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Auf Flügeln.

Es war einmal ein großer Dichter; man durfte ihn zu den besten aller Zeiten zählen. Mit seinen schwarzen Locken und tiefblauen Augen, seinem hochmütigen und schönen Gesichte hatte er Ähnlichkeit mit Lord Byron. Auch sein Pegasus war ein Rappe, rassig, mit Augen wie glühende Kohlen, und sein geflügeltes Roß nahm einen hohen, kühnen Flug. Unter seinen Hufen wirbelten die Sterne wie Funken empor, während aus seinen Nüstern das Feuer der Hölle sprühte. Des Dichters Harfe war aus Totengebein, mit schwarzen Saiten bespannt, und sie brauste um die Wette mit den Feuersbrünsten der Städte, den Kriegen der Länder, den Brandungen und Stürmen der Meere. Mit einem Worte: ein Dichter, der sich gewaschen hat und dabei doch kein Wasserdichter.

Aber Lord Byron war es nicht.

Denn was man dem Dichter des Don Juan auch nachsagen mag, – und man kann ihm viel nachsagen, er hatte ein eigenes Talent, den Skandal an seine Fersen zu heften – ein Kostverächter war er niemals. Den Frauen hat er niemals Urfehde geschworen, trotz der sonderbaren Neigungen, die er in Griechenland annahm. Der Poet Laurianus jedoch – jener, in den Myrtillis verliebt war, Myrtillis, die schöne Schäferin mit den weißen Lämmchen, denen sie himmelblaue Halsbänder gestickt hatte – dieses Ungeheuer von Poeten war ein unverbesserlicher Frauenfeind. Hinter seiner stolzen Stirne hatte sich die Überzeugung zur fixen Idee verdichtet, daß die Frauen niedere und unreine Wesen seien, schlammgeborne Geschöpfe, Blumen des Sumpfes wie Iris und Lilie, schneeige Sirenenarme, ausgestreckt, uns in den Kott herabzuziehen.

Nur mit den weiblichen Engeln verkehrte er, den silbernen Schwänen Edens, die sich abends auf die Wolken herabließen, wie Riesenschmetterlinge auf glühende Rosen.

Myrtillis aber lag im Grase der Waldlichtung und weinte. Sie liebte den Dichter, der von ihr nichts wissen wollte, weil sie keine Flügel trug. Sie verwünschte den kleinen Gott, der sie unter der rosigen Spitze ihrer zarten Brust so empfindlich getroffen, der ihr den unsichtbaren Pfeil mit dem goldnen Widerhaken in das Herz geschickt hatte und doch nicht imstande war, den Dichter zu bewegen, sie an seine Brust zu ziehen. Ja, sie zürnte Amor, allen Ernstes!

Aber daran tat sie unrecht, denn Kupido gab sich ehrliche Mühe, auch den Dichter zu treffen. Wie viele Pfeile hatte der kleine Schelm schon auf Laurianus verschossen, wenn er auf seinem Pegasus daherstürmte wie ein Narr!

Auf Flügeln.

Vergeblich hatte er sich auf dem Scheibenplatz des Zimmerstutzenvereines »Pro Patria« täglich mehrere Stunden mit seinem Bogen auf die laufende Wildsau eingeübt: die Geschwindigkeit, mit welcher der Dichter auf dem Flügelrosse durch die Luft sauste, ließ sich mit nichts aus der Wolfsschlucht vergleichen!

Und Myrtillis mußte von unten mit ansehen, wie sich die silbernen Engel von dem Dichter heimlich hinter den Wolken küssen ließen. »Wenn ich ein Vöglein wär!« seufzte sie und ihre Lämmer mit den himmelblauen Halsbändchen blöckten den Refrain dazu. Kupido, der aus Mangel an Munition nichts mehr zu tun hatte, leistete ihr mit trauriger Miene Gesellschaft.

Einmal kam ihm ein spitzbübischer Gedanke. Er forderte den Pfeil zurück, den er ihr in das Herz geschossen hatte.

»Laß ihn stecken!« bat Myrtillis, »wenn er auch schmerzt und brennt, sein Schmerz ist süß und sein Brennen entzückend wie ein immerwährender Kuß.«

Aber der Kleine hatte ihr bereits das Busentuch weggerissen.

Natürlich fand er die Wunde nicht. Der Schelm wußte recht wohl, daß seine Pfeile, während sie das Herz durchbohren, selbst auf der zartesten Haut nicht die Spur eines Flohstichs zurücklassen. Sein feines Ohr vernahm jedoch bereits das Schnauben des Flügelrosses oben in den Wolken, denn der Dichter befand sich auf dem Weg zu einem Rendezvous mit der Vorsängerin im Chor der Seraphim.

Während die nichtsahnende Jungfrau in ihrer Verwirrung vor sich hinblickte, entkleidete Kupido sie bis aufs Hemd. Vielleicht hätte sie trotz der Gewandtheit des kleinen Schelms das frevle Beginnen entdeckt, wenn nicht inzwischen auch sie die wohlbekannten Laute in den Wolken vernommen hätte. Weltentrückt fühlte sie kaum das Schauern ihrer entblößten Glieder. Laurianus aber näherte sich mit Windeseile.

Da schlug sie die Augen zu Boden und wurde das Unerhörte gewahr.

Sie errötete vor Scham, wie die weißen Wolken, hinter denen Laurianus die Engel zu küssen pflegte.

»Rette mich vor seinen Blicken!« rief sie tödlich erschrocken; »rette mich, Kupido, er darf mich nicht so sehen, er nicht!...«

Kupido lachte sie aus, drehte ihr eine Nase und schabte Rübchen.

»Gerade so soll er dich sehen, gerade so,« spottete er; »denn so nur darf sich ein Weib einem Dichter zeigen!«

»Ich beschwöre dich,« flehte sie, »verhülle mich vor ihm, er darf nicht, er darf nicht ...«

»Zu spät!« lachte der Kleine, er hat uns bereits wahrgenommen.«

»O, hätte ich Flügel!« stöhnte die Ärmste. Dann ward sie von Zorn, über die schamlose Enthüllung ihres jungfräulichen Körper erfaßt. »Du kleiner Schuft hast diese Schmach über mich gebracht!« rief sie empört, packte den Knaben an den Libellenflügeln und schüttelte ihn so heftig, daß die Flügel ihr in der Hand blieben.

Inzwischen kreiste der Poet auf seinem Pegasus über der enthüllten Schönheit, wie ein Adler über einer weißen Taube. »Sie ist vollkommen,« sagte er sich, »es fehlen ihr nur die Flügel!«

Er schickte sich an, seinen Ritt fortzusetzen.

Um die Zürnende, die ihm seine Flügel in das Gesicht geworfen hatte, zu besänftigen, befestigte Kupido rasch diese göttlichen Anhängsel an jenem wunderbar gewölbten Teil des Körpers der schönen Schäferin, der dessen Schwerpunkt bildete. Jetzt bedurfte es nur eines leisen Hauches, um sie über die Baumwipfel zu erheben.

Der Dichter aber riß sein Flügelroß herum, um jauchzend die Verfolgung aufzunehmen. War er denn blind gewesen? Dieses herrliche Geschöpf, das vor ihm flatterte wie ein Schmetterling über Blumen, besaß ja Flügel!

Es war also vollkommener als selbst ein Engel.

Und es hatte noch einen Vorzug vor diesen, der sich freilich erst zeigte, als er es auf der Spitze eines moosbewachsenen Hügels erreicht hatte. Denn die Engel mit ihren ungeheuren Schwingen konnte man nur küssen!

Zum ersten Mal erkannte der Dichter, daß es nicht in jeder Lage gut und bequem sei, Flügel zu besitzen. Zum Glücke konnte Myrtillis die ihrigen ablegen. So klein sie waren: an dem Körperteil, wo sie befestigt waren, genierten sie in Stunden der Ruhe doch sehr!

Myrtillis gab sie dem Kupido dankbar zurück.


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