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Eine Heilige

Motto: »Der Sünde Sold ist Tod...«
Röm. 6. 23.

Es gibt Menschen, die rein bleiben mitten im schmutzigsten Leben. Wie der Mondstrahl sich nicht befleckt, der in der jauchigen Gosse irrt. – Es gibt solche Menschen. Und ich stelle sie mir immer so vor, wie die Gestalten der ernsten, Byzantinischen, nachgedunkelten Heiligenbilder mit den schmalen klaren Stirnen und langen, dünnen, fleischlosen Händen. Händen, wie sie die entsagende, gebende Liebe hat ...

Und – war sie denn eine Heilige? – Sie, die schwarzhaarige Anna, das Ehweib des Schlossers Gaming? –

Fast so sah sie aus wie jene Kirchenbilder. Nur nicht so ernst, – kindischer kleiner, unbedeutender, – aber viel trauriger. So traurig!

Mir war immer, als müsste die Sonne verglimmen, wenn dieses Auge ihr begegnete.

Und Anna schaute gern in die Sonne.

Besonders wenn der rothe Ball im Westen hinter die Hänge rollte.

Da saß sie da in der dumpfigen Stube am Fenster, das Gesicht in die hageren Hände geschmiegt, und bohrte ihre Blicke in das ferne Abendfeuer.

Dann – wenn es verloschen war und der wehmüthige Sommerabend das müde Grün der Hügel mit cardinalrothen Streifen grenzte, dann ging erst die Sonne in ihren Augen auf, die milde Sonne der Träumerei.

Leise regten sich ihre dunkelrothen Lippen.

Halblaut sang sie die Volksweise; ihre Stimme klang, wie der Frühwind in Erlenbüschen:

... er kommt, ich weiß,
Zu mir zurück
Und mit ihm kommt
Das alte Glück.
Es kommt zurück
Trotz Neid und Noth, –
Das alte Glück
Ist ja nicht tod...

*

»Himmel Donnerwetter, – wirst mir noch vielleicht einen Vorwurf machen, du ... Ich kann nachhaus kommen wanns mich freut, merk dirs! – Und wenn du... Herrrr Gott!« Gaming ließ die Faust dröhnend auf den Tisch fallen.

Anna saß in der Ecke und schaute mit großen Augen ins Leere. »Und wann ich mich besauf, gehts dich auch nichts an! Mich freuts einmal so! Was bist so dumm, du Stubenhockerin, und gehst nicht auch auf dein Vergnügen aus?... Ho – hab halt nichts dagegen... Ha, ha, ha, ha – und er lachte unbändig; das schleimige, raschelnde Lachen der Säufer. –

Sein Weib fröstelte.

Der Schlosser erhob sich schwerfällig und ging mit unsichern schwanken Schritten aus der Stube.

Und jetzt weinte Anna. Weinte still wie ein krankes Kind in Fieberträumen weint. Warum? Weil es ihr so weh that links beim Herzen.

Es pochte.

Noch einmal.

Ein jüngerer braunlockiger Mann stand in der Thür.

»Morgen, Frau Gaming. – Doch – Ihr weint's ja?!«

Nein, sagte die Schlossersfrau und fuhr sich mit der Hand über die Augen – ich wein' nicht ... 's ist nur so ...

Und dann in anderem Ton: »Morgen, Anton.«

Sie reichte ihm die Hand.

»Setzt' Euch ein wenig.«

»Dank schön.«

So saßen sie nebeneinander.

Anna und der junge Schreinermeister Anton. – Aber sie sprachen kein Wort.

Dann sagte Anna leise:

»Wohin geht's denn?«

»Arbeit – in die Stadt.« –

»So?«

»Ja«. –

Stille. –

»Wie gehts Eurer alten Mutter, Anton.«

Dank der Nachfrage, Frau Gaming, 's muss halt. Mein Gott so ein alt's Frauerl...

Und wieder still.

Draußen stand der Sommertag und schaute mit blauem Auge herein.

Und es löste das Licht seines Blicks die Herzen der beiden Menschen.

»Frau Gaming?«

»Anton?«

»Er hat Euch heut' wieder g'schlagen?«

Anna schwieg.

»Offen – sagt mirs.«

»Ja.«

»Ja, könnt ihr denn das so fort ertragen?«

Sie schaute ins Weite.

Und er nahm sich Muth: »Anna, weißt ich bin Dir so gut – komm mit mir!...«

»Mit...« einen Augenblick lohte es auf in ihrem Blick.

Just so wie wenn sie das Volkslied sang.

Dann verlosch die Gluth jäh.

Sie sah ihn er(n)st und traurig an.

»Nein, das geht nicht.«

»Anna!«

»Nein.«

»Warum?«

»Ich bin sein Weib...«

»Aber...«

»Ich bin sein Weib.« –

Anton erhob sich. Sie reichte ihm die braune Hand.

»Adjes, Anton.«

»Adjes.« –

Und er ging. Bei der Thür spuckte er aus durch die Zähne. »Mit Gott.« Rief ihm Anna nach. Vielleicht hat er's noch hören können. Er schaute sich aber nicht mehr um. Gamings Weib saß wieder allein in der Stube. Und sie weinte wieder. Diesmal heftig und stürmisch. –

*

»Du lasst deine Stuben offen, die Nacht! – Hörst! Ich habs'n Wirten versprochen. Der Kerl ist ja ganz närrisch in dich. – Fort die Ann' und die Ann' ...«

»Trottel, hab ich ihm g'sagt, was hast denn an dem Ding g'fressen?«

Und dann haben wir trunken.

Und da ist der Wirt schlechter Laune g'west. –

»Gaming«, hat er g'sagt, »du bist mir schon ein Posten kreidig!« –

»No«, hab ich gsagt, zahlen kann ich Dir nicht. –

»Ich hab nichts.« –

Dann haben wir weitertrunken.

Dann hat er wieder angfangen.

»Ich hab nichts, Luder!«

Hast nicht dein Weib?...

Und wieder hat er mir eing'schenkt. Er hat einen verflucht guten Saft, der Kerl. –

»No magst das Weib?« Hab ich dann g'fragt.

»Ob?« ...

No, obst das Weib magst ...

No, und da hat er nicht nein g'sagt! Der Schlauchel! –«

Anna saß wortlos mit en(t)setzten, weiten Augen da. Ihr Gesicht war gelb. Ihre Hände klammerten sich krampfhaft an die Stuhlkante.

»Was gaffst denn so«, fuhr der Schlosser auf. – »Sollst froh sein, dass so ein g'sunder, starker Mann wie der Huberwirt dich will – so eine ...«

»Also lasst' ihn ein?«

»Nein.« Das klang wie ein Stöhnen.

»Nein!« schrie der Gaming. Willst du die Dame spielen. Weib, ich hab mein Wort geben, und der Sauhund schickt mirs Gericht und die Pfändung am Hals wenn du nicht ... Willst?

Sein Mund war voll Speichel. Er rollte die Worte mühsam heraus. – Willst?! Donnerte er am ganzen Leibe bebend.

»Nein.« sagte Anna fest. –

Da sprang Gaming mit erhobener Faust auf sie zu; und er packte sie an der Schulter, dass das Kleid in Fetzen ging und rüttelte sie ...

»Ich bin dein Herr, Weib! Ich hab hier auch noch ein Wort mitzureden – Auch noch ein Wort ...« stammelte er in wahnwitziger Wuth. »Ha, ha, ha, ha« ... gellend lachte er auf und ließ ab von Anna.

– Und ich frag dich noch erst? ...«

Er spuckte weithin auf die Dielen und schob sich grinsend hinaus. Er schloss hinter sich die Thür und mit winselndem Klagelaut drehte sich der Schlüssel im Schloss um. –

»So ...« hörte Anna ihn sagen – dann ächzte die Treppe unter des Schlossers gewichtigem Tritt. –

Stille.

Und Anna saß da den Kopf in beide Hände gepresst. Und sie krallte ihre Finger in das dichte, weiche Haar und in die Kopfhaut tief, dass es sehr schmerzte. Der Schmerz that ihr wohl.

Was jetzt? Was jetzt?

Gar nicht denken konnte sie.

Und mechanisch und blöde lief ihr Blick hin längst der langen Rinnsale und Furchen der alten rissigen Tischplatte. Da gab es einen Punkt in dem alle die Striche zusammenliefen und diesen einen Punkt schaute sie jetzt an ohnmächtig sinnlos – und fiebernd ...

Der Punkt wurde immer schwärzer und schwärzer denn durch die Scheiben tropfte schon langsam der Abend. – Der Abend. Es schien ihr, als würfe er Netze aus, weite schwarzmaschige Netze sie zu fangen, wie der Jäger dem unschuldigen Wilde auflauert.

Sie fuhr empor. Es war kein Gedanke in ihr nur eine That: Sie riss das Fenster auf und an den Rebenstangen behende nieder. – Dann lief sie durch das kleine Hausgärtchen und jetzt stand sie in der schwarzen Seitengassen. Kein Besinnen! Und sie hastete weiter.

Wohin?

Ihr war zumuthe wie Jemandem der träumt, im Traume handelt, und der doch auch weiß, dass er träumt...

Wohin?

Sie hob das Auge.

Sie war weit, kaum dass sie die Gasse erkannte.

Da russte eine dürftige Öllampe.

Darüber hängt ein Aushängschild.

Und unwillkürlich steht sie und liest.

»Schreinermeister.«

Sie buchstabiert wie ein Kind bei dem unstäten unrastvollen Licht.

Aber dann sieht sie besser.

Und sie erkennt: »Anton ...«

Jetzt erst denkt sie.

Sie denkt vieles auf einmal – Alles ...

Hinauf. Eine enge, finstere holprige Treppe. Und an der Thür pocht sie über der das gleichnamige Schild glänzt.

Schritte drinnen.

Und sie reißt sie auf.

»Anton!«

Aus ihrem Auge fliegt ein Funken und entloht seines. Er fängt sie in seinen Armen auf und presst sie mit brutaler Naturgewalt an sich. In einem einzigen Schrei, ähnlich dem Ruf des Auerhahns, wirbelt sein ganzer, riesiger Jubel aus der Brust! Und sie sieht ihn an. Groß und ernst. Mit den Augen der ewigen, himmlischen, jauchzenden Liebe.

Und er versteht sie...

*

Sterne waren am Himmel gewesen. Aber der Morgen war trüb. – Perlgrauer Nebel kroch leise durch die Luft und die rundlichen Pflastersteine hatten glänzende Backen. Anna ging heim.

Sie schritt gebückt einher und ängstlich.

Ihr Aug aber glänzte.

Glänzte in jener heimlich-süßen Weise, wie Edelsteine glimmen im Dämmerschein.

Sie trat in ihr Haus. Und ihre Gestalt wuchs.

Sie ging nicht die Treppe hinauf zu ihrem Gelass.

Gaming schlief unten.

Sie schritt in die Küche und nahm unterm Herd das blanke Beil hervor. Es war schwer. Aber sie trug es leicht und gewandt.

Und jetzt öffnete sie die Thüre ihres Ehegenossen. Er lag da den Kopf weit zurück, das Hemde offen über der haarigen breiten Brust. Das struppige Gesicht strotzte knallroth aus den gestreiften Kissen.

Sein Athem ging rollend und schwer.

Alle Minuten pfauchte er.

Die Falten um die Augen waren, als ob er grinste.

So schlürfte er in Säuferzügen den – Schlaf.

Und eklig, hässlich, abscheulich war er.

Und Anna dachte an die letzte Nacht. –

Es fasste sie plötzlich unbewusst jenes Streben alles Hässliche aus der Welt zu räumen, der Welt, in der es so süße Wonnen gibt.

Sie trat herzu.

Der Dunst von Fusel und Schweiß packte sie und rann bis in ihre Fingerspitzen. In die Fingerspitzen die am Schaft des Beiles ruhten.

Und dieser Dunst krampfte ihre Arme, so dass sie sich hoben ...

Mit einem Schlag hatte sie ihrem Manne den Schädel gespalten.

Ruhig und sicher, wie man ein giftiges Thier totschlägt.

Und dann wusch sie sich, setzte sich auf ihren Platz am Fenster und raunte:

... Das alte Glück
Ist ja nicht tod ...«

... Und sie war doch eine Heilige!


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