht weit vom Stamme,« zeigt am deutlichsten die Geschichte einer soi-disante gnädigen Frau, die ich Auguste L. nennen will. Ihre Eltern sind die bravsten und rechtlichsten Leute von der Welt, die ich um keinen Preis auch nur durch die leiseste Andeutung verwunden möchte, während Auguste – jetzt etwa 30 Jahre alt – bereits alle Stadien liederlicher Gemeinheit durchgemacht hat. Nur ein Lob kann man ihr geben, d. h. ein negatives, sie hat sich bis jetzt noch vor Conflicten mit der Criminaljustiz zu bewahren gewußt. Im Uebrigen aber gilt allgemein nur ein Urtheil über sie, daß sie die ärgste und verworfenste Lustdirne ist, welche unter der angenommenen Maske der Anständigkeit und eines gewissen bon ton's in Berlin umherwandelt. Da sie viele Geschwister hatte, war ihre Jugenderziehung überhaupt, bei dem sittlichen Charakter ihrer Eltern, eine strenge, sie ward mit Nachdruck zur Schule und zur Arbeit angehalten, und an Häuslichkeit gewöhnt. Aber Schule und Erziehung vermochten Nichts über ihren angebornen Hang zum Müßiggange und zum Umhertreiben, die strengsten Züchtigungen des Vaters waren ohne Erfolg, – der Leichtsinn ihres Temperaments siegte.

Man sage nicht, daß der Mensch von Hause aus weder gut, noch schlecht sei, daß Erziehung und Umgang ihn erst zu dem machen, was er später wirklich ist. Jenes »cereum flecti« des Horaz hat seine Ausnahmen, wenn man auch in der Regel annehmen kann, daß die Jugenderziehung zur Zeit der Verstandesentwickelung für das nachfolgende Leben maßgebend bleibt.

Schon die jetzt wieder vielfach hervorgesuchte und gar nicht zu verachtende Phrenologie lehrt, daß gewisse Organe der Tugenden, wie der Laster, vielen Menschen in außerordentlichem Grade angeboren sind, so daß diese sich, der besten Erziehung zum Trotz, auf eine, ich möchte sagen, krankhafte Weise zum sittlichen Nachtheile des Individuums nothwendig entwickeln müssen. So die Liederlichkeit der Auguste, welche schon in früher Jugend den besorgten Eltern zum tiefsten Kummer gereichte.

Vor ihrer Einsegnung hatte sie schon Liebesverhältnisse: vielleicht trat sie nicht mehr als Jungfrau zum ersten Male zum Tisch des Herrn. Ich finde einen merkwürdigen Unterschied zwischen ihr und andern Prostituirten, welcher das Vorhergesagte bestätigt.

Die bekannte Kupplerin Sp., welche noch bei ihrem Alter und ihrer bösartigen Krankheit nicht unterläßt, das von ihren Töchtern Erpreßte ihren jungen Chapeau's zuzustecken, hat ihre Töchter von früh an selbst verführt und verkuppelt, und dennoch haben zwei derselben gänzlich diesen Weg verlassen: die Eltern der Auguste suchten alle Mittel hervor, um ihre Tochter zu retten, und dennoch mußte sie in der Sphäre, worin sie sich bewegt, die ärgste Dirne werden, welche es zur Zeit vielleicht giebt. Wer vermag solche Krankheiten zu heilen, die die Natur selbst dem Menschen eingeimpft hat!?

Da Auguste im elterlichen Hause nicht zu bändigen war, kam sie in einen strengen Dienst. Sie hielt hier aber so wenig, als in der Folge in ihren fernern Conditionen aus, obschon der Vater sie jedes Mal, wenn sie ihrer Herrschaft entlaufen war, auf das Strengste, ja barbarisch bestrafte, und zuletzt die Mitwirkung der Polizeibehörde in Anspruch nahm. Vielleicht hat auch die übertriebene Strenge gerade den entgegengesetzten Erfolg herbeigeführt! –

In Folge dieser häuslichen Verdrießlichkeiten entlief – vor jetzt 11 Jahren – Auguste auch ihren Eltern und fand, da sie damals ein günstiges Exterieur besaß, bei den Winkelkupplerinnen eine willkommene Aufnahme. Lange bemühte sich ihr Vater, sie aufzufinden, aber vergebens!

In der Commandantenstraße bestand damals eine, jetzt längst verschollene Conditorei, wo in der Wirklichkeit nur Kuppelgeschäfte getrieben wurden. Die Wirthin jenes Locals, welches späterhin die Polizei geschlossen hat, nahm unsere Auguste auf, welche darin mit Fähndrichs, Studenten, Handlungsgehülfen u. s. w. sehr bedeutende und für ihre Domina sehr einträgliche Geschäfte machte. Der Zufall führte eines Tages einen Hausfreund des Vaters der Auguste an diesen Ort, und derselbe unterließ nicht, seinem Freunde davon Mittheilung zu machen.

Auguste ward hierauf sofort von ihrem Vater abgeholt, vorher aber in Gegenwart ihrer zärtlichen Liebhaber mit dem Kantschuh gehörig gezüchtigt und auf Antrag ihres eigenen Vaters auf längere Zeit in das Arbeitshaus gebracht. Der Vater sah hierin das letzte Correctionsmittel, welches er noch zu versuchen entschlossen war! Obschon ihm die Detention seiner Tochter in jener Anstalt zu bezahlen, bei seiner sonst zahlreichen Familie, sauer ward, so war dieses Besserungsmittel doch ein fruchtloses! Auguste kam, wie sich Jedermann vorstellen kann, noch viel verdorbener heraus, als sie hineingekommen war. Das Arbeitshaus ist bekanntlich das große Vaterhaus, wohin alles Berliner Elend, alles Berliner Verbrechen, alle Auswüchse der bürgerlichen und moralischen Gesellschaft gebracht werden. Verschuldete und unverschuldete Armuth, Bettler, Landstreicher, Herumtreiber, Diebe, liederliche Dirnen, Wahn- und Irrsinnige, Hospitaliten – Alles wohnt dort bei und unter einander. Das Arbeitshaus ist für Berlin, was Bicètre, La force, die Conciergerie, die Salpetrière, St. Pelagie und St. Lazare für Paris zusammen sind. Ich sage nicht zu viel – aber ich behaupte mit vollem Rechte, daß jene Amalgamirung so verschiedenartiger schädlicher Bestandtheile der Civilisation unmöglich anders, als im höchsten Grade verderblich auf diese unter einander einwirken muß. Was Auguste noch nicht kannte, hatte sie von den frechsten Dirnen, welche abwechselnd die Elite des Arbeitshauses bilden, jetzt gelernt. Sie war daher kaum entlassen, als sie bereits anfing, wieder herum zu schweifen und das Gewerbe der Prostitution in noch großartigerem Maßstabe zu betreiben, als vorher.

Der Vater verstieß die Unwürdige und jagte sie aus dem Hause. Jetzt trieb sie sich längere Zeit auf den Straßen, in den Absteigequartieren, oder in den Tanzkneipen umher, in fortwährender Furcht vor der Polizei, welche sie zu Zeiten aufgriff, auch noch einige Male mit Einsperrung im Arbeitshause bestrafte.

Bei dieser Lebensmethode würde sie unzweifelhaft bald ein Opfer der Syphilis geworden oder auf andere Weise gänzlich untergegangen sein, wenn nicht bei einer namhaften Kupplerin ein wohlhabender und in seinen Neigungen, wie die Folge zeigte, beständiger Mann die Auguste gesehen und dieselbe auf eigne Hand eingemiethet und unterhalten hätte. Der Sprung von der Straßendirne, der letzten Klasse der Prostituirten, bis zur verschwenderisch ausgestatteten Mätresse, der fille entretenue, ist in der That nicht klein.

Auguste – wie durch einen Zauberschlag in ein Feenland versetzt – lernte jetzt ein ganz anderes Leben kennen, als ihr früher geboten ward. Eine glänzend tapezirte Wohnung, gleich einem chinesischen Boudoir, brillante Garderobe, Schmuck und Pretiosen, Theater, Concerte, elegante Vergnügungen und Landparthien, dabei eine Börse, welche die Freigebigkeit ihres Gebieters täglich zu füllen bemüht war, – fürwahr! von solchen Dingen hatte sie sich im Arbeitshause oder im Polizeiarrest nichts träumen lassen. Ihre natürliche Schlauheit, welche sich jetzt auf dem richtigen Boden zu befinden glaubte, sagte ihr, daß sie raffiniren müsse, um dieses Leben fortsetzen zu können, wenn – was früher oder später geschehen müsse – ihr bisheriger Verehrer einmal abspringe. Dieser Zustand dauerte einige Jahre unverändert fort, während welcher sie natürlich ihre Eltern gänzlich vergaß. Indessen, sie hatte jetzt angesehene Bekanntschaften gemacht, sie hatte die Koketterie jener feinern Phrynen erlernt, welche selbst nach dem Verschwinden der natürlichen Reize mit Hilfe der Kunst alte und junge, besonders einfältige Männer an sich zu ziehen verstehen, und darum war ihr auch gar nicht bange, als ihr mehrjähriger Wohlthäter endlich Abschied nahm, ja, es war ihr sogar lieb, seiner los zu werden, um ohne gêne jetzt auf Eroberungen unter der sogenannten fashionabeln Männerwelt ausgehen zu können.

Das Theater ist bekanntlich die Arena, wo die gewandtesten der hiesigen Phrynen, besonders der schon verlebten, unter dem günstigen Einflusse der Lampen ihre Pfeile auf die Herzen und Börsen junger und alter Narren abschießen. Es gelang auch ihr so mancher Fang, und da sie sich immer wieder klüglich zurückzuziehen gelernt hatte, wenn die öffentliche Stimme vielleicht zu laut von ihr sprach, so wandelte sie auch sicher »die schmale Mittelbahn des Schicklichen«, und straflos »unter den Palmen und unter den Linden«, ohne daß sie eben besonders von der Polizei angefochten worden wäre.

Diese Zeit bietet wenig Bemerkenswerthes dar. Ich komme aber jetzt zu einem Wendepunkte in ihrer Geschichte – nämlich zu ihrer Heirath.

Es war in Berlin Mode geworden, daß die prostituirten Frauenzimmer Edelleute heirathen und »gnädige Frau« werden wollten. Zuerst hatte eine dieser liederlichen Dirnen, die jetzige Frau Baronin v. S., einen ehemaligen Officier geheirathet, welcher im Hospital des Arbeitshauses verstorben ist: eine andere, die ich nicht nennen will, hatte ebenfalls einen Lieutenant geehelicht, worüber zu seiner Zeit viel Spectakel gewesen ist: eine dritte hatte sich mit einem Taugenichts von adeligem, in der Folge aus Berlin verwiesenen Handlungsdiener vermählt, die Ehe ward aber vom Kammergericht für nichtig erklärt, weil ein, wenn auch noch so schlechter Edelmann die Tochter eines geringen Mannes, nach Vorschrift der preuß. Landesgesetze, nur dann gültig ehelichen darf, wenn entweder seine drei nächsten Agnaten einwilligen oder das Obergericht der Provinz den Consens giebt. Denn die Stellung im Leben ist einmal nur von den äußern Standesverhältnissen, keinesweges von dem sittlichen Charakter abhängig! – Ein Narr macht stets mehrere, also wollte unsere Auguste auch ein Bischen von einer gnädigen Frau sein. Dies ward folgendergestalt in's Werk gesetzt: Ihr damaliger Galan – zu Ende 1843 – sehnte sich darnach, sie los zu werden, und da er ihre Wünsche in puncto matrimonii kannte, so schien ihm dies eine passende Gelegenheit zur Erreichung seines Zweckes zu sein. Zu dem Ende redete er einem, aus Brabant stammenden, armen Teufel von Handlungsdiener, welcher das de vor seinem Namen führt und daher den Rang eines französischen Edelmanns für sich in Anspruch nimmt, vor, daß er ihm zu einer reichen Partie behülflich sein wolle. Dieser geht, da er von Geld und Schätzen hört, willig in die Falle. Im englischen Hause ist das Rendezvous. Man speist und trinkt äußerst nobel, letzteres mehr als gut war. Der Handlungsdiener ist über die Schönheit, die Herablassung, die Herzensgüte der ihm bestimmten Zukünftigen außer sich, welche, um den Eindruck ihrer koketten Persönlichkeit zu verstärken, von Zeit zu Zeit noch eine durchgängig mit Goldstücken gefüllte Börse zeigt. Kurz – die Verlobung erfolgt auf der Stelle, der wonnetrunkene Bräutigam betreibt mit unbezähmbarer Hast die Vorbereitungen zur Hochzeit, die er gar nicht erwarten kann, und da zur priesterlichen Einsegnung die Einwilligung der Eltern der Braut erforderlich ist, so macht er sich anheischig, sie mit denselben zu versöhnen und ihren Segen für die jetzt Reuige zu erflehen. Die Eltern glauben wirklich, daß ihre Tochter, die voll der schönsten Versprechungen und Verstellungskünste ist, durch Erfahrungen gewitzigt, sich bekehrt habe: sie willigen in die Heirath, besorgen die Hochzeit, und geben, mit Aufopferung, der Schändlichen eine Ausstattung, so gut sie es vermögen.

Das junge Paar bezieht eine eigene Wohnung und der Mann fängt ein Handelsgeschäft an. Alles wäre gut gegangen, wenn Auguste wirklich die Absicht gehabt hätte, noch jetzt zu einem rechtschaffenen Leben zurückzukehren, Alles hätte man ihr vergeben und vergessen. Allein sie wollte ja blos den Titel einer »gnädigen Frau«, um auf der Bahn der Schande und der Entehrung desto bessere Fortschritte machen zu können!

Das Ende vom Liede – daß ich es kurz erzähle – war: Auguste setzte ihr Prostitutionsgewerbe fort, und da der Mann sie bei einer Untreue ertappte und sie dafür körperlich züchtigte, verließ sie mit seinen und ihren Sachen, welche sie heimlich unterbrachte, eines Abends seine Wohnung, wo der Heimkehrende nur die leeren Wände vorfand. Dies war noch nicht Alles. Sie hatte ihn auch mit einer syphilitischen Krankheit angesteckt, woran er lange und kostspielig curiren mußte. Endlich, als er den Verbleib der Sachen erfuhr, hatte sie bereits dieselben – also auch die seinigen – verkauft, und als er seine Eigenthumsrechte geltend machen wollte, stellte sie ihm die Behauptung entgegen, daß sie sämmtliche von ihr mitgenommene Effecten lediglich für ihr Geld gekauft habe und daher auch damit machen könne, was sie wolle. Kein Theil hatte Beweise: mithin galt eine Angabe so viel als die andere, und der arme Teufel, der den ganzen Schaden zu tragen hatte, brauchte nun auch für den ihn jetzt in gehörigem Maße treffenden Spott durchaus nicht zu sorgen.

Die Ehe ward auf Antrag des Gatten – wegen Ehebruchs – getrennt. Mit der »gnädigen Frau« wäre es aber ohnedies Nichts gewesen, weil das Königliche Hausministerium nach Einsicht der Ursprungszeugnisse und des Wappens des Mannes erklärt hatte, daß demselben keine adeligen Prädicate zukämen.

Seit dieser verunglückten Heirathsspeculation ist Auguste wieder im Decrement und kann sich nicht mehr emporschwingen. Sie ist wieder das geworden, was sie früher war, – eine Straßendirne, – (überhaupt ist dies der Cursus aller Mätressen) – und wird mehr als je von Seiten der Sittenpolizei überwacht. Zum Glücke hat sie eine Bekanntschaft in Frankfurt a. d. O. mit einem dort lebenden ältlichen Herrn, weshalb sie auch jedes Mal, wenn sie merkt, daß der polizeiliche Barometer für sie nicht günstig steht, dorthin abreist, und erst wiederkommt, wenn sie glaubt, daß das Gewitter sich verzogen hat.

Der Grundzug ihres Wesens ist eine entschiedene Frechheit, die sich bei jeder Gelegenheit in ihren Blicken nur zu deutlich ausspricht, daher soll sie nach glaubwürdigen Quellen schon Officianten, welche ihren Verkehr controliren müssen, fälschlich denuncirt, und ihnen verliebte Attaken auf ihre, jetzt gänzlich verblüheten Reize zur Last gelegt haben.

Von ihren Genossinnen geflohen und von dem sogenannten feinern Männer-Publikum ganz verachtet, dürfte wohl die Zeit nicht fern sein, wo sie, wie früher, ein Stammgast des Arbeitshauses werden wird.


III.
Marie Therese Enderly.

Sie ist, wie schon ihr Name ergiebt, eine geborne Oesterreicherin, aus Wien, jetzt etwa 42 Jahre alt, – wiewohl man sie, ihrer Corpulenz ungeachtet, für jünger hält, – und befand sich seit ihrer Jugend in Berlin. Tochter einer armen Kellnerin, ein Sprößling wilder Liebe, hat sie so gut wie gar nichts in der Schule gelernt, und ist kaum im Stande, ihren Namen hinzuschreiben. Eine angenehme Persönlichkeit bewirkte, daß man sie für das Theater bestimmte, und in die so berühmt gewordene Wiener Balletschule aufnahm. Indessen, wie es scheint, ist schon damals Fleiß und Anstrengung nicht ihre Sache gewesen; anstatt zu tanzen, hat sie sich frühzeitig darauf gelegt, zu gefallen, und daher ist es auch sehr erklärlich, daß man ihr den Abschied aus der Tanzschule bald gegeben hat, worauf sie, anscheinend als Dienstmädchen, in der That aber als wirkliche Zuhalterin, mit ihrem angeblichen Principal nach Berlin kam. In den ersten Jahren nach den Kriegen, wo es noch überall fast an Menschen fehlte, ward es mit den Niederlassungen nicht so genau genommen, daher war es auch der Enderly leicht, als ihr früherer Principal Berlin wieder verließ und sie nicht mehr um sich behalten wollte, hier zu bleiben, besonders da sie vorgab, in Dienste treten zu wollen. Dies geschah zum Schein. Allein sie hielt nicht lange aus, vielmehr gelang es ihr bald, wieder einen Liebhaber zu angeln, der sie zu seiner Mätresse machte und ihr ein anständiges Auskommen versicherte. Sie lebte nun – bis vor einigen Jahren –, bald von Diesem, bald von Jenem auf längere oder kürzere Zeit ausgehalten, in ziemlich ruhigen Verhältnissen, und da es gewöhnlich Männer von Vermögen oder von Stande waren, die sich abwechselnd für sie interessirten, so hat man auch nie gehört, daß sie mit der Polizei in Conflict gerathen wäre, – höchstens, daß diese von Zeit zu Zeit nach ihren Subsistenzquellen, und noch obendrein sehr discret, fragte, worauf sie sich gewöhnlich ausreichend legitimirte. Erst die Folgezeit war bestimmt, ihren wahren Charakter zu enthüllen. Die öffentliche Prostitution hat sie nie getrieben, sondern immer als Mätresse gelebt, bis sie zuletzt die ärgste Kupplerin ward.

Bis in die Höhe der dreißiger Jahre war es ihr ein Leichtes, sowohl durch die eingelernte Kunst einer in Berlin sonst nicht üblichen, ganz eigenthümlichen – ich möchte sagen, dem Süden angehörigen Koketterie und Finesse, als auch, weil sie sich wirklich, in Folge ihres bisher immer geregelten Lebenswandels, außerordentlich conservirt hatte, durch eigene Preisgebung die Mittel zu ihrem luxuriösen und verschwenderischen Leben zu beschaffen. Allein, wie der weise Salomo spricht: Alles hat seine Zeit. Das Alter hat seine Rechte, wie die Jugend, und da am Ende ihres vierten Decenniums sich die Spuren des Verwelkens bei ihr nur zu deutlich zeigten, – da flohen die frühern, reichen Liebhaber zu jüngern Schönen und nöthigten sie, auf eine andere Industrie zu denken, wenn sie ferner so leben wollte, wie bisher. Ein Hauptzug, der sich in ihrem Leben fortan zu erkennen giebt, ist: die Intrigue. Eine Frau, welcher die Intrigue von Jugend auf so tief eingewurzelt war, wie ihr, findet es gewiß nicht schwer, dieselbe zu benutzen – um die Wünsche reicher, wüster Männer nach feilen jungen Mädchen zu befriedigen und dabei von beiden Theilen die ansehnlichsten Belohnungen zu ziehen.

Darauf gründete sie ihren Plan für die Folgezeit, welcher in nichts Anderem bestand, als in der Anlage einer eleganten Kuppelanstalt, wobei sie zugleich Gelegenheit fand, die Trümmer ihrer ehemaligen Schönheit mit in den Kauf zu bringen. Allein Berlin ist kein Wien und kein Paris; denn

1) halten sich solche Anstalten hier vor der Allmacht der Polizei und der Stimme des Publikums nur im Geheimen,

2) erlischt die Theilnahme der Berliner im Allgemeinen sehr bald, weil sie zu viele Gelegenheit haben, ihre Wünsche in dieser Beziehung ohne Mittelspersonen zu befriedigen.

Zuerst debütirte die neue Kupplerin in der Leipzigerstraße. Vertraute Dienstboten ließen nur persönlich bekannte oder eingeführte Herren gegen hohes Entrée in die glänzend eingerichteten Gemächer, wo ganze Nächte hindurch geschwelgt ward, so daß manchmal des Morgens förmliche Batterien von leeren Champagnerflaschen auf dem Hofe lagen. Die Dirnen, welche hier verkehrten, waren besonders die sogenannte Potsdamer Pauline, Schwefel-Marie, Emma S., Amalie Fl. und Auguste R. Da dieselben sich öfters in sehr ungenirtem Anzuge an den nach dem Hofe führenden Fenstern zeigten, so führte namentlich ein in demselben Hause wohnender Lehrer, der hierin für seine Pensionäre ein Aergerniß fand, bei der Polizei gegründete Beschwerden.

Noch ging es mit Warnungen ab, da die Enderly bisher noch nicht auf den Listen der professionirten Kupplerinnen gestanden hatte und da sie auch ihre Wohnung hinter die Katholische Kirche verlegte. Allein – als sie dort denselben Verkehr anfing, schritt die Polizei ein, der Wirth kündigte ihr das für 350 Thaler gemiethete Quartier sofort auf und sie ward zur Verantwortung gezogen, besonders da es auch jetzt zur Sprache kam, daß sie durch ihre glänzende äußere Einrichtung sich in enorme Schulden gesteckt, daß sie unter schwindelnden Vorspiegelungen Darlehne aufgenommen und die Goldsachen der sogenannten Schwefel-Marie für 70 Thaler versetzt hatte.

Sie verteidigte sich ruhig in Bezug auf alle gegen sie erhobenen Anschuldigungen, und da sämmtliche Zeugen im Betreff der Statt gehabten Kuppelwirthschaft hartnäckig schwiegen, so konnte sie nur mit einer Warnung entlassen werden, welche sie zu beherzigen versprach, um auch den bösen Schein zu vermeiden. Ihre Schulden leugnete sie nicht, wies aber nach, daß sie in Leipzig einen Liebhaber hatte, der sie zu heirathen versprochen und welcher ihr jährlich gegen 400 Thaler in ungetrennter Summe zahlen ließ, wovon sie bei dem nahe bevorstehenden Zahlungstermin ihre Gläubiger befriedigen wollte. Die Goldsachen der Schwefel-Marie hatte sie eingelöst, wozu ihr ein hiesiger Bankier – ein alter Verehrer – das Geld geschenkt hatte.

Jetzt fühlte sie sich dreist und bezog ein großes Logis in der Charlottenstraße, wo sie mit unerhörter Schamlosigkeit ihr Gewerbe fortsetzte, obschon nochmals die ernstlichsten Warnungen an sie erlassen wurden, als ein Polizeibeamter drei berüchtigte Dirnen in ihrer Wohnung vorgefunden hatte. Auch die Stimme des Publicums ward allgemein laut über die neue und großartige Anstalt.

Wenn die Polizei eine solche Wirthschaft aufheben und den Beweis dahin führen will, daß die Kupplerin der gerichtlichen Bestrafung nicht entgehen kann, so macht sie es also:

Sie forscht nach, welche Dirnen dort absteigen. Sobald sie dies weiß, zieht sie jene Dirnen (welche alle keinen reellen Broterwerb haben) z. B. wegen mangelnden Nachweises ihrer Subsistenzmittel, gefänglich ein. Nun stellt sie denselben – nachdem sie einige Tage eingesperrt sind – die Alternative, entweder gegen die Kupplerin zu denunciren, oder nach dem Arbeitshause gebracht zu werden. Die Dirnen lieben die goldene Freiheit über Alles und fürchten sich mehr vor der strengen Disciplin des Arbeitshauses, als vor der ärgsten Schande. Daher wählen sie ohne Umstände das erste Mittel und verrathen die Kupplerin. Auf diese Weise und durch die freiwilligen Anzeigen brotneidischer Phrynen und ihres Anhanges hatte die Polizei bald den Beweis gegen die Enderly in Händen. Ich will hierbei nicht von der Moralität der Polizeiofficianten sprechen, wenn sie sich der erstgedachten Mittel bedient, um Beweiszeugen zu erhalten: ein jeder Verständige wird einsehen, daß durch solche jesuitische Kunststückchen das Schlechte nicht erdrückt, sondern gefördert und das Ansehen der Polizeibehörde höchlichst compromittirt wird.

Kurz – die Enderly ward mitten aus einer glänzenden Abendgesellschaft verhaftet, und da die Wucht der gegen sie vor Gericht auftretenden Zeugen zu groß war, vermochte sie es nicht länger, ihr offenes Geständniß zurückzuhalten. Hier muß ich einige Episoden einschalten. Schon länger hatte sich ein Registraturgehülfe des Criminalgerichts in sie verliebt. Dies benutzte sie im Gefängniß, indem sie sich mit ihm in Rapport zu setzen wußte und ihn unter den verlockendsten Versprechungen bestimmte, ihre – eben nicht viel Gutes aus der letzten Zeit her enthaltenden Polizeiacten abhanden zu bringen. Die Polizeiacten verschwanden und wurden in der Wohnung der blondlockigen M. in der F........straße verbrannt. Diese M. ist eine Phryne, welche dem Champagner so ergeben ist, daß sie sich darin betrinkt, NB. wenn sie welchen hat. Sie ist criminell bestraft, da sie einmal – um Geld zum Besuch des Schönbartlaufens auf einem der früheren Subscriptionsbälle zu erschwingen – eine andere Dirne, Schornsteinfeger genannt, einem alten Hof- oder Kriegsrath als Jungfer fälschlich verkuppelt und ihm dafür fünf Friedrichsd'or abgenommen hatte. Die M. konnte im Rausche das Verbrennen der Enderly'schen Acten so wenig verschweigen, als ihren früheren Betrug. Die Polizei erhielt daher Wind und zeigte die Sache dem Gericht an. Hätte die Enderly geleugnet, so wäre Nichts weiter erfolgt. Allein sie gestand ein, jenen Beamten zum Actendiebstahl verleitet zu haben, welcher demnächst auch cassirt und bestraft ward. Weil aber die Enderly so offen die Wahrheit gesagt hatte, ward sie am Schluß der Untersuchung mit Vorbehalt des Erkenntnisses entlassen und führte dann einige Zeit hindurch ein zurückgezogenes Leben. Da aber das erste Erkenntniß auf 9 Monate Zuchthausstrafe lautete, verschwand sie aus Berlin, ohne daß man bisher weiß, wo sie jetzt geblieben ist. Am wahrscheinlichsten ist, bei ihrem Hange zum Kuppeln und zum Intriguiren, daß sie – wie ein Gerücht sagt – sich als Schaffnerin in einem Bordell zu Hamburg befindet. Wie vorauszusehen, war das erste Urteil gegen sie bestätigt und sie ist gegenwärtig steckbrieflich verfolgt, um ihre Ergreifung und Hertransportirung zur Vollstreckung der wohlverdienten Strafe möglich zu machen.


IV.
Schwefelholz.

Am passendsten schließt sich an die Enderly diese ihre frühere Freundin an. Schwefelholz oder Schwefel-Marie – jetzt über die Hälfte der 20er Jahre hinaus – gehört nicht zu den uninteressantesten Frauenzimmern, obschon ihre kleine Figur, ihr dunkelgelber Teint, ihre pechschwarzen Haare eher ein Judenkind in ihr vermuthen lassen, als einen Abkömmling deutschen Stammes. Dieser Annahme widerspricht aber ihr gewöhnlich ruhiges, fast kaltes Betragen und das Abhandensein jener Koketterie, welche die jüdischen Dirnen sonst gern zur Schau tragen.

Ihr Vater ist ein sogenannter halber Handwerker, d. h. welcher nur ein halbes Jahr lang seine Profession betreiben kann, nämlich ein Maurer, der für die Winterszeit auf Nebenbeschäftigungen, wie Musikmachen, angewiesen ist. So verfertigte er früherhin in jener Stillstandsperiode seines Metiers Schwefelhölzer, welche er durch seine Tochter, die daher ihren Beinamen bekommen hat, verkaufen ließ. Der Detailhandel mit Schwefelhölzern bringt bekanntlich wenig ein, daher suchte unsere Marie ihren Absatz in größern Parthieen, zu Tausenden, zu bewirken und kam deshalb mit der kaufmännischen Jugend in Connexion. Sie gefiel: dies war genug, die Jünger Mercurs auf sie aufmerksam zu machen, welche lieber von ihr, als von einer grießgramigen Alten Einkäufe machten. So hob sich ihres Vaters Nebengeschäft, umsomehr, als sie für die verliebten Passionen der Handelsjugend nicht unempfänglich war. Wer weiß, welche Remise ihr künftiges Schicksal entschieden hat. Dem ersten Schritt folgen die andern im Sturm und immer dutzendweise nach. Sie wurde – mit einem Wort – die Hetäre der Handlungsdiener, ihr Vater merkte endlich die Geschichte, und da sie auch im Abliefern der Gelder säumig ward, so folgten Strafen. Zu spät! Sie fing an, sich herumzutreiben, und die Bekanntschaft mit der Polizei konnte nicht ausbleiben.

Eilen wir über diese schwarzen Stunden hinweg. Sie war klug genug, einzusehen, daß es auf diese Weise mit ihr nicht lange dauern würde, daher änderte sie ihren Lebensplan, und suchte nach dem Vorgange ihrer Freundinnen einen Geliebten, der sie zur Mätresse machte. Dies gelang ihr, da sie wirklich, wie ich wiederholen muß, durchaus nicht uninteressant ist. Ein Lieutenant – ich weiß nicht gleich, wie er hieß – machte sie zu seiner Dulcinea, wofür sie ihn gehörig bluten ließ, und sich auf einen nobeln Fuß etablirte. Nachdem sein Geld ausgegeben war, hatte er in Berlin Nichts mehr zu verlieren und ging ab. Ihm folgte ein zweiter Militär, ein Cavallerist, – denn sie hatte einmal eine Pique auf die Söhne des Mars, – welcher ihr viel giebt und seit mehreren Jahren getreu ist. Daher hat sie sich auch zurückgezogen, überhaupt hat sie die öffentlichen Tanzlocale u. s. w. nie geliebt und Sinn für eine gewisse Anständigkeit bewiesen, nachdem sie bis zur Mätresse gestiegen war.

Daß sie mit der Enderly ausnahmsweise in Geschäftsverbindung gestanden hat, habe ich erwähnt. Noch muß ich einen charakteristischen Vorfall erzählen, der sich einem on dit zufolge in ihrer Wohnung zugetragen hat.

Ihr Amoroso ist – ob mit oder ohne Grund, kann ich nicht verrathen – sehr eifersüchtig. Sein Bruder soll sich aber auch in die Quasi-Schwägerin verliebt haben und von ihr günstig aufgenommen worden sein. Da will es das Schicksal, daß, als Letzterer eines Abends bei ihr weilt und die Thür verriegelt hat, der Hauptverehrer ebenfalls kommt und Arges vermuthet, weil die Thür nicht in gewohnter Weise offen steht. Er fängt an zu wüthen, und der geängstete Eingeschlossene – blutige Rache fürchtend – entschließt sich, seine Retirade durch das Fenster zu nehmen, wobei er auf den Arm einer Gasröhre zu sitzen gekommen und erst durch die Leiter eines Lampenanzünders, unter dem Zujauchzen des Publikums, gerettet worden sein soll. Ob dies Wahrheit oder Dichtung aus dem Leben der Schwefelmarie ist, kann ich nicht bestimmen; – doch wird wohl Etwas daran sein.

Jetzt fährt sie, wie die übrigen Mätressen und andere dergleichen Dirnen, fleißig Corso, um von Denen, die sie gar nicht oder ganz genau kennen, ein Bouquet zu erhaschen, auch um sich nicht in Vergessenheit zu bringen. Da fällt mir ein: Schwefelholz hat sich öffentlich immer so artig betragen, daß ihr nicht, wie andern Prostituirten, die ersten Plätze im Theater verboten worden sind. Das ist löblich, denn sie hat nie so auffällig und gemein kokettirt, wie jene. Uebrigens wundere ich mich, daß die Polizei die Prostituirten mit den hohen Herrschaften Corso fahren läßt, denn was vom Theater gilt, gilt gewiß auch von dem noch viel feinern Corso. Man verzeihe mir diese Bemerkung: denn sie wird Manchen frappiren, da ich Keiner von denen bin, welche ganz gehorsamst um ein polizeiliches Beschränkungsgesetz bitten, – deren wir schon zu viele haben, – damit die Leute durch den Gebrauch der natürlichen Freiheit doch ja keinen Schaden nehmen mögen. Doch, ernsthaft gesprochen, Marie, liest Du vielleicht diese Zeilen, so beherzige sie, und folge meinem wohlgemeinten Rath. Ich weiß, Du bist bei Weitem nicht so moralisch verderbt und versunken, wie jene X. X., Y. Y. und Z. Z., welche in dem mehrgedachten Buche: » Die Prostitution und ihre Opfer« mit den abschreckendsten Farben geschildert sind, weshalb ich gern nicht mehr von ihnen spreche. Mache es wie Ida G., spare zur rechten Zeit und lege, wie sie, ein Geschäft mit Herrengarderobeartikeln an. Die Männerwelt wird Dich besuchen und gut bezahlen, denn die Männer sind neugierig. Mit Damenputz kannst Du so nicht handeln, denn die Prostituirten würden Dich aus Neid, und die anständigen Damen aus Vorurtheil nicht frequentiren. Hast Du Dich dann rehabilitirt, dann wird sich zu Dir wohl auch ein rechtlicher Mann finden, der Dein an sich nicht schlechtes Selbst zu würdigen versteht und Dich der gesitteten Welt wiedergiebt, welche gern einen Schleier auf die Vergangenheit werfen wird. Ueberflügele dann jene X. X., Y. Y., Z. Z., welche sich höher stellen als Du, obschon sie tief unter Dir stehen, und sich nie mehr erheben können. Wenn Du dieses thust, dann wird man nach Jahren sagen: »Die Schwefelmarie ist zwar ein Zeisig gewesen, aber sie hat sich wieder emporgehoben und ist eine brave Frau geworden. Das macht ihr mehr Ehre, als wenn sie nie gefallen wäre.«


V.
Die geschiedene Frau des Sängers H........r.

Das größte Unglück für ein Frauenzimmer ist: Körperschönheit ohne sittliche Bildung, besonders wenn sie mit einem leicht erregbaren Temperament verbunden ist. Dies lehrt das Beispiel der H........r, welche leider bestimmt ist, den Namen eines der ersten deutschen Sänger, eines wahrhaften Troubadours, der namentlich in Berlin noch im schönsten Andenken steht, hier fortzuführen. Es war die Blüthenzeit H.'s auf der Königstädtischen Bühne, als er vor etwa 14 Jahren jenes Weib heirathete, von der man vorher weiter nichts gewußt hatte, als daß sie schön und, was eine natürliche Folge ist, etwas kokett war. Sinnliche Liebe, ohne innere Grundsätze, bestimmte ihn: pecuniäre Vortheile und der Ruf ihres künftigen Gatten bewirkten, daß sie nicht »Nein« sagte. So ward eine Ehe geschlossen, deren Prognostikon man im Anfange leicht stellen konnte. Nachdem der erste physische Rausch vorüber war, fand H. seine junge Frau ganz anders, als er sie sich früher gedacht hatte. Ohne Geist, ohne Bildung, ja, ohne jene feinere Koketterie, welche Männer seines Standes vielleicht noch zu fesseln versteht, wenn die Liebe längst verraucht ist, – erschien sie ihm nur als ein todtes Bild und wurde ihm zuletzt sogar unerträglich. Er vernachlässigte sie auffallend und ging seinen früheren Neigungen nach, denen er eben nicht gewohnt war einen Zügel anzulegen. Kaum hatte die junge Frau bemerkt, wie gleichgültig, ja wie zuwider sie ihrem Gatten geworden war, als sie auch beschloß, sich dafür schadlos zu halten. Es konnte ihr nicht fehlen, daß sie ihre Wünsche erreichte. Hierdurch wurden häusliche Scenen herbeigeführt, welche mit einer Scheidung endigten.

H. besaß kein Vermögen und war überdies kein Sparer. Er vermochte daher für die Folge Nichts für seine geschiedene Frau zu thun, obschon nach seinem uneigennützigen Charakter er hierzu gewiß bereit gewesen wäre. Was blieb ihr also übrig? Sie mußte suchen, ihre körperlichen Reize gegen klingende Münze umzusetzen. Dies gelang ihr auch über alle Maßen gut und dauerte mehrere Jahre so fort, da sich ihre Schönheit außerordentlich conservirte. Ich erinnere mich noch, wie sie vor etwa 12 Jahren mit der ältern R......y – einer jener drei, durch ihre Militärbekanntschaften berüchtigten Schwestern – die Hauptrolle im damaligen Colosseum spielte, und von den nobelsten Herren wie von Schmetterlingen fortwährend umschwärmt war. Damals war kein Champagner fein genug, kein Stoff theuer genug für sie. Wie ändern sich die Zeiten!

Eine syphilitische Krankheit raubte ihr die Jugendschöne, welche ihr so lange eigen geblieben war. Sie kam aus der Mode und mußte ihren Erwerb auf der Straße suchen. Jetzt trat der ärgste Verfall ein. Nachdem sie ein Quartier heimlich verlassen, um auf kurze Zeit in ein anderes zu ziehen, ward sie polizeilich denuncirt und von der Behörde verfolgt. Ein alter Freund erbarmte sich ihrer und bewirkte, daß sie auf längere Zeit nach Außerhalb gehen konnte, wo sie weniger bekannt und daher eher durch Preisgebung ihren Unterhalt zu erwerben im Stande war. So hat sie mehrere Jahre in Hamburg u. s. w. zugebracht, bis es endlich auch dort nicht mehr ging und sie wieder nach Berlin zurückzukehren genöthigt war. Jetzt ist sie alt und verlebt und wohnt bei der berüchtigten Winkelkupplerin H....r, wo sie als historische Reliquie noch manchmal Neugierige anlocken, im Grunde aber das Gnadenbrot essen soll. Vor einiger Zeit sah ich sie bei der H....r im Fenster liegen, ich habe mich entsetzt vor diesem todtenähnlichen Gesicht, jenen erloschenen Augen und der durch lasterhafte Krankheiten verbleichten Hautfarbe. Wer hätte dies vermuthet, als die damals Beneidete vor etwa 14 Jahren mit dem auf der Höhe seiner Kunst stehenden H., im bräutlichen Schmuck, umgeben von der eleganten Künstlerwelt der Hauptstadt, vor dem Altar der Georgenkirche stand!


VI.
Studenten-Cläre.

Clara B. – jetzt über 40 Jahre alt – hat ihren Spitznamen davon, daß sie in ihrer Jugend es lediglich mit den Studirenden hielt, und nur die öffentlichen Orte frequentirte, welche ausschließlich oder hauptsächlich von Studenten besucht wurden. Es gab früher auch in Berlin ein Studententhum, ein exclusives Commentleben unter den – namentlich von fremden Universitäten – in ihren letzten Semestern der Brotstudien halber hierher zurückgezogenen Musensöhnen, welche die Reminiscenzen an das Verbindungswesen in Jena, Leipzig, Halle, Heidelberg u. s. w. nicht sogleich ablegen konnten. Jetzt – da seit länger denn 10 Jahren jene Universitäten auch weiter nichts mehr sind, als Gymnasien in größerm Maßstabe – ist in Berlin auch der Schatten jenes alten akademischen Lebens zur Seifenblase geworden und in Philisterei und blasirter Patentthuerei untergegangen.

Jene alten Studenten, welche bereits mehr Männer als Jünglinge waren, hatten – so wie ihre exclusiven Locale und Gesellschaften – auch ihre exclusiven Frauenzimmer, welche, ohne die Eifersucht des Einen oder Andern zu erwecken, sich von einem Bruder Studio auf den andern vererbten. So unsere Clara, deren früheres Leben wenig Interesse darbietet, bevor sie – was in früher Jugend geschah, – ähnlich der bekannten Hallenser Studenten-Julie, sich lediglich den Musen in die Arme warf.

In der Zeit ihrer Blüthe gab es drei Locale, deren Besuch in Folge einiger heftigen Raufereien der Studenten mit den sogenannten Philistern und Knoten, der akademische Senat für angemessen fand, seinen Bürgern bei Vermeidung von Strafen, unter Umständen sogar des Consils und Relegats, sehr ernstlich zu untersagen. Jene drei Locale waren:

1) der Onkel, in der Dorotheenstraße, berühmt durch seine Bälle am Mittwoch jedes neuen Monats, welches Local in der Folge wegen Sittenlosigkeit polizeilich geschlossen worden ist,

2) die Anlagen vor dem Oranienburger Thore, auf deren Trümmern sich jetzt stolz und stattlich die Villa bella erhebt, und

3) der Römersaal in der Münzstraße, welcher ebenfalls im Laufe der Zeiten untergegangen ist.

Kein Verbot seiner Bücher ist wohl einem Schriftsteller je von größerem Nutzen gewesen, als das akademische Interdict den Besitzern jener drei Locale. Denn jetzt war es für einen jeden der Herren Commilitonen zu einem Ehrenpunkt geworden, die verbotenen Orte fleißig zu besuchen, da nur Finken und Kameele sich vor dem Gesetz des Senats in Demuth beugten.

In jenen drei Tanztabagieen, wozu ich noch das vormalige W.....sche Local in der Französischen Straße rechnen will, war Clara einheimisch, mit allen jenen Studentendirnen, welche zu ihrer Zeit excellirt haben, z. B. der sogenannten kalten Pauline und ihrer Schwester Albertine, zwei Zwillingsschwestern aus Schöneberg von anständigem Herkommen, der Judenline, der Droschken-Emilie u. m. a.

Clara hatte fortwährend einen sogenannten Bräutigam, der für ihre Bedürfnisse Sorge trug, und man muß gestehen, daß sie sich außerordentlich in die Sitten und Gebräuche des burschikosen Lebens hineinstudirt hatte, denn sonst hätte sie nicht so vielen Succeß gehabt, da sie in ihrem ganzen Leben nichts weniger als schön gewesen ist und, wie ihre ältesten Freunde von ihr sagten, «schon ein altes Gesicht mit auf die Welt gebracht hatte.« Namentlich hatte sie, bei ihrem fortwährenden Aufenthalt unter demjenigen Theil der Studiosen, welche »studiren« für gleichbedeutend halten mit »viel bairisches Bier trinken«, sich in dem letztern eine solche Fertigkeit erworben, daß sie 20–30 Seidel in einer Stunde hinabzustürzen vermochte, und daher – wie die heutigen emancipirten Schönen – die Männer tapfer unter den Tisch trank. Ich gestehe, es ist dies ein merkwürdiger Reiz, um Männer zu fesseln, der Beweis des Erfolges ist aber bei der Clara da, so gut wie bei den Emancipirten von 1846, welche sogar Dichterlinge und vermeintliche Philosophen zu ihren Verehrern und Bewunderern haben sollen. Alles wiederholt sich im Leben!

Da Clara über ihre akademischen Bekanntschaften in der erstem Zeit nicht hinausging, so hatte sie so ziemlich Ruhe vor der Polizei. Als jedoch syphilitische Krankheiten sie öfters nach der Charité führten, auch ihr Betragen im Zustande der Trunkenheit öffentliche ärgerliche Auftritte und sogar blutige Schlägereien veranlaßte, so ward die Polizei aufmerksam und brachte sie einige Male nach dem Arbeitshause. Diesen Umstand benutzten ihre Feindinnen, um sie vor der studirenden Jugend lächerlich zu machen, – besonders da damals den im Arbeitshause eingesperrten Dirnen noch die Kopfhaare abgeschnitten wurden, – und so kam es, daß Clara nachher verachtet ward. Noch einmal hatte sie einen reichen Studenten, den Sohn eines pommerschen Gutsbesitzers, geködert, der sich ihr rücksichtslos überließ und, den Warnungen aller seiner Freunde zum Trotz, welche die Clara sogar mit Gewalt aus seiner Wohnung warfen, sich nicht blos in die unsinnigsten Schulden stürzte, sondern sogar seine Gesundheit total ruinirte. Er verfiel in ein bösartiges Nervenfieber, welchem er erlag. An dem Abende seines Begräbnisses war Die, welcher er seinen Untergang zu verdanken hatte, die ausgelassenste und ausschweifendste Dirne auf dem Tanzboden des »Onkel«, trieb die gemeinsten Possen und suchte – fast möchte ich sagen, mit Gewalt – eine neue Bekanntschaft zu machen. Dieses Betragen empörte selbst die Genossinnen Ihrer Schande und von Stunde ab war sie wie gebrandmarkt. Jedermann floh ihre Nähe und es blieb ihr Nichts übrig, als eine gemeine Straßendirne zu werden, wozu sie ohnehin die besten Anlagen verrieth. Oefters von der Polizei aufgegriffen und eingesperrt, in der Folge wegen mehrfacher gelegentlicher Diebstähle peinlich bestraft, ist sie zuletzt bis auf die niedrigste Stufe der Entehrung gesunken, und hat sich von Zeit zu Zeit, wenn sie von der Polizei zu sehr gedrängt ward, in ein öffentliches Bordell einschreiben lassen. Dies Leben hat sie bis vor Kurzem geführt, und die ehemals bei den Studenten so sehr angesehene Clara wird heut von dem Pöbel nicht mehr beachtet.

Nachdem sie vor etwa einem Jahre das Bordell verlassen hatte, suchte sie sich durch Aufwartestellen zu ernähren, welche sie hier und da bei prostituirten Frauenzimmern gefunden hat. Namentlich war sie auch eine Zeitlang Kammerjungfer der sogenannten Schleusen-Louise, welche sie aber weggejagt hat, weil sie ihr eine Stickerei versetzt hatte, zu deren Wiederbeschaffung sie nur mit Mühe anzuhalten war.

Clara ist der Prototyp der eigentlichen Berliner Prostitution, in ihr mögen sich die weiden, die heut noch in Sammet und Seide gehen, woran es ihr früher auch nicht gefehlt hat, denn es giebt – wie ich behaupte – nur sehr wenige prostituirte Frauenzimmer, welche nicht am Ende ihrer Laufbahn von der allgemeinen Verachtung und dem drückendsten Mangel ebenso verfolgt werden, wie die eben beschriebene Clara.


VII.
Minna W–tz––k, die geschiedene Kaufmannsfrau.

Wer im Jahre 1835 in Leipzig war, hat gewiß von dem reichen Baron von M. gehört, welcher damals auf der dortigen Universität studirte und einer der splendidesten Besucher des Hotel de Pologne und des Hotel de Bavière war. Die Elite der Studirenden, d. h. die, welche das meiste Geld hatten, schaarten sich um ihn, wie um ihren Primipilus, und man muß in der That gestehen, daß die Gesellschaft zu leben, d. h. die akademische Freiheit und Ungebundenheit durch die eleganten Formen gefälliger Sitten und durch jenes angeborne noble je ne sais quoi zu temperiren verstand.

In dem K....gäßchen befand sich das Haus der berühmten Tante S., zwar nicht nach dem ordinären Muster der Berliner Prostitutionshäuser zugeschnitten, aber, wenn auch im Style der petites maisons zu Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. Zeiten, doch nur zu dem Zwecke eingerichtet, – um namentlich während der Messe der Frivolität der Männer die aus ganz Deutschland verschriebenen verkäuflichen Reize wirklich schöner Mädchen feilzubieten. Es fehlte nicht, daß unser Baron von M. auch jenes Haus besuchte, da dies damals in Leipzig mit zum guten Ton der garçons de la bonne société gehörte. Eine junge hübsche Hannoveranerin, mit veilchenblauen Augen und blondem Haar, das wie Seide glänzte, zog ihn vor Allen an. Sie war die Tochter eines Kaufmanns, der bankerottirt hatte; ihre Erziehung war die beste gewesen, allein ein gewisser Leichtsinn war ihr vom väterlichen Hause aus eingeimpft worden, – daher fiel sie, als sie nach dem Tode ihrer Eltern als ein 17jähriges Mädchen in der Welt allein stand, und es wurde dem Werber der Tante S., dem Kunstgärtner W., nicht schwer, sie zur Ostermesse 1835 für das Haus seiner Principalin zu engagiren. So war sie eine öffentliche Dirne geworden, ehe sie sich einmal dies Verhältniß klar gedacht hatte.

Baron von M. erfuhr alle Umstände ihres Lebens: hierdurch wurde er, da seine Neigung wirklich nicht blos eine vorübergehende physische Laune war, um so mehr bestimmt, unsere Minna aus dem Hause der Tante, welche er überdies entschädigte, nach kurzem Aufenthalt darin herauszunehmen und als seine Mätresse auf die eleganteste Weise in der H...straße zu Leipzig einzumiethen. Allein, wie es in solchen Fällen immer ist, sein gegen 4000 Thaler betragender Wechsel wollte nicht mehr ausreichen, besonders da er mit seiner schönen Geliebten gern im Theater, in den Conzerten des Gewandhauses, in den Kaffeegärten, im Rosenthal u. s. w. brillirte, um sie der Bewunderung der Menge darzustellen. Er stürzte sich in Schulden, sein unweit wohnender Vater erfuhr dies, holte ihn nach Hause, und – seine schöne Geliebte war wieder verlassen, welcher jedoch der Vater ihres Verehrers aus Generosität ein Geschenk von einigen Hundert Thalern gemacht hatte.

Zu jener Zeit existirte in Berlin eine sehr besuchte Conditorei, worin sich die hübschesten Mädchen befanden und daher den Besuch junger Männer von Stande an sich zogen. Marie P......a hatte darin ihre Carrière gemacht; der industrielle Unternehmer stand mit dem Geschäftsführer der Tante rücksichtlich des schönen Geschlechts in Verbindung, und erhielt von ihm unsere Minna als Zugvogel für sein Local zugewiesen. Sie kam nach Berlin, sie wurde gesehen und siegte, wie jener verliebte meklenburgische Krautjunker neulichst in der Vossischen Zeitung in seinem Aufruf an eine Dame sagte, von welcher er weiter nichts wußte, als daß sie im Jahre 1839 im Sommer mit einem rothen Tuch und grünen Hut durch die alte Post gegangen sei. Minna machte viele Eroberungen, bei Civil und Militär, und wenn auch nicht in dem Hause ihres Principals, so fand sie doch bei der damals sehr bekannten Frau Oberförsterin passendes Absteigequartier, welches sie zu jeder Tageszeit benutzen konnte. Endlich interessirte sich ein Königlicher Musiker für sie und beredete sie, sich für das Theater auszubilden, da sie in der That Gesangs- und Darstellungstalent besaß. Er gab ihr unentgeldlichen Unterricht, und sie verließ nunmehr zu ihrer Vorbereitung für die Bühne jene Conditorei und zog zur Frau Oberförsterin, wo sie außerdem die Besuche ihrer Liebhaber empfing und davon ganz brillant lebte.

Den Verwendungen einflußreicher Anhänger und noch mehr ihrer Persönlichkeit gelang es bald, daß sie als Choristin im Sängerchor der Königsstadt engagirt ward. Ihre Stimme bildete sich zusehends aus, so daß ihr bereits bald nach ihrem Eintritt kleinere Gesangsparthieen zum selbstständigen Vortrage überlassen wurden. Fortuna schien sich zu ihr zu neigen, obschon sie, nach der Gewohnheit vieler Choristinnen, nicht aufhörte, – jedoch mit größerer Auswahl, als früher – die Galante zu spielen. Wäre sie in Berlin geblieben, vielleicht war es besser für sie, vielleicht ging sie aber auch schon früher zu Grunde! Ein auf Engagements reisender Theaterdirector hatte sie in der Königsstadt gesehen und gehört, und fand, daß sie für seine Bühne eine passende erste Liebhaberin abgeben würde. Er contrahirte mit ihr auf annehmbare Bedingungen, und sie folgte ihm auf seinem umherziehenden Thespiswagen in mehrere Provincialstädte, wo sie die Gefeierte des Tages war. Ein junger Kaufmann aus St....n sah sie bei Gelegenheit einer Reise und verliebte sich so heftig in sie, daß er sie zu heirathen beschloß. Als einziger Sohn fiel es ihm nicht schwer, die Einwilligung seiner Eltern zu erlangen. Die Hochzeit fand Statt und Minna, das ehemals gesunkene Mädchen, ward eine wohlhabende und geachtete Kaufmannsfrau, besonders da in St. Niemand ihre früheren Verhältnisse kannte.

Jetzt, geehrter Leser, wirst Du glauben, daß Minna, nach so vielen Erfahrungen, gewiß fest und unverbrüchlich an ihrem, in jeder Beziehung achtbaren und liebenswerthen Gatten gehangen und durch einen unbefleckten Wandel ihre frühern Verirrungen gut gemacht habe. Leider muß ich sagen: Nein! Obschon Mutter von zwei Kindern, ward sie dennoch von ihrem Gatten, dem die Veränderung ihres Wesens längst aufgefallen war, bei einer Untreue mit einem seiner Commis überrascht. Ehescheidung war die Folge. Er sorgte für die Kinder und überließ seine gewesene Frau ihrem Schicksal.

Jetzt wohnt sie in St. in einer kleinen Gasse und hat ihr altes Gewerbe wieder hervorgesucht. Daß sie dabei Mangel leidet und von der bittersten Reue gequält wird, habe ich erfahren. Und doch ist sie, trotz ihrer Schuld, zu bedauern, da sie in ihrem Leben wirklich sehr viele Beweise von Herzensgüte, von Mitleid mit Armen und Nothleidenden, ja von Aufopferung gegeben hat. Nur der Leichtsinn war zu tief eingewurzelt!

Sie ist ein schlagender Beweis zu der Behauptung, welche ich hiermit aufstelle:

daß es eine höchst seltene Erscheinung ist, ja daß – mit den Worten der Bibel zu reden – eher ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen, als daß eine Prostituirte dauernd wieder auf der Bahn der Sittlichkeit verbleiben könne.


VIII.
Louise D., die Amazone von Berlin.

Eine fast kolossale, dabei die Linien der Schönheit nicht überschreitende Gestalt, mit schwarzen Augen, schwarzem Haar, und gewöhnlich in schwarze Seide gekleidet, wodurch – man muß es gestehen – ihre Persönlichkeit vortheilhaft gehoben wird, eine geborne Pommerin, in der Mitte der zwanziger Jahre, verdankt sie es einer auffallenden Aehnlichkeit des Gesichts und der Figur mit der bekannten Amazone von Kiß vor dem Museum, daß man ihr – als sie zuerst in einem damals sehr besuchten baierschen Bierlocale vor etwas länger als 3 Jahren dem größern Publicum bekannt ward – einstimmig den Namen: » der Amazone von Berlin« beilegte. Hierzu berechtigte sie um so mehr ein gewisses festes, herausforderndes, ja pommersches Auftreten, – ganz nach dem Muster ihres kriegerischen Vorbildes, – und daher konnte es nicht fehlen, daß sie die Jeanne d'Arc der Studenten, der Handlungsdiener und jener alten Roué's geworden ist, die, weil sie den ganzen Tag Nichts zu thun haben, von einer Conditorei, Weinhandlung oder Bierstube in die andere schnüffeln und auf Affaires d'amour ausgehen, die sich zu ihren Glatzköpfen und Perrücken verhalten, wie ein öffentliches Heirathsgesuch zur siebenten Bitte.

Louise ist in Pommern erzogen, hat früher in den Gasthöfen kleiner Städte conditionirt, – wobei dem Leumund nach sie mit ihren Herren Principalen etwas zu vertraulich gestanden haben soll, so daß die Mesdames stutzig wurden und sie Knall und Fall verabschiedeten, – und kam dann in eine hiesige Destillation, von welcher sie bald in die beliebten baierschen Bierhallen überging.

So ist sie etwa drei Jahre lang mit kleinen Unterbrechungen eine fortwährend sehr renommirte Schankmamsell gewesen, und hat eine große Schaar von Verehrern gezählt, die ihr bis heut, wo sie sich – wohin? warum? kann ich nicht verrathen – zurückgezogen zu haben scheint, immer noch treu geblieben sind.

In vielen Bier-, auch einigen Weinstuben und Conditoreien besteht, namentlich nach Aufhebung der tolerirten Preisgebung, die Einrichtung, daß die weibliche Bedienung – außer Wohnung und Essen – sonst keinen Gehalt u. s. w. bekommt, sondern auf die Tasche der männlichen Besucher angewiesen ist. Dabei verdienen die Schenkmädchen mehr, als der Wirth ihnen geben könnte, – wofür sie natürlich auch zu jeder Zeit, bei Tage und bei Nacht, beliebig ausgehen dürfen, – der Wirth hat unentgeldliche Gehülfinnen, welche überdies durch ihre Zuvorkommenheit gegen Männer von Kasse gute Gäste anziehen, und endlich sind die Frauenzimmer durch das scheinbare Dienstverhältniß gegen die Einschreitungen der Polizei gesichert, welchen die Alleinstehenden in jedem Augenblick unterworfen sind. Auch, die Gäste finden ihr Vergnügen, mithin gewinnen ja alle Theile bei einem solchen Contract!

In solchen Verhältnissen befand sich Louise recht wohl, – jedoch wurde zwei Mal ihr Glück etwas getrübt.

Das erste Mal vor etwas über zwei Jahren, zur Zeit des Carnevals. Ein Oekonom von außerhalb, ein Schwindler, hatte sich mit ihr bekannt gemacht, ohne daß sie jedoch wußte, was an ihm war. Dieser hatte einen Reisenden, welcher sich auf einem Maskenballe in einem jener Ballsäle, wo die Prostitution die Hauptrolle spielt, total betrunken hatte, nach seinem Hotel begleitet, und ihm dabei Börse, Uhr, Ringe u. s. w. gestohlen. Der Dieb ward ermittelt, und räumte ein, vom gestohlenen Gelde der Louise ein Paar goldene Ohrringe gekauft und geschenkt zu haben, welche sie herausgeben mußte.

Das zweite Mal aber, wo sie in eine noch ernstere Differenz mit der Polizei gerieth, drehte es sich, da sie dienstlos war und mancherlei Anschuldigungen gegen ihren etwas zu freien Lebenswandel erhoben wurden, darum, sie in ihre Heimath zurückzuweisen. Diesem Schicksal entging sie jedoch, da sie nachwies, daß sie auf Kosten eines sich für ihr ferneres Fortkommen interessirenden Herrn kochen lerne, und sie dürfte auch für die Folge in dieser Hinsicht keine Anfechtungen mehr zu besorgen haben, da inzwischen ihre Mutter sich hierher verheirathet, und auch ihr das hiesige Einwohnerrecht verschafft haben soll.


IX.
Fritzchen aus Potsdam.

Ich habe schon oben angedeutet, daß in Folge der in Potsdam nie tolerirt gewesenen Prostitution, sowie der großen Anhäufung von Militär und diversen Beamten, die heimliche Unzucht daselbst einen noch bei Weitem höhern Grad verhältnißmäßig erreicht hat, als es selbst in Berlin bisher der Fall war. Dies nimmt nicht Wunder, wenn man bedenkt, aus wie verschiedenen Bestandtheilen die Bevölkerung von 40,000 Menschen zusammengesetzt ist. Daher waren aber auch die Potsdamer Frauenzimmer, wenigstens von den erfahrnern Roué's immer mehr gefürchtet, als die Berlinerinnen, und daher die ärztlich constatirte Thatsache, daß, wenn das Potsdamer Militär hier auf einige Tage einmarschirt war, die Syphilis in den Bordellen und sonst in enormer Steigerung hervortrat, während die Berliner Garnison vice versa immer ein zahlreiches Heer solcher Uebel von Potsdam mit hierher nahm.

Diese Einleitung wird nun zwar als kein schmeichelhaftes Compliment zu dem Lebensabriß des sog. Fritzchens angesehen werden, welche nächst der Potsdamer Pauline eine der bekanntesten, aber auch, besonders in den sog. höhern Kreisen, eine der beliebtesten dortigen Phrynen ist; ich hielt sie aber für nothwendig, damit man überhaupt den Boden kennen lerne, auf welchem unsere Dame gewachsen ist und noch heut mit großen Erfolgen agirt.

Sie war in ihrer Jugend schön, – jetzt ist sie eine Dreißigerin und schon sehr über den Aequator hinaus, – und deshalb machte ihre Jugend bei den Cavalieren Glück, welchen sie von ihren Angehörigen, wie in Potsdam noch üblicher ist, als hier, für einen hohen Preis ad flores capessendos zugeschlagen ward. Von Jugend an hat sie es bis heut fast ausschließlich mit dem rothen Kragen gehalten, obschon der Frack – vorausgesetzt, daß eine gehörig mit Louisd'ors gespickte Börse darin steckte – sie auch nicht unbefriedigt verließ; doch nur in subsidium, d. h. wenn keiner von des Mars und der Minerva Alumnen vorhanden war, denn als Potsdamerin und mithin gute Patriotin hält sie den Militärstand für den ersten Stand im Staate. Obschon die Potsdamer Polizei genöthigt war, aus begreiflichen Gründen, namentlich wegen der vielen dort im freiwilligen oder durch die Verhältnisse erzwungenen Cölibat lebenden Männer in der Blüthe des Mannesalters, gegen die Trabantinnen des Cupido ein Auge zuzudrücken, so konnten doch Fälle nicht ausbleiben, wo der ledige Stand Fritzchen in unbequeme Lagen versetzte. Sie freite daher einen Galanteriearbeiter, welcher aber bald sich an der Führung seiner jungen Gattin degoutirte, sie im Stich ließ und nach Stettin ging. Fritzchen muß besonderes Glück haben: denn da das Weib rechtlich dem Manne folgt, so hätte die Polizei sie ohne Weiteres nach Stettin ihrem Manne nachschicken können, weil sie von demselben – wenigstens vor einiger Zeit – noch nicht geschieden war, ja nicht einmal im Ehescheidungsproceß lebte.

Ich würde in diesen Blättern ihrer nicht gedenken, wenn sie nicht zugleich in Berlin häufige Gastrollen gegeben hätte und dadurch hier sehr bekannt geworden wäre. Die Potsdamer Phrynen haben einen eigenen Hang, zu Zeiten in Berlin so pomphaft wie möglich aufzutreten, um hier Männer zu fangen und dabei das kitzelnde Gefühl zu genießen, ihre hiesigen Rivalinnen aus dem Felde zu schlagen. Dies gelingt ihnen zum großen Aerger der letztern meistens, – denn variatio delectat, – weshalb die hiesigen Dirnen dann auch nicht unterlassen, auf alle nur erdenkliche Weise die fremd herübergekommenen bei der Polizei zu denunciren und schlecht zu machen. So war es mit Fritzchen, weil sie im Colosseum, später auf Krolls Maskenbällen und Zaubernächten, durch eine elegante Garderobe begünstigt, Furore gemacht hatte. Obwohl sie hier Freundinnen hat, welche sie aufnehmen und möglichst vor den Organen der Sittenpolizei zu verbergen suchen, besonders die G., die J. und die sog. Judenline, so ward dies doch verrathen, und Fritzchen nach einem schönen Ballabende aus der Wohnung der Letztern abgeholt, wo sie sich bei dem ihr wohlbekannten: »Aufgemacht, die Polizei ist da,« vergebens in einem Spinde, oder war es unter dem Bette, versteckt hatte. Ihr war Berlin verboten, Arbeitshausstrafe auf die Rückkehr gedroht, daher war Holland in Nöthen. Indessen ward sie am Abende des folgenden Tages nochmals entlassen und durch einen Polizeiofficianten bis zur Potsdamer Eisenbahn begleitet, – weil man wußte, daß sie nur schwer von hier wegzubringen war. Der Officiant glaubte sich seiner Function entledigt, als sie ein Fahrbillet gekauft hatte und in den Waggon gestiegen war; deshalb verließ er sie, um kein unnöthiges Aufsehn zu erregen. Aber kaum war er ihr aus dem Gesicht, so sprang sie, kurz vor der Abfahrt, von ihrem Sitz herab und warf sich in eine Droschke, um nach der Stadt zurückzueilen.

Am nämlichen Abende war sie ganz ungenirt auf einem hiesigen Balle, um neue Eroberungen zu machen, und soll sehr reüssirt haben.

Da jetzt die Polizei ihr ernstlich nachstellte, hielt sie sich eine Weile etwas cachée. Jedoch ist sie neuerdings wieder oft hier zu sehen und an den Fenstern ihrer Freundinnen sehr auffallend bemerklich gewesen. Mich wundert's, daß gerade ihr so nachgestellt wird, während doch die viel schlimmere Pauline aus Potsdam jetzt gänzlich hier wohnen soll. Es muß doch einen besonder« Haken haben! –


X.
Die Tochter eines deutschen Dichters.

Mit Wehmuth gehe ich daran, die Schicksale einer weiblichen Person in der Kürze niederzuschreiben, deren Vater einer der geistreichsten Dichter seiner Zeit war, dessen markige und lebensfrische Produkte die Lesewelt entzücken werden, so lange man nicht aufhört, der echten Philosophie, dem sprudelnden Humor und der poetischen Gedankenfülle, in den mannichfaltigsten und anziehendsten Formen der Darstellung den gebührenden Tribut zu zollen. Ich will, um sein Andenken zu schonen, ihn W. nennen.

Seine Stellung im Leben und sein poetischer Beruf nahmen ihn zu sehr in Anspruch, als daß er sich viel um die Erziehung seiner zwar durchaus nicht mit körperlichen Vorzügen, aber mit einem desto größeren Leichtsinn ausgestatteten Tochter hätte bekümmern können. Sein früher Tod, nach seiner ihm schon viel eher vorangegangenen Gattin, war für die Hinterlassene ein zweites Unglück, welches dadurch noch mehr gesteigert ward, daß nur weniges Vermögen im väterlichen Nachlaß vorhanden war, welches überdies die Schulden absorbirten. So wuchs Auguste unter den schlimmsten Auspicien auf. Sie mußte dienen, um zu leben. Einige Zeit ging es leidlich, bei Herrschaften kleiner Nachbarstädte – da man um des Vaters willen ihr Vieles nachsah. Sie war naschhaft, träge, eine Lügnerin, und bis zum Exceß den Männern ergeben, welchen sie, im eigentlichen Wortsinn, nachlief, die aber von ihr Nichts wissen wollten, weil sie bei Weitem mehr häßlich als hübsch war. Doch fanden sich auch zu ihr ab und zu Liebhaber – und wenn es nur Sancho Pansa's waren. Endlich konnte sie in ihrer Heimath keinen Dienst mehr finden. Sie ging daher nach Dresden, wo sie in einer Conditorei – eigentlich nur ihrer curiosen Persönlichkeit und ihrer ungeheuren Suade wegen – als Ladenjungfer gemiethet ward. Hier machte sie die Bekanntschaft einer ehemaligen Mätresse eines Fürsten R., welche sich in Dresden nicht mehr halten konnte und daher – weil in Dresden keine derartigen Anstalten existiren – in ein Berliner Bordell gehen wollte, wovon sie der Auguste Wunderdinge erzählte. Die Letztere fand ein solches Verhältniß ihr ganz entsprechend, und machte sich daher – da sie majorenn war – mit ihrer Freundin auf den Weg nach Berlin. Hier ward sie, obschon die Commissionärinnen der Bordellwirthe von ihrer wenig lucrativ scheinenden Körperbeschaffenheit Nichts wissen wollten, dennoch als Lohndirne inscribirt, weil die äußerlich viel versprechende ci-devant fürstliche Mätresse kategorisch erklärte, nur mit ihrer Freundin zusammen in ein Bordell zu treten. Auguste, kaum vier Fuß groß, mit einem breiten Gesicht, worin sich die Spitzen der Nase und des Kinnes diametral berührten, ähnlich der Mont-St.-Jean in den » Mystères de Paris,« und das reine Ebenbild von jener, jeden Abend in der Roß- und Gertraudenstraße umherwandernden Straßendirne, der Zwieback genannt, fand keinen Beifall, sie wurde vielmehr von den Männern, wie von den Lustdirnen verspottet, und beschloß daher, – weil es gerade die Zeit der Margarethen-Messe war, – nach F. a. d. O. überzusiedeln. Hier trat sie wieder in ein Bordell, jedoch dauerte die Herrlichkeit nicht lange. Sie hatte einem damals in F. lebenden, von hier stammenden liederlichen Schauspieler und Musicus, der sie zum Stichblatt seiner Witze gemacht hatte, eines Tages, als dieser etwas angetrunken war, Teufel und andere Figuren an den Hut gemalt, womit dieser nach Hause getaumelt und Veranlassung zu einem Skandal der Straßenjugend geworden war. Er ergrimmte hierüber und beschloß sich zu rächen. Einige Zeit nachher, während er ein freundliches Betragen gegen Auguste zum Schein angenommen, inducirte er sie, ihm in seine Wohnung zu folgen. Er machte sie total betrunken, zog ihr Schuhe, Strümpfe und andere Kleidungsstücke aus, und warf sie in diesem Zustande auf die Straße, wo sie ein öffentliches Aergerniß erregte und daher verhaftet, bestraft und aus F. verwiesen ward. Durch ihre Freundin, die vorgedachte Mätresse, gelang es ihr, noch ein Mal in Berlin inscribirt zu werden, worauf sie noch eine Zeit lang in den bekannten Bordellen: »derTuchladen«, »die Rosinentreppe«, »das Brandenburger Thor oder neue Verderben« vom Volkswitze benannt, figurirte, bis endlich, durch verschiedene, mir nicht speciell bekannte Umstände bewogen, ein alter Freund ihres Vaters beschloß, einen Versuch zu ihrer Rettung zu machen. Er brachte sie in eine Krankenwartschule außer Berlin, um sie zu einer Krankenpflegerin auszubilden, und durch den Anblick des Leidens und Sterbens ihre ganz versunkene Moralität wieder aufzurichten. Sie hat späterhin auch als Krankenpflegerin in einem Spital, fern von hier, Aufnahme gefunden und ist als solche vor etwa acht Jahren – soweit gehen meine letzten Nachrichten – darin noch als solche löblich thätig gewesen.


XI.
Judenline.

Sie ist die Tochter einer ansehnlichen Judenfamilie, welche durch Unglücksfälle ihr Vermögen verlor, und zeigt noch heut – obschon sie bereits seit länger als 16 Jahren im Dienste der Diva libidinosa steht – die Spuren einer zu ihrer Zeit so berühmt gewesenen Schönheit, wie es keine zweite in Berlin gegeben hat. Diese, in Verbindung mit einer angebornen, den Weibern ihrer Nation eigenthümlichen Sinnlichkeit, war es aber auch, welche sie von der »rauhen Bahn der Tugend« auf »die grünen, verlockenden Auen der Ausschweifung und des sittlichen Verfalls« führte. Nachdem sie, wie alle ihre Genossinnen, die noch ein gewisses Gefühl für Scham und Anstand, ihrer lockern Lebensweise ungeachtet, bewahren, Anfangs einzelnen Liebhabern gehuldigt hatte, trat sie sehr bald als flotte Tänzerin in den damals en vogue stehenden Localen, dem Colosseum, dem Onkel und den Anlagen vor dem Oranienburgerthore, mit Erfolg auf und ward besonders, wie ihre ebenfalls zur Prostitution übergegangene Schwester, ein Gegenstand der Flammen der Studenten. Dabei hatte sie einen speciellen Liebhaber, von dem sie sagte, daß er sie heirathen wolle, welches aber nicht geschehen ist. Dieser – kein Student, sondern ein Ouvrier – obschon er wußte, was Line für ein Gewerbe trieb, ward oft eifersüchtig und pflegte sie dann, ohne die mindeste Rücksicht, z. B. beim Onkel oder in den Anlagen, auf dem Hofe oder im Garten, so zu prügeln und an den Haaren zu zausen, daß man hätte vermuthen sollen, sie würde ihm bei der ersten derartigen Maltraitirung den Abschied gegeben haben. Aber es ist merkwürdig, es passirte bei ihr, wie bei allen Prostituirten. Ganz wie die russischen Weiber, welche ihre Männer der Untreue beschuldigen, wenn sie die schönen Ehehälften nicht mindestens ein paar Mal in der Woche durchprügeln, – so schien auch die Liebe der Line zu ihrem Bräutigam zu wachsen, je mehr derbe Beweise davon er ihr mit Faust und Nägeln zukommen ließ.

Sie ließ sich taufen, vermuthlich um der erwarteten Heirath jedes Hinderniß zu nehmen. Als sie nun endlich sich von der Leerheit ihrer Hoffnung überzeugt hatte, suchte sie wohlhabende Männer jedes Alters und Standes in ihr Netz zu ziehen und hatte dabei Glück. Von der Polizei nicht verfolgt, weil sie sich äußerlich anständig betrug und mit liederlichem Gesindel nie in Verbindung trat, hat sie von Anfang an bis jetzt unangefochten gelebt, und man muß ihr wirklich nachrühmen, daß in der Ordnungsliebe und dem äußern Anstande sie die erste aller Mätressen und filles de joie von Berlin ist. Darum hat man ihr auch nie öffentliche Orte oder die ersten Theaterplätze verboten und sie nicht einmal wegen der ihr untersagten Beherbergung der Fritzchen Gl. zur Verantwortung gezogen. Sie ist aber auch nicht Gassendirne gewesen und hat die gemeinen Kupplerinnen nicht besucht. Ihren Hauptverkehr hatte sie früher bei der P....l in der Friedrichsstraße, wo sie aber zur rechten Zeit absprang, sodann in der bekannten, blos für Standespersonen (d. h. Beamte, Militärs, Rentiers, junge Verschwender u. s. w.) eingerichteten Winkelwirthschaft der R....e in der D.......straße, wo Julie K..., die separirte G....s und Andere die Hauptrolle spielen, und welches Geschäft stillschweigend tolerirt zu werden scheint, da man beim Betriebe desselben äußerlich jeden Eklat sorgfältig meidet. Wie oft habe ich im zufälligen Vorbeigehen Männer von Stande, welche halb Berlin kennt, »in Mantel und Kappe vermummt,« – wie Bürger vom Junker von Falkenstein sagt, wenn er die schöne Rosette besuchte – heimlich und sich ganz unkenntlich machend oder glaubend, in die Wohnung der K. hineinschlüpfen und eben so vorsichtig das Haus verlassen sehen, wo in den eleganten Hinterzimmern, unbemerkt von dem Publicum, welches Nichts ahnend vorbei passirt, Bacchus und Venus in sittenlosen Umarmungen schwelgen, und immer von Neuem ihre Orgien wieder beginnen, gereizt und sich reizend durch die schamlosen Uebertreibunge» einer raffinirten Koketterie, ganz in den Sinne, wie Juvenal in seinen Strafpredigten von den Lucubrationen der Messalina mit den ausgelassenen Libertinen und Prätorianern zu Rom spricht:

»Et lassata viris, necdum satiata recessit.«

Ich rufe mit Cicero's Worten: O tempora, o mores! Was wird aus einem solchen Geschlecht werden, wenn die sogenannten bessern Stände, – die aber selten die besten sind, – mit solchen verderblichen Beispielen, in den Kuppeleien, wie in den Boudoirs ihrer Mätressen und in dem Heiligthum der Familien selbst, – wo die Armuth die Mutter zwingt, die Tochter der Sünde zu verkaufen – den sogenannten niedern Klassen vorleuchten! Bethätigt sich etwa hierin der moralische Einfluß, von welchem man seiner Zeit so viel salbadert hat, und wodurch Proletariat und Verarmung, Hunger und Verbrechen, Prostitution und sittliches Elend, – jene grauenvollen Gespenster der Gegenwart und rächende Geister für die Zukunft – wieder in ihre Gruft beschworen werden sollten? Was wird an der Statt geschehen? Was Horaz in der 6ten Ode des 3ten Buches den Römern prophezeit und was auch eingetroffen ist und den Untergang der alten Welt durch neue, kräftige und kühne Völker herbeigeführt hat:

»Aetas parentum, pejor avis, tulit
Nos nequiores, mox daturos
Progeniem vitiosiorem.«

Daß Judenline noch heut jene maison perdue besucht, – wo sie immer die Anständigste und Zurückhaltendste, wie Julie K. die Ausschweifendste und Zügelloseste gewesen ist, – glaube ich nicht, ich habe auch lange über ihren Wandel nichts Nachtheiliges gehört. Sie lebt zurückgezogen, arbeitet fleißig, – wie sie es nebenbei stets gethan hat, – und wird sich wahrscheinlich bald mit einem Bürgersmann verehelichen, wozu ihr Jeder, der sie historisch kennt, Glück wünschen wird, da ich glaube, daß sie von allen Prostituirten vielleicht die Einzige ist, für deren wahrhafte Umkehr man auf die Dauer caviren könnte. Bemerken muß ich, daß auch ihre Schwester schon längst einen bessern Weg eingeschlagen hat.


XII.
Officier-Jette.

In einer kleinen, unansehnlichen Gasse Berlins steht ein kleines, unansehnliches Haus, dessen Dachziegel man im Vorbeigehen auf dem kaum 12 Zoll breiten, schmutzigen Bürgersteige bequem mit der Hand ablangen kann.

Vor diesem Hause steht Abends oft ein kleines geputztes Mädchen, zwar körperlich zurückgeblieben, aber listig und eingeweiht in die Mysterien der Sünde, welches den vorübergehenden galanten jungen Herren – die sie mit der Miene einer Kennerin mustert – zuflüstert: »Schöner Herr, kommen Sie herein, meine hübsche Schwester Auguste ist jetzt ganz allein zu Hause.«

Aus diesem kleinen, unansehnlichen Gebäude stammt unsere Officier-Jette, die dritte und älteste der Schwestern, welche ich soeben dem Leser vorgeführt habe.

Jette ist im Concubinat gezeugt, ihre Mutter ist eine gestrafte Person, der häusliche Verkehr ist nicht lauter. Sie ist im Grunde genommen nie schön gewesen, jetzt neigt sie, noch keine 30 Jahre alt, zur Häßlichkeit.

Von Jugend auf hat sie nur Diebe und Dirnen in ihrer Umgebung gesehen, daher ist sie mit der Criminaljustiz ebenso wie mit den Maßregeln der Sittenpolizei bekannt.

Nachdem sie durch die Hände einiger Liebhaber gegangen – und man muß gestehen, daß sie die eigentliche Prostitution weniger liebt, als dauernde Verhältnisse, – besuchte sie eine Zeit lang die Cavallerie-Kaserne, wo sie sich jenen Beinamen geholt haben soll. Ich glaube jedoch, daß sie mehr mit gemeinen Soldaten, als mit Officieren verkehrt hat, daher würde sie richtiger Soldatenjette heißen. Man muß sie übrigens nicht verwechseln mit einer feinen Judendirne, welche den Namen » Tochter des Regiments« führt, weil ihre Figur viel Aehnliches mit einer bekannten Sängerin in der gleichnamigen Oper hat. Letztere beschäftigt sich, wie es scheint, vorzugsweise mit dem Officier-Vergnügen.

Jette hat sich vielfach zu polizeilichen Vigilanten-Diensten hergegeben – natürlich für Geld oder um bei vorkommenden Fatalitäten bei der Polizei einen Stein im Brette zu haben. Namentlich ist sie sehr bekannt geworden in der vielfach beschriebenen Untersuchung zum Zweck der Ermittelung der Thäter, welche vor 3½ Jahr Abends in der Wohnung des Maurermeisters Sabbath, Lietzmannsgasse Nro. 10 a., einen Raub ausgeführt und dabei dessen Dienstmädchen, Christel Colbatz, – jetzt verheirathete Maurergesell Schneider – auf eine empörende Weise genothzüchtigt und fast tödtlich mißhandelt hatten, so daß die Unglückliche die Folgen davon noch in einem kranken und hinsiechenden Körper zur Schau trägt. Bekanntlich hatte man das bedauernswerthe Frauenzimmer zur Lügnerin gestempelt und gefänglich eingezogen. (Wann werden die Justizmorde endlich einmal aufhören!) Die, welche die Räuber nach vorheriger Verabredung in das verschlossene Haus gelassen, jedoch sich durch den Beweis des Alibi zu reinigen suchte, die unverehelichte Minna Bandolin, eine Winkeldirne, saß damals mit der vorhin erwähnten Franzisca Braun, der Officierjette und der berüchtigten M.........r in einem Gefängniß zusammen. Auf die bekannte Geschicklichkeit jener drei Frauenzimmer baute der einer richtigern Meinung folgende spätere Inquirent seinen Plan in Bezug auf die Bandolin. Er gelang ihm, denn jene drei Frauenzimmer entlockten ihr das Geständniß der eigenen Schuld und die Angabe der Complicen. Die Bandolin, mit ihnen confrontirt, leugnete auch vor Gericht nicht länger, und so wurden jene Räuber einzeln ermittelt und überführt, oder zum Eingeständniß bewogen. Ohne jenes Manöver wäre heut vielleicht noch kein Licht in jene Untersuchung gebracht worden, die Thäter gingen frei herum und auf der Gemißhandelten ruhte ein unverdienter Makel.

Von diesem Augenblicke an scheint Officier-Jette zur Besinnung gekommen zu sein. Sie hat sich mit einem Tischlergesellen verheiratet und lebt häuslich und zurückgezogen. Ich wünsche, daß sie sich ganz umgeändert haben möge, denn Verstand besitzt sie genug, um die Folgen jedes Fehltritts einzusehen, und ihr persönliches Auftreten und Benehmen ist von der Art, daß, wenn sie Farbe hält und keine Recidive eintreten, sie dermaleinst ihre Vergangenheit vergessen machen kann. Dazu ist vor Allem nöthig, daß sie sich von ihrer Familie zurückzieht, – was sie auch bisher gethan haben soll, und wovon ihr Ehemann vermutlich die Ursache ist. Ihre Schwester Auguste – welche man nach ihr Officier-Guste nennt – ist zu leichtsinnig, um umzukehren; und was aus dem kleinen Mädchen werden soll, – das mögen die Götter wissen, ich weiß es nicht!


XIII.
Die Kutschersfrau L...... geborne H.......

Aus einem Städtchen der preußischen Provinz Sachsen gebürtig, kam sie sehr jung mit ihrer Schwester, der Wittwe Ph.... nach Berlin und befindet sich gegenwärtig in der Hälfte der dreißiger Jahre. Wenige Frauenspersonen in Berlin stehen bei der Criminalpolizei so übel angeschrieben, als sie und ihre Schwester. Beide sind mit die gefährlichsten Diebeshehlerinnen, welche in Berlin existiren, Beide haben mit den gewandtesten Verbrechern Verbindungen, welche sich sogar bis in fremde Regierungsbezirke erstrecken, und überdies steht die L. in dem Rufe, daß sie eine geschickte Schlüsseldiebin ist. Ein Weib als solche ist aber gefährlicher, als zehn Männer, weil Niemand in ihr die Thäterin solcher Verbrechen vermuthet, wenn sie auch hier oder da einmal auf dem Flur eines Hauses getroffen wird. Es ist meine Absicht, zu erzählen, wie sie das geworden ist, was sie jetzt ist, und ich glaube, daß – bei ihrem von Hause aus nur leichtsinnigen, aber nicht schlechten Charakter – unsere socialen Verhältnisse die Hauptschuld ihrer Versunkenheit tragen.

Bei ihrer Schwester, der Wittwe Ph., hatte die L. freilich nicht viel Gutes gesehen, da Erstere bei dem frühen Tode ihres Mannes, statt zu arbeiten, sofort anfing von verbrecherischem Verkehr zu leben. Indessen die Hände der L. hielten sich rein, und da sie das Treiben ihrer Schwester verabscheute, trat sie in Dienste, worin sie mehrere Jahre zur Zufriedenheit ihrer Herrschaften aushielt. Ein Wortwechsel mit einer zänkischen Dienstfrau machte sie dienstlos, sie erhielt ein schlechtes Attest und konnte daher nicht sofort wieder ein Unterkommen finden.

Sie zog nun zu ihrer Schwester, welche damals gerade in großer Geldnoth war und sie beredete, ihre Sachen zu versetzen. Ihre Schwester hielt mit der versprochenen Rückzahlung nicht Wort, die L. konnte ihr nothdürftiges Zeug nicht wieder einlösen und sich also auch vor keiner Herrschaft sehen lassen. Die Noth ward größer und zuletzt – im Winter 1836 bis 37 – hatten beide Frauenspersonen weder Feuerung, noch ausreichende Kleidung, noch Nahrungsmittel. Die Liederlichkeit ihrer Schwester und ihr eigener Leichtsinn hatten also die L. bis zu einem Zustande geführt, wo sie entweder der Polizei oder der Criminaljustiz verfallen mußte.

Es erfolgte, auf eingegangene Denunciation, eine polizeiliche Visitation nach gestohlenem Gute in der Wohnung der Wittwe Ph. Eine Parthie zum Theil werthvoller Boa's, und eine neue Pelzmütze, welche der damals 14jährige Sohn der Ph. trug, – welcher, beiläufig gesagt, bereits seit vier Jahren die Strafe des zweiten gewaltsamen Diebstahls in Spandau verbüßt, – wurden in Beschlag genommen, und die Ph. mit ihrem Sohne und ihrer Schwester arretirt. So kam die L. zum ersten Male in das Gefängniß und zwar in das Criminal-Gefängniß. Die vorgefundenen Sachen hatte die Ph. mit ihrem Sohne augenscheinlich auf dem Weihnachtsmarkt gestohlen, ja man hatte letztere Beide in der Nähe der Bude gesehen, deren Inhaber diese Gegenstände als sein Eigenthum recognoscirte; indessen alle drei Verhaftete leugneten tapfer und namentlich wollte die Ph. Nichts davon wissen, wie die Sachen in ihre Wohnung gekommen wären. Inzwischen kam gegen die L. zur Sprache, daß sie mit ihrer Schwester zusammen in einem Schlächterscharrn ein Stück Speck – von einigen Pfunden – gestohlen habe. Diesen Diebstahl räumte sie unumwunden ein, obwohl ihre abgefeimte Schwester nicht dazu bewogen werden konnte. Die L. erlitt zum ersten Male die Strafe des kleinen gemeinen Diebstahls mit vierzehn Tagen Gefängniß. Während ihrer Strafzeit dachte sie über ihr Schicksal nach. Sie sah ein, daß sie jetzt aus der gesitteten Welt ausgestoßen sei, daß Jeder die bestrafte Diebin fliehen, daß Niemand sie in Dienst oder in Arbeit nehmen werde. Ferner wußte sie von ihrer Schwester her, daß die Polizei sie jetzt verfolgen werde, daß dieselbe in jedem Augenblick, bei Tage und bei Nacht, in ihre Wohnung dringen oder ihren Broterwerb recherchiren könne. Das erbitterte ihr Herz, namentlich gegen Den, welchem sie ihre Lage Schuld gab, für den sie sich früher aufgeopfert und welcher sie nachher im Stich gelassen hatte, als sie ihm keine pecuniären Vortheile mehr zu bieten vermochte. Dies war ein Unteroffizier, welcher ihr die Ehe versprochen, aber nicht Wort gehalten hatte. Sie beschloß sich an ihm zu rächen, selbst wenn sie dabei mit untergehen sollte. Daher legte sie aus freien Stücken ein Bekenntniß ab, daß jener Unteroffizier sie ein Jahr vorher – als sie bei dem, später nach Amerika ausgewanderten und zuletzt im hiesigen Arbeitshause eingesperrten Privatdocenten der Philosophie an hiesiger Universität, Dr. v. K., gedient – beschwängert, und dann, kurz vor der zu erwartenden Niederkunft, die Leibesfrucht mittelst eines ihr gebrachten Thee's von grünen Zweigen ( Juniperus Sabina) abgetrieben habe. Ihr Bekenntniß war so vollständig in sich zusammenhängend, stimmte auch rücksichtlich des Thee's, welchen der Dr. v. K. in der Küche gefunden und darnach gefragt hatte, mit dessen Zeugniß so überein, daß man wirklich in Versuchung gerieth, ihr auch in Bezug auf die Bezüchtigung jenes Unteroffiziers – mit welchem sie erweislich in einem engen Liebesverhältniß gestanden – Glauben beizumessen. Nach dem preußischen Criminalrecht wiegt aber bekanntlich das Geständniß nicht – wie im gemeinen deutschen Recht – die Feststellung des objectiven Thatbestandes auf, d. h. derjenigen außerhalb der Person des Thäters liegenden Momente, welche es gewiß, oder doch wenigstens höchst wahrscheinlich machen, daß ein Verbrechen wirklich begangen worden sei. Im vorliegenden Fall war kein solches Merkmal vorhanden, das Gericht ging deshalb auf die, überdies aus rachsüchtigen Motiven erklärliche Selbstanklage der L. nicht ein und sie ward nach Ablauf der Strafzeit entlassen, nachdem ihre Schwester schon früher in Freiheit gesetzt und deren Sohn blos wegen des später eingestandenen Diebstahls der Pelzmütze bestraft worden war.

Jetzt war also die L. eine bestrafte Diebin und ward – wie dies noch heut geschieht – unter strenge Polizeiaufsicht gestellt. Ueberdies war sie nackt und blos, also konnte sie keinen Dienst, keine Arbeit finden, und hätte sie wirklich ein Unterkommen gefunden, so würden die Nachfragen der Polizei sie doch bald daraus vertrieben haben. Das wußte sie. Was blieb ihr übrig? Zu betteln schämte sie sich, vor dem Stehlen schreckte sie ein noch nicht ganz ersticktes Moralgefühl ab, indem sie den ersten, nur durch den Hunger herbeigeführten Diebstahl wirklich bereute. Es gab mithin nur noch eine Rettung – das Bordell. Schon am Tage nach ihrer Entlassung erschien sie, aufgeputzt und frisirt, mit der bekannten frühern Bordellwirthin, Wittwe Gl., vor ihrem gewesenen Inquirenten, um den Rest ihrer Effecten aus dem Gefängnißdepositorium abzuholen, vielleicht auch, verblendet genug, sich in ihrem erborgten Staate zu zeigen. Für die Kupplerin war sie, als eine damals nicht unansehnliche Person, gewiß rentirend.

Als sie eine Zeit lang Bordelldirne gewesen war, hatte sie das Unglück, schwanger zu werden, ohne einen Vater zu ihrem Kinde zu haben. Sie kam in der Charité nieder und ward nach Ablauf von sechs Wochen mit ihrem Kinde entlassen. Was aber jetzt anfangen? Auch ihre letzte Retirade, das Bordell, war ihr nunmehr verschlossen, da in Folge polizeilicher Bestimmungen keine Dirne, welche Kinder hatte, darin aufgenommen werden durfte.

Sie hatte gestohlen und war polizeilich eingeschriebene Lohndirne gewesen. Dies reichte aus, um für ewig von der Menschheit verachtet und zurückgestoßen zu werden! –

Tragen nun nicht unsere socialen Einrichtungen, unsere Begriffe von Tugend und Laster, unsere Polizeigesetze die Schuld, daß die L. eine verruchte Diebin, eine Hehlerin, eine Winkelkupplerin und wer weiß, was noch Alles geworden ist? Man beantworte meine Fragen: ist das die gerühmte Civilisation und Moralität des neunzehnten Jahrhunderts, ist das etwa der kirchliche Sinn unserer Zeit? Tausende solcher Beispiele kann ich erzählen und alle Tage kommen sie vor. Schafft sich also die Gesellschaft und die Polizei nicht selbst ihre Verbrecher, anstatt die Gefallenen wieder zu heben? –

Das Kind der L. starb, wie zu vermuthen stand, da sie nicht im Stande war, demselben die in dem frühesten Alter so nöthige Pflege zukommen zu lassen. Findelhäuser haben wir einmal nicht und die polizeilichen Haltekinder existirten damals noch nicht, obschon dieselben eben so schlecht gehalten werden sollen, wie andere arme Kinder, wie uns neulichst die in Berliner Blättern gestandene Geschichte von der sogenannten Engelmacherin gelehrt hat, welche ihre Pflegekinder schnell zu Engeln machte, d. h., so schlecht verpflegte, daß sie bald starben.

Nun war die L. wieder frei. Nach dem Bordell ging sie aber nicht, sondern trieb die Prostitution auf eigne Hand, indem sie ganz richtig calculirte, daß sie das ja allein für sich verdienen könne, was sie der Kupplerin abgeben müsse. Dabei trieb sie auch Winkelwirthschaft, weshalb sie späterhin einmal, von ihrer eignen Schwester, der Wittwe Ph. denuncirt, zur Haft gebracht und bestraft worden ist. Jetzt machte sie die Bekanntschaft des Kutschers L., eines gefährlichen Diebes, den sie heirathete und von welchem sie stehlen lernte, d. h. den Gebrauch der Nachschlüssel und übrigen Diebesinstrumente, deren Anwendung, sowie die planmäßige Ausführung von Diebstählen überhaupt ihr früher noch ein Geheimniß gewesen war. Wie ihr sittlicher Charakter nunmehr in totale Verworfenheit überging, brauche ich nicht zu schildern. Oefters wegen ihres Verkehrs mit Dieben verhaftet, ward sie zur Untersuchung gezogen, und theils vorläufig freigesprochen, theils auch bestraft, jedoch immer nur mit kurzen Freiheitsstrafen, da sie jetzt eine gewandte Lügnerin geworden war. Ihr Mann ward bei einem großen gewaltsamen Diebstahl zur Untersuchung herangezogen und mit einjährigem Zuchthaus bestraft. Hierauf gründete sie eine Ehescheidungsklage, da sie ihn jetzt los zu sein wünschte, um sich bei dem Betriebe der Prostitution nicht beschränken zu müssen. Die Ehetrennung erfolgte, da Kinder nicht vorhanden waren, und da der Grund der Gegenklage des Mannes – Ehebruch – ebenfalls erwiesen ward.

Der Kutscher L. ist jetzt wegen zweiten gewaltsamen Diebstahls auf eine lange Reihe von Jahren eingesperrt. Es gab nämlich vor zwei bis drei Jahren einen Polizeivigilanten, den Schlossergesellen B., welcher, man kann nicht anders annehmen, als mit Wissen und Auftrag einiger Polizeibeamten, gestrafte Diebe zu Einbrüchen verleitete, wobei er selbst Wache hielt und die Verführten in flagranti ergreifen ließ. Dies Manöver geschah zu oft, und zuletzt ward es bei einem Königlichen Gebäude in Potsdam versucht, wobei der Vigilant B. selbst zur Haft und Untersuchung gezogen, und von dem ersten Richter bestraft ward, in zweiter Instanz jedoch mit einer vorläufigen Lossprechung wegkam. Durch dieses verabscheuungswürdige Verfahren – welches das Königliche Ministerium des Innern der Polizei in der Folge sehr ernstlich untersagt hat – ward auch der Kutscher L. durch jenen Schlossergesellen zu einem Einbruch in der Lindenstraße verleitet, wobei er von den im gegenüberliegenden Hause aufpassenden Polizeiofficianten und Gensdarmen ergriffen ward.

Nach ihrer Scheidung hielt es die L. nun ungescheut mit den gefährlichsten Dieben, wie dem Schneider Tr...m, dem Oekonomen A...y, zwei höchst gefährlichen Nachschlüsseldieben, besonders aber mit dem Fuhrknecht Rh..., welcher als Kofferabschneider auf den Landstraßen fungirt, und mit dem sie sich sogar wieder verheirathen wollte. Allein dieser hat ihr abgenommen, was sie hatte, und sie sodann im Stich gelassen. In der Folge hat sie sich mit ihren Liebhabern, sowohl mit dem Schneider, als dem Fuhrknecht, auf dem Stadtgericht herumgeklagt.

So ist sie von Stufe zu Stufe des Lasters gesunken und wie es scheint, je schlechter und gemeinschädlicher Jemand ist, desto lieber ist er bei ihr gesehen. Ihre Bekanntschaft reicht aber auch durch die ganze Diebeswelt und sie hat jetzt ihre Schwester darin weit überflügelt. Vielleicht erinnert sich mancher Leser der berüchtigten Francisca Braun, jener diebischen Amazone, welche zuerst im November 1843 aus dem Zuchthause zu Brandenburg und dann im vorigen Jahre auf dem Transporte nach der Strafanstalt zu Sagan entsprang und hier beide Male viele Verbrechen verübte. Diese ward von der L. beherbergt, welche deshalb auch verhaftet ward und, wie ihre Schwester, die Untersuchung wider die Braun mit durchgemacht hat.

Ferner erinnert sich vielleicht Mancher des jetzt in Frankfurt a. d. Oder in Haft und Untersuchung befindlichen Einbrechers, des berüchtigen Privatschreibers Bethge, welcher in Berlin, Frankfurt u. s. w. bedeutende Diebstähle ausgeführt hat. Auch dieser war ein Liebhaber der L., welche ihn im vorigen Herbst sogar in Frankfurt besuchen wollte, jedoch dort polizeilich angehalten ward.

Was unter solchen Auspicien von ihr für die Zukunft zu erwarten ist, brauche ich wohl nicht auszuführen!


XIV.
Die Minna von Spandau, eine ganz gewöhnliche Geschichte, wie sie alle Tage vorkommt.

Eine Tochter armer Eltern zog vor einigen Jahren von Spandau nach Berlin in einen Dienst. Da sie wohlgestaltet war und zu den Männern viele Zuneigung besaß, so fand sich bald ein Liebhaber zu ihr, welchen sie gelegentlich mit einem andern vertauschte und so fort, wie es in Berlin üblich ist. Alle vierzehn Tage haben die Dienstmädchen Sonntag, d. h. sie können Nachmittags ausgehen, wohin sie wollen und mit wem sie wollen, und können dabei thun, was sie wollen, wenn sie nur am Montage früh pünktlich wieder in der Küche und am Feuerherde sind.

Diese sog. Sonntage bringen sie im Sommer in dem Etablissement Moabit, dem gelobten Lande und Köchinnenvergnügen der Berliner zu, wohin sie mit ihren Grenadieren, Füsilieren, Cürassieren u. s. w., oder mit ihrem Breslauer, Danziger, Stettiner Schneider, Schlosser etc. auf Gondeln (à 1½ Sgr. pro Person) unter Leierkastenbegleitung hin- und zurückfahren, tanzen, schaukeln, Caroussel reiten, oder Gott Amor und Gänsedieb spielen, und am späten Abende, trunken von Liebe und Weißbier, durch die dunkeln Gänge des Thiergartens nach der Stadt zurückkehren. Im Winter sind sie dagegen lediglich auf die Tanzkneipen in und dicht vor der Stadt angewiesen.

Wie ich bereits gesagt habe, kümmern sich die Herrschaften – wenn nicht vielleicht mancher Hausherr specielle Gründe zur Eifersucht hat – in der Regel nicht um die menus plaisirs ihrer Dienstmädchen außer dem Hause, wenn dieselben nur am Montage früh wieder pünktlich bei der Arbeit sind. Gewöhnlich dauern aber die sog. Sonntagsvergnügungen länger, als der Nachtwächter das Haus offen läßt, und da Dienstboten keinen Schlüssel dazu führen, so sind die am Spätabende heimkehrenden dienenden Frauenzimmer natürlich oft genöthigt, bis zur nächsten Morgenfrühe entweder bei einer Bekanntin, oder gar bei einem Bekannten zu bleiben, wo man sich dann noch in der Regel restaurirt und so gut amüsirt, als man kann.

Dieses vorausgeschickt, wird es Niemand auffallend finden, daß unsere obengedachte Spandauerin auch manches Mal die auf ihren Sonntag folgende Nacht bei ihren Bekannten zu verleben genöthigt war. Hieraus entstand aber eine schlimme Folge: sie wurde guter Hoffnung, und mußte ihren Dienst endlich aufgeben, – wo Herr und Frau gleichmäßig mit ihr zufrieden gewesen waren, – um sich in der Charité entbinden zu lassen. Glücklicher Weise starb das Kind bald nach der Geburt. Nun trat sie zwar wieder in Dienst, indessen, sie hatte einmal von dem Baume der Erkenntniß genossen, daher war alle vierzehn Tage ein Sonntag für sie zu wenig. Sie ging in Schlafstelle, und machte es, wie andere ihrer Mitgeschöpfe, – durch ein vorteilhaftes Aeußere begünstigt, – sie wurde eine Dienerin der Prostitution. Das dauerte aber nicht lange, die Polizei griff sie auf und schickte sie mit Zwangspaß nach Spandau. Da sie nicht Folge leistete, ward sie arretirt und auf sechs Wochen in das Arbeitshaus gebracht. Jetzt war guter Rath theuer. Nach Hause durfte sie nicht kommen und in Berlin nicht bleiben. Sie machte es daher endlich, wie es Alle in solchen Fällen thun, – sie sah sich nach einem hier angehörigen Manne um, mit welchem der Ehestand ihr keine lästigen Verpflichtungen auflegte. Wer sucht, der findet. Ein hoher Sechsziger reichte der vielleicht einige 20 Jahre alten Braut die Hand am Altare und gab ihr den Titel »Madame« und das hiesige Domicil. Bald nach der Trauung mußte er wegen Lähmung der Füße nach der Charité gebracht werden, wo er schon lange seine Auflösung erwartet.

Die »Madame« etablirte sich jetzt als Fabrikantin von Herrengarderobegegenständen und hatte daher Gelegenheit, viel besucht zu werden. In der ersten Zeit waren es zwei Studiosen, die ihr Geld mit ihr durchbrachten, ein Mediciner und ein Theologe, Beide riefen aber die Verhältnisse nach einigen Jahren zu ihrem Glück wieder in ihre Heimath und sie begann jetzt, wie sie noch heut thut, ihre Geschäfte auf die Straße zu verlegen. So erblicken wir sie, wie hundert Andere, jeden Abend in der Königsstraße, wo sie Männer anlockt und nach ihrer nahe gelegenen Wohnung geleitet.

Man sollte nicht glauben, was ein solcher Sonntag eines Dienstmädchens für merkwürdige Folgen haben kann! Ob wohl die Herrschaften hierbei nicht Etwas thun könnten?! –

Eine gewisse Sparsamkeit, Ordnungsliebe, und – wenn ich so sagen darf – ein gewisses Ehrgefühl ist unserer Minna noch geblieben, welches sie vor andern Prostituirten rühmlich auszeichnet. Daher ist sie ohne Schulden – welche Seltenheit bei einer Prostituirten! denn laufende Rechnungen zähle ich nicht zu den Schulden, – und hat eine gut eingerichtete Wirthschaft. Auch arbeitet sie fleißig – wenn nicht Männerbesuch kommt, denn dieser, als Hauptgeschäft, geht der Arbeit vor.

Neulichst hat sie sich ein Mal vergessen und dafür auch ihre Strafe bekommen. Einen Stock über ihr wohnt eine Collegin, die verehelichte H.... Diese lockt einen Herrn an, welcher sich auch anschickt, zu der Invitantin herauf zu gehen. Kaum bemerkt dies unsere Minna, – denn brotneidisch sind alle Prostituirte gegen einander, – als sie auch dem Ankömmling entgegen geht und für sich in Beschlag nimmt, ehe die H.... die Treppe hinunter kommen kann. Für diesen Eingriff in fremde Rechte mußte sie aber schwer büßen. Der fremde Herr war ein Dieb, welcher, nach Beendigung des zärtlichen Rendezvous, der Minna eine goldene Uhr mit dergleichen Kette – an Werth von 25 Thlr. Gold – heimlich mit fortnahm, welche sie für ihren speciellen Liebhaber, oder »Bräutigam«, wie sie es nennt, auf Abzahlung gekauft und worauf sie noch 17 Thlr. zu entrichten hat. Der Herr hat sich so wenig als die Uhr wieder sehen lassen. Daß die H.... darüber frohlockt hat, ist gewiß. Die Minna aber wird sich wohl die Sache ad notam nehmen! –


XV.
Die Blumencaroline.

Ebenfalls eine Prostituirte und Peripatetikerin der Königsstraße, dabei eine gute Freundin der vorbeschriebenen Minna, aber doch unendlich von ihr verschieden.

Sie ist jetzt einige dreißig Jahre alt, man schätzt sie aber fast funfzig, – so haben in Folge eines ausschweifenden Lebens ihre Züge gealtert und sich verzerrt, und wie es scheint, steht die Gemeinheit und Frechheit ihrer Rede und ihres Betragens mit ihren zunehmenden Jahren in gleicher Proportion. Sie ist nie aus dem Kampfe mit der Polizei und der Criminaljustiz herausgekommen, und daher in den Arrestlocalen und im Arbeitshause eine sehr wohlbekannte Person. Von geringem Herkommen, ohne Unterricht und Erziehung aufgewachsen, hat sie die ersten Regeln der Sittlichkeit und des Anstandes nie kennen gelernt. Von ihren Eltern dazu angehalten, mußte sie schon von früher Jugend an mit werthlosen Dingen, Blumen, Bildern u. s. w. hausiren gehen, und durfte sich am Abend nicht eher zu Hause sehen lassen, als bis sie eine gewisse Summe Geldes eingenommen hatte und mitbrachte. Leider ist dieses Hausiren der Kinder – im Grunde genommen eine versteckte Bettelei und eine Anleitung zum Stehlen und zur Unzucht – bei den niedern Volksklassen so üblich und wird, obschon es verboten ist, aus falschem Mitgefühl sowohl vom Publicum als von Beamten – von letztem vielleicht auch deshalb, weil keine Bettlerprämien darauf stehen?! – dergestalt tolerirt, daß es nichts Neues ist, in der grimmigsten Kälte oder beim entsetzlichsten Sturm und Regen, in der Mitternacht solche halb erfrorne, unglückliche Geschöpfe auf den Straßen anzutreffen, welche um Gottes Willen unbedeutende Kleinigkeiten feil bieten, um nur den vorgeschriebenen Verdienst nach Hause zu bringen. So habe ich im letzten Winter in einer fürchterlichen Nacht – gegen zwei Uhr – einem Knaben von etwa zwölf Jahren auf dem Schloßplatz begegnet, welcher sich nicht getraute, nach Hause – in die Invalidenstraße – zu gehen, weil ihm noch ein Sechser an seinem Pensum fehlte, und er deshalb die schrecklichsten Schläge befürchtete! Wenn solche Kinder größer werden, oder wenn überhaupt das Diebesorgan ihnen angeboren ist, so stehlen sie, um ohne Mühe ihr Tagelohn zu verdienen und noch Etwas für sich übrig zu behalten! –

Von diesem Hausiren, namentlich mit Blumen, welches sie bis in ihr 17tes Jahr fortsetzte, hat unsere Heldin den Namen Blumencaroline davon getragen. Noch nicht vierzehn Jahre alt, jedoch vollkommen gereift, ward sie – bei Gelegenheit des Wollmarkts – zwischen den Wollsäcken von einem Liebhaber deflorirt und von jetzt ab datirt ihre bis auf den heutigen Tag gewerbsmäßig betriebene Prostitution. Da das Hausirgeschäft so vorzüglich hierzu paßte, so trieb sie dasselbe auch so lange, bis sie sich endlich dessen schämen mußte, und ward nun eine der eifrigsten Priesterinnen der Venus vulgivaga.

Als solche bietet ihr Leben nicht viel Besonderes dar – nur daß grenzenlose Gemeinheit und Liederlichkeit die Grundzüge ihres Charakters bildeten. Daher trat sie nie in einen Dienst, welchem sie das Arbeitshaus vorzog, und stak immerwährend in Schulden, weshalb sie überall aus ihren Wohnungen heimlich ausrückte und nachher eine Zeit lang bei liederlichen Dirnen ihres Schlages zu latitiren pflegte. Endlich fand sich zu ihr ein Mann, ganz ihrer werth, ein Trunkenbold von Holzhauer, welchen man wegen der merkwürdigen Construction seines edelsten Körpertheils » den Blechkopf« nannte. Beide hatten sich getäuscht. Er gedachte von dem Körperverdienst seiner Frau zu leben und seinen Hang zu Spirituosen zu befriedigen, – sie dagegen glaubte, daß er für die Wirthschaft sorgen und ihr den Lohn ihrer Preisgebung zur beliebigen Verfügung überlassen werde. Die Folge war, daß sie sich täglich prügelten und die Einschreitung der Polizei nöthig machten, und daß sie endlich von ihm weglief, worauf er wegen böswilliger Verfassung auf Ehescheidung klagte. Diese erfolgte um so eher, als ihre Ehe kinderlos war.

Während ihres zwar kurzen und eben nicht beneidenswerthen Ehestandes hatte Blumencaroline doch eingesehen, daß ein Mann und eine selbstständige Wirthschaft ein außerordentliches Schild gegen die Angriffe der Polizei sind, welche nach ihrer Scheidung sie vorzugsweise im Auge behielt. Dieser Gedanke verband sich mit einer andern Betrachtung, auf welche sie durch die praktischen Verhältnisse geführt wurde, – daß es nämlich nicht so übel sei – da ein rechtlicher Mann sie doch nicht heirathen werde –, sich mit einem Diebe zu verehelichen und so den Verdienst ihres Körpers mit dem Erwerbe seiner Finger zu vereinigen.

Es war nämlich seit einiger Zeit und ist noch heut Mode in Berlin, daß Diebe, besonders Taschendiebe, öffentliche Dirnen heirathen. Dies ist für beide ein großer Vortheil. Der Dieb, welcher Frau und Wirthschaft hat und wenn auch nur ein Scheingewerbe treibt, steht viel sicherer, fester da, als sein Genosse, der aus einer Schlafstelle in die andere geht, sich arbeitslos umhertreibt, und in jedem Augenblick der Disciplinargewalt der Polizei über die Observaten verfallen ist. Dies gilt auch von der Prostituirten, die in dem Manne, in seinem Gewerbe, in der selbstständigen Wirthschaft der Polizei gegenüber einen ganz andern Anker und Haltepunkt hat, als die ledige Dirne. Ich denke, dies ist einleuchtend. Blumencaroline ging also abermals auf Hymens Wegen, und bei einem Geburtstagsfeste bei der sogenannten dicken Jeannette – von welcher später ausführlich die Rede sein wird – zu Moabit, bei einer Versammlung, zu der blos Diebe und prostituirte Frauenspersonen eingeladen waren, verlobte sich Caroline mit dem berüchtigten Louis S. Die Heirath ging rasch vor sich und es schien Anfangs, als ob der neue Ehestand unter den günstigsten Aspekten angetreten sei, weil Madame ein nicht uneinträgliches Kuppelgeschäftchen besorgte, welches ihren Hausstand genügend deckte. So lange sie dies vermochte, war ihr Louis der beste Mann. Er hatte – außer dem Verdienste seiner Hände – freie Wohnung, Station, Kleidung und jeden Tag 10 Sgr. zum Vertrinken, wofür er früh Morgens wegging und – mit alleiniger Ausnahme einer Mittagsviertelstunde – seine Gattin vor Spätabend nicht im Mindesten genirte. Allein der rauhe Arm der Polizei erdrückte dieses glückliche Verhältniß und beide Ehegatten kamen auf längere Zeit zum Arrest. Nach ihrer Entlassung ging es ihnen schlecht: Caroline konnte nicht soviel erschwingen, als ihr Mann forderte, und dafür ward sie von ihm mit Faustschlägen und andern Mißhandlungen tractirt. Sie versetzte das Letzte, und es kam so weit, daß sie im strengsten Sinne des Worts kein Hemde mehr auf dem Leibe hatte, also wegen Mangels an passender Kleidung ihre gewohnten Abendspaziergänge in der Königs-, Spandauerstraße u. s. w. auch nicht mehr machen konnte. Endlich wollte der Hauswirth zur Exmission schreiten, aber noch vorher kam der Gemahl, wegen einer öffentlichen Schlägerei mit seiner Frau auf einem Kirchplatze, zum Arrest. Sie zog jetzt heimlich aus – dies konnte sie, da ihr Mobiliar sie nicht beschwerte, ja sie besaß nicht einmal ein Stück Bett mehr, sondern schlief auf Stroh, und trieb sich bei verschiedenen Colleginnen, auf längere oder kürzere Zeit, umher. Zuletzt fand sie Aufnahme bei einer Prostituirten, die im Wochenbett lag, und da sie sich jetzt gänzlich von ihrem Ehemann trennte und von Beiden wechselseitig der Ehescheidungsprozeß eingeleitet ward, schien es, als ob sie sich wieder ein wenig aufgeholfen habe. Zur Zeit hat sie wieder eine eigne Wohnung und wenigstens so viel Credit, daß eine Lehnefrau ihr gegen Abendmiethe einen seidenen Mantel, Federhut mit Schleier, Knicker, Promeneur oder Regenschirm leiht, damit sie ihren Geschäften auf der Straße nachgehen kann, welche sich nach der Evacuation der Königsmauer bedeutend gehoben haben sollen.

Wer sie nicht kennt, der gehe einmal durch eine der verrufenen kleinen Gassen im eigentlichen alten Berlin, und wenn er dann auf fünfzig Schritte vor oder hinter sich, aus den geöffneten Fenstern eines schmutzigen Hauses, auf eine unverschämte und zudringliche Art angerufen oder, besser, angeschrieen wird, daß die Leute auf der Straße ihn ansehen und für den Vertrauten der Schreierin halten, – der hat die Blumencaroline gesehen!


XVI.
Mutter S.

Um das Kleeblatt der drei befreundeten Umwohnerinnen des Spandauer Viertels voll zu machen, will ich sogleich in der Kürze die Biographie der Dritten in diesem Bunde folgen lassen.

Es ist Mutter S., geborne G., noch keine 30 Jahre alt, eine stattliche, strotzende, pompöse Figur mit einem wirklich noch schönen Gesicht, glänzendem Haar und feurigen Augen, kurz eine Gestalt, wie sie uns die alten niederländischen Maler in den verbuhlten Töchtern Loth's dargestellt haben. Zur Zeit befindet sie sich » unfreiwillig und unrühmlichst abwesend« von Berlin, wie wir später sehen werden.

Ihre Jugend hat viel Aehnliches von der Jugend der Blumencaroline, sie hat nie in Dienst oder reeller Arbeit gestanden, sondern sich von vorn herein emancipirt. Nachdem sie früher in Fabriken gearbeitet und dort die Unsittlichkeit im vollsten Maße kennen gelernt hatte, soll sie besonders gegen Viehhändler und Schweinetreiber sehr zuvorkommend gewesen sein, was ihr damals einen sehr undelicaten Spitznamen zuzog, den ich aus Anstandsrücksichten nicht nennen mag. Später gab sie den Umgang mit jenen Beherrschern der Thierwelt auf und florirte als eine sehr gesuchte Tänzerin und Eroberungen machende Hetäre vorzüglich in dem – jetzt nicht mehr existirenden – Pariser Saal in der Oranienburgerstraße, wo ein sehr besuchtes Puppenspiel gegeben und nachher die ganze Nacht getanzt ward. Dieser Ort war damals einer der liederlichsten in Berlin und ward später von der Polizei geschlossen, nicht blos in Folge der immer stattfindenden ungeheuren Schlägereien, sondern weil sich auch namentlich zu viele Diebe dort eingefunden hatten. Ich muß im Vorbeigehen bemerken, daß ich es für sehr kurzsichtig halte, wenn man ein Local darum schließt, weil Diebe dort verkehren. Werden diese etwa dadurch weniger? Im Gegentheil ist es ein Glück für die Polizei, wenn sie die Gegenstände ihrer Beobachtung an einem Orte zusammen hat, denn dort weiß sie dieselben immer anzutreffen, wenn sie den Einen oder den Andern abfangen will, und kann, bei dem heut zu Tage so beliebten Vigilantensystem, durch ihre gedungenen Späher und Aufpasser dort die Verdächtigen am besten beobachten und aushorchen, und ihre Verbindungen erforschen lassen, während es umgekehrt sehr schwierig ist, einen gleichen Zweck bei den einzeln in Privatwohnungen oder in diversen Kneipen zerstreuten Subjecten zu erreichen. Ad vocem Schlägerei aber, ist es eine Ungerechtigkeit gegen den Wirth des Locals, wenn man dasselbe um derentwillen zumachen will, denn was kann der Wirth dafür, wenn unter Hunderten seiner Gäste sich zwanzig prügeln? Wir haben, denke ich, doch Gensdarmen genug, welche bei zu besorgenden Störungen zur Erhaltung der Ruhe und des Friedens deputirt werden könnten? Dafür giebt man ja seine Abgaben!

Die Bekanntschaft, welche unsere S. – die auch Minna heißt – im Pariser Saal machte, waren für sie nachtheilig, sie wurde mit Dieben bekannt, durch diese in Untersuchungen verwickelt und daher einer strengen Polizei-Controle entgegengeführt. Aus dem vorher erwähnten Grunde schritt sie daher zur Heirath. Ihre Ehe besteht noch, mit Abwechselungen, d. h. sie läuft mit ihrem Mann auf ein halbes Jahr auseinander und wohnt dann wieder vier Wochen mit ihm zusammen, weil ihre Kinder ein großer Anstoß für die Scheidung sind. Uebrigens wird sie von ihrem Manne durchaus nicht mit Eifersucht geplagt.

Da ihr Hausstand viel kostet und ihr eigener Verdienst hierzu nicht ausreicht, so hat sie schon seit langer Zeit ein Absteigequartier in ihrer Wohnung, ja sie läßt unter der Firma der Aftermiethe Dirnen darin einwohnen, ohne daß sie – was merkwürdig ist! – von der Polizei jemals in ihrer Winkelwirthschaft beunruhigt worden ist. Vielleicht trägt ihr planmäßiger, öfterer Wohnungswechsel hierzu Vieles bei.

Neuerdings hat sie in einer hübschen jüngern Schwester, die sich ebenfalls der Prostitution zugewendet hat, bedeutenden Succurs erhalten.

Die Liebhaber plastischer, voluminöser Formen sind für Minna S. – welche früher deshalb auch als Modellsteherin bei Malern und Bildhauern guten Verdienst gehabt haben soll – sehr eingenommen, und sollen ihre Abwesenheit nicht verschmerzen können. Damit hat es aber folgende Bewandniß:

Im vorigen Frühjahr machten ein Schmiedegeselle und seine Geliebte ein Gewerbe daraus, Chambre-garnies zu miethen und über Nacht sich mit den Betten zu entfernen. Unzählige derartige Bettdiebstähle kamen vor, bis endlich die Thäter einmal in flagranti ertappt und verhaftet wurden.

Von allen auf diese Weise Bestohlenen recognoscirt, legten sie ein offenes Bekenntniß, namentlich über den Verbleib der gestohlenen Betten, ab, welche auch – bis auf ein einziges – bei den Aufkäufern ermittelt und in Beschlag genommen wurden. Mutter S. – welche bei ihrem Geschäft natürlich viele Betten braucht – hatte ebenfalls solche und zwar so billig gekauft, daß ihr der unredliche Erwerb derselben kein Räthsel geblieben sein konnte. Sie ward daher verhaftet und wegen Diebeshehlerei zu sechs Monaten Strafarbeit rechtskräftig verurtheilt, welche sie zur Zeit in Brandenburg abbüßt. Nun, nach ihrer Rückkehr – davon bin ich überzeugt – werden ihre zahlreichen Verehrer sie gewiß nicht im Stich lassen, man hat gehört, wie sie sich darauf freuen und die Zeit gar nicht erwarten können!

Was aber an Jemandem zu loben ist, muß man loben. Die S. zeichnet sich, wie ihre Freundin, die Spandauerin, und noch viel mehr als diese, durch ein äußerlich anständiges Betragen, Ordnungsliebe, durch einen im Laufe der Zeit errungenen gewissen Bildungsgrad, Friedfertigkeit, – und was bei einer Prostituirten das Allermerkwürdigste ist! – durch den Mangel jeglichen Brotneides gegen ihre Colleginnen, endlich durch Uneigennützigkeit rühmlich aus, und hält auf ihre Kinder. Welche Widersprüche liegen doch im Charakter des Menschen, wer kann sie ergründen!


XVII.
Die geschiedene Tapeziererfrau G.......k, geborne F.....i.

Sie ist eine der unmoralischsten Auswüchse der Berliner Bevölkerung: gleichzeitig Hure, Kupplerin, Diebin.

Ihre Mutter lebt noch heut und ist eine rechtschaffene Frau, welche das Unglück heimsucht, allemal, wenn ihre Tochter nach dem Zuchthause gebracht wird, während der Dauer der Strafzeit die Wirthschafts- und andere Sachen derselben aufbewahren zu müssen. Von Jugend auf war die G. eine ganz liederliche Person. Herumtreiberin, Straßendirne, Stammgast in den ordinärsten Tanzkneipen – was Wunder, wenn sie in keinem Dienst, in keiner Arbeit, welche ihre Mutter ihr verschaffte, aushielt, und fortwährend mit der Polizei oder der Administration des Arbeitshauses zu thun hatte? Dabei hatte sie einen unüberwindlichen Hang zum Stehlen, welcher sich recht deutlich in der Gemeinheit und Eckigkeit ihrer Physiognomie ausprägt. Nachdem sie früher kleinere Diebstahlsstrafen erlitten, ist sie in der Folge, da sie dieses Verbrechen immer wieder fortsetzte, – namentlich Ladendiebstahl, zu welchem Frauenspersonen wegen ihrer weiten Ueberröcke und Mäntel besonders geschickt sind – ein Mal mit drei, das andere Mal mit vier Jahren Zuchthaus bestraft worden. Man kann nur annehmen, daß die Furcht vor einer bis auf zehn Jahre zu steigernden Strafe sie endlich von der ferneren Wiederholung der Dieberei abgeschreckt hat.

Jetzt steht sie hoch in den vierziger Jahren. Aber sie ist ebenso dem liederlichsten Wandel und den geschlechtlichen Ausschweifungen ergeben, wie in ihrer Jugend.

Da der Mangel körperlicher Reize sie von Jugend an verfolgte, so blieb ihr Nichts übrig, als ihre Galans durch Geschenke zu fesseln, und zu diesem Zweck eine einträgliche Kuppelwirthschaft zu betreiben. Diese setzte sie fort, obschon sie sich mit einem Tapezierer G. verheirathet hatte. Nachdem sie lange Jahre dieses schändliche Gewerbe betrieben, ward sie endlich dessen überführt und verhaftet. Obschon ihr Mann weniger beteiligt erschien, so gab sie doch – wegen ihrer bevorstehenden Bestrafung eine Ehescheidungsklage befürchtend – an, daß derselbe jenes Treiben gefördert, und wissentlich an den Vortheilen desselben Theil genommen habe. Beide wurden mit Zuchthausstrafe belegt. Nach verbüßter Strafe erfolgte dennoch ihre Scheidung – auf Grund wechselseitiger Einwilligung, da ihre Ehe kinderlos war. Jetzt wechselte die G. klüglich alle Viertel- oder halbe Jahre ihre Wohnung, damit ihr fortgesetzt betriebenes Kuppelgewerbe nicht zu auffällig würde, und hielt sich für Geld junge, ehrlose Männer, mit welchen sie die Nächte hindurch auf der F............schen Halle schwelgte und tanzte, und welche sie nach Hause begleiten mußten. Ueberhaupt war dies Local ihr liebstes Terrain: hier überließ sie sich der ungezügeltsten Ausschweifung, namentlich versuchte sie mit ihren Liebhabern sich in dem sittenlosen Cancantanz, obschon der Wirth und die Polizei dergleichen Unschicklichkeiten sofort unterdrücken müssen, und war mehr als ein Mal in Schlägereien mit andern Dirnen verwickelt.

Zuletzt – im Frühjahr v. J. – wohnte sie in der Mauerstraße. Eine gewisse Z...a, – eine der verworfensten Dirnen Berlins, welche sich unausgesetzt liederlich umhertreibt, und gewöhnlich von ihrer eigenen Mutter der Polizei zur Verhaftung nachgewiesen wird, – hatte das Absteigequartier der G. fleißig frequentirt, und davon schon früher der Polizei Anzeige gemacht. Der Zufall wollte, daß sowohl die Z...a, als eine andere Hauptbesucherin der G., die jetzt in Hamburg befindliche Albertine S., gleichzeitig in Polizeiarrest waren. Die Z...a wiederholte ihre Denunciationen gegen die G. Ein Polizeibeamter hörte darüber auch die Albertine S., indem er nach dem beliebten Manöver ihr für das Geständniß die Freiheit, für das Leugnen das Arbeitshaus in der Vogelperspective zeigte. Dies entschied. Die Albertine S. räumte den Verkehr bei der G. unumwunden ein, und machte die dort abgestiegenen Lustdirnen namhaft.

Bei sämmtlichen nunmehr abgehörten geständigen Dirnen sprach sich – was in der Regel in Betreff ihrer Kupplerinnen nicht der Fall ist – eine entschiedene Verachtung, ein entschiedener Haß gegen die G. aus. Es ist nämlich in Berlin in den Winkelwirthschaften 2. Classe, wozu die der G. gehörte, usancemäßig, daß die Dirnen für jeden Herrenbesuch 10 Sgr. an die Kupplerin abgeben, bei welcher sie obendrein noch Essen, Kaffee, Schlafmiethe u. s. w. bezahlen. Hiermit war die G. nicht zufrieden, sie verlangte streng ein Drittel der Gesammteinnahme, und um diese zu controliren, lag sie wie ein Luchs vor der verriegelten Stubenthür, um durch das Schlüsselloch zu lauern. Wenn dessen ungeachtet eine der Dirnen versuchte, ein Mal einen mehr empfangenen Thaler zu verschweigen, wehe ihr! es gab dann eine blutige Katzbalgerei.

Auf Grund der Bezüchtigung vieler Prostituirten ward die G. verhaftet und legte ein Geständniß ab, welchem nach sie zu 22monatlicher Zuchthausstrafe verurtheilt ward, welche sie noch abbüßt. Eine ihrer Hauptfeindinnen, die Kupplerin Wittwe M....r, – deren verstorbener Mann, ein vormaliger Buchhalter, durch seine enormen Betrügereien berüchtigt ist – hatte schon vor ihr das Zuchthaus in Brandenburg bezogen. Jetzt kam die G. mit ihr zusammen in eine Zelle. Schon der erste Abend führte zwischen beiden Weibspersonen eine grimmige Schlägerei herbei, in welcher sie sich so heftig zerbissen und zerkratzten, daß sie noch in der nämlichen Nacht getrennt werden mußten. Also nicht einmal in der Absperrung des Zuchthauses ruhen die Leidenschaften der Außenwelt!


XVIII.
Sidonie von der Heyde.

Sie ist die eheliche Tochter eines dänischen Kauffahrer-Capitäns und noch nicht viel über dreißig Jahre alt. Ihre Mutter starb früh, und da ihr Vater, ein roher Seemann, welcher nicht viel vom Wasser herunterkam, sich so gut wie gar nicht um sie bekümmerte, wuchs sie ohne alle Bildung und Erziehung auf. Der Umgang mit dem Schiffsvolke wirkte auch nicht wohlthuend auf ihre Sittlichkeit ein, und so kam es, daß sie nach mehreren Fehltritten ihrer Familie entlief und nach Hamburg ging, wohin man ihr später sehr gern die nöthigen Legitimationspapiere nachschickte, nur um sie los zu werden. In Hamburg trat sie, durch eine stattliche Persönlichkeit empfohlen, in ein Bordell auf dem sogenannten Altonaer Berge, von wo sie bald in die, als die eleganteste in Hamburg bekannte Wirthschaft von Peter A. überging. Hier ward sie mit einem namhaften Berliner Kuppler bekannt, welcher ihr in Berlin goldene Berge versprach und sie für seine Wirtschaft hinter der Königsmauer anwarb. Er bezahlte ihre Schulden, – diese haben bekanntlich alle Bordelldirnen, welche hierdurch dem Bordellhalter gewissermaßen körperlich verpfändet (corpore oppignoratae) werden, so lange bis sie, von einem andern Kuppler losgekauft, in dessen fructuarische Possession übergehen, – und Sidonie kam nach Berlin, wo sie, in Folge ihres stäten Hanges zu Veränderungen, aus einer Wirthschaft in die andere geschrieben ward. Endlich ward ihr das Leben in den Bordellen zum Ekel und sie beschloß, zumal da sie sich Liebhaber angeschafft hatte, mit denen sie ungenirt öffentliche Lustbarkeiten besuchen wollte, sich auf eigene Hand – als sogenannte Privatdocentin – zu habilitiren. Mehrere alte und junge Weiber hatten nämlich – noch bis zum 1. Januar d. J. – die polizeiliche Concession, eine Lohndirne zu halten, oder, wie man im gemeinen Leben sagt, «eine Lampe zu setzen«, weil durch eine besonders auffallende, in der Nähe des Fensters stehende Astrallampe, neben welcher die geputzte Dirne saß, das Männerpublicum avertirt ward, was man in jenem verschwenderisch erleuchteten Raume für Geld Alles haben könne. Eine dieser auf eigene Hand sitzenden Phrynen, die sogenannte Markgräfin, hatte sich sogar eine besondere Gasbeleuchtung zu diesem Behuf anbringen lassen.

Sidonie war also Privatdocentin und wohnte längere Zeit in der Charlottenstraße, wo sie, trotz einer monatlichen Miethe von 30 Thlr. und ebensoviel für Essen und Kaffee, dennoch gute Geschäfte machte, und das von ihrer Wirthin im Bordell gezahlte Lösegeld bald abtragen konnte. Es bestand nämlich in Berlin bis zum 1. Januar d. J. die Verordnung, daß nur prostituirte Frauenzimmer aus Bordellen sich auf eigene Hand etabliren durften, eine Verordnung, welche das Schicksal aller Polizeigesetze gehabt hat, das nämlich: umgangen zu werden. Hatte eine Kupplerin, eine gute Acquisition an einer noch nicht mit dem bedeutungsvollen P. P. – Puella Publica, wie die Lohndirnen in den Pavillons der Charité bezeichnet werden – behafteten Frauensperson gemacht, so ließ sie dieselbe in einem Bordell einschreiben und nach einigen Tagen mit Bewilligung des Bordellhalters wieder exmatriculiren, wodurch nun die Qualifikation zum Prostitutionsgewerbe auf eigene Hand erworben war.

Also Sidonie machte lucrative Geschäfte, – aber auch schlechte Bekanntschaften. Schon früherhin hatte sie einen gefährlichen Dieb, den Kattundrucker Sp., kennen gelernt. Dieser ward von ihr jetzt förmlich unterhalten und spielte bei ihr die Rolle eines » Herausschmeißers«, d. h. er verzog sich in eine Nebenkammer, wenn Gäste kamen, um von diesen, wenn sie ohne Bezahlung abgehen wollten, gewaltsam das gewöhnliche Pretium der Unzucht zu erpressen. Indessen hierbei begnügte sich Sp. nicht. An Verbrechen gewöhnt, suchte er auch von solchen sich neue Mittel zu seinen Ausschweifungen zu schaffen, und ward in Folge eines Einbruchs am hellen Tage an der Stralauerbrücke, wobei es ihm zwar zu entspringen gelungen war, zu der gegen die ergriffenen Thäter eingeleiteten Untersuchung herangezogen. Er würde sich vielleicht noch durchgelogen haben, wenn nicht ein Polizeibeamter bei Gelegenheit einer, in der ihm verdächtig gewordenen Wohnung der Sidonie abgehaltenen Recherche ihr ein Schreiben ihres Liebhabers aus der Tasche gezogen hätte, welches dieser ihr durch entlassene Mitgefangene hatte zustecken lassen und worin er – dumm genug für einen alten Dieb! – ihr die nähern Umstände jenes Einbruchs, seines Entweichens und seiner vor Gericht gemachten Ausreden mittheilte. Dies entschied seine Ueberführung und Bestrafung, und es fehlte nicht viel, so wäre seine saubere Geliebte auch verhaftet und wegen Mitwissenschaft von seinem Verbrechen zur Untersuchung gezogen worden.

Es ward ihr nicht schwer, Sp.'s Verlust zu ersetzen, da sie ihre »Bräutigams« gut lohnte. Wie tief sie moralisch gesunken war, ergiebt insbesondere ein Umstand. Es ist erwiesen, ja, es liegt in der menschlichen, auch der verderbtesten Natur zu fest begründet, daß jene gefallenen Dirnen sich in der Regel nicht vor den Augen eines oder einer Dritten prostituiren lassen. Nur Sidonie machte hiervon eine Ausnahme: doch ich will über diese Nachtstücke in der moralischen Welt lieber noch einen dunkeln Schleier werfen, als sie an das Licht des Tages ziehen.

Der 1. Januar 1846 machte Sidoniens hiesigem Auftreten ein Ende. Vielfacher Bemühungen ungeachtet gelang es ihr doch nicht, einen Mann zu finden und sich hier domiciliren zu lassen: – deshalb, weil sie zu fest auf ihren letzten gelohnten Liebhaber gebaut hatte und von ihm getäuscht ward. Es traf sie daher, wie alle hier nicht angehörige Prostituirte, das Schicksal der Ausweisung, und da sie sich nicht fügte und hier zu latitiren begann, erfolgte ihre Verhaftung.

Vorher hatte sie mit ihrem Geliebten zur Februars-Messe eine Speculationsreise nach Frankfurt a. d. O. gemacht, wo er zum Schein Parfüms verkaufen, in der That aber ihre Person feilbieten sollte. Bei der großen Concurrenz solcher Dirnen bei Meßzeiten machte sie daher nur schlechte Geschäfte. So kam es, daß ihr Liebhaber, dies einsehend, heimlich ihre Sachen versetzte, und sich mit dem Erlös aus dem Staube machte. Sie war nun gezwungen, aus ihrem Quartier heimlich zu entfliehen und sich nach Berlin zu betteln.

Mit Mühe entging sie dem Arbeitshause, und erhielt endlich ihren Paß nach Hamburg visirt, um wieder in ein dortiges Freudenhaus zu treten. Seit ihrer Abreise hat man Nichts mehr von ihr gehört.

Doch sollen ihre Gläubigerinnen, deren sie viele hier hinterlassen hat, ausgesprengt haben, daß sie nicht nach Hamburg, sondern nach Stettin gegangen sei, dort als Privatdocentin auf eigene Hand sitze und so viel Geld verdiene, daß sie von dort Abschlagszahlungen hierher sende. Dies ist jedoch nicht glaublich, da alle ausländische Prostituirte über die Landesgrenze gewiesen sind.


XIX.
Camilla, die Markgräfin.

Diese berühmte und auch außerhalb Berlins sehr bekannte Phryne ist eine geborene Hamburgerin und zur Zeit 36 bis 38 Jahre alt.

Ueber ihre frühere Jugend, vor ihrem Auftreten in Berlin, verlautet nicht viel und sie hat sich wohlweislich auch nie darüber mehr ausgesprochen, als es unumgänglich nöthig war. Doch scheint ihr Jugendleben nicht viel Tröstliches zu enthalten, denn wir finden, daß sie vor etwa zwölf Jahren in einem Hamburger Bordell inscribirt war. Dort machte sie die Bekanntschaft eines hiesigen Spediteurs, eines Menschenverkäufers, welcher sie hierher beförderte und in das Bordell Königsmauer Trent-six brachte. Es gab nämlich zur Zeit des Bestehens der öffentlichen Häuser eine Menge Leute, namentlich Frauen, welche ein Gewerbe daraus machten, nicht blos hier, sondern auch von und nach auswärtigen Bordellen den Umzug der Prostituirten zu bewirken und hierdurch den Besuchern jener Anstalten die nöthige Abwechselung zu verschaffen. Dies sehr lucrative Geschäft ist jetzt allerdings zum größten Theil eingegangen; indessen giebt es immer noch einige Frauenzimmer, welche, namentlich für Hamburg, in Berlin anwerben und zuweilen ganze Wagen voll feiler Geschöpfe dahin absenden. Ich brauche nur an die schottische Marie und die zur Zeit eine Strafe im hiesigen Criminalgefängniß verbüßende unverehelichte R. zu erinnern.

In Trent-six machte Camilla, durch stattliche Körperformen und ein interessantes Gesicht sich hervorhebend, gute Geschäfte, und war mehrere Jahre hindurch der Magnet jenes mit oftmals mehr als 25 Lustdirnen bevölkerten Locals, bis sie sich endlich entschloß, sich auf eigene Hand, als Privatdocentin, zu besetzen. Sie zog nach der Markgrafenstraße, in das von langer Zeit her hierzu eingerichtete Haus, wo sie, wie alle ihre Vorgängerinnen, den Namen »die Markgräfin« führte und schweres Geld verdiente. Man muß gestehen, daß ihre Einrichtung glänzend zu nennen war, ja sie hatte, wie ich bereits bemerkt habe, statt der gewöhnlichen Astrallampe sich eine besondere Gasbeleuchtung angelegt. Hier wohnte sie mehrere Jahre, bis endlich ihre lange conservirten Reize verblüheten und sie daran denken mußte, der bisherigen Carriere zu entsagen und für die Zukunft sich einen sichern Herd zu gründen.

In dieser Zeit – Herbst 1843 – passirte ihr ein in Berlin sehr gewöhnlicher Betrug. Ein bestrafter Dieb, der Handlungsdiener P., hatte mit einem gleichgesinnten Subject sich bei mehreren öffentlichen Frauenzimmern, als bei der Camilla, der Jenny N., der E., für Abgeordnete des Criminalgerichts ausgegeben, in dieser vorgespiegelten Qualität Haussuchung gehalten und dabei die Pretiosen jener Dirnen in Beschlag genommen und sich entfernt. Die Betrüger wurden entdeckt und recognoscirt, doch gelang es erst ein halbes Jahr nachher, die versetzten Pretiosen zu ermitteln und den betrübten Eigenthümerinnen zurückzugeben. Es kommt in Berlin gar zu oft vor, daß entweder in betrügerischer Absicht, oder blos um zu renommiren, Personen sich amtliche (namentlich polizeiliche) Charaktere anmaßen, weshalb ich außer den vorgedachten nur an den sogenannten Zimmerkarl, an K....r, Eduard Br. und an den Schlossergesellen B. erinnern will, welche vorzugsweise auf solches Vorgeben hin Gelder erschwindeln, ja hatte sich doch einmal ein betrunkener Schuster für den Polizeidirector Duncker ausgegeben und als solcher dem Nachtwächter anbefohlen, ihn nach Hause zu bringen und die Hausthüre aufzuschließen.

Um nun zur Hauptsache zurückzukommen: Camilla entschloß sich zu heirathen, und verehelichte sich auch wirklich mit einem Maler, welcher sich bei ihr einzuschmeicheln gewußt hatte und glaubte, sich von seiner Frau ernähren lassen zu können, wie so viele Männer, selbst Leute, die Geschäfte mit drei, vier Gesellen treiben, hauptsächlich von der Prostitution ihrer Eheweiber leben. Dieser Schandfleck trifft Berlins Bewohner mehr, als die Bevölkerung jeder andern deutschen Stadt.

So lange die Ersparnisse der Camilla ausreichten, etwa ein und ein halbes Jahr, ging der Ehestand gut. Nachher aber machte ihr Mann Schulden, prügelte seine Frau, und kam zuletzt auf längere Zeit zum Schuldarrest. Durch die Executionen gegen denselben wurden die Möbeln und eleganten Kleider der Camilla öfters mit versiegelt, und sie beschloß daher, um ihr Eigenthum in Sicherheit zu bringen, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Um nun aber auch leben zu können, bezog sie das alte Quartier in der Markgrafenstraße wieder, und treibt nach wie vor das Gewerbe der Prostitution, allerdings jetzt heimlich und wenig besucht, denn sie hat sehr gealtert und kaum sind noch die schwachen Spuren der ehemaligen Schönheit zu erkennen.

Neulichst fuhr sie mit einer andern Prostituirten Corso im Thiergarten, doch vermochte die verschwenderisch angebrachte Schminke nicht die Blicke der Männerwelt, wie ehemals, auf sie zu lenken. Hiernach scheint ihr Geschick für die Folge ein trübes zu werden.


XX.
Die unverehelichte J..l.

Bisher habe ich viele Beispiele dargestellt, wo schlechte Erziehung, Leichtsinn, Mangel, ungünstige Verhältnisse, Verkuppelung durch die eigene Mutter oder fremde Personen etc. junge, moralisch nicht feste Frauenzimmer auf den Weg des Lasters und der öffentlichen Prostitution geführt haben. Ich bin es aber der Wahrheit schuldig, noch einer Classe gesunkener weiblicher Wesen zu gedenken, – welche, durch den eigenen Vater geschändet, zu einem sündhaften Leben gezwungen wurden. Wilhelmine Charlotte J..l ist die Tochter eines Unterbeamten, welche frühzeitig ihre Reife und jene gesunde Frische erlangte, welche die Ursache war, daß ihr eigener, leiblicher Vater einer verbrecherischen Begierde gegen sie unterlag. Zuerst gewaltsam von ihm überwunden, – was ihm bei seiner außerordentlichen Körperkraft nicht schwer ward, – wurde die Tochter zuletzt freiwillig die Concubine des Vaters. Das Verhältniß ward durch die Umgebungen entdeckt, eine gerichtliche Einschreitung war die Folge, und die J. räumte den sträflichen Umgang ein, welchen auch später ihr Vater eingestand.

Nach dem allgemeinen Landrecht II, 20, §. 1039 ff. ward er cassirt und zu mehrjähriger Zuchthausstrafe, die Tochter jedoch, in Betracht ihrer Jugend und der gegen sie ursprünglich angewandten unwiderstehlichen Gewalt, zu einem halben Jahre Strafarbeit verurtheilt.

Was blieb ihr nach Verbüßung der Strafe übrig? Sie war vor der Welt entehrt und hatte – bei dem harten, aber gerechten Schicksal, welches ihren Vater betroffen – die Mittel zum selbstständigen Fortkommen verloren. In einen Dienst hätte die Bestrafte, unter strenge Aufsicht der Polizei Gestellte, Niemand genommen, auch hatte sie ohnehin dazu die Lust durch die auf dem Zuchthause gemachten Bekanntschaften verloren.

Sie hat sich also der Prostitution ergeben, wozu ihr die jetzt ebenfalls in der Strafanstalt befindliche Kupplerin M....r die beste Gelegenheit bot, mit welcher sie auch die schon genannten Locale, die Versammlungsörter der feilen Dirnen, fleißig besucht hat. Jedoch ist sie klug geworden und treibt ihr Wesen mehr in der Stille.

Ein Seitenstück zu J..l ist der vormalige Eigenthümer, frühere Gensdarme G. Dieser hat drei seiner Töchter – ich möchte sagen – genothzüchtigt, bis er von ihnen selbst angezeigt und der gerechten Ahndung entgegengeführt ward. Auch er hat zwei seiner Töchter zu jenem traurigen Gewerbe genöthigt, da das Vermögen durch die Untersuchung absorbirt ward, und die Nemesis des öffentlichen Rufs seine unglücklichen Kinder verfolgte. Wie viele Beispiele aus den bessern, gebildetern, und in einer moralischen Jugenderziehung ausgewachsenen Ständen könnte ich noch anführen, z. B. den Destillateur R., der von der eigenen Frau und ältern Tochter des Incests mit einem jüngern Kinde beschuldigt ward, u. A. m., ja, wie ich schon im ersten Abschnitt bemerkt habe, die fleischlichen Verbrechen in ihrer unverhältnißmäßigen Zunahme in den gedachten Classen der Gesellschaft sind eine der dunkelsten Schattenseiten der Gegenwart! Was sollen wir da erst von dem in der Rohheit aufgewachsenen Proletarier erwarten!


XXI.
Motte.

Die sogenannte Motte ist eine Stiefschwester der G.......k, daher kann man sich wohl denken, daß sie auch zu deren Fahnen geschworen hat, anstatt – wie es besser gewesen wäre – die Farben zu wechseln. Sie hat sich daher auch von früh an der Prostitution als Lebensberuf gewidmet, und verdankt ihren Namen – welcher noch in einigen andern undelicaten Variationen üblich ist, – einem Naturfehler, sie ist nämlich pockennarbig, und nach einem in ihrer Sphäre üblichen Jargon wird jene Aeußerlichkeit mit den Worten: » bunt« oder » von den Motten angerichtet« bezeichnet. Es konnte nicht fehlen, daß, so lange sie sich mit ihrer Stiefschwester G. vertrug, sie bei dieser, wie die Z..a und Albertine S., Absteigequartier nahm. In Folge heftiger Verdrießlichkeiten jedoch verließ sie die G. gänzlich und fungirte als Hebe in einer sehr bekannten, auf Cavaliervergnügen eingerichteten Conditorei, welche durch die schwarze P.....e, die Florentine Z. und die schwarze Marie zu ihrer Zeit einer gewissen Berühmtheit genoß, jetzt jedoch im Verfall ist. Hier war sie lange Zeit, und obschon sie die bekannten Locale sehr frequentirte, auch dort nicht eben die Allerzarteste spielte, so schien es doch, als ob sie von der eigentlichen Prostitution ablassen wolle. Nachdem endlich das Dienstverhältniß – weil sich beide Theile verändern wollten, wie gewöhnlich in den Entlassungsattesten steht, – aufgehört hatte, machte sie wieder Straßengeschäfte und diese sollen von ihr bis jetzt nicht uneinträglich betrieben werden, da sie dreist auf ihren Mann zugehen und, wen sie einmal à faire genommen hat, auch sicher capern soll. Dabei ist sie eine renommirte Tänzerin, und man sagt, daß sie vielen Beifall schon hierdurch findet, um so mehr, als sie jetzt ziemlich gute Garderobe macht.


XXII.
Feldlotte.

So wie unter den öffentlichen Dirnen, welche vorzugsweise die Straßen besuchen, und erst nach 10 Uhr in den Tanzlocalen erscheinen, eine Art stillschweigenden Einverständnisses Statt findet, wornach sie sich in gewisse Stadtviertel vertheilen und oftmals in blutige Händel gerathen, wenn eine aus den Grenzen ihres Reviers herausgeht, so bemerkt man auch zuweilen, wie ich schon hin und wieder anzudeuten Gelegenheit hatte, daß Manche vorzüglich nur gewissen Classen der Gesellschaft, namentlich dem Militär, sich preisgeben, – so Feldlotte und ihre Schwester. Beide sind von schlechtem Herkommen und von früh an prostituirt. Entweder von der Feldstraße, wo sie herstammt, wahrscheinlicher aber davon, daß sie sich in ihrer Jugend mit Dragonern, Uhlanen, Cürassieren u. s. w. Abends auf dem Köpenicker Felde in unsaubern Absichten umhergetrieben, hat Feldlotte ihren Beinamen bekommen. Jedoch kam sie bald in die Höhe. Durch die Soldaten gelangte sie in die Kasernen der Cavallerie und durch ihren Verkehr mit den Officierburschen ward sie endlich den Herren Lieutenants selbst bekannt, welche ebenfalls nicht gefühllos gegen sie waren. Jetzt ging sie in eine höhere Sphäre über, indem sie regelmäßig nur mit Letzteren Umgang hielt. Sie kleidete sich nobel und war besonders bei den Festlichkeiten in den Kasernen eine fast nothwendige Theilnehmerin, wenn nämlich Avancements jünger Militärs gefeiert und dabei getrunken, gesungen und getanzt ward.

Der Erfolg ihrer Persönlichkeit bewirkte, daß sie zuletzt gegen ihre Bewerber förmlich spinös ward, und bei jenen Gelagen sich zu erscheinen weigerte, wenn nicht andere Damen – so nennen sich jene Prostituirte unter einander – anwesend wären. Daher kam es vor, daß einmal ein Dragoner sich als Frauenzimmer verkleiden und die Feldlotte auf diese Weise herbeischaffen mußte, welcher sie aber bald thatsächlich von der angenommenen Maske überzeugte, was sie denn auch nicht übel nahm. Nachdem sie diese Wirthschaft lange getrieben, hat sie sich endlich mit einem Handwerksmann verehelicht, bei welchem sie jedoch keine guten Tage genießen soll, – sehr begreiflich, weil sie sicher auch von ihrem alten Fehler nicht ablassen wird.


XXIII.
Amalie K...t..l.

Vor etwa 18-20 Jahren existirte in Berlin der berüchtigte K.sche Schnapsladen, wo nur Diebe und dergleichen Gesindel verkehrten, und wo die damalige Criminalpolizei gewöhnlich die ihr Verdächtigen abfing. Jener Laden, welchem von den heutigen Diebesauflagen wohl keine zu vergleichen ist, ward endlich von der Polizei geschlossen, da die Erfahrung gelehrt hatte, daß die Mehrzahl der wichtigern Verbrechen dort verabredet und präparirt worden war. Kurz, es war die Börse des Lasters, von früh an mit Vagabunden gefüllt, welche auf dem Felde nächtigen, – den sogenannten Kornhasen, – bis späterhin die principiellen Verbrecher hinzukamen, und ihren unredlichen Erwerb bei der Besitzerin jenes Geschäfts, der Wittwe K., unterbrachten, oder das dafür gelöste Geld mit dem Auswurfe der liederlichen Dirnen in nächtlichen Orgien vergeudeten.

Hiernach konnte die Erziehung der beiden Töchter der K. nicht anders als verderblich auf die jungen Gemüther wirken, und in der That wurden Beide auch von ihrer Mutter von Jugend auf angehalten, unter der Firma eines kleinen Hausirhandels zu stehlen. Die Wittwe K. zog auch, als die Töchter erwachsen waren, junge Leute an sich, welchen sie ihre Kinder preisgab, und welche dafür für sie stehlen mußten. So hat sie Manchen, der mir später bekannt geworden ist, – Einen sogar, der von Hause aus ein guter Mensch war, und daher um so mehr zu bedauern ist – man erlasse mir seinen Namen, – in sein Verderben gestürzt!

Die älteste der Schwestern, Amalie, zeichnete sich wirklich durch körperliche Reize aus, daher ward sie allgemein « die schöne Male« genannt. Sie besuchte vorzugsweise die damals beliebten Tanzlocale: »den Silbersaal« in der Alexander- und »den Pariser Saal« in der Oranienburgerstraße, wo sie besonders mit Militärs verkehrte und auf den Kegelbahnen oder an andern versteckten Stellen sich ungemäßigter Ausschweifung hingab. Sie erschien öfter, um ihre Conturen zur verführerischen Schau zu stellen, als Indianerin in Tricots, und steht als solche noch bei einem großen Theile der Männerwelt, wie man hört, in Andenken. Sie verdiente viel Geld, aber sie gab es ebenso leichtsinnig in jenen Kneipen ihrem militärischen Anhang zum Besten, daher konnte sie es auch nie weiter bringen. Mit dem Besuch jener Locale verband sie einen diebischen Verkehr, welcher einmal sogar zu ihrer Bestrafung führte. Man hätte nun glauben sollen, sie würde ganz untergeben, dennoch wollte ihr das Glück wohl: ein alter reicher Commissionär, verliebte sich in sie, machte sie zur Frau und that ihr den Gefallen, bald zu sterben und ihr sein Haus und Vermögen zu hinterlassen. So lebt sie jetzt als Wittwe, jedoch natürlich nicht nach 1 Timoth. 5, 5., sondern sie hält sich einige Hautboisten, mit welchen sie Liebschaft treibt und je nach ihrer Laune bald den einen mit dem andern vertauscht. Während sie früher von ihnen Geld nahm, giebt sie jetzt ihrerseits, doch glaubt man, daß das Vermögen durch ihre lascive Haushaltung bald erschöpft sein wird. Was ihr dann übrig bleibt, bedarf keiner Frage.


XXIV.
Invalidenlotte.

Sie ist eine Dirne von der allerletzten Sorte, die sich von jeher auf dem Felde, den Wegen vor den Thoren und in den Vorstädten mit dem schlechtesten Gesindel umhergetrieben hat. Erziehung hat sie gar nicht genossen, denn ihr Vater, welcher im Invalidenhause aufgenommen war und dort starb, hat sich nie um sie gekümmert. Von ihm hat sie nur den Namen »Invalidenlotte« geerbt. Jetzt ist sie hoch in den dreißiger Jahren, und für die Prostitution verschollen, wogegen die Sicherheitspolizei sich gelegentlich um sie kümmert, und auch wohl daran thut, sie nie ganz aus der Beobachtung zu lassen. Denn sie soll jetzt nur vom Diebstahl oder der Diebeshehlerei bestehen können, weil sie arbeiten nie gelernt hat.

Eine merkwürdige Episode aus ihrem Leben muß ich erzählen. Vor mehreren Jahren machte ein ältlicher wohlhabender Herr jeden Abend seine Spaziergänge am Invalidenhause und die Panke entlang. Hierauf baute Lotte und ihr Liebhaber einen teuflischen Plan. Lotte mußte sich mit dem alten Herrn bekannt machen und ihn zum Beischlafe zu verleiten suchen. Nach einiger Zeit gelang ihr dies wirklich und jener alte Herr begab sich zu diesem Zweck mit ihr in ein unweit vom Wege gelegenes Versteck. Hier war er eben in zärtlicher Umarmung begriffen, als er von dem Liebhaber der Lotte und einem andern Kerl, welche an jedem Abende auf eine solche Gelegenheit gelauert hatten, plötzlich überfallen und seiner goldenen Uhr, mit einer werthvollen Kette und Berloques, seiner Ringe und der Börse gewaltsam beraubt, dabei auch auf eine jedes Gefühl beleidigende Weise gemißhandelt ward. Das Verbrechen ward entdeckt, die Beweise herbeigeschafft, und die beiden Räuber zu einer langwierigen Festungsstrafe verurtheilt. Auch Lotte entging ihrer Strafe nicht. Nachdem sie 1½ Jahr in Criminalhaft und Untersuchung zugebracht hatte, ward sie wegen Mitwissenschaft und Theilnahme an einem Raube erst zu 10jähriger, dann zu vierjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt, welche sie verbüßen mußte. In Rücksicht determinirter Gefährlichkeit und im Entwerfen der Plane zu großen Verbrechen, glaube ich, ist sie nur mit der bekannten Minna N.....g zu vergleichen, welche Einen wie Alle ihrer Liebhaber, zuletzt einen gewissen L., zu Verbrechen verleitet hat und nachher wohl selbst die Verrätherin geworden ist. Die Familie N. ist eine jener berüchtigten, deren Glieder eines immer gefährlicher ist als das andere. Minna's Brüder, Fritz und Carl, waren schlimme Menschen. Ersterer, in der berüchtigten Untersuchung wider D....z verwickelt und schwer bestraft, starb im Zuchthause; der andere, Carl, befindet sich, wenn ich nicht irre, ebenfalls in der Strafanstalt, und es ist nichts Anderes zu vermuthen, als daß er die doch nur kurze Zeit wieder währende Freiheit zu neuen Freveln benutzen wird, wozu der Hang der ganzen Familie, wie Andern dieses Schlages, durch ein Verdammungsurtel der Natur einmal angeboren und, wie alle Naturgesetze, unvertilglich ist.


XXV.
Die schwarze Auguste.

Sie ist von geringem Herkommen, jetzt 27-29 Jahre alt, von Jugend auf verwahrlost und der öffentlichen Prostitution ergeben, da sie die edlern Passionen der Seele so wenig, als die Verhältnisse gesitteter Menschen kennen gelernt hat. Ihr Auftreten war Anfangs ziemlich unbedeutend, doch machte sie dann Effect, als sie die öffentlichen Orte besuchte, und dies würde noch heute der Fall sein, wenn sie sich nicht mit Dieben, besonders Taschendieben, eingelassen hätte. Zuerst machte sie die Bekanntschaft des jetzt im Arbeitshause eingesperrten Taschendiebes, Buchbindergesellen K., und durch ihn die des Criminal-Gerichts, während sie in früherer Zeit, als die schwarze Louise S. noch ihre Freundin war, bereits von der Polizei hinreichende Beweise von eben nicht wünschenswerther Aufmerksamkeit empfangen hatte. Doch war dies ihre beste Zeit und ihre Hand war damals, wenigstens im criminellen Sinne, noch rein, wenngleich es ihr Herz nicht war. Vor ihrem Umgange mit K., mit welchem sie gemeinschaftlich zur Haft kam, soll sie auch mit Louise S. bei der K....e in der D.......straße fleißig verkehrt haben. Man erzählt aus jener Zeit folgende Geschichte.

Eine sehr vornehme Person hatte sich bei der K. anmelden lassen. Diese beschließt die Gelegenheit zu nützen und verschließt alle Wohnungsräume. Abends, als jener Herr kommen soll, zieht sie sich mit ihrem Hausstande in ein kleines Hinterzimmer zurück, während eine vertraute Person auf der Treppe Wache hält. Kaum erscheint der Erwartete, so wird ihm auch von dem Wachestehenden eröffnet:

»der Executor habe wegen 50 Thlr. rückständiger Miethe bei Madame K. Alles versiegelt, die Zimmer verschlossen, und sie befinde sich mit ihren Kindern im Hinterzimmer, der Verzweiflung und ihren Thränen unterliegend.«

Der vornehme Herr – ich sage, ich kenne ihn nicht – geht ab und bestellt die Madame nach kurzer Frist in ein Hinterzimmer seiner Wohnung (?), wo eine Hand der angeblich Betrübten einen Fünfzig-Thalerschein durch das dunkle Fenster herauslangt. Der Wächter, welcher seine Rolle so gut gespielt, empfing einen Thaler Belohnung.

Nach öfteren Conflicten mit der Justiz und Polizei, und nachdem sie in Hamburg längere Zeit in einem Bordell florirt hatte, verheirathete Auguste sich mit einem berüchtigten Taschendiebe, der von der triefenden Beschaffenheit seiner Augen einen sehr bekannten Beinamen empfangen hat. Diese Ehe mit einem Taugenichts beschleunigte ihr Verderben. Er wohnte mit ihr bei einer Kupplerin O. und ward in Folge wechselseitiger Denunciationen mit der O. sammt seiner Ehefrau eingezogen. Nachdem Beide wieder entlassen worden, prügelten sie sich beständig, so daß in Folge dieses Unfriedens entweder sie ihn mit ihren Effecten verließ, oder er heimlich davon mehrere verkaufte. Zuletzt waren sie bei einem Démelé Beide durch die Fensterscheiben gefahren und hatten einen Straßenscandal erregt. Der herzugerufene Polizeibeamte wollte sie verhaften, er ließ sich jedoch bereden, sie vorausgehen zu lassen, um sie nicht vor dem versammelten Publicum zu sehr bloszustellen, worauf aber Beide in eine Droschke sprangen und verschwanden. Natürlich wurden sie später ermittelt und eingezogen. Jetzt haben Beide gegen einander, wegen Mangels an rechtlichem Erwerbe u. s. w. denuncirt, und sitzen im Polizeigefängniß, von wo sie jeden Tag nach dem Arbeitshause abgeführt zu werden erwarten.

Die Verbindung mit jenen beiden Dieben hat Auguste auf diejenige niedrige Stufe gebracht, auf welcher sie jetzt vorzugsweise vor andern Prostituirten steht. Denunciantin und Verrätherin gegen ihre frühern Freunde, die – übrigens nichts taugenden – R.schen Eheleute, welche sie und ihr Mann der Falschmünzerei beschuldigt haben, hat sie zuletzt ebenfalls den Anklagen jener unterlegen. Ihre frühere Freundin, Louise S., welche jetzt sehr eingezogen lebt, hat sich gänzlich von ihr losgesagt, und sie ist jetzt der schlechtesten Diebesgesellschaft verfallen. Ein Mann von Stande war früher bereit, sie zu retten, sie zog aber den Umgang mit jenen Dieben vor und dadurch ist sie in eine solche bodenlose Tiefe gesunken.


XXVI.
Die verehelichte W....r. geborne B......s.

Es ist Schade, wenn man diese junge, niedliche Person betrachtet, daß sie eine so schlechte Erziehung genossen hat, daß sie – bei anscheinend ganz guten Gemüthsanlagen – der Prostitution und dem Verbrechen zugleich verfiel. Sie ist ein uneheliches Kind und ward als solches von ihrem Stiefvater und ihrer Mutter von Kindheit an vernachlässigt. Ueberhaupt scheint sie auch im häuslichen Wesen nicht viel Gutes gesehen zu haben und soll von ihrer eigenen Mutter zum Stehlen verleitet worden sein. Wenigstens wird, nach ihrer spätern Verlobung mit ihrem jetzigen Manne, W., eine Aeußerung von ihr erzählt, die sie bei einem Wortwechsel gegen ihre Mutter gemacht haben soll und welche für meine Behauptung spricht. Sie soll nämlich ihrer Mutter ins Gesicht die Weigerung erklärt haben, mit ihr stehlen zu gehen, mit dem Zusatz: wenn sie dies wolle, so würde sie es in Zukunft für sich und ihren Bräutigam thun. Es konnte nicht ausbleiben, daß üble Bekanntschaft, die sie bei Gelegenheit einer Criminaluntersuchung im Gefängniß machte, sie zur Prostitution verführte. Jedoch hat sie sich immer moderat gehalten und scheint mehr durch sinnliche Antriebe bestimmt worden zu sein. Nach ihrer Verheirathung hat sie allerdings die Prostitution einstellen müssen. Ihr Mann ist Taschendieb. Er gehört mit zu der Classe jener feinen Taschendiebe, jener Dandys, Elegants und Gentlemans unter den Spitzbuben, die im feinen Spanier, Wellington oder Phantasiefrack, mit Polkahut oder Rongemütze, goldener Uhr und Kette einhergehen und namentlich das Theater, die Ausstellungen, die Museen, die Perrons der Eisenbahnen, überhaupt die Orte, wo anständige Fremde anzutreffen sind, besuchen. Denn der Berliner ist schon durch Schaden gewitzigt, er trägt keine Börsen und Brieftaschen im Schooß des Rocks. W. hat sich, wie seine Collegen R., C. u. a. verheirathet und eine anständige Wirthschaft vom Verdienst seiner Hände eingerichtet. Doch scheint neuerdings das Schicksal den Taschendieben nicht hold zu sein, denn viele derselben sind – durch die große Aufmerksamkeit des im vorigen Jahre und früher so arg geplünderten Publicums – vor Kurzem in flagranti ergriffen und ziemlich streng bestraft worden.

Die W. soll ihrem Manne bei seinen Taschenexpeditionen helfend zur Seite stehen und man versichert sogar, daß sie selbst auf dergleichen Geschäfte – wie es der Taschendieb nennt – ausgeht, eine Seltenheit bei Frauenspersonen, die in der Regel den Laden- und Budendiebstahl mehr exerciren. Doch besitzt Berlin mehrere gewandte Taschendiebinnen unter den Prostituirten, – ich will nur an die Pl........g erinnern. W. ist bereits bestraft und wegen einer Reise nach Potsdam, wo er mit den Taschendieben R. und F. bei einer Theatervorstellung im neuen Palais verhaftet ward, im vorigen Jahre im Arbeitshause gewesen. Neuerlich hat man ihn aus einer Kirche arretirt, in welcher einen Sonntag vorher ein bedeutender Taschendiebstahl vorgefallen war. Es ist die Frage, ob man Jemanden, welcher wegen Taschendiebstahls bestraft ist, – auf die subjektive Ueberzeugung hin, daß er die Kirche in diebischer Absicht besuche, – von dort arretiren darf? Nach meinem Erachten mag man auf ihn aufpassen, ohne daß die Andacht gestört wird, aber herausholen aus dem Gotteshause, aus dem Asyl der Kirche, auf Meinungen hin, darf man gewiß nicht. Welch ein ungeheurer Widerspruch! In den Zuchthäusern werden die Sträflinge fast zum Besuch der Kirchen gezwungen und die Polizei straft einen Observaten mit Arbeitshaus, welcher freiwillig in die Kirche gegangen ist!


XXVII.
Bademinna.

Wilhelmine A. – früher eine der schönsten, aber auch leichtfertigsten Dirnen – gehört einer Familie an, deren Glieder fast sämmtlich mit der Criminaljustiz in Berührung gekommen sind. Sie selbst hat sich davon rein erhalten, dagegen von frühester Jugend an auf die Prostitution gelegt. Da sie – im Gegensatz zu vielen ihrer Colleginnen, welche sehr auf ihr Aeußeres halten – unbekümmert und leichtsinnig in die Welt hineinlebt, so ist es gekommen, daß sie – obschon noch jung – doch, ihrer wirklichen frühern Reize ungeachtet, schnell abgelebt hat. Sie hat mitunter halbe Jahre lang sich nicht anmelden lassen, sondern von einer Dirne und Kupplerin zur andern herumgetrieben, weshalb die Polizei, wenn sie dann wieder ermittelt und verhaftet ward, sie öfter auf längere Zeit – ja bis zu neun Monaten – nach dem Arbeitshause bringen ließ. Vielleicht hat auch diese öftere und längere Detention viel zu ihrem frühen Verblühen beigetragen. Sie ist eine fleißige Besucherin der Tanzlocale, jedoch verhindert ihre gewöhnlich sehr mangelhafte Garderobe sie am Auftreten an denjenigen Orten, wo die galantern Phrynen zusammen kommen. Daher hat sie auch weniger reussirt, als man erwarten sollte, und hauptsächlich sich in den Badeanstalten umhergetrieben.

Es existiren hier nämlich in einer Straße zwei Badehäuser, in deren Nähe sich in der Regel Dirnen befinden, welche es mit den Badedienern halten und durch deren Vermittelung die Badegäste, unter der Firma der Frau, in die Badestuben begleiten. Beide Stuben sind zwar zum Schein durch eine Thür getrennt, diese ist aber nicht verschlossen. Mehr brauche ich nicht zu sagen. Die Badediener werden natürlich, wie die Dirnen, gut gelohnt, und man kann annehmen, daß die Eigenthümer der Bäder um jene Kuppelgeschäfte in ihren Localen regelmäßig wohl Nichts wissen. Vor zwei Jahren, als mehrere jener Badedirnen sich im Arrest oder im Arbeitshause befanden, wurde der unsaubere Verkehr – welcher, beiläufig bemerkt, vor 130 Jahren, namentlich in Schweden und merkwürdiger Weise unter dem Weiberfeind Carl XII. im Schwunge war – ermittelt, und mehrere der weiblichen Besucherinnen, unter andern unsere daher sogenannte Bademinna, legten offene Bekenntnisse ab, um eine frühere Entlassung dadurch zu erwirken. Die Folge war die Verhaftung und criminelle Bestrafung der Badediener, als Kuppler, während die prostituirten Frauenzimmer straflos ausgingen, ja sogar ihnen noch die anderweit verwirkte Polizeistrafe erlassen ward! Inwiefern dieses Verfahren gerecht und billig ist, braucht wohl nicht erst untersucht zu werden! –

Nach ihrer Entlassung aus dem Arbeitshause setzte Bademinna ihren vagabondirenden Wandel, nicht als Land-, so doch als Stadtstreicherin, fort, ward syphilitisch, inficirte mehrere Männer, und als diese sie deshalb bei der Polizei denuncirten, machte diese ernstliche Jagd und verhaftete sie endlich in einer bekannten Tabagie der Louisenstadt, worin nebenbei ein kleines Privatbordell gehalten ward.

Jetzt kam sie auf sechs Monate nach dem Arbeitshause und war nach ihrer im vorjährigen strengen Winter erfolgten Freilassung in der ersten Zeit so von Kleidungsstücken entblößt, daß sie in der grimmigen Nachtluft im dünnen weißen Kleide, ohne Mantel, ohne Kopfbedeckung, ja ohne ein wärmendes Tuch die F......sche Tanzhalle betrat, um dort Männer zu angeln und sich durch Preisgebung ihres Körpers kümmerlich zu nähren. Sie trank Abends Champagner, und hatte früh oder Mittags vielleicht nicht ein Stück Brot gehabt. So berühren sich im Leben der Prostituirten verschwenderischer Ueberfluß und der drückendste Mangel! Später fand sie einen etwas beständigen Liebhaber, der sie schicklich einkleidete. Gegenwärtig soll sie wieder fleißig die Badeanstalten besuchen, deren heutige Diener das Schicksal ihrer Vorgänger vergessen zu haben scheinen. –

Man darf sie nicht verwechseln mit einer andern, ebenfalls der Prostitution in jenen Bädern ergebenen Dirne, der sog. Badeguste, einem Frauenzimmer, die als Kind auf dem Köpenicker Felde gefunden und von einem Sporenmacher erzogen ward, weshalb sie auch die »Sporenmacherguste« genannt wird. Auch diese ist keine unansehnliche Dirne und war, wie die schöne Male und die Feldlotte, früher eine in und um die Kasernen am Hallischen Thore sehr gern gesehene Dirne. Die Badeguste, obschon weniger persönlich unordentlich, und wirthschaftlicher als die Bademinna, steht jedoch auch mit Dieben in Verbindung und ist namentlich in der neuesten Zeit vielfach solchen Umganges angeschuldigt worden, ohne daß man jedoch ihr bisher eine nach den Criminalgesetzen strafbare Handlung nachzuweisen im Stande gewesen ist.


XXVIII.
Sporenminna

Es giebt in Berlin eine Familie, deren Mitglieder sämmtlich mehr oder weniger mit der peinlichen Justiz in Berührung gekommen sind oder noch kommen, so daß sich dieselbe auf eine betrübende Weise in den Annalen des Verbrechens berühmt gemacht hat. Ich will sie die Familie B. nennen. Ein älterer Bruder, ein Krüppel, starb, wegen Meineids bestraft, im Arbeitshause, eine verwachsene Schwester stand wegen gleichen Verbrechens am Pranger, ein jüngerer Bruder, ein ebenfalls körperlich verunstalteter Mensch, – merkwürdige Zeichen der Natur! – ist ein berüchtigter Taschendieb, der eine früher aus Berlin verwiesene Lohndirne geehelicht hat, und jetzt sich im Zuchthause befindet, endlich das Haupt jener Familie, ein längst von seiner Profession zur Diebeshehlerei übergegangener Weber, ist – nachdem er, wie er sich selbst berühmt, 22 Criminaluntersuchungen durchgemacht und sich zwanzig Mal losgelogen hat – nach Verbüßung einer kleinen Strafe wieder vor Kurzem hierher zurückgekehrt. Er, seine Frau und sein Sohn sind gleichmäßig mit den gefährlichsten Verbrechern in fortwährender Verbindung, die Frau ist oft gestraft, der Sohn neuerdings bei der Verübung eines Einbruchs verhaftet worden. Sämmtliche B.'s haben sich von jeher zu Vigilantendiensten an die Polizei verkauft, und entsetzliches Unheil gestiftet, da sie sowohl falsch denunciren, als auch nur die Diebe verrathen, welche ihnen keinen genügenden Antheil von dem gestohlenen Gute zuwenden. Ich brauche jene Familie nicht noch näher zu beschreiben: Wenige sind, die sie nicht kennen.

Eine Schwester der Geschilderten macht eine Ausnahme, sie hat nie gestohlen oder Hehlerei getrieben, dagegen sich von früh an, – durch eine günstigere Persönlichkeit verleitet – der Prostitution ergeben. Man nennt sie Sporenminna, wegen einer Maskerade, wo sie in Palikarenstiefeln mit auffallend langen Sporen erschien. Ihr Leben bietet wenig Besonderes dar, vor dem anderer Prostituirten; ich habe sie blos ihres berüchtigten Namens und Familienanhanges wegen hier aufgenommen. Sie wohnte lange Zeit in der Schützenstraße und ward einigermaßen mit Indulgenz behandelt, – weil ihre Geschwister Vigilantendienste leisteten. Die Halle, Villa bella, u. s. w. waren die Orte, welche auch sie, namentlich in Begleitung einer kleinen Dirne, Pony genannt, oder der sogenannten Splintermarie, fleißig besuchte, ohne jedoch, wie Pony, sich einen Rausch zu trinken und dann zu Scandal Veranlassung zu geben. Ihr Bruder, der jetzt in der Strafanstalt detinirte Taschendieb, machte bei ihr den Aufwärter und besorgte für ihre zahlreichen Besucher Körbe voll Wein und dergleichen, wobei er sich natürlich nicht vergaß. Es glückte ihr jedoch, sich von diesem Leben gemeiner Preisgebung loszumachen, dessen trauriges Ende sie eingesehen zu haben scheint. Sie lernte nämlich einen Musicus oder vielmehr Componisten kennen, welcher sich ernsthaft in sie verliebte, sie geheirathet hat und mit ihr im vorigen Jahre nach Amerika gegangen ist, wo sie sich, nach den hier eingegangenen Briefen zu schließen, wohlbefindet.

Mit ihr ist eine andere Prostituirte nicht zu verwechseln, welche ebenfalls den Beinamen Sporenminna führt, auch wohl Stiefelrike genannt wird. Diese wohnt in der D.......straße und von ihr gilt das alte französische: Quel grand bonheur d'avoir un beau pied. Sie war nämlich früher eine zur niedrigsten Klasse gehörige Dirne, ihr wirklich schöner, kleiner Fuß – woher ihre Epitheta – bewirkte jedoch, daß sich ein reicher Mann für sie interessirte, und sie sofort zu seiner Mätresse machte, als welche sie heut noch in glänzenden Umständen lebt.


XXIX.
Die dicke Jeannette.

Vor etwa 25 Jahren ging ein junges Mädchen mit Aepfeln und dergleichen hier hausiren und besuchte namentlich einzelne junge Herren, welche gern von der Kleinen kauften und ihr Geschenke machten, weil sie mehr als zuvorkommend war und sich durch ein hübsches Gesicht und eine schlanke Figur auszeichnete. Jenes Aepfelmädchen hat sich in der Folge als eine Priesterin der Prostitution sehr bekannt gemacht und huldigt noch heut – nach einem Vierteljahrhundert – diesem Gewerbe, obschon ihr heutiges Embonpoint, welches sie zu einem Riesenexemplar der weiblichen Schöpfung stempelt, zu der frühern jugendlichen Gestalt in keinem andern Verhältniß steht, als ein Riesenteleskop zu einem Operngucker.

Nachdem sie – die wir Jeannette nennen wollen – also den Hausirhandel, wie so viele Andere, als Deckmantel der Prostitution lange genug getrieben hatte, ging sie nach Hamburg, wo sie von einem Kaufmann unterhalten ward, jedoch den polizeilichen Ausweisungsbefehl erhielt, sobald die Frau des Kaufmanns das Verhältniß gemerkt und davon bei dem Senat Anzeige gemacht hatte. In Berlin trieb sie sich nun verschiedentlich in Kneipen herum oder ward von Zeit zu Zeit ausgehalten, bis sie zuletzt einen Pinsel von Fuhrmann so bethörte, daß derselbe sie zu heirathen beschloß. Die Heirath ging vor sich und Jeannette ward Madame und eine ansehnliche Fuhrmannsfrau. Jetzt trieb sie es noch ärger als vorher, da die Polizei der Frau eines Bürgers weit weniger gefährlich ist, als einer ledigen Lohndirne. Sie machte mit ihrem Gelichter – und schlechte Bekanntschaften hat sie immer im vollen Maße gehabt – Ausflüge und Landpartieen, die ihr Ehemann bezahlen und dabei den Kutscher spielen mußte, ohne daß Madame sich im Entferntesten genirte oder ihn je anders, als ihren Hausknecht behandelte. Er war, wie gesagt, ein Tropf, deshalb vergeudete er sein Geld mit ihr und ging zuletzt Schulden halber in alle Welt – man sagt, nach Nordamerika, – worauf sich seine Frau wegen böslicher Verlassung von ihm trennen ließ.

Der Geschmack an großen Landpartieen, Geburtsfesten u. s. w. ist der Jeannette geblieben. So war es, wie schon erwähnt, eine solche Gelegenheit, bei welcher sie sich jedes Mal sehr ausschweifend beträgt, in Moabit, wo sie die Blumencaroline verlobte. Auch hat sie neuerdings in einem berüchtigten Locale vor einem Thore ihren Geburtstag gefeiert, wozu an 150 Prostituirte und deren Anhang eingeladen gewesen sind und wobei man bis des andern Morgens 7 Uhr sich allen Ausschweifungen ergeben hat. Dieses Fest – wenn auch nur durch Kümmel und Weißbier gewürzt – soll ihr dennoch mit Musik, Decoration u. s. w. über 150 Thlr. gekostet haben, worüber man sich nicht wundern darf, da sie von jeher verschuldet gewesen ist, denn sie ist leichtsinnig und schätzt das Geld nicht, daher ist es selten, daß eine Prostituirte oder ein Gestrafter aus ihrer Bekanntschaft zum Arrest kommt, ohne daß sie sich nicht bestrebt, ihm Eßwaaren, Tabak u. s. w. zukommen zu lassen.

Sie soll in Dessau einen alten Liebhaber haben, zu dem sie jährlich einige Male hinreist und welcher sie sehr ansehnlich honorirt. Zur Zeit lebt sie mit einem Gewerbsmann zusammen, den sie ihren Bräutigam nennt, dabei aber die Prostitution – jedoch nur in ihrer Behausung – fortsetzt.

Als Kupplerin ist sie nicht bekannt, dagegen hat sie mit der strafenden Justiz einmal eine unangenehme Bekanntschaft gemacht, als sie nämlich einen ihr versiegelten Secretär – – welchen der Executor abholen wollte – vor seinen Augen mit einem Beil in Stücke zerschlug und den vor der Heroine erschrockenen Mann des Gerichts selbst thätlich insultirte.

Bemerken will ich noch, daß man sie nicht zu verwechseln hat mit einer weit jüngeren und kleinen Jeannette, die von früh an, durch zwei Studenten verführt, dieselbe Bahn eingeschlagen hat, wie die oben beschriebene. Jene kleine Jeannette wird auch »der Stallmeister« genannt, da sie bei einer Reiterbande eine Zeit lang zu Vorstellungen verwendet ward, und ist häufig in Buden auf dem Markt, in Ausstellungen und den Ateliers der Künstler zu finden, von denen sie, wie zwei ältere Schwestern, als Modellsteherin benutzt wird, – übrigens eine Art der Nutznießung von ihrem Körper, zu welcher sich nur gemeine Dirnen hergeben, oder welche unwissende Geschöpfe zuletzt sicher zur Prostitution führt.


XXX.
Die ungetreue Jette.

Eine sehr große, starke Figur, welche jetzt ziemlich verlebt und aus der Mode gekommen ist.

Auch sie begann – wie so unendlich viele Prostituirte – als Kind mit dem Hausirhandel mit Obst, Radieschen u. s. w. – weshalb sie auch in ihrer frühern Jugend » Radieserjette« genannt wurde. Hierdurch kam sie mit Garçons in Berührung, ja suchte dieselben auf, weil sie das niedliche Mädchen gut bezahlten – und ward auf diese Weise frühzeitig deflorirt und eine öffentliche Dirne. Jedoch trieb sie ihr Wesen weniger auf der Straße, als in den Tanzlocalen, wo sie in ihrer Blüthenzeit viel Aufsehn erregte. Wegen der Unbeständigkeit in ihren Liebschaften erhielt sie den Namen »ungetreue Jette«, wird jedoch jetzt mehr »Kellerjette« genannt, weil sie nach ihrem Abtreten vom Schauplatz der Prostitution eine Zeit lang einen Obstkeller gemiethet hatte. Doch glaube ich, ist diese Derivation unrichtig, man nannte sie schon früher »Kellerjette«, ehe sie jenes Geschäft unternahm, und zwar deshalb, weil sie die Pickenicks und Tanzvergnügungen in den Kellern der Victualienhändler fleißig besuchte.

Vor etwa 12 Jahren – wo sie ihren Culminationspunkt erreicht hatte – bestand in der Königsstraße, unweit der Königsmauer, ein bekannter Tanzboden, wo alle Wochen zwei Mal sogenannte Tanzstunde gehalten ward. Die Tanzstunde war aber Nebensache; denn die Theilnehmer kamen deshalb hin, – um sich zu prügeln. Namentlich fanden schon von alter Zeit her hier, immer heftige Balgereien zwischen den Studenten und den sogenannten Philistern Statt, welche häufig schon des Morgens auf der Universität u. s. w. vorher angesagt wurden, und zuweilen sehr blutig endeten, ja, mitunter nicht blos in dem Tanzlocal, sondern auch auf dem Hofe, auf der Straße und bis tief in die Königsmauer hinein spielten.

Bei jenen Tanzlustbarkeiten war Jette fast immer gegenwärtig und da sie wirklich eine Virago ist, hatte sie auch Nichts zu fürchten. Oefters erschien sie in Männerkleidern – vollkommen einem Manne ähnlich – und rauchte ihre Pfeife, – Cigarren waren damals noch nicht so allgemein üblich, als jetzt, – und trank ihren Spanischbittern, wie eine Mannsperson.

Ich finde, daß die Prostituirten einen eigenen Hang haben, sich in Männerkleidern zu zeigen, ja, ich habe diesen Hang auch bei andern Frauenzimmern bemerkt. So erinnere ich mich, wie vor zwei Jahren eines Abends auf der F......schen Halle zwei Dirnen, die L..y und die K..e als Herren gekleidet, mit Sporen und Reitgerten erschienen und eine ganze Weile für Masculina angesehen wurden. Aber kaum war das Genus entdeckt – dieser Spectakel! – so wollte man sich auch von der Richtigkeit der Entdeckung ad oculos überzeugen! Kurz, die Sache endete schlecht, die metamorphosirten Vestalinnen wurden – um das Aergerniß nur zu stillen – verhaftet und kamen in ihren Fracks und Inexpressibles in den Polizeiarrest, von wo sie – wenn ich nicht irre – zur Belohnung für ihren Heldenmuth auf einige Monate dem Arbeitshause überwiesen wurden. Die Polizei ist jetzt strenger als vor 12-15 Jahren, wo Jette noch Mann spielte, denn daraus kann nie etwas Gutes werden, wenn die Weiber die Hosen haben! Hier bin ich Opponent gegen den alten Kaiser Napoleon, welcher 1815 gesagt haben soll: »Die Herzogin von A. ist die einzige Person ihres Hauses, welche verdient, Hosen zu tragen

Nachdem Jette nun in dieser Weise viele Jahre die Gefeierte auf den Tanzböden und in den Tanzkellern gewesen war, scheint sie jetzt Abschied vom Leben nehmen zu wollen. Sie erscheint nicht mehr öffentlich und soll eine Schneiderin geworden sein. Doch giebt es noch viele alte und junge Sünder, bei denen sie ein Stipendium genießt, und welche von ihrer herculischen Gestalt und ihren musculösen Formen sich begeistern lassen.

Fast scheint es, als ob ihr Schicksal besser sei, als das der übrigen ausgedienten Lustdirnen, da sie seit langen Jahren mit der Polizei Nichts zu thun gehabt hat.


XXXI.
Die Wittwe G....l und ihre Tochter Auguste.

Wenn ich die Wittwe G. in den Reihen der Prostituirten mit einem kurzen Hinblick auf ihr Treiben auftreten lasse, so geschieht es, obschon sie kürzlich an einem organischen Herzleiden in der Charité verstorben ist, doch nur deshalb, weil

1) ihre Tochter Auguste noch lebt und sich Männern der schlechtesten Klasse – den Dieben – preisgiebt,

2) um einen Beleg mehr für die tiefgesunkene Sittlichkeit zu geben, welche in den niedrigen Classen nicht einmal jener Hülle zu bedürfen vermeint, welche die gebildetern Stände als Deckmantel um ihre Ausschweifungen zu hängen pflegen.

Die Wittwe G. – wenn schon äußerst vernachlässigt von Mutter Natur – trieb sich von Jugend auf mit liederlichem Gesindel umher und ward, kaum 15 Jahre alt und noch nicht confirmirt, beschwängert. Möglich, daß diese frühe Geburt die körperliche Entwickelung bei ihr gehemmt und gehindert, und Veranlassung zu jenem siechen Wesen gegeben hat, welches bewirkte, daß man sie im dreißigsten Jahre für eine angehende Fünfzigerin hielt.

Die Erziehung ihres Kindes vernachlässigte sie sehr, da sie von jeher diebischen Verkehr unterhielt und oft 3-4 Subjekte heimlich in ihrer Wohnung beherbergte, welche den Lebensunterhalt schaffen mußten und deren Zuhalterin sie dafür war. Endlich lebte sie kurze Zeit mit einem solchen Kerl im Concubinat, – ob die spätere Trauung erfolgte, weiß ich nicht, jedoch nannte sie sich, als er im Delirium schleunigst gestorben war, Wittwe. Auch ihre Tochter erbte den Namen des angeblichen Ehemannes. Ich bemerke, daß es bei dieser niedern Klasse sehr gewöhnlich ist, daß die außer der Ehe erzeugten Kinder drei Namen führen, den der Mutter, ihres angeblichen Schwängerers und des späteren Ehemannes derselben, wenn es ihr nämlich gelingt, einen solchen zu finden, der sich dann in der Regel sehr wenig daraus macht, ob der vorher gezeugte wilde Sprößling seinen oder einen andern Namen anzunehmen für gut hält. Erbrechte werden hierdurch doch nicht verletzt, da alle Theile Nichts hinterlassen, und das Arbeitshaus, die Charité oder die Strafanstalt die Retirade für die spätem Jahre sind.

Auguste hatte also von Jugend auf das schlechteste Beispiel vor Augen, und da ihre Mutter sich nicht schämte, in der kleinen, engen Stube, oder in dem feuchten Keller, wo sie zu wohnen genöthigt war, in Gegenwart der Tochter sich ihren Zuhaltern preiszugeben, so ward die Letztere auch früh gegen sittliche Gefühle abgestumpft und trieb bald mit der Mutter gemeinschaftlich, in derselben armseligen Wohnstube oder Kammer, ihr unzüchtiges Wesen.

Der Verkehr der G. mit Dieben aller Art, die entstehenden Feindseligkeiten zwischen ihr und diesen, oder der Neid, wenn dieselben ihren Erwerb mit andern Dirnen durchbrachten, führte die G. zu Verbindungen mit der Polizei, sie vigilirte und denuncirte, und ward von Denen, die sie angeschwärzt hatte, natürlich ebenfalls wieder verrathen, und so kam sie zu Arrest, Untersuchungen und Strafen.

In den letzten Jahren ihres Lebens hielt sie und ihre Tochter es mit dem eigentlich schmutzigsten Theil der Verbrecherwelt. Namentlich war es der als ein gemeiner Dieb bekannte Zimmergeselle S., mit welchem sie zu Zeiten im Concubinat lebte, welches die Revierpolizei oft, aber vergebens, zu hindern suchte, da er sich zum Schein als Aftermiether der G. oder in einer fremden Wohnung anmeldete und doch bei ihr als Kostgänger verblieb. Nachdem sie es mit diesem verdorben hatte, weil sie nebenbei noch mehrere schlechte Bekanntschaften fortsetzte, wurden endlich drei fast noch unreife Burschen, die bereits Diebstahlsstrafen erlitten hatten, ihre heimlichen Schlafburschen. Dies waren der aus der Lehre entlaufene H. aus Charlottenburg, ein Tagedieb Namens Go. und der Goldplätter B., mit welchem sie gemeinschaftlich auf Vigilanz ausging und einige Groschen durch Anzeige von wahren oder unwahren Verbrechen und deren Thätern zu verdienen suchte. Die Polizei sah ein, daß jene drei männlichen Subjekte mehr Schaden als Nutzen stifteten, und steckte sie ein. Beiläufig gesagt, war der Goldplätter B. schon früher als Denunciant gegen die G. aufgetreten und hatte im Polizeiverhör sich wechselseitig mit ihr in das Gesicht gespieen.

Es ist derselbe, der später, als angeblicher Anzünder des Opernhauses, die Rolle des modernen Herostratus spielen wollte, und nach einer langen Untersuchung mit vorläufiger Freisprechung und 30 Hieben für seine Lügen entlassen ward. Das Motiv jener von ihm mehrfach widerrufenen und wiederholten Selbstanklage ist sehr einfach. Als Vigilant hatte er im Polizeiarrest von seinen Mitgefangenen barbarische Schläge bekommen. Diese abermals erwartend und vor dem Arbeitshause deshalb noch mehr besorgt, sah er sich genöthigt – da ihm bei gänzlichem Mangel an Kleidung, Nahrung und Obdach keine Wahl, als die freiwillige Meldung zum Arrest übrig blieb, – auf eine Finte zu sinnen, um nach dem Criminalarrest zu kommen, wo ungleich weniger Angeklagte in einer Gefängnißnummer sitzen und wo er bessere Kost, einen Strohsack und eine warme Decke erhielt, welcher Vergünstigung die Polizeiarrestaten, die auf der Diele nächtigen müssen, entbehren. Obschon nach seiner Entlassung ein hochgestellter und hochachtbarer Mann sich für ein gutes Unterkommen für B. verwendete, so hielt derselbe bei seinem eingewurzelten Hange zur Liederlichkeit dennoch darin nicht aus und ist zur Zeit wieder wegen eines Diebstahls in Haft. Was die beiden andern Liebhaber der Wittwe G. und ihrer Tochter betrifft, so ist W. im Strafarrest und Go. hat sich im Gefängniß neulich erhängt.

Die G. hatte bald neue Liebhaber, einen Schneidergesellen H. und einen Arbeiter S. Mit ihnen trieb sie ihr Wesen so lange, bis der Seidenwirkergeselle B., den sie fälschlich denuncirt hatte, gegen ihre und ihrer Tochter Zuhalter einen gewaltsamen Diebstahl zur Anzeige brachte, in Folge dessen die Thäter, so wie die G. und ihre Tochter, als Mitwisser eingezogen wurden. Nachdem sie längere Zeit im Criminalarrest gesessen, ward sie mit ihrer Tochter zwar wieder freigelassen, weil ein Straferkenntniß gegen Beide nicht begründet erschien, indessen hatte die lange Haft ihre Krankheit zur Reife gebracht, welcher sie unterlegen ist. Die Tochter treibt sich, wie vorher, auf den Straßen umher.


XXXII.
Die Schwestern Alwine und Marie.

Wenn Du, geneigter Leser, zwei große, schlanke, blonde Damen, von unverkennbarer Ähnlichkeit, mit reichem Putz, goldenen Ketten, phantastischen Schleiern u. s. w. überhangen, zuweilen die R...straße oder G.........straße promeniren siehst, dann halte sie nicht für das, was sie scheinen, ein Paar sittenstolze, kalte Schönen, – nein! es sind Töchter der Freude – die kalte Ruhe, der strenge Blick ist studirt, ist nur Maske, und wenn ich auch nicht behaupten will, daß jene Schwestern zu der bisher besprochenen schlechten Sorte der öffentlichen Frauenzimmer gehören, so sind sie doch nichts mehr und nichts weniger, als Priesterinnen der Prostitution, da sie ausschließlich von dem Verkauf ihrer Gunstbezeigungen subsistiren. Sie sind von anständigem Herkommen, aber durch frühzeitige Selbstständigkeit, verwahrloste Erziehung und durch die Macht der in ihrer Umgebung befindlich gewesenen bösen Beispiele von Jugend an auf den Erwerb ihres Körpers angewiesen worden. Der Menschenfreund bedauert namentlich die jüngere der Schwestern, welche, einem bessern natürlichen Gefühl folgend, die Rücksicht für den öffentlichen Anstand und die öffentliche Sitte auch da nicht vergessen, wo sie sonst in der Regel aufhört, – ich meine in jenen Tanzlocalen der feinern Phrynen, welche an die Stelle der im Jahre 1840 aufgehobenen Bordelle der ersten Classe getreten sind. Wegen dieser Anständigkeit sind daher jene Schwestern, welche nebenbei fleißig arbeiten, auch vor der Polizei geschützt, und haben einen gewähltern Umgang, ja die ältere soll sogar einem Liebhaber, aus reiner Anhänglichkeit, nach Stettin gefolgt sein. Das will ich übrigens ununtersucht lassen, denn der Grundsatz aller Prostituirten ohne Unterschied ist: Geld; wie Horaz in der ersten Epistel ausruft:

– »quaerenda pecunia primum est,
Virtus post nummos

Die Liebe nach dem Gelde. Jetzt hat Alwine einen alten, reichen Rentier – (in Berlin giebt es nämlich Viele, die sich Rentier schimpfen lassen, ohne auch nur einen Thaler Rente zu besitzen) – im Netz, bei welchem sie täglich Visite abstatten muß. Ich dächte, der alte Herr thäte wohl daran, sich etwas zu geniren, da er sich vor den im gegenüber belegenen Laden dispensirenden jungen Mädchen sehr lächerlich gemacht hat und ausgelacht wird. Dagegen hat Marie einen jungen Anbeter, welcher sie förmlich entreteniren soll und sogar zu heirathen versprochen hat. Auch Alwine hat sich einen Militair angeschafft, den sie ebenfalls für ihren Bräutigam ausgiebt. Ich habe schon Gelegenheit gehabt, zu bemerken, was dieses Wort jetzt in Berlin bedeutet. Diese Gebrauchsweise war unsern Vorfahren fremd, und »Braut und Bräutigam« für sie ehrwürdige, ja heilige Begriffe. Was soll man von den sittlichen Ansichten einer Zeit, von der Achtung des Ehebündnisses noch halten, wenn der Ehrentitel eines Verlobten dem augenblicklichen Liebhaber einer prostituirten Dirne ertheilt wird, ohne daß man sich darüber nur wundert!


XXXIII.
Giebt es noch Studentendirnen in Berlin?

Ich habe diese Frage bereits in der Biographie der »Studenten-Cläre« ventilirt, komme aber noch ein Mal darauf zurück, indem ich sie mit » Nein« beantworte.

Jene Exclusivität der feilen Mädchen für eine ganz bestimmte, zu einem speciellen Lebensberuf sich heranbildende Klasse der Jugend findet nicht mehr – zur Ehre der Studenten in Berlin – Statt. Damit will ich aber nicht etwa gesagt haben, als ob die Berliner Studenten alle Karthäuser geworden wären, – ich sage nur, die kastenartige Beschränkung der Prostituirten auf die akademische Jugend hat aufgehört vor der Kraft des Alles amalgamirenden und egalisirenden Zeitgeistes.

Wer sonst keine Gelegenheiten hat und seine Bekanntschaften nicht gerade auf der Gasse anknüpfen will, der besucht jene bekannten Tanzböden, wo die feinere Prostitution sich ihm auf- und entgegendrängt. Diese, wie ich bereits gesagt, seit 1840 sich herausgebildeten Anstalten sind jetzt für den Studenten, wie für den Handlungsdiener, für den Künstler, Professionisten, Beamten, Rentier, Tage- und Taschendieb, kurz für Jeden, der einigermaßen anständig gekleidet geht, und 10 Sgr. Entree in der Tasche hat, die Réunion's, um dort seine galanten Abenteuer vorzubereiten. Die Dirnen jener Assembleen machen daher keinen Standesunterschied mehr, wie sonst – wer am besten bezahlen kann, ist der Glücklichste. Oder sollte es wahr sein, wie alte Berliner sagen, – daß die Studenten nicht mehr so viel Geld verzehrten, als früher, da reiche Leute ihre Söhne nicht hierher schickten, und die armen Teufel selbstredend Nichts zu verschenken hätten? Diese Frage kann ich nicht entscheiden.

In jener alten Studentenzeit, bei dem sogenannten Onkel, waren außer der Clara es besonders zwei Dirnen, die in ihrer Jugend sehr florirt haben, und denen es merkwürdigerweise jetzt sehr gut geht.

Die Eine war die Droschken-Emilie oder das Droschkenpferd, wegen ihres derben Auftretens so genannt, die andere der schlappe Anton, deren Name einem unsaubern Vorfalle seine Entstehung verdanken soll. Beide waren tapfere Zecher und tranken manchen Fuchs zu Boden. Damals war es auch noch nicht Mode, auf den Tanzsälen blos Champagner zu trinken, wie es die heutigen Phrynen verlangen, welche zuweilen Dem schnöde den Rücken zukehren, der ihnen blos Rothwein vorsetzt. Ein Glas Grog, eine Baiersche, wirkte damals Alles, und wer sich schon bis zum Rothwein verstieg, der wurde für einen Verschwender gehalten. Die Droschken-Emilie hat sich vor mehrern Jahren schon mit einem wohlhabenden Manne verheirathet und lebt häuslich und zufrieden. Dem schlappen Anton war zwar ein so glänzendes Loos nicht beschieden, jedoch ist dieselbe an einen ehrbaren Schuster vermählt, der zwar nach den Flitterwochen oft genöthigt war, den Spannriem zu gebrauchen, sich aber jetzt mit seiner Frau vertragen soll, die ihren Ansprüchen an ein lockeres und lustiges Leben mit den vorrückenden Jahren entsagt zu haben scheint.


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