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Zwei Schwärmer

Ein Capitel aus dem Buche der Thorheit

Berlin, den 24. März 189...

Lieber Neffe!

Da ich sehe, dass es Dir um die Sache wirklich ernst ist, und du einmal der alte Schwärmer bleiben willst, der sich immer nur von seinen Gefühlen leiten lässt, will ich meine Einwilligung zu deiner Heirat nicht versagen. Heirate! Meine Erkundigungen haben ergeben, dass das Mädchen ebenso brav wie arm ist; letzterer Umstand könnte bei deinen Verhältnissen freilich ein Hemmnis bilden, – aber ihr müsst' euch halt bescheiden, sehr bescheiden einrichten, und ich will von meinem kleinen Vermögen Euch einen zeitweiligen Zuschuss nicht versagen. Wenn es auch immer meine Ansicht war, der Mann müsse, ehe er solchen romantischen Neigungen nachgeben dürfe, fest auf den beiden, stämmigen wohlbekleideten Füßen stehen – sehe ich jetzt doch ein, dass mit so einem weltfremden Phantasten kein vernünftig nüchternes Wort zu reden ist. – Ihr Künstler seid halt vielleicht einmal so. No, ja – also, mein Junge, mög' dir dein lange ersehntes Glück recht gut ausschlagen! An dem Kraut der Ehe hat sich ja schon so mancher Wolkenkuckuksheimer Staatsbürger nüchtern gegessen, und ist zu einem ganz verständigen Glied der irdischen Gesellschaft geworden ... ich will nicht predigen und prophezeihen; du könntest den alten Onkel auslachen. Also viel, viel Glück! Grüß mir dein Bräutchen und sei versichert

dass es Dir stets von Herzen gut meint
dein Oheim
Paul Berger
Chef der Firma Berger & C°

*

Mit diesem Briefe in der Tasche stürmte Erhard Bender die fünf Treppen aus seinem Atelier hinab. Endlich! Endlich hatte er den Starrsinn des sparsamen alten Herrn überwunden und seine Magda konnte sein Weib werden. Das Herz schlug ihm so laut, dass ihm der Athem ausging und er unten in der Max Josephstraße eine Weile stille stehen musste.

Es war ein grauer unfreundlicher Märztag. Ein schwerer Nebel lag prickelnd auf den weiten Gassen und der Gangsteig glänzte. Dem jungen Maler aber schien es heute schöner als an dem herrlichsten Frühlingstage, denn in seiner Brust strahlte die Sonne des Glückes und weckte da drinnen das Blühen der Hoffnung wach. – Eilig schritt er fort. – Jetzt wollte er Magda aus dem Nähgeschäfte wo sie angestellt war abholen. – Es war erst fünf Uhr nachmittags, – aber heute musste sie früher weg, musste überhaupt ihre unwürdige Stelle aufgeben. Er ging immer schneller. Er stellte sich die Freude der Geliebten vor, und sann dann weiter... Das würde jetzt ein Dasein werden voll Licht und Lust. – Jetzt würde er schaffen können – an ihrer Seite, unter ihrem Zuspruch. Freilich Zuspruch und Rath könne er von ihr schon annehmen. Sie hatte ja in ihrer Kindheit eine gar treffliche Bildung genossen. War doch ihr Vater der große M. dessen Bilder heute noch bewundert werden und der dann durch die Ungunst der Verhältnisse im Elend starb ... Ja, Magda sollte jetzt wieder gute, gute Zeiten haben... Da stand er schon vor dem großen Wäschegewölbe. – Hastig trat er ein. – Er reichte Magda beide Hände und trat an ihrer Seite in den Hinterraum. Dort waren sie allein. Er umfing sie stürmisch, küsste sie auf die Stirne und schaute dem bleichen Mädchen dann eine Weile stumm in die Augen.

Noch ahnte sie nichts. Er las die große Frage, das süße Erstaunen in ihren Blicken: Du kommst zu so ungewohnter Stunde? Und wie ein übermüthiger Junge fasste er sie nochmals, drehte sie im Kreise, dass die Dielen knarrten, riss den Brief des Oheims heraus.

Lies! rief er und seine Stimme zitterte.

Mit bebenden Fingern entfaltete das Mädchen das Blatt und trat unter die Gasflamme. – Sie las nur zwei Zeilen, dann lag sie mit einem Freudenschrei in seinen Armen. –

Vorn im Verkaufsraum drängten die neugierigen Genossinnen Magdas verstohlen zur Thür des Kämmerchens. – Drin aber waren zwei glückliche Menschen. –

*

Jetzt schritten sie nebeneinander die Nymphenburger Allee hinab der Stadt zu.

Der selige Rausch hatte einer stillen, innigen Glücksempfindung Platz gemacht, und in ihren Augen lohte das Feuer einer grenzenlosen Liebe.

Sie spürten nicht den Regen, der noch immer lautlos niederrann. Sie sprachen von der Zukunft. –

Sonnige Bilder langersehnter Freude. Sie malten sich die Zimmerchen aus, die sie bewohnen würden, und wie sie das und jenes am Besten und gemüthlichsten aufstellen sollten; und sie gedachten des Winterabends an dem sie so traulich am lodernden Kaminfeuer sitzen und sich erzählen würden von ihrem langen, bangen Kampfe um den endlichen Lohn ihrer großen, sieghaften, reinen Liebe!

Wirklich. Jetzt war es ja zu Ende das jahrelange, hoffnungslose Harren. Das Ziel, das ihnen vor einer Stunde noch unerreichbar geschienen stand plötzlich knapp vor ihnen. Sie mussten nur darnach greifen...

Sie dachten beide zugleich diesen Gedanken.

Unwillkürlich sahen sie sich an.

Und unwillkürlich dachte Ehrhard: Ob ich sie immer lieben werde?

Er erschrak über diesen Einfall.

Magda aber fühlte ihn. – Sie zuckte zusammen.

Erhard, sagte sie sehr leise, »wir werden sehr glücklich sein!«

»»Sehr glücklich««

Dann schwiegen sie.

Der Regen wurde dichter, die Dämmerung schwärzer.

Beide schwiegen.

Und wieder dachten sie an die Zukunft.

Aber jetzt kamen andere Bilder. So nüchtern kam ihnen alles plötzlich vor. –

Diese Kleinlichkeiten, dachte der Künstler. – Wie sollten sie davon verschont bleiben? Die kleinlichen Sorgen würden schon kommen. Die Worte jenes Briefes fielen ihm bei: »bescheiden... sehr bescheiden ...«

Jetzt vernahm er, dass Magda seufzte.

Er erschrak. Sie konnte doch nicht wissen ...

Ihre Tritte klatschten eintönig auf dem nassen Boden. Sonst war es ganz still. Hin und wieder erwachte der Wind in den Ästen und seufzte ...

Und beide schwiegen...

Magda legte ihren Arm fester in den seinen.

»Ist dir kalt, Lieb'?«

»»Nein, Erhard?««

Aber er fühlte wie die Kälte sie schüttelte.

Sie schmiegte sich innig an ihn.

Er schauerte zusammen.

Ein toller Gedanke kam ihm zu Sinne: Das Weib ist jetzt dein – ganz dein, – sie muss dir gewähren ...

Und er blickte seine Begleiterin an.

Dieses zarte, durchscheinend bleiche Gesichtchen mit den großen Augen in denen keusche Träume dämmerten ...

Er wandte den Blick ab.

... so eine Dirne mit frechen Augen und gierigen Lippen, die hatte manchmal in ihm etwas geweckt wie sinnliche Wuth; durch zwei, drei Gassen war er ihr gefolgt, bis der Ekel ...

Aber dieses Kind ...

Das hieße ein Verbrechen ...

Es fiel ihm bei, dass er sie immer seine Muse genannt hatte.

Seine Muse!...

*

Jetzt hob sie die Augen zu ihm.

Er wandte ihr den Kopf zu. Das Mädchen sah sehr ernst aus.

»Du wirst mich immer gern haben, Erhard?« Verhaltene Leidenschaft lag in ihrer Stimme.

»»Immer«« sagte er tonlos, immer, mein Ideal ...

»Werde ich dein Ideal auch bleiben? –« Sie sprach sehr leise. –

Erhard schwieg.

Der Regen rieselte gleichmäßig.

Die ersten Häuser der Vorstadt tauchten auf wie schwarze Riesen...

Der junge Mann ermannte sich:

»»Du wirst mein Weib«« ...

und sie schwiegen.

*

Vor Magdas Wohnung in der einsamen Quergasse standen sie still.

»Wir waren so glücklich« flüsterte der Maler.

Das Mädchen seufzte.

Er umfasste sie mit heftigem Ungestüm. – Er küsste ihr die Thränen von den heißen Augen.

Lange blieben sie so.

Ferne Schritte schreckten sie auf.

Magda riss sich los. – Schwer fiel das Thor hinter ihr ins Schloss.

Bender zuckte zusammen.

Er schluchzte laut wie ein Kind. – Der Regen schlug ihm wild ins Gesicht. Und er wankte die einsame Straße hinab. –

Sie hatten sich verstanden.

Sie sahen sich niemals wieder. –


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