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»Jeder Mensch ist von der Natur verpflichtet, die Triebe und Kräfte, welche sie in ihn gelegt hat, ihrer Bestimmung gemäß auszubilden und zu benutzen. Jeder in einer Staatsgesellschaft lebende, von ihren Vortheilen participirende Mensch ist demgemäß auch schuldig, nach seinen Kräften zum gemeinen Besten beizutragen und die in ihn gelegten Triebe unter den Bedingungen zur Reife zu bringen, welche die gesellschaftliche Verbindung nothwendig macht. Weil aber die äußere Sicherheit und der innere Wohlstand eines Staatsverbandes von einer so zahlreichen Volksmenge abhängig ist, als derselbe von seinen eigenen Naturgütern oder durch seine Mittel, die Bedürfnisse von Auswärtigen einzutauschen, ernähren kann: so folgt hieraus auch die Verpflichtung eines jeden Einzelnen, den Zeugungstrieb zu entwickeln und sein Geschlecht fortzupflanzen.
Schon das Beispiel der in seinen Organen entwickelteren Thierwelt führt im Allgemeinen auf eine ausschließliche Vereinigung der beiden Geschlechter hin auf die Dauer der Zeugungs- und Geburtsperiode. Die Permanenz der in der Menschennatur liegenden Geschlechtstriebe begründet, nach analogischen Principien, diese Vereinigung auf unbestimmte Zeit, also auf die Dauer eines ganzen Lebens, weil die Geschlechtstriebe einen integrirenden Theil der Functionen des animalischen Lebens ausmachen. Eine Ausnahme würde nach dem Naturgesetz nur dann eintreten, wenn die Geschlechtstriebe früher erweislich erlöschen, also im Falle der Impotenz.
Jene dauernde Vereinigung zur Fortpflanzung des Geschlechts ist die Ehe, die »individua vitae consuetudo«, wie sie der Römer nennt. Aus der Ehe entspringt die Familie, welche die Mutter des Staats ist, indem die Glieder der Familie mit ihrem Leben auch anfangen, Mitglieder des Staatsvereins zu sein.
Die Zeugung außer der Ehe begründet keine Familienrechte: zur Erlangung solcher hat für unehelich Geborene das Gesetz später künstliche Formen erfunden.
Der Staat ist also am besten bestellt, wo die meisten Menschen in der Ehe leben und leben können: die Ehe ist mithin durch den Wohlstand des Staates bedingt, weil natürlich die Familie größere Bedürfnisse hat, als der Einzelne, und daher ist der Staat der wohlhabendste und – weil aus dem materiellen Wohl auch das moralische Wohl erwächst – der am besten situirte, wo die meisten Ehen verhältnißmäßig angetroffen werden. Dagegen ist der Staat materiell verarmt und sittlich verwahrlost, wo die wenigsten Ehen im Verhältniß gefunden werden. Daher ist
Die Erhaltung und Förderung des allgemeinen Wohlstandes
und
die damit in Verbindung stehende Beförderung der Ehen eine der ersten Pflichten des Staats.
Vielmännerei ist nirgends als naturgemäß gefunden worden, – nur in Indien gab es im Alterthum das Institut der Polyandrie, – und schon Aristoteles verwirft es in seiner Republik deshalb, weil die Kinder einen Vater haben müssen, durch welchen der Status familiarum bestimmt wird. Polygamie andrerseits – wenn auch naturgemäßer – schwächt die Zeugungskraft beider Geschlechter und führt zu Ausschweifungen, welche den Menschen, als ein vernünftiges Wesen, unter die vernunftlose Thierwelt versetzen.
Es bleibt daher nur die Monogamie als das Verhältniß übrig, welches die Geschlechtstriebe ihrem Zwecke am gemäßesten entwickelt und zugleich mit dem in jedes Menschen Brust liegenden, durch Erziehung zum Bewußtsein gerufenen Sittengesetz in Einklang bringt.
So ist die gewöhnliche Deduction, um die Monogamie naturphilosophisch zu beweisen. Dagegen ist Nichts zu sagen. Erfahrung und Geschichte lehren aber, daß es nur wenige Menschen giebt, die nicht einen oder mehrere Triebe und Neigungen über die durch die Moralgesetze oder die Rücksicht auf praktische Verhältnisse vorgeschriebenen Schranken hinaus befriedigt hätten. So ist es namentlich mit dem Geschlechtstriebe – der nach den Bedürfnissen des Magens zu den unwiderstehlichsten von jeher gehört hat – gewesen. Der außereheliche Beischlaf hat zu allen Zeiten stattgefunden und wird stattfinden, so lange Menschen blos Menschen und keine Heiligen sind. Eben so hat das unsittliche Weib – durch Sinnlichkeit überreizt, oder zum Erwerbe gedrängt – ihre Reize von jeher verkauft, und dies wird fortdauern, so lange die Erde steht, selbst wenn die Weiber sich emancipirt haben. Dieses Feilbieten des zweiten Geschlechts ist es, was wir Prostitution oder Preisgebung gegen Entgeld nennen. So wie wir gesehen haben, daß da der meiste materielle und moralische Wohlstand herrscht, wo die Ehe gedeiht, also selbstredend die Prostitution unterdrückt wird: so ist es andrerseits das Zeichen der Verarmung und des sittlichen Verfalls, wo die Ehen sich mindern und, in natürlicher Consequenz, da der Geschlechtstrieb einen Ausweg suchen muß, die Prostitution zunimmt. Es ist also die Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft, in sich selbst einen Zustand zu erhalten, oder, wenn er nicht vorhanden ist, herbeizuführen, wo die Ehen zunehmen und die Prostitution sich vermindert.
Da Nichts in der Welt jemals den Gipfel der Vollkommenheit erreicht, wie ihn der Philosoph auf der Höhe der Abstraction denkt, so kann und wird auch die Prostitution nie aufhören, sie kann nur abnehmen.
Schon in der Kindheit der Welt finden wir die unerlaubte Geschlechtslust. Zwar hat Moses über die Prostitution kein ausdrückliches Gesetz erlassen, denn er sagt nur, – 5. Buch Moses 22, 21. – daß die Dirne, welche in des Vaters Hause – intra lares et penates – deflorirt ward und von der es sich nach ihrer Verheirathung ergab, daß sie keine »Jungfrau« mehr war, »eine Thorheit in Israel« begangen habe und deshalb gesteinigt werden müsse. Allein wir müssen doch annehmen, – obschon jenes Gesetz nur bezüglich der Heiligkeit der Ehe und der dem Vater und Verlobten schuldigen Achtung erlassen ward, – daß Moses die Prostitution gewiß als eine Sünde gegen den Gott der Juden betrachtet hat, da er sich schon über den außerehelichen Beischlaf in vielen Stellen so streng ausspricht. So z. B. 1. Mos. Cap. 34 wird die Schwächung der Dina, einer Tochter der Lea, durch Sichem, Hemor's, des Hethiters Sohn, ebenfalls »eine Thorheit in Israel« genannt, welche mit einem Blutbade endigte, welches Jakobs Söhne gegen ihren Vater mit den Worten entschuldigten: »Sollten sie denn mit unserer Schwester, als mit einer Hure handeln?«
Es ist und kann nicht meine Absicht sein, eine Geschichte der Prostitution und Syphilis der alten und neuen Zeit, oder der Stadt Berlin in specie zu schreiben. Ich beschränke mich lediglich auf das praktische Element, wozu hier allgemeine Umrisse genügen. Drei Stadien in der Geschichte der Prostitution sind es, worin dieselbe ihre Höhepunkte erreicht zu haben schien, die aber jedesmal von großem sittlichen Verfall und Einsturz der Verhältnisse des gesammten bürgerlichen Lebens begleitet waren.
Zuerst in dem griechischen Alterthum die Zeit der Siege Alexanders. Als er die Frauen des geschlagenen Darius, wie glaubwürdige Geschichtschreiber versichern, auf seinen verweichlichten thorus führte, hatte der Hetärismus in Griechenland – welcher weiter nichts ist, als die bis zur höchsten Raffinerie getriebene Prostitution – seinen Gipfel erreicht. Der Hauptsitz war Corinth. Kurz nachher erfolgte der Untergang des eigentlichen hellenischen Alterthums. Ein zweites Stadium eines so verwerflichen Uebels bilden die Schwelgereien des Lucullus und Antonius, die Entsittlichung der ganzen römischen Welt, welche eigentlich schon mit der republicanischen Verfassung unterging. Jene Demoralisation zieht sich – mit Abwechselungen – durch die Kaiserzeit hin und war unter der Mätressen- und Libertinenwirthschaft des schwachen Claudius auf ihrem Culminationspunkte angelangt. Das dritte Stadium ist das Zeitalter der letzten Könige aus dem Hause der Valois, unter Katharina, der Mediceerin, und ihrem italienischen Hofstaate, wo die Sittenverderbniß, vom Hofe ausgehend, sich über alle Classen der Gesellschaft verbreitete, und nur in dem schroffen Calvinismus der Hugenotten einen schwachen Widerstandspunkt fand. Der alte französische Königsstaat ging unter, auf seinen Trümmern baute Ludwig XIV. seinen Gedankenstaat, welchem er aber doch keinen Halt für die Zukunft zu geben vermocht hat, da die Sittenverderbniß die Pfeiler der Gesellschaft bereits zerfressen hatte.
Zwar hat das Christenthum durch seine reine und geläuterte Moral, welche von keiner Secte, keinem System und in keinem Jahrhundert angefochten worden, und welche daher seine starke Seite ist, eine andere Auffassung der Lebensverhältnisse, also auch der wechselseitigen Beziehungen zwischen Mann und Weib gelehrt. » Reinigkeit des Herzens, des Sinnes, des Handelns« sind die Gebote des Stifters, die er mit seinem Tode besiegelte. Aber dennoch scheint es, als ob in der sogenannten apostolischen Zeit, welche man der Gegenwart zum Muster und zur Nacheiferung aufzustellen so angelegentlich bemüht ist, – die christlichen Moralgesetze in Bezug auf die Geschlechtsverhältnisse sehr ärgerlich und gröblich verletzt worden sind, was man sich nur als unverkennbare Spuren von den früheren Gewohnheiten der heidnischen Anhänger der neuen Lehre erklären kann. So eisern Paulus und Petrus gegen alle ihre Gemeinden, namentlich in Kleinasien und besonders zu Corinth, über fleischliche Ausschweifungen, ja Paulus ertheilt auch seinen Delegaten, Timotheus in Ephesus und Titus in Creta, die strengsten Verhaltungsregeln – cfr. Römer 13, 13. 1 Corinth. 5, 1. 9. 6, 9. 7, 2. Galat. 5, 19. Coloss. 3, 5. Ephes. 5, 3. 1 Thessalon. 4, 3. 1 Timoth. 5, 15. Tit. 1,8. 2, 5. 6. 1 Petr. 2, 11. 2 Petr. 2, 14. Jacob. 4, 4. Hebr. 13,4. Nur eine Gemeinde belobt Paulus ihrer Tugend wegen, – dies sind die Philippenser. –
Fassen wir die Stellung der Gesetzgebung zur Prostitution ins Auge, so finden wir, daß Gesetze dagegen so wenig ausgerichtet haben und überhaupt ausrichten können, als z. B. ein Gesetz gegen das Spiel oder die Trunkenheit ausrichten kann. Hier kann nur eine höhere Macht entscheiden, unter welcher sich der Riese Gesetz ebenfalls beugen muß, – das ist die öffentliche Moral. Daher sind diejenigen Gesetzgebungen in praxi immer am meisten glücklich gewesen, welche die Prostitution – dieselbe als ein nothwendiges Uebel ansehend – duldeten und sich nur auf gewisse Beschränkungen und Vorsichtsmaßregeln reducirten, um der sittlichen Verwilderung möglichst einen Damm entgegenzusetzen oder die mit der Prostitution verbundenen syphilitischen Krankheiten möglichst zu isoliren und der weitern Ansteckung vorzubeugen. Fangen wir bei den Römern an.
Die alte Zeit der Republik war sittenstreng und durch das Institut der Censoren geschützt. Unter der Kaiserregierung ward die Prostitution erlaubt und die Bordelle gesetzlich tolerirt (fornices, lupanaria, – letztere um deswillen so geheißen, weil eine Wölfin [lupa] das Aushängeschild jener Häuser in der suburra – der Königsmauer Roms – war, um an den Ursprung der Stadt und die Fabel von der Wölfin zu erinnern). Die Gesetzesstellen finden sich
1. 13 §. 2. ad leg. Jul. de adulter.1. 22. Cod. eod.
Doch waren die feilen Weiber für ehrlos erklärt (infames), und zeichneten sich durch eine besonders vorgeschriebene Tracht vor den römischen Matronen aus; daher werden sie auch classis secunda ( zweite Classe) genannt.
1. pen. de his, qui not.
1. 43. de ritu nupt.
1. 15. §. 15. de injur.
Jene Prostituirten selbst nannte man meretrices, und noch schimpflicher: scorta, ihr Wirth wird leno (Kuppler) und caupo (Kneipier) genannt.
Selbst die edleren, gesitteten Römer waren von dem Nutzen jener Institute für Wüstlinge überzeugt, wie Horaz in seinen Satyren I, 2, 31 ff. vom Cato sagt;
Quidam notus homo, quum exiret fornice, macte
Virtute esto, inquit sententia dia Gatonis:
Nam simul ac venas inflavit tetra libido,
Huc juvenis aequum est descendere, non alienas
Permolere uxores.
D. h. »Als ein bekannter Mann einmal aus einem Bordell kam, rief ihm der weise Cato zu: Bravo, das ist rechtschaffen. Wird ein junger Mann von böser Lust geplagt, so mag er billig hier absteigen, und nicht die Eheweiber Anderer besudeln.«
Die strengen Sitten der alten Deutschen, so wie die Verordnungen der Kirche verdammen gleichmäßig den außerehelichen Beischlaf, das Concubinat und die öffentliche Preisgebung, welches Alles in Rom erlaubt war. Bekannt sind daher die Kirchenbußen, welche jede Geschwächte vor dem Altar, bei ihrem ersten Kirchgange, thun mußte, und welche später in eine Geldabgabe an das Kirchenärarium (die sog. Hurenbrüche) verwandelt wurden.
Doch war der Einfluß des römischen Rechts auch in Deutschland so überwiegend, daß Carl V. in seiner peinlichen Gerichtsordnung keine Strafe auf die Prostitution setzte, obschon er in den Artikeln 116–123 die übrigen fleischlichen Verbrechen sehr speciell und streng abhandelte. Ja Carl ging nach dem Muster des römischen Rechts so weit, daß er – im Art. 119 – zur Constituirung des Begriffs sträflicher Nothzucht verlangte, daß die Beleidigte eine unverleumdete d.h. unbescholtene Ehefrau, Wittwe oder Jungfrau sei.
Daher ward wohl in den meisten deutschen Territorien die Prostitution durch besondere Polizeiverordnungen verpönt und mit Gefängniß, Strafarbeit, Gassenkehren, Aushauen oder Orts- und Landesverweisung geahndet, ein allgemeines Gesetz deshalb ward jedoch in Deutschland nie promulgirt. Daher darf man sich auch nicht wundern, daß bei Kirchensynoden und Reichsversammlungen (z. B. auf dem Kostnitzer Concil 1415) Tausende » fahrender Dirnen« den heiligen Vätern nachzogen und in der unter Kaisers und des heiligen Reichs Freiheiten gestellten Stadt ihr Heil versuchten.
Schreckenvoll wird aber erst die Prostitution durch das Auftreten der Syphilis, welche sich aus der Insel Cuba – durch die Vermischung der Europäer mit den Indianern – herschreibt, und bei den Zügen Carls VIII. zur Eroberung Neapels durch die Spanier den französischen Truppen mitgetheilt ward, unter welchen sie damals pestartig wüthete und sich später unter dem Namen der Trousse-galante im dreißigjährigen Kriege den deutschen Heeren mittheilte. Hat nun auch die Syphilis, wie alle pestartigen Uebel, als Typhus, Scorbut, Cholera, im Laufe der Zeit an Intensität verloren und haben sich ihre Elemente, bei einer vernünftigen Behandlung, mehr zu einem localen Leiden herabgestimmt, so fordert sie dennoch und immerfort viele Opfer, und nagt, langsam aber mörderisch, an dem gesunden Blut und Mark nicht blos der jetzigen, sondern schon der künftigen Generation.
Namentlich war es aber die Rücksicht, die Folgen der Syphilis möglichst zu paralysiren, welche in den größeren Städten Deutschlands, – mit Ausnahme von Wien und Dresden, – wo es der priesterliche Einfluß verhinderte, – zur Ueberwachung und mithin zur Toleration der nach bestimmten Polizeigesetzen zu betreibenden Prostitution aufforderte. Um so mehr ist es erklärlich, daß kein Reichsgesetz dagegen erging, während doch das als viel weniger verderblich anzusehende Concubinat, d. h. das geschlechtliche Zusammenleben oder die faktische Ehe ohne priesterliche Einsegnung, durch die Reichspolizei-Ordnungen von 1530, Tit. 30, von 1548, Tit. 25, und von 1577, Tit. 26, bei Strafe im ganzen Reiche verboten ward.
Das allgemeine preußische Landrecht – gültig vom 1. Juni 1794 – verbietet den außerehelichen Beischlaf und das Concubinat nicht. Erst durch eine Cabinets-Ordre vom 4. October 1810 ist das Concubinat verboten und, jedoch nur nach ministeriellen Bestimmungen, durch die Ortspolizei zu stören:
Dies gilt aber nicht allein vom Concubinat, denn wenn ein öffentliches Aergerniß gegeben wird, oder wenn Ehehindernisse vorwalten, ist der außereheliche Beischlaf gewiß auch unerlaubt, – wenigstens in den meisten Fällen, wo er bei zu nahen Verwandten, zwischen Vormund und Mündel u. s. w. schon ohne coincidirendes Concubinat Criminalstrafen nach sich zieht.
Für Berlin besteht eine localpolizeiliche Vorschrift, wonach bestrafte und unter Polizeiaufsicht gestellte Personen überhaupt nicht gemeinschaftlich oder Einer bei dem Andern in Schlafstellen liegen, Personen verschiedenen Geschlechts auch nicht im Concubinat leben sollen: dieses Polizeigesetz ist jedoch illusorisch, da es im praktischen Leben durch einen vorgespiegelten Aftermiethscontract umgangen wird, gegen welchen die Polizei Nichts einwenden kann.
In Betreff der gewerbsmäßigen Prostitution (des Corpore quaestum facere) verordnet das Landrecht II., 20, §. 1023, 1024, daß liederliche Dirnen, welche mit ihrem Körper ein Gewerbe treiben wollen, sich in die unter Aufsicht des Staats geduldeten öffentlichen Häuser begeben müssen, widrigenfalls sie, bei erwiesener Preisgebung, das erste Mal verwarnt, in der Folge aber mit dreimonatlicher Zuchthausstrafe belegt und nach Ablauf derselben so lange in einem Arbeitshause detinirt werden sollen, bis sie Lust und Gelegenheit zu einem ehrlichen Fortkommen zeigen. Ich übergehe hier mit Recht das Bordellreglement für Berlin vom 2. Februar 1792 und das nach dem Muster anderer großen Städte ergänzte neue Reglement von 1835, da die Verhältnisse aufgehört haben, worauf sich diese Anordnungen bezogen. Genug, die Prostitution in Berlin sollte mit dem 1. Januar 1846 aufhören, die Bordelle wurden geschlossen und aufgeräumt. Ich finde aber kein Strafgesetz, wenn eine Dirne sich jetzt privatim prostituiren läßt. Denn die alleg. §. 1023, 1024 treffen nicht mehr zu, weil die Supposition weggefallen ist, » daß die Dirnen unter Aufsicht des Staats ihr Gewerbe treiben können und dürfen.« Meines Erachtens kann daher kein preußischer Richter eine seit dem 1. Januar 1846 Prostituirte strafen. In Berlin ist es freilich anders. Hier cognoscirt die Polizei über die Prostituirten, und straft sie nach wie vor, nach jenen Paragraphen. Dagegen giebt es kein Rechtsmittel, und die einmal Verurteilte – was, dem Landrecht entgegen, nach ministeriellen Anordnungen auch ohne vorherige Warnung geschieht – wird nach dem Arbeitshause – nicht nach dem vom Gericht dependirenden Zuchthause – gebracht, wo sie nach Ablauf der drei Strafmonate beliebig detinirt wird und wo nur die Administration des Arbeitshauses über die einstige Entlassung verfügt.
Hiernach sind die Dirnen, wie im alten Rom, infames, oder, wenn man will, rechtlos, weil über sie kein Richterspruch, sondern nur der gewaltige Wille der Polizei oder der Inspection des Arbeitshauses entscheidet.
Wenn nun die Prostitution ein historisch fortgeerbtes sittliches Uebel ist, so fragen wir doch mit Recht, warum ist sie in der letzten Zeit, namentlich in Frankreich und England, und auch bei uns, zu einer so furchtbaren Höhe gestiegen? Die Grundursache habe ich schon angedeutet, sie liegt in der allgemein zunehmenden Verarmung und Nahrungslosigkeit, – im Pauperismus. Durch einen fast länger als 30 Jahre dauernden europäischen Frieden ist die Bevölkerung weit über die Verhältnisse und die früher als angemessen erschienene Verteilung der Nationalgüter hinaus gewachsen, durch die täglich sich in großartigere Formen gestaltende Industrie, durch die Benützung der Dampfkräfte, und durch den Handelsverkehr im Großen hat sich der Erwerb monopolisirt, das Vermögen liegt bei Einzelnen zu ungeheuern Summen aufgehäuft, während die Menge hungert und friert, der Mittelzustand zwischen Reich und Arm – jener altdeutsche Bürgerkern, – verschwindet zusehends und mit reißender Schnelle, wir erhalten blos Nairen und Paria's, ganz so, wie es schon in England ist, wo 10 Procent der Bevölkerung aus den Armenfonds erhalten werden müssen, und die Folgen dieses Nothstandes sind, – täglich zunehmend, sittliches Elend, Verbrechen, Prostitution.
Bei der Betrachtung dieser, unsern gesellschaftlichen Zustand mit Zerstörung bedrohenden Factoren macht sich der Verfasser »der Prostitution und ihrer Opfer« Seite 76 ff. einer merkwürdigen unlogischen Begriffsbestimmung schuldig, indem er Proletariat, Verbrechen und Prostitution als coordinirte und in gegenseitiger Wechselwirkung stehende Verhältnisse darstellt. Dies ist unrichtig. Pauperismus, Verarmung, Proletariat sind identische Begriffe. Die proletarii oder capite censi waren in Rom die letzte Classe der Bevölkerung, welche keine Abgaben zahlte, – die Armen. Die Verarmung allein, d. h. der Mangel eines Staats an Nahrungsquellen, um allen seinen Gliedern einen zu ihrer Wohlfarth hinreichenden Erwerb zu gewähren, ist lediglich die Grundlage aller dieser andern Uebel.
Aus der Verarmung entspringt
Entsittlichung,
– denn es gehört viel stoische Tugend dazu, um bei hungerndem Magen und klappernden Zähnen das siebente Gebot pünktlich zu erfüllen, – daher
Verbrechen, Preisgebung, und Selbstmord.
Alle bisher hiergegen angewandten Mittel sind entweder Palliativen auf kurze Zeit gewesen, oder hohle und leere Redensarten geblieben, wie die »Local-Vereine für das Wohl der arbeitenden Classen«, welche sich mit so großem Bombast zu ihrer Zeit ankündigten. Ja, die angewandten Mittel sind geradezu schädliche, wie das kostspielige Armenwesen. Was hilft's, dem Bettler auf heut eine Gabe zu reichen, wenn er morgen doch wiederkommen muß? Hülfe ist nöthig, aber keine Unterstützung, Hülfe für die Dauer, aber keine augenblickliche Befriedigung bald wiederkehrenden Mangels. Dies kann nur geschehen, indem die Arbeit organisirt wird, d. h. indem die Erwerbsquellen des Staats ihren Ertrag dergestalt ausströmen lassen, daß dadurch der arbeitsfähige Theil der Bewohner für den Aufwand seiner Kraft verhältnißmäßig so entschädigt wird, daß Jeder nicht blos sich und die Seinigen erhalten, sondern auch noch pro rata den Unterhalt des nicht arbeitsfähigen Theils (Hospitäler, Krankenanstalten, Waisen- und Findelhäuser u. s. w., aber keine Pfründen und Sinecuren) übernehmen kann.
Es ist schwer, auf dieses Thema – das wichtigste in der Zeitgeschichte – nur einigermaßen einzugehen, ohne nicht von vorn herein von den beatis possidentibus mit den hämischen Worten: »Socialist, Communist,« abgefertigt zu werden, Worte, deren Bedeutung Die gar nicht kennen, welche am meisten darüber herziehen. Doch wir wollen uns nicht irre machen lassen. Die Erde hat – dies ist geometrisch und ökonomisch richtig, – ja der preußische Staat selbst hat bei weitem mehr tragfähiges Land, als zur Ernährung der Einwohner erforderlich ist. Warum colonisirt man nicht die Armen im Vaterlande, anstatt sie nach Texas oder der Mosquitoküste oder den Ufern des Ohio auswandern zu lassen? Der eigentliche Proletarier wandert doch nicht aus, er ist zu arm oder schon gegen sein Schicksal abgestumpft, die Exulanten ziehen blos die ungewisse Fremde der gewissen Verarmung vor, welche früher oder später nach dem bisherigen Gange der Dinge sie im Vaterlande trifft.
Durch Gesetze läßt sich dem Umsichgreifen des Proletariats noch weniger begegnen. Wir sehen dies an der lange berathenen Gewerbeordnung vom 7. Januar 1845, nach ihrer 1½jährigen Gültigkeit. Sie hat Beschränkungen in gewerblicher Hinsicht gebracht, auf den Pauperismus ist sie ohne Einfluß geblieben.
Eine Perfidie ist es aber, wenn man sagt, die gesunkene Frömmigkeit ist Schuld an diesem Nothstande. »Werdet fromm, wie die Väter,« sprechen jene heuchlerischen Weltverbesserer, – »und der Himmel wird die Plage von Euch nehmen.« Wahre Religiosität, – wer möchte so frech sein, frage ich, hiergegen zu opponiren, – also wahre, echte Religiosität, gepaart mit der reinen und aufopfernden, alle Menschen gleichmäßig umfassenden Bruderliebe ist der Höhepunkt, die Krone des Lebens, und bedingt die körperliche und geistige Wohlfahrt nicht blos eines lebenden Geschlechts, sondern auch seiner künftigen Generationen. Aber, wie kann die Frömmigkeit einen hungernden Magen curiren? Die Zeiten der Wunder sind vorbei. Oder sind etwa diejenigen sehr Wohlhabenden fromm zu nennen, welche sagen, »für die Armen sei eben jene von Jugend auf angewöhnte Noth und Entbehrung ein schützender Pelz, eine Schwielenhaut, ein wohlthätiger Callus, welcher sie gegen die Schläge des Schicksals unempfindlich mache,« und daher verlangen, daß man die Armen in dem Glauben aufwachsen lassen müsse, es könne nicht anders sein, weil sie einmal als Sünder geboren und durch den Zorn Gottes zu Leid und Entbehrung in diesem Leben verdammt seien, wofür sie in jenem Leben entschädigt werden sollten? Ist das Frömmigkeit? Ist das christliche Menschen- und Bruderliebe? Nein, es ist der höchste Grad des Eigennutzes und der Selbstsucht, welche sich aber sehr listig hinter der Maske der Frömmelei verkriecht. Also, ihr angeblich Frommen, ihr wollt ein » Irland« in unserm Vaterlande gründen und ihr wollt jene unglücklichen Proletarier verdummen, damit sie nicht rufen und klagen und von euch fordern, ihr sollt ihnen wenigstens Menschenrechte – ich spreche nicht von Bruderrechten – geben! Sehet Rußland, das grausame, gefühllose, verschrieene Rußland. Seine Proletarier und Leibeigenen hatten bisher nur ein thierisches Leben, aber sie hatten Nahrung, und leset ihr nicht, wie Rußlands Kaiser – dessen großes Reich noch lange nicht so sichtbar vom Pauperismus angefressen ist – schon seit Jahren seine Augen auf Hebung der materiellen und moralischen Wohlfarth seines Volks richtet? Kennt ihr nicht seine Gesetze? Der Kaiser ist weise, denn, indem er dem Proletariat zuvorkommt, verhindert er am gewissesten, daß es einmal sich in die Höhe schwinge und die Banden der Gesellschaft sprenge. Also, noch einmal, nicht von innen heraus, sondern von außen her muß die Hülfe kommen: aus dem materiellen Wohl sich das sittliche Heil entwickeln.
England speculirte zuerst auf Mittel gegen die Armuth. Es erfand die Beschäftigungshäuser ( Workshouses), allein die Einrichtung verfehlt ihren Zweck. Die Armen werden zu schlecht gehalten, zu übermäßig angestrengt, der Vater von der Mutter, die Mutter von den Kindern getrennt, und es fehlt nur noch die Isolirung in der pennsylvanischen Zelle, um den Armen härter zu strafen, als den Verbrecher. Dies ist auch nach dem preußischen Gesetz vom 6. Januar 1843 der Fall; dasselbe ist schon zu oft öffentlich besprochen worden, daher habe ich darüber Nichts mehr zu sagen.
Die Unzulänglichkeit aller Versuche, der steigenden Verarmung und ihren Folgen entgegen zu wirken, reizte speculative Köpfe zum Nachdenken. Es entstanden noch nicht dagewesene Theorieen, und Grundsätze wurden aufgestellt, welche das alte, lethargische Europa in Schrecken setzten, bei dem leisesten Gedanken an eine mögliche Realisirung solcher Principien. Es waren der St. Simonismus, der Socialismus, der Communismus. Ich setze die Theorieen als bekannt voraus. Der St. Simonismus machte sich lächerlich und mußte nach Asien flüchten, um dort die freie Frau zu suchen. Auf seinen Trümmern steht das Gebäude des Communismus, beide sind gleich verwerflich, weil sie das Besitzrecht negiren, welches die Basis eines Rechtsstaates ist. Hierdurch unterscheiden sie sich vom Socialismus, welcher den Besitz beibehält. Fourier, der Stifter dieses Systemes, an welches er die Arbeit eines Lebens setzte, ist gewiß ein origineller, tiefdenkender Geist, und, obschon seine Phalansteren in der Wirklichkeit unausführbar sind und die gehofften Lichtkronen nie die Polargefilde beglücken werden, so ist doch nicht zu verkennen, daß ihm die Welt jene großen und inhaltsschweren Wahrheiten verdankt, welche die neuern Socialisten specialisirt und verarbeitet haben. Allein alle diese Systeme sind nur Theorieen, eine praktische Möglichkeit derselben führt zugleich die Auflösung aller bisherigen Verhältnisse und Einrichtungen mit sich.
Wenn es nach allem Diesen noch bisher nicht gelungen ist, ein Radikalmittel gegen den steigenden Pauperismus in Anwendung zu bringen und sonach die große sociale Reform noch zu erwarten steht: so folgt daraus von selbst, daß jene Verarmung und ihre Begleiter, Verbrechen und Prostitution, noch im Fortschreiten sind. Wir wenden uns daher wieder zu unserm Thema, zur Prostitution in Berlin, welcher in folgerechter Anwendung der ausgesprochenen allgemeinen Ansichten nur die Prognose des Zunehmens gestellt werden kann, bis endlich die Mittel gefunden sind, deren wir bedürfen.
Die Hebel der Prostitution sind hiernach
Armuth,
und aus ihr entspringend
vernachlässigte sittliche Bildung, böses Beispiel, überwiegende Sinnlichkeit,
und wenn wir hierzu noch
die Verführung und den Hang zum Luxus und Wohlleben,
welche beide wieder auf eine schlechte Jugenderziehung zurückführen, hinzunehmen, so dürften die moralischen Ursachen erschöpft sein, welche das Weib im Allgemeinen zur feilen Dirne machen.