Wilhelm Heinrich Riehl
Ovid bei Hofe
Wilhelm Heinrich Riehl

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Sechstes Kapitel.

Der Tag, welcher für unsere kleine Welt im Schlosse ein so bewegter gewesen, war draußen in der Natur im tiefsten Frieden auf und nieder gegangen. In ruhiger Pracht hatte die Sonne sich verglüht über den abendfeuchten, wiesenduftigen Thalgründen, und an dem Nachthimmel, der so klar und unergründlich tief sich ausgoß wie die regungslose Fläche des stillsten Gebirgssees, kam der volle Mond aufgezogen in ruhender Majestät, und um ihn versammelte sich, zahlreicher und immer zahlreicher, sein lichtfunkelnder Hofstaat von großen und kleinen Sternen. Tiefes Schweigen lag über dem Schloßgarten. Die dichtverwachsenen Gebüsche und Baumgruppen ruhten in dunklen Massen neben den vom blauen Mondlicht traumhaft übergossenen offenen Blumenbeeten und Rasenplätzen; nur die Springbrunnen flüsterten sich von fernher leise Worte zu, und manchmal erklang ein heller Vogelschlag darein.

Der Orangerieflügel des Schlosses war erleuchtet; er lief in einen gegen den Garten geöffneten Saal aus. Vor den Pforten des Saales befand sich ein Altan, von welchem man auf den zwölf breiten Stufen einer prächtigen Marmortreppe zu den Blumenbeeten herunterstieg. Die Seiten der Treppen aber waren geschmückt mit den schönsten kugelrunden Orangebäumen und auf dem Altan selbst standen seltene ausländische Sträuche, Bäumchen und Blumenstöcke zu einer Laube aufgebaut, die den hohen Herrschaften heute abend beim Anhören der Serenade als Loge dienen sollte.

Jetzt erscheinen einzelne Fackeln auf dem freien Platze vor dem Altan; ihre Zahl mehrt sich; wohl zwanzig Fackelträger stellen sich im Halbkreise auf. Gleich Opferflammen in einem heiligen Haine wallt die rote, ruhelose Glut der Fackeln, lange, magisch beleuchtete Rauchsäulen nach sich ziehend, hinan zu dem dunklen Himmel mit dem ewig gleichen, ewig klaren blitzenden Demantschein seiner Sterne, und die umstehenden Gebüsche und Bäume stechen im Wiederglanz der roten Lohe gar grell hervor aus der pechschwarzen Finsternis, die nun dreifach dunkler den Hintergrund deckt. – Musikanten stellen sich auf neben den Fackelträgern. Dann erscheint eine Tänzerbande, die Paare als Mohren verkleidet. Sie reihen sich, zum Tanze gerecht, vor den Fackeln in malerische Gruppen. Alles harrt, verhaltenen Atems, des Erscheinens der Herrschaften auf dem Altan.

Lichter bewegen sich längs der großen Rundbogenfenster des Saalbaues. Das kündet die Erwarteten. Mit kleinem, aber glänzendem Gefolge tritt die reizende Fürstin an der Hand des in der natürlichen Gravität angeborener Herrscherwürde einherschreitenden Gemahles aus den weiten Flügelthüren. Da schmettern die Musikanten die jubelnden, doch königlich stolzen Accorde und Rhythmen einer Sarabande; in gemessener Bewegung wogen die Gruppen der Tänzer von den Blumenbeeten vor gegen den Altan und bezeugen dem fürstlichen Paare ihre Huldigung; dann aber gehen die Fanfaren der Sarabande in den wilden Jubel eines Mohrentanzes über und in phantastisch bunten Tanzfiguren schweben nun die Paare der schwarzen Masken bald im Hintergrunde zerstreut zwischen den Blumenbeeten auf und nieder, bald einigen sie sich wieder vor den Stufen des Altans.

Ein blendender Lichtglanz hatte sich beim Eintritt der Herrschaften über den Altan ergossen und in der ruhigen, sonnigen Helle zahlloser Wachskerzen, die wiederum gar malerisch gegen den bewegten roten Fackelschein im Garten abstach, leuchtete die reichgeschmückte, jugendschöne Erscheinung der Fürstin, umringt von den bescheideneren Schönheiten ihres Gefolges, in der That wie die Feenkönigin eines Zaubermärchens. Die Gestalt des Fürsten dagegen war ganz umhüllt von einem weitfaltigen weißen spanischen Reitermantel, den er gegen Gebrauch und Etikette im Momente des Hervortretens zurückzuwerfen vergessen hatte, was ein unmerkliches Geflüster bei den Hofleuten erregte. Denn im Glanze des purpurnen Sammetrockes mit Band und Stern hätte der Fürst nach zurückgeschlagenem Mantel in demselben Momente dastehen müssen, wo Lichtschimmer, Trompeten- und Paukenklang und das Anwogen der Tänzerschar zumal das prächtige Schauspiel eröffneten.

Nur wenige Worte wechselte der Fürst lächelnd mit Eudoxia, als er sie zu ihrem goldenen Sessel führte. Die stolze Heiterkeit fröhlichen Genießens, gepaart mit dem Bewußtsein, daß all diese Zauberei vor allen ihr selber in Huldigung zu Füßen gelegt sei, strahlte auf ihrem Antlitz. Auch des Fürsten Züge wurden heiter, wie im Wiederschein der Heiterkeit der Gattin. Kaum jedoch hatte der Tanz begonnen, so entfernte sich der Fürst mit leichter Entschuldigung und Verbeugung von Eudoxias Seite und zog sich in die äußerste halb dämmerige Ecke des Altans zurück, wo im Schatten der Orangenbäume ein zweiter Sessel für ihn bereit stand. Als eigentlicher Festordner und Regisseur des Schauspiels hatte er für heute diesen Platz sich vorbehalten, den geeignetsten, um unbemerkt zu beobachten. Und in der That musterte er von da die Scene mit so durchdringend aufmerksamem Blick, als gälte es die Dispositionen eines Feindes bei Entwickelung einer entscheidenden Schlacht mit dem Auge des Feldherrn wahrzunehmen.

Der Tanz war zu Ende; die Mohren verschwanden in den Gebüschen; die Musik verstummte.

Da trat der Hofmarschall vor und verkündete dem fürstlichen Zirkel auf dem Altan, es werde nun ein ritterliches Turnier beginnen, aber nicht ein Kampf mit Schwert oder Lanze, sondern ein Sängerkampf. Anton Howora aus Böhmen, des Meisters Dal Segno Schüler, und Franz Lämml, der Schüler seines Vaters, des Meisters Ignaz Lämml, seien die Kämpfenden; der Preis des Siegers das allerhöchste Lob aus dem Munde seiner allergnädigsten Herrin, der durchlauchtigsten Fürstin Eudoxia, und zugleich die erledigte Hofsängerstelle. Die beiden Lehrer sollten nach vollführtem Wettgesang zuerst ihr Urteil abgeben, also, daß Meister Dal Segno den Schüler des Meisters Lämml und Meister Lämml den Schüler des Meisters Dal Segno richte. Dann werden Ihro hochfürstlichen Gnaden, wie es der Königin des Turniers gebühre, das Urteil sprechen und allerhöchst selbst den Preis zuerkennen.

Nach Beendigung dieser Rede bemerkten die Hofleute, daß der Fürst, endlich wohl seines Versehens sich erinnernd, den Mantel abgelegt hatte. Ruhig beobachtend wie bisher saß er da im dämmerigen Schatten der Orangenbäume, aber den weißen Mantel hatte er zurückgeworfen auf die Lehne des Sessels, und auf dem purpurnen Festgewande glitzerten jetzt die Brillanten des großen Ordenssternes aus dem Halbdunkel hervor.

Während die Musikanten sich zum Abzug rüsteten, brachte eine von den Mohrenmasken, die ihr Kostüm wieder mit einem großen grauen Mantel bedeckt hatte, dagegen durch die schwarze Larve noch ebensowohl nach ihrem Zeichen kenntlich als nach ihrer Person unkenntlich war, bald hier, bald dort Bewegung unter den Leuten im Garten hervor. Schon vor dem Erscheinen der Herrschaften war dieser vermummte Tänzer unter der Dienerschaft auf und nieder spaziert, schier jeden, der ihm in den Weg trat, mit Fragen und spitzigen Glossen aufs Eis führend, so daß alle übereinkamen, es müsse, auch nach Gang und Manieren zu urteilen, der Hofnarr des Fürsten sein, der sich unter dieser bequemen Larve irgend ein Schelmenstück ausgesonnen; denn beim Tanze hatte man die ziemlich auffallende Gestalt nicht gesehen; er war also kein echter Mohrentänzer.

Da seht! Eben bindet der Vermummte mit einem der Fackelträger an. »Ei, mein lieber Adam, auch du hier! Wie bist du denn so rasch aus dem Prison gekommen?«

»Durch des Fürsten besondere Gnade!« erwiderte stolz der Hundejunge, bolzenstrack stehen bleibend wie ein Grenadier und soldatisch die Fackel präsentierend.

»Hm! Der Fürst ist doch ein guter Mann, Adam!«

»Jawohl, Narr! Gott segne ihn. Ein guter Mann – freilich – aber auch der gutartigste Hund hat wenigstens vier Wolfszähne.«

»So hüte dich vor den Wolfszähnen, Adam! Doch jetzt hast du im Prison ja selber geschmeckt, wie das Wasser und Brot bekommt, welches du deinen Hunden statt Rindfleisch und Bouillon gespendet!«

»Hundebrot schmeckt immer noch besser als das Zuckerbrot, womit man einen Narren füttert!« sprach Adam trotzig und wollte die Maske mit seiner Fackel verscheuchen, aber schon war sie fortgehuscht.

Die beiden Maestri näherten sich dem Kampfplatz von verschiedenen Seiten, jeder von seinem Schüler begleitet. Allein wie im natürlichen Instinkt der Feindschaft blieben beide in den entgegengesetzten Ecken möglichst fern voneinander stehen. Von Zeit zu Zeit nur maß mit verstohlenem, durchbohrendem Blick der Gegner den Gegner.

Der kleine Italiener richtete sich auf den Zehen empor, um den Nebenbuhler seines Schülers zu erschauen. »Bah!« flüsterte er dann verächtlich zu dem neben ihm stehenden Franz Lämml, »eine miserable Gestalt ist dieser Sohn des Kapellmeisters, ein schmächtiger Junge! Der will Heldensänger sein? Schau das Püppchen da drüben! Das will einen Cyrus, einen Achill, einen Orest in unserer Oper darstellen!« Mit Stolz maß er dagegen den mannhaften Franz, der schier einen Kopf größer war, denn er selber.

In der That, der Sänger, welchen der Kapellmeister als seinen Schüler und angeblichen Sohn mitgebracht, war eine höchst zierliche, niedliche Figur, eher für Pagenrollen als für Helden geschaffen. Unter der Lockenperücke schaute ein allerliebstes feines Gesichtchen hervor, der großschößige Galarock saß fast etwas zu eng um die weiblich breit ausgerundeten Hüften.

Die Maske im grauen Mantel klopfte dem mädchenhaften jungen Burschen auf die Schulter. »Den Achill auf Skyros werdet Ihr trefflich spielen können, schöner Sänger, den jungen Achill, wie er als Mädchen verkleidet am Hofe des Lykomedes erscheint. Jedermann sollte dann schwören, Ihr seiet wirklich ein Mädchen. Aber für einen ausgewachsenen Achilles wäret Ihr doch etwas zu klein, meint Maestro Dal Segno.«

»Lästiger Narr! Hinweg mit dir!« rief zürnend und tief errötend der Angeredete. »Du bist Narr und Spion zugleich. Schon den ganzen Abend verfolgst du mich, und spottend willst du mich ausforschen. Hinweg!«

»Da bringt Ihr uns einen schönen Soprano zur Rolle der Thisbe, Herr Hofkapellmeister,« sprach nun die Maske zu dem Alten. »Den Pyramus müssen wir wohl dort drüben im feindlichen Lager suchen?«

»Narr, schweige mir von Pyramus und Thisbe. Unverdaulichkeit am Mittag und Schlaflosigkeit um Mitternacht weckt mir dieser Name. Ein Narr kann mehr fragen, als hundert gescheite Leute zu beantworten vermögen, und eine – – gescheite Frau, die Fürstin Eidechse kann mehr Aufgaben stellen –«

»Als hundert alte Narren wie du zu lösen im stande sind,« vollendete die Maske. »Da möget Ihr wohl recht haben, Freund Kapellmeister.« Und die Maske verschwand im Gedränge der Musikanten und Diener.

Auf einen Wink des Fürsten zogen jetzt die Fackelträger ab. Tiefes Dunkel deckte den Kampfplatz. Denn wie der Gesang der Nachtigall am ergreifendsten in des Menschen Seele hineinklingt, wenn aus dem verschwiegenen Dunkel der einzige Lichtstrahl ihres Tones in ruhiger Klarheit unserem inneren Gesicht leuchtet, so sollte auch Scarlattis Doppelgebet an die »hellglänzenden Sterne der Liebe« aus dem Helldunkel des mondbeschienenen Gartens zu dem Ohr der Fürstin emporsteigen, eine echte, in süße Träumerei einwiegende Serenade nach dem die Sinne erweckenden Lichtzauber, der den Mohrentanz mit seiner grellen Musik umflossen hatte.

Die beiden Sänger allein traten in den Vordergrund, nur ein klein wenig von dem Wiederschein der Wachskerzen des Altans beleuchtet. Franz begleitete mit der Laute. Zu beiden Seiten am Saume der nächsten Gebüsche standen die Meister, immer in möglichst großer Entfernung voneinander. Der ganze übrige Schwarm der Diener und Musiker war verschwunden.

Es ward stille, daß man atmen hörte. Der Fürst winkte. Der Gesang begann. Beide Stimmen trugen zuerst nacheinander die süße schlichte Weise des Themas vor, dem Texte nach ein Liebeshymnus, der aber zugleich zum Gebet zweier Liebenden wird, die sich dem Schutze des himmlischen Schicksalsgestirnes ihrer Liebe empfehlen. Der einfache Grundgesang erweiterte sich aber alsdann zu einem kunstreichen Spiel nachahmender Tonformen: eine Stimme drängt die andere, überholt sie, nimmt ihr jedes einzelne Wort der Melodie vom Munde weg, die Harmonien steigern sich, der Rhythmus hebt sich mächtiger, und die zwei Sänger singen in die Wette mit Tönen, die immer tiefer und tiefer aus dem Herzen herauszuquellen scheinen, die breiten Ströme des Gesanges brechen hervor in einer Fülle, als müßten sie den Sängern die Brust zersprengen, und die Hörer selbst packt es, als ob es auch ihnen die Brust zersprengen wolle, so rätselhaft gewaltig zittert ihnen jede Bebung des begeisterungsvollen Gesanges in allen Nerven wieder.

Als der Gesang verstummt, folgt zuerst die lautlose Stille des tiefsten empfundenen Beifalles. Jedem klingt noch in innerster Seele die Weise nach:

»Blickt gnädig, hellglänzende Sterne der Liebe!«

Endlich brach die Fürstin das Schweigen, ihren Damen zuflüsternd, sie hätte nie geahnt, daß ein anderes Sängerpaar, denn zwei wirklich Liebende, mit so erschütternder Wahrheit der Empfindung von der Liebe singen könnten.

Mit ehrfurchtsvoller Verbeugung treten die Sänger ab, und der Hofmarschall ruft die beiden Meister vor, auf daß sie ihren Spruch fällten.

Der Hofkapellmeister geht im Range voran; er erhält zuerst das Wort. Lächelnd beginnt er und zwar in so seltsamem Ton, mit einem so selbstbewußten schlauen Schmunzeln, daß die Fürstin in Parenthese gegen die Oberhofmeisterin bemerkt, so schneidermäßig verzwickt wie heute habe sie den Kapellmeister noch niemals gesehen. Er spendet dem Anton Howora (doch betont er diesen Namen jedesmal ganz absonderlich und begleitet ihn mit einer Grimasse des Lächelns), dem Anton Howora das höchste Lob, rühmte das Metall seiner Stimme, die Trefflichkeit der Schule, die Wärme und Wahrheit des Vortrags. Der ganze Hof bewundert die edle Unparteilichkeit des Kapellmeisters, und selbst die Fürstin verzeiht ihm darob wieder sein schneiderhaftes Schmunzeln.

In stolzer Genugthuung hört Dal Segno dieses Urteil. Die Mohrenmaske im grauen Mantel aber hatte sich an ihn herangeschlichen und flüsterte ihm zu: »Nun, Meister, Euer Gegner macht es wie ein edelmütiger Duellant, der den ersten Schuß hat und sein Pistol in die Luft abschießt. Da werdet Ihr wahrhaftig doch auch nicht nach des Feindes Brust zielen wollen?«

Dal Segno erwiderte: »Hier zu meiner Rechten steht ein Narr und zur Linken da drüben steht auch ein Narr, ich aber will als gescheiter Mann in der Mitte stehen und nach meinem Künstlergewissen sagen, was ich denke!«

Sprach's und trat mit stolzem Schritte vor gegen den Altan und fällte seinen Spruch folgendergestalt: des Kapellmeisters Sohn habe zwar mit guter Stimme und sonderlich beweglichem Ausdruck gesungen, dagegen fehle es noch gar sehr an einer guten Schule; statt ihrer zeige sich lauter Dilettantenfertigkeit, die der ersten Grundlage wahrhaft meistermäßigen Unterrichts ermangele. Die Vorzüge des jungen Sängers seien also glückliche Naturgaben; seine Schwächen dagegen lediglich eingeimpft und gehegt durch die höchst verkehrte deutsche Gesangschule.

Alle Blicke wandten sich auf den Hofkapellmeister. Allein er schien gar nicht so arg erzürnt über das Urteil des Gegners, denn er lächelte nur noch weit schlauer als vorher. Doch als der Italiener seinen Trumpf gegen die deutsche Gesangschule ausspielte, konnte Ignaz Lämml nicht länger an sich halten. Laut lachend rief er dem Maestro Dal Segno entgegen. »Mein Sohn, Herr Kollega! – das heißt – ja mein Sohn, – – der kleine Mann nämlich, der eben hier sang, hat gar keine deutsche Schule, es ist die reinste italienische.«

»Es ist deutsche Schule!« rief der Italiener in wütendem Ernst.

»Italienische Schule!« rief der Deutsche berstend vor Lachen.

»Italienische!« – »Deutsche!« – ging es gleichzeitig herüber und hinüber.

Eben wollte der Hofkapellmeister vortreten, um die Lösung des Rätsels laut zu verkündigen und nun auch seinen Triumph zu genießen; da schob sich eine neue überraschende Gruppe zwischen ihn und die Stufen des Altans.

Hand in Hand trat das Sängerpaar vor und kniete an der Marmortreppe nieder, und die Blicke bittend zur Fürstin hinaufgewandt, wiederholen sie die ergreifendste Stelle des Duetts, wo beide Stimmen nach dem Wechselgesang zur Vereinigung zurückkehren, in den innigsten einschmeichelndsten Harmonien das Thema wieder aufnehmend:

»Blickt gnädig, hellglänzende Sterne der Liebe!«

Aber mit dem angeblichen Sohne des Kapellmeisters war jetzt eine merkwürdige Veränderung vorgegangen: die Perücke war verschwunden, und das lange natürliche Lockenhaar umwallte den schönsten Mädchenkopf, und halb verschämt, halb mit Bangen, aber auch jetzt noch mit einer gewissen Schalkhaftigkeit schaute das reizende Gesicht Cornelias zu der erstaunten Fürstin empor.

Der Kapellmeister konnte sich nicht zurückhalten. In den eben beginnenden Bittgesang der beiden Liebenden sprudelte er die Worte: »Dort steht der echte Franz Lämml; Howora ist nur eine fabelhafte Person; das Mädchen aber ist Cornelia Dal Segno, angeblich mein Sohn; aber Dal Segno, Kollege! hört Ihr's! es ist doch italienische Schule, Eure eigene echt italienische Schule gewesen, was Ihr eben verdammt habt!«

Man rief den Kapellmeister zur Ruhe. Denn schien schon vorher das Höchste im Vortrag des Duetts geleistet zu sein, so wurde dies alles doch jetzt an Schmelz des Ausdruckes und Innigkeit der Empfindung noch weit übertroffen. Niemals hatte man ein bedrängtes Liebespaar rührender bitten hören. In wahrer Andacht lauschten alle Hörer. Und als die Sänger verstummten, mit flehenden Gebärden der Fürstin zugewandt, und abermals eine feierliche Stille eintrat, da erhob, wie zum guten Zeichen, eine Nachtigall in den nahen Büschen ihre Stimme und sang ihre Liebesklagen in die schweigende Nacht hinein, als wolle auch sie ihr Wort einlegen für die Bittenden an den Stufen des Thrones.

Franz und Cornelia erhoben sich. Hand in Hand gingen sie zu ihren Vätern. Die aber waren auch nicht ruhig geblieben, und so trafen alle viere in der Mitte des Kampfplatzes zusammen.

Da gab es aber eine so wunderlich gekreuzte Unterhaltung, daß keine Feder im stande wäre, den Knäuel der doppelten Zwiesprache zu entwirren und aufzuzeichnen. Die Liebenden baten um Verzeihung, um Versöhnung, um den Segen der Väter. Der Italiener wütete; er wollte seine Tochter gar nicht wieder anerkennen, die ihn also betrogen; er wollte Franz nicht mehr vor Augen sehen, der ihm seine Lehrgeheimnisse abgelockt und dann zum Dank dafür diese Schlinge gelegt. Der Kapellmeister suchte anfänglich das Paar zu schützen vor der Wut des Italieners, aber als er merkte, daß sein Sohn die Tochter seines Todfeindes ernstlich zur Frau begehre, schrie auch er in diese verzweifelte Quartettfuge hinein: niemals werde er sich so überlisten und überpoltern lassen, niemals sein Haus mit dem Hause des falschen Welschen verbinden. Wenn das Ziel aller Listen seines Sohnes hierauf hinausgegangen, dann sage er ihm rund heraus, daß Franz selber der am meisten Betrogene sei.

Alle diese Erörterungen aber fielen im Verlauf weniger Augenblicke, während die Zuschauer auf dem Altan noch ganz in der ersten Ueberraschung über die Kette seltsamer Vorfälle befangen waren. Schnell entriß sich jetzt Franz dem Redegetümmel der erbitterten Väter und führte Cornelia abermals zurück zu den Stufen der Marmortreppe. Er schaute hinauf zu dem Fürsten, allein dieser winkte ihm aus seinem Halbversteck fast zornig und drohend abwehrend mit der Hand. Er wagte nicht näher zu treten, nun erst aufs tiefste bestürzt. Das Benehmen des Fürsten war gegen die Verabredung. Derselbe hatte ihm heute nachmittag zugesichert, daß er im entscheidenden Moment als der Schützer seiner Liebe erscheinen und alles zur glücklichen Lösung führen werde. Jetzt war der gefährlichste, der letzte Augenblick der Entscheidung gekommen, und der Fürst verharrte unbeweglich, scheinbar allein teilnahmlos, auf seinem Sitze und winkte nur abwehrend, ja zornig drohend, mit der Hand!

Da schien Cornelien der Gedanke zu kommen, daß in dieser höchsten Not eines Mädchens wohl Frauenhilfe allein noch retten könne. Sie zog Franz hinüber gegen den Sitz der Fürstin und flehte dieselbe in einfachen, rührenden Worten um Schutz und Fürwort für ihre Liebe an.

Ein solches Auftreten der Sängerin war gegen alle Etikette. Eudoxia schaute darum zur Seite nach dem Fürsten. Aber er gab ihr kein Zeichen. Wie gerne wäre sie zu dem Gemahl gegangen, um nur drei Worte mit ihm zu wechseln. Doch das wäre ein noch ärgerer Bruch der Etikette gewesen. Eudoxia zauderte eine kleine Weile, dann aber siegte das Weib in ihr, und sie erhob sich, um der Sängerin freundlich zu antworten.

Allein in demselben Augenblick wurde die allgemeine Aufmerksamkeit so heftig auf einen ganz anderen Punkt gelenkt, daß Eudoxia das Wort auf der Lippe erstarb.

Zwischen die beiden zornigen Alten war die Maske im grauen Mantel getreten. Die weisen Meister wollten nicht hören auf die Worte des Narren, und ihr Zorn wälzte sich rasch auf ihn hinüber.

Da ergriff, als er sich kein Gehör schaffen konnte, der Vermummte die beiden Männer und zog sie mit einer Kraft des Armes vorwärts gegen die Marmortreppe, daß die Umstehenden höchlichst erstaunten. Einige Diener wollten einspringen und der Maske wehren. Weil aber der Fürst das Ding ruhig gewähren ließ, so getrauten sie sich auch nicht, dem Hofnarren in die Freiheit seines Narrenamtes einzugreifen. Allein Ignaz Lämml stellte, wie wir wissen, seinen Mann. In augenblicklicher Ueberrumpelung hatte er sich wohl von der Maske bewältigen lassen. Nun aber faßte er seinerseits die Maske am Mantel und rief, den Verwegenen mit starker Faust schüttelnd: »Jetzt ist nicht Zeit und Ort für deine Possen, Narr! Hebe dich weg, wenn ich dich nicht wegschleudern soll!«

Da fiel der Mantel des Vermummten; zugleich nahm er die Larve ab, und vor dem entsetzten Kapellmeister, der auf die Knie niedersank, stand die majestätische Gestalt des Fürsten, nicht im purpurnen Galakleid mit Stern und Band, sondern in seinem gewöhnlichen braunen Rocke.

Alle schauten nach dem Doppelgänger des Herrn, der unter den Orangenbäumen auf dem Altan saß: – in dem Augenblick, wo der vermummte Fürst die beiden Meister in den Vordergrund zog, hatte man ihn noch dort sitzen sehen, jetzt aber war er unbemerkt verschwunden.

Der Fürst sprach in der gewohnten, einschneidend befehlenden Würde des Tons: »Das Schauspiel von Pyramus und Thisbe soll mit Musik ausgeführt werden. Was suchet ihr lange bei dem alten Fabeldichter Ovid? Hier ist das liebende Paar, Pyramus und Thisbe. Dasselbe Dach, mein Schloß, herbergt beide Liebende und ihre feindlichen Väter. Heimliche Zwiesprache ist fleißig gepflogen worden. Alles trifft zu, so gut und so schlecht als es für eine Opera nötig ist. Die Katastrophe entwickelt sich wie im Ovid des Nachts, bei Mondschein unter freiem Himmel – das Grabmal des Ninus mag sich jeder nach Belieben hier in der Nähe suchen; auch an den Bestien der ovidischen Fabel fehlt es nach Unseren neuesten Entdeckungen unter Unserer hier anwesenden Dienerschaft weit weniger, als wir fast gedacht hätten. Aber die Oper soll heiter schließen, so will es das Gesetz König Karls VI. Darum müssen die Väter ihren Zorn bannen, sich versöhnen! Die Hände her, ihr Meister! Ihr zögert? Bei Unserer fürstlichen Ungnade, gebt euch die Hände! So! Und nun leget die Hände der Liebenden ineinander. Keinen Widerspruch! Es ist nur eine Hofsängerstelle erledigt, ihr Meister; die Fürstin aber wird sonder Zweifel beiden Sängern zumal den Kranz reichen. Darum müssen die beiden in die eine Stelle hineinheiraten; dann ist der Widerspruch gelöst. Wer wagt zu widersprechen? Morbleu! Haben Wir nicht ein höchsteigenhändiges Kabinettsschreiben erlassen des Wortlautes: ›Die Opera Pyramus und Thisbe soll lustig mit der Liebenden Heirat schließen: Coûte-que-coûte:so will und befehl' ich's.‹ Mit der beiden Liebenden Heirat! Hört ihr's! Keinen Widerspruch. Coûte-que-coûte:so will und befehl' ich's!« Und der Fürst selber führte die beiden Liebenden vor die Väter, und trotz der ingrimmigen Gesichter, welche die Alten seitab schnitten, wagten sie doch nicht, dem fürstlichen Befehl zu widerstehen.

Befriedigt lächelte Eudoxia dem Fürsten zu, und er winkte ihr dankend seinen Gruß entgegen. Aber noch kehrte er nicht auf den Altan zurück. »Wo ist denn unseres Herrn Bruders Liebden hingekommen, unser leibhaftiges Konterfei, das dort auf dem Stuhle saß? Bergmann! Wo steckt Er? Komm Er zu uns, Bergmann!«

Der Gerufene schlich aus dem Gebüsch hervor. Er besaß Takt genug, jetzt die Abzeichen der fürstlichen Würde in Gewand und Schmuck wieder mit dem weißen Mantel zu verhüllen. Als der Fürst seiner ansichtig wurde, bemerkte er sogleich das verzweifelte Gesicht des Malers, der an des Fürsten Stelle in die dämmerige Ecke geschlüpft war in dem Augenblicke, wo die Rede des Hofmarschalls die allgemeine Aufmerksamkeit abzog.

»Du hast den Fürsten brav gespielt, Bergmann!« sprach er leise, ihn zur Seite ziehend. »Aber wie? Hat dir die Sorge der Herrscherwürde schon binnen einer Stunde alle Heiterkeit von der Stirn genommen? Mensch, was machst du für ein Armensündergesicht!«

Der Maler erwiderte: »Alle freuen sich über den heiteren Ausgang der Komödie, nur ich muß den Fürsten spielen, und also geht die Historie für mich ohne Liebe aus! O wenn Eure hochfürstlichen Gnaden wüßten, was ich aushielt, als dieser Franz mit meiner Cornelia vorhin bittend mir nahte, bittend, daß ichich! – ihnen helfen solle, Durchlaucht würden mir die Bezähmung meiner kochenden Wut hoch anrechnen! Aber geängstigt habe ich die Verräterin wenigstens, als ich abwehrte und drohte, so zornig wie nur menschenmöglich, wo ich kein Wort sprechen oder dem Franz nicht wenigstens meinen Stuhl an den Kopf werfen durfte!«

»Freue Er sich, Bergmann, daß es so gekommen! Diese Cornelia ist nichts für Ihn. Sie hat ihren Vater betrogen, sie wird auch ihren Mann betrügen. Für den Franz paßt sie gerade darum, denn der betrügt sie wieder, und so machen sie sich gegenseitig etwas weis, und das gibt oft die glücklichsten Ehen. Sei Er froh, daß Ihm der Wiener Windbeutel diese Liebschaft abgenommen. Als ich vorhin den Hofnarren spielte, habe ich der schlauen Dirne auf den Zahn gefühlt, auch von Seinetwegen, Bergmann. Glaube Er mir, sie hatte nur ihren Spaß mit Ihm. Verschmerze Er die große Bretzel! Er muß nicht in das Komödiantenpack hineinheiraten, Bergmann! Da ist alles nur Trug und Schein, Brillanten aus Glas und Goldringe aus Messing. Suche Er sich ein braves deutsches Bürgermädchen, hört Er, Bergmann, die Ihn auch verstehen und erkennen mag, und dieser lasse Er dann die allergrößte Bretzel backen.«

Dann erhob der Fürst seine Stimme laut, daß alle es hören konnten, und sprach zum Maler: »Da Er mir heute so schöne Köpfe gezeichnet hat, Bergmann, so soll Er auch mein eigenes Porträt malen. Ich lasse mich aber nur von meinem Hofmaler porträtieren – Alexander ab Apelle – versteht Er mich! – Morgen kann Er anfangen!«

»Aber,« flüsterte Bergmann, »morgen habe ich noch sechs Stunden Arrest abzusitzen von wegen der Bretzel.«

»Meinen Hofmaler habe ich nicht in Arrest geschickt!« erwiderte huldvoll der Fürst.

Dann stieg er die Stufen hinan, zum Sitze der Fürstin. »Habe ich nun mein Wort gelöst, Eudoxia? Sieh, ich habe also doch dir zum Vergnügen mitgespielt in der Komödie, und mehr Verwandlungen hat's dabei gegeben, als in irgend einer Metamorphose des Ovid. Denn« – hier sprach er leise, daß nur Eudoxia es hören konnte – »die größte Verwandlung, die mit mir selber heute vorgegangen ist, wirst du erst allmählich gewahr werden. Wunderliche Dinge habe ich erfahren, als ich diese Komödie einfädeln und spielen half! Auch dich hat das Volk da unten verwandelt: – aus meiner Eudoxia haben sie eine goldschimmernde Eidechse gemacht. Es ist doch gut, Eudoxia, wenn ein Fürst auch manchmal Komödie spielt. Sieh, es grauste mir heute förmlich vor der Pracht dieses Abends nach dem, was ich am Mittag gesehen und gehört. Wir müssen uns verwandeln, Eudoxia – aber nicht in ovidischer Weise – oder es könnte kommen, daß unsere Kronen und Hermeline noch ehe dieses Jahrhundert über den Häuptern unserer Enkel hinabgerollt ist, daß unsere Kronen und Hermeline in gar kurioser Weise verwandelt würden. – Sahst du eben den Lichtschein dort am wolkenlos heiteren Maihimmel? Es wetterleuchtet in unsere Kerzen- und Sternen- und Fackelpracht hinein! Nenne mich fürder nicht mehr Augustus, liebe Eudoxia, nenne mich August. Du weißt, auf Augustus folgte Tiberius. Schau hinüber nach den dunklen Fenstern meines Kabinetts. Dort steht der graubärtige Ritter über dem Kamin, dessen Anblick hat mich heute zur Besinnung gebracht. Vielleicht steht er jetzt unsichtbar mitten unter uns und freut sich über mich! Ja, vielerlei Verwandlung haben wir heute gespielt, dieser schmiegsame Franz und ich, und ich dachte, einen von uns zweien müßte ich dir wohl vorstellen als den echten Ovid bei Hofe. Jetzt aber merke ich, der größte Fabeldichter, der Mann, der die größte Metamorphose heute mir in die Seele gedichtet, das ist der alte Ritter über dem Kamin: denn er hat den Fürsten verwandelt. Lies du deinen französischen Ovid: ich will mit dem Ritter über dem Kamin sprechen und er soll mein deutscher Ovid sein. – Aber ich habe dir immer noch eine neue Verwandlung vorzuführen. – He! Adam tritt näher! Adam Happeler!«

Adam erschien mit seiner Fackel und pflanzte sich am Fuße der Treppe auf.

»Das ist der Adam Happeler, Eudoxia, dem du das Häuschen bauen ließest, worin er verdarb, der dann Hundejunge ward, wobei er nicht gedieh. Weil er sich nun vermessen hat, mir einheizen und Licht anzünden zu wollen, wenn er's nur dürfe, so habe ich ihn zu meinem Stubenheizer und Lampenanzünder gemacht, da darf er's ja nach Herzenslust. Aber ich will dir einen Spruch mitgeben ins neue Amt, Adam: Auch der gutartigste Hund hat vier Wolfszähne! Hüte dich, Adam! Wenn du wieder Spitzbubereien treibst, dann wanderst du nicht in das kleine Prison, sondern ins große Zuchthaus.«

Adam schnitt ein halb glückseliges, halb verlegenes Gesicht bei dieser Anrede, und das gab ihm gerade ein Aussehen, wie wenn er niesen wolle und könne nicht. Der Fürst rief darum lachend: »Bergmann, so male Er mir den Adam mit seiner Fackel in den chinesischen Saal. Die anderen Köpfe bleiben in der Mappe.«

Dann aber wandte sich der Fürst zu seinem Hofe und kündete den Aufbruch an zu einer Gondelfahrt auf dem Flusse, die den festlichen Abend beschließen solle. »Adam, eröffne den Zug mit deiner Fackel! Du sollst Uns heute abend ganz besonders das Licht tragen, die Fackel, die zugleich Unser Emblem ist! Auf, meine Herren, folgen Sie dem fürstlichen Zeichen der Fackel!« Und während sich der Zug bildete, murmelte der Fürst, seiner Gattin den Arm bietend, für sich die Worte des Mottos zum Emblem:

»Aliis inserviendo consumor


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