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Die rothe Liese

Die Geschichte einer Unglücklichen

In der finsteren, engen Seitengasse ragte ein finsteres graues Haus. Drei Treppen hoch. – Unten wohnten ehrsame Leute, arme Beamte, rastlose Handwerker. Unter dem Dach aber hatte die rothe Liese ihr winziges Kämmerchen. Die rothe Liese! Wer kannte sie nicht? Das kleine Ding mit dem vollen Busen den kecken Schelmenaugen und den rothen Wangen ... Wer ihr begegnete schaute seitab zog die Mundwinkel abwärts und dachte: Die Dirne ...

Aber nächtlich da schlich so mancher zu dem grauen Hause. – Leise zog er die altmodische Klingel, die erst stöhnte ehe sie gellend anschlug. Dann blieb es immer still. Erst in einer Weile vernahm man schwer schleppende Schritte. Der riesige Schlüssel drehte sich unwillig im rostigen Schlosse – dann ein Ruck und das eichene Thor gab nach. Die Hausdienerin stand mit den triefenden blöden Augen ein verschmitztes Grinsen im alten Gesichte da, nickte, schloss behutsam wieder ab – und ließ den nächtlichen Gast mit einem höhnisch klingenden »Gut Nacht« die steile, ausgetretene Wendeltreppe hinanstraucheln. – Fast täglich kam einer, – und fast täglich ein Anderer ... Ja, die Liese, dachte die hexenhafte Dienerin unten, die verstehts... und sie kicherte in sich hinein. Sie machte ja auch ihr Geschäftchen dabei; da gabs Sperrgroschen die Fülle – und Trinkgeld noch obendrein. – Aber seit ein paar Tagen war die Thorhüterin sehr schlimmer Laune. Umsonst horchte sie immer bis es elf vom nahen Thurme schlug. Zwei dreimal lief sie sogar schauen ob sie die Klingel, die doch tüchtig schmetterte, nicht etwa überhört hätte? Nein – es kam niemand. – Sie überlegte hin und her ... was war der Grund? ... sollte das Mädchen das einträgliche Handwerk aufgegeben haben? So dumm konnte sie doch nicht sein ... Jung war sie auch noch – und sicher hätten noch genug Tölpel kommen mögen ... sicher ... und die Alte beschloss sobald der nächste Morgen angebrochen sein würde hinaufzugehen, und sich energisch Klarheit zu verschaffen.

Über die rothe Liese im kleinen Stübchen oben aber waren Stunden der Einkehr gekommen. – Sie wusste selbst nicht wie. – Fern aus dem kleinen Heimatdorfe war ein Brief ihr geworden; – kaum drei Zeilen mit zittriger, ungeschickter, kindischer Hand. – Von der Mutter. – Die glaubte ihr Kind wohl versorgt in einer Handschuhnäherei. Sie sandte ihm ihren Segen – den letzten; denn sie fühlte sich matt und krank. – Das Mädchen hatte den Brief gelesen und ihn dann in ihr Schubfach gelegt. Aber wie oft hatte sie ihn wieder vorgenommen. – Sie saß da, überlas die armen, kargen und doch so innigen Worte! Las sie immer wieder und weinte. Abends aber verriegelte sie wohl ihre Thüre und hielt das zerknitterte Papier fest zwischen den gefalteten Händen wenn sie einschlief. Und wenn sie morgens erwachte da küsste sie wieder und wieder den schlichten Brief.

Es muss anders werden! So sagte sie sich.

Und sie kniete hin und flehte: »Mutter, Mutter, hilf mir!«

*

... draußen pochte es. – An der Schwelle stand die alte Thürwärterin mit widerlichem, verständnisvollen Lächeln. – Liese schenkte ihr wenig Achtung. Sie bereitete sich zum Ausgehen vor. – Sie wollte einen heiligen Gang thun ...

Die an der Thüre hüstelte; es klang hässlich und heiser.

Das Mädchen ordnete sich vor dem kleinen, fleckligen Spiegel das reiche rothgoldige Haar: »Was giebts denn Brigitte?«

Die Hexe hüstelte wieder.

Liese drückte sich den Hut auf die widerspenstigen Locken.

»Nun.«

Brigitte hinkte näher. Ihre dürre Gestalt reckte sich unter dem verschossenen missfarbigen Hülltuch. Mit ekliger Vertraulichkeit legte sie die schmutzige Hand auf des Mädchens Schulter. Die dünnen bläulichen Lippen umzogen teuflische Falten – ...

»He, Fräulein Liese«, kicherte sie ... – heut' nacht, – ich hab einen bereit« ...

Die Angeredete erbleichte.

»So um ½ II,« fuhr die Kupplerin fort. Das Mädchen trat zurück. Sie empfand Abscheu vor diesem gemeinen hässlichen Weibe.

»Du darfst niemehr jemanden herauf lassen« sagte sie ernst. Ihre Stimme zitterte.

»No, no, schönes Fräulein« begütigte die Thorhüterin – »bös müssens nicht sein, wir verstehen uns doch ... gelt?!« Sie zwinkerte ein paar Male mit den rothumrandeten Liedern.

»Untersteh dich nicht –, Alte, geh ...«

»Ah so,« unterbrach sie die Megäre, so gefällt's dem gnädigen Fräulein, – mich einfach hinauswerfen – so – so – no ich geh schon aber warten's nur; ja das ist der Lohn, wenn man sich so ein saubers Fruchtel ins Haus nimmt so eine ... Sie brummte noch eine Weile fort. ... aber ich will schon dem Hausherrn sagen, er soll so was nicht dulden ... nicht dulden ...

Liese verließ zugleich mit der Hexe die Stube.

Sie war sorgfältiger gekleidet als sonst.

Das erweckte die Neugier des Weibes.

»Wohin geh'ns den(n) Fräu'l'n?« fragte sie in freundlicherem Tone.

Das Mädchen antwortete nicht.

Dann während sie die Treppe herunterschritten sagte sie kaum hörbar:

»In die Kirche.«

Die Alte lachte auf, dass sie sich am Geländer halten musste. Schrill gellte es im dunkeln Stiegenhause.

Liese aber ging wirklich in die Kirche.

*

Liese war eingetreten in die hohen dämmernden Hallen der Kirche, und ein Gefühl, das ihr bis zum Augenblicke fremd war, hatte sich unvermerkt in ihr Herz geschlichen. Ein Gefühl von Weihe und Zerknirschung;

Die goldnen Heiligen blickten sie so sonderbar, so geheimnisvoll an von den grauen Sockeln herab und das weite Schweigen der einsamen hohen Hallen, in denen der Schritt ihrer kleinen Füße so mächtig widerhallte, als sollte das bebende Echo Allen künden: hier geht eine Sünderin, – dieses weite Schweigen senkte sich wie ein Morgennebel auf die Nacht ihrer Seele. Licht ward in ihr. – Gleich der jauchzenden Lerche die dem Dämmern des heimlichen Frühlichts freudig entschwebt, entstieg ihrem reuigen Herzen leicht ein befreiend Gebet. – Noch war es ja nicht zu spät zur Umkehr, – noch hatte das Laster das Vermögen reinen Gefühles ihr nicht aus dem Busen vertrieben. – Sie fühlte es. Und sie rang in heißem, kindlichem Flehen an den Stufen des ragenden Altars die Hände. – Unstät flackerten zu beiden Seiten die Totenkerzen die hohen und schleuderten irrende Lichter auf das Antlitz des wunderthätigen Madonnenbildes. – Der Sünderin schiens als träte in die bräunlichen Wangen Marias des Lebens entzückende Röthe und als umspielte die Lippen der Mutter Christi ein Zug von Milde, Erbarmen – Vergebung!

Sie erhob sich und schlich mit zitterden Zaudern in den Hintergrund des Gotteshauses zu einem der schweren, geschnitzten, eichenen Stühle. Ein Taumel von Reue und Gram hatte sie erfasst.

Sie kniete hin auf der harten Stufe und legte die zuckenden Lippen fast an das dichtvergitterte Fensterchen ...

Eine Weile zögerte sie.

Es war ein junger Priester vor dem sie kniete.

Sein schwarzes Auge loderte.

Ein Schauder fasste sie; sie sollte diesem Manne ...

Aber der hohe, überweltliche Feierfriede der hehren Kirche floss mählich wieder ihr lautpochendes Herz.

Sie heftete die Blicke niederwärts.

Mit bebender Angst gestand sie – alles ...

Ihre ganze leichtsinnige Schuld flüsterte sie unter Thränen dem Manne zu, dem Vertreter Gottes!

In dem Kleide der Zerknirschung stand ihr furchtbares Geständnis vor dem ewigen Richter.

Ein rüttelnde(s) Weinen zerrte an ihren Gliedern.

Die Stäbe des Gitterfensterchens tanzten ein(en) tollen Reigen.

Sie hob den Blick empor – sah die mächtigen Säulen wanken, stürzen ...

Die Sinne schwanden ihr ...

Sie lehnte mit geschlossenen Augen im Dunkel des Stuhles.

*

Sie kam mählich wieder zu sich.

Eine milde, volltönende Stimme legte ihr den kühlenden Balsam des Trostes auf die brennende Wunde der Seele.

Der Mann hinter dem Gitter war es, der zu ihr sprach, der Priester. Leise und ernst.

Sie achtete nicht auf den Sinn – der Ton allein that ihr wohl. Sie vernahm Worte von Frieden und Glück – hier und im Jenseits ...

Ihr schauerte.

Es war kalt in der Kirche.

Aber das Herz war leichter. Jetzt horchte sie auch auf den Sinn der Rede. Sie bewunderte, sie verehrte diesen Mann, der da von seinem Gotte beseelt Trost und Erbarmen geben kann ...

Jetzt vernahm sie ein paar lateinische Worte.

Mit bebenden Fingern machte sie das Kreuz.

Langsam erhob sie sich.

Des Priesters dunkles Auge blieb fest auf sie gerichtet.

Ein Gefühl innigen Dankes bewegte sie. Durch ihn hatte ihr der Himmel vergeben. – Er reichte ihr die Hand mit der Stola – und sie küsste die Hand.

Selig taumelte sie über die Schwelle der Kirche in ein neues, neues Leben! –

*

Als es Abend wurde saß die rothe Liese am Fenster ihres Kämmerchens. Sie schaute mit klarem, sonnigem Auge hinaus auf die grauen Dächer und die russigen, mürrischen Schornsteine. Ihr Herz war hell und Gedanken aus ferner Kindheit spiegelten sich in ihrem ruhigen Innern wie wandelnde Wolken im schweigenden Waldsee.

Ja, der heilige Mann im Beichtstuhl hatte ihr heute Vergebung verliehen. Vergebung des Himmels und mit ihr auch die ihrer Mutter. Gewiss – auch die schlichte, alte Frau hätte dieser Reue Verzeihung gewähren müssen.

Die Dämmerung wurde immer dichter.

Nur die Umrisse der Dächer stachen noch scharf von dem matten Grau des Abendhimmels ab, und die vielen Kamine reihten sich aneinander wie geheimnisvolle Lettern, die eine unsichtbare Hand auf die Wolken geschrieben hatte ...

Das Mädchen erhob sich. Sie öffnete Schrank und Schubfach und vernichtete alles – was sie an die entsetzliche Vergangenheit erinnern konnte, an jene Vergangenheit der Spuren der Odem göttlicher Gnade von ihrer Seele gehaucht. Da gab es Briefe und Bilder, Tücher und Blumen, welke zerdrückte Sträußchen ... Langsam legte sie alles in den Rachen des rostigen Eisenofens. Dann lohte sie ein Feuer an ... Nach und nach zog sich die bläuliche Flamme weiter und weiter, leckte roth auf, sobald sie das Papier ergriffen hatte, und fraß in rasender Eile an den schuldlosen Opfern. Liese aber stand davor und sah zu wie die schamlosen Briefchen sich spalteten und rollten und kräuselten, gleich als müssten sie sich winden in namenlosem, unendlichem Schmerze, – und dabei surrte und summte es leise als stammelten sie in Todesangst: ...» wir lügen! wir lügen...«

Ja, sie haben gelogen, sagte sich das Mädchen.

Die Flamme erlosch jäh.

Verlorene Glut irrte durch den schwarzen Aschenhauf.

Liese wandte sich ins Zimmer, und entbrannte die kleine Öllampe.

Sie nahm ein Buch vor, ein schlichtes altes Buch: Sagen, Legenden Erzählungen.

Sie schlug es auf und las von »Rosa von Viterbo.«

Sie vertiefte sich in das Leben der Heiligen – zitterte für ihr Schicksal – wie sie das Kleid voll milde Gaben zu den armen Hungernden niederstieg ... Sie vernahm gar nicht dass die Thür ihres Stübchens geöffnet wurde

Brigitte stand an der Schwelle ...

Sie grinste und hinkte auf das Mädchen zu.

Jetzt erst vernahm Liese Schritte.

Sie erschrak als sie die Alte hart neben sich sah ... Was wollte die – es musste doch schon Nacht sein? ...

Die Thorhüterin neigte sich zu ihr.

»He, he«, kicherte sie, »Fräul'n, soll niemanden herauflassen, der – der geht aber nicht ..., geht nicht« ...

Das Mädchen stieß die Alte empört von sich.

Sie eilte zur Thür, die nur angelehnt war.

Jäh riss sie sie auf.

Das Wort des Grolls erstarb ihr auf den Lippen.

Der Priester! – derselbe, der Vormittag ihr den Frieden gegeben er kam jetzt? ...

Sein Auge lohte Sünde ...

Er trat ein.

Liese schaute ihn starr an.

Sie sah wie er auf sie zukam nah, ganz nah, sie spürte schon den Hauch der gierigen Lippen ...

Sie wollte fliehen, schreien ...

Sein begehrendes Auge that ihr weh ...

Da aber fiel ihr die Beichte ein ... Vergebung durch ihn? ... Sie lachte schrill auf und warf sich dem Mann in die Arme. –

Die Alte aber schlich zur Thür und kicherte zwischen den Zähnen: Die giebts nicht auf die giebts nicht auf. ...


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