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Rara temporum felicitas, ubi
sentire quid velis et quid
sentias dicere licet.
Tacit.
Als vor kurzer Zeit, im Verlage von Hofmann und Comp., das Buch: »Die Prostitution in Berlin und ihre Opfer« erschien, erhob sich in der Literatur – und dies will in Berlin viel sagen! – ein allgemeiner Schrei des Unwillens. Man warf dem Verfasser vor, im Interesse der Polizei, für Geld geschrieben oder ein hodegetisches Handbuch des Lasters verfaßt zu haben, berechnet, die schlaffen Gemüther der Gegenwart zu reizen. Es ist nicht meine Absicht, jenes Buch kritisiren und eine Apologie oder Polemik in Bezug auf dasselbe schreiben zu wollen. Die Frage ist aber einmal angeregt, und da ich der Ueberzeugung bin, daß die öffentliche Prostitution mit zu den Grundübeln der Zeit gehört, welche den Bau des gesellschaftlichen Verbandes untergraben, so habe ich es der Mühe werth geachtet, einige müßige Stunden diesem so verschiedenartig und so falsch beurtheilten Gegenstande zuzuwenden. Bevor ich aber genauer auf die mir vorschwebende Tendenz eingehe, muß ich einige nothwendige Vorbemerkungen, namentlich in Beziehung auf die Schrift: »Die Prostitution und ihre Opfer«, vorausschicken.
Der Verfasser erklärt (S. 3.), daß bei seiner Arbeit
zum Grunde gelegen hätten.
Dies giebt selbstredend seiner Schrift einen amtlichen Charakter, oder mit anderen Worten, dieselbe ist im Auftrage der Polizei und mit ihrer Genehmigung des Inhalts verfaßt worden, weil, so viel ich weiß, in Folge der strengen Vorschriften über die Bewahrung des Amts- und Dienstgeheimnisses, sonst keinem Schriftsteller zu einem literarischen Privatzweck Polizeiacten verabfolgt oder
von dienstthuenden Polizeiofficianten Mittheilungen über Gegenstände ihrer Amtsverwaltung gemacht werden dürfen.
Wenn ich es also, in einer einfach-vernünftigen Schlußfolge, für nachgewiesen annehmen muß, daß jener Autor im polizeilichen Auftrage geschrieben hat, so folgt daraus auch von selbst:
daß die Polizei gute Gründe hatte, jene Schrift zu veröffentlichen,
daß die Veröffentlichung der faktischen Verhältnisse aber nur so weit gegangen ist, als diese für den Zweck der Polizei passen.
Hierdurch wird die Tendenz der »Prostitution und ihrer Opfer« vollkommen klar. Mit dem 1. Januar d. J. hat die, durch das Allg. Landrecht in gewissen Formen für große Städte zugelassene Prostitution aufgehört, alle diesem Zweck bisher eingeräumt gewesenen Häuser sind geschlossen und die dem hiesigen Ort nicht heimathlich angehörigen Lohndirnen von hier fortgewiesen worden. Schon vorher hatte das Projekt der Aufhebung der tolerirten Preisgebung verschiedenartige Bedenken im Publicum und bei den betheiligten Aerzten und Beamten hervorgerufen, wenn auch die Presse den Gegenstand, als zu undelicat, weniger besprach, oder, wo sie ihn oberflächlich berührte, sich mit Entschiedenheit gegen die Unsittlichkeit des Bordellwesens äußerte. Dies war vom moralphilosophischen Standpunkt und der Theorie nach vollkommen richtig: allein mit der Theorie kommt man im menschlichen Leben einmal nicht durchgängig fort und da deshalb gerade die gewiegtesten Kenner der praktischen Zustände, ihrer Uebel und Grundursachen sich bedenklich ansahen und von der Folge mehr sittliches Unheil befürchteten, als bisher entstanden war, so mußte es natürlich im Interesse der Verwaltung, welche auf einmal eine so durchgreifende Maßregel ausgeführt hatte, liegen,
ihr Verfahren auch praktisch vor dem Publicum motivirt erscheinen zu lassen.
Wir leben in einer Zeit, wo das Volk nicht mehr blind der höhern Weisheit des Beamtenthums vertraut und seine Aussprüche als Orakel hinnimmt. Der immer frischer hervortretende, durch die freiere Städteverfassung hervorgerufene Volksgeist nimmt selbstständig Theil an der Verwaltung und Rechtspflege, er schwebt voran oder er folgt beurtheilend und richtend ihrem Gange, und die öffentliche Meinung, die durch diesen Geist gebildet und durch seine Organe, die Presse und das freie Wort, zum Ausdruck gebracht wird, hat eine solche Geltung, ja eine solche Autorität erlangt, daß selbst einer minder aufgeklärten Regierung, als die preußische ist, sehr daran gelegen sein würde, ihre Maximen mit dem Volksbewußtsein im Einklange erhalten zu sehen.
Daher die begreifliche Tendenz jener Schrift, welche, deren Ursprunge nach, keine andere sein konnte, als die:
»in der Aufhebung der bisher tolerirt gewesenen Prostitution zugleich das nothwendige Mittel darzustellen, der überhand nehmenden gewerbsmäßigen Unzucht zu steuern, und für die Folge nach dem aufgestellten Grundsatze: »das Bordell ist kein Schutzmittel gegen, sondern ein Beförderungsmittel für die Prostitution,« eine Abnahme der letztern selbst in Aussicht zu stellen.«
Daß diese Ansicht – wie mancher gute, praktische Kopf bezweifelt – die richtige sei, diesen Beweis ist der Verfasser der »Prostitution und ihrer Opfer« schuldig geblieben, aber gerade dieser Umstand, so wie daß aus seinen Ausführungen und seinen amtlichen Quellen sich das Gegentheil dessen, was er zu beweisen hatte, ergiebt, spricht dafür, daß die Wahrheit des Satzes: »das Bordell ist die Mutter der gewerbsmäßigen Unzucht« noch sehr in dubio schwebt.
Nach diesen Vorausschickungen folgt von selbst, daß ich in den nachfolgenden Blättern mich allerdings auf einem anderen Standpunkte befinde, als jener Schriftsteller.
Erstens stehen mir, da ich nicht amtlich schreibe, auch keine amtlichen Quellen oder amtlichen Mittheilungen zu Gebote. Obschon ein früherer Beruf mich jenes traurige Gemälde unserer Civilisation, vor welchem wir jetzt stehen, in allen seinen dunkeln Schattirungen und Lineamenten genau erkennen ließ – so ist es doch nur das Buch des Gedächtnisses, welches ich jetzt aufschlage, es sind nächtliche Bilder und Scenen, die sich unwillkürlich reproduciren, und » über welche man sich zuweilen todt lachen könnte, wenn es nicht zum Todt-weinen wäre.«
Zweitens folgt hieraus, daß, da mir kein Ziel gesteckt ist, ne quid ultra, ich lediglich meiner freien, subjektiven Meinung folgen und meine Ansichten – nicht dictirte Motiven – niederschreiben werde. Ob sie falsch, ob sie richtig sind, überlasse ich dem Beurtheiler, da ich nur für die factischen Prämissen verantwortlich bin.
Endlich halte ich es für nöthig, nochmals zu bemerken, daß ich mit dem Verfasser der genannten Schrift weder eine ernste Polemik, noch eine verstellte Spiegelfechterei beabsichtige und daher den Gang meiner Darstellung jetzt ohne Seitenblicke fortsetzen werde, nur mag ich vielleicht bei einigen wenigen Stellen nicht umhin können, wo es sich um Hauptsachen handeln wird, zuweilen das Gegentheil seiner Angaben nachzuweisen zu suchen, oder doch darauf oblique hinzudeuten.
Sonach, glaube ich, ist meine Aufgabe klar. Zu den großen Köpfen der Hydra, die den gesellschaftlichen Verband erstickend umschlingt, gehört die Prostitution im Zusammenhange mit der Demoralisation und dem Verbrechen. Es ist Pflicht des Menschenfreundes, durch praktische Anschauung die Ursachen jener Verhältnisse, die aus einer Hauptquelle – dem steigenden materiellen Nothstande – entspringen, sich deutlich zu machen und die Resultate seiner Forschungen zu veröffentlichen.
Was wahr ist, muß ohne Scheu gesagt werden, denn die Wahrheit ist nackt und duldet keine Verhüllung. Da aber alle Schlußfolgen trüglich sind, so habe ich den Plan dieser Schrift so entworfen, daß ich mich zuvörderst im Allgemeinen über die Prostitution und über den Zustand derselben in Berlin nach Aufhebung der geduldeten Preisgebung in der Kürze aussprechen und diesem einige nach meiner Ansicht passende praktische Vorschläge anreihen, sodann aber in einer besondern Abtheilung die Biographieen der berüchtigtsten der hiesigen prostituirten Frauenzimmer, von der vornehmen Mätresse bis zur gemeinsten Diebesconcubine hinab, – soweit ich die Geschichte ihres Lebens kennen gelernt habe, – folgen lassen werde. Bei jenen Biographieen wird mich nur die Rücksicht leiten, die verschiedenen Quellen und Arten weiblicher Ausschweifung nachzuweisen, ohne daß ich gerade zur Darstellung der allerärgsten Verworfenheit (wie z. B. derjenigen bekannten Weibspersonen, welche sich gegen gute Bezahlung die Ober- und Unterzähne ausziehen lassen, um sich hierdurch einem fast unglaublichen Laster deferent zu zu machen u. dgl. m.) meine Zuflucht zu nehmen brauche, denn ich bin überzeugt, daß jene einzelnen, aus verschiedenen Sphären entnommenen Lebensbilder gewiß ausreichen werden, um einen Begriff von dem Zustande der öffentlichen Sittlichkeit in Berlin zu geben, und die Ursachen erkennen zu lassen, aus welchen jene Verwahrlosung entspringt.
Ob ich dabei allemal den richtigen Ton treffen und den strengen Forderungen der Kritik genügen werde, glaube ich kaum, selbst bei einer nachsichtigen Beurtheilung, denn es ist ein großer Unterschied, das wirkliche Leben jener frivolen Geschöpfe vor seinen Augen vorübergleiten zu sehen, als dasselbe am grünen Tisch mit moralischer Strenge zu richten. Ja, die reale Erscheinung jenes leichtfertigen Treibens hat einen so teuflischen Humor, etwas so Mephistopheles-Artiges an sich, daß ein Heraklit dazu gehört, um nicht zuweilen die ganze Welt für ein Komödienhaus zu halten. Ich habe auch, durch die einzuschlagende Behandlungsmethode, geglaubt, den Zweck, möglichst objectiv zu bleiben, um desto sicherer zu überzeugen, eher zu erreichen, als wenn ich im Predigertone die Schreckgestalten der Verworfenheit anatomisirt hätte, denn nur durch eine ganz objective« Auffassung der praktischen Zustände lassen sich die Verbesserungsmittel erkennen oder wenigstens vorbereitend darauf hinweisen. Daher bin ich der Ueberzeugung gefolgt: Jam bene voluisse sat est. –