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IV.
Kurze Andeutungen der nächsten Mittel, um der gesunkenen Sittlichkeit aufzuhelfen.


Nach den Forderungen der Philosophie, wie nach den Principien der Moral darf der Staat, als eine auf sittlichen Basen ruhende Gemeinschaft, kein Laster autorisiren oder demselben Vorschub gewähren. So wie es sich daher aus diesen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen läßt, wenn das Hazardspiel besteuert, wenn Lotterieen zum Zweck der Befriedigung der Gewinnsucht geduldet, oder wenn der Trunk befördert wird, dadurch, daß der Staat oder die in demselben monopolisirten Corporationen den Spiritus an Geldes Statt unter ihre Arbeiter vertheilen: eben so wenig kann man es auch in abstracto gut heißen, wenn der Staat die Preisgebung gegen Entgeld tolerirt. Allein das menschliche Leben und alle seine Einrichtungen sind unvollkommen und so wird es bleiben. Diese Unvollkommenheit aller menschlichen Verhältnisse fordert ihre Berücksichtigung ebensowohl in der moralischen, wie in der physischen Welt. Daher giebt es gewisse Dinge, – ich möchte sie faits accomplis, oder moralische Nothwendigkeiten, noch besser: nothwendige Uebel nennen, – welche, wie das Gift in der Natur, zu Ableitern anderer, eventuell schlimmerer Erscheinungen dienen müssen. Diese unleugbaren Thatsachen haben alle Staatslehrer und alle Politiker – wenn auch in sehr zu beschränkendem Grade – anerkennen müssen, wobei ich freilich eine gewisse Richtung ausnehme, ich meine nämlich Die, welche den Staat auf die Kirche pfropfen und die Menschen nolentes volentes zu Heiligen machen wollen.

Als ein nothwendiges Uebel hat die Staatspolitik bisher die Prostitution angesehen, und indem sie sich überzeugte, daß sie dieselbe nie ausrotten könne, sie unter gewissen Umständen geduldet! – um dadurch der noch viel schädlichern Winkelhurerei einen Damm entgegenzusetzen und die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten möglichst zu verhindern.

Diese Politik hat Preußen aufgegeben, während dieselbe noch in vielen, ja, den meisten civilisirten Ländern, in Frankreich, England, Belgien, den Hansestädten u. s. w. maßgebend ist und, wie man annehmen kann, bleiben wird.

Die Ideen, von denen die preußische Verwaltung ausgegangen ist, als sie das Institut der geduldeten Prostitution aufhob, sind ihrer Natur nach löblich, und dem Princip der Sittlichkeit entsprechend. Ob dieselben aber den gehofften praktischen Erfolg haben werden und haben können, bezweifele ich und ich glaube, nicht ohne Grund. Wenn es erfahrungsmäßig ist, daß

seit dem 1. Jan. d. J. – wo jene Ideen realisirt worden sind – die sog. Winkelhurerei bei Weitem mehr überhand genommen hat und überhand nehmen mußte, – weil begreiflicher Weise nicht der Grund der öffentlichen Preisgebung, sondern nur eine bestimmte Art derselben weggefallen ist, und weil jetzt die Winkelhurenwirthschaft und die selbstständige Prostitution einen größern Erwerb darbieten, als zur Zeit der denselben zum größten Theil für sich in Anspruch nehmenden tolerirten Häuser, –

wenn ferner die Aerzte nicht lügen, welche sagen,

daß die Syphilis jetzt mehr um sich greife, als seit zwanzig Jahren, – weil keine gesundheitspolizeilichen Visitationen der feilen Weiber mehr Statt finden, –

so sind jene beiden Erscheinungen, deren sichtliche in- und extensive Vergrößerung seit dem 1. Jan. 1846 nicht bestritten werden kann, nur als die Folgen jener Maßregel zu betrachten, welche der tolerirten Prostitution ihr Ende machte. Man wende mir nicht ein, daß ich als ein Champion jener verderblichen öffentlichen Preisgebung auftrete. In gewissen Fällen schadet die geduldete Prostitution mehr, als sie nutzt. Sie trägt schamlos ihr eigenes Aushängeschild der Verlockung und Verführung zur Unzucht zur Schau, und dagegen schützt keine noch so strenge Bordellordnung, selbst wenn in jedem derartigen Hause ein Polizeibedienter zur Aufrechthaltung der Bordellgesetze angestellt würde. Die öffentlichen Freudenhäuser verderben manchen Jüngling, manchen Knaben, – der vielleicht der Winkeldirne nicht unterlegen wäre, – und ruiniren Geist, Gesundheit und Vermögen. Das öffentliche Lusthaus ist die Retirade für die liederliche Dirne, – welche ungescheut ihr Wesen so lange treibt, bis die Polizei gegen sie einschreitet und ihrem verwerflichen Wandel durch längere oder kürzere Einsperrung ein Ende zu machen sucht, welcher sie aber vorsichtig entgeht, indem sie sich von der privilegirten Kupplerin dingen läßt. Alle diese und andere Nachtheile der Bordelle kenne ich wohl, dessenungeachtet bin ich aber doch keiner andern Meinung, als daß die Aufhebung derselben Nichts, als ein Compliment gegen den Zeitgeist, als eine Deferenz gegen die nicht von der Prostitution befleckten Gemüther gewesen ist, ohne die essentiellen Ursachen und Erscheinungen jenes Lasters selbst wirksam angreifen zu können. Funfzehn Tausend liederliche Dirnen, nach Aufhebung der tolerirten Häuser, sind keine kleine Zahl. Zahlen frappiren, aber sie beweisen auch, wenn das wirkliche Leben, wenn die Straße, der Tanzboden, die öffentlichen Orte, ja, die Erscheinungen in den einzelnen Wohnhäusern Berlins selbst so überzeugend reden.

Das Gift, das Unkraut, welches geheim wuchert, ist weit verderblicher, als wo die Warnungstafel davor steht. Die polizeilich nicht controlirte Prostitution wirkt physisch durch Verbreitung der venerischen Giftstoffe weit schlimmer, als da, wo Ableitungskanäle der Infection gezogen sind, wo ärztliche Ueberwachung jenes im regelwidrigen Geschlechtsgenusse unvermeidlichen Ansteckungsstoffes Statt findet.

Vergleichen wir das öffentliche Haus mit der Privatprostitution. Als Berlin noch seine Suburra hatte, war gesetzlich die Preisgebung in jenen Localen nur zulässig, welche unter Aufsicht der Polizei standen. Als die feinern, anständigern Bordelle in der Krausen-, Friedrichs-, Petristraße, der Friedrichsgracht u. s. w. und eine größere Zahl auf eigene, Hand sitzender Prostituirten noch bestanden, war die Anzahl der Winkeldirnen in Berlin gegen jetzt verhältnißmäßig auf ein Fünftheil reducirt, weil begreiflicherweise Jeder eine der ärztlichen Controle unterliegende Frauensperson einer solchen vorzog, für deren Gesundheitszustand jene Präsumtionen nicht vorhanden waren.

Daher war von solchen Tanzlocalen, wie sie seit einigen Jahren Mode geworden sind, von einem so empörenden Gassen- und Straßenverkehr der prostituirten Dirnen, von der Preisgebung in Wein- und Bierkneipen damals wenig die Rede, denn – die Mätressen wohnen zurückgezogen, befleißigen sich einer gewissen äußern Anständigkeit und wirken daher weniger störend auf das große Publicum, als die herumtreibenden Lohndirnen.

Erst als – im Jahre 1840 am 1. April – die geduldete Prostitution blos auf die Königsmauer beschränkt wurde, auf eine Localität, welche äußerlich einigermaßen anständige Männer zu besuchen Bedenken trugen, – erhob die Winkel- und Straßenhurerei ihr Haupt, täglich entstanden neue Winkeldirnen, jene berüchtigten Locale tauchten auf, und man machte von da ab schon die Erfahrungen, – wenn man sie nämlich beherzigen wollte, – daß die im Geheimen betriebene Preisgebung die Gesundheit, die Sitten, das Vermögen ihrer Anhänger mehr und schrecklicher zerütte, als die tolerirte Prostitution, die in jedem Augenblick der strengen polizeilichen Einschreitung unterlag. Namentlich aber waren Diebstähle gegen die in Bordellen einkehrenden, häufig angetrunkenen Männer viel seltener, als bei Privatlohndirnen, weil der Bordellwirth im Zweifel als Theilnehmer am Diebstahl angesehen ward. Wenn also mit der Beschränkung der gewerbsmäßigen Unzucht auf die Königsmauer schon die viel verwerflichere Winkelprostitution erst recht ins Leben gerufen ward, so muß dies in nothwendiger Folgerichtigkeit um so mehr noch der Fall sein, wenn die öffentliche Prostitution überhaupt gänzlich verboten ist.

Die Aufhebung derselben ist daher von gesundheitspolizeilichen Nachtheilen,

von dem Ueberhandnehmen der Winkelhurerei und Kuppelei in allen Formen und Gestalten,

von der allgemeinen Demoralisation, namentlich des weiblichen Geschlechts,

von der öffentlichen Zuchtlosigkeit und

dem dadurch gegebenen bösen Exempel

begleitet, während es umgekehrt in die Augen springt, daß die Prostitution, auf gewisse Orte und Bezirke gebannt und streng controlirt, als ein Ableiter größerer Uebel für die öffentliche Sittlichkeit von unberechenbar wohltätigen Folgen ist.

Freilich dürfen jene Prostituirte nicht – wie in Paris und London – öffentlich und ohne gène ihrem Gewerbe nachlaufen und an öffentlichen Orten sich umhertreiben können, die Prostituirte muß – wie in Rom und wie das Landrecht anordnet – zurückgebannt in abwegsam gelegene Straßen oder Plätze, und dort noch hinter das vergitterte Fenster verborgen bleiben, während sich von selbst versteht, daß die Einrichtung je nach Stand und Vermögen der Besucher, also hiernach auch der Preis bestimmt sein muß.

Gern bescheidet sich der Verfasser dieser Zeilen, wenn – vor der Hand – ein anderes Mittel gefunden werden kann, um der immer tiefer gehenden und Grund fassenden Prostitution und allen ihren schrecklichen Folgen entgegenzuarbeiten. Allein er hat bis jetzt keines gefunden, und ist – im Einverständnisse mit vielen tüchtigen Aerzten – der Ansicht, daß das vorgeschlagene zur Zeit das einzig anwendbare ist.

Gerade aber bei dieser Frage hat der Arzt die erste Stimme, nicht der Prediger oder Moralphilosoph, weil das höchste Gut des Lebens, die Gesundheit, und nicht blos der jetzigen, sondern auch der folgenden Generationen hier am meisten beteiligt ist.

Mancher wird vielleicht sagen, die Verwaltung könne nicht mehr zurück, sie würde sich durch Duldung der mit so großer Strenge aufgehobenen öffentlichen Prostitution ein Dementi geben. Solche Aeußerungen sind perfide. Wenn die Verwaltung einsieht, daß eine Maßregel schädlich wirkt, so nimmt sie dieselbe zurück; so geschieht es mit Gesetzen und Polizeiverordnungen, und eine so aufgeklärte, freisinnige Regierung, wie die preußische ist, hat am wenigsten die ungerechten Beschuldigungen von sogenannten »Dementi's« zu fürchten. Durch die Toleration der Prostitution – in den gehörigen Schranken, welche das freisinnige Allg. Landrecht gezogen hat – erhält aber die Polizei in Rücksicht auf die verbotene Preisgebung oder Winkelhurerei und Winkelkuppelei eine ganz andere Kraft, als sie jetzt hat. Die Polizei kann den Naturtrieben der Coelibes nicht gebieten, dies muß sie einsehen und daher gegen die Winkeldirnen jetzt ein Auge zudrücken, sonst wäre ja das schamlose öffentliche Auftreten derselben unerklärlich. Duldet sie die Prostitution, dann vermag sie aber auch – wenn sie will – diesem Winkeltreiben in allen Gestalten Einhalt zu thun, und die strengen Strafgesetze des Landrechts aufrecht und in Ansehen zu erhalten. Etwas Unmögliches zu gebieten, oder eine Verordnung zu erlassen, deren Uebertretung man zu conniviren genöthigt ist, bleibt immer ein großer Uebelstand, und raubt den Behörden ihre Autorität. Sind unsere socialen Reformen freilich dereinst dahin gediehen, daß die Nahrungsquellen des Staats jedem seiner Bürger gestatten, zur Zeit der männlichen Reife eine eheliche Verbindung einzugehen, – was jedoch wohl ein pium desiderium bleiben wird! – dann ist es an der Zeit, die Prostitution zu verbieten und mit der schärfsten Strafe zu bedrohen. – Hiergegen wird eingewendet, in Wien und Dresden – zwei deutsche Residenzen – ist die Prostitution verboten und die Sittlichkeit besser, als hier. Die Prostitution, wenn sie geduldet wird, gebiert erst die Unsitte und das Laster.

Was Wien anbetrifft, so möchte ich zwar behaupten, – wegen der besondern inneren Hülfs- und Nahrungsquellen, wegen des Nationalvermögens, welches Oesterreich vor andern Ländern voraus hat, – daß die Sittlichkeit dort noch nicht so verderbt ist, als in Berlin, allein, wenn selbstredend auch der Grund der Prostitution dort in weit geringerm Grade vorhanden ist, als hier oder in London und Paris, so weiß doch Jeder, welcher Wien kennen zu lernen Gelegenheit hatte, daß eine fast unglaubliche Menge von Winkelkuppeleien und Absteigequartieren dort zu finden ist, und daß namentlich die sogenannte feinere Preisgebung daselbst alle Verhältnisse durchdrungen hat, wenn auch jene ordinären Erscheinungen derselben sich in Wien, bei der großen Strenge der österreichischen Polizei, weniger manifestiren, als hier in Berlin der Fall ist. Ueberhaupt liegt Vieles hiervon in dem Charakterunterschied der Wiener und Berliner begründet. Dasselbe könnte man von Dresden sagen, welches Privatkuppeleien zum Ueberfluß hat. Allein Dresden ist immer nur eine Stadt zweiten oder dritten Ranges, und rücksichtlich jener großartigen Bevölkerung, des Fremdenverkehrs, der steigenden Einwohnerzahl, des Proletariats und seiner Folgen: der Verbrechen und der Prostitution, nicht mit Berlin oder andern Großstädten in Parallele zu bringen.

Ich schließe diese Andeutungen mit dem Bemerken, daß ich mein Urtheil gern suspendiren will, sofern es ein besseres Mittel giebt, der gesunkenen Moralität zu helfen, wobei ich freilich meine in der wirklichen Welt gesammelten Erfahrungen mit den müßigen Tiraden und Kopfhängereien des Pietismus nicht in Einklang bringen kann. Das nun Folgende wird lehren, ob ich mich factischer Uebertreibungen schuldig gemacht habe.


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